Mittwoch, 27. Juli 2016

Rede über eines der interessantesten und wichtigsten Museen Österreichs. Das Jüdische Museum Hohenems feiert seinen 25.Geburtstag





Die Festrede, die ich vielleicht gehalten haben könnte


Jutta Berger und Hanno Loewy gewidmet

Vorbemerkung: Auf Einladung von Jutta Berger, der Präsidentin des Fördervereins des Jüdischen Museums Hohenems, habe ich die Festrede aus Anlaß des 25jährigen Bestandes des Jüdischen Museums vor Mitgliedern des Fördervereins gehalten. Das war am 9.Juli 2016. Ich habe gestützt auf einige handschriftliche Notizen vor allem über mein Verhältnis zum Museum gesprochen, das ich seit seiner Gründung kenne und schätze.
Vermutlich auf dem Fest habe ich meine Notizen verloren. Im folgenden Text erinnere ich mich an meine Notizen und meine Erfahrungen und Begegnung mit dem Museum…


Ich bin 1991 zum ersten Mal nach Hohenems gekommen. Also im Jahr der Gründung des Jüdischen Museums. Aber nicht um das Jüdische Museum zu sehen, sondern die erste Landesausstellung, die das Land Vorarlberg veranstaltet hat. Sie fand im Schloß statt und hatte unterm Titel „Kleider und Leute“ Kleidungspolitik zum Thema. Ich erinnere mich sehr gut an diese hervorragende Ausstellung und könnte sie noch immer in großen Zügen nacherzählen.

Woran ich mich nicht so genau erinnere ist, ob ich von der Eröffnung des Jüdischen Museums im selben Jahr wußte oder ob ich überrascht war, daß es dieses Museum nun tatsächlich gab. Denn daran hatte ich, als ich Ender 80er-Jahre erstmals von einer bevorstehenden Gründung hörte, Zweifel. Freunde machten mich auf Texte aufmerksam, Dokumente heftigster Konflikte, die mir so ausweglos verhakt erschienen, daß ich buchstäblich dachte: „Das wird nie etwas“.

Aber ich hatte die Konfliktfähigkeit der Kontrahenten unterschätzt. Der vielfach geschichtete Konflikt - ein Generationenkonflikt, ein ideologischer Dissens, einer zwischen „Schulen“ der Historikerzunft -, mündete in eine Museumsgründung, die sich von Anfang an als nicht bloß lebensfähig sondern kraftvoll und innovativ erwies: konzeptuell, architektonisch und museumspolitisch.

Ich muß damals wohl schon Eva Grabherr kennengelernt haben, die Gründungsdirektorin, die bald zu einer engen Freundin wurde und zu MitarbeiterInnen, deren Arbeit ich kennen- und schätzen lernte. Ich habe noch im selben Jahr Freunde und Studierende einer Vorlesung überredet, nach Hohenems zu kommen und bin damals mehrmals von Wien in den äußersten Westen gereist. Was ich schon gewürdigt wissen will, schließlich gibts kaum eine längere Bahnreise, die man in Österreich machen kann, außer man macht es so wie ich und bildet sich Graz als neuen Wohnort ein, von wo die Reise noch länger dauert.

Ich war seither wieder und wieder im Jüdischen Museum, so oft, daß ich vermute, es könnte mein meistbesuchte Museum überhaupt sein. Trotzdem war ich überrascht, als mich Hanno Loewy zur 25-Jahr-Feier im April dieses Jahres einlud - mit gleich drei Verpflichtungen zur aktiven Teilnahme: Vortrag, Teilnahme an einer großen Diskussion zur Zukunft nicht nur dieses sondern von Jüdischen Museen überhaupt und Podiumsdiskussion bei der zeremoniellen Eröffnen der Ausstellung „Übrig“.

Überrascht war ich, weil ich doch nicht mehr als nur Besucher gewesen bin in all den Jahren. Also überlegte ich mir damals, im April, was denn meine Beziehung zum Museum und die Beziehung des Museums gewesen sein könnte und immer noch ist. Aber trotz dieser kleinen Selbstprüfung, blieb ich beim „Besucher“. Aber seit wann dürfen sich Besucher förmlich über das Museum ihrer Zuneigung äußern? Gar eine Festrede halten?

Ich möchte heute als Festredner weiter Besucher sein und bleiben und über meine Beziehung zum, meine Erfahrungen mit dem Museum reden. Notgedrungen bruchstückhaft, denn Vieles ist mir entfallen und es gab immer wieder auch längere Unterbrechungen meiner Reisetätigkeit nach Vorarlberg. Von den Vielen Ausstellungen, Projekten oder Veranstaltungen habe ich selbstverständlich nur einen Bruchteil kennengelernt.

Ich beginne mit den erwähnten Jubiläumsveranstaltungen im April und einer paradoxen Erfahrung, die ich damals gemacht habe. In meinem Vortrag ging ich meiner aktuellen Neugier nach, das Museum als einen nicht bloß öffentlichen Ort zu denken - was er ja mehr oder weniger an sich schon ist -, sondern als einen konflikthaltigen und -fähigen sozialen Raum, der erst so eigentlich das Museum zur zivilen und demokratischen Institution macht. Dafür müssen eine Reihe von Bedingungen zusammenkommen aber die, so bin ich überzeugt, muß man dem Museum nicht aufzwingen, die sind im Museum der Moderne schon angelegt. Mein Rekonstruktionsversuch vergewaltigt die Museumsidee nicht, er bringt etwas wieder hervor, was in ihr angelegt ist.

Museen spielten bei der Formierung europäischer Nationalstaaten und republikanischer Gesellschaften eine erstaunliche Rolle. Museen waren und sind Orte der Vergesellschaftung, Orte, an denen Menschen zusammenkommen um den Grund und die Weise ihres Zusammenlebens zu ergründen, manchmal vielleicht auch zu erneuern, ihre gemeinsame Geschichte zu deuten, die Beziehung zu ihren natürlichen und sozialen Umwelten zu erforschen, zum Fremden und Anderen.

Als ich beim Vortrag so vor mich hin redete, vor einem Publikum, das gewiss keine museologischen Ambitionen hatte, kamen mir Bedenken ob meiner theoretischen Abstraktionen und ich habe mich unterbrochen, unmerklich ein paar Seiten überblättert, das Ganze war ohnehin zu lang, und mich dann  geradezu entschuldigt: „Das sind sehr theoretische Früchte eines einsam an seinem Computer brütenden Wissenschafters - ohne nennenswerte praktische Bedeutung“.

Sechs Tage später, als die beiden Museums-Feiertage des Jüdischen Museums vorbei waren, dachte ich: Was hast Du da geredet? Welche Zweifel waren das denn? Vonwegen theoretische Flausen! Du bist hier in einem Museum, das genau das ist, was Du Dir vorstellst!

Hatten wir nicht eben noch in einem Kreis von fast fünfzig klugen Leuten in einem „Großen Ratschlag“ diskutiert, daß und warum Jüdische Museen es unausweichlich mit konflikthaltiger Geschichte und auch mit der Notwendigkeit zu tun hatten und weiter haben werden, daß sie selbst konfliktbereit und Dissens aushaltend sich der Geschichte anzunehmen hätten? Hatte nicht zur Begrüßung der Festgäste Hanno Loewy in seinem knappen luziden Statement das Museum klar positioniert und präzise dessen gesellschaftspolitische Aufgabe vorgestellt?

Und war nicht das Museum selbst (wie erwähnt) aus einem - heftigen, partiell zivilgesellschaftlichen - Konflikt um die Deutung Jüdischer Geschichte im Kontext der Vorarlberger Landesgeschichte entstanden? Und war nicht die Ausstellung, die es nun zu sehen gab, „Übrig“, auch ein Dokument vielfältiger Konflikte, solcher in der Überlieferung, des Gebrauchs, der Geltung, der Deutung der Dinge?

Da bin ich beim zentralen Punkt meiner anhaltenden Wertschätzung des Jüdischen Museums. Was möglicherweise selbstverständlich klingt, danach, wie ein Museum nun mal arbeitet und sich positioniert, ist so ganz und gar nicht selbstverständlich. Es setzt voraus, daß das Museum reflektiert sein muß, nicht bloß Arbeitsabläufe abwickelt, Routinen bedient, Besucher zählt, sondern immer auch einen distanzierten Blick auf das haben muß, was es und wie es etwas tut. Was seine Themen sind und welcher Vermittlung wie Methoden es bedarf. Und vor allem, welche Verantwortung es gegenüber seien Communities und der Gesellschaft als Ganzes hat.

Es ist mir noch ein zweites Mal passiert, Jahre zuvor, dass das Museum in Hohenems eine praktische Antwort bereit hatte auf meine theoretischen Basteleien. Das war die Projektreihe „Ein Viertel Stadt“, für die ich mehrmals nach Hohenems gereist bin und an die mich sehr gut erinnere: an die sommerlichen Abende (ich hab sie jedenfalls sommerlich-mild in Erinnerung), an denen die Bevölkerung durch die Stadt flanierte, konzentriert und aufmerksam vor den Projektionen stand und dann, wie Monate später, die Stelen mit den Blicklenkungen Touristen, Radler, Geschäftige, Eilige und Bedächtige lenkte und ablenkte und sie aufmerksam werden ließ für Gestalt und Geschichte der Stadt.

Das war ein sehr ungewöhnliches Projekt. Ein Museum interveniert in kommunale Debatten. Und verlässt dazu sein Haus und geht in die Stadt.
Der Umgang mit dem Stadtkern, dem Jüdischen Viertel, war vielfach ins Gerede gekommen. Immobilienspekulationen zeichneten sich ab, die Denkmalpflege steuerte dagegen, es stand eine sogar, wenn ich mich richtig erinnre, umfassende Unterschutzstellung zur Diskussion. Es hätte aber auch ganz im Gegenteil zum Verschwinden wichtiger, auch historisch bedeutender Bauten kommen können.
Daß das Museum Mitverantwortung für die künftige Entwicklung der Stadt übernahm, war schon bemerkenswert. Daß man dabei aus dem Museum herausging und, gestützt auf sorgfältig vorbereitende Forschung, im Stadtraum selbst aktiv wurde, war originell und wirksam. Wenn ich seither in Hohenems war, auch in diesen Wochen, habe ich immer wieder vom Nachwirken dieser Doppel-Aktion gehört. Mir kommt vor, daß auch die heutige, vermutlich an Touristen adressierte historische Stadtbeschilderung auf der seinerzeitigen Intervention beruht. Sie hebt unter anderem das Jüdische Viertel überhaupt erst ins Bewußtsein, das war, als ich die ersten Male nach Hohenems kam, überhaupt nicht der Fall. Denn das war ja der Kern des Projekts „Belichtete Häuser“ - verschüttete, vergessene, verdrängte Geschichte und Geschichten zurückzuholen und in das Gedächtnis der Stadt und ihrer Bevölkerung neu zu verankern. Und daß dabei die Synagoge aus einem Feuerwehrhaus zurückverwandelt werden und zu einem der praktischen und symbolischen Zentren des Ortes werden konnte, das wurde erst durch die Projektreihe möglich. Ich glaube, es ist nicht übertrieben zu behaupten, daß Hohenems dadurch seine Identität nachhaltig - und positiv - verändert hat.

Als ich kürzlich von der Österreichischen Forschungsgemeinschaft gebeten wurde im Zusammenhang mit den Plänen eines Haus der Geschichte Österreich in der Wiener Hofburg zum Thema Geschichtsvermittlung zu sprechen, habe ich die Projektreihe „Ein Viertel Stadt“ als eines unter sechs von mir ausgewählten Beispielen als Modell ausgewählt, denn ich halte sie für ein beispielhaftes Unterfangen der Schaffung kritischer und handlungsorientierender Öffentlichkeit und wundere mich so nebenbei, daß kein anderes österreichische Museum, etwa die Stadtmuseen, dieses Modell nicht weiter entwickelt haben.

Inspirierend für mein damaliges wie heutiges Nachdenken über Museen war der auch der Umgang mit Musealisierung und mit Öffentlichkeit im Projekt. Musealisierung, die dauerhafte und unveränderte Erhaltung von etwas Überliefertem, Tradierten, unter Umständen sogar einer Landschaft oder wie hier eines Stadtquartiers, kann erstickend sein, kann die weitere städtebauliche, architektonische vor allem aber auch soziale Entwicklung hemmen. Da half das Museumsprojekt, die Debatte offenzuhalten, zu verflüssigen. Dann aber machte das Museum noch etwas ganz anderes: es wartete nicht darauf, daß Besucher kommen, um sich etwas anzusehen, schöne, alte, ausratsche Dinge, sondern erzeugte gewissermaßen seine Besucher selbst, eine Gelegenheit und einen Raum, in dem sich Besucher zusammenfinden, sich sammeln konnten, in der Vieldeutigkeit dieses „Sich-Sammeln“.

„Ein Viertel Stadt“ war etwas, wo das Museum aktiv Öffentlichkeit herstellte, eine Öffentlichkeit, die in die Lage versetzt werden sollte, sich informieren zu können, sich erinnern zu können und ihre eigenen Entscheidungen zu entwicklen - etwa über die künftige Entwicklung des Stadtkerns, den Umgang mit „sensibler“ Bausubstanz, mit der Art und Weise, wie man mit der Geschichte des Ortes umgehen sollte. Mit anderen Worten: Das Museum gab keine Empfehlungen ab, es favorisierte keinen bestimmten Gesichtspunkt, es tat nicht so, als hätte es eine Lösung - es stellte einen sozialen Raum zur Verfügung, in dem debattiert werden konnte, um es der Bevölkerung von Hohenems zu ermöglichen „ihre eigenen Angelegenheiten“ zu regeln. Genau das war und ist der Sinn liberaler Öffentlichkeit, und das gehört zum Kostbarsten, was eine demokratische Gesellschaft besitzt. Und meiner Meinung nach zum Wichtigsten, was ein Museum leisten kann.

Orte zu besitzen, wo ein solcher Austausch von Interessen unter Achtung und Anerkennung des Anderen stattfinden kann, wo Konflikte sichtbar gemacht und miteinander konfrontiert werden, ohne daß sie vorschnell harmonisiert werden, daß ist ein Herzstück demokratischer Politik. Die Fähigkeit des Museums, solche Gelegenheiten in den unterschiedlichsten Formen immer wieder herzustellen, daraus sein Programm zu entwicklen, seine Anliegen an eine zivilgesellschaftliche Öffentlichkeit zu vermitteln, das ist es, was ich am Jüdischen Museum Hohenems bewundere. Und mir kommt vor, daß es angesichts der akuten gesellschaftlich-politischen Entwicklung immer wichtiger wird, solche Orte zu haben und zu fördern.

Dabei vergesse ich nicht, daß das Hohenemser Museum wie andere Jüdische Museen, die im deutschsprachigen Raum seit den 1980er-Jahren entstanden sind, auch untrennbar mit einer katastrophischen Geschichte kontaminiert sind und nie der Herausforderung ausweichen dürfen, sich dieser einzigartigen historischen Bindung bewußt zu sein und Mittel und Wege zu finden, das Eingedenken an Vernichtung und Vertreibung zu ermöglichen. Das Museum hier ist als Gedächtnisort für eine einst bedeutende und schließlich vernichtete und vertriebene Jüdische Gemeinde entstanden. Das ist nach wie vor die Kernfunktion des Museums.
Aber wie das dieses Museum macht, das sie alle, die heute hier versammelt sind, mittragen, fördern und stützen, dafür gibt es viele Wege.
Das reicht von der Aufmerksamkeit für den einzigartigen Jüdischen Friedhof bis zu dem außergewöhnlichen, von Johannes Inama initiierten Nachkommentreffen, das das winzige Museum mit seinen diversen fernen Communities buchstäblich auf der Weltkarte verankert. Dieses beständige Abarbeiten an einer Aufgabe, die manche unterm Stichwort „Unerinnerbarkeit der Geschichte“ für unmöglich erklären, weist für mich immer aber auch über den Museumstyp „Jüdisches Museum“ hinaus auf Qualitäten einer Museumsarbeit, die beispielhaft für andere Museumstypen und Museumsaufgaben sein kann und sollte.
Es ist vielleicht unzulänglich beschrieben, aber Jüdische Museen sind nicht nur einem besonderen Ethos verpflichtet (eine Verpflichtung, die sie sich selbst auferlegen), sie entwickeln daraus abgeleitet eine ungewöhnlich reflektierte und ungewöhnlich selbstreflexive Vermittlungspraxis, die sich in derselben Genauigkeit und Durchdachtheit nicht so schnell in anderen historischen Museen wiederfindet. Deshalb schaue ich auf das Hohenemser Museum gewissermaßen mit zwei Formen der Aufmerksamkeit: Was macht es als Jüdisches Museum, wie nimmt es seine spezifische Aufgabe wahr? Und was kann es so als Museum, daß ich daraus etwas Neues und Anregendes erfahren kann, das in die generelle Museumspraxis einfließen sollte? Während sich das Museum selbst wohl eher an seinesgleichen mißt, messe ich es immer auch an Museen generell.

Wenn ich eingangs erwähnt habe, daß das Hohenemser Museum möglicherweise mein meistbesuchtes ist, ich es aber nicht genau sagen kann, so kann ich etwas anderes mit Sicherheit sagen: Kein anderes Museum hat mir derart viele Anregungen, Einsichten und Inspirationen verschafft. Das lag nicht nur an Ausstellungen, die ich gesehen habe, an Projekten, bei denen ich Gast war, sondern vor allem an Personen, die ich über das Museum kennengelernt haben. Personen, die aktiv an jener präzisen und scharfsinnigen museologischen Reflexion aktiv beteiligt waren und sind, von der ich gesagt habe, daß sie sich in besonderer Weise um Jüdische Museen etabliert hat.

Dabei habe ich bis jetzt nur von zwei Gelegenheiten des Besuchs des Museums erzählt. Ich greife fast wahllos einige andere heraus, solche aus der allerjüngsten Zeit, um besser und bunter zu illustrieren, was das Museum so mit mir macht und was es mir bedeutet.

Es ist erst wenige Tage her, da beugte ich mich mit anderen Besuchern und dem Museumsteam - metaphorisch gesprochen und buchstäblich - über ein Objekt der aktuellen Ausstellung „Übrig“. Wir diskutierten in einer Abendveranstaltung über das Nachthemd der Zemira Guggenheim, über die Geschichte und Überlieferungsgeschichte dieses Objekts, genauer gesagt über das Wenige, das man sicher weiß und über genealogische Forschung, wie sie im Haus aber auch anderswo betrieben wird, über die denkbare Funktion eines solchen durchaus „sensiblen Objekts“ in der Sammlung, in einer Ausstellung. Ich war mir nicht so sicher, welche Rechtfertigung es für das Zeigen eines solchen intimen Objekts gab. Andrerseits gefiel mir die Offenheit, mit der die Experten und Expertinnen mit dem Publikum diskutierten. Objektforschung und Sammlungspolitik sind normalerweise nichts Öffentliches. Wie das so ist, mit Museumsobjekten - je mehr man fragt, desto mehr der Fragen bleiben offen. Das ist eine Qualität von Museen und von Museumsobjekten. Die Fragen öffneten sich und mich nach allen Richtungen. Ich bin nach der Veranstaltung vergnügt weggegangen.

Wenige Wochen zuvor saß ich in einer Veranstaltung, zu der mehrere Dutzend Personen zu dem Zweck zusammengekommen waren, um über Jüdischen Museen und die wünschbare Entwicklung des Hohenemser Museums zu diskutieren. Ich habe aus beruflichen und biografischen Gründen schon lange nicht mehr an einer solchen Generaldebatte teilgenommen und es unglaublich genossen, wieder mal in einem diskussionsfreudigen, hochkompetenten, streitfähigen Milieu mein eignes Wissen und meine Erfahrungen ausprobieren und einflechten zu können. „Der Große Ratschlag“ war als Beratung gedacht, als Reflexion, als Austausch unter Experten, als Prüfung von Zukunftsoptionen. Und diesmal war ich ausnahmsweise nicht Besucher, sondern begeisterter Teilnehmer, der in seinen Überlegungen bestätigt und widerlegt wurde, der mehrmals sanft angestoßen wurde, mal seine Denkrichtung zu ändern.

Die dritte Veranstaltung, die ich erwähnen möchte, ist die gewissermaßen „unwahrscheinlichste“ der drei, die ich hier nenne. Eines Tages schickte mir Hanno Loewy eine Einladung zu einem Konzert, für das er Hebammendienste in mir unklarem Ausmaß geleitet hatte, und das einen Herrn Lorne Richtestone aus Oklahoma am Klavier versprach, vier Sängerinnen, die nicht, wie üblich, mit ihren Stimmlagen sondern mit ihrer Herkunft vorgestellt wurden: Ost-Jerusalem. Es gab da aber zudem eine Cellistin aus Finnland, Sängerinnen aus Österreich und eine Organisatorin, die, wenn ich richtig verstanden habe, aus Hohenems kommt. Das ergab ein schwer durchschaubares Geflecht aus Israel, Vorarlberg, Palästina, USA, Finnland usw. und genügte schon, um mich sehr neugierig zu machen. Außerdem war ich ohnehin grade rechtzeitig in Wien, um ins Hamakom-Thaeater am Nestroyplatz zu gehen wo mich unter dem Titel „Der Wanderer“ Musik von Schubert, Salomon Sulzer und dessen Söhnen erwartete. Also hatte ich auch eine Gelegenheit, aus einem zwar prominenten, aber für mich nicht mit persönlicher Bedeutung gefüllten Namen, Sulzer, etwas Anschauliches und Lebendiges werden zu lassen.

Ich fasse mich kurz. Das Konzert gehört zum Außergewöhnlichsten, was ich je zu hören bekam. Vor allem als sich die vier „Sängerinnen aus Ost-Jerusalem“ als sechzehnjährige Operngesangsschülerinnen entpuppten, die nacheinander je ein Lied von Franz Schubert sangen. Darunter „Der Tod und das Mädchen“ und eben das Lied, das dem Programm den Titel gegeben hat, „Der Wanderer“, wo es in einer Zeile heißt, „Da wo ich nicht bin, da ist das Glück.“ Ein Konzert? Ja, auch. Aber auch so etwas wie ein Gedächtnisort, an dem Jahrhunderte und Kontinente durchkreuzt wurden und sich Geschichte und Geschichten in einem nahezu undurchdringlichen Palimpsest aufeinanderschichteten.

Warum ich ihnen das erzähle? Warum diese drei Episoden? Ja klar, es hätten auch andere sein können. Alles was ich damit sagen will ist, daß mich das Museum immer wieder überrascht, mich immer wieder inspiriert, mich immer wieder neugierig macht, mich mit Unerwartetem konfrontiert, mich, den Besucher, der seit 25 Jahren hartnäckig immer wieder kommt und weiter kommen wird.

Ich hoffe, es ist mir gelungen, Ihnen verständlich gemacht zu haben, warum ich das Museum sowohl in objektivierender Hinsicht, im Vergleich mit anderen Museen und gemessen an auch theoretisch formulierbaren Ansprüchen an zeitgemäße Museumsarbeit, für sehr ungewöhnlich halte. Aber auch, was das Museum für mich ganz persönlich bedeutet hat und bedeutet.

Beide meine Urteile möchte ich ihnen zum Abschluss mit einer kleinen Anekdote illustrieren.
Ich war wieder mal Gast in Hohenems, das Museum feierte sein zehnjähriges Jubiläum, damals noch im Löwensaal, wo ich irgendwo mitten im rappelvollen Saal saß. Ich habe zwei Dinge von dieser Jubiläumsveranstaltung in Erinnerung. Einerseits, daß sich mir das Gefühl vermittelte, daß das Saalpublikum ganz und gar identifiziert war mit dem Museum, ihrem Museum, keine Selbstverständlichkeit, bei keinem Museum. Das zweite war die Podiumsdiskussion, wo diverse Expertinnen und Experten die Geschichte und Vorzüge des Museums diskutierten. Bis dann jemand, selbst Leiter eins Jüdischen Museums, etwa so das Wort ergriff. „Also schön und gut, allen ist klar, daß das Hohenemser Museum tolle Arbeit leiste, wunderbare Projekte mache usw. Aber jetzt, bitte! jetzt möge das Museum doch endlich ein normales Museum werden.“

Ich bin damals aus meinem Sitz hochgeschossen und habe mich zu Wort gemeldet und als ich dran war habe ich dringend darum gebeten, daß das Hohenemser bitte, bitte kein normales Museum werden solle.
Es gäbe, sagte ich damals, in Österreich schätzungsweise 1400 Museen (heute sind es vielleicht schon 1600, oder 1700), davon seien ohnehin 1385 normal (ich neige zur Polemik, ja, aber das muß mir erst mal jemand beweisen, daß es sich anders verhält) und auf die restlichen fünfzehn käme es an. Denn das sind die, die etwas Neues machen, die etwas riskieren, die erfinderisch sind, die den Begriff Museum über seine Grenzen hinaus entwickeln würden. Auf die Museen käme es an, die machten die Qualität des Museumswesens eines Landes aus. Und genau so ein Museum sei das Jüdische Museum Hohenems. Also bitte! Kein normales Museum aus dem Hohenemser machen!  

Ganz in diesem Sinne wünsche ich mir, daß das Jüdische Museum weiterhin kein normales wird und so einzigartig und unverzichtbar bleibt, wie es ist.

Und jetzt wünsche ich Ihnen ein schönes Fest!

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