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Donnerstag, 9. September 2010

Museo Civico Siena

Daß auch das Museo Civico mit seinen historischen Räumen des Palazzo Publico in demselben abgelebten, 'abgewohnten' Zustand ist, wie die Pinacoteca, ist schon erstaunliche. Der Palazzo Publico ist doch das historische Herz der Stadt und ist noch immer ihr Zentrum und auch noch der Sitz der Stadtverwaltung.
Ich denke, daß ich bei diesem Besuch zum ersten Mal den Ort als Museum, als 'Stadtmuseum', wahrgenommen habe. Der Palazzo Publico ist auch für mich als Tourist so sehr mit dem Leben der Stadt verbunden, z.B. in den Tagen des Palio, daß selbst die jahrhundertealten Räume so etwas wie Gegenwart sind.
Am stärksten gilt das für mich für jenen Saal, der dem Traum der befriedeten zivilien Stadt galt. In den 1330er Jahren entwarfen hier die Brüder Lorenzetti - buchstäblich - ein Panorama der politischen und gesellschaftlichen Ängste und Träume. Auf der einen Seite die bedrohliche, zivilisierend überwundene zwieträchtige, gewaltförmige Stadt, gegenüber die befriedete, von Handel und Wandel erfüllte Stadt, im balancierten Austausch mit dem umgebenden Land gezeigt. Und einer erstaunlichen Utopie: die Figurengruppe, die bedeutungsperspektivisch die wichtigste ist, sind Frauen die zu Musikinstrumenten am Platz vor der Häuserzeile tannzen und singen.
Zwischen den beiden Fresken die Allegorie all jener verwaltungstechnisch-politischen Errungenschaften, die aus Siena für einige Jahrzehnte zu einer der bedeutendsten und mächtigsten Stadtrepubliken des Mittelalters machten: Verwaltung, Rechtssprechung, ein von Außen angeworbener, also 'neutraler' 'Bürgermeister' (Podesta), Sicherheit für mittel- und langfristige Handelsgeschäfte, für Handwerk und später auch für Bankgeschäfte.

Im Saal davor das gewaltige Marienbild, das der Schutzpatronin der Stadt galt, die den Sienesen bei der Schlacht von Montaperti half, die rivalisierende Stadt Florenz zu besiegen, wovon ein weiteres berühmtes Marienbild zeugt, das aus Dankbarkeit bei Duccio in Auftrag gegeben, als Hochaltar im Dom diente ehe es, wohl aus konservatorischen Gründen, ins Dommuseum gebracht wurde.
Da hatte aber schon die Emanzipation der weltlichen Macht von der Kirche begonnen, die großen Versammlungen fanden nicht mehr im Dom statt, sondern vor dem Palazzo Publico, am Campo, also einem Feld, später dann ein gepflasterter Platz.
Seit dem 16. Jahrhundert findet hier alljährlich und zweimal der Palio statt, ein Wettstreit der Contraden (der Stadtviertel) in Form eines Pferderennens. An diesem so lebendigen wie komplexen Fest scheint mir das Bemerkenswerteste, daß es ganz und gar von der Dialektik von Differenz, Konflikt einerseits und Gemeinschaftlichkeit andrerseits bestimmt ist. Es gibt die jährlichen Sieger, aber nie den Sieger, der Wettstreit läßt sich nie befrieden, er ist notwendig, er wird im 'Kampf' - der im Rennen sehr erbittert sein kann -, ausgetragen, gleichzeitig aber sublimiert in seiner Funktion, die Stadt zu erneuern und zu repräsentieren.
Wo es andernorts, vor allem in totalitären oder autoritativen Gesellschaften, das Opfer ist, das die Vergesellschaftung symbolisch oder auch praktisch (im Faschismus, im Nationalsozialismus) bewerkstelligt, ist es hier das Spiel, auch eine Tradition der protodemokratischen Geschichte der Stadt, die hier lebendig gehalten wird.
Deswegen ist der Palazzo Publico (und nicht nur deswegen) und das Museum der zentrale Ort von Siena, den ich jedem Besucher zu allererst empfehle.
wieder meine Reverenz erwiesen und die Maesta gewürdigt, aber dann, als ich den Nebenräumen war, hab ich bald die Flucht ergriffen, in Richtung Café am Campo.

Mittwoch, 8. September 2010

Pinacoteca Nazionale Siena

Der Pinacoteca Nazionale scheint die Commune di Siena nicht viel zuzutrauen. An der Ecke, an der ein Schild zum Dom, Dommuseum und dem Complesso museale St. Maria della Scala weist, fehlt der Hinweis auf das nur hundert Meter geradeaus in der Gasse liegende Museum.
Ich hatte eine vage Erinnerung an einen sehr lange zurückliegenden Besuch, die ich auffrischen, eigentlich revidieren wollte. Ich hatte nur die nicht enden wollende Ansammlung von Heiligenbildern, namentlich Madonnen, in Erinnerung.
Es ist mir nicht gelungen, diesen Eindruck zu revisieren. Im Gegenteil. Es braucht bis in den Saal 15 ehe da ein profanes Bild auftaucht, ein Triumph Davids, ein bescheidenes Werk, das ich dennoch dankbar annahm. Bis dahin: Madonnen. Mit nach links geneigtem Kopf. Mit nach rechts geneigtem Kopf. Mit dem Kind auf dem linken, mit dem Kind auf dem rechten Knie. Nun entwickelt die (senesische) Malerei der Gotik dabei kaum über bestimmte Konventionen hinausgehende Bilderfindungen. Es gibt gute und schlechtere Bilder, Bilder, die man nicht unbedingt in einer 'National'Galerie erwarten würde und einige wenige herausragende, z.B. von Duccio oder den Lorenzetti.
Der Eingangsbereich
Der 'Überwachungsraum'
Man muß sich schon weit im Museum vorwärts bewegt haben, um endlich stilistisch-ikonografische Auflockerung zu bemerken, das Heiligenpersonal wird abwechslungsreicher, ab und zu taucht mal etwas Erzählerisches, oder, im Hintergrund, eine Landschaft.
Kenner der senesischen Malerei werden hier begeistert werden können, als Durchschnittsbesucher (mit kunsthistorischer Bildung) blieb mir das alles ziemlich fern. Da es um eine einzige Mal'schule' geht, die sienesiche - als Überraschungsgast taucht mittendrin eine elisabethanische Königin auf -, begnügt sich das Museum mit einer Chronologie vom Raum 1 im ersten Geschoss bis zum Raum 36 oder 37 oder… im zweiten Geschoss. Die üblichen, knappen Beschriftungen geben, wie so oft in Kunstmuseen, keinerlei Hinweise auf Auftraggeber, Stifter, Künstlerbiografien, Anlässe für Bilder.
Gegen die übrigen musealen Orte der Stadt ist so das Museum chancenlos. Außer mir gab es nur noch zwei Besucher.
Was den Besuch vollends trostlos macht, ist der Zustand des ganzen Hauses. Es ist eines jener Museen, wo man schon beim Betreten das Gefühl hat, es geht um ein Museum, das sich selbst aufgegeben hat. Alles wirkt provisorisch, abgewohnt, verbraucht, schäbig. Es fehlen Bilder und Objekte ohne jeden Hinweis, als ob sich da Werke aus Verzweiflung über ihr tristes Dasein einfach aus dem Staub gemacht hätten, hie und da gibt es Spuren von Erneuerung, aber lange schon liegengelassen, die Beleuchtung ist schlecht, der Zustand vieler Bilder auch.
Die Dame an der Kassa reicht mir das Ticket und weist mich an eine weitere Mitarbeiterin, die neben ihr hinter dem Bord sitzt. Sie verlangt meinen Pass - nur so bekommt man einen Schlüssel für ein Schließfach für das kleine Gepäck. Dort hat man den Einblick in einen leeren Raum, in dem von niemanden beobachtet Monitore stehen. Das Aufsichts-Personal in den Räumen rettet sein Leben, indem es nicht der trostlosen Tätigkeit des Umherflanierens auf immer gleichen Wegen vor immergleichen Bildern nachgeht, sondern heftig Plaudernd in Gruppen zusammensteht oder (die Männer) -sitzt.
Zimmer mit Aussicht, auf Siena immerhin
Das hat den Vorteil, daß man als Besucher frei und unbeobachtet durch die beiden Galeriegeschosse wandeln kann und sich nicht um das Fotografierverbot kümmern muß, das buchstäblich in jedem Raum (!) auf abgenudelten Zetteln erinnert wird. Vor der Garderobe werden, mit mehrfacher Wiederholungen, die diversen Verbote und Regelungen, einschließlich der Paß gegen Schlüssel, angekündigt und man liest die erstaunliche Ankündigung, daß das Personal jederzeit das Gepäck der Besucher durchsuchen darf.
Gegen Ende des Museumspfades wird es dann noch mal interessant, hier finden sich einige interessante und merkwürdige Gemälde von mehr oder minder bekannten Malern des Manierismus, allen voran mehrere herausragende Werke von Demonico Beccafumi. In diesen Räumen vergisst man für einen Moment, daß das Museum um einen herum langsam zu Staub zerfällt - bis sich die Stadt Siena einmal entscheiden wird, ihrer Gemäldesammlung eine gründliche Überholung zu gönnen.

Sonntag, 5. September 2010

Das Ospedale Santa Maria della Scala in Siena - ein Museumslabyrinth

Das Ospedale Santa Maria della Scala in Siena, ein riesiger Architekturkomplex, dem Dom unmittelbar gegenüber gelegen, war bis in die 70er-Jahre Spital.
Ein frühmittelalterlicher Raum, der wiederhergestellt wurde, mit Säulen und Fresken, diente bis zuletzt als Notaufnahme. Jetzt ist das ein riesiger Komplex aus Museum, Kindermuseum, Ausstellungsräumen, Veranstaltungsorten, Archiv, Restaurierwerkstatt.
Aber das ist noch nicht alles. Außer beim Besuch jener Kirchen in Rom, die aus mehreren Zeit-Schichten bestehen, in die man hinabsteigt bis man zu den frühchristlichen Katakomben kommt, habe ich noch nie einen Ort kennengelernt, wo ein derart merkwürdiger und überraschender Weg wie durch die Schichten einer archäologischen Grabung in die Tiefe führt.
Mitte der 80er-Jahre begann mit dem Planen, bald danach waren hier Ausstellungen zu sehen. Jetzt nennt sich das Ganze ein Museum under construction, es wächst mit dem Fortschreiten der Restaurierung und seiner Finanzierbarkeit. Immerhin, so habe ich wo gelesen, geht es hier um einen Raumkomplex im Volumen etwa das Vierfache des Domes.
Ganz oben zunächst das Erwartbare - Kassa und Shop, in einer riesigen Halle, wo die Intervention des modernen Möbel-Ensembles, Infodesk, Büchersockel etc. einen vorbereitet auf die Museografie, die man als bewußt kontrastierende Intervention in die Historischen Räume implementiert hat.
Dieses oberste Geschoss des Ospedale beeindruckt vor allem durch riesige Räume, die wohl ehedem als Kranken'zimmer' genutzt wurden und durch mehrere sakrale Räume, die mehr oder minder fragmentarischen in ihren Überlieferungszustand zurückversetzt wurden. An die Funktion eines Spitals erinnert hier nichts mehr.
Außer ein großer Freskenzyklus, den einer der geistlichen Leiter des Instituts nach dem Motto stiftzete "Tue Gutes und rede darüber!". Die Bildpropaganda illustriert die Arbeit des Ospedale, aber wie weit sich die Bildgeschichte mit der Wirklichkeit deckt, bleibt offen.
Erstaunlich ist, wie man in diesen ersten Räumen schon bemerken kann, wie unbekümmert das moderne Ausstellungsenvironment in den historischen Kontext interveniert. Die gesamte Sockelzone ist Text, genauer gesagt Textträger, denn der eigentliche Text würde ungleich weniger Raum verbrauchen oder nahezu keinen, wenn man auf die in anderen Räumen verwendten entnehmbaren Textblätter zurückgegriffen hätte.
Die Betextung legt einen Parcours durch die Geschichte des Gebäudes und Nutzung der Räume. Im Einzelnen ist das meist wenig interessant, als Ganzes eindrucksvoll.Überraschend ist ein Kindermuseum, das vor allem mit einer Sammlung von Kindheitsdarstellungen arbeitet, und eine unvermittelt sich öffnende Gipsotec, wo ich mir nicht ganz sicher war, ob das entschieden zu weit getriebene Hell-Dunkel einem technischen Gebrechen (partieller Lichtausfall) oder einem rabiaten Konzept zu verdanken war.
Das Abenteuer begann für mich, als ich einem abwärts führenden Pfeil folgte. Dort kommt man in ein labyrinthisch verzweigtes Geschoß offenbar noch genutzter (?) sakraler Raume. Sie dienten Bruderschaften, die, seit dem Mittelalter hier 'ansässig', sowohl kirchliche als auch politische Machtkerne bildeten. Das Subterrane und Klandestine der Räume, vollgepfropft mit jenem religiösen Mobiliar und Nippes, das ästhetisch grausam, funktionell kaum durchschaubar eine ebenso zählebige wie morbide Spielart des Katholizismus repräsentiert, der spirituelle Spuk und Kitsch, das alles gerät durch das Düstere der höhlenartigen Räume und die spärliche Beleuchtung an den Rand des Erträglichen. Unheimlich ist noch ein freundliches Wort für diese merkwürdig nekrophile Aura, die hier - ganz unberührt von der musealen und touristischen 'Welt da oben', herrscht.
Dann ein weiteres Geschoß, das noch mal diesen seltsamen Männerbünden mit bombastischen religiösen Namen vorbehalten war. Die Ausstattung dürfte weitgehend aus dem 19. Jahrhundert stammen und wirkt schon auf den ersten Blick kurios. Einerseits deutet das Mobiliar auf Versammlung und Zusammenkunft, andrerseits gibt es so viele Bilder an den Wänden, daß man an eine Galerie erinnert wird. Das sind Werke von Künstlern, die von den Bruderschaften finanziell unterstützt wurden. Zusammen mit den an antike Heroen erinnernde Marmorbüsten diverser uomini illustri macht das schon mal einen zwar profaneren, aber nicht minder unheimlichen Eindruck.
Dann gibt es einen winzigen Raum, sechs, sieben Stühle, ein Tisch mit einem Lehnsessel, der dem hier Sitzenden einen besonderen Rang verliehen haben muß, an den Wänden Bilder, die, mit einer Ausnahme mehr oder minder freizügig bekleidete Frauen zeigen. Eine Tapetentür. Sonst nichts. Auch einen der neuen Infotexte gibts hier nicht. Man soll sich bei diesem Sanktuarium denken, was man will.
Dann noch eine Treppe runter, das ist möglich wegen der steilen Hügel, die man verbaut hat. Man ist nie innen und unten, sondern  bewegst sich sozusagen den Steilhang runter.  Plötzlich steht man in einem (modern restaurierten) fast endlosen gewölbten Gang (mit einem Ausgang, schätzungsweise vier Stockwerke unter dem Eingangsniveau). Nächste Überraschung: völlig unerwartet steht man vor zwei der beim Palio benutzten Wagen, auf den der eigentliche Palio, die 'Siegerfahne' und immer ein Marienbild vor dem Pferderennen, das um den Campo führt, um den Platz geführt wird.
An einer Seite dann Glastüren, die zum Archäologischen Museum führt.
Obwohl diese nun zum complesso museale der Santa Maria della Scala führt, entpuppt es sich als eine Welt für sich. Und als was für eine! Einen ähnlichen Ausstellungsraum habe ich nur einmal gesehen, im "Berg der Erinnerungen" (2003), einer Ausstellung in den als Bombenschutzkeller genutzten Kavernen im Grazer Schloßberg.
Wozu auch immer diese Gänge in den Berg gegraben wurden, labyrinthischer kann kaum etwas sein. Besucher gibt es wenig, Aufsicht keine, und es könnte einem etwas bange werden, wenn nicht in gewissen Abständen an die zwei Notausgänge und ihre leichte Erreichbarkeit von jedem Punkt der Ausstellung aus, erinnert würde.
Man beginnt arglos, biegt um eine Ecke, wird in  die Gegenrichtung geschickt, einen langen abwärts führenden Gang, und immer wenn man denkt, jetzt ist es zu Ende, jetzt müsse man umdrehen und den Weg zurückfinden, ohne Ariadnefaden, dann entdeckt man einen weiteren Pfeil der einem einen Weg weist, nicht zu ein oder zwei weiteren Räumen, sondern zu einem weiteren Abschnitt des Höhlensystems.
Griechische, römische und vor allem etruskische Funde sind zu sehen, übrigens so karg beschriftet, wie man nur karg beschriften kann, etwas dramatisiert beleuchtet, also das Hell-Dunkel der Höhlenräume unterstreichend, als um Sichtbarkeit der Details bemüht. Einheitliche Holz und Faserteppiche, eisengerahmt, von der Wand etwas abgesetzt, lassen einen wie auf Bootsstegen die Sammlungen durchqueren.
Urnen, Münzen, Vasen, Reliefs, Spolien, Figürchen, Beilklingen - an was kann ich mich noch erinnern? Zu irgendeiner Kunst- und Kulturgeschichte setzte sich das für mich nie zusammen, wahrscheinlich müsste man all die entnehmbaren Blätter durchlesen oder sich einen Katalog beschaffen. Noch dazu stützt sich die Gliederung nicht immer auf Chronologie, sondern ehrt Sammlerpersönlichkeiten, indem sie deren Sammlung beisammen lässt und als Einheit ausstellt.
Ein Objekt hat es mir besonders angetan, ein Relief von einem Sarkophag aus dem 2. Jahrhundert nach Christus. Dargestellt sind die Musen und einige männliche Personen, deren Bedeutung ich nicht kenne. Das Relief ist gut erhalten und hat eine überdurchschnittliche Qualität. Leider war in der Ausstellung nichts über den Kontext dieses Fundes zu erfahren. Musendarstellungen haben mich zu interessieren begonnen, als ich mich mit der Etymologie von 'Museum' und dem Musen-Mythos beschäftigte. Eine der Musendaß ihre Linke die Leier nur wie beiläufig hält, die Finger durch die Saiten geflochten, so als ob sie - gestützt auf ihre Lektüre - gleich wieder zu singen beginnen würde...

Das MART Rovereto


Italien ist vom Boom der Museumsarchitektur, der sich seit etwa 1980 entwickelt hat, kaum berührt worden. Zaha Hadids Museum des XXI. Jahrhunderts in Rom ist - fast - ein Einzelfall. Eine andere, spektakuläre Ausnahme ist ein Museum in einer relativ unbekannten, touristisch kaum bedeutenden Stadt: Rovereto. In dieser Stadt ist aufgrund eher zufällig sich kreuzender Ereignisse ein große Futuristensammlung entstanden, die zwar museal präsentiert wurde, aber nur in bescheidenen Umfang. Die Region Trentino sah eine Chance, sich kulturell zu profilieren und finanzierte einen ambitionierten Neubau. Der mehr ist als ein Museum, hier findet sich auch eine Bibliothek, ein Veranstaltungssaal, die Stadtbibliothek, eine Forschungs- und Dokumentationsstelle zum Italienischen Futurismus und natürlich auch das obligatorische Cafe-Restaurant und ein Museumsshop.
Von der Bedeutung der Sammlung habe ich zum ersten Mal eine Vorstellung bekommen, als ich in Paris eine Ausstellung zur italienischen Moderne gesehen habe, die wesentlich von der Sammlung des MART - so heißt das Museum im Kürzel - getragen wurde.
Der Besuch am Ort war dagegen fast eine Enttäuschung. Denn nur ein Stockwerk steht derzeit der Sonderausstellung und der Sammlungsausstellung zur Verfügung, die übrigen dienen kleineren Ausstellungen und den genannten anderen Funktionen.
Man betritt also ein großes, weitläufiges Museum, mit fast labyrinthischen Wegführungen über einem an sich ganz klaren und rationalen Grundriss. Drei Flügel gruppieren sich um eine 'Piazza', die wiederum durch eine zentrale, in der Hauptachse liegende Treppe erschlossen werden.
Hier gibt es erstaunlich viel Raum jenseits der Sammlungen, von dem nicht recht ersichtlich ist, welche Funktion er hat. Rund um einen zentralen, durch alle Geschoße reichenden Schacht liegen offene Räume, die nur der Kommunikation zu dienen scheinen, wiewohl von dort keine nutzbare Kommunikationswege zur Hand sind, da ja die Ausstellungen nur im obersten Stockwerk zu finden sind.
Bemerkenswert ist, wie der Architekt des Museums, Mario Botta, den Bau in die vorhandene historische Bebauung eingefügt hat. Da das Museum hinter zwei Palais liegt, gibt es keine monumentale Fassade. Der Zugang zwischen den Palais, auch eine offene Sichtachse, wird als Blick in eine gleichsam aufgesprengtes Pantheon inszeniert. Vor dem Museum liegt ein Raum, der nach vorne und nach oben offen, sowohl Innen- als auch Außenraum ist, 'Pantheon' und 'Piazza'. Als vor dem Museum gelegen ist er funktional Stadtraum und -platz, wenngleich das Pathos der überkuppelten Rotunde (eine Bauform, die in der gesamten Geschichte der Museumsarchitektur variiert wird) und die ja meist im Museum liegt, auch auf das Museum 'abfärbt'.
Wie James Sterling bei der Stuttgarter Staatsgalerie gewinnt Botta der sakralen Würdeform des überkuppelten Rundsaales die praktikable und sozialisierende Funktion des urbanen 'Sammlungs'raumes zurück und gibt ihm als 'Vorhof' des Museums die Aufgabe des bedeutungsvollen Empfangsraumes.

Freitag, 3. September 2010

Das ladinische Museum in St. Martin in Thurn

Glaubt hier wer an die Bedeutung des Museums?
Na, dann schauen wir mal.
Zum Beispiel war ich heute im Ladinischen Museum in St. Martin in Thurn.
Wenn man da von Bruneck hinfährt, bekommt man eine Ahnung, warum Menschen in langdauernder Abgeschlossenheit gelebt haben. Heute nutzt man eine kostspielige Straße, die eine Klamm mit vielen Tunnels und anderen Kunstbauten relativ bequem durchquerbar macht. Lange Zeit muß es hier unpassierbar gewesen sein. Auch die Straße nach Westen, in Richtung Brixen, ist kaum anders als modern vorstellbar. Vielleicht ein schmaler Weg, mehr nicht, früher.
Im Gasthaus im Zentrum des Dorfes höre ich viele Gäste eine fremdartige Sparche sprechen. Ich bin sofort bereit, das für ladinisch zu halten und daraus auf die Lebendigkeit dieser Sprache zu schließen. Der ladinischen Kultur überhaupt, grade bin ich am ladinischen Kulturzentrum vorbeigekommen, am Weg vom Parkplatz zum Ortszentrum.
Das Museum, das ich suche, liegt außerhalb.
Freunde haben es mir vor Jahren empfohlen. Es steht schon lange auf meiner Agenda, und jetzt, wo mich meine Urlaubswege in die Gegend führen, schaffe ichs endlich.
Das mit dem Außerhalb heißt einerseits, daß es sich um eine Burg handelt, wenn man das Museum sucht und besucht, andrerseits, daß das Museum eine Überraschung (für mich) darstellt, weil es über die Ladiner handelt (abhandelt), als sei das ein rätselhafter Stamm am Amazonas und nicht eine Bevölkerung nebenan.
Das hab ich nicht erwartet. Obwohl es wohl genauso zu erwarten war. Touristen brauchen Ziele, Verweildauer, Konsummargen. Nein, die Tourismusindustrie braucht das, die Touristen brauchen Zeitvertreib, leichte Kost, ein bissl Geschichtskultur, lokal, exotiosch, unikal.
So kommts, daß hier über die Ladiner, nicht mit ihnen und nicht durch sie gesprochen wird. Wir sind in einem ethnologischen Einheimischenmuseum für 'Fremde'.
Kein Zweifel, es gibt viel zu Lesen, viel, sich zu informieren. wer die Ladiner sind, woher sie kommen. Identitätsgeschichten, Herkunftsgeschichten. Nur: für wen jetzt? Für mich? Für die Ladiner?
immer, wenn ich eine Frage habe, sagt das Museum: ich hab da einen Bildschirm für Dich.
So komm ich auch weiter, Raum und Raum, und noch eine Ecke und noch ein Annex und noch eine Abzweigung.
Es gibt viel Holz, Stahl, grünes Mattglas, weißverkalkte Wände. Nichts davon hilft mir beim Verstehen. Aber alles sagt: ich bin ein Museum am neuesten Stand des Design.
Ständig stellt sich mir was in den Weg und sagt: ich bin eine Schautafel, ich bin ein Leitsystem, ich bin ein Raumtext.
Und jetzt lieber Leser sind Sie dran. Dieses Bombardement von sozialhistorischen Informationen, wie gehen Sie damit um. Ständig hat man z.B. die Bauern in die Pfanne gehauen, daß es nur so geklescht hat. Landesherren, Äbtissin, Söldner, Bischöfe, Burgherren, alle droschen auf die Bauern ein. Dann raffen die sich mal auf und drehen den Spieß um, mit List und Tücke töten sie über 40 Kriegsknechte, die man zum Eintreiben des Zehent geschickt hatte. Es nützt Ihnen nur nichts. Alles bleibt beim alten, die Mächtigen arrangieren sich und die Äbtissin des adeligen Damenstiftes darf weiter die Bauern nach Belieben fertigmachen.
So und jetzt Sie. Was machen Sie? Kriegen sie Kopfwut? Depressionen? Denken Sie sich "Warum ist immer alles so gekommen, wie es keiner wollte?" Oder gehen Sie auf einen Espresso ins Museumscafé?
Welche Art von Geschichtswissen brauchen wir. In welcher Form? Wozu?
Ich habe in einer Burg in wunderbarer Lage einen bequemen, mich nicht zu verstörenden Rundgang hinter mich gebracht, mit sanftem Bildungserlebnis und - tatsächlich - einem Besuch in der Cafeteria zum Abschluß.
Es ist immer alles so kompliziert. Und das Museum muß es einfach machen. Es hat nun mal nur bestimmte Objekte und nur bestimmten Raum für Text. Da geht es um die Identität der Ladiner, wie man mir sagt, also um ihre Sprache. Da wird die Galerie der Alphamänner vorgestellt, die sich im 19. Jahrhundert um diese sprachlich fundierte Identität sorgten. Da taucht plötzlich der Begriff der "Nation" auf. Der ladinischen? Blöd nur, daß es das Ladinische gar nicht gibt, sondern Varianten in den verschiedenen Tälern. Das könnte bedeuten, daß der Versuch, das Ladinische im 19. Jahrhundert zu formieren, um es zur Anerkennung zu bringen, gleichzeitig das Ladinische gefährdet = seine Vielfalt. Da könnte es also um (mindestens) zwei Identitätskonzepte gegangen sein. Um ein ständig shiftendes, sich entziehendes, und eines, das um der politisch-kulturellen Anerkennung willen ("Rettung"), eine neue, gewaltsame Einheitlickeit herstellen will.
Sowas überfordert ein Museum. Oder?
Ich bin ohne tieferen Eindruck weggefahren, ein wenig mißgelaunt ob der Diskrepanz von gestalterischer Gebärden einerseits und inhaltlichem Gehalt andrerseits.
Es liegt natürlich an mir, und nicht am Museum.
Museen haben ja immer recht.

Donnerstag, 2. September 2010

Reden im Traum - Das Kärntner Handwerksmuseum in Baldramsdorf


Wenn eine Museumssammlung, wenn ausgestellte Dinge nicht von den üblichen und erwartbaren Ordnungs- und Deutungsmustern zusammengehalten werden, kann man das 'Ausbrechen' der Exponate aus der musealen Disziplin beobachten. Die Semantik der Ausstellungsobjekte geht mit ihnen durch und entzieht sich jeder Kontrolle. Die Dinge schließen miteinander unerwartete Bündnisse, denken Geschichten aus und entwickeln ein chamäleonhaftes Eigenleben. Das Museum beginnt wie im Traum zu reden...
Nicht daß das Kärntner Handwerksmuseum in Baldramsdorf (ein kleines Dorf in der Nähe von Spittal an der Drau), nicht eine sehr disziplinierte Ordnung besäße: ziemlich säuberlich sind in rund 40 Räumen verschiedenste Handwerke präsent, Werkzeuge, Geräte, Dokumente, Maschinen, Produkte, Pläne, Fotografien, Arbeitsmaterial, Möbel, Erläuterungen, Zeugnisse, Urkunden, Zeichnungen usw. Aber diese Ordnung bildet den großen Rahmen und regiert nicht im Einzelnen und im Detail.
An allen Ecken und Enden beginnen die Dinge etwas auszuhecken, wie in jenen Grimmschen Märchen, wo die Verselbständigung der Dinge Unvorhersehbares, Unheimliches, Gewitztes auslöst.
Dabei ist das Museum nicht dilettantisch. Hier gibt es eine große Behutsamkeit den Dingen gegenüber und den Menschen, deren Arbeit dokumentiert wird. Es gibt nicht wenige Ensembles, die mit traumwandlerischer Sicherheit arrangiert zu sein scheinen - aber in der Regel weit weg von dem, was wir von 'gestalteten', 'inszenierten' Museen ansonst gewohnt sind. Dafür fehlt fast ganz jene didaktische Anmutung, die das Arrangement nur als Träger einer Information versteht. Hier geht es eher Bilder von Lebensspuren, um Arrangements, die nicht das Museum erfindet, sondern die die Routinen bestimmter Arbeiten, bestimmter Handgriffe, bestimmten nützlichen Zur-Hand-Seins bestimmen. Kaum ein Objekt fristet ein trostlos isoliertes Dasein, jedem wird eine mehr oder minder stimmige Geselligkeit gegönnt.
Bekanntlich sind wir fast zwanghaft veranlasst, Dinge, die wir nebeneinander wahrnehmen, in Beziehung zu setzen. Wenn nun Dinge, die nichts oder vermeintlich nichts miteinander zu tun haben, plötzlich in Nachbarschaft geraten? Dann werden wir ebenso zwangsläufig Assoziationen, Vermutungen, Geschichten mobilisieren; dasselbe geschieht, wenn Dinge ohne Beschriftung auftreten, aber weder funktional noch symbolisch sofort zuzuordnen sein. Wenn uns also alle Bojen fehlen, um ein Objekt im offenen Meer der Bedeutungen zu vertäuen. Wiederum werden wir phantasievoll und phantastisch reagieren müssen.
Wie nun, wenn dieses Vexierspiel auf die 'Logik' des Museums übergreift, uns die Tatsache, daß aberdutzende von Objekten ausgebreitet werden, aber nur eins davon beschriftet ist, auf der Metaebene den Boden unter den Füßen unserer Museumsgewissheiten wegzieht. Wenn authentische Berichte, Beschreibungen aber auch zeitgenössische Beschriftungen, wie verkehrt herum montierte Wegweiser uns immer wieder stören, wenigstens in unserem Kopf Ordnung zu machen.
Und diese schiere Fülle! Das ist mal ein Museum, wo es sich lohnt, auch auf den Boden zu schauen. Was da alles abgestellt ist, mal ostentativ, mal wie vergessen oder verräumt, halb versteckt. Mal reihen sich Bügelseisen auf Regalen, mal steht eine Schachtel mit Zeug auf einer Werkbank, als hätte nur jemand vergessen, sie wegzuräumen. Überschuhe stehen wie eben ausgezogen am Boden und in der Greißlerei hängen die Papiersackerln bereit, um gefüllt zu werden. Im Frisiersalon gibt es das Tischchen und den Thometstuhl, auf dem man wartet und Illustrierte liegen bereit, damit man sich die Zeit vertreiben kann. Von einer prangt Romy Schneider, von der anderen ein TEE vor dem Kölner Dom. Dabei sind solche Arrangements wie beiläufig und ohne eine aufdringliche Suche nach Authentizität gemacht. Auch ohne den gesuchten Effekt, als hätte eben nur für kurze Zeit den Raum verlassen.
Überall ragen Biografien herein, der "lachende Friseurmeister", der Fotograf, der Maler, der Lodenmacher, der Hufschmied, der selbst aufgeschrieben hat, was er wie gemacht hat. Und nun hängt das da, in Plastikfolie, zum Durchblättern, Handschrift und Zeichnungen...
Viele Objekte und Objektgruppen, einzelne Räume fungieren als Monumente, als Erinnerung an Personen, die entweder noch zu Lebzeiten Dinge dem Museum übergeben und dann übrigens meist zu ihnen 'zurückkehren', oder als Erinnerung von Nachkommen an Vorfahren und deren Leben und deren Arbeit.
Die individuellen Erinnerungsspuren werden sehr bewußt in die anerkannte Gedächtnismaschine 'Museum' eingewoben und sie wird benutzt, um dem gelebten Leben Anerkennung und Eingedenken zu gewähren.
1977 eröffnete das Museum. Getragen wird es von einem Verein und ehrenamtlichem Engagement. Es gibt eine starke Leiterpersönlichkeit, aber viele Personen, die das Museum hegen und pflegen. Ein kollektives Projekt.
Ich kenne das Museum seit vielen Jahren, habe es nun wieder besucht und war erstaunt, daß es trotz mancher Bereingungen und Retuschen noch immer die alten Qualitäten hat. Selbst seine Didaktisierung mit Hilfe einheitlicher Erläuterungstafeln mit Bildern und Texten, tut ihm nichts an. Man kann sie, wenn man will, ganz übersehen, und es schadet der Poesie der Arrangements nicht, wenn man sie liest.
Fotos geben selten eine Vorstellung einer Ausstellung. Sie können ihr Performatives nicht reproduzieren. Deshalb: hinfahren und anschauen. Aber Verantwortung kann ich nicht übernehmen - vielleicht werden sie es ganz anders sehen, unempfänglich oder überempfindlich sein, z. B. gegenüber der Betulichkeit mancher moralisierender Texte, der Bizzarheit und Beliebigkeit. Wer weiß, wie es Ihnen geht, mit den traumredenden Dingen...

Die Webseite des Museums leistet sich den Luxus, Räume in schwenkbaren Videoclip-Panoramen zu zeigen. Eine Möglichkeit, sich auf das Museum einzustellen. Außer (was ich tun würde), sie wollen sich überraschen lassen.

Dienstag, 31. August 2010

Spüren Sie die Elemente! Das "Internationale Maritime Museum" in Hamburg

Schiffe. So weit das Auge reicht.
Uniformen. So weit das Auge reicht.
Haben Sie schon mal die Webseite des "Internationalen Maritimen Museums" Hamburg geöffnet ? Kleine Warnung: Es wird Ihnen eine bombastische Musik entgegendröhnen, wie sie Sie nur aus hochpatriotischen Hollywood Blockbustern kennen. Dazu ebenso großartige Versprechungen, was das Museum alles können wird, wenn Sie es besuchen…
Spüren Sie die Elemente! Werden Sie Forscher! Seien Sie wieder Kind!
Mit 30.000 Schiffsmodellen beginnt es. Im obersten Stockwerk, des neun Geschosse hohen, in der Speicherstadt gelegenen Museums. Von dort an gehts Stock um Stock abwärts durch alle nur erdenklichen Themenfelder, Ozeanografie, Schiffahrt, nochmal Schiffsmodelle, diesmal aus Silber und Elfenbein, Bilder und Grafiken von Schiffen, Unmengen davon, Uniformen, Handelsschiffsfahrt, Kriegsmarinen, Militärkaplane zur See, die auch international, Auszeichnungen.
Alles das, dieser gigantische 'Speicher' mit seinen abertausenden Objekten, ist das Resultat privaten und wie es scheint weder finanziell noch thematisch eingegrenzten Sammeleifers. Mit sechs Jahren soll Peter Tamm zu sammeln begonnen haben. Jetzt gilt seine Sammlung als weltweit größte zur Seefahrt.
Ideologisch läßt sich allerdings eine gewisse Neigung zu Militaria mit einer gewissen besonderen Neigung zur NS-Zeit feststellen. Das funktioniert so, daß diese besondere Zeit zu einer nicht besonderen Zeit gemacht wird, eben zu einer wie jede andere. Man rückt sie einfach in einen Gänsemarsch der geschichtlichen Abschnitte ein und neutralisiert damit alle Dokumente. Die heftige Kritik an diesem Umstand, hat den spendablen Hamburger Senat nicht beeindruckt.
So außergewöhnlich der Raum (ein alter Speicherbau) ist, so wenig ambitioniert ist die Ausstellung; wie anders als endlose Serien soll man auch 30.000 Modelle zeigen? Häufung, Reihung sind vorherrschende Prinzipien. Nur nicht genau hinschauen, es ist einfach zu viel, auch wenn Sie sich nachher an der Austernbar zu laben gedenken.
Schiffsmodelle. So weit das Auge reicht.
Erst vor wenigen Jahren wurde das Trumm hingestellt, mit viel Geld aus der Kasse der Stadt Hamburg. Es gibt also Geld in der Stadt für Museen, sagt sich der als Tourist angereiste Laie, erschöpft im untersten Stockwerk angekommen. Ja, sagt Wikipedia, etwa 35 Millionen. "Hinzu kommt," sagt Wikipedia, "dass die für den Beschluss zuständige Senatorin Dana Horáková eine Bekannte Peter Tamms aus jener Zeit ist, als sie beim Axel-Springer-Verlag als Journalistin Karriere machte und Tamm dort Vorstandsvorsitzender war. Das Projekt fand in der Hamburger Bürgerschaft breite Zustimmung. Der Beschluss vom 12. Februar 2004 kam ohne Gegenstimmen und mit Stimmenthaltung der GAL zustande."
Schiffsmodelle. So weit das Auge reicht.
Die Süddeutsche Zeitung ging mit dem frischeröffneten Museum noch böser um, und sprach von fetischhafter Distanzlosigkeit. (25.06.2008) Hier ist Frau Horákóva übrigens nicht "Bekannte", sondern "ehemalige" Angestellte.
"Was man dort nämlich faktisch lernen kann, ist, wer mit 196 Schiffen die meisten Versenkungserfolge in der Geschichte des U-Boot-Krieges vorzuweisen hat und wie toll die Kameradschaft auf einem deutschen Kriegsschiff der Nazizeit war. Sachliche Information besteht aus unkritischer Kolonialgeschichte und ausführlichen Erinnerungen der kaiserlichen Admiralität, deren Ordensnachlass und Hutschachteln dazu noch prunkvoll inszeniert werden. Statt die Gräueltaten der Herrenmenschen in Afrika und Europa zu dokumentieren, beschreibt die Ausstellung lieber in ermüdender Ausführlichkeit die technischen Details von Torpedos und Panzerschiffen."
Ich kann nach meinem Besuch auch nicht viel anderes sagen, als daß es tatsächlich erstaunlich ist, daß dem Militaria-Sammler ein solches Haus errichtet wird und gleichzeitig ein Museum wie das in Altona sichtbare Spuren der Implosion zeigt. Außerdem: eine private Sammlung ist das eine. Ein Museum das andere. Eine Transformation setzt immer einen Bedeutungs- und Funktionswechsel voraus. Es muß plausibel werden, welches öffentliche Interesse eine individuelle Sammlerobsession zu überformen und zu transzendieren imstande ist. Das ist hier nicht oder kaum ins Spiel gekommen und die Notwendigkeit, das Museum (seine Gestaltung, seine Botschaft...), wurde nicht erkannt. Deswegen ist das Museum in weiten Teilen vor allem eins: langweilig.
Auch eine Museumskrise. Aber eine happig kostspielige.

Dienstag, 27. Juli 2010

Conciergerie - Ort zweier Gedächtnisse

Vermutlich verirren sich nur wenige Pariser Museumstouristen hierher: in die Conciergerie, eine unübersichtliche Raumflucht im Palais de la Cite an der Seine. Hier befinden sich - ansehnliche - Reste der Königsburg des 14. Jahrhunderts und einer der ersten Eindrücke nach dem Betreten dieses 'Museums', das eher ein Gedächtnisort ist, ist eine riesige, eindrucksvolle mittelalterliche Pfeilerhalle - Salle des Gens d'Armes.
1391 wurde hier ein Gefängnis eingerichtet (was es bis 1914 blieb), und die Conciergerie erlangte eine spezielle Berühmtheit, als in der Französischen Revolution hier das Revolutionstribunal tagte und die zum Tode verurteilten in den Gefängniszellen festgehalten wurden - 'Vorzimmer der Guillotine' nannte man sie.
Marie Antoinette verbrachte hier die Zeit vor Ihrer Hinrichtung und so wurde der Ort zu einer der königstreuen Verehrung. Wie in Meyerling das Zimmer des Selbstmordes abgebrochen und durch eine Kapelle ersetzt wurde, so scheint man auch hier in einer Löschung aller materiellen Spuren den einzigen Ausweg aus einer nachhallenden Traumatisierung gesehen zu haben. An der Stelle der Gefängniszelle Marie Antoinettes wurde eine Kapelle errichtet, ein Gedächtnisort der königlichen Familie und des Königtums überhaupt.
Nur durch verwinkelte Treppen und Zimmer getrennt gibt es hier indes auch die Erinnerung an die Revolution und Revolutionäre, vor allem an die, die ebenfalls hier als Verurteilte auf ihre Guillotinierung warteten, wie z.B. Georges Danton.
Auf merkwürdige Weise durchkreuzen sich hier zwei Erinnerungsmilieus, zwei ideologisierte Erinnerungsströme, dies zudem in den verschiedenartigsten Modi der Musealisierung. Marie Antoinettes Zelle ist zum Verschwinden gebracht, eindrucksvolle Porträts der Revolutionäre lassen die zentralen Persönlichkeiten der Revolution in einem ganz anderen Authentizitätsgrad erscheinen, während die tatsächlich einigermaßen originalen Zellen, wie in einem Panoptikum mit Figurinen und 'Ausstattung' wie in eine cinematografische Illusionistik getauchen werden.
Weltgeschichte kommt auf einen hier als Panoptikum, Dokumentation, lieu de memoire, Leerstelle, 'Museum' zu, in ebenso verdichteter wie labyrinthischer Form. Nationales Gedächtnis als Palimpsest miteinander verklebter Seiten…und die gegnerischen Parteien wie in in einem Remix, versöhnt-unversöhnt, unentschieden in ihrer verqueren Nachbarschaft.

Donnerstag, 29. April 2010

Lives of Perfect Creatures. Dogs of the Soviet Space Program - Paul Weschler (Das Museum lesen 09)

Das Buch Mr. Wilsons Wunderkammer von Paul Weschler stellt das Museum of Jurassic Technology in Los Angeles vor. 'Vorstellen' ist der falsche Ausdruck: in einer Mischung von Essay, Biografie und investigativem Journalismus versucht der Autor einem der merkwürdigsten und bemerkenswertesten Museen, jedenfalls einem Museum mit einem sehr merkwürdigen Titel, Tage auf die Spur zu kommen.
Dieses Museum ist aus der obsessiven Beschäftigung mit den Grenzen und Widersprüchen der musealen Repräsentation geboren, und ist als solches vor allem bei Museumsleuten und Museologen belibt. Man darf vermuten, weil hier etwas passieren darf, was im musealen Normalbetrieb nicht passieren soll. Die spielerische, experimentelle Überschreitung von Grenzen, das Arbeiten mit Verrätselungen und dem Staunenswerten, mit Authentizität und Fiktion.

Hat es Madalena Delanie, die in die USA emigrierte Liedsängerin aus Rumänien wirklich gegeben, und hat sie Mr. Sonnabend wirklich je getroffen? Vor allem aber: gibt uns die Delanie/Sonnabend-Hall des Museums darüber wirklich Auskunft? Der Museumsgründer schreibt dazu: The Delani/Sonnabend Halls which occupy the entire rear quarters of the Museum's original building house a sequential array of exhibits which, when taken together, detail the lives and work of Madelena Delani, a singer of art songs and operatic material and Geoffery Sonnabend, a neurophysiologist and memory researcher who's three volume work Obliscence: Theories of Forgetting and the Problem of Matter stands a milestone in the field.

Weschler beschreibt das Museum of Jurassic Technology in einer ähnlich elliptischen Bewegung, wie sie das Museum selbst operiert. Er breitet zunächst erzählerisch einige der Wundergeschichten des Museums aus, so daß es einem den Boden unter den Füßen wegzieht, dann lenkt er in einer Art Recherche auf die Quellen und Anregungen in der Museumsgeschichte, die für Mr. Wilson wichtig waren und sind. Ehe man zu fürchten beginnt, Paul Weschler würde mit seiner peniblen Aufarbeitung entzaubern, dreht er noch mal in eine andere Richtung und läßt uns so erst recht neugierig zurück.

Er findet einen Stil, der das Museum weder abschildert noch erklärt, sondern der in die Ideenwelt hineinschlüpft, um sich dort verwundert zu verirren, wie wir uns in diesem Buch – und auch im Museum – verirren dürfen. Was erwartet man denn von einer  Abteilung des Museums mit dem Titel Lives of Perfect Creatures. Dogs of the Soviet Space Program? Oder vom GARDEN OF EDEN ON WHEELS mit den Selected Collections from Los Angeles Area Mobile Home and Trailer Parks?

Weschler, Lawrence: Mr. Wilson's Cabinet of Wonder. Pronged Ants, Horned Humans, Mice on Toast, and Other Marvels of Jurassic Technology. New York (Panther Books) 1995. Dt.: Mr. Wilsons Wunderkammer. Von aufgespießten Ameisen, gehörnten Menschen und anderen Wundern der jurassischen Technik. München Wien 1998

Mittwoch, 28. April 2010

Musée Grevin, Paris

Der Faszination von Wachsfigurenkabinetten entzieht sich kaum jemand. Bei gut gemachten Figuren löst die Nähe von Lebensnähe und Totenstarre dia ambivalente Erfahrung von Angst und Staunen aus. Solche Kabinette sind immer unheimlich und trösten im Versprechen, ein Überdauern als Bild sei möglich. Tatsächlich kommt die Wachsbildnerei aus dem Totenkult. Wo der organische Leib zum Verfall verurteilt wurde, bot ein sozialer Leib, eine Puppe aus Holz, Wachs oder welchem Material auch immer, ein die Person erinnerndes Memento. Wachs erwies sich dabei wegen seiner Lebensnähe als besonders geeignet, einen Toten zu 'ersetzen' und dabei 'noch lebendig' zu erscheinen.
Frankreich war das Land, in dem die Brücke vom Totenkult zur Schaustellung gerschlagen wurde. Madame Gresholtz, Schülerin eines der berühmtesten Wachsbildners des 18. Jahrhunderts, modellierte in der Revolution die Köpfe von Guillotinierten, die zu Propagandazwecken ausgestellt wurden. Als die Revolution zu Ende ging, floh Gresholtz nach London und änderte ihren Namen: ab nun nannte sie sich Madame Tussaud. 
Das Musée Grevin wurde 1882 eröffnet und war sofort ein Erfolg. Nach und nach wurde es erweitert, vom Wachsfigurenkabinett zum Komplex mit kleinem Theater und illusionistischen Räumen, unter anderem dem Le Palais des Mirages, das von der Weltausstellung von 1900 übernommen wurde und nach umfassender Restaurierung seine illusionistischen Verwandlungen wieder eindrucksvoll vorführt. Schon wegen der Belle-Epoque-Architektur lohnt sich der Besuch des Musée Grevin - übrigens und der benachbarten Passagen, in denen sich seit Walter Benjamins oder Louis Aragons Zeiten nichts geändert zu haben scheint.
Doch verblüfft das Musée nicht nur damit und mit mehr oder minder gelungenen Wachsfiguren von Zeitgenossen wie Zidane, Jospin, Bocuse, Dali, de Gaulle oder einer - ziemlich mißglückten - Fanny Ardant, sondern mit alten Tableaus, die einmal so etwas wie ein Museum der Geschichte Frankreichs mit einer Reihe von Tableaus zu der der Französischen Revolution gebildet haben. Teile davon sind inzwischen leider einer 'Modernisierung' des Figurenensembles zum Opfer gefallen sind: Wie etwa die unheimliche Gedenk- und Reliquieninszenierung von Napoleons Sterbezimmer. Aber Jeanne darc darf noch am Scheiterhaufen verbrennen...

Mittwoch, 21. April 2010

Gletschergarten Luzern

Mich hat die "Entdeckung der Alpen" vielseitiges kulturhistorisches Thema immer interessiert und umgekehrt proportional zu meiner eigenen bergsteigerischen Betätigung (im moderateren Bereich bis etwas über 3000 Meter und auch das nur sehr sporadisch) nahmen die Besuche einschlägiger Ausstellungen zu - bis ich schließlich eine Einladung erhielt, selbst an einer Ausstellung teilzunehmen.
Einer der merkwürdigsten Orte berg- und alpenbezogenen Ausstellend findet sich - nicht so überraschend - in der Schweiz und hat den ungewöhnlichen Namen "Gletschergarten".
Im 19. Jahrhundert entdeckten die Schweizer ihre Alpen nicht nur als touristisch vermarktbar und verkehrstechnisch erschließbar, sondern die Berge auch als historisch-genealogisch bedeutsame und identifikatorische Objekte.
Wie auch anderswo, wurden Spuren der Erdgeschichte gelegentlich am Ort erhalten, gesichert und zur Besichtigung adaptiert. Das geschah auch mit dem bei ihrer Entdeckung am Rande von Luzern (heute in der Stadt) gelegenen sogenannten Gletschertöpfe. Das sind eiszeitliche, tiefe Auswaschungen in Gletschern, die bis in den festen Boden vorrückten und dort runde Höhlungen hinterließen. Sie wurden wie - als zunächst missverständlich gedeutete - Mirabilia bewahrt und gezeigt.
Nach und nach entstanden um dieses 'Naturwunder' ein Museum, ein Gebäude im Schweizer Stil, ein Diorama in einer Almhütte, ein Garten, eine Aussichtswarte und dann wurde gegen Ende des 19. Jahrhunderts noch ein Spiegelkabinett 'im Stil der Alhambra' von einer Schweizer Landesausstellung hierher geschafft. Das private Unternehmen vermischte umstandslos belehrende und unterhaltende, heimat- und naturkundliche Elemente in einem 'Erlebnispark' avant la lettre.
Höhepunkt der kulturgeschichtlichen Sammlung des Museums sind Alpendioramen, die zu den ältesten gehören, bemerkenswertesten Objekte, die für Zwecke militärischer Planung und touristischer Erbauung hergestellt wurden. Sie sin herausragende Dokumente des frühen Alpinismus und der 'Entdeckung' und 'Konstruktion' der Schweiz.

Abbildung: Webseite des Museums

Samstag, 10. April 2010

Das andere Museum. Carlo Scarpa und das Museum im Castelvecchio von Verona

Der Museumsboom hat eine geradezu übrerdeterminierte und expressive Seite: die Museumsarchitektur. Seit auch bestimmte planungstechnische und statische Grenzen gefallen sind, scheint es kein Halten mehr zu geben. Architekten übertreffen sich in immer ungewöhnlicheren Formensprachen und fast scheint es so, als habe sich das Ideologem der 80er-Jahre, demzufolge das Museum die letzte Bauaufgabe mit Kunstanspruch sei, zum Museumsentwerfen ohne Grenzen und Hemmungen entwickelt.
Was in den 80er-Jahren begann, daß die Architektur des Museums ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückte und daß das Museum so vielen Architekten den Weg bahnte zum internationalen Ruhm (Holleins Museum in Mönchengladbach oder James sterlings Stuttgarter Staatsgalerie als Beispiele der 80er-Jahre), scheint sich in dem Sinn universalisiert haben, daß kaum noch ein Architekt, der etwas auf sich hält, nicht auch ein Museum (mindestens) im Portfolio haben muß.
Als Konsumenten der üblichen nationalen oder regionalenm Medien bekommen wir überhaupt nicht mit, was vor sich geht, man muß schon zu Fachpublikationen oder einschlägigen Web-Informationen greifen, um eine Ahnung von dem Effekt eines Programmes wie der Volksrepublkik China zu bekommen, die in 10 Jahren 1000 Museum (eintausend, jawohl, kein Tipfehler) realisieren möchte. Der Museumsboom folgt den Spuren der Globalisierung, und wo diese nicht oder noch nicht hingekommen ist ( es sei denn in ihrer ausschließlich destruktiven Konsequenz), gibt es weder einen Museumsboom, noch einen der Museumsarchitektur.
E i n europäisches Land bildet eine auffallende Ausnahmen: Italien. Hätte nicht eben das Museum des XXI. Jahrhunderts in Rom seine Tore geöffnet - Zaha Hadid, selbstverständlich (es hätte auch Herzog/de Meuron sein können, Jean Nouvel oder Frank O. Gehry...) , ich hätte Schwierigkeiten, ein einschlägiges Museum zu nennen. Selbstverständlich gibt es Neubauten, Kunstmuseen, Naturmuseen usw. Aber kaum eines davon ist in der Championsleague vertreten.
Das hat seinen Grund in einer zu z.B. Frankreich, England oder Deutschland so verschiedenen Museumsauffassung. Vor allem für den Reichtum der Kunst galt, daß sie möglichst nicht von ihrem gewachsenen Kontext getrennt werden dürfe, sondern möglichst in der genuinen architektonischen Umgebung verbleiben solle. Daß Sammlungen jahrhundertelang an ein- und demselben Ort verblieben gab auch unter pragmatischen Gesichtspunkten keinerlei Anlass mit Traditionen zu brechen. Die Zäsur, die das Museum hervorgebracht hat, konnte in Italien nie auf die Resonanz stoßen, die sie in anderen europäischen Ländern hatte.
Wenn man zum Beispiel die Kapitolinischen Museen besucht, wird man sich - obwohl die Aufstellung der Sammlung aus der Zeit um 1800 stammt -, der tiefen Verbindung von Sammlung, Bau und historischem Ort nicht entziehen können.

Es gibt vielleicht noch einen anderen Grund, für die offenbar andere italienische Museumstradition. Und dieser andere Grund hat einen Namen. Carlo Scarpa. Als Gestalter vieler der bedeutensten Kunstmuseen Italiens hatte er enormen Einfluß, auch als Ausstellungsgestalter. Und - in nur einem Fall - als Museumsarchitekt, wobei es sich auch in diesem Fall um einen Umbau, eine Adaption handelt, aber so tiefgreifend, daß man das Museum in Verona als sein zentrales Werk sieht und sehen muss.
Eine der subtilsten und durchdachtesten Museumsarchitekturen und –gestaltungen ist der Um- und Ausbau des mittelalterlichen Kastells Veronas zu einem städtischen Museum.
Carlo Scarpa (1906-1978), verantwortlich für die Adaptionen von Museen (u.a. Accademia Venedig, Uffizien Florenz, Nationalmuseum Palermo) arbeitete 1958 bis 64 und 1967 bis 73 eng mit dem damaligen Leiter der Sammlung zusammen und gestaltete das vorhandene Konglomerat von mittelalterlicher Burg, an der durch Jahrhunderte an- und umgebaut wurde, in ein Museum um.
Das an der etsch und am Rand der Altstadt gelegene Museo Castelvecchio - für sich schon ein eindrucksvoller bau -, ist so ein Raum geworden, in dem mithilfe einer geradezu unerschöpflichen und variationsreichen Gestaltung subtilste Beziehungen von Objekt, Raum, Stadt und Besucher hergestellt werden. Jede Geste des Zeigens und (Auss)stellens ist durchgearbeitet, sämtliche Zeigemöbel und -gestelle sind von Scarpa selbst entworfen worden und jeweils auf das individuelle Kunstwerk zugeschnitten.
Das gilt auch für die Inszenierung des Blicks auf die Werke - der Reichtum an Blickinszenierungen lässt einen immer wieder staunen, ebenso die Wechselbeziehung von Raum, Objekt, Weg und Betrachter, von Außen und Innen. Wenn man hier nicht nur die Werke im Blick hat, sondern die Inszenierung der Architektur, die subtile Gestaltung aller Details, den Umgang mit Licht, die Inszenierung des Betretens und Verlassens und last but not least den ebenfalls subtil gestalteten kleinen Garten, kann man hier Stunden um Stunden verbringen.
Alles ist hier einem Gestaltungsauftrag unterworfen, jede kleinste Detail, aber alles ist den Kunstwerken und ihrer Wahrnehmung zu- und untergeordnet. Der Gestaltungswille verselbständigt sich nie und viele Details wird man gar nicht bemerken, wenn man seine Aufmerksamkeit nicht gezielt auf Dinge lenkt, die man nun mal im Museum zwar sieht - aber nicht bewußt. Sockel, Leuchtkörper, Türklinken, Fensterlaibungen, Schwellen, Handläufe, Staffeleien...
Ein Höhepunkt des Rundganges, der durch Bau und Sammlung gelegt ist, ist ein mittelalterliches Reiterdenkmal. Hoch über den Köpfen der Besuche, die den Hof der Burg betreten, schweben Pferd und Reiter. Später werden wird dem Denkmal auf Augenhöhe begegnen, es umrunden können, von vielen Punkten des Runganges es in immer neuen Perspektiven in den Blick bekommen.
Scarpas Capolavoro ist das entschiedene Gegenteil zu einer Tendenz im zeitgenössichen Museumsbau, der sich gegenüber der Sammlung neutral, wenn nicht gleichgültig verhält und des Erlebnis und die Expression der Architektur verselbständigt. Wie vielleicht nur noch bei Friedrich Kiesler ist alles der Kunsterfahrung zugeordnet - aber ohne daß sich die Gestaltung verstecken und unsichtbar machen würde. Selbst Details wie Schrauben oder Scharniere sind hier individuell gestlatet, alles ist von höchster funktionaler, ästhetischer und materieller Qualität.
Das heißt aber wohl auch, daß ein solches Museum wie ein geschlossenes Werk selbst den Gesetzen eines Denkmals untwerworfen wird; man kann sich nicht vorstellen, wie sich ein solches Museum - mit der Sammlung - weiterentwickeln kann.

Bei meinem letzten Besuch habe ich zwei Halbtage im Museum verbracht, gut unterstützt von den wunderbaren Cafes Veronas. Also: Zeit nehmen! Viel Zeit!

Donnerstag, 8. April 2010

Das Grazer Zeughaus

Das Grazer Zeughaus liegt im Stadtzentrum, an der prominentesten Straße der Stadt, der Herrengasse, und in unmittelbarer Nachbarschaft zum Landhaus. Es wurde 1639 von Antonio Solar geplant und 1647 fertiggestellt. Das fünfgeschossige Bauwerk nahm alle bis dahin wegen verschiedener Bedrohungen immer umfangreicher werdenden, aber an verschiedenen Orten gelagerten und zur Verteidigung der Steiermark bestimmten Waffenbestände auf.
1749 wurde unter Kaiserin Maria Theresia das Wehrwesen des Reichs zentralisiert und die Auflösung des Grazer Zeughauses angeordnet. Es konnte nach einem Einspruch aber weiter betrieben werden. In mehr und mehr baulich fragwürdigem Zustand wurde es mehr und mehr zu einem Objekt, dem historisches und denkmalpflegerisches Interesse galt und mit fortschreitendem Funktionsverlust begann sich auch die Aufstellung zur Ausstellung zu wandeln, auch von Dingen, die bis dahin nicht zum Zeughaus gehört hatten.
Ende des 19. Jahrhunderts wurde umfassend der Bau saniert und die Waffen restauriert.  Das Zeughaus wurde definitiv zum Museum. Drei der vier Geschosse verloren ihre Inneneinrichtung des 17. Jahrhunderts. Im Jahr  1882 wurde die Sammlung, als Teil des Landesmuseum Joanneum, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die jüngste Veränderung war die Einrichtung einer Ausstellung im Erdgeschoss „Zum Schutz des Landes“ (1997).
Das Zeughaus gilt als die „weltgrößte Waffensammlung in einem originalen Zeughaus“ (Alexander Toifl). Teile der Sammlung wurden 1992 bis 1999 unter dem Titel Imperial Austria auf Tournee geschickt, 2008 wurde eine Ausstellung in Cleveland/Ohio, 2009 im Museum Tinguely in Basel gezeigt - unter dem Titel Rüstung und Robe zusammen mit Roben des Modeschöpfers Roberto Capucci und Objekten von Tinguely.
Das Zeughaus ist eine der bestbesuchten Sammlungen des Universalmuseum Museum und wegen der genannten Einzigartigkeit als gut erhaltene Waffensammlung der frühen Neuzeit aber auch wegen vieler kostbarer Rüstungen und Waffen sehenswert. Die größte Sehenswürdigkeit sind aber nicht einzelne, herausragende Sammlungsstücke, sondern das Ensemble in seiner Ganzheit und seiner Situierung am originalen Ort.

Mittwoch, 7. April 2010

Gipsoteca Possagno

Unweit der Stadt Treviso, nahe an Bassano del Grappa und in den Hügeln gelegen, die den Übergang von den Alpen in die Ebenen des Veneto bilden, liegt der unscheinbare Ort Possagno. Wenn man durch das langgestreckte Straßendorf fährt, kann man leicht ein völlig unscheinbares Haus übersehen, auf dem gleichwohl der Schriftzug "Museo" zu lesen ist.

Dieses Haus ist der Geburtsort des Bildhauers Antonio Canova (1757-1822). Hinter diesem schlichten Haus, in einem parkartigen Garten hat Canova selbst die Errichtung einer Gipsoteca zur Aufnahme seiner Werke veranlasst. Nach seinem Tod wurde sein Atelier geschlossen und sein künstlerischer Nachlass, Skizzen, Entwürfe, Modelle, unverkaufte Werke usw., nach Possagno gebracht und in dem nun realisierten Bau gezeigt.

Dieser klassizistische, einschiffige Bau, eine dreiteilige Basilika, wurde 1836 nach Plänen des Architekten Francesco Lazzari fertig gestellt. Bemerkenswert ist der Bau nicht nur als einer der frühesten selbständigen Sammlungsbauten, als frühe Museumsarchitektur, sondern als Teil eines großen Konzepts.  Haus und Gipsoteca sind in einer Achse mit einer erhöht gelegenen Kirche verbunden, zu der eine monumantale Treppe hinaufführt. Die in den Hügeln liegenden Rundkirche, ein 'Pantheon' mit griechischem Temperlportikus a la Parthenon, von deren Kuppel man einen weiten Blick in die Alpenrandlandschaft hat, wurde gemeinsam mit der Gipsoteca geplant und ist Canovas Grablege. Sie wurde nach Plänen Canovas vom Architekten Antonio Selva errichtet.

Das Bemerkenswerteste dieses Museums sind aber weder der Bau noch die einzelnen Werke, sondern die Atmosphäre der 'Basilika'. Dichtgedrängt stehen hier monumentale Studien neben kleinformatigen 'Skizzen' und Studien. Viele der Werke sind von einem Netz von Löchern überzogen, die das maßstabgerechtes Duplizieren erlaubte. Diese 'Punktierung', das unwirkliche Weiß der Gipse, die Fülle des mythologischen Personals, das alles gibt dem Raum eine nahezu surreale Qualität.

1957 wurde die Disposition diese merkwürdigen Museums von Carlo Scarpa überarbeitet und dieser exzeptionelleste der italienischen Ausstellungsarchitekten fügte der Basilika einen kleinen, lichtdurchfluteten Annex zur Aufnahme weiterer Werke hinzu. Auch das Geburts- und Wohnhaus Canovas ist als Museum eingerichtet. Weitere Skulpturen, Werke der Malerei, Stiche, Zeichnungen uam. und persönliche Gegenstände werden dort gezeigt.