Montag, 14. März 2011

Offener Brief zur Entwicklung und Zukunft des Jüdischen Museums


Sehr geehrter Herr Bürgermeister Häupl,
Sehr geehrte Frau Vizebürgermeisterin Vassilakou,
Sehr geehrte Frau Stadtrat Brauner,
Sehr geehrter Herr Stadtrat Mailath-Pokorny,

Die UnterzeichnerInnen dieses offenen Briefes  wenden sich aus tiefer Besorgnis um die Entwicklungen bzw. um die Zukunft des Jüdischen Museums der Stadt Wien (JMW) an Sie bzw. an die für das Jüdische Museums der Stadt Wien verantwortlichen Gremien.

·       Zur Vorgeschichte: In Reaktion auf die Zerschlagung der Hologramme, dem Kernstück der bisherigen Dauerausstellung des JMW, hatten 25 Direktoren/Direktorinnen jüdischer Museen und WissenschaftlerInnen in einem Brief an  die Direktorin des JMW, Danielle Spera, ihrer Besorgnis über die künftige Positionierung des JMW Wien in der internationalen Museumslandschaft Ausdruck verliehen.
http://museologien.blogspot.com/2011/02/zerstorung-ist-selbst-thema-unserer.html

·       Die Zerschlagung dieser Ausstellungsobjekte erschien vielen als Fanal:  als ein – womöglich nicht einmal bewusster –  Akt der Zerstörung dessen, was das internationale Standing des JMW als Ort der Reflexion über die Frage der (musealen) Darstellbarkeit von (jüdischer) Geschichte (im Besonderen nach der Shoah) ausgemacht hat. Es war gerade diese Form der „Übersetzung“ von wissenschaftlich-intellektuellen Debatten in die Praxis des Ausstellens, auf der die besondere Position des JMW – trotz relativ beschränkter Mittel – in der internationalen Topographie jüdischer Museen beruhte.

·       Das in diesem Schreiben eröffnete Angebot, in einen Dialog mit Frau Spera zu treten, wurde allerdings nicht aufgegriffen, ganz im Gegenteil: Die Reaktion der Leitung des JMW hat sich bislang nicht in inhaltlichen Positionen, sondern in persönlichen Diffamierungen der KritikerInnen und einer generellen Intellektuellen-Feindlichkeit erschöpft: als „Verkopfungen, die sich selbst richten“, wurden kritische Reflexionen  denunziert.
http://science.orf.at/stories/1676061/

·       Auch auf die Entkräftung des Arguments, man habe die Hologramme nicht abbauen können, durch jene renommierte Firma, die sie hergestellt hat, hat die Leitung des JMW bis heute keine adäquate Antwort gegeben.

Einen neuen Höhepunkt hat diese Diffamierung mit den Äußerungen des Prokuristen des JMW Peter Menasse  in seiner – offenkundig auch für die öffentliche Kommunikation des Museums bestimmten – Facebook-Seite erreicht. Die dortigen Äußerungen haben mittlerweile einen Grad an Öffentlichkeit erlangt, der eine Reaktion erforderlich erscheinen lässt.
 Im Facebook-Eintrag von Peter Menasse heißt es wörtlich über die UnterzeichnerInnen des Briefes an die Direktorin des JMW:
„Und wenn einer aus der Gruppe Treue schreit, versammeln sich alle ungeprüft hinter ihm, auch wenn er aus der tiefsten österreichischen Provinz kommt. Denn unter Direktoren jüdischer Museen heißt es: Unsere Ehre heisst Treue."
http://museologien.blogspot.com/2011/03/peter-menasse-es-kotzt-mich.html

Mit dem Wahlspruch der SS Direktorinnen und Direktoren Jüdischer Museen zu verhöhnen – damit ist eine Grenze überschritten, ein Tabu gebrochen, damit verlässt der Prokurist des Jüdischen Museums Wien den kommunikativen Raum, in dem eine Debatte um Ziele, Inhalte und Konzepte für die Zukunft des JMW im internationalen Kontext sinnvoll und möglich erscheint.
Peter Menasse hat diesen einen Satz „Unsere „Ehre heisst Treue“ mittlerweile zwar zurückgezogen, bezichtigt die KritikerInnen aber nach wie vor, eine „Hetzjagd“ gegen ihn zu führen, an anderer Stelle spricht er von „Menschenjagd“. Diese und weitere Anschuldigungen und Diffamierungen auf seiner Facebook-Seite hat Peter Menasse nicht zurückgenommen.
Wir, die Unterzeichner und Unterzeichnerinnen dieses Schreibens, erklären uns solidarisch mit den Direktorinnen und Direktoren Jüdischer Museen und verwehren uns gegen diese unfassbare Entgleisung auf das Entschiedenste. Besorgt und bestürzt nehmen wir zu Kenntnis, dass sich das JMW durch solche Äußerungen selbst disqualifiziert.
Diese Polemik lenkt auch von der eigentlichen Frage ab: der Zukunft des Jüdischen Museums der Stadt Wien und den diesbezüglichen Vorstellungen der Museumsleitung. Daher möchten wir anregen, den Dialog darüber, der bereits im Schreiben der Museumsdirektorinnen und -direktoren vorgeschlagen wurde, zu beginnen.


Dr. Ilsebill Barta, Wien
Dr. Margit Berner, Wien
Mag. Petra Bernhardt, Wien
Dr. Gottfried Fliedl, Graz
Univ. Prof. Dr. Hans Goldenberg, Vorstand des Instituts für Medizinische Chemie der Universität Wien

Dr. Louise Hecht, Kurt-und-Ursula-Schubert Institut für Jüdische Studien, Olomouc, CZ
Otto Hochreiter, Direktor stadtmuseumgraz
Dr. K. Hannah Holtschneider, University of Edinburgh
Doz. Dr. Ela Hornung-Ichikawa, Wien
Dr. Martha Keil, Direktorin, Institut für jüdische Geschichte Österreichs


Dr. Gerald Lamprecht, Leiter des Centrums für Jüdische Studien, Universität Graz
Univ. Prof. Dr. Gerhard Langer, stellvertretender Institutsvorstand Institut für Judaistik, Universität Wien
Univ. Prof. Dr. Albert Lichtblau, Universität Salzburg, Fachbereich Geschichte
Thomas Mang, Wien
Univ.Doz.Dr. Wolfgang Maderthaner. Verein f. Geschichte d. Arbeiterbewegung

Dr. Gerhard Milchram, Kurator, Wien
Dr. Roswitha Muttenthaler, Wien
Dr. Sabine Offe, Institut für Religionswissenschaft, Universität Bremen
Mag. Petra Paolazzi, Ausstellungs- und Museumskonzeption, Innsbruck
Mag. Herbert Posch, Institut für Zeitgeschichte, Wien

Peter Putz, Wien
Dr. Gabriele Rath, Museumskonzeption und –beratung, Innsbruck
PD Dr. Dirk Rupnow, Leiter, Institut für Zeitgeschichte, Universität Innsbruck
Univ.Doz. Dr. Anna Schober, Kulturwissenschafterin, Wien/ Verona
Dr. Monika Sommer, Wien

Dr.in Claudia Andrea Spring, Wien
PD Dr. Heidemarie Uhl, Österreichische Akademie der Wissenschaften, Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte
Mag. Elisabeth K. Wappelshammer, Historikerin, Wien
Bruno Winkler, Schruns

Mag. Regina Wonisch, Wien
Dr. Heidrun Zettelbauer, Institut für Geschichte, Universität Graz
Luisa Ziaja, Wien


Stand der Unterschriften:  16.3.2011

Wenn Sie sich dem Offenen Brief anschließen wollen, genügt eine formlose Zustimmung in Form eines Kommentars (unter dem Post).



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