Samstag, 12. Februar 2011

Neue Leitung für das Vorarlberger Landesmuseum. Andreas Rudigier geht vom Heimatmuseum Schruns nach Bregenz.

Andreas Rudigier wird neuer Leiter des Vorarlberger Landesmuseums. Rudigier hat das Heimatmuseum in Schruns geleitet, dessen tiefgreifende Erneuerung er betrieben hat. Bei dieser Gelegenheit, wir haben in einem größeren Team an der Neukonzeption zusammengearbeitet, habe ich ihn als einen unglaublich zum 'Netzwerken' begabten Leiter kennengelernt, der Projekte in höchst unterschiedlichen Größenordnungen und mit verschiedensten Themen auf die Beine stellte, von der kleinen lokalen Initiative bis zum Forschungsnetzwerk in EU-Dimensionen. Rudigier ist leidenschaftlicher Wissenschafter, Archivar, "Ausgräber" und "Entdecker" und versteht es geschickt, Leute zusammenzubringen und Communities zu unterstützen.
Das war einer der interessantesten Qualitäten des Museums, seine Einbettung in einen großen Kreis von Personen, die sich mit vielfältigen Anliegen, Ideen, Projekten um das Museum herum organisierten. Ich habe kaum wo in Österreich ein  Museum angetroffen, das derart von einer Community getragen, benutzt und beansprucht wurde.
Andreas Rudigier an einem seiner Lieblingsorte - dem Museumsarchiv
Für das Schrunser Museum ergab sich eine bauliche Erweiterung, die mit einem geladenen Wettbewerb Gestalt angenommen hatte. Der entschieden zeitgenössische Eingriff in den Ortskern wurde nicht ganz unerwartet zum Stein des Anstosses, mit den üblichen Fronten. Die Auseinandersetzung bremste die Entwicklung erheblich und zuletzt war unklar, ob das Projekt überhaupt realisiert werden kann.
Wir hatten, die wir an dem Projekt beteiligt waren, alle den Ehrgeiz ein neuartiges Modell eines Heimatmuseums zu realisieren und das ungewöhnliche politische Umfeld mit dem regional bedeutsamen 'Montafoner Stand' schien günstig, günstig auch für die Vernetzung des Museums mit weiteren, kleineren Häusern und vielen Denkmalorten.
Es wäre sehr schade, wenn diese Entwicklung zum Stillstand käme, egal ob wegen des Widerstandes gegen die architektonische Intervention oder des Abgangs von Andreas Rudigier. Vorarlberg, das schon einige bemerkenswerte Museen hat, hätte ein weiteres bekommen, das überregional auch als Modell für andere kleine, dörfliche Museen hätte fungieren können.
Für ein Landesmuseum mit seiner typischen Mischung aus Archäologie, Kunst, Geschichte, Volkskultur  uam. ist Rudigier mit seiner Ausbildung als Historiker und Kunsthistoriker und seiner unglaublichen Denkmalkenntnis und den zahllosen Forschungsprojekten, die er mitbringt, eine ideale Besetzung.
Die Herausforderung liegt womöglich in der unvermeidlichen Positionierung des Landesmuseums in Relation zu anderen, zum Teil weit größeren, mit ihrem "Relaunch" bereits fast fertigen Landesmuseen, in einer zumindest im weiteren regionalem Umfeld 'internationalen' Profilierung, die für Vorarlberger Museen eher eine 'Westorientierung' ist, also der Wahrnehmung der 'Grenzlage' zu Deutschland und zur Schweiz, und, das hofft doch wohl jeder (politische) Auftraggeber, mit einem Mehrwert an internationaler Attraktivität. Die beiden äußersten Pole dieses Orientierungsfeldes sind die Beschränkung (und Beschränktheit) eines Landesgroßheimatmuseums einerseits und der marketinggestützte Erlebnis- und Eventhype mit Tourismusrentabilität samt Ideologiemascherl Unser Vorarlberg andrerseits.
Es gibt aber wunderbare Beispiel dafür, wie man sich zwischen lokaler Selbstgenügsamkeit und virtuellen Größenphantasien halten kann, wie es Museen mit ähnlicher Ressourcensituation (qualitativ und quantitativ ziemlich begrenzte Sammlung; relativ kleiner Museumsstab, relativ enges thematisches Spektrum, das mit der Sammlung bespielbar wäre...) gelingt, sich mit thematischer und museologischer Intelligenz eine Haltung, eine institutionelle Identität erarbeiten, die dann auch mit breiter Aufmerksamkeit und produktiver Reaktion belohnt wird.
Schön, daß jetzt ein weiteres Museum interessant werden wird.
Rendering des Naubaues des Vorarlberger Landesmuseums

Freitag, 11. Februar 2011

"Museen als Tankstellen der Realpräsenz". Google 'erobert' jetzt auch die Museen

Ein Weizenfeld von van Gogh, etwas nahsichtig dank GOOGLE
"Museen - Tankstellen der Realpräsenz". Für so eine Wortspende und neue Metapher unter vielen verschlissenen Metaphern mit denen das Museum (un)begriffen bleibt, gehört der Autor mit Aufmerksamkeit belohnt. Auch weil er sich vergnügt einem "Realexperiment" stellt. Er googelt Museen. Genauer gesagt, das Google Art Project. Mit seiner Hilfe kann man durch Museen flanieren und einzelne Kunstwerke ansehen und ihnen so nahe kommen, wie das keine Sicherheitsanlage oder Aufseher je dulden würde. Erst einige Museen, sehr namhafte darunter, sind erfasst, allesamt Kunstmuseen.
Der Autor, Beat Wyss (hier der Link zu seinem Essay in DIE WELT) ist zunächst mal recht angetan.
Aber dann!
"Wo ist das Publikum, das meine Beobachtungen durch Gedränge und Lärm mitbestimmt? Man vermisst jetzt alles, von dem man glaubte, es störe den Kunstgenuss. Meine reale Anwesenheit im Museum liefert das, was kein noch so scharfer Zoom am Bildschirm bietet: jene kribbelnde Furcht, meine Aufmerksamkeit könnte durch eine vorlaute Reisegruppe gestört werden." 
Was Wyss abgeht ist die Performativität des Ausstellungsraumes und -ensembles zu der immer auch der Besucher / Betrachter mit seiner Bewegung im Raum und unter seinesgleichen gehört.
Die Bilder mögen, großformatig und enorm hochauflöslich reproduziert dargestellt sein, aber der Betrachter wird sich immer in der Rolle des Tantalos wiederfinden: "Alles um ihn wich zurück, wenn immer er danach greifen wollte. Tantalos war verdammt, auf ewig nur ansehen zu können, was er begehrte."
Das gilt freilich nicht bloß für gegoogelte Bilder in gegoogelten Museen, das ist in Museen genauso, die uns mit Ihren Ritualen, von denen das Berührungstabu eins der wichtigsten ist,  das Verfügenwollen schon im Ansatz gründlich austreiben.
Diese 'Schranke' ist aber nötig als Spielraum der Reflexion und der Möglichkeit die Unverfügbarkeit als untrennbar mit dem stets scheiternden Versuch der 'Abneignung', des 'Verstehens' verknüpft anerkennen und aushalten zu können.
Hier hätte Wyss tiefer graben müssen, um trennschärfer zwischen der Realpräsenz des Bildes im Museum einerseits und dem virtuellen Bild am Schirm unterscheiden zu können. Er hat schon recht, die technische Möglichkeit, dem Bild 'nahezukommen' ist irreführend. Das gilt auch für eine andere Spielart desselben Begehrens: der Röntgenfotografie, von der manche Kuratoren (die Wiener Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums hat dafür ein besonders Faible) offenbar meinen, daß das Eindringen gewissermaßen in den Körper der Kunst, das Begehren das Wahre, das Wesentliche - endlich - zu sehen, gestillt werden kann.
"Vor unseren Augen" schreibt Wyss, "vergrößert sich die Textur der Gemälde vom einzelnen Pinselstrich, über das Craquelée, zum Malgrund der Leinwand. Ihre Geheimnisse geben die Werke dabei nicht preis." Ja, das ist aber beibeiden 'Bildern', dem musealen wie dem digitalen so. Und es ist notwendig.

Euro, Schilling und ein Stempel (Entrée 14)

Die Hologramme waren vielleicht doch abbaubar?

Leserzuschrift zum Artikel von Thomas Trenkler im Standard:

Es nervt - Die Aussage, die Hologramme konnten nicht zerstörungsfrei abmontiert werden ist schlichtwegs falsch. Da ich als Helfer beim Aufbau der Hologramme mitgearbeitet habe kann ich bestimmt sagen das diese Hologramme zwar nicht zerstörungsfrei aus den Bodenschienen entfernt werden konnten, sehrwohl aber mit dem über dem Bodenniveau befindlichen Teilen der Bodenanker ohne die geringste Beschädigung zu entfernen gewesen wären. Dazu hätte es nur eines Gerüsts für die Platten und eine Trennscheibe gebraucht. Die Kosten dafür wären natürlich höher gewesen als die Kosten für die Zerstörung, aber auch nicht so hoch das es unbezahlbar gewesen wäre. Bei den Gesamtkosten des Museumsumbaus ein Minimalbetrag.

Das Jüdische Museum erregt sich auf österreichisch

Das Jüdische Museum der Stadt Wien hat gestern nach seinem auszugsweise in DIE PRESSE wiedergegeben Statement ein weiters in Form eines PDF veröffentlicht, das man von der Homepage aus hochladen kann. (Link hier).
Ich möchte den Text, der vielleicht nicht zufällig zeitnah an einem Thomas-Bernhard-Gedenktag (der auch den die Kritik am Museum verhöhnenden Titel inspriert haben mag) erschien ist, im Augenblick nicht kommentieren.
So etwas kann man getrost dem Urteilsvermögen geistesgegenwärtiger Leser überlassen.

Donnerstag, 10. Februar 2011

Sprachlos. Ein weiterer Kommentar zum Abbruch der Hologramme im Jüdischen Museum der Stadt Wien

Ich bin sehr bestürzt über die Entfernung und Zerstörung der Hologramme auf diese Art und Weise. Und auch die Reaktion der Direktorin des Jüdischen Museums, lässt mich – hinsichtlich der aktuellen Selbstpositionierung des Museums – sehr irritiert zurück. Nicht nur, dass keine Debatte VOR der Zerstörung der Hologramme stattgefunden hat, auch dass Frau Spera in ihrer Stellungnahme ausschließlich auf technische Notwendigkeiten rekurriert, spricht für sich bzw. gegen sie.
Die Hologramme waren bei meinen Exkursionen mit Studierenden der (Zeit)Geschichte ein Fixpunkt, um ganz grundlegend über museale Re/Präsentationsmöglichkeiten und die Erzählbarkeit von Geschichte im Allgemeinen und von jüdischer Geschichte nach der Shoah im Besonderen zu diskutieren. Einen solch hohen Grad an Reflexion über das eigene Tun wie sie das JMW mit seiner Dauerausstellung zum Ausdruck brachte, findet man auch in internationaler Hinsicht nicht in vielen Museen.
Umso sprachloser lassen diese aktuellen Bilder und unreflektierten Rechtfertigungsstrategien der Verantwortlichen zurück.

Dr. Heidrun Zettelbauer
Universität Graz
Institut für Geschichte - Österreichische Geschichte

Reaktion von Direktor Spera auf den offenen Brief von Johannes Wachten

(Mail vom 10. Februar 2011 14:48:59)

Sehr geehrter Herr Wachten,
die Hologramme auch nur in einem Hauch von einem Atemzug mit der Wiener Gesera, der planmäßigen Vernichtung der jüdischen Gemeinden im Herzogtum Österreich im Jahr 1421 durch Zwangstaufe, Vertreibung und Hinrichtung durch Verbrennen zu vergleichen, hat sie in meinen Augen derartig disqualifiziert, dass ich auf Ihre weiteren Anwürfe nicht mehr antworten werde.
Mit freundlichen Grüßen
Danielle Spera

Dr. Danielle Spera
Jüdisches Museum Wien|Direktorin
Dorotheergasse 11
A-1010 Wien
Österreich
Tel:      +431 5350431
Mobil:   +43 699 15205555
e-mail:    danielle.spera@jmw.at
www.jmw.at


Hier der Link zum Brief von Johannes Wachten, auf den Frau Direktor Spera bezug nimmt.

"Eine österreichische Aufregung". Wie das Jüdische Museum Wien mit seiner Krise umzugehen gedenkt.

Am Vormittag ist in der Tageszeitung DIE PRESSE ein Artikel erschienen, der die Reaktion des Museums auf die massive Kritik der letzten Tage vorstellt (Link zum Artikel hier).
Das Museum wird die verkleinerten Duplikate der Hologramme ausstellen, vom 16. bis 20. Februar und zwar unter dem Titel "Die Geschichte einer österreichischen Aufregung".
Man teilt mit, daß wegen der Schwierigkeit beim Abtransport der "zerstörten Platten" (damit sind ganz offensichtlich die Hologramme gemeint), der Eröffnungstermin des Museums nach den Umbauarbeiten von Juli auf September 2011 verschoben wird.
Dann werde man das Set der Duplikate noch einmal ausstellen, und zwar einige Monate lang.
Dann werden noch einmal die nicht lösbaren technischen Probleme der Demontage und Erhaltung der Hologramme zusammengefasst und angemerkt, (hier zietiert die PRESSE offenbar wörtlich das Museum) "dass dieses Instrument als Erinnerung an eine veraltete Technologie erhalten bleibt und damit ein wichtiger Teil der Geschichte des Jüdischen Museums Wien trotz der enormen Probleme um den Abbau der Originale in Erinnerung bleiben kann."
Ehe zum Schluß im Artikel der Brief erwähnt wird, der gestern von Museumsleitern und Wissenschaftern veröffentlicht wurde, wird ein  - zumindest mir bislang noch nicht bekannter Aspekt - genannt: DIE PRESSE: "Die zerstörten Hologramme hätten darüber hinaus vorwiegend Objekte und Bilder gezeigt, die sich großteils im Besitz des Museums befinden".

Offener Brief aus Frankfurt/M. an Danielle Spera

Sehr geehrte Frau Dr. Spera,

durch einen Anruf der Presse erfuhr ich, dass unser vorheriger e-mail-Austausch aus Ihrem Hause – ohne meine vorherige Zustimmung – an dieselbe gelangt ist. Um diesen Weg abzukürzen, erlaube ich mir, Ihnen nunmehr direkt einen „offenen Brief“ zu schicken.

Funktionssanierung ist für jede Immobilienentwicklung unumgänglich und begrüßenswert.

Wenn sie sich jedoch nur um den Preis der Zerstörung eines Kunstwerks realisieren lässt, ist sie gerade bei einem Museum dysfunktional und das umso mehr bei einem Jüdischen Museum, das einem ohnehin schon viel zu sehr dezimierten Kulturerbe verpflichtet ist.

Wenn ich in den letzten Jahren in Wien war, habe ich mir immer wieder besonders die Hologramme angesehen.  Von Anfang an und immer wieder empfand ich Bewunderung und Hochachtung für diese für ihren speziellen Raum konzipierte Kunstinstallation, die nun unwiederbringlich zerstört ist. Ihr hoher intellektueller und ästhetischer Anspruch verschaffte dem Jüdischen Museum Wien einen einzigartigen internationalen Stellenwert. Eine kleinere, nicht für den ursprünglichen Raum konzipierte Replik ist kein gleichwertiger Ersatz – zumal für mich derzeit nicht ersichtlich ist, dass sie im umgebauten Haus erneut installiert wird. Sollte sie aus dem sanierten Bau verbannt bleiben, käme das für dieses Kunstwerk in meinen Augen – mutatis mutandis – einer neuen „Wiener Gesera“ gleich.

Nach dem ersten Schock angesichts der Bilder der Verwüstung bleiben mir trotz Ihrer Ausführungen noch Fragen.

Wie steht es mit den Rechten des oder der Urheber dieses Kunstwerks? Ist dieser oder sind diese bezüglich der Zerstörung befragt worden? Hat er oder haben sie eventuell sogar zugestimmt? Geht der von Ihnen erwähnte gerichtliche Sachverständigen evtl. auch auf die Urheberrechtsproblematik ein?

Ohne dessen Gutachten zu kennen, kann man dazu nicht Stellung nehmen. Dabei bin ich allerdings grundsätzlich der Meinung, dass kein Sachverständigengutachten einen der eigenen Verantwortung entheben kann.

Ihrer Antwort entgegensehend und mit kollegialen Grüßen

Johannes Wachten


STADT FRANKFURT AM MAIN
– Der Magistrat –
JÜDISCHES MUSEUM
Dr. J. Wachten
Oberkustos und stellv. Direktor

(Hier zur Reaktion von Frau Direktor Spera auf Herrn Wachtens Schreiben)

Mittwoch, 9. Februar 2011

"Zerstörung ist selbst Thema unserer Arbeit". Eine gewichtige internationale Reaktion auf die Vorgänge im Jüdischen Museum der Stadt Wien

Nancy Speros Erinnerungsspuren. Der Lichthof des Museums.

Sehr geehrte Frau Dr. Spera, liebe Frau Kollegin,

wir wissen, dass das Wiener Museum vor der schwierigen Aufgabe steht, eine nun  mittlerweile fünfzehn Jahre bestehende Dauerausstellung für die Zukunft neu zu entwickeln. Dass dabei auch von manchen Errungenschaften der Vergangenheit Abschied genommen werden muss, versteht sich von selbst. Und offenbar sind dabei unvorhergesehen Schwierigkeiten aufgetreten.

Die Bilder von der Zerstörung der Hologramme in der alten Dauerausstellung erfüllen uns gleichwohl mit Sorge.

Als Kollegen machen wir uns Sorgen darum, ob die für uns selbstverständlichen Standards der Achtung und des Respekts gegenüber Meilensteinen der Gestaltung Jüdischer Museen hier wirklich Beachtung gefunden haben. Museen sind Hüter und Bewahrer der ihnen anvertrauten kulturellen Güter und haben sich verpflichtet, sie mit größter Sorgfalt für die Nachwelt zu erhalten. Jüdische Museen  sind gleichzeitig ein Teil jener Geschichte, die sie erzählen und sollten sich auch mit Achtung und Respekt gegenüber dieser, ihrer eigenen Geschichte, als Institution verhalten. Ähnliches gilt schließlich auch für die Achtung und den Respekt gegenüber unseren Mitarbeitern und ihren Leistungen.

Zum ersten:
Die Hologramme gehörten – nicht nur zum Zeitpunkt ihrer Installation 1996 – zu den bemerkenswertesten Präsentationen jüdischer Geschichte in der  Welt der Jüdischen Museen und weit darüber hinaus. Die Wiener Hologramme waren ein Projekt, das die Museumswelt in ihrer Arbeit inspiriert hat. Das radikal innovative und einzigartige an den Hologrammen bestand in dem Phänomen, dass sie Präsentation und Exponat zugleich waren. Sie waren – auch wenn das für die Arbeit von Kuratoren und Ausstellungsgestaltern ungewöhnlich ist – selbst ein bedeutendes künstlerisches Objekt.

Insofern stellt ihre Zerschlagung nicht die Demontage einer Ausstellungsarchitektur dar, sondern den Verlust eines unwiederbringlichen Originals. Sie waren nicht nur ein Ausstellungsmedium, eben keine Vitrine und kein technisches Präsentationsmittel, sondern das ausgestellte  Exponat selbst, und damit ein Teil der Sammlung des Hauses, die gemäß der Prinzipien von ICOM, also des Internationalen Verbands der Museen, gepflegt und bewahrt werden muss.

Nach unserem Selbstverständnis musealer Arbeit wäre es geboten gewesen, die Hologramme zu archivieren, auch wenn dies nur unter Zuhilfenahme von – möglicherweise schwierigen - restauratorischen Maßnahmen gelungen wäre. Wäre dies tatsächlich nicht oder nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand möglich gewesen, hätte dieser Entscheidungsprozess diskutiert und dokumentiert werden müssen.

Zum zweiten:
Als Verantwortliche Jüdischer Museen, als Wissenschaftler und Museologen sind wir  der Erinnerung an jüdische Geschichte und der Auseinandersetzung mit jüdischer Gegenwart gleichermaßen verpflichtet. Dazwischen liegt eine Katastrophe unvergleichlichen Ausmaßes, die in der willentlichen Auslöschung jüdischen Lebens, jüdischer Kultur und jüdischer Erinnerung bestand. 
Diese Zerstörung ist selbst Thema unserer Arbeit. Und sie war auch der Gegenstand der nun verlorenen Hologramme. Der museale Umgang mit der Massenvernichtung an den europäischen Juden stellt mannigfache Fragen an uns und sie bedeutet für uns die Aufforderung zu einem sensiblen Umgang auch mit unserer eigenen Geschichte als Museen und der Objekte, die wir ausstellen und bewahren. Der Verlust der Hologramme wirft diese Fragen in einer neuen Dramatik auf.

Wir möchten Sie deshalb fragen, wie Sie unseren eigenen Umgang mit unserer Geschichte sehen, und wie wir uns selbst gegenüber kritisch genug bleiben können, um unsere Sensibilität für unseren Gegenstand nicht zu verlieren?

Eine der großen Qualitäten der Arbeit Jüdischer Museen in Europa und den USA ist der Diskurs über unsere Arbeit, der uns alle bereichert und nicht selten sind in den letzten zwanzig Jahren die Anstöße dazu von Wien ausgegangen. Wir würden uns sehr freuen, Ihre Antworten auf unsere Fragen zu hören und mit Ihnen in ein Gespräch darüber zu treten.

Mit kollegialen Grüßen
Ihre

Fritz Backhaus, Programmdirektor, Jüdisches Museum Frankfurt am Main
Monika Berthold-Hilpert, Jüdisches Museum Franken
Inka Bertz, Jüdisches Museum Berlin
Daniel Dratwa, Conservateur, Musée Juif de Belgique
Daniela Eisenstein, Direktorin, Jüdisches Museum Franken
Jutta Fleckenstein, Jüdisches Museum München
Michal Friedlander, Jüdisches Museum Berlin
Ulrike Heikaus, Jüdisches Museum München
Anne-Hélène Hoog, Musée d’art et d’histoire du Judaisme, Paris
Cilly Kugelmann, Programmdirektorin, Jüdisches Museum Berlin
Dr. Hanno Loewy, Direktor, Jüdisches Museum Hohenems
Dr. Tobias G. Natter, Direktor, Vorarlberger Landesmuseum
Bernhard Purin, Direktor, Jüdisches Museum München
Mag. Johannes Reiss, Direktor, Österreichisches Museum Eisenstadt
Dr. Benigna Schönhagen, Direktorin, Jüdisches Kulturmuseum Augsburg
Dr. Emile Schrijver, Leiter der Bibliotheca Rosenthaliana, Universiteit van
Amsterdam
Christiane Twiehaus, Jüdisches Museum Franken
Dr. Johannes Wachten, Oberkustos, Jüdisches Museum Frankfurt am Main
Dr. Mirjam Wenzel, Jüdisches Museum Berlin

Prof. Dr. Johannes Heil, Leiter der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg
Dr. Martha Keil, Direktorin, Institut für jüdische Geschichte Österreichs
Univ. Prof.  Dr. Gerhard Langer, stellvertretender Institutsvorstand
Institut für Judaistik, Universität Wien
Univ. Prof. Dr. Albert Lichtblau, Universität Salzburg, Fachbereich Geschichte
Dr. Sabine Offe, Institut für Religionswissenschaft, Universität Bremen
Dr. Dirk Rupnow, Leiter, Institut für Zeitgeschichte, Universität Innsbruck
Dr. Heidemarie Uhl, Österreichische Akademie der Wissenschaften, Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte

Unterschriften eingegangen bis Mittwoch, 9. Februar 2011, 13 Uhr



Jüdisches Museum. Internationale Kritik

Im Schaudepot des JMW
Die Tageszeitung DIE PRESSE ist ganz schön schnell unterwegs mit ihrer Beschäftigung mit den Vorgängen am Jüdischen Museum in Wien.
Am Morgen war das Gespräch mit Danielle Spera online (siehe Bericht und Kommentar dazu im Post unten), und am späten Nachmittag war bereits ein Brief von Museumsdirektoren im Netz. (Hier zum Bericht der PRESSE, Jüdisches Museum - Kritik von Museumsdirektoren).
DIE PRESSE gibt das Schreiben nur auszugsweise wieder. Die Autoren des Briefs machen darauf aufmerksam, daß Jüdische Museen selbst Teil der Geschichte sind, die sie repräsentieren und daher der Umgang mit ihnen immer auch die Geschichtlichkeit des Hauses und der Sammlung betrifft, die, so die Autoren, insgesamt, also einschließlich der Hologramme, auch nach den Richtlinien von ICOM (Internationaler Museumsrat) hätte bewahrt werden müssen.
In dem Schreiben wird bezweifelt, daß die technischen Fragen des Abbaus und der Deponierung unlösbar gewesen sein könnten.
Die Presse fasst ein schwerwiegendes Argument nur gut eingebettet in eigene Formulierungen an: "Gerade in jüdischen Museen sei Zerstörung und willentliche Auslöschung jüdischen Lebens, jüdischer Kultur und jüdischer Erinnerung ein wichtiges Thema, das einen sensiblen Umgang 'auch mit unserer eigenen Geschichte als Museen und der Objekte, die wir ausstellen und bewahren' erfordere.
Unterschrieben wurde der offene Brief unter anderem von Direktoren der Jüdischen Museen Frankfurt am Main, Berlin, Franken, München, Hohenems, Paris, dem Direktor des Vorarlberger Landesmuseums, dem stellvertretenden Institutsvorstand des Institut für Judaistik an der Uni Wien, sowie dem Leiter des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck.

Der vollständige Text ist im Post oben nachzulesen.

"Das waren keine Exponate". Danielle Spera antwortet auf die Kritik an der Zerstörung der Hologramme

Danielle Spera: "Keine Exponate..."
1. Bericht
Nur einen Tag nach dem Erscheinen eines ausgewogenen Berichts von Duygu Özkan in (hier zu ihrem Text) der Tageszeitung DIE PRESSE zum Abbruch der Hologramme (Teil der Dauerausstellung des Jüdischen Museums) antwortet die Leiterin des Museums, Danielle Spera, in derselben Zeitung in einem Interview auf die Kritik. (Hier zum Text in der Online-PRESSE).
Eine ihrer wichtigsten Argumente lautet "Das waren keine Exponate, sondern Schautafeln, Medien zur Darstellung von Inhalten. Heute würde man das am Bildschirm mit einer Animation machen."
Sie wiederholt, daß aus technischen Gründen, die Erhaltung der Hologramme nicht möglich gemacht habe und die Umbauarbeiten im Haus aber ihre Entfernung nötig gemacht hat.
Es sei ein Satz von Duplikaten der Hologramme vorhanden, über deren Ausstellung sie mit einem amerikanischen Museum verhandle.
Zu möglichen Motiven der Kritiker sagt sie: "Es ist ein Kreis, in dem sich das dreht. Da geht es um andere Gründe, über die ich nicht spekulieren will."
Und dann: "Wenn Fotos auf einem Blog landen, dessen Autor mir bei meiner Bestellung bescheinigt hat, ich sei nicht qualifiziert, wird klar, wer hier Aufregung geschürt hat und wollte, dass mein Name in den Schmutz gezogen wird."

2. Kommentar
Der Satz über die 'Schautafeln, die keine Exponate' waren, ist so unbedarft, daß ich ihn nicht kommentieren will; jeder, der sich ein wenig mit Museen beschäftigt, wird ihn 'verstehen' und sich selber seinen Teil denken.
So wie es eine Schuldige im Museum gibt, für Frau Spera, die Mitarbeiterin, die die Fotos gemacht hat und womöglich auch verschickt, muß es auch außerhalb einen Schuldigen geben.
Und da hat sie mich entdeckt. Die Formulierung aus einem Post im Dezember 2009 - und ich finde nur diese Textpassage in meinem Blog, auf den sich ihre Äußerung beziehen könnte -, lautet: "Aus den Zeitungsberichten war nichts über eine Qualifikation für den Job einer Museumsdirektion herauszulesen. Keine Managementerfahrung, keine mit dem Ausstellen, keine einschlägige wissenschaftliche Qualifikation."
Das ist nun doch ein wenig was anderes, als das was sie mir unterstellt, aber es war und es ist schon so, daß sich sehr viele gefragt haben, warum wird jemand mit der Leitung eines ebenso wichtigen (für die österreichische Geschichtskultur z.B.) wie international hoch angesehenen Museums berufen, der die für solche Positionen übliche Qualifikation nicht hat.
Es geht dabei kaum um Frau Spera und schon gar nicht darum ihren "Namen in den Schmutz zu ziehen", sondern eher um eine Frage, die man an das Berufungsgremium und an die Verantwortlichen der Stadt Wien stellen muß.

Dienstag, 8. Februar 2011

Geschichtsvergessenheit - Ein Kommentar von Hanna Holtschneider zum Abbruch der Hologramme im Jüdischen Museum der Stadt Wien

Ich möchte mich den bereits veröffentlichten Diskussionsbeiträgen anschließen und meine Bestürzung über die Zerstörung der Dauerausstellung des Jüdischen Museums der Stadt Wien ausdrücken. Die Wiener Ausstellung war einzigartig unter den Ausstellungen in Jüdischen Museen in Europa. Sie fusste auf den Einsichten der “New Museology”, machte sowohl die gestaltende Stimme der Kuratorin als auch die Sinnbildung durch die Besucher transparent und führte eindrücklich vor Augen, dass jüdische Geschichte in Europa heute nur mit dem Wissen um die Ermordung jüdischer Menschen und die Zerstörung jüdischer Kulturen zu studieren ist. Andere Museen möchten den Holokaust aus der Darstellung jüdischer Geschichte vor 1933 ausblenden, um einen vermeintlich unverstellten Blick auf jüdische Geschichte vor dem Genozid zu ermöglichen. Dass dies nicht möglich ist zeigen die solchen Ausstellungen folgenden Kontroversen. Auch die Ausstellung in Wien war nicht unumstritten, doch konnte sie auf Kritik durch ihren selbstkritischen Ansatz positiv reagieren.

Es ist tragisch, dass dieser vielversprechende Ansatz und Diskussionsbeitrag zur musealen Darstellung jüdischer Geschichte in Europa nun unwiederbringlich verloren ist. Selbstverständlich sind Ausstellungen immer auch Produkte ihrer Zeit und müssen erneuert und verändert werden. Vielleicht ist die Zeit gekommen, der Öffentlichkeit einen neuen Ansatz zu zeigen und diesen zu diskutieren. Doch zeugt die Zerstörung der bisherigen Ausstellung von einer Geschichtsvergessenheit, die mich erstaunt und schockiert. Dass die neue Leitung ein eigenes Konzept und eine neue Ausstellung entwickeln möchte, ist grundsätzlich zu begrüßen, denn es ist notwendig, frische Ansätze zu wagen. Dies jedoch ohne die Archivierung der bisherigen Ausstellung zu tun, scheint mir problematisch. Es deutet darauf hin, dass die Arbeit der vorhergehenden Direktion damit missachtet und nicht als ein wichtiger (international anerkannter und gepriesener) Schritt auf dem Wege der Ausstellungsgeschichte des Jüdischen Museums der Stadt Wien verstanden wird.


Dr K. Hannah Holtschneider
Jewish Studies
University of Edinburgh
http://khannahholtschneider.net

Einlösung der vergangenen Hoffnung...

Jedem Hologramm im Jüdischen Museum Wien war ein auf dem Parkettboden aufgebrachter kurzer Text zugeordnet. Mit dem gesamten Ensemble des Raumes und mit der Dauerausstellung als Ganzes teilten diese Texte eine Eigenschaft: eine produktiven Offenheit, eine Unabschließbarkeit, die kein definitves und rasches Verstehen ermöglichte, sondern den Leser der Unruhe weiterer Fragen, ja der Ahnung der Unabschließbarkeit des Wissen- und Erinnern-Könnens aussetzte.
Beim Blättern in meinem Fotoarchiv bin ich an diesem Text hängengeblieben, und habe ihn auf die aktuelle Situation des Museums bezogen: einerseits als eine Programmatik, das man sichtbar, greifbar verabschiedet hat, das in Scherben liegt, andrerseits als Frage, die man als eine an die Leitung des Hauses aufrecht erhalten sollte.

Missverständliches und Erschreckendes zum Jüdischen Museum der Stadt Wien in der Tageszeitung DIE PRESSE. Auch in eigener Sache

In der heutigen Ausgabe der Tageszeitung DIE PRESSE (Link hier) wird über den Abbruch der Hologramme im Jüdischen Museum der Stadt Wien berichtet. Es gibt in dem Artikel (ich benutze die Online-Ausgabe, wobei ich annehme, daß die mit der Print-Ausgabe ident ist) zwei Passagen, die mich veranlasst haben, einerseits die PRESSE um eine Richtigstellung zu bitten, anderseits diese Richtigstellung umgehend auch an das Jüdische Museum weiterzuleiten.Ich gebe das an DIE PRESSE gerichtete und an das Museum weitergeitete Mail hier vollständig und im Wortlaut wieder. Aus ihm geht, so denke und hoffe ich, alles Nötige hervor.

Sehr geehrte Frau Özkan!

Sie schreiben in Ihrem Artikel zum Abbruch der Hologramme im Jüdischen Museum der Stadt Wien (wie ich der aktuellen Online-Ausgabe von DIE PRESSE, 8.2.2011) entnehme, unter anderem:

"Eine Mitarbeiterin hatte die Scherben fotografiert und die Bilder per Mail verschickt. Der Grazer Museologe Gottfried Fliedl hat die Bilder schließlich auf seinen Blog gestellt („Das Jüdische Museum der Stadt Wien vernichtet sein wichtigstes Medium“) – seither geht ein Aufschrei durch die Museumswelt."

Sie legen einen Kausalzusammenhang zwischen Ereignissen nahe, der nicht stattgefunden hat. Auf Ihre einleitende Feststellung bei Ihrem gestrigen Anruf, daß Frau Heimann-Jelinek die Bilder verschickt und  ich Sie daraufhin veröffentlicht hätte, habe ich klar widersprochen. Die Wahrheit ist, daß die Bilder längst im Netzt zirkulierten, als ich sie innerhalb kürzester Zeit von gleich drei Seiten zugeschickt bekam. Dann habe ich sie in meinen Blog eingestellt.

Das ist ganz und gar nicht das, was sie schreiben, und wenn ich aus Ihrem Artikel wenig später erfahre, daß "Die Mitarbeiterin ... für das Weiterleiten der Fotos „gerügt“ (wurde), (und) es werde mit ihr noch weitere Gespräche über ihre Zukunft geben", dann wird erst recht das Gewicht ihrer Formulierung und die Tragweite klar.

Ich ersuche Sie, in einer der nächsten Ausgaben der Presse diese mir zugeschriebene Formulierung, die so ziemlich das Gegenteil dessen ist, was ich zu Ihnen gesagt habe, richtigzustellen.

Es geht auch nicht um eine scheinbar bloß technische Frage, sondern um die Motive für den Abbruch von Teilen einer sehr hoch geschätzten, international beachteten Ausstellung und um die Frage nach der Qualität dessen, was ihr nachfolgen wird.

Daß ausgerechnet die Autorin dieser Dauerausstellung arbeitsrechtlich zur 'Rechenschaft' gezogen werden soll - so verstehe ich, was Sie schreiben - macht mich sprachlos. Warum führt das Museum nicht selbst die notwendige Diskussion, warum informiert es die Öffentlichkeit nicht selbst über die Vorgänge und über seine Pläne?

Mit freundlichen Grüßen

Gottfried Fliedl

Montag, 7. Februar 2011

Entgleitende Bilder. Die Dauerausstellung des Jüdischen Museums der Stadt Wien


Die im Internet zirkulierenden Bilder von der Zerstörung der Hologramme der Dauerausstellung des Jüdischen Museums der Stadt Wien haben ein heftiges Echo ausgelöst. Seit mehreren Tagen werden die das Museum und die Hologramme betreffenden Posts dieses Blogs massenweise abgerufen. An den Reaktionen zeigt sich, daß es nicht bloß um den Abbruch geht, sondern um die Haltung gegenüber einer exzeptionellen Ausstellung und um die zukünftige Ausrichtung des Museums.
Um zu verdeutlichen, worum es geht, worin die Qualität der Ausstellung lag und was auf dem Spiel stehen könnte, veröffentliche ich hier einen Aufsatz der 2004 erschienen ist.
Gottfried Fliedl


Sabine Offe, Gottfried Fliedl

Entgleitende Bilder. Über die Dauerausstellung des Jüdischen Museums der Stadt Wien


Aus: Wiener Jahrbuch für Jüdische Geschichte, Kultur & Museumswesen, Bd.6, Wien 2004. S. 19 – 26
Ungekürzt. Anmerkungsnachweise entfernt.

Das Jüdische Museum in Wien ist eine Zumutung. Es stellt die Erwartungen, die Besucher an konventionelle Ausstellungen herantragen, infrage, es verunsichert sie, es fordert sie heraus. Manche führen das darauf zurück, dass es in der Ausstellung an Informationen, an begleitender Belehrung, an Vermittlung fehle. Tatsächlich aber ist das Jüdische Museum nicht nur das konzeptionell und ästhetisch eindrucksvollste unter Jüdischen und kulturhistorischen Museen überall, sondern auch ein Museum, das sich in besonderem Maße seines Vermittlungsauftrags angenommen hat. Dem sind nicht nur die umfangreichen Programme für Besuchergruppen gewidmet, über die in diesem Heft an anderer Stelle berichtet wird, sondern auf “Vermittlung“ ist auch jedes Detail der Gestaltung der Dauerausstellung angelegt.

Der Begriff “Vermittlung“ ist in den letzten Jahren an die Stelle des herkömmlichen der “Museumspädagogik“ getreten. Vermittlung könnte einen nicht-hierarchischen Prozess bezeichnen, an dem beide Seiten beteiligt sind, Museum und Besucher eine Beziehung aufnehmen mit dem Anspruch wechselseitiger Verständigung und sich der Anstrengung der Verständigung ebenso aussetzen wie der Möglichkeit von Missverständnissen und der Chance der Anerkennung und des Aushaltens von Missverständnissen. Vermittlung, so verstanden, entfaltet sich in der Wechselwirkung von Ausstellungsintentionen und deren Aneignungsweisen durch die BesucherInnen, daran beteiligt sind institutionelle Traditionen, personelle Entscheidungen, Besucherreaktionen, Dinge, Gebäude, Texte. Vermittlung bildet “Mitten“, involviert emotionale ebenso wie kognitive, bewusste ebenso wie unbewusste Erzählungen von Ausstellungsmachern und Ausstellungsbesuchern. Ein Modell solcher Vermittlung für das Lehren und Lernen von Geschichte hat Volkhard Knigge entwickelt. Vermittlung, so Knigge, ist gekennzeichnet von einer „Doppelbewegung“: „Einerseits evoziert der historische Gegenstand [oder das Objekt im Museum, S.O.] etwas am Subjekt, beispielsweise Assoziationen, Erinnerungen und Querverbindungen, Gefühle und Körperzustände. Auf diese Weise vermittelt er Subjekteigenschaften oder setzt er Effekte am Subjekt, die auf ihn selbst verweisen. Diese können sich [...] zu Spuren verdichten, in denen sich Eigenschaften des Vergangenheitsmaterials am Subjekt selbst zum Ausdruck bringen.“ Gemeint sind hier körperlich wie mental erlebte Angst, Schrecken, Mitleid, oder auch positiv identifikatorische Formen des Miterlebens, die als Reaktion auf den "Gegenstand" auftreten können. Andererseis tragen die Subjekte gleichzeitig und gegenläufig ihre „Vorerfahrungen, affektiven Prägungen und (unbewußten) Wünschen“ (Volkhard Knigge) an die Gegenstände der Vermittlung heran. Diese Wechselbewegung kennzeichnet Vermittlung, sie lässt sich als Gegenentwurf zum  kontrollierenden Gestus autoritativer Besucherbelehrung verstehen. Damit verbunden ist das Risiko, dass Besucher und Ausstellende sich in den Ergebnissen solcher Wechselwirkung nicht wiedererkennen, die Ausstellenden ihre Absichten in der Rezeption verfehlt sehen, die Besucher ihrerseits enttäuscht sind, dass ihnen nicht Informationen angeboten werden, die sie getrost und getröstet über die Gewissheiten vermeintlich besser Wissender nach Hause tragen können.

Vielerorts wird in der Diskussion über Museen die “Abwesenheit“ dessen beschworen, was im Museum ausgestellt und nur als “Spur“ in den Dingen, denen es Raum gibt, erhalten scheint. Diese Debatte greift ein festgefügtes Fundament der Museumsarbeit an: die vermeintlich durch originale Gegenstände verbürgte Authentizität von Erfahrungen, eine der durch visuelle Evidenz unbezweifelbar scheinende Gewissheit, die verborgene Macht des Museums bei der Zuweisung von Bedeutungen und Lesarten. Wiewohl alle Museen von dieser Reflexion betroffen sind, scheinen sie weithin in der Praxis resistent gegen derartige theoretische Einsichten. Nur dort, wo der “Gegenstand“ des Museums konfliktreich oder traumatisierend in die Gegenwart hereinragt, stellt sich die Museumsarbeit, etwa in postkolonialen Konstellationen, den neuen Anforderungen. Namentlich die Erschütterung durch den Holocaust, die nachhaltige Beschädigung des mit dem Projekt der Moderne entwickelten Modells der Zivilisierung des Menschen und der damit verknüpften Hoffnungen, stellt auch die traditionellen und konventionellen Formen von Darstellung und Vermittlung in Museen infrage. Es überrascht nicht, dass die seit den achtziger Jahren im deutschsprachigen Raum entstandenen Jüdischen Museen besonders sensibel, facettenreich und innovativ auf theoretische Debatten auch der Museologie reagieren. Sie reagieren darauf, dass Museen es kategorial mit Abwesendem und Fremdgewordenem zu tun haben, mit neuen architektonischen Konzepten und neuen Strategien des Ausstellens und Vermittelns. Diese spiegeln die Ambivalenzen der Aufgabe der Institution: die Geschichte der Juden und deren wechselvolle Entfaltung als Teil europäischer Geschichte seit deren Anfängen zu zeigen, und an die Vernichtung der europäischen Juden im Nationalsozialismus zu erinnern. Anders als etwa in den USA sind Jüdische Museen in Österreich und Deutschland nicht nur Museen, sondern immer auch Mahnmale. Als Museen sind sie Teil einer Institution, die Kontinuität und kulturelles Erbe der bürgerlichen Gesellschaft repräsentiert und in den Dienst der Konstruktion von “kulturellem Gedächtnis“ und Identitätsstiftung stellt. Als Mahnmale hingegen repräsentieren sie nicht die Kontinuität, sondern die fundamentale Erschütterung bürgerlicher Kultur, den Zivilisationsbruch in der europäischen Geschichte im 20. Jahrhundert.

Jüdische Museen sind oft nicht einmal Räume für Dinge, sondern selbst lediglich die Spur einer abwesenden materiellen Überlieferung jüdischer Kultur, die so systematisch vernichtet wurde wie die Menschen. Jede Rekonstruktion und Repräsentation von Geschichte und Kultur der Juden gerät daher in Gefahr, die Geschichte der Vernichtung museal ungeschehen zu machen, Lücken und Leerstellen zu verdecken und zu verstellen. Die Konzeption der Dauerausstellung des Jüdischen Museums in Wien thematisiert diese Ambivalenz von Anwesenheit und Abwesenheit in allen Bereichen der in drei Stockwerken eingerichteten drei Teilen der ständigen Sammlung und in drei unterschiedlichen Formen. Die Vergangenheit/Geschichte wird nicht im Rahmen konventioneller Darstellungsweisen erzählt, sondern Besucher sehen sich der Frage, wie sie zu erzählen und zu vermitteln sei, ausgesetzt. Die Ausstellung wendet sich an BesucherInnen, deren Familienbiographien in verschiedener Weise geprägt sind von NS-Geschichte, in der Mehrheit an Nachkommen der Tätergeneration. Die Besucher Jüdischer Museen sind daher immer schon in der einen oder anderen Weise beteiligt an Auseinandersetzungen über Deutungen und langfristige Folgen dieser Geschichte. Ein Museum wie das Wiener Jüdische Museum kann davon ausgehen, dass BesucherInnen wissen, was geschehen ist, aber es muss auch davon ausgehen, dass jedes Wissen über den Holocaust begleitet wird vom Schatten des Nichtwissens, des Nichtwissenwollens, des Nichtbegreifenkönnens – dem Schatten der Traumatisierung, die der Holocaust auch für die gegenwärtige Kultur Europas bedeutet.

Das Risiko wechselseitiger Missverständnisse geht das Jüdische Museum in Wien nicht nur ein, sondern es zeigt, dass sie unumgänglich, ja vielleicht  sogar wünschenswert sind. Der Imperativ Zachor!, Erinnere Dich!, des religiösen wie säkularen (nationalstaatlichen) Judentums, ist dem gesamten Museum eingeschrieben. Aber anders als im Jüdischen Museum Berlin, in dem die körperliche, kognitive und affektive Gängelung der BesucherInnen durch Architektur und Ausstellung keine Abwege, Umwege, eigenständige Assoziationen und Abweichungen von der großen Museums-Geschichtserzählung vorsieht, belässt es das Wiener Museum bei Angeboten an die Besucher, diesem Imperativ zu folgen.

Bereits im Eingangsbereich das Hauses, der ganz zuletzt gestaltet wurde, erinnert eine Inschrift (deutsch und englisch) an die ermordeten Juden. Die Schrift an der Wand erscheint farbig changierend auf  weißem Grund, sie ist schwer lesbar je nach Beleuchtungssituation und Standort des Lesers, ein Menetekel, das wahrzunehmen den Eintretenden überlassen bleibt. Ebenfalls im Erdgeschoss, im Museums-Café, erinnert eine Tafel an die erste und Eröffnungs-Ausstellung: “Hier hat Teitelbaum gewohnt“. (Felicitas Heimann-Jelinek) Da das “Café Teitelbaum“ dieser Ausstellung den Namen verdankt, verweist die Tafel auf den gegenwärtigen Ort des Lesers als einen Ort, der in der Vergangenheit der eines anderen gewesen ist oder gewesen sein könnte und damit auf Zusammenhänge ebenso wie auf deren Zerstörung. Auch ist die Tafel ein Kommentar zur Selbstmusealisierung des Museums, sie erinnert an die Ausstellung und zugleich an ‚Teitelbaum’, also stellvertretend unter dem einst verbreiteten Familiennamen an die Juden Wiens. Die Bedeutungen verschränken sich, sie zu entziffern bedarf es des Vorwissens, die Cafébesucher können sie im Raum belassen oder sie mitnehmen in den ersten Raum der Dauerausstellung. Dieser ist verbunden mit dem Veranstaltungsraum, der über alle Geschosse reicht und überwölbt wird von einem lichten Zeltsegel und darüber einer Kuppel aus Glas und Eisen.


Die nach oben sich öffnende Bewegung wird verstärkt durch die auf die hellen Wände verstreuten farbenfreudigen Stempelbilder von Nancy Spero, verfremdete Bildzitate: ein Detail des zerstörten Leopoldstädter Tempels (nach einem Foto), die Judenverbrennung in Erdberg (nach der Schedelschen Weltchronik), die Ansicht der (Wiener) Judenstadt (Vogelperspektive), Razzia in der Wiener Kultusgemeinde am 18. März 1938, Lesen der Haggada, Mazzesbacken (nach mittelalterlichen Illustrationen), Gustav Mahler, Tänzerinnen.


Diese Bilder haben keine Ordnung, bilden keine Erzählung, folgen keinem Zeitraster, sondern stellen Einzelheiten, Facetten der Überlieferung vor, können Auslöser für Assoziationen werden. Sie thematisieren Erinnerung in der Gestalt von Vergessenem, von den BesucherInnen nicht oder kaum Bekanntem. Sie drängen ihre Geschichten niemandem auf, aber sie geben sie auch nicht un-vermittelt preis. Wer Näheres erfahren will, muss sich auf die Suche machen.


Die im selben Raum ausgestellte Sammlung von Ritualobjekten aus der Sammlung Berger scheint zunächst noch am ehesten den habitualisierten Erwartungen von Museumsbesuchern zu entsprechen. Sie stehen gereiht und geordnet in Vitrinen, sie sind schön und kostbar. Aber Bibelzitate, die auf das Glas der Vitrinen geklebt wurden, erschweren und verdecken den Blick auf diese Objekte, sie verweisen auf den Vorrang der Schrift gegenüber der Materialität der Dinge im Judentum, sind keine Erläuterung des Gezeigten.


Wer die Sammlungsgegenstände frontal betrachtet, hat im Augenwinkel eine unscheinbare Inschrift, die über Motiv und Geschichte der Sammlung und des Sammlers Auskunft gibt, aber nur wie beiläufig, beiseite gesagt, neben der Vitrine in einer Raumecke angebracht. Es ist eine Widmung des Sammlers, gerichtet an seine ermordete Familie. Vielleicht führt diese Beiläufigkeit dazu, dass Besuchern  erst nach dem Verlassen des Museums, aber umso jäher, das Erschrecken widerfährt über die Ungeheuerlichkeit des Geschehenen mitten im Glanz der Schönheit der Dinge und Bilder dieses Raumes – erzwungen wird dieses Erschrecken nicht.

Wenn Museumsbesucher den großen Saal im zweiten Stock des Museums betreten, scheint dieser zunächst leer, falls nicht Sonderausstellungen diesen beabsichtigten Eindruck der Leere verstellen. In der Mitte des Raums wurde ein Karree von Stelltafeln errichtet, die zum Saal hin transparent wirken wie aus Glas. Begibt sich der Besucher in den von den Tafeln gebildeten Innenraum sieht er sich jedoch umgeben von Bildern, denn die gläsernen Tafeln sind Hologramme. Nach Maßgabe der Position, die der Besucher einnimmt, scheinen auf jeder Tafel Bilder auf, die - wie ephemere Dias - Fragmente ehemaligen Wiener jüdischen Lebens zeigen, eine Straßenansicht der Leopoldstadt, ein Porträt von Theodor Herzl, Ritualobjekte, Industrieerzeugnisse, alltägliche Gegenstände, - und sie verschwinden wieder, wenn der Besucher weiter geht, sich bückt oder reckt.


„Das Medium der Transmissionshologramme thematisiert (das) Verschwinden, thematisiert, dass sich Geschichte uns entzieht. Darüber hinaus stellt es den absoluten Ausgangspunkt des historischen Objekts ebenso in Frage in Frage wie das Konzept einer ‚wahren’ historischen Rekonstruktion. Keine Ausstellung kann deutlich machen, was österreichisch-jüdische Geschichte in ihrem ganzen Ausmaß tatsächlich war.“ (Felicitas Heimann-Jelinek) Das ‚Verschwinden’, das Ephemere der ‚Bilder’ des Hologramms verweigert auch eine phantasmatische an das Museum gerichtete Erwartung: dass es durch dauerhafte Sicherung, Fest-Stellung von Dingen dauerhaft Erinnerung sichern und aufbewahren könnte.


Jeglicher ‚Feststellung’ entzieht sich auch die Gestaltung des Raumes, die der Architekt  Martin Kohlbauer entwickelt hat. Sein Wohnliches und Inwendiges wird zum Kippen gebracht, wenn man den durch die Hologramme gebildeten Raum betritt, einen in den Parkettfußboden eingelassenen gepflasterten Platz. Dieser ist ein Innenraum, der einen Außenraum in einem Interieur bildet, ein Platz, dem die fließenden Bilder der Hologramme keine feste Begrenzung verleihen, der weniger durch die Sammlung von Bildern, sondern durch das Sich-Sammeln der Besucher definiert zu sein scheint. Selbst das memoriale Zeichen, das auf fast keinem Platz fehlen darf, bietet hier trotz seiner monumentalen Festigkeit nur neue Ambivalenzen. Der aus der  Mitte des Gevierts gerückte Block – der die Form- und Gedächtnisgelegenheit des Denkmals evoziert -  trägt eine Tafel mit einem der ältesten Aufzeichnungsmedien, eine chronologische Liste. Doch aus der lakonischen Aufzählung von zwischen 903 und 1994 ausgespannten Daten lässt sich keine zusammenhängende Erzählung rekonstruieren. Die räumliche und thematische Inszenierung der Hologramme stellt keinen Zusammenhang her, vielmehr sagen sie etwas aus über das Fehlen solchen Zusammenhangs, über die Abwesenheit der vernichteten Wiener jüdischen Kultur vor 1938, die sich dem Besucher nicht zu schönen Erinnerungsbildern verklärt. Die Hologrammbilder dieser Kultur reagieren auf seinen Blick, seine jeweilige und gegenwärtige Perspektive, tauchen mit diesem auf und verschwinden. Sie vermitteln zwischen dem, was das Museum zeigen und dem, was der Besucher sehen kann und bringen zur Anschauung, dass das Vergangene eine gegenwärtige Konstruktion des Museums und dass der Besucher an dieser Konstruktion beteiligt ist.

Im dritten Stock und im letzten Raum der Dauerausstellung schließlich wurde ein Schaudepot eingerichtet - eine fast den gesamten Raum einnehmende Vitrine, in der Dinge, vor allem Ritualobjekte, stehen. Sie wurden nach ehemaligen Funktionen zu Gruppen weniger geordnet als abgestellt. Es sind Reste von nach 1938 geborgenen aus individuellem und Gemeinde-Eigentum stammenden Gegenständen. Kein Text mit Erläuterungen zu ihrer Herkunft oder Festgebräuchen, zu ihrer Funktion oder ihrem Erhaltungszustand – manche Objekte zeigen Spuren gewaltsamer Deformation - entlastet den Besucher vor dieser so überwältigenden wie bedrückenden Menge von im Museum so offenkundig nutzlosen Gegenständen, die sich in der Menge gegen die Zumutung sperren, "jüdische Kultur" zu repräsentieren. Karg wie die Metallregale, die sie aufbewahren, ist auch das schriftliche Inventar, das bereitliegt und erlaubt, erste Spuren zu diesen Dingen aufzunehmen – mehr nicht. Der Raum und seine spröde Möblierung bilden keine Arche, in der die Gegenstände zur befriedeten musealen Ruhe gekommen wären, mehr einen Transitraum, in dem die Reise des Entzifferns und Lesens erst in Gang kommen muss.

Das Wiener Museum macht keinen Gebrauch von der "Geschichtslosigkeit von Gefühlen" (Werner Hanak), die Besucher werden nicht aufgefordert, sich in die Geschichte hineinzuversetzen, sondern sich bewusst zu werden, dass ihr Blick aus der Gegenwart und von außen auf die Geschichte im Museum gerichtet ist. Der Simulation solcher Gefühle, die andere Museen mit entsprechend aufgeladenen Inszenierungen zu fördern suchen, setzt die Dauerausstellung in Wien das Fremde und Befremdliche von Objekten und Inszenierungen entgegen. Sie verweist auf die Ferne der Vergangenheit und auf die Gegenwart des Museums, die sie zu einer gegenwärtigen Installation von Geschichte aufbereitet. Das Museum verzichtet damit sehr weitgehend auf die vorbehaltlose Ausübung seiner Autorität über Erzählweisen und Bedeutungskonstruktionen, indem es Objekte nicht als fraglose Garanten gesicherter Erkenntnisse präsentiert, sondern als Symbolisierungen, an denen Fragen und Antworten, vielleicht jede Sprechfähigkeit, immer wieder abgleiten und neu ansetzen müssen.

Mit diesem Verzicht auf verordnetes Gedenken und identifizierende Nachempfindung geht das Wiener Jüdische Museum einen Weg der Vermittlung, der Besucher auch irritieren und verunsichern kann. Dies geschieht gerade dort, wo dem Museum konventionell eine seiner vorrangigen Aufgaben, nämlich kollektive wie individuelle Identität zu verbürgen, zugemutet wird. Im Wiener Jüdischen Museum verweigert die Gestaltung und Inszenierung auch hier jede beruhigende oder abschliessende Gewissheit. So wurden zwei Hologrammstelen aus dem Geviert der übrigen Bildträger in einer Weise herausgerückt, dass sie eine Art Tor bilden. Sie zitieren und suggerieren die traditionelle Bedeutungsanmutung einer architektonischen Würdegeste, eine achsial-symmetrisch geordnete und hierarchisch gesteigerte Anlage. Doch diese Geste wird durch die Wahl der Bildsujets und deren Konfrontation unterminiert: Die Hologrammbilder von Israel- und Österreichfahne, mit Judensternen bedruckter Stoff und zwei Zitate von Jean Améry werden ineinandergespiegelt. Die Zitate sind Sätze über Identität und Heimat und über als Nummer tätowierte Identität, die ihre Träger zur Vernichtung bestimmte. Diese Spiegelung spiegelt und spielt mit der Ungewissheit und Gefährdung von individueller, nationaler, kollektiver “Identität“ und deren Fixierung in Bildern, Texten, Dingen. Sie spiegelt keine Ähnlichkeiten zwischen dem, was sie zeigt und den BesucherInnen, diese können sich darin nicht erkennen. Diese verweigerte Identifizierung wirkt zurück auf die Besucher als Infragestellung der eigenen individuellen und kollektiven Selbstgewissheit, als Kippen der Identität im Blick auf kippende Identitätsprojektionen in den Hologrammbildern.

Hologramme sind keine Mahnmale, sie sind Antimonumente in reiner Form: angewiesen auf den Blick der Museumsbesucher und ihre Bereitschaft zu erinnern – sonst findet Erinnerung nicht statt. Die entgleitenden Bilder führen vor, was Erinnerung an das Geschehene nicht einholbar und nicht nachvollziehbar machen kann, sie verknüpfen Wissen und Nichtwissen. Sie bewahren die Erinnerung an Tod und Vernichtung, aber lösen sie zugleich aus der Überwältigung durch den Entzug ihrer Materialität. Die Besucher sehen und erfahren sich als an dieser Vermittlung von Geschichte und Erinnerung Beteiligte, und diese Weise der Vermittlung lässt ihnen auch Raum für die den Rundgang immer begleitende Wahrnehmung der Gegenwart des Hauses, seiner stadtzugewandten Offenheit und Transparenz. Das Museum ist kein statischer Ort der Bewahrung von Vergangenheit, die Spuren und Lebenszeugnisse der ehemaligen jüdischen Bewohner Wiens in den Bildern der Hologramme, die Häuser, Straßen und Plätze Teitelsbaums und anderer ermöglichen die Wahrnehmung der historischen Veränderungen auch des gegenwärtigen Raumes. Vom Museum ausgehend, kann sich der Blick auch auf die kollektiven und individuellen Geschichten in dieser Stadt, auf die vergangene Geschichte der Interaktion von Juden und Nichtjuden und auf deren Bedeutung für die heutigen Bewohner oder Reisenden, also die Museumsbesucher selbst, verändern.

Die im doppelten Wortsinne reflektierende/reflexiveVermittlung von Geschichte im Jüdischen Museum Wien stellt die institutionelle und konventionelle Autorität des Museums infrage, nimmt sie zurück, vermindert sie, und fördert damit neue Wahrnehmungen, die Bereitschaft zum Nachdenken über eigene Positionen. Die Ausstellung gibt die Gegenstände nicht als Geschichten aus, sondern zeigt sie als gegenwärtige Schatten vergangener Geschichte. Diese Geschichte wird nicht durch Anwesenheit, sondern durch ihr Fehlen und Fehl-am-Platz sein im Museum bezeugt und bedarf immer neuer und gegenwärtiger Erzählungen und Aneignung durch die Besucher. BesucherInnen des Jüdischen Museums in Wien haben nach dem Rundgang durch die Dauerausstellung keinen “Gesamtüberblick“ über Geschichte, Religion, Kultur “der Juden“, wie manche ihn von der Ausstellung eines Museums erwarten zu können meinen  – aber sie können erkennen und unterscheiden zwischen dem, was sie im Museum gesehen haben und dem, was wirklich geschehen ist und im Museum keinen Raum finden kann, zwischen dem, was vergangen und dem, was gegenwärtig ist, zwischen dem, was gewusst und dem, was nicht gewusst und vermittelt werden kann. Vermittelt wird ihnen, dass Geschichte und Gedächtnis weder institutionell noch individuell verfügbar sind, dass sie auf ihre Fragen und Nachfragen und die Bereitschaft, sich den Zumutungen des Museums auszusetzen, angewiesen bleiben. Und die Ausstellung verweist sie auf die Möglichkeit, auch solche Fragen zu stellen, die nicht durch Objekte und Informationen als schnelle Antworten zum Schweigen gebracht werden können.

Alle Fotografien: Gottfried Fliedl. Sie können bei Nennung des Namens gerne alle Fotos herunterladen und weiterverwenden.


Siehe auch: Das wahre Bild der Vergangenheit, sowie zum Abbruch der Hologramme ein kurzes Statement und bilder und einen Kommentar von Sabine Offe dazu hier.