(...)
Jemand geht in eine Ausstellung vermutlich mit dem Wunsch, etwas zu sehen, was
man noch nicht kennt. Meistens ist der Anlass ein nicht genau definiertes
Begehren. Dann kommt es darauf an, wie weit man sich von dem Gesehenen überraschen
lassen kann. Können wir den
Wunsch durchhalten, wenn sich vom Bild her gesehen nicht alles gleich einordnen
lässt? Nun gibt
es aber eine Kunstvermittlung, die genau da einspringt und sagt: Ich sage dir,
was das ist. Da wird eine Identifikationsbrücke gebaut, die Werke werden passend gemacht zu dem, was
ich ohnehin schon denke. Das halte ich für unproduktiv.[1]
(...) Und in der
Partizipationskunst gibt es da manchmal Beteiligungskurzschlüsse, das
finde ich nicht sehr hilfreich. Partizipation heißt ja wörtlich: sich seinen Teil zu nehmen.[2]
Das Gegenteil einer "Partidonatio" gibt es ja nicht: seinen Teil zu
geben. In der Partizipation steckt auch etwas von Kontrollierenwollen, sich
gleichzeitig aber auch exkulpieren.[3]
Auch wenn ich als Künstler keine
tolle Idee habe, kann ich dennoch teilnehmen. Das hat etwas Vampiristisches.
Das dann umstandslos als demokratische Errungenschaft auszugeben, sehe ich so
nicht unbedingt.
(...)
Ich habe den Eindruck, die Psychoanalyse reagierte auf eine Überlastung
des individuellen bürgerlichen
Subjekts, das ja als autonom gedacht wird, als Singular, der erst nachträglich in
Kontakt mit anderen tritt. (...) Es fängt eine große Suche an: Wie entsteht eigentlich Verbindung? (...) Die
Kunst vollzieht nun einen großen Wechsel:
Sie wird performativ, sie will nicht mehr nur etwas schon Vorhandenes repräsentieren,
zum Beispiel in der Malerei. So ähnlich sagt Freud: Es gibt eine psychische Realität, die im
Kontakt immer neu evoziert wird und ihre Wirkung bekommt. In der Übertragung
passiert mit den Leuten etwas, was sie vorher nicht waren. Das ist ja die
einzige Chance, etwas zu verändern. So ähnlich machen
das die Künstler.
(...)
Identifikation ist ein Moment eines jeden Übertragungsprozesses. Wenn ich mit einem Fremden in Verbindung
trete, brauche ich etwas, das ich schon kenne - ich identifiziere. Das kann ein
einziger Zug sein, eine Augenlinie, eine Geste, eine Haarwelle. Wenn es aber
dabei bleibt, wenn ich darauf beharre, dass etwas so ist, wie ich es sehe, wird
ein Verständigungsprozess
unmöglich. Es
muss eine Fähigkeit
einsetzen, diese Identifikation wieder zu durchbrechen. Durch Reflexion muss
etwas umgearbeitet werden. (...) Bei einer Kunstbetrachtung fange ich mir
Partisanen im Gebälk meines
Gehirns ein, die ich dann weitermachen lassen kann.
(...)
In Ausstellungen kriege ich Dispositive, die mir das Aushalten von Spannungen
in dem anderen Job[4] ermöglichen. In
der Kunst ist das oft noch verbunden mit einem sinnlichen Vergnügen. Deswegen
bestehe ich auch darauf, dass es Kunst gibt, die mir ein ästhetisches
Vergnügen bereitet.
Nur eine Kunst über Kunst über Kunst ist
nicht das, was mich vom Hocker reißt. (...)
Karl-Josef Pazzini, geboren
1950, Erziehungswissenschafter an der Universität Hamburg und Psychoanalytiker, beschäftigt sich seit vielen Jahren mit den Prozessen des
Kunsterlebens. Das Interview, das im Der Standard, 15.5.2012 (hier dergesamte Text, mit den Fragen) veröffentlicht wurde, bezieht sich auf einen Vortrag bei der Tagung
"Angewandtes Ausstellen" an der Universität für angewandte Kunst.
[1] Das gilt
nicht nur für die Kunstvermittlung, sondern für Vermittlung generell. Besonders
für die Vermittlung, die die Ausstellung und das Museum als Medien darstellen.
Inwieweit kommen sie dem Begehren zu sehen - ohne Kontrolle und Absicherung -
offen oder auch risikoreich entgegen? Der Wunsch, sich (als Kurator etc.) und
die Besucher vor dem Unkontrollierbaren zu bewahren, alles angstfrei (und
möglichst auch noch anstrengungslos) werden zu lassen, ‚erspart’ einem die
eigene Reflexion.
Der Kontrollunsch steht auch jener Museumssoziologie Pate, die über Erforschung des Besucherverhaltens zur Schaffung von Settings beitragen will, die 'gelingende' Kommunikation herstellen sollen.
[2] Zusammengesetzt aus pars, Teil und capere, fangen, ergreifen, sich aneignen, nehmen. Meist wird P. als Teilhabe übersetzt - und dann ist sie auch schon demokratisch...
[3] Exkulpieren
wovon? Meinem Gefühl nach vor allem davon, Macht über andere zu haben. Mit
anderen AutorInnen, die über Partizipation geschrieben haben, bin ich auch der
Meinung, Partizipation beginnt dort, wohin sie meist kaum reicht und auch nicht
reichen soll: zur Aufgabe/Übergabe dieser Macht.
[4] K.J.
Pazzini ist Erziehungswissenschafter und Psychoanalytiker. Die Formulierung
scheint mir weit über die ‚autobiografische’ Beispielhaftigkeit auf das
‚museale’ Ausstellen, also nicht nur auf das von Kunst, verallgemeinerbar. Etwa
im Sinne von Sloterdijks Beschreibung des Museums als ‚Schule des Befremdens’,
wo es um die Spannung von Eigenem und Fremden geht, wobei das ‚Andere’ in den
unterschiedlichsten Registern – class, gender oder race – erscheinen kann.
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