Donnerstag, 28. März 2013

Warum Museen? (Das Museum lesen 31)

Es gibt Texte, die Lücken lassen, in die man sich mit seinen eigenen Assoziationen - auch manchmal gegen die Argumentation des Autors - vortasten kann und muss. Leerstellen, Brüche, Widersprüche einer Argumentation sind dann paradoxerweise keine Schwächen sondern Einladungen, das Gedachte, wenn die Thesen stark und riskant sind, weiter zu entwickeln, von ihm wegzudriften, neue Abzweigungen zu eröffnen.
Ein solcher Text ist Boris Groys kaum mehr als eine Seite langer Text mit der bombastischesten aller museologischen Fragen "Warum Museen"?
Ich stelle hier in noch mal kürzerer, aber hoffentlich nicht verkürzter Form seine Thesen dar - als Anregung seinen Text im eben erschienenen Lettre International nachzulesen (Heft 100, 2013, S.140f.).

Museen verlieren ihre "traditionelle gesellschaftliche" Legitimation, die bislang (Groys spricht nur von Kunstmuseen) in ihrer Privilegiertheit lag, über Kunst zu informieren. Dieses Informationsmonopol wurde vom Internet gebrochen, wobei der offensichtliche Verlust von Aura und Originalität nicht zu beklagen sei, weil er längst schon durch "Museifizierung" stattgefunden habe.
Warum haben die digitalen Medien das Museum aber nicht schon längst besiegt? Im Gegenteil, immer mehr Museen entstünden - gerade für zeitgenössiche Kunst und auch herkömmliche Museen zeigten immer mehr zeitgenössiche Kunst.
Museen zehren zwar nicht mehr von ihrer Funktion der Information über Kunst, die auf das Internet übergegangen ist, sondern von jener Individualität, die gerade durch den Vergleich der Museen untereinander, der ja durch ebenfalls das Internet ermöglicht werde, wichtig werde. "Mit anderen Worten: Die Museen stellen heute nicht mehr Kunst aus, sondern sich selbst; sie präsentieren ihre eigene Selektivität, ihre eigenen Auswahlstrategien."
Damit sei auch klar, warum Musen für zeitgenössiche Kunst so attraktiv werden. Ältere Kunst sei "fixiert" (Groys verwendet nicht das Wort Kanon), zeitgenössische Kunst nicht. Anders gesagt, das Museum ist nicht mehr normativ, aber es gibt ein Modell dafür ab, wie man (s)eine individuelle Wahl treffen kann. "Das Interesse des Betrachters verschiebt sich hierbei vom individuellen ausgestellten Objekt zu der Art und Weise, in der es vom Museum kontextualisiert und historisiert wird - und zu der Frage, warum es überhaupt in die Ausstellung aufgenommen und nicht von ihr ausgeschlossen wurde."
Was aber ist immer noch so attraktiv an "Objekten"? Groys zieht dazu die Unterscheidung von heissen und kalten Medien zu Rate, die er von Marshall McLuhan übernimmt. Ausstellung seien "in der heutigen Zeit" ein heißes Medium. "Denn sie verschiebt die Aufmerksamkeit des Besuchers vom konzentrierten Betrachten auf den Kontext, die Organisation und die Architektur des öffentlichen Raums, auf Strategien der In- und Exklusion usw. (...) Deshalb ist die Kunstausstellung in der Lage, alle Formen von "heißen" Medien - Texte, Filme, Videos, Musik oder einzelne Bilder - einzubeziehen und "herunterzukühlen", das heißt den Blick der Besucher für den sozialen und räumlichen Kontext zu öffnen, in dem sich ihre Körper bewegen."
Diese Theatralisierung des Museums, um die "abgekühlten" Medien herum, stifte eine besondere Art von Gemeinschaft, wie sie typisch sei für die "Massenkultur" der Gegenwart, "...Gemeinschaften jenseits jeder gemeinsamen Vergangenheit - bedingungslose Gemeinschaften eines neuen Typs."
Während einer Kinovorführung oder einem Popkonzert ist der Blick nach vorne gerichtet und der Raum, in dem man sich befindet, wird nicht ausreichend wahrgenommen und als Bedingung der Gemeinschaft nicht reflektiert. Ausstellung (Groys schränkt wiederum ein: auf dem Gebiet der bildenden Kunst) bieten diese Reflexion. Die relative räumliche Trennung des Besuchers / Betrachters "bedeutet hier keine Abwendung von der Welt, sondern die Delokalisierung, Deterritorialisierung temporärer Gemeinschaften der Massenkultur, die ihnen hilft, sich a l s Gemeinschaften zu reflektieren, indem sie ihnen Gelegenheit gibt, sich selbst zu präsentieren. Indem sie alle anderen Medien "herunterkühlt", bietet die heutige Ausstellungspraxis der bildenden Kunst den Besuchern die Möglichkeit zur Selbstreflexion - und die Reflexion des unmittelbaren Kontextes ihrer Existenz, die andere Medien ihnen nicht im selben Maß bieten können."

Groys Überlegungen haben einige überraschende, ohne Umschweife auf gegenwärtige Entwicklungen gut passende Aspekte. Und die Einwände liegen auf der Hand: findet nicht auch im Feld der zeitgenössischen Kunst eine fortschreitende Kanonisisierung statt, die einschlägige Museen und Kunthallen so austauschbar werden läßt? Ist die Fokussierung, das Sich-Versenken ins einzelne Werk (dem "kalten" Medium) tatsächlich verschwunden oder gibt es nicht Ausstellungstypen, die das wiederum forcieren? Ist die "Theatralsierung" des Museums (unter den Stichworten Performativität oder Ritualisierung längst Gegenstand der museologischen Theorie), wenn man sie z.B. auf die Architektur bezieht (wie es Groys auch, aber nicht ausschließlich tut) nicht so alt wie das Museum selbst und stand diese nicht immer auch im Dienste des Gemeinschftstiftenden. Und last but not least: vor welcher gesellschaftlichen Veränderung vollzieht sich dieser Wandel des Ausstellens denn? Und wie hoch ist die Bedeutung einer bildungselitären Arkanpraxis "Museumsbesuch" denn jenseits der vier (weissen) Ausstellungswände?

Wie mir scheint - ein interessanter Text!







Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen