Mittwoch, 14. Mai 2014
Dienstag, 13. Mai 2014
Das global-neoliberale Megaprojekt: Der Louvre Abu Dhabi
In der Neuen Zürcher Zeitung vom 7. Mai 2014 berichtet Marc Zitzmann über den Louvre Abu Dhabi. Anlass ist eine Ausstellung im Louvre, in der jene 160 Werke gezeigt werden, die als (zeitlich begrenzte) Leihgaben dem arabischen Museum, das im Dezember des kommenden Jahres eröffnet werden soll, zur Verfügung gestellt werden. Der Louvre unterstützt die Entstehung des Museums aber auch mit Beratung beim Sammlungsaufbau. Und schließlich wurde die Marke "Louvre" bis 2037 gegen viel Geld an das Museum in Abu Dhabi verliehen. Marc Zitzmann: "Im Gegenzug bezahlt das Emirat 164 Millionen Euro für die «Aufbauhilfe» bis 2026, 190 Millionen Euro für die Dauer- und 195 Millionen Euro für die Wechselausstellungen sowie 400 Millionen Euro für die Nutzung des Namens «Louvre»."
Weiters wurden der Louvre und neun andere staatliche Kulturinstitutionen wie das Musée d'Orsay, das Centre Pompidou und die Nationalbibliothek, das Museum in Versailles dazu verpflichtet, "über zehn Jahre hinweg jährlich 300, dann 250 und endlich 200 Werke (darunter ein Drittel aus dem Louvre) für eine völlig unübliche Leihdauer von zwölf Monaten nach Abu Dhabi zu schicken, um die noch im Aufbau befindliche Sammlung aufzustocken. Bei diesen Leihgaben wird es sich um Spitzenwerke handeln, die fast alle aus den Museumssälen des Louvre oder des Musée d'Orsay geholt werden müssen – etwa Leonardo da Vincis Belle Ferronnière oder Manets Fifre" (...) "Zusätzlich müssen die Franzosen jährlich vier ebenfalls mit eigenen Sammlungsstücken bestückte Wechselausstellungen ausrichten, über fünfzehn Jahre hinweg". (Zitzmann) Die Kuratoren des Louvre waren gegen diese Kooperation. Im Zentrum der Bedenken stand beim Bekanntwerden der Pläne auch das konservatorische Risiko, das von der "Reisetätigkeit" hochkarätiger Museumsobjekte nun mal ausgeht.
Unter Nutzung des klangvollen Namens des berühmtesten und größten Museums der Welt scheint der Ehrgeiz des Emirates auf ein Universalmuseum zu zielen, aber möglicherweise und auf lange Zeit doch nur in einem konturlosen Sammelsurium zu münden. Denn selbst ein so reiches Land wie die Vereinigten Arabischen Emirate hat heute keine Möglichkeit mehr, eine große und - nach welchen Kriterien auch immer - konsistente Sammlung zusammenkaufen zu können. Vorerst gibt es ein Mobile von Calder, ein ottomanischer Fußboden, Fotografien von Roger Fenton,ein altpersisches Goldarmband, Möbel von Josef Hoffmann, Mogul-Malerei, ein Koran aus dem 14.Jahrhundert, ein Mondrian-Gemälde von 1922 usw. Der Ankaufsetat ist hoch, aber Preise für museumsreife Spitzenwerke sind das auch.
Man fragt sich sowieso, warum ein arabisches Museum im sammlungspolitischen und kunstideologischen Korsett des westlichen Wertekanons entstehen soll und mit dem Anspruch der Universalität gerade deswegen zum Scheitern verurteilt ist. Eine "Abbildung" dieses Kanons leistet weltweit kein Museum und selbst annähernd repräsentativ zu sammeln ist heute nicht mehr möglich.
Mit dem Museum soll der Völkerverbindung und dem Kampf gegen Intoleranz gedient sein. Jedenfalls bewirbt der Bauherr das Museum so - ein Museumskonzept und -team gibt es noch nicht. Marc Zitzmann fragt sich zurecht, ob nicht viel dringender etwas zur "Verbesserung der Rechtslage von Arbeitsmigranten", getan werden sollte, "deren Ausbeutung NGO wie Human Rights Watch regelmässig anprangern (auch auf der Baustelle des Louvre Abu Dhabi!)". Über die verheerende Situation der Arbeitsmigranten dort und in anderen arabischen Ölstaaten weiß man schon sehr lange Bescheid, einer breiteren Öffentlichkeit wurde das erst bewusst, als man die vorbereitenden Bauarbeiten für die Fußball-WM in Katar kritisierte. Jüngst gab es mehrere Proteste im New Yorker Guggenheim-Museum (ein Guggenheimmuseum und andere Museen werden dem "Universalmuseum" benachbart auf der Saadiyat-Insel in Abu Dhabi errichtet), vergleichbare Proteste scheint es in Frankreich nicht zu geben.
Möglicherweise hat zum Deal zwischen Frankreich und dem Emirat auch gehört, daß ein französischer Architekt das Museum plant. Jean Nouvel lässt eine schalenförmige und perforierte Überkuppelung von 180 Metern Durchmesser über einer Art dörflicher, von Meer umgebener Struktur schweben, über einem Pasticcio aus Kubaturen, Wegen, Wasseradern, Plätzen. Man wird sehen, wie das Gebäude, einmal realisiert, wirkt. Die Entwurfszeichnungen versprechen viel und Ungewöhnliches, ein Museum, wie es noch keines gegeben hat. Es ist vor allem das flirrende Lichtspiel, das mit der durchlöcherten Kuppel erzeugt wird, das besticht. Nicht ausgeschlossen, daß sich ein französischer Architekt von einem Museumsentwurf und Architekten inspirieren ließ, wo er beides finden konnte - die megalomane Kuppel über einer nahezu urbanen Struktur und das perforierte Gewölbe, das ein einzigartiges Lichtspiel in Szene setzt. Ich meine Etienne Louis Boullées Entwurf für ein Museum von 1783 und seinen Newton-Kenotaph, in dessen dunklen Höhlenleib das Tageslicht den Sternenhimmel zeichnet. Wo aber Boulées (zu seiner Zeit technisch nicht realisierbaren) Phantasien düster und erdnah wirken, ist Nouvelles Entwurf ganz hell, trotz der Größe leicht, fast schwebend.
Soll man also sagen, der Museumsentwurf, die Architektur sei "gelungen"? Dann müsste man alle die Aspekte ausblenden, die Marc Zitzmann aufzählt und die er abschließend ohne wenn und aber als skandalös bezeichnet. Ausblenden müsste man zum Beispiel auch die Platzierung des feenhaft anmutenden Gebäudekomplexes auf der sogenannten Saadiyat-Insel, der "geplanten luxuriösen Wohn- und Tourismusstadt für Spitzenverdiener" (Zitzmann). Vor allem aber eine historisch-ideologische Frage: wie kommt es, daß ausgerechnet der Louvre in eine politisch autokratisches Land (konstitutionelle Monarchie ist die offiziöse, ziemlich schiefe Bezeichnung) geht, der Louvre, der ja nicht nur für eine glanzvolle und enorme Sammlung steht, sondern auch für Aufklärung und bürgerliche Revolution.
Als Francois Mitterand die Erweiterung zum "Grand Louvre" mit großem Publikum feierte, da fand das am 200. Jahrestag der Französischen Revolution statt, eingedenk des Louvre als eines Ortes nationaler Identifizierung und staatsbürgerlicher Selbstermächtigung. Darin gründete auch das Konzept des Museums, die gesamte (westliche) Kunst repräsentieren zu dürfen, nämlich als befreite und aufgeklärte Nation, die so lange das Recht habe, sich Kulturgüter anderer Länder anzueignen, so lange diese nicht ebenfalls im Stand der Freiheit existierten. Aus dieser Maxime entsprang auch die doppelte Museumspolitik der Revolutionszeit. Einerseits plünderte man systematisch Sammlungen der politisch-militärisch eroberten Länder, andrerseits sorgte man mit, u.a. aus dem Louvre gespeisten Sammlungen und Leihgaben für zahlreiche Museumsgründungen in den - aus französischer Sicht - befreiten Staaten und Städten und sorgte so für eine Expansion der jungen und modernen Museumsidee in Europa. Nur unter diesen Umständen konnte er werden, was er ist: ein viele Kulturen und Epochen beherbergendes Museum, ein Weltmuseum, das zugleich ein Nationalmuseum Frankreichs ist
So besehen, mag man die Expansion des Louvre - auch in Frankreich selbst -, als Revision des ursprünglichen Konzepts auffassen. Was aber in Lens eine Aufweichung des typisch französischen Zentralismus ist, wird mit der Kooperation mit Abu Dhabi zu einem Rückschritt hinter jene Ideale, aus denen heraus das Museum in den 90er-Jahren des 18.Jahrhunderts entstand. Man geht in ein autoritär, fern der uns vertrauten demokratischen Grundwerte regiertes Land und bedient dessen politisch-ökonomische Elite im Tausch gegen Geld, ohne jeden Anspruch, mit den Bildern aus Frankreich auch irgendetwas von den inhärenten Idealen mit zu transportieren.
Der "Louvre-Export" Abu Dhabi konterkariert nicht nur die Geschichte des Louvre, er beschädigt seine historisch gewachsene Identität an der Wurzel. Das ist ein sehr hoher Preis für ein Sammlesurium-Museum für Neureiche in einem exklusiven Habitat. Und es ist summa summarum das wohl derzeit kaum noch unüberbietbare global-neoliberale Projekt der Museumswelt.
Montag, 12. Mai 2014
Sonntag, 11. Mai 2014
Orhan Pamuks Text über das Museum der Unschuld. Ein poetologischer und museologischer Text zu einem einzigartigen Projekt (Das Museum lesen 36)
Im
Jahr 2008 erschien in Istanbul der Roman Masumiyet
Müzesi, das Museum der Unschuld,
von Orhan Pamuk, der 2006 den Nobelpreis erhalten hatte. Eigentlich sollte
gleichzeitig mit dem Roman ein gleichnamiges von Pamuk geplantes und parallel
zum Buch entwickeltes Museum eröffnen, doch aus praktischen und politischen
Gründen - Pamuk wurde zeitweilig verhaftet und von radikalen Gruppen mit dem
Tod bedroht -, verzögerte sich die Realisierung erheblich. 2012 war es dann so
weit.
Aber
was ist das für ein Museum? Mein Reiseführer "Istanbul" stellt es
kurz und bündig als Alltagsmuseum vor. Sicher, es gibt hier vieles, was man so
landläufig als Alltagsgegenstände bezeichnet und gelegentlich wird einem auch
als Tourist, der Istanbul erst grade kennenlernt, einiges von den Bezügen zur
Stadt deutlich.
Aber
was sollen das für Straßen sein, "die mich an sie erinnern"? Wer
spricht da, und vom wem? "Phantome, die ich für Füsun halte".
"Die Sommerabschlußparty". "Eine leere Wohnung". "Die
erste türkische Fruchtlimonade".
Hat
sich da das sogenannte wirkliche Leben eingeschlichen? Aus dem Roman? Aus
Pamuks Leben und aus Istanbul? "Wie man ein Drehbuch durch die Zensur
bringt" oder "Onkel Tarik". Kann uns das interessieren, können
wir das verstehen?
Oder
muß man dazu den Roman gelesen haben?
Ich
bezweifle, daß das viel hilft (Pamuk verneint die Frage, ob man das Buch als
Voraussetzung eines Museumsbesuchs kennen müsse), selbst wenn man das erst
gerade getan und ein sehr gutes Gedächtnis hat. Selbst die strikte
Durchnummerierung der Vitrinen im Museum nach den Kapiteln wird nicht viel
helfen.
Illustriert
das Museum das Buch, oder erzählt der Roman jene Geschichte, die hier
ausgestellt ist?
So
viel sei verraten: Pamuk hat Roman und Museum von Anfang an als ein Projekt
verstanden und es folgte das Zusammentragen einer Sammlung keineswegs dem Buch,
sondern eher umgekehrt, wenn sich ein ungewöhnlicher, überraschender Fund
einstellte, wurde er als Requisite in die Erzählung des Romans integriert.
In
der Vitrine mit der Zahl 1 sehen wir, vor einem sich bauschenden Vorhang,
"Füsuns Ohrring". Auch von ihm weiß der Autor, der des Romans wie der
des Museums, von Kemal, dessen Geliebte Füsun war. Im Dachgeschoß des Museums
finden wir das Bett, auf dem liegend, Kemal Pamuk, der auf einem Stuhl neben
ihm saß, seine Lebensgeschichte erzählt hat. Dort muß er ihm auch berichtet
haben, unter welchen Umständen der Ohrring verloren ging, und warum er sagen
konnte, es sei "der glücklichste Augenblick meines Lebens" gewesen.
Noch
im Roman, in dessen letzten Kapiteln, hat Kemal nach dem Tod Füsuns, Orhan
Pamuk beauftragt, seine Geschichte zu erzählen und die seiner großen Liebe. Er
wünschte sich von Pamuk einen Text, der gleichsam jenes Museum, das er, Kemal,
einzurichten plante, begleitenden sollte oder gar einen Katalog, wie es im Roman wörtlich heißt (sogar eine Eintrittskarte
ist dort schon abgedruckt).
Gibt
der Roman also eine wirkliche Geschichte wieder, und ist dann das Museum so
etwas wie eine - fiktive oder konkretisierende - Erweiterung, Umspielung, ein
Ort der Beweise für die Wirklichkeitshaltigkeit des Buches? Eine
Asservatenkammer der Indizien, die die Geschehnisse des Romans beglaubigen?
Nur
was sollen wir denn mit dieser individuellen, privaten und intimen Erinnerung?
Nimmt uns nicht gerade das jeglichen
Zugang zur Geschichte, wenn wir das Museum besuchen? Erst wenn wir im Museum
etwas begegnen, das uns – auf Grund geteilter Erfahrung, geteilten Wissens -,
das Verstehen ermöglicht, können wir Gegenstände mit Bedeutung belehnen.
Nun,
Pamuk spielt mit beidem, mit der Spiegelung von Buch (dem wir als Roman die
Fiktion zuordnen würden) und Museum (dem wir Kraft der Konkretheit der Dinge,
ihrer physischen Präsenz in unserer Gegenwart, die Wirklichkeit, die Welt der
Tatsachen zuordnen würden) und mit der Spiegelung von Fiktion und Realität.
Er
spricht von "ausgestellten Rätseln" und "optischen
Täuschungen" und von einem "Traum, aus dem man sich nicht befreien
kann".
"Der
glücklichste Augenblick meines Lebens". Wer vermöchte ihn festzuhalten - außer in der fragilen, oft
entstellenden Erinnerung, die keiner gegenständlichen Stütze bedarf, also im
liebenden Eingedenken, in dem eine Berührung der nackten Körper durch den am
offenen Fenster wehenden Vorhang oder das Geschrei der fußballspielenden Kinder
in Erinnerung bleibt. Aber nicht als Text und nicht als Ding oder Bild. Sondern
ausschließlich als lebendiges Erinnern, das mit dem Tod erlischt.
Dieser
Traum, aus dem man sich nicht befreien
kann, soll aber dennoch nicht zu Ende gehen, aber es ist auch der, aus dem
sich nicht nur der Autor, der Held, sondern vielleicht auch der Besucher nicht
befreien kann und nicht befreien soll.
"Wenn
ein Mensch im Traum" zitiert Pamuk zu Beginn des Romans (und im Museum
taucht der Text auch auf) Samuel Taylor Coleridge, "das Paradies
durchwandert, und man gäbe ihm eine Blume als Beweis, dass er dort war, und er
fände beim Aufwachen diese Blume in seiner Hand - was dann?"
Das
ist die dritte Ebene in Pamuks Spiegelkabinett. Wie er mit der Un-Möglichkeit
des Erinnernd spielt. Ist er selbst Kemal? Gab es Kemal überhaupt je? Ist nicht
alles erfunden? Und woran sollen wir uns eigentlich erinnern? Wer ist hier das
Subjekt der Erzählung und wer des Gedächtnisses? Woran können uns Dinge
erinnern? An jene Wirklichkeit, in der sie einmal existiert haben oder ohnehin
nur an jene Träume, die sie in uns auslösen?
Aber
da ist ja Füsuns Ohrring, in der
Vitrine, wir sehen ihn mit eigenen Augen, den Ohrring, von dem Füsun im Roman
sagt, "er sei ihr wichtig", als Kemal ihn später nicht in seiner
Jackentasche findet. Dort hat er ihn verstaut, nachdem er ihn gefunden hat.
Aber inzwischen hat er die Jacke gewechselt und kann ihn Füsun nicht
zurückgeben.
Während
der Planung und der Realisierung des Museums ist Pamuk von Kindern angesprochen
worden, ob er ihnen nicht die über den Zaun geschossenen Bälle zurückgeben
könne. Konnte er nicht, schreibt Pamuk, weil der Freiraum um das Haus derart
vermüllt war, daß man erst bei Baubeginn mit dem Entrümpeln beginnen konnte.
Dann fand man siebzehn Bälle.
Ist
einer der Bälle derjenige, mit dem die Kinder in der Gasse spielten, als sich Füsun
und Kemal in ihrem Zimmer bei offenem Fenster liebten?
Jedenfalls
gibt es einen Ball in einer Vitrine des Museums. Und Füsuns Führerschein. Und
selbstverständlich die 4213 Stummel, die
von Füssens gerauchten Zigaretten übrigblieben. Aber das ist eine andere
Geschichte. Die erzähle ich ein anderes mal.
Und
im Kleingedruckten, am Ende des Buches, dort, wohin man als Leser vielleicht
nie hingelangt, unter Danksagung, erfährt
man auch, wer Füsuns Ohrring fürs Museum hergestellt hat...
Um
Pamuk besser zu verstehen, seine - soweit ich sehe einzigartige - Idee, einen
Roman und ein Museum als komplementäre Teile eines Projektes zu entwickeln,
kann man auf ein anderes Buch von ihm zurückreifen (das auch auf Deutsch
vorliegt): "Die Unschuld der Dinge. Das Museum der Unschuld in
Istanbul". (München 2012). Es gibt einen einleitenden Teil mit
ausführlichen Texten Pamuks zum Roman und vor allem zum Museum und einen Teil,
in dem in 74 Abschnitten - reich bebildert - die Stationen und Vitrinen des
Museums vorgestellt werden. Und das wiederum so, daß die Texte eher
Erweiterungen denn Erklärungen sind. Sein poetologischer Zugang ist subtil,
leicht, wunderbar zu lesen. Etwa wie die Geschichte der Entdeckung des Hauses,
das er als Museum wählte, am Schulweg, den er täglich mit seiner Tochter
zurücklegte. So nebenbei kann von Pamuk lernen, wie man ein Museum vorstellt.
Pamuk
hat aber auch eine veritable Museologie zur Hand, die er seit dem Roman sichtlich
weiterentwickelt hat und die einem zusätzlich hilft, seine Ideen und sein
Konzept des Doppelprojektes besser zu verstehen. Dieser Museologie (die einer
gesonderten Auseinandersetzung lohnte) liegt das begeisterte Stöbern und
Sammeln zugrunde, aber Pamuk ist auch ein begeisterter Museumsbesucher
(übrigens wie Kemal, von dem im Roman gesagt wird, daß er nach Füsuns Tod über
4000 Museen bereist habe). Ein Besucher vor allem kleiner Museen und da
wiederum solcher Museen, die möglichst die Spuren der Personen, die dort gelebt
haben, noch bewahrt haben. Das war ein nicht geringes Vergnügen, zu erfahren,
wie sehr Pamuks Museumsvorlieben sich mit meinen decken. Mit wenigen Ausnahmen
kannte ich die Orte, die er ausdrücklich als Inspiration für Roman und sein Museum
nennt.
Mit
diesem „Begleit“-Buch in der Hand, wird man sich dem Spiel der Verweise und dem
changieren der Ebenen des Museums viel besser aussetzen können, wird tiefer in
die eigentümlich zweideutige Welt des Romans, des Museums und Orhan Pamuks
eintauchen können.
Samstag, 10. Mai 2014
Die Sammlung Essl scheint gefährdeter denn je
Nachdem Karl-Heinz Essl mit seinem Bemühen, die Kunstsammlung vom Staat erwerben zu lassen, gescheitert ist, ist die Berichterstattung darüber in den Wirtschaftsteil der Zeitungen gerutscht. vor dem Hintergrund eher negativer gewordener Meldungen zum Zustand des Baumax-Konzerns würde bekannt, daß die Sammlung auf Wunsch von Gläubigern nun geschätzt werden soll. Das heißt, daß man sehr wohl den Wert der Sammlung in die Sanierung einbeziehen will. Gleichzeitig wird mitgeteilt, daß es mehrere Interessenten für einen Kauf der Sammlung gibt. Ob das nun nicht mehr heißt, als daß eine seriöse Bewertung bloß rechnerisch in ein Sanierungskonzeot einfließt oder ob damit der erste konkrete Schritt für eine Veräußerung der Sammlung gemacht ist, ist nicht so klar. Die Möglichkeit, daß das Museum "verschwindet" scheint größer denn je.
Alles wunderbar, aber nicht so, daß es nicht noch wunderbarer werden könnte: Das Kunsthaus in Graz bleibt Teil des Landesmuseums
Es war zu erwarten, daß der Bürgermeister Nagl nicht an seinem Vorschlag festhält, das Grazer Kunsthaus von der Stadt betreiben zu lassen. Es waren vielleicht nicht nur die Solidaritätsbekundungen, die ihn überzeugt haben, sondern die Einsicht, welche Probleme mit der Übernahme entstünden und mit der Idee, das Ausstellungshaus mit biennal ausgeschriebenen Intendanzen zu bespielen.
Um das Gesicht zu wahren, gibt es aber einen Auftrag an Peter Pakesch und das Universalmuseum Joanneum. Erstens: ein bißerl mehr Provinz soll schon sein, es muß mehr steirische Kunst ins Kunsthaus. Und: das Haus soll sich öffnen. Das ist buchstäblich gemeint. Das Erdgeschoss soll anders genutzt werden, offen zur Stadt. Man wird sehen. Der Berg hat gekreißt.
Dienstag, 6. Mai 2014
Was nicht alles eine "Museumsdebatte" ist. Das Beispiel Kunsthaus Graz
Der Grazer Bürgermeister Nagl sagt: das Kunsthaus ist mir zu teuer. Da gehören mehr Leute rein, also muß auch das Programm anders werden, bunter und so. Außerdem will ich es zurück, es soll aus dem Landesmuseum ausgegliedert und an die Stadt übergeben werden.
Daraufhin zieht das Landesmuseum einen Blockadering um sein Kunsthaus, in Form zahlloser in- und ausländischer solidarischer Wortmeldungen. Der Bürgermeister schweigt seither. Und auch die lokale Zeitung, druckt lieber Presseagenturmeldungen ab, als selbst eine Meinung zu haben.
In die überregionalen Zeitungen braucht das alles eine Weile, aber es gibt eigentlich kaum etwas zu debattieren, denn ob der Herr Bürgermeister noch etwas will, weiß man nicht und ob das Museum auf die Situation anders als defensiv reagieren wird, hat sich bis jetzt auch nicht abgezeichnet.
Das alles ist, wie Thomas Trenkler im Standard feststellte, in einer Hinsicht überraschend: warum kommt der Warnschuß erst jetzt und nicht schon viel früher?
Das spektakuläre Ausstellungshaus ist ursprünglich ein Projekt der Stadt gewesen, ließ sich aber in der geplanten Form nicht bauen und zusätzlich zur eingreifenden bautechnischen Änderung wurde eingespart, um das Budget einzuhalten. Dennoch entschloß man sich, die Kosten zwischen Stadt und Land aufzuteilen und den "Friendly Alien" ins landeseigene Museum einzugliedern.
Es war immer klar, daß die spektakuläre Erscheinung der "blauen Blase" mit einer schwierigen Nutzung als Ausstellungsraum erkauft war und die Umplanung hat die Probleme eher verschärft. hinzu kam, daß das Haus ohne Leitung errichtet wurde, das heißt, es gab keinen museumserfahrenen Bauherrn, der möglicherweise noch einiges hätte retten können.
Das Haus wird derzeit mit der doppelten Hypothek einer schwierigen und vergleichsweise teuren Bespielung betrieben, aber es gibt noch eine andre Hypothek. Mit der Eingliederung in das Joanneum hatte das plötzlich zwei "Orte" an denen neuere und moderne Kunst gezeigt wurde, ein struktureller Konflikt, der durch die persönliche Rivalität zwischen Peter Pakesch und Peter Weibel verschärft wurde - bis zum (m.M. völlig gerechtfertigten Rauswurf von Weibel). Hausintern kam noch eine weitere Reibungsfläche hinzu: das im Zusammenhang des Kulturhauptstadt-Jahres eröffnete Kunsthaus erhielt eine personelle Ausstattung, die im Vergleich zu anderen Abteilungen beachtlich war. Daß ein Teil des Personals allen Abteilungen zugutekam verhinderte nicht, daß das von Peter Pakesch, der zugleich ja Intendant war, geleitete Kunsthaus als notorisch privilegiert und relativ zu anderen Abteilungen überfinanziert erschien.
ich habe keine Ahnung, ob aus dem Anstoß von Bgm. Nagl noch irgendeine Debatte werden wird, die sich all diesen Fragen stellt und Auswege sucht.
Inzwischen geistert im Hintergrund Red Bull als Nutzer und Interessent umher. Ob das ein böswillig in die Welt gesetztes Gerücht ist oder nicht, auch das wird sich vielleicht zeigen.
P.S.: "Wenn schon Kapazitäten dann m2 / Personen-Stunden und jetzt dürfen sie ausrechnen dass der Unterschied zwischen 275 m2/Ph und 245 m2/Ph marginal ist, vorausgesetzt dass beide gleiche Öffnungszeiten haben und sehen können sie in beiden genug !" So lautet der Post eines Lesers des Standard-Artikels, in dem von T. Trenkler verschiedene Maßzahlen diverser Ausstellungshäuser gegeneinender aufgerechnet werden. Zeitungs-Artikel wie - ob ironisch gemeint oder nicht - Leserreplik machen deutlich daß wie in letzter Zeit fast ausschließlich in einem neoliberalen Kontext argumentiert wird. Schon Bgm. Nagl gibt dazu den Startschuß, indem er nahelegt, daß mehr Besucher, die seiner Meinung nach städtische Kulturpolitik besser verwalten könnte, mehr Einnahmen bringen. Ihn wird weniger stören, wenn er sät, was er erntet, aber auch dem Kunsthaus und dem Joanneum (und auch anderen Museen) wird auf den Kopf fallen, daß sie sich dem Spiel der großen und größer werdenden Zahl freiwilig anschließen und aussetzen. 2003ff. träumten Pakesch und Co. noch von der Million Besuche(r)...
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