Freitag, 18. Dezember 2009

Museumskonsum für alle. Eine Zukunft des Museums

Für ihren (für mich vorbildlichen) Blog liest Nina Gorgus heute denselben Text in der Neuen Zürcher Zeitung, der mir heute Morgen auch aufgefallen ist. Ihr gefällt an dem Artikel die von Marktforschung und kostenlosem Zutritt unterstützte Offenheit des Konzepts des Victoria & Albert Museum, zum Beispiel die Öffnung für ganz bestimmte Besucherschichten, die mit maßgeschneiderten Angeboten angesprochen werden: Chinesische Besucher mit dem Event 'Chinesisches Neujahr', junge Leute mit Design-Ausstellungen über Pop-Stars wie Kylie Minogue.
Mir fällt auf, daß der Artikel von Marketing, Event und dem Bemühen spricht, mit der Konsumgesellschaft Schritt zu halten. Die Renovierung ganzer Galerien, architektonische Erweiterungen und Umbauten, die Erweiterung und Erneuerung all jener Bereiche, die dem Wohlgefühl der Besucher dienen  - man will jung, chic und innovativ sein - wie Eingangsbereich, Café, Garten, Shop signalisieren Aufbruchstimmung.
Diese Schlagseite bei der Vorstellung des Museums mag ausschließlich dem Artikel geschuldet sein, somit auch das Fehlen fast jeden Hinweises darauf, was sich denn inhaltlich am Museum verändert hat. Daß es solche konzeptuelle Änderungen geben muß, darauf weist Nina Gorgus mit Hinweis auf die Webseite des Museums hin.
Die Überschrift des Berichts in der NZZ lautet Kultur für alle. Museumsmarketing am Beispiel des auf internationales Kunsthandwerk spezialisierten Victoria & Albert Museum in London. Das impliziert eine weitreichende Schlußfolgerungen. Nämlich, daß all die genannten, unter dem Begriff des Marketing fassbaren Maßnahmen ein kulturpolitisches Ziel haben: Die Beteiligung aller an Kultur, an Museumskultur.
Dem widerspricht selbst der Artikel schon. An der Zusammensetzung des Publikums - Mittelklassenpublikum mittleren Alters - hat sich wahrscheinlich nichts geändert, meint der Direktor des V & A.
Kultur für alle war ein politisches Schlagwort des sozialdemokratischen Aufbruchs der 70er-Jahre. In Österreich am Beginn der Kanzlerschaft von Bruno Kreisky fassbar an soziologischen Studien zum 'Kulturverhalten' der Österreicher, denen kaum praktische kulturpolitische Konsequenzen folgten.
In Deutschland am nachhaltigsten wirksam war derselbe Imperativ im Frankfurt des Kulturdezernenten Hilmar Hoffmann, der 1979 einem Buch den Titel Kultur für alle gab. Dieser Kulturpolitik ist zum Beispiel das bedauerlich kurzlebige (und heute vom Museum selbst schamhaft verschwiegene) Experiment eines Museums zu verdanken, das sich inhaltlich, gestalterisch und didaktisch der Idee stellte, die Grenzen von Hochkultur und kleinbürgerlich-proletarischer Kultur aufzulösen. Ich spreche vom Historischen Museum, dessen Beispiel seither niemand mehr aufgegriffen hat.
Freilich war schon damals abzusehen, wie schnell diese Konjunktur der Kulturpolitik zwei nachhaltige Effekte hatte: Die Öffnung der Kultur für einen Markt, dessen einzige und fragwürdige Egalität in der Konsumierbarkeit der 'Kulturgüter' lag und - die Instrumentalisierung der Kultur für die Politik. (Vgl. auch den Post "Bildungsauftrag").
Unter diesen Bedingungen konfiguriert sich eine strukturelle Funktion von Museen neu: die der Weitergabe kultureller Werte. Wenn man Diskussionen und Maßnahmen einseitig nur auf die Kommunikation solcher Werte legt (wie es Museumsmarketing impliziert) und sich mit abstrakten Leerformeln begnügt (für alle...), dann bleibt die Frage nach den Werten und dem, was zu welchem Zweck vermittelt werden soll selbst ungestellt. Werte und Bedeutungen werden als museale wie gleichsam immerwährend und ewiggültig vorgestellt und es unterbleibt der Prozess der Prüfung, ob das 'Erbe' angenommen oder zurückgewiesen und kann und wie und zu welchem Zweck es bewahrt und ausgestellt werden soll.
Es bleibt in der Folge auch die Geltung der Werte innerhalb einer hegemonialen Kultur- und Museumspolitik vollkommen ausgeklammert. Also die Frage, wer in wessen Namen für wen und mit welchen Absichten eigentlich welche Werte propagiert und als herrschend deklariert. In westlichen Industriegesellschaften, in denen der stärkste gesellschaftliche Zusammenhalt durch den universal-egalitären Konsum garantiert wird, ist eine politisch wichtige Frage, wie zusätzlich stabilisierende kulturelle Werte und Normen aufrecht erhalten werden können. Die Erzeugung und Zirkulation von common objects war immer eine Aufgabe von Museen, aber eingebettet in ein demokratisch-zivilgesellschaftliches Verständnis vom Projekt Museum.  Das heißt, daß diese 'Allen', die angesprochen werden sollen, dort eben nicht nur als Konsumenten verstanden wurden, sondern als Produzenten ihrer kulturellen Umwelt als Teil bürgerlicher Öffentlichkeit.
In der Orientierung an Marketing, Dienstleistungen und Kunden geht der im Kern demokratische, diskursive und partizipatorische Imperativ des Museums allmählich verloren und verschwindet auch aus dem museologischen Alltagsdiskurs.
Mit dem Artikel der NZZ traue ich mir keine so weitreichende Schlußfolgerung zu, daß das Neue an der 'Philosophie' des Londoner Museums, ausschließlich in der Entwicklung einer immer raffinierteren Vermarktung liegt. Der Slogan Kultur für alle läßt sich mit Sicherheit nicht auf die britische Museumssituation anwenden. Der Text spiegelt möglicherweise eine Haltung der medialen Wahrnehmung von Museen wieder, die sich leider an der Ökonomisierung der Kultur und ihrem speziellen wording mehr und mehr orientiert.
Aber an der Frage sollte man festhalten und daran das reale Victoria & Albert Museum messen (und andere, die solche Wege wie das Museum als Marke gehen auch). Etwa so: Warum sollen Museen mit der Konsumgesellschaft Schritt halten und was bedeutet das für den Wandel des Museums?

1 Kommentar:

  1. Ich habe den Artikel dazu genutzt, mich wirklich mal auf den Seiten des Museums umzusehen - und die sind äußerst vielversprechend. Mir gefällt etwa das mission statement in der Rubrik about aus:
    "The purpose of the Victoria and Albert Museum is to enable everyone to enjoy its collections and explore the cultures that created them; and to inspire those who shape contemporary design.

    All our efforts are focused upon a central purpose - the increased use of our displays, collections and expertise as resources for learning, creativity and enjoyment by audiences within and beyond the United Kingdom.

    Und wenn man genauer schaut, dann erfährt man auf den Seiten schon sehr viel über Sammlungen und Forschung am Museum - und nicht nur in der Objektdatenbank. Für mich geht es hier in der Hauptsache um Inhalte - rein von weitem betrachtet (Auch wenn der Artikel in der NZZ mehr auf das Marketing abhebt, was ich etwas überlesen habe). Ich glaube, es ist auch nicht so sehr die Frage der raffinierteren Vermarktung, die im Zentrum steht, sondern das Bewusstsein, dass man ein Kulturerbe verwaltet, dass der Gesellschaft gehört - und dass diese deshalb auch davon profitieren sollte. Muss!(und das kann ruhig ein bißchen dekorativ und strategisch verpackt werden)
    - Ich muss des öfteren noch an meinen ersten Job in einem Museum denken, in dem ein Kustode eher Angst vor Besuchern hatte - weil das Parkett und die ausgestellten Objekte könnten ja darunter leiden.

    AntwortenLöschen