Montag, 5. April 2010

Die Einladung (Museumsphysiognomien 02)




Eine einladende Geste. "Treten Sie ein!". Der Vorhang wird extra für uns zurückgeschlagen. Eine Geste, wie von einem Theater- , nicht Museumsdirektor, der uns auf eine Bühne bittet…
Da möchte man sich nicht lange bitten lassen. Wir sind auch nicht allein, nicht die ersten. In dem unscheinbar ausgestatteten Raum haben sich schon Menschen eingefunden. Sie bemerken uns nicht, sind schon in die Betrachtung der präparierten Tiere vertieft. Bürgerliches Publikum, sorgfältig gekleidet. Es ist doch ein besonderer Anlass. Ein Museumsbesuch.

Der freundliche Herr am Eingang, das ist der Direktor, Willson Peale. Das Gemälde hat er gemalt. Ein Selbstporträt, ein Museumsporträt. Eines der schönsten Museumsbilder überhaupt. Als er es gemalt hat, 1822, ist er über 80 Jahre alt und er hat ein bewegtes Leben hinter sich. Er gehört zu der Generation, die die Unabhängigkeit der Kolonien gegenüber Großbritannien betrieben hat und die für die Vereinigten Staaten als Soldaten gekämpft haben. Peale war schon damals Maler, ausgebildet auch in England, woher die Eltern kamen. Er ist schon auf dem amerikanischen Kontinent geboren. Als Maler-Soldat porträtierte er Heroen des Unabhängigkeitskrieges, schließlich die 'Väter der Nation', Thomas Jefferson, George Washington.

Nach dem Krieg, in einer Zeit der wirtschaftlichen Depression, kann er nicht bloß als Maler leben. Beim Anfertigen von Illustrationen von Fossilien einer privaten Sammlung entdeckt er seine Neugier für lange ausgestorbene Tiere und - das Museum. Er gräbt mit seiner Familie ein Mastodon aus und fügt die Knochen zu einem Skelett des Tieres zusammen. Das wird ein Glanzstück seines Museums. Heute gilt diese Rekonstruktion als die älteste bekannte überhaupt. Er bringt sich das Präparieren von Tieren bei, er hält naturkundliche Vorlesungen, er sammelt, er lässt sich Dinge schenken. Das alles wird Grundlage eines Museums, das pädagogisch ist, aber auch Schaustellung, die Geld zum Leben bringen soll. Vom Mastodon wird ein zweites Skelett gefertigt, das mit einem Sohn durch Europa tourt.

Die im Vordergrund des Gemäldes platzierten Attribute weisen ihn in seiner vielfältigen Begabtheit aus: die Malutensilien, der Knochen, das Werkzeug des Präparators. Der Maler, der Naturforscher, der Präparator. Er ist aber auch Botaniker, Erfinder von falschen Zähnen, eines Gerätes zum Kopieren von Dokumenten, eines tragbaren Dampfbades, einer Windmühle, verschiedener mechanischer Geräte für die Landarbeit, und einerArt von Fahr- oder Laufrad. Und er ist Mitglied der American Philosophical Society, deren Sammlung er betreut.

Peale gründet (1786) und betreibt sein Museumin Philadelphia privat. Nach und nach wächst es sich zu einem öffentlichen Museum aus. Durch seine Situierung - zweiteilig sind Teile des Museums in der Independence Hall - rückt es ins politische Zentrum, trägt zwar seinen Namen, aber ist zu dieser Zeit nahezu ein nationales Institut. Das Mastodon ist nicht nur ein überraschend entdecktes, bis dahin unbekanntes Tier. Es ist ein 'politisches Objekt'. Es erlaubt nicht nur der jungen Nation, sich in eine lange (Natur)Geschichte einzuschreiben, es ist auch ein Indiz in einem zwischen Europa und den neuen Staaten umkämpften historisch-kulturellen Feld. Buffon, der große Französische Naturforscher, hat eine Theorie zur degenerativen Fauna Amerikas, die auf eine generell biologische Unterlegenheit gegenüber Europa schließen lässt. Die steile These lässt sich jetzt bestreiten. Thomas Jefferson selbst beteiligt sich als Paläontologe (ein Teil der Sammlung kommt in Peales Museum) an der Debatte, legt eine einschlägige Sammlung an und liefert in Publikationen Argumente. Das von Peale und seinen Söhnen ausgegrabene 'montierte' Mastodon ist eine Sensation, ein must see in der damals größten Stadt der unabhängigen Staaten, Philadelphia.

Peales Museum ist aber nicht nur als 'erstes Museum der USA' interessant und attraktiv war es nicht nur als Ausstellung Peales eigener Gemälde, seiner wunderlichen Sammlung, seiner Naturpräparate, durch sein Mastodon - das wir hinter dem 'gelüfteten Vorhang' erkennen. Peale sorgte höchstpersönlich für etwas, was wir heute wohl als Szenografie bezeichnen würden. Augenzeugen berichten von auf wirklichem Wasser schwimmenden lebende Tieren. Peale baute und erfand Geräte - eine Art Orgel -, mit denen er Musik erzeugte und ein anderes Gerät, mit dem er bewegte Bilder projizieren konnte! Und, er fügt sich selbst in das Ganze als Wachsfigur ein, einer offenbar so überzeugend gelungenen Doppelgängerexistenz, daß sie Besucher, die davon erstaunt berichten, erschrecken, als sie Peale - reglos - in seinem Büro vorfinden.

Von dieser 'Multimedialität' des Museums gibt uns das Gemälde keine Vorstellung. Im Gegenteil. Der Raum wirkt sehr nüchtern, ungemein wohlgeordnet, aufgeräumt und übersichtlich. Es fehlt ihm auch jedes Dekorum, das europäische Museen - wenn auch noch so bescheiden - auszeichnet und das Museum zum profanen Heiligtum macht. Der Museumsraum (einer von mehreren, den das Museum besaß), strahlt eher jenes "rational amusement" aus, das ein Schlüsselwort von Peales Museumsverständnis war. Und dies steht im Dienste gesellschaftlicher Zwecke: „Natural History has to promote National and Individual happiness“ . Trotz des privaten Staus des Museums, begegnen wir hier - praktisch zeitgleich mit den Museen der Französischen Revolution -, der neuen Idee des öffentlichen und zivilisatorischen Museums.
Diesen zivilisierenden Effekt des Museums erläutert Peale in seiner Theorie des Sammelns, Peale’s discourse introductory to a course of lectures (1800),  an einem überraschenden Beispiel: Eines Tages hätten ihn die Häuptlinge untereinander bitter verfeindeter Indianerstämme besucht und unter dem Eindruck ihres Museumsbesuches die Beilegung ihrer Streitigkeiten beschlossen.

In einem wunderbaren Essay zu einigen Gemälden Peales wird gemutmaßt, daß das 'Museums-Selbstporträt' ihn nicht nur, wie man so sagt, 'nach dem Leben' wiedergibt, sondern wie eine 'Kippfigur' gelesen werden kann. So wie der Pfau im Bildvordergrund vom Betrachter nicht eindeutig als lebendes Tier oder Präparat identifiziert werden kann (es gab ja beides im Museum), könnte der freundliche Herr auch - als Wachsfigur verstanden werden.
Peale war für derlei Allegorik nicht nur nicht blind, er staffierte sie in vielen Bildern beredt aus: auf seinem Familienporträt sind die Verstorbenen Mitglieder wie in antiker Tradition als Büsten auf den Möbeln präsent und das große Gemälde, das, mit der Schilderung vieler technischer Einzelheiten, die Bergung des Mastodons wiedergibt, spielt unübersehbar auf die Arche Noah an. 'Arche' ist in einer bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgbaren Tradition eine Metapher für die bewahrende Funktion von Sammlungen.
Die Bergung des riesigen Tieres, das man damals für ein Mammut hielt, durch Peale und seine Familie ist aber mehr als nur ein der der Arche vergleichbarer Rettungsakt. Da es ein bis dahin unbekanntes Tier ist, kann sein Fund und seine Rekonstruktion - zu einer Zeit, in der man sich der Möglichkeit des Aussterbend von Tieren noch nicht so bewusst war -, als Wiederbelebung verstanden werden. Peales Sohn Rembrandt (sic!) schreibt: The bones exist, -  the animals do not, und bringt ein sehr ambivalentes strukturelles Element des Museums auf den Punkt. Es sind zwar 'Überlebsel' - das Wort 'survival' wird Jahrzehnte später in der frühen amerikanischen Ethnologie zum Schlüsselbegriff werden -, die das Museum bewahrt. Doch es sind und bleiben immer und unhintergehbar 'tote Dinge', die das Museum aufbewahrt - und die dennoch eine symbolisches Überdauern in dieser merkwürdigen neuen Institution 'Museum' ermöglichen.
Peales Idee, sich als Wachsfigur zu verdoppeln, hat in der antiken Tradition ihre Herkunft, den vergänglichen biologischen Leib durch einen nicht vergänglichen sozialen Leib zu ersetzen. (Der Philosoph Jeremy Bentham wird - zu etwa derselben Zeit - diese Idee radikalisieren: er bestimmte, seinen bekleideten Leib wie eine Puppe in einer Vitrine sitzend in der von ihm mitbegründeten London University auszustellen. dort sitz er noch immer. Ein bizarrer Akt der (Selbst)Musealisierung.

Peales Einschreibung in die Unsterblichkeit der Dingwelt gelang, im Porträt überlebte er. Die Institution indes, die überlebte nicht. Und das obwohl Peale eine große Familie hatte und seine Söhne seine Talente und Leidenschaften tradierten.
Vielleicht ist das Verschwinden des Museums auch seiner labilen privaten und damit finanziellen Trägerschaft geschuldet. Ohne staatliche Unterstützung war es der wachsenden Konkurrenz anderer großer Institutionen nicht gewachsen, die die Idee des Museums mit der der diversen populären Schaustellungstechniken vermischten. So wurde ein Teil der Sammlung an Barnum verkauft.

Die drei Momente, die Peales Museum ausmachten, privates Engagement im öffentlichen Interesse, pädagogisches Sendungsbewußtsein - das Museum als "School of Wisdom" (Peale) -, und Integration der der europäischen, akademischen Museologie so verdächtigen Schaustellungskünste, werden ab da das US-Amerikanische Museumswesen bis heute auszeichnen und vom europäischen - mit allen Vor- und Nachteilen - unterscheiden.

Charles Willson Peale: The Artist in His Museum, 1822. Oil on canvas 103 3/4 x 79 7/8. The Museum of American Art of the Pennsylvania Academy of the Fine Arts, Philadelphia.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen