Samstag, 10. September 2011

Bildungsauftrag

Bei der Lektüre einer Onlinepublikation stolpere ich über das Wort. BILDUNGSAUFTRAG. Ein Wort, das gut ein Unwort des Jahres abgeben könnte. Den Bildungsauftrag, den hat wer? Den haben Museen. Auch in Zukunft. Bezeichnenderweise, so lese ich nämlich, habe der Deutsche Museumsbund 2006 und 2007 gerade den Bildungsauftrag als zukunftsweisende Aufgabe der Museen bezeichnet.
Wer hat beauftragt? Wer soll gebildet werden? Von wem? In wessen Namen? Wer autorisiert sich? Wozu? Geht es um ein egalitäres oder hegemoniales Projekt?

Worum geht es, wenn Bildung in den Mund genommen wird? Um das qualitative, nachhaltige Besuchererlebnis, um abwechslungsreiche und individuelle Aneignungsprozesse. Oft schon gehört. Und seit langem.
Ein Repertoire von Schlagwörtern, das seit den 70ern kursiert. Warum muß noch immer davon geredet werden? Weil der Auftrag nicht ausgeführt wurde? Warum ist er dann aber zukunftsweisend? Weil dessen Erfüllung, wenn er in die Zukunft verschoben wird, nicht jetzt und aktuell ernstgenommen werden muß? Zukunftsweisend? Weil bislang nichts geschehen ist? Weil er weder in der Gegenwart noch in der Vergangenheit eingelöst wurde? Andernfalls wäre er eine Selbstverständlichkeit und müsste nicht immer wie ein Mantra wiederholt werden, oder?
Das repetitive Wiederholen von Bildungsauftrag ist das zentrale Legitimationsritual der Museumspädagogik. Sie rückt Bildung in die Nähe von Unterricht, Lehre, Unterweisung, Anleitung. So lange der Mangel an Bildung durch das Museum andauert, ist man als Pädagoge des Museums unentbehrlich und berechtigt. Einerseits.
Andrerseits, dort, wo der Bildungsauftrag als gegenwärtig und zukünftig angerufen wird, als etwas erst Herzustellendes, erst Auszufüllendes, geht das Bewußtsein dafür verloren, daß Bildung strukturell sowieso zum Museum gehört. Muß man die Feuerwehr daran erinnern, daß sie Brände löschen soll?
Es geht die Erinnerung daran verloren, daß das Museum und seine Aufgaben eine Geschichte haben. Es geht damit die Erfahrung von Differenz verloren, aus der doch die Frage nach dem Bildungsauftrag möglichweise ganz anders gestellt und beantwortet würde.
Freilich wird am Beginn dessen, was wir unter Museum verstehen, das was in der deutschen Sprache Bildung genannt wird, universaler verstanden als in den einschlägigen Museumsdebatten. Nämlich als Zivilität stiftende soziale Praxis, in die identifikatorische und reflexiv-öffentliche Prozesse ineinandergreifen, in der sich Bürger mit dem demokratischen Nationalstaat identifizieren und der Staat seinerseits das Museum als öffentliches unterhält und betreibt.
Er garantiert damit, daß es einen Ort der kollektiven wie individuellen Selbstverständigung gibt, der Weltbemächtigung, der rituellen Erneuerung der Gemeinschaft im Medium der gesammelten und ausgestellten common objects.
Wie sehr dieses wohlfahrtstaatliche (der Staat finanziert und administriert zum Wohle aller...) Konzept des Museums (das derzeitig gewaltig unter (Spar)Druck steht) mit der Idee der Demokratie verknüpft ist und ihr - gewaltfrei und diskursiv – zuarbeitet, läßt sich an der Genese des Museums in der Französischen Revolution ablesen.
Die Verfassung, die am 10. August 1793 feierlich deklariert wird verankert das uneingeschränkte Recht auf Bildung für jedermann. Freilich steht dort, im ersten Satz (dieser ältesten europäischen demokratischen Verfassung) anstelle von Wohlfahrt oder Bildung ein anderes Wort: Glück.

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