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Donnerstag, 1. April 2010

Besuchen Sie es, so lange es noch steht: Das Wiener Volkskundemuseum

Vergangenen Sonntag habe ich das Volkskundemuseum in Wien besucht, nach langer Pause wieder einmal. Und mit dem Wissen, daß es möglicherweise ein letzter Besuch sein könnte.
Das Volkskundemuseum ist ein von einem Verein getragenes Museum, das in den letzten Jahren deswegen besonders unter Druck geriet. Es war nicht im Genuss der relativen Sicherheit der staatlich finanzierten Bundesmuseen und hatte zusätzlich auch um die Unterstützung der Stadt Wien zu kämpfen.
Das einzige was in letzter Zeit klar war: der Verein konnte aus eigener Kraft das Museum nicht betreiben und die fällige Gebäudesanierung finanzieren.

Der Gang durchs Museum war auch eine Erinnerung, eine Erinnerung an die letzte große Erneuerung der ständigen Ausstellung 1994. Ich erinnere mich noch an das Entsetzten eines Teiles des Vereines. Konzept und Design brachen entschieden mit den alten Gemütlichkeiten. Auf einer Diskussionsveranstaltung anlässlich der Neueröffnung brachte ich meinen Respekt zum Ausdruck, daß der Museumsstab einen derartigen 'museologischen Mentalitätswechsel' geschafft hatte. Noch heute ist das Wiener Museum entschiedener und klarer in seiner Reflexion der eigenen Geschichte und des Faches, als die später entstandenen Dauerausstellungen des Grazer und des Innsbrucker Museums.

Vorgetragen wurde der 'Turn' gegeüber der altenDauerausstellung auf zwei Ebenen: auf der der Betextung, und auf der der Gestaltung. Die Texte nahmen knapp und entschieden eine konstruktivistische Position ein. Nicht nur die zentralen Themen eines Volkskundemuseum haben einen zeitlichen Index, das Museum selbst und seine Bezugswissenschaft unterliegen einem Wandel. Und schließlich würde auch der Besucher, sein Blick und sein Interesse, immer neue Fragen an das Museum richten. Die verschiedenen Schlüsselbegriffe wie Heimat oder Volk wurden hier nicht wie essentielle Botschaften und unhinterfragbare Wahrheiten behandelt, sondern als wandelbare Begriffe für sich wandelnde Vorstellungen.

Anspruchsvoller kann man kaum an seine Klientel herantreten: man mutet dem Museumsgast zu, sich in einem gleitenden System von Relationen zu orientieren und sich stets der Relativität seines Standpunktes und des des Museums gewiss zu sein.
Noch heute muß ich mich über die Texte wundern und amüsieren, die die Hauptlast dieser driftenden und relationalen Verortung des Wissens tragen. Selbst als abgebrühter Akademiker, gleitet mir der Fachjargon nicht reibungslos durch die grauen Zellen. Und die sind mit dem Text weit heftiger beschäftigt, als der Augensinn. Denn visuell wird die zentrale Ambition des Museums kaum unterstützt. Vereinzelte oder thematisch gruppierte Objekte folgen den nicht so überraschenden Konventionen der Volkskunde. Da gibt es zwar Überraschungen und Eye-Catcher, aber kaum ein Narrativ und für Vertiefung des ein oder anderen Themas fehlt es an Platz oder vielleicht auch an Sammlungsobjekten.
Die kleinteilige Raumstruktur erzwingt eine Kleinteiligkeit der Präsentation der Sammlung und so entwickelt sich manch interessante Frage nur auf kleinstem Raum und kurzatmig.

Und das war das zweite Besondere am Museum: Die Gestaltung durch die Architektin Elsa Prochazka. Während wir normalerweise im Museum alles aus unserer Wahrnehmung ausblenden, was nicht Exponat ist, wird uns das hier nicht erlaubt. Ostentativ zeigen ihre Möbel sich selbst und die Museumsobjekte. Das 'Gestell' ist aufwendig, geradezu aufdringlich, aber sorgfältig gestaltet. Die durch die Texte vermittelte reflexive Distanz zu 'Museum' und 'Exponat' wird durch die Zeigemöbel unterstrichen und unterstützt. Selten war ein Museum so sehr als "Schaubühne" erfahrbar. In einem Verständnis vom Museum als performativen Raum, spielt alles 'eine Rolle', das Licht, die hüllende Architektur, die Exponate, die Texte, die Zeigemöbel und natürlich der Besucher selbst. Hier wird das überdeutlich gemacht. Dinge im Museum sind nicht bloß da, sie werden gezeigt, sagen uns die nach Kräften gestikulierenden Eisenstützen und ausladenden Podeste.

Heute, so lange nach der Eröffnung, verstehe ich an diesem Sonntag, wie groß das Dilemma des Museums ein muß. Eine nachholende Verarbeitung neuer, vor allem urbaner Themen war nie möglich und wäre überhaupt nur mit einer neuerlichen kompletten Neukonzeption zu bekommen. Was sich in einschlägiger Forschung theoretisch wie praktisch gewandelt hat, das findet nicht hier statt.
Dezentral gelegen, in einem von Außen schon sehr desolat wirkenden Gebäude, kann sich das Museum nicht gegen die medial gehätschelten Großmuseen des Stadtzentrums behaupten.

Das musste in Sonderausstellungen ausgelagert werden. Die waren, trotz karger Budgets und spartanischer materieller Ausstattung, das Beste, was man - neben den Ausstellungen des Jüdischen Museums - in Wien in den letzten Jahren an (kultur)historischen Ausstellungen zu sehen bekam. Hier wurde immer wieder vorgemacht, daß es beim Ausstellen auf eine präzise Idee ankommt und dann auf eine angemessene, durchdachte Umsetzung, so banal wie offenbar schwierig kann Austtellungmachen sein.
Wolfgang Kos würdigte in einer wunderbaren Rezension 1995 in der Stadtzeitung Falter die Ausstellung "Schönes Österreich" an die ich mich lebhaft erinnere, weil hier mal mit der bis zum Abwinken zerredeten "Identität" fröhlich, ironisch, anschaulich hantiert wurde - eine Labsal im Vergleich mit den bleischweren und verschwitzten Staatsausstellungen zu 'Österreich'. Nation Building wurde in einer Sympomatologie der Alltagskultur witzig, pfiffig und visuell argumentierend dechiffriert.
Lebhaft erinner ich mich "an an/sammlung an/denken" von 2005, wo ein 'Sachenfund', den mehrere Generationen in einem Haus gehörtet hatten, zu einer wunderbar subtil präsentierten Etude über Dinge, ihre Ästhetik, ihren Gebrauch, ihre Erinnerung wurde.

Und noch etwas ist mir bei meinem Sonntagsbesuch aufgefallen: wo in anderen Museumsshops der Nippes regiert - wie die Teddybären mit Klimtdesign im Belvedere (nicht daß ich nicht auch eine Schwäche für so etwas hätte!) -, gibt es davon im Volkskundemuseum wenig. Dafür ein üppg mit Fachliteratur bestücktes Bücherbord, wo man beim Stöbern nicht nur manch altbackenes Bändchen von annodazumal entdecken kann, sondern avancierte Forschung, z.B. zur Ethnopsychoanalyse oder zu kulturwissenschaftlichen Fragen. Hier hält das Museum Schritt mit der Entwicklung des Fachs und weist sich auch als eine 'wissenschaftliche Anstalt' aus. ich betone das, weil die Bundesmuseen de jure als Wissenschaftsanstalten verwaltet werden und Wissenschaftlichkeit immer noch die zentrale Legitimation der Museen ist. Während die anderswo längst unter dem Druck der Ereignishaftigkeit der Museumsarbeit sich bis an den Rand des Verschwindens verdünnt hat - man sehe sich mal das Bookshop der Albertina an -, wird hier offensichtlich auf Grundlagenforschung Wert gelegt.

Es wird nichts nützen. Es gibt die Idee, das Museum durch Zusammenlegung mit dem Völkerkundemuseum zu 'retten'. Dem kann man was abgewinnen, wenn beide Museen einen Paradigmenwechsel zu modernen kulturwissenschaftlichen Fragestellungen hin vollzögen und sich avancierter museologischer Entwicklungen stellten. Ein Konzept soll ausgearbeitet sein, noch nicht wirklich entscheidungsreif, wie man hört. Doch das Budget, das für die Bundesmuseen bereitsteht, scheint nicht auch noch für ein neues Projekt zu reichen. Außerdem müsste die Sinnhaftigkeit der vor Jahren erfolgten Eingliederung des Völkerkundemuseums in das Kunsthistorische Museum überprüft und wohl revidiert werden. Die Sinnhaftigkeit dieser Eingliederung ist nie evaluiert worden und das Völkerkundemuseum wünscht offenbar, wieder selbständig zu werden.

Vor einigen Jahren habe ich für eine Museumszeitschrift ein Essay zur Entwicklung der Wiener Museumslandschaft geschrieben. Mit dem Hinweis auf drei sehr besondere Museen mündete das in einer positiven Bilanz: Museum für Angewandte Kunst, Jüdisches Museum der Stadt Wien und das Volkskundemuseum waren und sind für mich drei Museen, die - in sehr unterschiedlicher Hinsicht - auch im internationalen Vergleich ungewöhnliche und inspirierende 'Modelle' dessen sind, was Museen sein können. Möglicherweise wird es zwei dieser drei Museen bald nur noch dem Namen nach geben.

Sonntag, 14. März 2010

Ein "anderes" Heimatmuseum: Landeck



Heimatmuseen sind beliebt und haben eine schlechte Presse. Was an ihnen kritisiert wird, wird selten zur Grundlage neuer Konzepte. Um so größeres Interesse verdient ein Museum, das sich programmatisch selbst als ein ‚etwas anderes Heimatmuseum’ bezeichnet – das Museum in der Burg von Landeck.
Von so vielen anderen lokalen Museen unterscheidet es sich dadurch, daß es ein einziges Thema zum Leitfaden der Ausstellung macht: die für den Raum Landeck seit Jahrhunderten prägende und meist durch Not erzwungene Emigration.
So erfahren wir hier etwas über die „Schwabenkinder“, Kinder, die von ihren Familien aus wirtschaftlicher Not getrennt wurden und hunderte Kilometer nach Norden wanderten, um als unbezahlte Arbeiter in der Landwirtschaft eingesetzt zu werden. Die unter anderem durch Naturalteilung von Hof und Grund schwindende Existenzgrundlage zwang viele auf Dauer auszuwandern, z.B. in das – oft nur scheinbar – glücksverheißende Amerika, oder nach Peru, das als exotischer Exilort ausführlich thematisiert wird.
Die Erläuterungen zum ‚Schlepperunwesen’ des 19. Jahrhunderts, der organisierten Ausbeutung und Irreführung von Auswanderern, belehrt uns über bis heute andauernde Kontinuitäten im Umgang mit Exilierten.
Besonders sorgfältig werden die „Jenischen“ vorgestellt: Wer Hab und Gut verlor und nicht irgendwohin auswandern wollte oder konnte, verdingte sich als umherziehender Händler, Taglöhner oder Handwerker. Diese heterogene Gruppe depravierter Menschen bildete über eine eigene Sprache so etwas wie Gruppenidentität aus. Das Museum dokumentiert Leben und Sprache der Jenischen in Form eines umfangreichen, in die Ausstellung integrierten und daher jederzeit zugänglichen Archivs, wo man auch als Besucher selbst vertiefende Informationen abrufen kann.
Mit diesem ‚lebenden Archiv’, den Angeboten für Kinder, die viele sichtbare Anreize und Spuren im Museum vorfinden, den interaktiven Stationen, erweckt das Museum zusammen mit der Sammlung einen dem Besucher ‚entgegenkommenden’ Eindruck. Die für all diese Funktionen nötigen Objekte, Texte, Installationen, Geräte und Hilfsmittel verleihen allerdings vielen – ohnehin nicht großen - Räumen etwas Zerfransendes, Unruhiges, bunt Zusammengestelltes. Das Nebeneinander von modernem Design, beeindruckender 3D-Computeranimation, selbstgebastelter mechanischer Krippe, alten Mauern und Fresken, gekonnt programmierten Displays und last but not least, dem, was ein Heimatmuseum eben auszeichnet, Geräten, Geschirr, Werkzeugen, Möbeln, Kleidern usw. ist manchmal zu dicht.
Dazu kommt, daß um das zentrale Thema andere gruppiert werden, wie etwa Zünfte, Gerichtsbarkeit, Religiosität, frühe Industrialisierung, NS-Zeit, so daß das Hauptthema, ohnehin nur fragmentiert erzählbar, auch räumlich fragmentiert präsentiert werden muss. Diese Fragmentierung wird von der labyrinthischen Struktur des Gebäudes verstärkt, gegen die auch das ambitionierte Leitsystem kaum etwas auszurichten vermag.
Macht aber nichts!, fand ich bei meinem Besuch, ich verirre mich gerne und lasse mich überraschen: als ich alles erschöpfend zu sehen geglaubt hatte und den Ausgang suchte, entdeckte ich noch einen Raum. Und dann noch einen, nicht gerade den unwichtigsten, nämlich den mit den ‚kostbarsten’ Objekten, mittelalterlichen Spielkarten, den ältesten des Deutschen Sprachraumes.
Beinahe übersehen hätte ich auch eine kleine ‚Installation’ im Bereich der Treppe, die die wichtige Verknüpfung des zentralen Themas mit der Gegenwart von Stadt und Region leisten soll. In einem Kistchen liegen zur freien Entnahme ‚Ansichts’-Karten auf, grafisch anspruchsvoll gemacht und - die in Österreich der 20er-Jahre erfundene - Methode der Bildstatistik originell nutzend. Hier erfährt man über diverse Statistiken etwas zur Situation von Landeck, seine Bevölkerung, seine Wirtschaft und die immer noch andauernden Probleme einer 'strukturschwachen' Region.
Warum man sich entschlossen hat, ausgerechnet diese wichtige Verknüpfung von Geschichte und Gegenwart nicht in die räumlich-gestalterische Kohärenz des Museums aufzunehmen? Vielleicht wegen der unanschaulichen Abstraktheit heutiger ökonomischer und sozialer Strukturen?
Auch an anderen wichtigen Themen müssen Grafiken, Statistiken und Tabellen herhalten. Die Auswanderung der Schwabenkinder wird anhand einer Statistik veranschaulicht, die als ein Höhenweg über zackige Bergkämme gestaltet ist, der die physische Anstrengung veranschaulichen soll. Die Emigration nach Peru wird von einem Namensverzeichnis der Auswanderer einbegleitet, das so dicht wie auch kaum leserlich aber mit ihrer Botschaft, daß es 'sehr viele' waren, das Ausmaß der Auswanderung zu verdeutlicht.
Mein größter Einwand gilt diesem Scheitern der Visualisierung des Themas. Es gibt viele Informationen, aber als Text und Statistik. Auch die bewährten und sinnvollen Kurzbiografien sind vor allem: Text. Gewiss war es schwierig, ein Thema, das in der überlieferten Sammlung wahrscheinlich kaum repräsentiert war und das viele unanschauliche Aspekte enthält, mit visuellen Mitteln zu kommunizieren. An ein paar Stellen ist das gelungen. Etwas konventionell mit der Aufteilung eines ganzen Ausstellungsraumes in Felder mit Hilfe von Klebebändern, die die Naturalteilung veranschaulicht. Die ‚Grenzstreifen’ gehen mitten durch einen Tisch und durch einen – zweigeteilten – Teller.
Überzeugender der Umgang mit einem – in einschlägigen Museen so beliebten – ‚authentischen’ Interieur einer bäuerlichen Stube. Alles scheint so zu sein ‚wie es immer war’ (ein erwünschter aber täuschender Effekt solcher zumeist hochfiktionalen Environments). Wir betreten die 'gute Stube', als wäre sie von ihren Benutzern eben verlassen worden. Aber die Aussicht aus den zwei Fenstern, die hat man auf einen peruanischen Urwald. Das ist mehr als ein überraschender Gag. Das ist ein kleiner Schock, eine Irritation, über die deutlich wird, daß die Auswanderer ihre gewohnte Welt mit sich nahmen und auch in noch so ferner und exotischer Umgebung an ihr, so weit es möglich war, festhielten. In Zeiten, in denen wir Immigranten weitestgehende Integration und Anpassung abverlangen, erteilt uns der kleine visuelle Kunstgriff eine Lehre und wirft ein Blitzlicht auf ein großes gesellschaftspolitisches Gegenwartsthema.
Das weitgehende Fehlen solcher visueller Argumentationen hat zur Folge, daß das Museum in großen Teilen auf den ersten Blick nicht anders aussieht, als die meisten derartigen Museen. Auch hier findet man – manchmal buchstäblich – zuhauf die ‚üblichen Verdächtigen’ des Reliktfundus der Heimatmuseen. Meist brechen erst Texte (Zitate, Objektbeschriftungen, Computertexte oder Texttafeln) das vertraute Museumsmilieu auf. Das aber nicht immer.
Religion wird mit dichtem Objektarrangement und dichter Objektbetextung, aber ohne jede analytische Distanz vorgeführt – es sei denn, man ist bereit, die Nachbarschaft grimmiger Masken mit der in nazarenischen Unschuldsschlaf gefallenen Heiligen Rosalie von Palermo als bewusste Entscheidung der Ausstellungsmacher und als ironische Brechung zu lesen. Bei der Darstellung der ‚wehrhaften’ Seite Tirols, des Schützenwesens und des Jahres 1809, darf man schon dankbar sein, daß auf allzu pathetisch Rhetorik verzichtet wurde, wenngleich das Objektarrangement von Waffen und Gekreuzigtem den traditionellen Patriotismus wie eh und je bedient.
Der Versuch, in der Burg Landeck ein „etwas anderes Heimatmuseum“ zu errichten und ein tief in unsere Gegenwart hereinwirkendes Thema aufzugreifen verdient Respekt. Meine Kritik richtet sich nicht gegen die anerkennenswerte Ambition. Ich denke aber, dass das Museum ein Beispiel für die Schwierigkeit ist, die besonderen Möglichkeiten des Museums als hybriden Medium gerecht zu werden, das nur im durchdachten Zusammenspiel von architektonischem und sozialem Raum, Exponaten, Zeigemöbeln, Wegführung, Texten uvam. sowie dem flanierenden Besucher glücken kann. Was an manchen Stellen geglückt ist, ist ebenso ermutigend, wie die für ein derartiges Museum ungewöhnliche, sowohl aktuelle als auch sozialpolitisch wichtige Fragestellung.

Samstag, 20. Februar 2010

Centrale Montemartini. Kunst und Industrie

Während der im Jahr 2000 abgeschlossenen Sanierung der Kapitolinischen Museen wurde an der Peripherie von Rom, an der Via Ostiense - zunächst vorübergehend - ein Art Schaudepot eingerichtet. Unter dem Namen Centrale Montemartini wurde daraus ein eigenständiges und ungewöhnliches Museum.
Ein um 1900 Jahrhundert errichtetes und 1912 in Betrieb genommenes Kraftwerk, das zur Stromversorgung Roms diente, wurde aufwendig saniert und in diesem Industriedenkmal wurden Teile der Antikensammlung der Kapitolinischen Museen aufgestellt.
Für die Einrichtung von Museen in aufgelassenen Industriegebäuden und -anlagen gibt es inzwischen viele Beispiele, das prominenteste dürfte die Tate Modern sein, aber ungewöhnlich ist hier die Integration eines Teils der Installationen, Armaturen, Kessel und Maschinen. Gezielt wurde der 'Dialog' zwischen den Antiken und der industriellen Architektur, den z.T. riesigen Maschinen und Anlagen inszeniert.
Das geht manchmal haarscharf an geschmäcklerischer Werbeästhetik vorbei, aber, nicht zuletzt auf Grund der einzigartigen Qualität vieler hier ausgestellter Objekte, wurde aus der Dependance ein sehr spannungsvoll und faszinierender Museumsort.
Die Konfrontation von Kunst und Industrie findet ausschließlich auf einer ästhetischen Ebene statt, zwischen den kontrastreichen Materialen und Oberflächen, der Fragilität mancher Figuren und der Wucht der Maschinen, der Helligkeit des Marmors und der ölglänzenden Schwärze der Apparaturen. Dies alles schafft keinen Mehrwert an Information, aber eine außergewöhnliche Schärfung und Konzentration des Blicks und eine ebenso ungewöhnliche Performativität.
Da dieses 'Depot' oder ‚Trabantenmuseum‘ auf so positive öffentliche Resonanz stieß, scheint die dauerhafte Öffnung als Museum inzwischen gesichert zu schein.

Samstag, 13. Februar 2010

Micromuseo Lima - Aktives und lebendiges Instrument in der politischen und sozialen Entwicklung

Ein ambulanter Ort, an dem angesichts der „grossen musealen Leere“ (dem Fehlen eines Museums Moderner Kunst), nicht einfach nur kompensativ eine private Initiative einspringt, sondern ein  Raum für „kritisches Denken darüber, was Musealität sein kann in einem Land der Dritten Welt wie Peru.“ Dieser Raum ist das Micromuseo in Lima. An ihm ist nicht das Gebäude, der Ort, an dem es sich befindet, wichtig, sondern die Projekte und Interventionen, z.B. im öffentlichen Raum, die unter diesem Namen initiiert werden, und mit denen für ein neues Kulturverständnis geworben wird.
Das Projekt entstand nach einer großen politischen Krise, in der kurzen Phase der Demokaratie „mit extrem hoher Inflation, verzweifelter Sinnsuche, politischem und kulturellem Extremismus und avantgardistischen Strömungen.“ Von Beginn an wurden die „etablierten Vorstellungen von Museen in Frage“ gestellt, z.B. durch die Wahl alternativer Orte, wo man Museen normalerweise nicht erwartet und in Zusammenhängen, um die sich Museen nicht kümmern.
Zu den Mezhoden des Museuo gehört das Mischen der Genres und Ausdrucksformen, der Artefakte und Kunstwerke, es geht um eine ‚Materialsammlung’ ohne Hierachie, um jene Ausdrucksformen der verschiedenen Alltagskulturen, die ein „aktives und lebendiges Instrument in der politischen und sozialen Entwicklung“ sein soll.
„Ein Ziel von Micromuseo ist auch die Ermächtigung des Lokalen. Wir sind gegen die Praxis eines internationalen Museums-Franchising, wie sie Guggenheim betreibt. Wir bestehen vehement auf der Bedeutung des Lokalen. Das ist kein territorialer Chauvinismus, sondern ein engagiertes Verständnis von Kultur als lebendiger, unmittelbarer Expression.
Ähnlich, so scheint mir, dem hier im Blog vorgestelleten ndrangheta Museum in Reggio Calabria, ist auch hier ein Museum der Ort, an dem sich die Hoffnung auf gesellschaftliche Veränderung kristallisiert, die Hoffnung auf Überwindung der Gewaltförmigkeit von Gesellschaft und Poltik. Das „Micromuseo will nicht in die Geschichte eingehen, sondern die Geschichte selbst ändern.
Das lange Gespräch von Eva-Christina Meier mit dem Gründer des Micromuseo Gustavo Buntix ist nachzulesen in: Die Tageszeitung online, 6.2.2010. "Eine Art Weimarer Republik". Die Postmoderne in Peru. Gespräch mit Gustavo Buntinx, Begründer des ambulanten "Micromuseo" in Lima.

Donnerstag, 4. Februar 2010

'ndrangheta - Museum in Reggio di Calabria. Das Museum als zivilisatorische Agentur

Was es nicht alles für Museen gibt! Ein 'ndrangheta - Museum, ein Museum, das zivilgesellschaftliche Öffentlichkeit gegen die kalabrische Mafia bilden und organisieren soll. Gegründet im vorigen Jahr und getragen von der Stadt, Provinz und Region Reggio sowie von der dortigen Universität.
Hochinteressant scheint mir das - ungewöhnlich ausführlich (auf der Webseite) - dargelegte und ambitionierte Konzept.
Der Ausgangspunkt ist der identitätsbildende Wunsch der Zugehörigkeit, und der, so wird argumentiert ist sowohl in der Außenwahrnehmung als in der Selbstrepräsentation mit der 'ndrangheta verknüpft - keine kalabrische Identität ohne diese Organisation.
Dieses doppelt codierte Image Kalabriens, seine Geschichte und sein Mythos, das stellt sich dem Museum als Aufgabe. Sowohl der long term als auch die Synchronizität dieser Geschichte und Mythe liegt im Rechercheinteresse des Museums, aber das Projekt ist wesentlich ehrgeiziger: es geht um den transformierenden und akkulturierenden Prozess, mit dem diese Mythologisierung wirksam wird, vor allem bei der Jugend.
This is the framework around the initiative of the Museum of ‘ndrangheta and the functions it will perform: as an archive of memory, it will be a place where the symbolic reach of the ‘ndrangheta phenomenon can be defined with precision; as an economic enterprise, it will be an institution capable of translating a complex subject into several languages; as “center”, the museum will indicate a “permanent emergency”, in order to avoid the silence that surrounds and favours all types of mafia.
Worum es sich dabei dreht, ist der Aufbau einer starken Gegenidentität, die, so die These des Museums, deswegen kaum ausgebildet sei, weil die 'gut arbeitende Akkulturierung' der 'ndrangheta sich fast unsichtbar und lautlos bilde und weiterbilde. Die 'ndrangheta werde deswegen weitgehend ignoriert, ja man habe nicht mal richtig Angst vor ihr, stattdessen gäbe es eine 'Vor-Angst', vor allem eine 'Pre-Omerta', eine Verschwörung des Schweigens.
Dabei ist man sich der Tatsache bewußt, daß das Primat der Bekämpfung der kriminellen Organisation bei der Polizei liegt und außerdem, daß es sehr schwierig sei, unter gegenwärtigen ökonomischen und politischen Bedingungen, kulturelle Modelle zu entwickeln, die Enthusiasmus und Zustimmung erzeugen könnten.
Was über das Museum erreicht werden soll, ist offenbar nicht mehr und nicht weniger, als in die Narrationen und Rituale, in die Mythologie und das Geschichtsbewußtsein einer Gesellschaft einzugreifen, um das zu verändern, was - derzeit - 'nicht gesehen wird', gewissermaßen eine Erinnerung an das, was 'wir nicht sind'.
Folgerichtig zieht man in dem Grundsatztext den Schluß, daß eine solche Ambition Folgen für das Selbstverständnis des Museums haben muß. Neu ist das nicht, was man an dieser Stelle liest, aber vor dem Hintergrund des gesellschaftspolitischen Ziels erscheint der museological turn, den man vollziehen möchte, besonders dramatisch. Im Grunde bedeutet das, daß das Museum eine Art von Gegenöffentlichkeit organisiert mit partiell subversiven Qualitäten aber hoher ethischer Selbstlegitimierung.
In a museum context, the problem becomes this: does an object that is displayed express the logic of those who made it, of those who selected it and decided to exhibit it, or of those who observe it through the glass? Who decides what is important to display? Is a museum an intellectual operation directed at an audience of experts or it can become a centre for the promotion of culture also for the inhabitants of the place? Who owns the copyright for memory? Finding answers to these and other important questions raised in this context means to take part in an International debate. It also means to connect to wider circuits and insert a place into them that is usually “far away”: Calabria. This part of the Mediterranean must not be betrayed in its specificity, it must not be observed through the looking-glass of a superficial modernism that would reject folklore out of hand in the hope of changing what we have been. We have to find ways of narrating ourselves because existing often means to be able to narrate yourself.
Fällt damit das Konzept nicht unweigerlich auf die autoritative Perspektivität der meisten Museen zurück? Wie kann es eine derart starke Botschaft entwickeln und vermitteln ohne gleichzeitig nur (s)einen Blick zu verabsolutieren? Hier fällt die Antwort eher zurückhaltend aus.
Greenblatt, the museologist, speaks of a museum that can invite to resonance or wonder. A museum functions, in our opinion, when resonance and wonder are well designed by the curator who has to be aware of the fact that he cannot represent a culture, but that he can offer many possibilities to visitors - to their aesthetic sense, their intelligence, their emotions – that, well combined, can give account of many aspects of a culture.
Und wenn dann, als Abschluss, auf Multimedialität gesetzt wird (Multimedialität als etwas, was dem Museum schon immmer inhärent ist und nicht einfach nur als technische Apparatur gemeint), dann spitzen sich die Zweifel an der Verhältnismäßigkeit von Ziel und Mittel zu.
Dieses Mission Statement oder ideologisches Grundsatzpapier bleibt erstaunlich - als durchdachte und avancierte theoretische Grundlegung und als gesellschaftspolitische Ambition. Wenn es gegen Schluss heißt, A museum exhibit a society but at the same time it is a product of that same society, dann hat man in Reggio nicht weniger vor, als ein Museum als gesellschaftliches 'Organ' zu implementieren, das diese Logig zumindest auf Zeit oder partiell durchbricht und einen die Gesellschaft verändernden und meliorisierenden 'Zivilisierungsprozess' intiiert.
Das war aber immer schon die zentrale Idee des bürgerlich-aufklärerischen Museums.

PS.: Am 11.3.2010 erschien in der taz ein Interview mit zwei der Initiatoren des Museums, in dem die aktuelle Situation beschriebn wird

Sonntag, 17. Januar 2010

Ein Museum als Unschuldskomödie. Musée du quai Branly

Keine prominente und große Museumsgründung der letzten Jahre war und ist so umstritten wie das Musée du quai Branly.

Die Initiative für dieses Museum wird bei dem auf afrikanische Kunst spezialisierten Kunsthändler Jacques Kerchache (1991 verstorben) zugeschrieben, der die Freundschaft des damaligen Bürgermeisters von Paris und späteren Staatspräsidenten, Jacques Chirac, gewann und zunächst eine einschlägige Abteilung unter dem von ihm geprägten Begriff Art premier im Louvre (Pavillon des Sessions, 120 Objekte) durchsetzen konnte.
2006 konnte dann das neuerbaute Museum am Quai Branly (Architekt: Jean Nouvel) eröffnet werden. Das Museum wurde aus den Sammlungen des Musée de l'Homme und des Musée National des Arts d'Afrique et d'Océanie gebildet, das heißt beide Museen wurden aufgelöst.
Das allein löste selbstverständlich Proteste und Widerstand aus, aber mehr noch das Konzept, das sich für das neue Museum abzuzeichnen begann und dessen politische Instrumentalisierung.

Die erwünschte ideologische Prämisse der Neuordnung der Beziehung Frankreichs zu den Kulturen und Völkern schien sich angemessen in einer ästhetisierenden Präsentation (wie man sie in völkerkundlichen Museen eigentlich schon für überwunden geglaubt hatte) am besten verwirklichen zu lassen. Weil dabei die andernfalls unvermeidliche Herkunft des Großteils der Sammlung aus der Kolonialzeit Frankreichs hätte thematisiert werden müssen.

Befürworter des Museums und das Museum selbst heben gerade diese Ästhetisierung als eigentliche Qualität hervor. Den Werken - indem man sie zu Kunst aufwertet - und damit ihren Erzeugern werde, Respekt, Würde und Anerkennung zuteil.

Einst war das ein avantgardistischer Protest: ‚primitive’ Objekte als Kunst aufzuwerten und damit die westliche Hochkunst zu attackieren und den gültigen, westlichen Wertekanon der Künste zu revidieren. Am Beginn des Jahrhunderts hatte Guillaume Appollinaire als erster genau das gefordert, was nun, noch vor der Errichtung des Museums, geschah: eine Auswahl von Werken in einer eigenen und neuen Abteilung des Louvre (Palais des Session) erweiterte das Spektrum der dort repräsentierten Kulturen und Epochen. (Offenbar nicht zur Begeisterung des Louvre selbst. Hinweis von Nina Gorgus. Die offizielle Webseite des Louvre erübrigt für diese Ausstellung nur ein paar Zeilen – als Verweis daß es sich um einen ‚Satteliten’ des Musée du quai Branly handelt).
Die Subversivität der avantgardistischen Beschäftigung mit den bis dahin kaum anerkannten und selten museumswürdigen Artefakten, glaubte man in das Museumskonzept implantieren zu können. Doch es erwies sich als naiv zu glauben, daß es, wie man zunächst vorschlug, heutzutage noch ein Museum mit einer den Art premiers huldigenden Namengebung geben könnte.  Das lag schon phonetisch verdächtig nahe an der‚primitiven’ Kunst.
Das man sich schließlich für die ‚unschuldige’ Namensgebung für das Museum nach der Adresse entschlossen hat, ist ein Indiz dafür, daß auch das Konzept zu widersprüchlich ist, als daß sich ein signifikanter Namen finden ließe.

Was Wolf Lepenies anerkennend 2008 beschrieb, den Respekt, den das Museum den Werken erweist und die Würde, die ihnen gegeben wird, ist schon richtig. Der Eindruck, den ein unbedarfter Besucher wie ich hat, ist tief. Die Objekte die es hier zu sehen gibt, können auch jenseits aller historischen oder funktionalen Kontextualisierung enorm beeindrucken.

Lepenies hat aber auch die Kehrseite des Konzepts benannt. Die ästhetische Vereinzelung der Dinge, die dramatisierende Lichtregie, das akzentierte Hell-Dunkel der Raumflucht, aus der die Dinge magisch hervorleuchten, das alles tut den gewünschten Effekt. Man staune weniger und bewundere mehr, schrieb er. Staunen ist aber eine Quelle des Interesses und der Erkenntnis, bewundern aber eine affirmative Haltung, die fraglos akzeptiert. Und so konzediert auch Lepenis dem Museum, daß das Verstehenwollen in den Hintergrund tritt.
Das ist unter anderem der Architektur geschuldet, die, eingebettet in einen ‚Heiligem Hain’ (Jean Nouvel), mit ihrer bewachsenen Fassade und dem überpointiert liminalen Weg zur Schausammlung genau jene exotisierende und naturhafte Zeitlosigkeit suggerierende Kontextualisierung schafft, die man in der Dauerausstellung  - so das Museum - weitgehend zu vermeiden versucht habe.

Tatsächlich vermittelten z. B. die in  kleinen Kabinetten gezeigten Filme – so erinnere ich mich an meinen Besuch -, erstaunliche und exotisierendes Klischee von Schönheit und Natur, Brauchtum und Farbigkeit, Ursprünglichkeit und Vitalität. Die Machart der Filme hätte sie allesamt als Werbung einer Tourismusmesse durchgehen lassen – sie sind aberwitzig weit von jeglicher Wirklichkeit z.B. Afrikas entfernt.

Die vom Ausstellungskonzept und –design wie von der Architektur betriebene Ästhetisierung schwächt oder ersetzt eine kultur- und sozialgeschichtliche Kontextualisierung der Objekte. Das war einer der Skandale der Gründung, weil damit auch mit einer Tradition gerade der weltberühmten französichen Ethnologie, die das Musée d l’Homme für sich reklamierte, brach.

Statt diesen Kontext als museologische und konzeptuelle Herausforderung anzunehmen, evoziert besonders die Architektur, allerdings auch die andeutungsweise ambientale Einbettung der Objekte und Vitrinen (‚Lehm’mauern; erdige Farbigkeit, organizistische Formensprache), altbackene Vorstellungen und Projektionen.

Einen Sakralbau für mysteriöse Objekte, Träger geheimer Überzeugungen sowie einen Ort gekennzeichnet durch die Symbole des Waldes, des Flusses und die Obsessionen von Tod und Vergessen, nennt Jean Novel seinen Entwurf. Und die Sammlung Zeugen zugleich alter, wie lebendiger Zivilisationen.
Man mag es drehen und wenden wie man will: was man im Musée du Quai Branly zu sehen bekommt, all die über 3000 Objekte aus Afrika, Asien, Ozeanien, Nord- und Südamerika, werden als scheinbar ursprüngliche, autochthone Kunstwerke einer versunkenen, frühen Zeit präsentiert.

Der politische Effekt ist, daß die Geschichte der ihrer Herstellung, ihres Gebrauchs, ihrer Rezeption, ihrer Überlieferung ausgeblendet bleiben. Vor allem auch die Gewaltförmigkeit der – intellektuellen wie materiellen – Aneignung dieser Objekte durch die Museen und Sammler, kurzum die gesamte französische und nicht nur französische sondern europäische koloniale und neokoloniale Politik.

Das ist wirklich eine Leistung. Aber mehr als das: bei meinem Besuch fand ich fast nur zufällig einen kurzen Text dazu, (siehe Post Texte im Museum 07) ziemlich fern der Objekte an einer Wand. Der Text nennt nicht nur nicht die Dinge beim Namen, er verleugnet selbst bekannteste Tatsachen.

Zur Zeit der Gründung des Musée du Quai Branly, als der Umzug der Museumssammlungen im Gange waren, konnte man noch etwas von der musealen Repräsentanz der kolonialen Vergangenheit Frankreischs mitbekommen, etwa wenn man das bereits fast leergeräumte Musée National des Arts d'Afrique et d'Océanie besuchte. Noch vermittelten dort Möbel, Wandgemälde im Inneren und Skulturen wie Inschriften am Außenbau jenen nationalbewußten und militanten Kolonialismus, dem dieses Museum seine Existenz verdankte (Kolonialausstellung 1931). Inzwischen ist dort die, auch unter Jacques Chirac eröffnete Cité nationale de l'histoire de l'immigration (2007 eröffnet) entstanden, das aber öffentlch-medial dem Branly-Museum weit nachsteht. Man kann darin eine Strategie der Spaltung sehen, ein auflösen der Beziehungen und ein Verschleiern von Zusammenhängen, eine der Trennung in affirmative und kritische Haltung.
Ethnologische Museen stehen auf dem Prüfstand. Das spektakuläre Pariser Museum ist in Vielem neuartig und sehenswert – aber, was es dem eigenen Bekunden nach sein sollte - ein Durchbruch für ein Neudenken des völkerkundlichen Museums – als das gilt es den Kritikern des Museums (derzeit) nicht.


Wolf Lepenies: Nicht-westliche Kulturen: Was Berlin aus der Debatte über das Musée du Quai Branly in Paris lernen kann, in Die Welt Online, 1.4.2008 
Fotos: Gottfried Fliedl, 2007

Freitag, 15. Januar 2010

John Soane's Museum

Für Nina Gorgus, der ich viele inspirierende Texte, Unterstützung als Neo-Blogger und die Entdeckung neuer Museen verdanke. Gottfried Fliedl
Wohnhaus, Studio, Archiv, Galerie, Antikensammlung, Bibliothek, Gruft? Von allem etwas, aber sicher nicht das was wir landläufig unter Museum verstehen. Zu Lebzeiten seines Schöpfers war es das auch nicht, sondern Wohnsitz der Familie Soane.  Dieses Hybrid von Räumen, Gängen, Treppen, Schächten, Durchblicken, Vexierbildern ist – heute – John Soane’s Museum. Eines der merkwürdigsten, bizarrsten, interssantesten Museen überhaupt.
John Soane (1753 - 1837) galt bereits zu Lebzeiten und gilt bis heute als einer der bedeutendsten englischen Architekten. Von dem Einkommen, das er aus seinen Projekten bezog - darunter war eine der wichtigsten und größten Bauaufgaben seiner Zeit, der Neubau der Bank of England –, und auf Grund von Erbschaften konnte er sich, als angesehener und wohlhabender Mann, im Londoner Lincoln's Inn Fields niederlassen.
Er erwarb dort das Haus Nr.12 und nach und nach zwei benachbarte Häuser und baute sie in Etappen aus. Zum Entsetzen seiner Erben vermachte er alles dem Staat und bestimmte in einer  testamentarischen Verfügung, dieses Ensemble unverändert als Museum der Öffentlichkeit zu bewahren - for the benefit of Amateurs and Students of Painting, Sculpture and Architecture. Dieser Wunsch wurde nach Soanes Tod erfüllt, das Museum öffnete noch in seinem Todesjahr und so blieb dieser einzigartige Ort seither weitgehend unverändert erhalten.
Die elegante und schlichte Fassade und der schmale Korridor, den man hinter der Eingangstür findet, lassen nicht ahnen, in welch labyrinthisch verzweigtes Pasticcio von Räumen man sich gleich verirren wird. Vertikale und horizontale Durchbrüche lenken den Blick auf ständig wechselnde Sichtachsen, von raffiniert konstruierten verdeckter, z.T. von buntem Glas gefilterter Belichtungen magisch erhellte Räume verschachteln und verschieben sich wie Kulissen ineinander, Verspiegelungen und Nischen und diaphane Wandteile verrätselten zusätzlich die Rumstruktur. Kunstwerke, wie z. B. eine Florabüste, sind vor Spiegelglas aufgestellt und spiegeln ihr Spiegelbild ihrerseits wieder in einem konvexen Rundspiegel.
Nicht genug damit. Soane hatte eine Vorliebe für in die Decke eingelassene, gewölbte, runde Konvexspiegel, die den umliegenden Raum wie in einem Brennglas fangen und Raum und Ausstattung verfremden.
Der Grundriss sieht recht überschaubar aus, aber es scheint der Architekt alles unternommen zu haben, um über diesem rationalen Raster ein Reich der überraschenden Übergänge, der beständigen Verwandlung, der Auflösung der festen Grenzen, des flutenden Lichts zu schaffen. Die Räume sind auf recht unterschiedliche Weise untereinander verbunden, nicht alle kann man betreten, aber man kann in sie hineinsehen und andere bilden überlegt inszenierte Blicke auf Räume, Raumteile oder ein bestimmtes Arragement von Objekten.
Soane scheint sein Haus wie ein Regisseur genutzt zu haben, das er Interessierten wie eine Bühne öffnete, aber nur wenn das ihm geeignet scheinende Licht herrschte, lumiére mysterieuse, das den Dingen ein eigentümliche Zwischendasein zwischen Schatten und Helligkeit verleiht.
Alle Räume sind Auf- und Ausstellungsorte für Soane’s Sammlung aberhunderter Objkete: Kunstwerken, Fragmente, Spolien, Kopien, Gemälde, Zeichnungen, Pläne, Statuen, Büsten, Ornamente, Figurinen, Architekturskizzen, Modelle. An die 3000 Objekte umfasst die Sammlung überwiegend ägyptischer, griechischer und römischer Objekte. Und das in einer keineswegs musealen, sondern in einer – zumindest nicht auf den ersten und zweiten Blick – durchschaubaren, rätselhaften Mischung.Die von Museen gewohnte chronologisch-kunsthistorische Ordnung, die sich in jener Zeit in Museen durchsetzt, gibt es hier nicht. Völlig unterschiedliche Dinge halten engste Nachbarschaft, weder nach Größe, Herkunft, Stil oder Funktion vergleichbar.
Tatsächlich gibt es all die einzelnen Funktionen, die man von einem (gutbürgerlichen) Haus erwartet – die wohnlichen Räume, einen Ankleideraum, einen Speiseraum usw., aber auch ein Studio, in dem Soane mit seinen Architekturstudenten arbeitete, die Bildergalerie (picture room), die durch eine ingeniöse Anordnung verschiebbarer und aufklappbarer Wände in einem verhältnismäßig kleinen Raum viele Werke aufnehmen kann, dann aber auch eine Art Binnenhof, monks parlour, der mit einschlägigen Spolien bestückt, Soane als Bühne für gesellige Zusammenkünfte diente. In der 'mittelalterlichen' Mönchszelle - die von manchen Interpreten als Parodie auf die zeitgenössiches Gotik-Mode gedeutet wird -, mit ihren bleiverglasten Fenstern und einer morbiden Ausstattung wie einem hölzernen Skelett, versammelte Soane die Gäste zum Nachmittagstee.
In den sogenannten Katakomben - die ihren Namen nach den in ihnen auf gestellten Aschenurnen erhielten - steht im Zentrum ein römischer Altar des 2. Jahrhunderts nachchristlichen Jahrhunderts. Der Raum enthält aber unter anderem auch Porträtbüsten der Kaiserzeit,  Aschenurnen, von denen eine wiederum aus dem Besitz von Giovanni Battista Piranesi stammt,  Reliefs mit Theatermasken, die aus Pompeji stammen, den Torso einer knieenden Niobide, die römische Kopie eines tanzenden Satyr, zwei ägyptische Stelen der XXII. Dynastie und vieles andere mehr.
Wie in durch Foucalts Zitierung berühmt gewordnen Text Borges’, ist es auch hier so, daß das einzig Gemeinsame der Dinge das Fehlen eben eines Gemeinsamen ist, insofern ist es ein unvollendbares Universum, das erst mit dem Tod des Sammlers zum Stillstand kam.
Wie im ganzen Haus geht es auch hier weder um eine historische, chronologische oder taxonomische Anordnung, sondern um eine ästhetische, um geheime Verwandtschaften und Beziehungen unter den Dingen, die man als Besucher in einer nie enden wollenden Entdeckungsreise zu entziffern – oder einfach zu genießen - aufgefordert ist. Es sind nicht in erster Linie, die Dinge, auf die es hier ankommt, sondern um die Beziehungsmöglichkeiten, die durch ihre Anordnung zueinander, durch ihre Platzierung im Raum und durch die Beziehung zum Betrachter bestimmt werden.
Herzstück des Museums ist The Dome, auch Sepulcral Chamber, Krypta oder Museum genannt, ein durch drei Stockwerke reichender schachtartiger Raum. Als das British Museum seinen Ankauf ablehnte, erwarb Soane den (leeren) Sarkophag Pharao Sethis (oder Sethos) I. - dieser war im Oktober 1817 von Giovanni Battista Belzoni entdeckt und nach London gebracht worden.
Dieser Toten- und Unsterblichkeitsraum im Zentrum des Ganzen ist von Fund- und Sammlerstücken über und über bedeckt und bestückt, wobei er von vielen Seiten her betreten und über eine umlaufende Galerie aus verschiedensten Perspektiven betrachtet werden kann. Hier ist die Lichtregie besonders raffiniert und man muß sich vorzustellen versuchen, daß Kerzenlicht – Soane soll für Gäste Kerzen auch in den Sarkophag gestellt haben - den dicht an dicht arrangierten Objekten einen besonderen Effekt verlieh. So etwas wie einen Nabel des gesamten Ensembles und des gesamten Hauses bildet die Büste Soanes selbst, die auf die auf der gegenüberliegenden Galerie Kopie des Apoll von Belvedere blickt.

Eine Deutung bietet der Kunsthistoriker Donald Preziosi an. Nämlich daß es sich bei begehbaren und bei, z.B. vertikalen, bloß betrachtbaren Raumachsen um freimaurerischen Ritualen folgende Inszenierungen halten, die immer einen Weg der Verwandlung beschrieben, z.B. vom Dunklen zum Licht oder vom Tod zum Leben (wie im Dome). Was hier, extrem vereinfacht zusammengefasst, etwas pedantisch klingen mag, stellt Prezios in den Kontext einer bemerkenswert sicher vorgetragenen erweiterten These auf. Daß nämlich das moderne Museum sowieso eine freimaurerische 'Erfindung' sei. Wofür er etwa das Ashmolean Museum oder Lenoires Musée des Monuments (auf das sich Soane u.a. bezog) als Beispiele nennt - aber auch Soanes Mitgliedschaft und seine architektoniuschen Projekte für die londoner Freimaurer.
Ich bin noch nicht sicher, ob ich Preziosi in dieser Deutung folgen will, aber wenn er damit den Verwandlungscharakter des Museums ins Spiel bringt, kann ich ihm gut folgen. Er rückt damit die zivilisatorische Rolle des Museums der Moderne ins Zentrum und dessen Bedeutung für die Ausbildung, das Prozessieren, das Entwerfen und Erproben individueller wie kollektiver Identitäten ins Zentrum der Museumsidee der Moderne.
Daß das Museum unter anderem 'modern' ist, insofern dies Transformation oder Zivilisierung notwendigerweise immer unabgeschlossen bleiben muß, das macht Soanes kaleidoskopische Maschinerie deutlich.

Samstag, 9. Januar 2010

Musée des Mondes Perdu

Der Zufall eines Wolkenbruches trieb mich eines Herbsttages für einige Augenblicke ins naturwissenschaftliche Museum. Dort verweilte ich aber eine Stunde, zwei Stunden, drei, vielleicht. Monate sind seit diesem unvorhergesehenen Besuch vergangen, doch vergesse ich nicht so bald diese Augenhöhlen, die einen beharrlicher als Augen anblicken, diesen Jahrmarkt der Schädel, dieses mechanische Grinsen auf allen Ebenen der Zoologie. Ich weiß keinen Ort, wo Vergangenheit gegenwärtiger wäre.

Gut möglich, daß sich diese Zeilen E. M. Ciorans auf einen der ungewöhnlichsten und in gewisser Weise auch morbidesten Sammlungsorte weltweit beziehen, auf eine um 1900 entstandene - baulich selbständige(Architekt: Frederic Dutert) - Erweiterung des Pariser Naturmuseums.
Die Galerie de paléontologie et d’anatomie comparée gehört zum Muséum national d’ Histoire Naturelle in Paris. Diese ungewöhnliche Sammlung befindet sich in einem ebenso ungewöhnlichen – im Jardin des Plantes gelegenen - Gebäude das im Zusammenhang mit der Weltausstellung von 1900 errichtet aber bereits zwei Jahre zuvor eröffnet wurde.
Diese Sammlung, für sich schon und erst in dieser wissenschaftlichen Paradigmen der Zeit folgende Aufstellung einzigartig und bizarr, erhält durch ihre architektonische Rahmung eine zusätzliche Anmutungsqualität, für die man auch als Nichtexperte empfänglich ist.

Im zweigeschoßige Gebäude, dessen Stahl-Glaskonstruktion mit ihrem Belle Epoque-Dekor zu den Exponaten einen merkwürdigen Gegensatz bildet. sind mehrere ‚Galerien’ untergebracht: Die paläontologische Galerie beherbergt eine Sammlung fossiler Wirbeltiere und wirbelloser Tiere, eine Sammlung, die über 600 Millionen Jahre biologische Geschichte visualisiert, die Galerie der vergleichenden Anatomie eine riesige Skelettsammlung von etwa 10.000 Objekten, die klassifiziert und geordnet zwischen umlaufenden Schaukästen frei aufgestellt einen einzigartigen Zug der toten Lebewesen bildet.

Während wir von Naturmuseum gewohnt sind, daß uns eine kunstvolle technische Lazarisierung über die Abwesenheit von Natur täuscht, wird uns hier in schroffer und direkter Konfrontation die Tatasache bewußt, daß gerade im Naturmuseum die Bedingung der Musealisierung der Tod der Dinge ist, in diesem Fall und genauer, der Tod, der das organische Leben zu Exponaten tauglich macht.

Lassen wir Leon-Paul Fargue das letzte Wort, der diese Galerien als Musée des Mondes Perdues beschreibt:
...Diese drei kleinen farblosen Flaumfedern, denen ähnlich, die sich, wie wir glauben, von den Tauben gelöst haben und im Frühling in den Spinngeweben der Sonne schweben, welche ehrfürchtige Hand hat sie eingerahmt, welche sonderbare Einbildungskraft »Dinornisfedern« getauft? Besaß nicht der Herzog von Berry, der Bruder von Charles v., in seinen Sammlungen eine Feder des Engels der Verkündigung?...
Es ist hier, in diesen Galerien, daß die Kraft und der Charme der ‘Schöpfung’ auf die seltsamste Weise zum Ausdruck kommen, durch die ergreifende und geheimnisvolle Poesie des unendlich Großen und des unendlich Kleinen, aber in einer Art Beklemmung und Zweifel. Wo und wie wird eines Tages die seltsame Gestalt dieses unkenntlichen Tieres zum Vorschein kommen, das so langsam über den verborgenen Grund des Planeten dahinwandert?...

Dienstag, 5. Januar 2010

Das Art / Brut Center in Klosterneuburg-Gugging

Der ab 1946 an der Niederösterreichischen Landesnervenklinik in Klosterneuburg-Gugging tätige Psychiater Leo Navratil nutzte die diagnostische und therapeutische Bedeutung des Malens, Zeichnens und Schreibens seiner Patienten. Seine Anregungen und Erfahrungen führten zu einer öffentlichen Präsentation der entstandenen Arbeiten im Kunstkontext, wie in der Wiener Galerie nächst St. Stephan und schließlich zu deren Anerkennung als Kunst und der Patienten als Künstler.
Diese sogenannte zustandsgebundene Kunst (das ist der damals gebräuchliche Begriff) inspirierte viele bildende Künstler und erhielt große Anerkennung. Museen und Galerien kauften und stellten Werke der Künstler aus Gugging aus. 1981 war die Gründung des Zentrum für Kunst- und Psychotherapie (des Hauses der Künstler) ein konsequenter Schritt.
1994 wurde eine kommerzielle Galerie eingerichtet, die heute noch besteht, aber integriert in dem auf der Basis einer Privatstiftung agierenden art / brut centers (seit 2006), zu dem auch das Haus der Künstler und ein Museum gehören sowie ein offenes Atelier, Bibliothek etc. Mit der Gründung des Centers fand ein Wechsel der Verortung der Arbeiten der Gugginger Künstler statt, nämlich definitiv im Feld der Kunst, zu deren Spielart, Art Brut, sie einen der wesentlichen Beiträge geleistet hätten und noch leisten.
Das Museum zeigt wechselnde Ausstellungen, die aus den umfangreichen Sammlungsbeständen und Leihgaben bestritten werden aber auch eine stetige Präsentation einer Auswahl wichtiger Werke der namhaften Künstler.
Es gibt auch Kritik am Art / Brut Center, an seinem Kunstbegriff, an den Produktionsbedingungen und am therapeutischen Wert seiner Arbeit.
Andrerseits schien mir der Umgang mit den Künstlern in der ungemein beeindruckenden Eröffnungsausstellung sehr respektvoll und klug zu sein. Man vermied jede Charakterisierung der Personen über ihre Erkrankung und damit jede Interpretation im Sinn einer kausalen Beziehung von Krankheit und Kunst. Stattdessen gab es sehr liebevoll beobachtete und verfasste Texte zur Arbeitsweise der Künstler.
Sicher, was für Museen gemeinhin gilt, gilt hier besonders: das Museum in Gugging erlaubt einen gefahrlosen, distanzierten Blick auf das 'Andere', das auch uns Bedrohende und Gefährdende. Das Subversive dieser Kunst, mit der das Art / Brut Center argumentiert und wirbt, ist durch Musealisierung weitgehend entschärft. Das gilt allerdings auch für das Meiste an Moderner Kunst. Aber es bietet auch eine - ich spreche aus der eigenen Erfahrung vieler Besuche - tief bewegende Möglichkeit, sich diesem Anderen auszusetzen.

Abbildungen (G.F.):  Raum im Museum des Art/Brut Centers mit Werken von August Walla und ein Werk von Rudolf Horacek, das das Center im Marketing einsetzt.

Dienstag, 29. Dezember 2009

Hausgreuel und weithergeholte Phantasiegestaltungen. Das Berliner Museum der Dinge informiert, warnt und - amüsiert mit Bösen Dingen

In einer seiner Geschichten läßt Bohumil Hrabal einen seiner Protagonisten endlos und kreuz und quer durch den schier unermesslichen Wald von Kersko wandern. Die bemitleidenswerte Ruhelosigkeit findet gegen Ende der Geschichte eine Erklärung. Er, erklärt der Wanderer dem Autor, habe es zu Hause nie ausgehalten, und zwar der Dinge wegen, die ihn immer unverzüglich aus dem Haus getrieben hätten.
Gut möglich, daß es sich um Dinge handelte, die Gustav Pazaurek sammelte, um in seinem Museum eine Schreckenskammer der Bösen Dinge einzurichten.
1909 eröffnete der Direktor des Stuttgarter Landesgewerbemuseums, Gustav E. Pazaurek, eine "Abteilung der Geschmacksverirrungen", der eine Theorie und Systematik zugrundelag, die er 1912 unter dem Titel "Guter und schlechter Geschmack im Kunstgewerbe" veröffentlichte. Dem pädagogischen Impetus auf die Spur setzt sich ein Museum, das als Werkbunbdarchiv immer schon einer pädagogischen Aufgabe verpflichtet war und das als Museum der Dinge über Jahre hinweg, in Ausstellungen und Publikationen, eine hohe und originelle Ding-Kompetenz erarbeitet hat.
Die - nur noch bis 11.1.2010 laufende - Ausstellung ist ein wunderbares Beispiel für die Arbeit des Museums. Sie knüpft an die Tradition des Werkbundes an (wie schon gesagt), recherchiert, historisiert und rekonstruiert - aber das nicht affirmativ, sondern als Rekurs, der neue Fragen und Themen aufzufinden hilft. Denn Pazaureks Schreckenskatalog der Hausgreuel und anderer Geschmacksgemeinheiten ist überholt, von der Entwicklung des Designs ebenso, wie vom veränderten Dinggebrauch und selbstverständlich aufgrund des gegenüber der Jahrhundertwende verschobenen sozialen und ästhetischen Kontextes.
Das Museum der Dinge erweitert die Kategorisierungen, ergänzt aus seiner Sammlung, generiert neue Fragen, regt zur Diskussion an - über Geschmack, Gestaltung, Gebrauch, Zweckmäßigkeit und Schönheit, individuelle wie kollektive Anmutungen an Dinge im Alltag. Pazaureks Ernst wird mit Ironie wohltuend etwas entschärft.
Überdies ermutigt das Museum seine Besucher, seine Community, selbst etwas beizusteuern, Dinge wie Thesen, Beobachtungen wie Geschichten, und das ergibt eine kleine Trabantenausstellung, die ihrerseits die Debatte revidiert, weiterführt, erweitert.
So einfach kann gute, inspirierende Museumsarbeit sein.

Museum der Dinge - Ausstellung Böse Dinge - Nina Gorgus zur Ausstellung Böse Dinge

Museo della Civiltà Romana

Das Museo della Civiltà Romana gehört zum Kuriosesten, was ich unter Museen kenne. Das riesige Museum besteht fast ausschließlich aus Repliken, Modellen, Abgüssen und veranschaulicht mit ihrer Hilfe das, was in Museen eher selten zu sehen ist: die zivilisatorische Seite der geschichtlichen Entwicklung. Das Römische Reich war bekanntlich gerade in dieser Hinsicht sehr nachhaltig wirksam. Rechtssprechung, Straßenbau, Verwaltung uvam. bilden bis heute wirkende Grundlagen der europäischen Geschichte. Davon erzählt das Museum.
Wir finden in den weiten Sälen daher kaum etwas zur politischen Geschichte und wenig zu Kunst und Literatur – es sei denn, sie taugen als Zeugnisse für materielle Verhältnisse, Organisation des Handels und einschlägige Bauten, militärische Bauwerke, Häfen, Brücken, Straßen, Bäder, Aquädukte, Hausbau, Tempelbau, Medizin, Pharmazie und so weiter. Ein Highlight ist ein riesiges Modell des antiken Rom, das zwischen 1933 und 1937 hergestellt wurde.
Das Museum steht in einer langen Tradition der Instrumentalisierung des Römischen Reiches für jeweils aktuelle politische Zwecke: 1911 wurde eine archäologische Ausstellung in den Diocletians-Thermen veranstaltet. Der Anlaß war der 50. Jahrestag der Italienischen Einheit. 1929 wurde das aus unter anderem für diese Ausstellung hergestellten Modellen und Repliken geschaffene Museo dell'Impero Romano eröffnet, als ein Archiv und Studienzentrum der Römischen Welt. Daß sich der Italienische Faschismus der Geschichte des Römischen Reiches bemächtigte, ist nicht überraschend. Im zu diesem Zweck umgebauten, aus dem 19. Jahrhundert stammenden Palazzo delle Esposizioni wurde 1937 eine Augustus-Ausstellung, Mostra Augustea della romanità, ausgerichtet.
Für 1942, zur Feier von zwanzig Jahren Faschismus in Italien, sollte endlich ein permanentes Museum die diversen Sammlungen zusammenfassen. Die Errichtung eines Museumsbaues (Architekt: Pietro Aschieri) war im Komplex der Esposizione Universale di Roma (der von Mussolini geplanten Weltausstellung) vorgesehen, stockte wegen des Krieges und wurde nach 1945 mit finanzieller Unterstützung des FIAT-Konzerns fertig gebaut und eingerichtet. 1952 gab es eine Teileröffnung, das gesamte Museum war ab 1955 zugänglich.
Über den historischen, politischen und städtebaulichen Kontext schweigt sich das Museum weitgehend aus. Die heutige Benennung des auf den faschistischen Stadtplan zurückgehenden Bebauung, Quartiere XXXII. Europa, tilgt ebenfalls die Geschichte. Dabei ist das Umfeld, die modernen Nachkriegsbauten und die bis 1942 realisierten Bauten der EUR, interessant, allen voran der Bau, der dann die Zivilisationsgeschichte bis zum Faschismus zeigen sollte, der Palazzo della Civiltà Italiana.

Samstag, 12. Dezember 2009

Ein Tollhaus als Museum

Das Nationaal Museum van de Psychiatrie in Haarlem ist in einem Gebäudekomplex untergebracht, der 1320 nach und nach entstanden ist, und Lepra- und Pestranke sowie ‚Geisteskranke’ aufnahm. Das erst 2005 eröffnete Museum, das kurz Het Dolhuys genannt wird, besticht durch sein Konzept und seine Gestaltung.

Der labyrinthische Gebäudekomplex wurde, ohne große bauliche Eingriffe, geschickt genutzt, um die unterschiedlichen Aspekte von ‚Geisteskrankheit’ zu thematisieren. Ihre Geschichte, ihre Wissenschaft, die Formen der Therapie. Im Zentrum steht die Frage der gesellschaftlichen Definition des ‚Abweichenden’, mithin der – sich permanent wandelnden – Grenzziehung zwischen Normalität und Wahn.

Den Auftakt bildet deshalb eine einfache aber sehr wirkungsvolle Installation, die den Besucher buchstäblich in den (niederländischen) Statistiken diverser Krankheitsbilder spiegelt, und animiert, sich zu fragen, wer denn überhaupt ausgenommen werden kann aus den Zuschreibungen einer (Geistes)krankheit und damit, wo ich mich situiere.

Eine von fünf Personen in den Niederlanden hat ein psychisches Problem. Damit sind wir übrigens nicht verrückter als der Rest der Welt. Fast alle kennen wohl eine Person, die an Depressionen, Burn-out oder Alzheimer leidet, heißt es auf der Webseite des Museums.

Der Kunstgriff des ersten Museumsraumes ist, den Besucher des Museums als fragendes und mit schwankender, unsicherer Identität ausgestattetes Subjekt auf den Museumsrundgang zu schicken. So wird er in den gleich folgenden Räumen, wo ihm aus altem Mobiliar Stimmen von Betroffenen entgegentönen, nicht unbedingt zu einem Voyeur, sondern zu einem sich selbst befragenden Gegenüber. Das gilt auch für den gestalterisch auffallendsten Raum, in dem Figurinen versammelt sind, deren Köpfe durch bestimmte Leiden symbolisierende Objekte ersetzt ist. So wird auf zugleich witzige, anschauliche aber auch Empathie ermöglichende Weise über Formen der Depersonalisierung erzählt.

Die Gestaltung durch shooting stars des niederländischen Ausstellungsdesigns Kossmann-deJong ist ausgesprochen erfrischend, klug mit den Fragestellungen und Themen kooperierend und im Detail sehr originell: Besonders in Erinnerung geblieben sind mir die reichliche Verwendung alten Mobiliars und die hybriden Kreuzungen unterschiedlichster Sessel, Tische und Lampen, sowie Bricollagen aus antiquierten Möbeln, in die moderenste Technik gepackt wurde. Noch nie habe ich eine so annehmbare und amüsante Verpackung für die leidigen Computer-Monitore gesehen.
Das Museum ist modellhaft in der unangestrengten Verknüpfung von Information und Unterhaltung, Wissenschaft und Visualisierung.

Dienstag, 8. Dezember 2009

Wann ist Museum? - Das Felder-Museum in Schoppernau

Die über den Begriff Museum wachende Grenzpolizei würde dieses Museum sicher nicht durchgehen lassen. So wenig ‚Museum’ war nie. Ein einziger schmaler Raum, einige wenige unspektakuläre Objekte und zu einer einzigen Flachwaren-Wand zusammengefasste Texte und Illustrationen.

Das soll ein Museum sein? Dieses Felder-Museum in Schoppernau?
Franz Michael Felder war ein sozial und politisch äußerst engagierter Schriftsteller, der Zeit seines kurzen Lebens (er starb mit 29) von Konservativen und Klerikalen massiv angegriffen wurde. Sein Kampf gegen die destruktiven und existenzbedrohenden Tendenzen der Industrialisierung und wirtschaftlichen Konzentration wird bis heute durch einen Verein und ein  Archiv (innerhalb des Vorarlberger Landesarchivs) in Erinnerung gehalten.

Die Qualität des kleinen Museums im Geburtsort Felders, Schoppernau (Bregenzerwald; Vorarlberg), liegt in der exzellenten Information.

Ja sicher, das widerspricht allen Regeln: im Stehen muß man an einer meterlangen Wand entlang lesen und lesen... Aber der Text ist vorzüglich und bahnt einem rasch und präzise eine Vorstellung von Biografie, Politik, Lebensweisen und verknüpft das Regionale mit den großen sozialpolitischen Fragen des 19.Jahrhunderts. Das Lesevergnügen und die Informativität werden von einer selten so durchdachten grafischen Gestaltung unterstützt. Die Gliederung der Texte, die Wahl der Schrifttypen, der Umgang mit den illustrativen Bildrepliken läßt einen vergessen, daß man grade dabei ist, sich entlang einer ‚Textwüste’ entlangzuarbeiten, also sich in einem eigentlich ‚unmöglichen’ Museum befindet.

Und dann: das Museum liegt im oberen Stockwerk eines für den Bregenzerwald typischen gleichermaßen traditionsbewußten wie modernen, unprätentiösen Baues mit gemischter Funktion. Zu einer Art Ortszentrum wird das Haus auch durch die kleine kommunale Bibliothek, die ohne jede Barriere an das Museum anschließt.

Als ich das Felder-Museum besuchte, herrschte in der Bibliothek reges Treiben, spielende Kinder und stöbernde Erwachsene kontaminierten den Einraum des Museums mit einer Lebendigkeit, die man viel ‚richtigeren’ Museen oft wünschen würde.

Ja, was ist ein Museum, und wann ist Museum?

Sigmundskron - Ein Museum als Bergwanderung

Nach der Beendigung seiner Karriere als Extrembergsteiger hat sich Reinhold Messner dem Museumsgründen zugewendet. Fünf Museen dürften es derzeit sein, die er gegründet hat, aber er hat noch weitere Pläne.
Das Land Südtirol unterstützt ihn, denn anders wäre es nicht denkbar, daß er das Schloß Sigmundskron (im Süden von Bozen gelegen, nahe der Ortschaft Firmian) – ein besonderer Gedächtnisort Südtirols - in (s)ein Museum umwandeln durfte.
Um es gleich zu sagen: das Museum ist nicht wegen der Sammlung (der privaten Messners) interessant. Dazu ist die Sammlung zu heterogen und zu wenig spektakulär. Und es ist auch nicht wegen des Austellungskonzepts sehenswert. Im Gegenteil. So etwas wie ein Narrativ, eine erkennbare Strukturierung gibt es kaum. Alles kreist um das Bergsteigen, vor allem – Messners Verständnis gemäß -, als spirituelle Grenzerfahrung.
So kommt es zu verblüffenden Nachbarschaften von Gerätschaften und religiösen Fetischen, von modernen Gemälden und Berg-Dioramen, kleinen verrätselten Interventionen und auftrumpfender Selbstdarstellung.
Unterfüttert ist das Ganze mit massenhaft ausgestreuten Zitaten, Merksätzen, Philosophischen Brosamen, die, beliebig platziert im oft unsäglich banal vergeblich Autorität durch die Nennung der Autoren erheischen.
An dieser Sammlung flaniert man mit einer Mischung aus Verwunderung, Befremden, Unverständnis und – manchmal - Neugier vorbei.
Dafür würde sich ein weiter Weg nicht lohnen.
Das Aufsehenerregende ist die Burg selbst, ihre Lage, die einen spektakulären 360-Grad Rundblick erlaubt und vor allem die die Ruine überbauende und sie durchziehende Architektur des Architekten Werner Tscholl.
Die Abstraktheit der Baukörper und das Material – rostiger Stahl – bilden einen scharfen Kontrast zur Ruine. Moderne Treppen, Stege, Plattformen, Gehäuse bilden zusammen mit der alten Architektur einen beinahe geschlossenen Rundgang an. Und dieser ist nichts weniger als eine veritable Bergwanderung, mit ausgesucht schwindelerregnden Tiefblicken, ausgesetzten Wegstellen, überraschenden Durch- und Fernblicken und einem beachtlichen Höhenunterschied, den man zu bewältigen hat, wenn man jedem möglichen Weg folgt. Wer sich in den Genuss des Gehens und den der Sammlung vertieft, der kann schon zwei, drei Stunden wandernd unterwegs sein. Der Genuß dabei liegt im durchqueren höchst unterschiedlicher Räume, Binnenräume des Burgmuseums und Außenräume, die sich immer neuen Blicklenkungen fügen, in raffiniert inszenierten Rahmungen, Durchblicken und kulissenhafter Verschränkung von Innen und Außen.
Ein Museum als Bergwanderung.