Nur zwei Tage, nachdem ich diesen Post verfasst habe, findet sich das Berliner Schloss - und damit das Humboldt-Forum - auf der "Sparliste" der Regierung, nicht gestrichen, aber aufgeschoben. Das könnte wohl, wenn es zum Beschluss kommt, das Ende des Projektes sein.
Der wohl größte museumspolitische Brocken, an dem die deutsche Politik würgt, ist die Wiedererrichtung des Berliner Schlosses und die Einrichtung eines Humboldt-Forums in dem teilrekonstruierten Gebäude. Jetzt droht der Erstickungstod, nicht den beteiligten Politikern, aber dem Projekt. Der Staat will nicht die Kosten für eine Rekonstruktion der Fassaden und der Kuppel aufgebürdet haben, und die Stiftung (Link zur Webseite Stiftung Berliner Schloss - Humboldt-Forum), die die Idee des Wiederaufbaus betreibt, Bauherr und Betreiber werden soll, kann die nötigen privaten Mittel bis jetzt nicht auftreiben. Wie es aussieht, könnte auch Schloßrekonstruktion und 'Humboldt-Forum' ein 'Opfer' der Wirtschaftskrise werden.
Wer die Leserbriefe zum heute in der FAZ erschienen Artikel liest, sieht schnell, daß kaum jemand für ein so teures, zerredetes und vielfach in Frage gestelltes Projekt angesichts der wirtschaftlichen Situation - des Landes und Berlins - argumentiert. Im Gegenteil: die zu dem Projekt nie gefragten Stimmbürger sind ganz schön giftig. Und giftig ist auch der Artikel von Patrick Bahners Humboldt-Forum - Wollen wir uns das Berliner Schloss noch leisten? FAZ, 5.Juni 2010.
Die Idee, die völkerkundlichen Sammlungen von Dahlem hierher zu übersiedeln, "Buschmänner, Derwische und Schamanen nach Berlin zu laden, um sie im Angesicht der erhabenen Zeugen ihrer Vergangenheiten über die Zukunft des Planeten 'verhandeln' zu lassen…laufe auf einen intellektuellen Neokolonialismus hinaus." Die diskutable Idee, die im Begriff des 'Forums' steckt, museale Sammlungen mit wissenschaftlichen Einrichtungen zu kombinieren und zu Orten des urbanen wie globalen Diskurses zu machen, die mag Bahners aber schon gar nicht: Diskurs ist für ihn "so eine Formel des eventmagischen Denkens."
Die Vorstellung vom Museum als Ort des Diskurses kommt hier als Argument der (kultur)politischen Durchsetzung des Projekts ins Spiel, riskant voraussgesetzt wird, daß Sammlungen sowieso "tot" seinen. Das ist ein Spiel mit dem Museumsfeuer, denn das Dilemma, der performativen "Lazarisation" der Dinge nicht einfach durch Ausstellungen, sondern durch eine neue Form des Museums herstellen zu sollen, stellt sich ja nicht nur für die Sammlungen, die im "Forum" ihren Platz haben sollen. Das Argument läßt sich populistisch ausschlachten, in politisches Kleingeld wechseln oder aber in schlüssige museologische Konzepte fassen. Letzteres ist, so viel ich sehe, nicht - noch nicht - geschehen. Wenn man, wie Bahners berichtet, leitende Vertreter wissenschaftlicher Institutionen dazu befragt, wird man für diese komplexe und besondere Anforderung keine befriedigende Antwort erhalten. Wissenschaften, die vielleicht erst vor ein paar Jahren den Slogan science goes public entdeckt haben, hätten, wenn sie überhaupt Erfahrung in der öffentlichen, medialen Transformierung des Wissens Erfahrung hätten, wenig bis gar keine, die auf den wirklich besonderen Fall 'Museum' zugeschnitten ist.
Die zentrale Idee, die alle Institutionen, Funktionen und Sammlungen verklammert ist die des 'Forums', also die Vorstellung des Museums als permanenter Konferenz (Beuys). Doch scheint es bisher nicht gelungen zu sein, die Wiederbelebung der dem Museum durchaus angemessenen Idee als zivilisatorischem Ort plausibel zu konkretisieren und dafür handhabbare Formen zu finden. Es scheint mir auch kein existierendes Beispiel dafür zu geben, nicht in dieser Größenordnung und nicht mit derartigen historischen Konnotationen. Es mag da und dort so etwas wie gelungene partizipative Museen geben oder - so ist mein Eindruck - in postkolonialen Situationen tatsächlich so etwas wie eine soziale Re-Definition des Museums. Aber wie soll das in diesem Fall denn aussehen, organisiert werden, museumspolitisch umsetzbar sein?
Die weit offene Flanke wird denn auch von der Kritik aus vollen Rohren beschossen. So hat Patrick Bahners (Was soll ins Berliner Schloss? FAZ vom 29.8.2009) gegen das anvisierte Modell des diskursiven Museums leicht zu argumentieren: "Wer dazugehört und wer ausgeschlossen wird, wer bleiben darf und wer nur zu Gast ist: Das sind die harten Fragen, durch die Völker über ihre Identität entscheiden. In Berlin sollen sie unter der Prämisse erörtert werden, dass alle Grenzen künstlich und vorläufig sind. Der zentrale Raum des „Forums“ ist als „Agora“ ausgewiesen, als Raum für grenzenlose politische Debatten. Die hauptberuflichen Debattenveranstalter unter den Gründern verlangen, das ganze „Forum“ solle als „Agora“ genutzt werden. Dem können die Museumsleute kaum widersprechen. Sie können noch Latein und Griechisch und wissen, dass das eine Wort die Übersetzung des anderen ist."
Wie akademische Eliten mit dieser Idee umgehen, das zieht Bahners im aktuellen Artikel sowieso ins Lächerliche, aber auch der Präsident der Stiftung Preussischer Kulturbesitz, Hermann Parzinger, kriegt seine Breitseite ab. Dass, wie er sagt, die "Realisierung des Humboldt-Forums…ein starkes Zeichen hinsichtlich der Gleichberechtigung der Weltkulturen in einer längst globalisierten Welt“ und das „Kunst- und Kulturzentrum gänzlich neuen Zuschnitts“ ein „völlig neues Miteinander der Kulturen erlebbar“ machen werde, als die große Chance, „um die uns die Welt heute schon beneidet“, das kontert Bahners trocken mit: "Es ist betrüblich, dass der Präsident der SPK solche Phrasen des kulturlosen Wunschdenkens verwendet."
Man könnte noch hinzufügen, daß es gerade die Museen sind, namentlich die Völkerkundemuseen des deutschsprachigen Raums, die wenig Ermutigendes und Innovatives genau in Hinblick auf den von Parzinger pathetisch beschworenen Tugendkatalog geleistet haben und die meilenweit davon entfernt sind, ein völlig neues Miteinander der Kulturen zu ermöglichen.
Schon vor längerer Zeit hat Andreas Kilb (ebenfalls in der FAZ: Auf dem Weg zum Louvre von Berlin) das Fehlen stimmiger und plausibler Pläne beklagt: "Das Forum der Weltkulturen wäre ... zur einen Hälfte ein mit Texttafeln aufgemotztes Remake der Dahlemer Völkerkundemuseen, zur anderen ein Mischmasch von Schaumagazinen, Multimedia-Sälen und Seminarräumen unter dem pompösen Etikett der 'Laboratorien des Wissens'. Diese geschichtspolitische Nullnummer kann niemand wünschen."
Grundsätzlicher formulieren die einzigen organisierten Gegenr des Projektes, die mir bekannt sind, eine studentische Gruppe unter dem Slogan "Anti-Humboldt" die Implikationen der Übersiedlung der ethnologischen Sammlungen: "Alle bisherigen Verlautbarungen der Federführenden lassen erkennen, dass es bei dem Humboldt-Forum nicht um eine Reflexion der Gewalt geht, die im Zuge des Kolonialismus von Europa aus auf den Rest der Welt ausgeübt wurde. Vielmehr wird Andersheit ontologisiert, die zur Souveränitäts- und Kosmopolitismusdemonstration der Ausstellernation dient. Die Schlossfassade steht symbolisch für die verlorene und rückgewonnene Einheit Deutschlands, sowie für das „goldene Zeitalter“ des Preußentums, das nun zum nachteilungsgeschichtlichen Lückenfüller wird. Ausgerechnet in einem solchen Zusammenhang sollen nun „Kulturschätze“ aus aller Welt zur Demonstration von Weltoffenheit der selbsternannten „Kulturnation“ dienen. Eine derartige Rekontextualisierung an diesem symbolisch aufgeladenen Ort in direkter Nachbarschaft zur Museumsinsel mit ihren Sammlungen „klassischer Hochkulturen“ nennen wir eine Instrumentalisierung nichteuropäischer Künste und Kulturen." (zitiert von der Webseite)
Institutionell ist das „Humboldt-Forum“ ein Mix aus Museums- und Forschungseinrichtungen: der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, der Berliner Landesbibliothek und der der Humboldt-Universität. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz übersiedelt die völkerkundlichen Sammlungen von Dahlem ins Zentrum der Stadt. Die Legitimation dieser städtebaulichen und damit auch ideologischen Neupositionierung der ethnologischen Sammlungen wird, ähnlich wie anlässlich des Musée du Quai Branly in Paris, mit der "Gleichwertigkeit aller Kulturen" formelhaft beschrieben. Dazu genügt aber nicht der ostentative Akt einer Verschiebung ihres symbolischen Ortes, dazu braucht es einen tiefgreifenden Wandel des Konzepts Völkerkundemuseum - wenn nicht dessen Aufgabe zugunsten von etwas Neuem, noch kaum Geahnten.
Gemeinsam mit den Museen der Museumsinsel, dem Deutschen Historischen Museum und der museal genutzten Friedrichwerderschen Kirche würde ein riesiger Museumskomplex entstehen und es fällt, als ob das nationalpolitische Konkurrenzdenken wie im späten 19.Jahrhundert (bei dem Museumsgründungen eine große Rolle spielten) ein Revival erlebte, als Bezugspunkt für diesen megalomanen Museumskomplex als Referenzprojekt nicht mehr und nicht weniger als der Name Louvre.
Eine 2009 gezeigte Ausstellung, "Anders zur Welt kommen", (hier zur Webseite) sollte modellhaft vorzeigen, was vom Humboldt-Forum einst geleistet werden könnte. Aber die mediale und öffentliche Resonanz auf die Ausstellung war verhalten und hat der Idee als Ganzes nicht zum Durchbruch verholfen. Die zentralen Widersprüche des Konzepts sind offensichtlich. Der politisch-symbolische Akt, das Schloss der Preussischen Könige wieder aufzubauen und seine Fassade zu rekonstruieren, ist als - immerhin auch finanziell aufwendiges - Vorhaben demokratischer (Kultur)Politik kaum zu argumentieren. Noch dazu hat der Architektenwettbewerb ein angefochtenes und umstrittenes, keineswegs neue architektonische und städtebauliche Akzente setzendes Resultat gebracht. Nicht nur die Wiedererrichtung eines - freundlich formuliert - ambivalenten Herrschaftsbaues unter dem Prätext des pfleglich-respektvollen Umgangs mit dem kulturellen Erbe, ist ein fragwürdiger symbolpolitischer Akt; auch die buchstäbliche Revision einer Epoche der jüngsten Geschichte: auf einem Teil des Geländes stand der Staatsbau der DDR, der Palast der Republik (erst 2008 definitiv abgebrochen).
Und davon solte das neue Projekt nicht kontaminiert werden? - Das ist aber nicht alles. Museumssammlungen, zum Beispiel solche der Humboldt-Universität, aber auch die völkerkundlichen Sammlungen in Dahlem, in das Schloss zu transferieren, ist schon auf einer ganz pragmatischen museologischen Ebene problematisch. Und schließlich: wie werden sich diese Sammlungen in die vorhandene museale Megastruktur der Museumsinsel eingliedern oder an sie anbinden? Und auf die Frage nach der Funktion der völkerkundlichen Sammlungen an diesem Ort, hat bisher über die genannten Gemeinplätze noch nicht im entferntesten jemand schlüssig Auskunft geben können.
Bahnerts Ingrimm ist also angesichts der langen Dauer der Debatten und ihrer Ergebnislosigkeit nicht zu Unrecht ziemlich heftig. "Wenn man festhält an der Vision, dass weiland als Wilde abgestempelte Andersdenker unter den Augen der Berlintouristen grübeln sollen, dann wäre für diesen modernen Kolonialzoo Christoph Schlingensief der perfekte Direktor. Und sonst? Ein 'Humboldt-Forum' mit Schaufenster der Akademien wäre eine Mischung aus interaktivem Schulfernsehen und permanentem Kirchentag."
Abbildungen: Berliner Schloß, historische Fotografie. Das Schloß als Kriegsruine. Abbruch des Palastes der Republik. Rekonstruiertes Schloß. 'Wunderkammer' der Ausstellung 'Anders zur Welt kommen'.