Der Museumsboom hat eine geradezu übrerdeterminierte und expressive Seite: die Museumsarchitektur. Seit auch bestimmte planungstechnische und statische Grenzen gefallen sind, scheint es kein Halten mehr zu geben. Architekten übertreffen sich in immer ungewöhnlicheren Formensprachen und fast scheint es so, als habe sich das Ideologem der 80er-Jahre, demzufolge das Museum die letzte Bauaufgabe mit Kunstanspruch sei, zum Museumsentwerfen ohne Grenzen und Hemmungen entwickelt.
Was in den 80er-Jahren begann, daß die Architektur des Museums ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückte und daß das Museum so vielen Architekten den Weg bahnte zum internationalen Ruhm (Holleins Museum in Mönchengladbach oder James sterlings Stuttgarter Staatsgalerie als Beispiele der 80er-Jahre), scheint sich in dem Sinn universalisiert haben, daß kaum noch ein Architekt, der etwas auf sich hält, nicht auch ein Museum (mindestens) im Portfolio haben muß.
Als Konsumenten der üblichen nationalen oder regionalenm Medien bekommen wir überhaupt nicht mit, was vor sich geht, man muß schon zu Fachpublikationen oder einschlägigen Web-Informationen greifen, um eine Ahnung von dem Effekt eines Programmes wie der Volksrepublkik China zu bekommen, die in 10 Jahren 1000 Museum (eintausend, jawohl, kein Tipfehler) realisieren möchte. Der Museumsboom folgt den Spuren der Globalisierung, und wo diese nicht oder noch nicht hingekommen ist ( es sei denn in ihrer ausschließlich destruktiven Konsequenz), gibt es weder einen Museumsboom, noch einen der Museumsarchitektur.
E i n europäisches Land bildet eine auffallende Ausnahmen: Italien. Hätte nicht eben das Museum des XXI. Jahrhunderts in Rom seine Tore geöffnet - Zaha Hadid, selbstverständlich (es hätte auch Herzog/de Meuron sein können, Jean Nouvel oder Frank O. Gehry...) , ich hätte Schwierigkeiten, ein einschlägiges Museum zu nennen. Selbstverständlich gibt es Neubauten, Kunstmuseen, Naturmuseen usw. Aber kaum eines davon ist in der Championsleague vertreten.
Das hat seinen Grund in einer zu z.B. Frankreich, England oder Deutschland so verschiedenen Museumsauffassung. Vor allem für den Reichtum der Kunst galt, daß sie möglichst nicht von ihrem gewachsenen Kontext getrennt werden dürfe, sondern möglichst in der genuinen architektonischen Umgebung verbleiben solle. Daß Sammlungen jahrhundertelang an ein- und demselben Ort verblieben gab auch unter pragmatischen Gesichtspunkten keinerlei Anlass mit Traditionen zu brechen. Die Zäsur, die das Museum hervorgebracht hat, konnte in Italien nie auf die Resonanz stoßen, die sie in anderen europäischen Ländern hatte.
Wenn man zum Beispiel die Kapitolinischen Museen besucht, wird man sich - obwohl die Aufstellung der Sammlung aus der Zeit um 1800 stammt -, der tiefen Verbindung von Sammlung, Bau und historischem Ort nicht entziehen können.
Es gibt vielleicht noch einen anderen Grund, für die offenbar andere italienische Museumstradition. Und dieser andere Grund hat einen Namen. Carlo Scarpa. Als Gestalter vieler der bedeutensten Kunstmuseen Italiens hatte er enormen Einfluß, auch als Ausstellungsgestalter. Und - in nur einem Fall - als Museumsarchitekt, wobei es sich auch in diesem Fall um einen Umbau, eine Adaption handelt, aber so tiefgreifend, daß man das Museum in Verona als sein zentrales Werk sieht und sehen muss.
Eine der subtilsten und durchdachtesten Museumsarchitekturen und –gestaltungen ist der Um- und Ausbau des mittelalterlichen Kastells Veronas zu einem städtischen Museum.
Carlo Scarpa (1906-1978), verantwortlich für die Adaptionen von Museen (u.a. Accademia Venedig, Uffizien Florenz, Nationalmuseum Palermo) arbeitete 1958 bis 64 und 1967 bis 73 eng mit dem damaligen Leiter der Sammlung zusammen und gestaltete das vorhandene Konglomerat von mittelalterlicher Burg, an der durch Jahrhunderte an- und umgebaut wurde, in ein Museum um.
Das an der etsch und am Rand der Altstadt gelegene Museo Castelvecchio - für sich schon ein eindrucksvoller bau -, ist so ein Raum geworden, in dem mithilfe einer geradezu unerschöpflichen und variationsreichen Gestaltung subtilste Beziehungen von Objekt, Raum, Stadt und Besucher hergestellt werden. Jede Geste des Zeigens und (Auss)stellens ist durchgearbeitet, sämtliche Zeigemöbel und -gestelle sind von Scarpa selbst entworfen worden und jeweils auf das individuelle Kunstwerk zugeschnitten.
Das gilt auch für die Inszenierung des Blicks auf die Werke - der Reichtum an Blickinszenierungen lässt einen immer wieder staunen, ebenso die Wechselbeziehung von Raum, Objekt, Weg und Betrachter, von Außen und Innen. Wenn man hier nicht nur die Werke im Blick hat, sondern die Inszenierung der Architektur, die subtile Gestaltung aller Details, den Umgang mit Licht, die Inszenierung des Betretens und Verlassens und last but not least den ebenfalls subtil gestalteten kleinen Garten, kann man hier Stunden um Stunden verbringen.
Alles ist hier einem Gestaltungsauftrag unterworfen, jede kleinste Detail, aber alles ist den Kunstwerken und ihrer Wahrnehmung zu- und untergeordnet. Der Gestaltungswille verselbständigt sich nie und viele Details wird man gar nicht bemerken, wenn man seine Aufmerksamkeit nicht gezielt auf Dinge lenkt, die man nun mal im Museum zwar sieht - aber nicht bewußt. Sockel, Leuchtkörper, Türklinken, Fensterlaibungen, Schwellen, Handläufe, Staffeleien...
Ein Höhepunkt des Rundganges, der durch Bau und Sammlung gelegt ist, ist ein mittelalterliches Reiterdenkmal. Hoch über den Köpfen der Besuche, die den Hof der Burg betreten, schweben Pferd und Reiter. Später werden wird dem Denkmal auf Augenhöhe begegnen, es umrunden können, von vielen Punkten des Runganges es in immer neuen Perspektiven in den Blick bekommen.
Scarpas Capolavoro ist das entschiedene Gegenteil zu einer Tendenz im zeitgenössichen Museumsbau, der sich gegenüber der Sammlung neutral, wenn nicht gleichgültig verhält und des Erlebnis und die Expression der Architektur verselbständigt. Wie vielleicht nur noch bei Friedrich Kiesler ist alles der Kunsterfahrung zugeordnet - aber ohne daß sich die Gestaltung verstecken und unsichtbar machen würde. Selbst Details wie Schrauben oder Scharniere sind hier individuell gestlatet, alles ist von höchster funktionaler, ästhetischer und materieller Qualität.
Das heißt aber wohl auch, daß ein solches Museum wie ein geschlossenes Werk selbst den Gesetzen eines Denkmals untwerworfen wird; man kann sich nicht vorstellen, wie sich ein solches Museum - mit der Sammlung - weiterentwickeln kann.
Bei meinem letzten Besuch habe ich zwei Halbtage im Museum verbracht, gut unterstützt von den wunderbaren Cafes Veronas. Also: Zeit nehmen! Viel Zeit!
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