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Mittwoch, 27. Juli 2016

Rede über eines der interessantesten und wichtigsten Museen Österreichs. Das Jüdische Museum Hohenems feiert seinen 25.Geburtstag





Die Festrede, die ich vielleicht gehalten haben könnte


Jutta Berger und Hanno Loewy gewidmet

Vorbemerkung: Auf Einladung von Jutta Berger, der Präsidentin des Fördervereins des Jüdischen Museums Hohenems, habe ich die Festrede aus Anlaß des 25jährigen Bestandes des Jüdischen Museums vor Mitgliedern des Fördervereins gehalten. Das war am 9.Juli 2016. Ich habe gestützt auf einige handschriftliche Notizen vor allem über mein Verhältnis zum Museum gesprochen, das ich seit seiner Gründung kenne und schätze.
Vermutlich auf dem Fest habe ich meine Notizen verloren. Im folgenden Text erinnere ich mich an meine Notizen und meine Erfahrungen und Begegnung mit dem Museum…


Ich bin 1991 zum ersten Mal nach Hohenems gekommen. Also im Jahr der Gründung des Jüdischen Museums. Aber nicht um das Jüdische Museum zu sehen, sondern die erste Landesausstellung, die das Land Vorarlberg veranstaltet hat. Sie fand im Schloß statt und hatte unterm Titel „Kleider und Leute“ Kleidungspolitik zum Thema. Ich erinnere mich sehr gut an diese hervorragende Ausstellung und könnte sie noch immer in großen Zügen nacherzählen.

Woran ich mich nicht so genau erinnere ist, ob ich von der Eröffnung des Jüdischen Museums im selben Jahr wußte oder ob ich überrascht war, daß es dieses Museum nun tatsächlich gab. Denn daran hatte ich, als ich Ender 80er-Jahre erstmals von einer bevorstehenden Gründung hörte, Zweifel. Freunde machten mich auf Texte aufmerksam, Dokumente heftigster Konflikte, die mir so ausweglos verhakt erschienen, daß ich buchstäblich dachte: „Das wird nie etwas“.

Aber ich hatte die Konfliktfähigkeit der Kontrahenten unterschätzt. Der vielfach geschichtete Konflikt - ein Generationenkonflikt, ein ideologischer Dissens, einer zwischen „Schulen“ der Historikerzunft -, mündete in eine Museumsgründung, die sich von Anfang an als nicht bloß lebensfähig sondern kraftvoll und innovativ erwies: konzeptuell, architektonisch und museumspolitisch.

Ich muß damals wohl schon Eva Grabherr kennengelernt haben, die Gründungsdirektorin, die bald zu einer engen Freundin wurde und zu MitarbeiterInnen, deren Arbeit ich kennen- und schätzen lernte. Ich habe noch im selben Jahr Freunde und Studierende einer Vorlesung überredet, nach Hohenems zu kommen und bin damals mehrmals von Wien in den äußersten Westen gereist. Was ich schon gewürdigt wissen will, schließlich gibts kaum eine längere Bahnreise, die man in Österreich machen kann, außer man macht es so wie ich und bildet sich Graz als neuen Wohnort ein, von wo die Reise noch länger dauert.

Ich war seither wieder und wieder im Jüdischen Museum, so oft, daß ich vermute, es könnte mein meistbesuchte Museum überhaupt sein. Trotzdem war ich überrascht, als mich Hanno Loewy zur 25-Jahr-Feier im April dieses Jahres einlud - mit gleich drei Verpflichtungen zur aktiven Teilnahme: Vortrag, Teilnahme an einer großen Diskussion zur Zukunft nicht nur dieses sondern von Jüdischen Museen überhaupt und Podiumsdiskussion bei der zeremoniellen Eröffnen der Ausstellung „Übrig“.

Überrascht war ich, weil ich doch nicht mehr als nur Besucher gewesen bin in all den Jahren. Also überlegte ich mir damals, im April, was denn meine Beziehung zum Museum und die Beziehung des Museums gewesen sein könnte und immer noch ist. Aber trotz dieser kleinen Selbstprüfung, blieb ich beim „Besucher“. Aber seit wann dürfen sich Besucher förmlich über das Museum ihrer Zuneigung äußern? Gar eine Festrede halten?

Ich möchte heute als Festredner weiter Besucher sein und bleiben und über meine Beziehung zum, meine Erfahrungen mit dem Museum reden. Notgedrungen bruchstückhaft, denn Vieles ist mir entfallen und es gab immer wieder auch längere Unterbrechungen meiner Reisetätigkeit nach Vorarlberg. Von den Vielen Ausstellungen, Projekten oder Veranstaltungen habe ich selbstverständlich nur einen Bruchteil kennengelernt.

Ich beginne mit den erwähnten Jubiläumsveranstaltungen im April und einer paradoxen Erfahrung, die ich damals gemacht habe. In meinem Vortrag ging ich meiner aktuellen Neugier nach, das Museum als einen nicht bloß öffentlichen Ort zu denken - was er ja mehr oder weniger an sich schon ist -, sondern als einen konflikthaltigen und -fähigen sozialen Raum, der erst so eigentlich das Museum zur zivilen und demokratischen Institution macht. Dafür müssen eine Reihe von Bedingungen zusammenkommen aber die, so bin ich überzeugt, muß man dem Museum nicht aufzwingen, die sind im Museum der Moderne schon angelegt. Mein Rekonstruktionsversuch vergewaltigt die Museumsidee nicht, er bringt etwas wieder hervor, was in ihr angelegt ist.

Museen spielten bei der Formierung europäischer Nationalstaaten und republikanischer Gesellschaften eine erstaunliche Rolle. Museen waren und sind Orte der Vergesellschaftung, Orte, an denen Menschen zusammenkommen um den Grund und die Weise ihres Zusammenlebens zu ergründen, manchmal vielleicht auch zu erneuern, ihre gemeinsame Geschichte zu deuten, die Beziehung zu ihren natürlichen und sozialen Umwelten zu erforschen, zum Fremden und Anderen.

Als ich beim Vortrag so vor mich hin redete, vor einem Publikum, das gewiss keine museologischen Ambitionen hatte, kamen mir Bedenken ob meiner theoretischen Abstraktionen und ich habe mich unterbrochen, unmerklich ein paar Seiten überblättert, das Ganze war ohnehin zu lang, und mich dann  geradezu entschuldigt: „Das sind sehr theoretische Früchte eines einsam an seinem Computer brütenden Wissenschafters - ohne nennenswerte praktische Bedeutung“.

Sechs Tage später, als die beiden Museums-Feiertage des Jüdischen Museums vorbei waren, dachte ich: Was hast Du da geredet? Welche Zweifel waren das denn? Vonwegen theoretische Flausen! Du bist hier in einem Museum, das genau das ist, was Du Dir vorstellst!

Hatten wir nicht eben noch in einem Kreis von fast fünfzig klugen Leuten in einem „Großen Ratschlag“ diskutiert, daß und warum Jüdische Museen es unausweichlich mit konflikthaltiger Geschichte und auch mit der Notwendigkeit zu tun hatten und weiter haben werden, daß sie selbst konfliktbereit und Dissens aushaltend sich der Geschichte anzunehmen hätten? Hatte nicht zur Begrüßung der Festgäste Hanno Loewy in seinem knappen luziden Statement das Museum klar positioniert und präzise dessen gesellschaftspolitische Aufgabe vorgestellt?

Und war nicht das Museum selbst (wie erwähnt) aus einem - heftigen, partiell zivilgesellschaftlichen - Konflikt um die Deutung Jüdischer Geschichte im Kontext der Vorarlberger Landesgeschichte entstanden? Und war nicht die Ausstellung, die es nun zu sehen gab, „Übrig“, auch ein Dokument vielfältiger Konflikte, solcher in der Überlieferung, des Gebrauchs, der Geltung, der Deutung der Dinge?

Da bin ich beim zentralen Punkt meiner anhaltenden Wertschätzung des Jüdischen Museums. Was möglicherweise selbstverständlich klingt, danach, wie ein Museum nun mal arbeitet und sich positioniert, ist so ganz und gar nicht selbstverständlich. Es setzt voraus, daß das Museum reflektiert sein muß, nicht bloß Arbeitsabläufe abwickelt, Routinen bedient, Besucher zählt, sondern immer auch einen distanzierten Blick auf das haben muß, was es und wie es etwas tut. Was seine Themen sind und welcher Vermittlung wie Methoden es bedarf. Und vor allem, welche Verantwortung es gegenüber seien Communities und der Gesellschaft als Ganzes hat.

Es ist mir noch ein zweites Mal passiert, Jahre zuvor, dass das Museum in Hohenems eine praktische Antwort bereit hatte auf meine theoretischen Basteleien. Das war die Projektreihe „Ein Viertel Stadt“, für die ich mehrmals nach Hohenems gereist bin und an die mich sehr gut erinnere: an die sommerlichen Abende (ich hab sie jedenfalls sommerlich-mild in Erinnerung), an denen die Bevölkerung durch die Stadt flanierte, konzentriert und aufmerksam vor den Projektionen stand und dann, wie Monate später, die Stelen mit den Blicklenkungen Touristen, Radler, Geschäftige, Eilige und Bedächtige lenkte und ablenkte und sie aufmerksam werden ließ für Gestalt und Geschichte der Stadt.

Das war ein sehr ungewöhnliches Projekt. Ein Museum interveniert in kommunale Debatten. Und verlässt dazu sein Haus und geht in die Stadt.
Der Umgang mit dem Stadtkern, dem Jüdischen Viertel, war vielfach ins Gerede gekommen. Immobilienspekulationen zeichneten sich ab, die Denkmalpflege steuerte dagegen, es stand eine sogar, wenn ich mich richtig erinnre, umfassende Unterschutzstellung zur Diskussion. Es hätte aber auch ganz im Gegenteil zum Verschwinden wichtiger, auch historisch bedeutender Bauten kommen können.
Daß das Museum Mitverantwortung für die künftige Entwicklung der Stadt übernahm, war schon bemerkenswert. Daß man dabei aus dem Museum herausging und, gestützt auf sorgfältig vorbereitende Forschung, im Stadtraum selbst aktiv wurde, war originell und wirksam. Wenn ich seither in Hohenems war, auch in diesen Wochen, habe ich immer wieder vom Nachwirken dieser Doppel-Aktion gehört. Mir kommt vor, daß auch die heutige, vermutlich an Touristen adressierte historische Stadtbeschilderung auf der seinerzeitigen Intervention beruht. Sie hebt unter anderem das Jüdische Viertel überhaupt erst ins Bewußtsein, das war, als ich die ersten Male nach Hohenems kam, überhaupt nicht der Fall. Denn das war ja der Kern des Projekts „Belichtete Häuser“ - verschüttete, vergessene, verdrängte Geschichte und Geschichten zurückzuholen und in das Gedächtnis der Stadt und ihrer Bevölkerung neu zu verankern. Und daß dabei die Synagoge aus einem Feuerwehrhaus zurückverwandelt werden und zu einem der praktischen und symbolischen Zentren des Ortes werden konnte, das wurde erst durch die Projektreihe möglich. Ich glaube, es ist nicht übertrieben zu behaupten, daß Hohenems dadurch seine Identität nachhaltig - und positiv - verändert hat.

Als ich kürzlich von der Österreichischen Forschungsgemeinschaft gebeten wurde im Zusammenhang mit den Plänen eines Haus der Geschichte Österreich in der Wiener Hofburg zum Thema Geschichtsvermittlung zu sprechen, habe ich die Projektreihe „Ein Viertel Stadt“ als eines unter sechs von mir ausgewählten Beispielen als Modell ausgewählt, denn ich halte sie für ein beispielhaftes Unterfangen der Schaffung kritischer und handlungsorientierender Öffentlichkeit und wundere mich so nebenbei, daß kein anderes österreichische Museum, etwa die Stadtmuseen, dieses Modell nicht weiter entwickelt haben.

Inspirierend für mein damaliges wie heutiges Nachdenken über Museen war der auch der Umgang mit Musealisierung und mit Öffentlichkeit im Projekt. Musealisierung, die dauerhafte und unveränderte Erhaltung von etwas Überliefertem, Tradierten, unter Umständen sogar einer Landschaft oder wie hier eines Stadtquartiers, kann erstickend sein, kann die weitere städtebauliche, architektonische vor allem aber auch soziale Entwicklung hemmen. Da half das Museumsprojekt, die Debatte offenzuhalten, zu verflüssigen. Dann aber machte das Museum noch etwas ganz anderes: es wartete nicht darauf, daß Besucher kommen, um sich etwas anzusehen, schöne, alte, ausratsche Dinge, sondern erzeugte gewissermaßen seine Besucher selbst, eine Gelegenheit und einen Raum, in dem sich Besucher zusammenfinden, sich sammeln konnten, in der Vieldeutigkeit dieses „Sich-Sammeln“.

„Ein Viertel Stadt“ war etwas, wo das Museum aktiv Öffentlichkeit herstellte, eine Öffentlichkeit, die in die Lage versetzt werden sollte, sich informieren zu können, sich erinnern zu können und ihre eigenen Entscheidungen zu entwicklen - etwa über die künftige Entwicklung des Stadtkerns, den Umgang mit „sensibler“ Bausubstanz, mit der Art und Weise, wie man mit der Geschichte des Ortes umgehen sollte. Mit anderen Worten: Das Museum gab keine Empfehlungen ab, es favorisierte keinen bestimmten Gesichtspunkt, es tat nicht so, als hätte es eine Lösung - es stellte einen sozialen Raum zur Verfügung, in dem debattiert werden konnte, um es der Bevölkerung von Hohenems zu ermöglichen „ihre eigenen Angelegenheiten“ zu regeln. Genau das war und ist der Sinn liberaler Öffentlichkeit, und das gehört zum Kostbarsten, was eine demokratische Gesellschaft besitzt. Und meiner Meinung nach zum Wichtigsten, was ein Museum leisten kann.

Orte zu besitzen, wo ein solcher Austausch von Interessen unter Achtung und Anerkennung des Anderen stattfinden kann, wo Konflikte sichtbar gemacht und miteinander konfrontiert werden, ohne daß sie vorschnell harmonisiert werden, daß ist ein Herzstück demokratischer Politik. Die Fähigkeit des Museums, solche Gelegenheiten in den unterschiedlichsten Formen immer wieder herzustellen, daraus sein Programm zu entwicklen, seine Anliegen an eine zivilgesellschaftliche Öffentlichkeit zu vermitteln, das ist es, was ich am Jüdischen Museum Hohenems bewundere. Und mir kommt vor, daß es angesichts der akuten gesellschaftlich-politischen Entwicklung immer wichtiger wird, solche Orte zu haben und zu fördern.

Dabei vergesse ich nicht, daß das Hohenemser Museum wie andere Jüdische Museen, die im deutschsprachigen Raum seit den 1980er-Jahren entstanden sind, auch untrennbar mit einer katastrophischen Geschichte kontaminiert sind und nie der Herausforderung ausweichen dürfen, sich dieser einzigartigen historischen Bindung bewußt zu sein und Mittel und Wege zu finden, das Eingedenken an Vernichtung und Vertreibung zu ermöglichen. Das Museum hier ist als Gedächtnisort für eine einst bedeutende und schließlich vernichtete und vertriebene Jüdische Gemeinde entstanden. Das ist nach wie vor die Kernfunktion des Museums.
Aber wie das dieses Museum macht, das sie alle, die heute hier versammelt sind, mittragen, fördern und stützen, dafür gibt es viele Wege.
Das reicht von der Aufmerksamkeit für den einzigartigen Jüdischen Friedhof bis zu dem außergewöhnlichen, von Johannes Inama initiierten Nachkommentreffen, das das winzige Museum mit seinen diversen fernen Communities buchstäblich auf der Weltkarte verankert. Dieses beständige Abarbeiten an einer Aufgabe, die manche unterm Stichwort „Unerinnerbarkeit der Geschichte“ für unmöglich erklären, weist für mich immer aber auch über den Museumstyp „Jüdisches Museum“ hinaus auf Qualitäten einer Museumsarbeit, die beispielhaft für andere Museumstypen und Museumsaufgaben sein kann und sollte.
Es ist vielleicht unzulänglich beschrieben, aber Jüdische Museen sind nicht nur einem besonderen Ethos verpflichtet (eine Verpflichtung, die sie sich selbst auferlegen), sie entwickeln daraus abgeleitet eine ungewöhnlich reflektierte und ungewöhnlich selbstreflexive Vermittlungspraxis, die sich in derselben Genauigkeit und Durchdachtheit nicht so schnell in anderen historischen Museen wiederfindet. Deshalb schaue ich auf das Hohenemser Museum gewissermaßen mit zwei Formen der Aufmerksamkeit: Was macht es als Jüdisches Museum, wie nimmt es seine spezifische Aufgabe wahr? Und was kann es so als Museum, daß ich daraus etwas Neues und Anregendes erfahren kann, das in die generelle Museumspraxis einfließen sollte? Während sich das Museum selbst wohl eher an seinesgleichen mißt, messe ich es immer auch an Museen generell.

Wenn ich eingangs erwähnt habe, daß das Hohenemser Museum möglicherweise mein meistbesuchtes ist, ich es aber nicht genau sagen kann, so kann ich etwas anderes mit Sicherheit sagen: Kein anderes Museum hat mir derart viele Anregungen, Einsichten und Inspirationen verschafft. Das lag nicht nur an Ausstellungen, die ich gesehen habe, an Projekten, bei denen ich Gast war, sondern vor allem an Personen, die ich über das Museum kennengelernt haben. Personen, die aktiv an jener präzisen und scharfsinnigen museologischen Reflexion aktiv beteiligt waren und sind, von der ich gesagt habe, daß sie sich in besonderer Weise um Jüdische Museen etabliert hat.

Dabei habe ich bis jetzt nur von zwei Gelegenheiten des Besuchs des Museums erzählt. Ich greife fast wahllos einige andere heraus, solche aus der allerjüngsten Zeit, um besser und bunter zu illustrieren, was das Museum so mit mir macht und was es mir bedeutet.

Es ist erst wenige Tage her, da beugte ich mich mit anderen Besuchern und dem Museumsteam - metaphorisch gesprochen und buchstäblich - über ein Objekt der aktuellen Ausstellung „Übrig“. Wir diskutierten in einer Abendveranstaltung über das Nachthemd der Zemira Guggenheim, über die Geschichte und Überlieferungsgeschichte dieses Objekts, genauer gesagt über das Wenige, das man sicher weiß und über genealogische Forschung, wie sie im Haus aber auch anderswo betrieben wird, über die denkbare Funktion eines solchen durchaus „sensiblen Objekts“ in der Sammlung, in einer Ausstellung. Ich war mir nicht so sicher, welche Rechtfertigung es für das Zeigen eines solchen intimen Objekts gab. Andrerseits gefiel mir die Offenheit, mit der die Experten und Expertinnen mit dem Publikum diskutierten. Objektforschung und Sammlungspolitik sind normalerweise nichts Öffentliches. Wie das so ist, mit Museumsobjekten - je mehr man fragt, desto mehr der Fragen bleiben offen. Das ist eine Qualität von Museen und von Museumsobjekten. Die Fragen öffneten sich und mich nach allen Richtungen. Ich bin nach der Veranstaltung vergnügt weggegangen.

Wenige Wochen zuvor saß ich in einer Veranstaltung, zu der mehrere Dutzend Personen zu dem Zweck zusammengekommen waren, um über Jüdischen Museen und die wünschbare Entwicklung des Hohenemser Museums zu diskutieren. Ich habe aus beruflichen und biografischen Gründen schon lange nicht mehr an einer solchen Generaldebatte teilgenommen und es unglaublich genossen, wieder mal in einem diskussionsfreudigen, hochkompetenten, streitfähigen Milieu mein eignes Wissen und meine Erfahrungen ausprobieren und einflechten zu können. „Der Große Ratschlag“ war als Beratung gedacht, als Reflexion, als Austausch unter Experten, als Prüfung von Zukunftsoptionen. Und diesmal war ich ausnahmsweise nicht Besucher, sondern begeisterter Teilnehmer, der in seinen Überlegungen bestätigt und widerlegt wurde, der mehrmals sanft angestoßen wurde, mal seine Denkrichtung zu ändern.

Die dritte Veranstaltung, die ich erwähnen möchte, ist die gewissermaßen „unwahrscheinlichste“ der drei, die ich hier nenne. Eines Tages schickte mir Hanno Loewy eine Einladung zu einem Konzert, für das er Hebammendienste in mir unklarem Ausmaß geleitet hatte, und das einen Herrn Lorne Richtestone aus Oklahoma am Klavier versprach, vier Sängerinnen, die nicht, wie üblich, mit ihren Stimmlagen sondern mit ihrer Herkunft vorgestellt wurden: Ost-Jerusalem. Es gab da aber zudem eine Cellistin aus Finnland, Sängerinnen aus Österreich und eine Organisatorin, die, wenn ich richtig verstanden habe, aus Hohenems kommt. Das ergab ein schwer durchschaubares Geflecht aus Israel, Vorarlberg, Palästina, USA, Finnland usw. und genügte schon, um mich sehr neugierig zu machen. Außerdem war ich ohnehin grade rechtzeitig in Wien, um ins Hamakom-Thaeater am Nestroyplatz zu gehen wo mich unter dem Titel „Der Wanderer“ Musik von Schubert, Salomon Sulzer und dessen Söhnen erwartete. Also hatte ich auch eine Gelegenheit, aus einem zwar prominenten, aber für mich nicht mit persönlicher Bedeutung gefüllten Namen, Sulzer, etwas Anschauliches und Lebendiges werden zu lassen.

Ich fasse mich kurz. Das Konzert gehört zum Außergewöhnlichsten, was ich je zu hören bekam. Vor allem als sich die vier „Sängerinnen aus Ost-Jerusalem“ als sechzehnjährige Operngesangsschülerinnen entpuppten, die nacheinander je ein Lied von Franz Schubert sangen. Darunter „Der Tod und das Mädchen“ und eben das Lied, das dem Programm den Titel gegeben hat, „Der Wanderer“, wo es in einer Zeile heißt, „Da wo ich nicht bin, da ist das Glück.“ Ein Konzert? Ja, auch. Aber auch so etwas wie ein Gedächtnisort, an dem Jahrhunderte und Kontinente durchkreuzt wurden und sich Geschichte und Geschichten in einem nahezu undurchdringlichen Palimpsest aufeinanderschichteten.

Warum ich ihnen das erzähle? Warum diese drei Episoden? Ja klar, es hätten auch andere sein können. Alles was ich damit sagen will ist, daß mich das Museum immer wieder überrascht, mich immer wieder inspiriert, mich immer wieder neugierig macht, mich mit Unerwartetem konfrontiert, mich, den Besucher, der seit 25 Jahren hartnäckig immer wieder kommt und weiter kommen wird.

Ich hoffe, es ist mir gelungen, Ihnen verständlich gemacht zu haben, warum ich das Museum sowohl in objektivierender Hinsicht, im Vergleich mit anderen Museen und gemessen an auch theoretisch formulierbaren Ansprüchen an zeitgemäße Museumsarbeit, für sehr ungewöhnlich halte. Aber auch, was das Museum für mich ganz persönlich bedeutet hat und bedeutet.

Beide meine Urteile möchte ich ihnen zum Abschluss mit einer kleinen Anekdote illustrieren.
Ich war wieder mal Gast in Hohenems, das Museum feierte sein zehnjähriges Jubiläum, damals noch im Löwensaal, wo ich irgendwo mitten im rappelvollen Saal saß. Ich habe zwei Dinge von dieser Jubiläumsveranstaltung in Erinnerung. Einerseits, daß sich mir das Gefühl vermittelte, daß das Saalpublikum ganz und gar identifiziert war mit dem Museum, ihrem Museum, keine Selbstverständlichkeit, bei keinem Museum. Das zweite war die Podiumsdiskussion, wo diverse Expertinnen und Experten die Geschichte und Vorzüge des Museums diskutierten. Bis dann jemand, selbst Leiter eins Jüdischen Museums, etwa so das Wort ergriff. „Also schön und gut, allen ist klar, daß das Hohenemser Museum tolle Arbeit leiste, wunderbare Projekte mache usw. Aber jetzt, bitte! jetzt möge das Museum doch endlich ein normales Museum werden.“

Ich bin damals aus meinem Sitz hochgeschossen und habe mich zu Wort gemeldet und als ich dran war habe ich dringend darum gebeten, daß das Hohenemser bitte, bitte kein normales Museum werden solle.
Es gäbe, sagte ich damals, in Österreich schätzungsweise 1400 Museen (heute sind es vielleicht schon 1600, oder 1700), davon seien ohnehin 1385 normal (ich neige zur Polemik, ja, aber das muß mir erst mal jemand beweisen, daß es sich anders verhält) und auf die restlichen fünfzehn käme es an. Denn das sind die, die etwas Neues machen, die etwas riskieren, die erfinderisch sind, die den Begriff Museum über seine Grenzen hinaus entwickeln würden. Auf die Museen käme es an, die machten die Qualität des Museumswesens eines Landes aus. Und genau so ein Museum sei das Jüdische Museum Hohenems. Also bitte! Kein normales Museum aus dem Hohenemser machen!  

Ganz in diesem Sinne wünsche ich mir, daß das Jüdische Museum weiterhin kein normales wird und so einzigartig und unverzichtbar bleibt, wie es ist.

Und jetzt wünsche ich Ihnen ein schönes Fest!

Dienstag, 3. Juni 2014

Daniel Spera äußert sich zum Anschlag auf das Jüdische Museum in Brüssel. Auf bemerkenswerte Art.

Daniel Spera ist nicht nur Direktorin des Wiener Jüdischen Museums, sie ist auch Präsidäntin von ICOm Österreich. Für alle, die ICOM nicht kennen - dies ist ein internationaler Museumsverband, mit Sitz in Paris und zahllosen nationalen Komtees in aller Welt.

Im neuesten österreichischen ICOM Newsletter schreibt Frau Spera:

Sehr geehrte ICOM Mitglieder!
Der Terroranschlag auf das Jüdische Museum in Brüssel hinterlässt uns bestürzt und in Trauer. Das grausame Attentat traf ein Museum, das sich besonders für Toleranz, gegenseitiges Verständnis und interkulturellen Austausch einsetzt. Einen Ort des Erinnerns und Vermittelns von jüdischer Geschichte und Religion. Unsere Anteilnahme und Solidarität gilt unseren Kolleginnen und Kollegen, den Besuchern und allen Angehörigen. Wir senden den Familien der Opfer unser tiefstes Mitgefühl.
Dr. Danielle Spera
Präsidentin ICOM Österreich

Daniel Spera macht aus dem Anschlag einen auf ein Museum und gebraucht das Schlüsselwort zu dem Anschlag nicht: Antisemitismus. Sicher, der Ort ist nicht arbiträr, aber es hätte der Anschlag jeder jüdischen Einrichtung gelten können. Er galt nicht einem Museum als Institution. Sie nennt die Opfer und zollt ihnen Anteilnahme, aber es scheint sie ihre Position als Vorstand einer Museumsvereinigung dazu zu verleiten, erst einmal "das Museum" attackiert zu sehen.

Pierre Mertens, ein belgischer Autor in Le Monde, dem andere, einschlägig 'vermeidende' Medienberichte aufgefallen waren: "Ein Wort hätte ausgesprochen werden müssen, gewiss, es ist nicht angenehm zu hören, denn es spricht von Sorglosigkeit und Voraussehbarkeit. Nichts war so wenig unerwartet... Spielen wir kein Ratespiel. Der Antisemitismus, die neue Judenfeindlichkeit breitet sich überall in Europa aus: Warum sollte Belgien davon verschont bleiben?"

 


Dienstag, 4. Juni 2013

Objet trouvés.Die Laubhütte

Laubhütte / Sukka
Baisingen, 1. Viertel 20. Jh.
Sammlung Stadtverwaltung Rottenburg am Necker
Foto: Sammlung Stadtverwaltung Rottenburg am Neckar. Ausstellung "Alles hat seine Zeit". Rituale gegen das Vergessen. Jüdisches Museum München. Kuratorin: F. Heimann-Jelinek.

Mittwoch, 2. März 2011

Jüdisches Museum Wien - CSI übernehmen sie!

Immer merkwürdigere Züge nimmt die Debatte um den Abbruch der Hologramme des Jüdischen Museum der Stadt Wien an. Jetzt geht’s offenbar (nur noch) um eine graue Masse und ihre Eigenschaften…

Wie erinnerlich spielt die Frage eine Rolle, ob die Hologramme ohne Zerstörung hätten demontiert werden können oder nicht. Daran hängt dann die Beurteilung, ob die Museumsleitung beim Abbau dieses Teils der Dauerausstellung einem technischen Sachzwang gefolgt sei und ob es ihr damit unmöglich war, zumindest Teile der Hologramm-Installation zu bewahren.
Obwohl mit dieser Frage nach wie vor die grundsätzlichere nach dem Umgang der Museumsleitung mit der bisherigen Haltung des Hauses und seiner Ausstellungstätigkeit, die international so hoch geschätzt wurde, und zu seiner Zukunft nicht zu entscheiden ist, kommt ihr doch eine große Bedeutung zu.
Mit dem Beharren auf der Darstellung nämlich, man sei wegen der materiellen Beschaffenheit der Konstruktion an der Bewahrung der (oder Teilen der) Hologramm-Installation gehindert worden, möchte sich die Museumsleitung rechtfertigen und der Kritik allen Wind aus den Segeln nehmen.
Die heutige Presseaussendung der Wien-Holding ist insofern bemerkenswert, weil sie ein Indiz dafür ist, daß der Rechtsträger des Museums selbst die Angelegenheit bislang nicht für geklärt hielt; das hatte ja auch die Sitzung des Aufsichtsrates vor wenigen Tagen auch ergeben.
An der heutigen Presseaussendung scheinen mir besonders zwei Dinge bemerkenswert: das Fehlen von Angaben zu Autor, Wortlaut und Datum des Gutachtens und die auffallend noch immer alles offen lassenden Formulierungen.
„Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ ist nicht sicher und wieso ein Gutachten sich nicht entscheiden kann, ob nun ein Kleber verwendet wurde oder nicht oder ein Dichtmaterial „kleberartige Eigenschaften“ entwickelt hat, ist erstaunlich. Denn das war ja eine der zentralen Fragen.

Hier nun der Text der Presseaussendung.

Wien (OTS) - Um die Frage zu klären, ob die Hologramme im Jüdischen Museum Wien demontierbar gewesen wären, ohne die Glasobjekte zu zerstören, hat die Wien Holding über das Jüdische Museum Wien einen unabhängigen, gerichtlich beeideten Sachverständigen eingeschaltet. Das Gutachten zu dieser Überprüfung liegt nun vor.
Das Gutachten kommt zum Ergebnis, dass "die Elemente zerstörungsfrei nicht voneinander getrennt werden konnten, da sie mit heutigem Wissensstand mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch unter und miteinander verklebt sind, bzw. bei der Montage vor 15
Jahren verklebt wurden".
Laut dem Gutachten kommen für das Verkleben der Platten zwei Ursachen in Frage: Entweder wurde bei der Montage vor 15 Jahren ein Kleber verwendet oder die damals verwendeten Dichtbahnen zwischen den Glasscheiben bzw. ein Silikonmaterial haben über die Jahre hin
kleberartige Eigenschaften entwickelt.
"Das Gutachten bestätigt damit schwarz auf weiß den Eindruck, den wir aus den bisherigen Erkenntnissen und dem Hearing der Direktorin des Jüdischen Museums Wien in der letzten Aufsichtsratssitzung, gewonnen haben. Spera hat gewissenhaft alle Abbau-Varianten geprüft. Nachdem alle Versuche zum Abbau der Installation, ohne diese zu beschädigen,gescheitert waren, ist letztendlich nur mehr der vollständige Abbruch der Hologramme als Alternative geblieben. Ich hoffe, dass nun alle Beteiligten wieder von der emotionalen Diskussionsebene zu einer konstruktiven und auf die Zukunft des Jüdischen Museums Wien ausgerichteten Arbeit zurückkehren können", so Wien Holding-Geschäftsführer Komm.-Rat. Peter Hanke.


Siehe auch den Post "Blow up". Hätte man die Hologramme erhalten können?

Montag, 14. Februar 2011

Wertigkeiten und Fertigkeiten. Die Museologin Roswitha Muttenthaler zur Bedeutung der Hologramme des Jüdischen Museums



Martin Kohlabuer: Modell für das Environment der Hologramme für das Jüdische Museum der Stadt Wien















Roswitha Muttenthaler: Wertigkeiten und Fertigkeiten
                                
Der Wertschätzung der Hologramme kann ich mich als Museologin und Kulturwissenschaftlerin nur anschließen. Was ihre herausragende Bedeutung ausmachte, ist bereits dargelegt worden. Meine Wortmeldung möchte ich daher weniger auf die physische Zerstörung legen, auch wenn ich diesen Akt wie viele andere nicht nachvollziehen kann. Doch genauso brisant wie die Zerstörung finde ich den Prozess der Demontierung ihrer Bedeutung und der Disqualifizierung einer kritischen Öffentlichkeit, wie sich dies in den bisherigen Stellungnahmen des Jüdischen Museums und zum Teil auch in der Presse abzeichnete.

Eines meiner Metiers, mit dem ich mich seit Jahren auseinandersetze, ist die Analyse von Ausstellungen mittels interdisziplinärer Methoden, mit dem Ziel, Blicke für angelagerte Deutungen zu schärfen und diese in einen Diskurs zu überführen. Bekanntermaßen ist es in Hinblick auf mögliche Konnotationen und den so genannten Subtext von erheblicher Bedeutung, welche Bilder oder Worte bei der Vermittlung von Aussagen gewählt werden.
Wenn Der Standard am 11.02.2011 bereits in der Schlagzeile mit dem Begriff „Aufregung“ operiert, werden völlig andere Konnotationen ausgelöst, als wenn etwa die Begriffe Kritik oder Diskussion verwendet würden. Die als Aufregung bezeichneten Wortmeldungen lassen in bestimmter Weise emotionalisierte Protagonist/innen assoziieren. Dies impliziert, dass der Kritik tendenziell inhaltliche Argumente, eine sachliche Berechtigung der Motive genommen wird, und so ein bestimmter Deutungs-Rahmen für das Kommende gesetzt wird. Gegen Ende des Artikels wird erneut ein emotionalisierender Moment eingebracht: die Museumsdirektorin wird mit der Redewendung, „menschlich enttäuscht“ zu sein, zitiert. Es handelt sich nicht allein um eine heutzutage in der öffentlichen wie privaten Kommunikation sehr beliebten Formulierung, sondern die Redewendung bietet unter dem Aspekt der Betroffenheit die Möglichkeit, indirekt Menschen abzuqualifizieren, die Auslöser der Enttäuschung in ein negatives Licht zu rücken und auf Mitgefühl zu rekurrieren. Dabei stellt sich mir zum einen die Frage, wem der Raum gegeben wird, seine Enttäuschung mitzuteilen. Was wäre, wenn die namentlich genannten Verursacher der Enttäuschung vice versa ebenfalls menschlich erschüttert wären? Zum anderen halte ich es für bedenkenswert, persönliche Befindlichkeiten mit inhaltlichen Argumentationen zu verschränken. Und ein No-go bilden Formulierungen, die Unterstellungen erlauben, wie sie Der Standard im ersten Artikel am 11.2.2011 machte: Kritik erscheint aus persönlicher Motivation gespeist und dass die Direktion von "Kampagnisierung" und von "Intrige" spricht, wird unkommentiert übernommen.  
Die Sprache von Presseartikeln unterliegt immer auch Anforderungen der medienwirksamen Zuspitzung. Doch  ist die Wortwahl von den Statements des Jüdischen Museums bestimmt: So ist auf der Website der Begriff „Aufregung“ ergänzt um jenes der „Erregung“. Die Konnotationen der beiden Begriffe gleichen sich, gehen aber beim Begriff Erreger noch viel weiter. Denn hier kann etwa auch das medizinisch-hygienische Bedeutungsfeld aufgerufen werden, in dem der Begriff klar negativ besetzt ist: Erreger von Krankheiten, Seuchen etc. Was bedeutet dieses Konnotationsfeld für die von Kritiker/innen geäußerten Argumente, wenn eine Stellungnahme des Jüdischen Museums mit „Stationen der Geschichte einer österreichischen Erregung“ überschrieben ist und dieser Formulierung auch den Titel einer Ausstellung bildet? Während die kritische Öffentlichkeit in einer disqualifizierenden Rhetorik gefasst wird, wählt das Jüdische Museum für seine eigenen Argumentationen Begriffe wie „Fakten“ und Formulierungen wie „Suche nach einer neuen Heimat“.
Ob solche Setzungen PR-geschulten Strategien geschuldet oder passiert sind, interessiert mich vorerst weniger. Entscheidend finde ich, wie diese wertenden Rahmungen mit dem Bestreben einhergehen, die Bedeutung der Hologramme gering zu halten. Dies lässt sich an der beharrlichen Betonung der technischen Ebene erkennen: in auf der Website des Museums veröffentlichten Statement wird ihre Form und Montierung und die angebliche Unmöglichkeit der Demontierung detailliert beschrieben, ohne ihre inhaltlichen Dimensionen zu erwähnen. Die Hologramme erscheinen als beliebig austauschbares Ausstellungsmittel, wie es Vitrinen sind. Sie werden als „eine Technologie zur Darstellung von Inhalten, die sich allerdings nicht durchgesetzt hat“ beschrieben, die nunmehr durch Abnützung „technisch ausgedient“ sind. Zudem sei durch ein zweites Set an kleineren Hologrammen gewährleistet, „dass dieses Instrument als Erinnerung an eine veraltete Technologie erhalten“ bleibt. Mit „Aufregung um veraltete Hologramm-Technologie“ titelt auch Der Standard seinen ersten Artikeln am 10.2.2011. Diese Haltung wird ergänzt durch die Aussage der Direktorin, die Hologramme seien keine Exponate. 
Wie schon im offenen Brief an die Museumsdirektion formuliert, liegt die Besonderheit der Hologramme im Zusammenfallen von Präsentation und Exponat. Doch selbst wenn die Hologramme „nur“ als Ausstellungsmittel konzipiert worden wären, stünde ihnen der Weg zum Exponat immer offen. Zum museologischen Grundwissen gehört, dass Exponate nicht per se gegeben sind, sondern von wissenschaftlichen, museologischen Disziplinen und gesellschaftlichen Diskursen geschaffen werden, wie dies Barbara Kirshenblatt-Gimblett 1991 etwa für ethnografische Objekte formulierte: „Ethnographic artifacts are objects of ethnography. They are artifacts created by ethnographers.“ Dies gilt auch für Präsentations- oder Wissenschaftsexponate. Beispielsweise werden Funktionsmodelle zur Veranschaulichung von technischen Funktionen immer wieder auch zu sammlungswürdigen musealen Objekten. Für welche dies erfolgt und welche als entsorgbares Gebrauchsgut gelten, unterliegt wie bei allen Sammelprozessen sich ändernden Zuschreibungen von symbolischen, historisch-musealen Wertigkeiten. Die Sammlungswürdigkeit erhielten die Hologramme sowohl aus der Besonderheit der Hologramme - das Zusammenfallen von Präsentation und Exponat - als auch durch ihre Relevanz in der öffentlichen und wissenschaftlichen Rezeption, durch ihre Rolle für die Ausstellungs- und Gedächtniskultur – von Martin Beck so treffend Diskursrelevanz genannt. Damit bin ich bei meinem zentralen Anliegen: Warum führt das Jüdische Museum keine Diskussion über Wertigkeiten, sondern verschiebt sie zu einer der (technischen) Fertigkeiten? Dabei hängen beide unmittelbar zusammen. Die Zerstörung mit mangelnden Fertigkeiten zu argumentieren, verdeckt, dass in der Regel die Wertigkeit auch die Fertigkeit bestimmt. Wird etwas als unwiederbringlich wertvoll betrachtet, werden erstaunliche Ressourcen und Wissenskapazitäten aktiviert, um technische Lösungen zu finden. Dass diese gar nicht so hoch gewesen wären, erklärte ein am Aufbau der Hologramme Beteiligter.

Roswitha Muttenthaler, Museologin, Kuratorin, Kulturwissenschaftlerin
Wien, 12. Februar 2011

Samstag, 12. Februar 2011

Angriff als Verteidigung. Und noch einmal: die Leitung des Jüdischen Museums erklärt uns, daß alle im Unrecht sind

Ein Überraschungsei: Die Leiterin des Jüdischen Museum der Stadt Wien läßt via Standard ein Gesprächsangebot an ihre Kritiker vermelden. Ja, sie habe ihre Kritiker (die sich in einem offenen Brief an sie gewandt hatten), eingeladen, das Gespräch mit ihr aufzunehmen.

Nur, was weder sie noch der Verfasser des Artikels (hier der Link), Thomas Trenkler, sagen: das Gesprächsangebot kam von den Kritikern selbst. "Wir würden uns sehr freuen", steht da als letzter Satz des Briefes, "Ihre Antworten auf unsere Fragen zu hören und mit Ihnen in ein Gespräch darüber zu treten." Das war vergangenen Mittwoch.
Nun, am Freitag, will es also Danielle Spera gewesen sein, die die Hand ausgestreckt habe.

Mit dem Halbsatz, der relativierend nachgeschoben wird - "Antwort ist bis dato aber keine eingelangt" - soll uns vermutlich die Seriosität der Kritiker zweifelhaft gemacht werden, und uns an die Möglichkeit denken lassen, sie würden nicht gesprächsbereit sein. 

Frau Spera und Herr Menasse, die für diese bislang letzte museumsoffizielle Äußerung firmieren, müssten nur mal die Leserbriefe ansehen, um zu erkennen, wie kontraproduktiv ein derartiger Auftritt ist. Für wie dumm verkauft man uns?, die Frage wird da mehr als einmal in den Postings gestellt.
 
Nachdem dann im Text ein weiteres Mal auf die technisch nicht mögliche Erhaltung hingewiesen wird, entscheiden Frau Spera und ihr Prokurist Peter Menasse, daß es sich bei den Hologrammen nicht, wie die Kritiker behauptet haben, um Kunstwerke gehandelt habe. Sondern um "Hologramme von Porträts und Objekten", die "im Auftrag der Chefkuratorin Felicitas Heimann-Jelinek und des Architekten Martin Kohlbauer (er ist der Mann von Gabriele Kohlbauer-Fritz, einer Kuratorin des Museums)" angefertigt worden seien.
 
Während wir noch nachdenken, was man uns mitteilen will, indem man uns über den Familienstand eines Hausarchitekten informiert, werden dieser und die Kuratorin erst mal gerügt. Die Hologramme und die Demontage seinen bei den Vorgesprächen nie ein Thema gewesen. Was sie "menschlich enttäuscht" habe. Aber das genügt nicht. Da muß auch Strafe sein, worin auch immer das Vergehen der beiden Genannten gelegen haben muß, das sich im Satz "Die Hologramme und die Demontage seien bei den Vorgesprächen nie ein Thema gewesen", versteckt hält. Und die 'Strafe' besteht darin: "Heimann-Jelinek und Kohlbauer werden nun, nach den Vorfällen, nur mehr den zweiten Stock gestalten."
 
Und jetzt noch eins drauf (das Überraschungsei wird zur russichen Puppe): "Dadurch komme es, so Menasse, zu weiteren Verzögerungen beim Umbau." Da hatten wir uns doch eben erst mit der Frage zu beschäftigten begonnen, wieso das Entsorgen der Glasscherben der Hologramme, wie das Museum erst vor Stunden mitteilen ließ, die Eröffnung um zwei Monate verzögern würde, da wird uns auch schon einer neuer, ganz anderer Grund für den Aufschub mitgeteilt.
 
Wenn ich die krause Logik der Argumentation noch einigermaßen nachvollziehen kann, bedeutet das, daß die 'Bestrafung' der beiden Mitarbeiter, nur den zweiten Stock gestalten zu dürfen, zur Verzögerung der Eröffnung führt, mit anderen Worten, die Museumsleitung die Verzögerung nicht nur in Kauf nimmt, sondern selbst herbeiführt, indem sie - wofür? - Mitarbeiter 'bestraft'.

Kann mir jemand helfen? Ich versteh's nicht mehr. - Waren da  nicht die 'Glasscherben' der 'bessere Grund' um das Hinauszögern der Eröffnung zu rechtfertigen?

Ja und dann noch was: bedeutet das, daß im ersten und zweiten Stock die Dauerausstellung, wie sie bisher war, wieder hergestellt und unverändert weiter gezeigt wird, ohne ihr Herzstück, den Hologramm-Raum, also gleichsam als Fragment, als Ruine? Oder kommt dann doch eine ganz neue Dauerausstellung? Aber wann, und wie? (Und wer darf sie machen?).

Wie gesagt: Ein Überraschungsei. Bloß - wer hat's (sich) gelegt?

Freitag, 11. Februar 2011

Die Hologramme waren vielleicht doch abbaubar?

Leserzuschrift zum Artikel von Thomas Trenkler im Standard:

Es nervt - Die Aussage, die Hologramme konnten nicht zerstörungsfrei abmontiert werden ist schlichtwegs falsch. Da ich als Helfer beim Aufbau der Hologramme mitgearbeitet habe kann ich bestimmt sagen das diese Hologramme zwar nicht zerstörungsfrei aus den Bodenschienen entfernt werden konnten, sehrwohl aber mit dem über dem Bodenniveau befindlichen Teilen der Bodenanker ohne die geringste Beschädigung zu entfernen gewesen wären. Dazu hätte es nur eines Gerüsts für die Platten und eine Trennscheibe gebraucht. Die Kosten dafür wären natürlich höher gewesen als die Kosten für die Zerstörung, aber auch nicht so hoch das es unbezahlbar gewesen wäre. Bei den Gesamtkosten des Museumsumbaus ein Minimalbetrag.

Das Jüdische Museum erregt sich auf österreichisch

Das Jüdische Museum der Stadt Wien hat gestern nach seinem auszugsweise in DIE PRESSE wiedergegeben Statement ein weiters in Form eines PDF veröffentlicht, das man von der Homepage aus hochladen kann. (Link hier).
Ich möchte den Text, der vielleicht nicht zufällig zeitnah an einem Thomas-Bernhard-Gedenktag (der auch den die Kritik am Museum verhöhnenden Titel inspriert haben mag) erschien ist, im Augenblick nicht kommentieren.
So etwas kann man getrost dem Urteilsvermögen geistesgegenwärtiger Leser überlassen.

Donnerstag, 10. Februar 2011

Sprachlos. Ein weiterer Kommentar zum Abbruch der Hologramme im Jüdischen Museum der Stadt Wien

Ich bin sehr bestürzt über die Entfernung und Zerstörung der Hologramme auf diese Art und Weise. Und auch die Reaktion der Direktorin des Jüdischen Museums, lässt mich – hinsichtlich der aktuellen Selbstpositionierung des Museums – sehr irritiert zurück. Nicht nur, dass keine Debatte VOR der Zerstörung der Hologramme stattgefunden hat, auch dass Frau Spera in ihrer Stellungnahme ausschließlich auf technische Notwendigkeiten rekurriert, spricht für sich bzw. gegen sie.
Die Hologramme waren bei meinen Exkursionen mit Studierenden der (Zeit)Geschichte ein Fixpunkt, um ganz grundlegend über museale Re/Präsentationsmöglichkeiten und die Erzählbarkeit von Geschichte im Allgemeinen und von jüdischer Geschichte nach der Shoah im Besonderen zu diskutieren. Einen solch hohen Grad an Reflexion über das eigene Tun wie sie das JMW mit seiner Dauerausstellung zum Ausdruck brachte, findet man auch in internationaler Hinsicht nicht in vielen Museen.
Umso sprachloser lassen diese aktuellen Bilder und unreflektierten Rechtfertigungsstrategien der Verantwortlichen zurück.

Dr. Heidrun Zettelbauer
Universität Graz
Institut für Geschichte - Österreichische Geschichte

Reaktion von Direktor Spera auf den offenen Brief von Johannes Wachten

(Mail vom 10. Februar 2011 14:48:59)

Sehr geehrter Herr Wachten,
die Hologramme auch nur in einem Hauch von einem Atemzug mit der Wiener Gesera, der planmäßigen Vernichtung der jüdischen Gemeinden im Herzogtum Österreich im Jahr 1421 durch Zwangstaufe, Vertreibung und Hinrichtung durch Verbrennen zu vergleichen, hat sie in meinen Augen derartig disqualifiziert, dass ich auf Ihre weiteren Anwürfe nicht mehr antworten werde.
Mit freundlichen Grüßen
Danielle Spera

Dr. Danielle Spera
Jüdisches Museum Wien|Direktorin
Dorotheergasse 11
A-1010 Wien
Österreich
Tel:      +431 5350431
Mobil:   +43 699 15205555
e-mail:    danielle.spera@jmw.at
www.jmw.at


Hier der Link zum Brief von Johannes Wachten, auf den Frau Direktor Spera bezug nimmt.

"Eine österreichische Aufregung". Wie das Jüdische Museum Wien mit seiner Krise umzugehen gedenkt.

Am Vormittag ist in der Tageszeitung DIE PRESSE ein Artikel erschienen, der die Reaktion des Museums auf die massive Kritik der letzten Tage vorstellt (Link zum Artikel hier).
Das Museum wird die verkleinerten Duplikate der Hologramme ausstellen, vom 16. bis 20. Februar und zwar unter dem Titel "Die Geschichte einer österreichischen Aufregung".
Man teilt mit, daß wegen der Schwierigkeit beim Abtransport der "zerstörten Platten" (damit sind ganz offensichtlich die Hologramme gemeint), der Eröffnungstermin des Museums nach den Umbauarbeiten von Juli auf September 2011 verschoben wird.
Dann werde man das Set der Duplikate noch einmal ausstellen, und zwar einige Monate lang.
Dann werden noch einmal die nicht lösbaren technischen Probleme der Demontage und Erhaltung der Hologramme zusammengefasst und angemerkt, (hier zietiert die PRESSE offenbar wörtlich das Museum) "dass dieses Instrument als Erinnerung an eine veraltete Technologie erhalten bleibt und damit ein wichtiger Teil der Geschichte des Jüdischen Museums Wien trotz der enormen Probleme um den Abbau der Originale in Erinnerung bleiben kann."
Ehe zum Schluß im Artikel der Brief erwähnt wird, der gestern von Museumsleitern und Wissenschaftern veröffentlicht wurde, wird ein  - zumindest mir bislang noch nicht bekannter Aspekt - genannt: DIE PRESSE: "Die zerstörten Hologramme hätten darüber hinaus vorwiegend Objekte und Bilder gezeigt, die sich großteils im Besitz des Museums befinden".

Offener Brief aus Frankfurt/M. an Danielle Spera

Sehr geehrte Frau Dr. Spera,

durch einen Anruf der Presse erfuhr ich, dass unser vorheriger e-mail-Austausch aus Ihrem Hause – ohne meine vorherige Zustimmung – an dieselbe gelangt ist. Um diesen Weg abzukürzen, erlaube ich mir, Ihnen nunmehr direkt einen „offenen Brief“ zu schicken.

Funktionssanierung ist für jede Immobilienentwicklung unumgänglich und begrüßenswert.

Wenn sie sich jedoch nur um den Preis der Zerstörung eines Kunstwerks realisieren lässt, ist sie gerade bei einem Museum dysfunktional und das umso mehr bei einem Jüdischen Museum, das einem ohnehin schon viel zu sehr dezimierten Kulturerbe verpflichtet ist.

Wenn ich in den letzten Jahren in Wien war, habe ich mir immer wieder besonders die Hologramme angesehen.  Von Anfang an und immer wieder empfand ich Bewunderung und Hochachtung für diese für ihren speziellen Raum konzipierte Kunstinstallation, die nun unwiederbringlich zerstört ist. Ihr hoher intellektueller und ästhetischer Anspruch verschaffte dem Jüdischen Museum Wien einen einzigartigen internationalen Stellenwert. Eine kleinere, nicht für den ursprünglichen Raum konzipierte Replik ist kein gleichwertiger Ersatz – zumal für mich derzeit nicht ersichtlich ist, dass sie im umgebauten Haus erneut installiert wird. Sollte sie aus dem sanierten Bau verbannt bleiben, käme das für dieses Kunstwerk in meinen Augen – mutatis mutandis – einer neuen „Wiener Gesera“ gleich.

Nach dem ersten Schock angesichts der Bilder der Verwüstung bleiben mir trotz Ihrer Ausführungen noch Fragen.

Wie steht es mit den Rechten des oder der Urheber dieses Kunstwerks? Ist dieser oder sind diese bezüglich der Zerstörung befragt worden? Hat er oder haben sie eventuell sogar zugestimmt? Geht der von Ihnen erwähnte gerichtliche Sachverständigen evtl. auch auf die Urheberrechtsproblematik ein?

Ohne dessen Gutachten zu kennen, kann man dazu nicht Stellung nehmen. Dabei bin ich allerdings grundsätzlich der Meinung, dass kein Sachverständigengutachten einen der eigenen Verantwortung entheben kann.

Ihrer Antwort entgegensehend und mit kollegialen Grüßen

Johannes Wachten


STADT FRANKFURT AM MAIN
– Der Magistrat –
JÜDISCHES MUSEUM
Dr. J. Wachten
Oberkustos und stellv. Direktor

(Hier zur Reaktion von Frau Direktor Spera auf Herrn Wachtens Schreiben)

Mittwoch, 9. Februar 2011

"Zerstörung ist selbst Thema unserer Arbeit". Eine gewichtige internationale Reaktion auf die Vorgänge im Jüdischen Museum der Stadt Wien

Nancy Speros Erinnerungsspuren. Der Lichthof des Museums.

Sehr geehrte Frau Dr. Spera, liebe Frau Kollegin,

wir wissen, dass das Wiener Museum vor der schwierigen Aufgabe steht, eine nun  mittlerweile fünfzehn Jahre bestehende Dauerausstellung für die Zukunft neu zu entwickeln. Dass dabei auch von manchen Errungenschaften der Vergangenheit Abschied genommen werden muss, versteht sich von selbst. Und offenbar sind dabei unvorhergesehen Schwierigkeiten aufgetreten.

Die Bilder von der Zerstörung der Hologramme in der alten Dauerausstellung erfüllen uns gleichwohl mit Sorge.

Als Kollegen machen wir uns Sorgen darum, ob die für uns selbstverständlichen Standards der Achtung und des Respekts gegenüber Meilensteinen der Gestaltung Jüdischer Museen hier wirklich Beachtung gefunden haben. Museen sind Hüter und Bewahrer der ihnen anvertrauten kulturellen Güter und haben sich verpflichtet, sie mit größter Sorgfalt für die Nachwelt zu erhalten. Jüdische Museen  sind gleichzeitig ein Teil jener Geschichte, die sie erzählen und sollten sich auch mit Achtung und Respekt gegenüber dieser, ihrer eigenen Geschichte, als Institution verhalten. Ähnliches gilt schließlich auch für die Achtung und den Respekt gegenüber unseren Mitarbeitern und ihren Leistungen.

Zum ersten:
Die Hologramme gehörten – nicht nur zum Zeitpunkt ihrer Installation 1996 – zu den bemerkenswertesten Präsentationen jüdischer Geschichte in der  Welt der Jüdischen Museen und weit darüber hinaus. Die Wiener Hologramme waren ein Projekt, das die Museumswelt in ihrer Arbeit inspiriert hat. Das radikal innovative und einzigartige an den Hologrammen bestand in dem Phänomen, dass sie Präsentation und Exponat zugleich waren. Sie waren – auch wenn das für die Arbeit von Kuratoren und Ausstellungsgestaltern ungewöhnlich ist – selbst ein bedeutendes künstlerisches Objekt.

Insofern stellt ihre Zerschlagung nicht die Demontage einer Ausstellungsarchitektur dar, sondern den Verlust eines unwiederbringlichen Originals. Sie waren nicht nur ein Ausstellungsmedium, eben keine Vitrine und kein technisches Präsentationsmittel, sondern das ausgestellte  Exponat selbst, und damit ein Teil der Sammlung des Hauses, die gemäß der Prinzipien von ICOM, also des Internationalen Verbands der Museen, gepflegt und bewahrt werden muss.

Nach unserem Selbstverständnis musealer Arbeit wäre es geboten gewesen, die Hologramme zu archivieren, auch wenn dies nur unter Zuhilfenahme von – möglicherweise schwierigen - restauratorischen Maßnahmen gelungen wäre. Wäre dies tatsächlich nicht oder nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand möglich gewesen, hätte dieser Entscheidungsprozess diskutiert und dokumentiert werden müssen.

Zum zweiten:
Als Verantwortliche Jüdischer Museen, als Wissenschaftler und Museologen sind wir  der Erinnerung an jüdische Geschichte und der Auseinandersetzung mit jüdischer Gegenwart gleichermaßen verpflichtet. Dazwischen liegt eine Katastrophe unvergleichlichen Ausmaßes, die in der willentlichen Auslöschung jüdischen Lebens, jüdischer Kultur und jüdischer Erinnerung bestand. 
Diese Zerstörung ist selbst Thema unserer Arbeit. Und sie war auch der Gegenstand der nun verlorenen Hologramme. Der museale Umgang mit der Massenvernichtung an den europäischen Juden stellt mannigfache Fragen an uns und sie bedeutet für uns die Aufforderung zu einem sensiblen Umgang auch mit unserer eigenen Geschichte als Museen und der Objekte, die wir ausstellen und bewahren. Der Verlust der Hologramme wirft diese Fragen in einer neuen Dramatik auf.

Wir möchten Sie deshalb fragen, wie Sie unseren eigenen Umgang mit unserer Geschichte sehen, und wie wir uns selbst gegenüber kritisch genug bleiben können, um unsere Sensibilität für unseren Gegenstand nicht zu verlieren?

Eine der großen Qualitäten der Arbeit Jüdischer Museen in Europa und den USA ist der Diskurs über unsere Arbeit, der uns alle bereichert und nicht selten sind in den letzten zwanzig Jahren die Anstöße dazu von Wien ausgegangen. Wir würden uns sehr freuen, Ihre Antworten auf unsere Fragen zu hören und mit Ihnen in ein Gespräch darüber zu treten.

Mit kollegialen Grüßen
Ihre

Fritz Backhaus, Programmdirektor, Jüdisches Museum Frankfurt am Main
Monika Berthold-Hilpert, Jüdisches Museum Franken
Inka Bertz, Jüdisches Museum Berlin
Daniel Dratwa, Conservateur, Musée Juif de Belgique
Daniela Eisenstein, Direktorin, Jüdisches Museum Franken
Jutta Fleckenstein, Jüdisches Museum München
Michal Friedlander, Jüdisches Museum Berlin
Ulrike Heikaus, Jüdisches Museum München
Anne-Hélène Hoog, Musée d’art et d’histoire du Judaisme, Paris
Cilly Kugelmann, Programmdirektorin, Jüdisches Museum Berlin
Dr. Hanno Loewy, Direktor, Jüdisches Museum Hohenems
Dr. Tobias G. Natter, Direktor, Vorarlberger Landesmuseum
Bernhard Purin, Direktor, Jüdisches Museum München
Mag. Johannes Reiss, Direktor, Österreichisches Museum Eisenstadt
Dr. Benigna Schönhagen, Direktorin, Jüdisches Kulturmuseum Augsburg
Dr. Emile Schrijver, Leiter der Bibliotheca Rosenthaliana, Universiteit van
Amsterdam
Christiane Twiehaus, Jüdisches Museum Franken
Dr. Johannes Wachten, Oberkustos, Jüdisches Museum Frankfurt am Main
Dr. Mirjam Wenzel, Jüdisches Museum Berlin

Prof. Dr. Johannes Heil, Leiter der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg
Dr. Martha Keil, Direktorin, Institut für jüdische Geschichte Österreichs
Univ. Prof.  Dr. Gerhard Langer, stellvertretender Institutsvorstand
Institut für Judaistik, Universität Wien
Univ. Prof. Dr. Albert Lichtblau, Universität Salzburg, Fachbereich Geschichte
Dr. Sabine Offe, Institut für Religionswissenschaft, Universität Bremen
Dr. Dirk Rupnow, Leiter, Institut für Zeitgeschichte, Universität Innsbruck
Dr. Heidemarie Uhl, Österreichische Akademie der Wissenschaften, Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte

Unterschriften eingegangen bis Mittwoch, 9. Februar 2011, 13 Uhr



Jüdisches Museum. Internationale Kritik

Im Schaudepot des JMW
Die Tageszeitung DIE PRESSE ist ganz schön schnell unterwegs mit ihrer Beschäftigung mit den Vorgängen am Jüdischen Museum in Wien.
Am Morgen war das Gespräch mit Danielle Spera online (siehe Bericht und Kommentar dazu im Post unten), und am späten Nachmittag war bereits ein Brief von Museumsdirektoren im Netz. (Hier zum Bericht der PRESSE, Jüdisches Museum - Kritik von Museumsdirektoren).
DIE PRESSE gibt das Schreiben nur auszugsweise wieder. Die Autoren des Briefs machen darauf aufmerksam, daß Jüdische Museen selbst Teil der Geschichte sind, die sie repräsentieren und daher der Umgang mit ihnen immer auch die Geschichtlichkeit des Hauses und der Sammlung betrifft, die, so die Autoren, insgesamt, also einschließlich der Hologramme, auch nach den Richtlinien von ICOM (Internationaler Museumsrat) hätte bewahrt werden müssen.
In dem Schreiben wird bezweifelt, daß die technischen Fragen des Abbaus und der Deponierung unlösbar gewesen sein könnten.
Die Presse fasst ein schwerwiegendes Argument nur gut eingebettet in eigene Formulierungen an: "Gerade in jüdischen Museen sei Zerstörung und willentliche Auslöschung jüdischen Lebens, jüdischer Kultur und jüdischer Erinnerung ein wichtiges Thema, das einen sensiblen Umgang 'auch mit unserer eigenen Geschichte als Museen und der Objekte, die wir ausstellen und bewahren' erfordere.
Unterschrieben wurde der offene Brief unter anderem von Direktoren der Jüdischen Museen Frankfurt am Main, Berlin, Franken, München, Hohenems, Paris, dem Direktor des Vorarlberger Landesmuseums, dem stellvertretenden Institutsvorstand des Institut für Judaistik an der Uni Wien, sowie dem Leiter des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck.

Der vollständige Text ist im Post oben nachzulesen.

"Das waren keine Exponate". Danielle Spera antwortet auf die Kritik an der Zerstörung der Hologramme

Danielle Spera: "Keine Exponate..."
1. Bericht
Nur einen Tag nach dem Erscheinen eines ausgewogenen Berichts von Duygu Özkan in (hier zu ihrem Text) der Tageszeitung DIE PRESSE zum Abbruch der Hologramme (Teil der Dauerausstellung des Jüdischen Museums) antwortet die Leiterin des Museums, Danielle Spera, in derselben Zeitung in einem Interview auf die Kritik. (Hier zum Text in der Online-PRESSE).
Eine ihrer wichtigsten Argumente lautet "Das waren keine Exponate, sondern Schautafeln, Medien zur Darstellung von Inhalten. Heute würde man das am Bildschirm mit einer Animation machen."
Sie wiederholt, daß aus technischen Gründen, die Erhaltung der Hologramme nicht möglich gemacht habe und die Umbauarbeiten im Haus aber ihre Entfernung nötig gemacht hat.
Es sei ein Satz von Duplikaten der Hologramme vorhanden, über deren Ausstellung sie mit einem amerikanischen Museum verhandle.
Zu möglichen Motiven der Kritiker sagt sie: "Es ist ein Kreis, in dem sich das dreht. Da geht es um andere Gründe, über die ich nicht spekulieren will."
Und dann: "Wenn Fotos auf einem Blog landen, dessen Autor mir bei meiner Bestellung bescheinigt hat, ich sei nicht qualifiziert, wird klar, wer hier Aufregung geschürt hat und wollte, dass mein Name in den Schmutz gezogen wird."

2. Kommentar
Der Satz über die 'Schautafeln, die keine Exponate' waren, ist so unbedarft, daß ich ihn nicht kommentieren will; jeder, der sich ein wenig mit Museen beschäftigt, wird ihn 'verstehen' und sich selber seinen Teil denken.
So wie es eine Schuldige im Museum gibt, für Frau Spera, die Mitarbeiterin, die die Fotos gemacht hat und womöglich auch verschickt, muß es auch außerhalb einen Schuldigen geben.
Und da hat sie mich entdeckt. Die Formulierung aus einem Post im Dezember 2009 - und ich finde nur diese Textpassage in meinem Blog, auf den sich ihre Äußerung beziehen könnte -, lautet: "Aus den Zeitungsberichten war nichts über eine Qualifikation für den Job einer Museumsdirektion herauszulesen. Keine Managementerfahrung, keine mit dem Ausstellen, keine einschlägige wissenschaftliche Qualifikation."
Das ist nun doch ein wenig was anderes, als das was sie mir unterstellt, aber es war und es ist schon so, daß sich sehr viele gefragt haben, warum wird jemand mit der Leitung eines ebenso wichtigen (für die österreichische Geschichtskultur z.B.) wie international hoch angesehenen Museums berufen, der die für solche Positionen übliche Qualifikation nicht hat.
Es geht dabei kaum um Frau Spera und schon gar nicht darum ihren "Namen in den Schmutz zu ziehen", sondern eher um eine Frage, die man an das Berufungsgremium und an die Verantwortlichen der Stadt Wien stellen muß.

Dienstag, 8. Februar 2011

Einlösung der vergangenen Hoffnung...

Jedem Hologramm im Jüdischen Museum Wien war ein auf dem Parkettboden aufgebrachter kurzer Text zugeordnet. Mit dem gesamten Ensemble des Raumes und mit der Dauerausstellung als Ganzes teilten diese Texte eine Eigenschaft: eine produktiven Offenheit, eine Unabschließbarkeit, die kein definitves und rasches Verstehen ermöglichte, sondern den Leser der Unruhe weiterer Fragen, ja der Ahnung der Unabschließbarkeit des Wissen- und Erinnern-Könnens aussetzte.
Beim Blättern in meinem Fotoarchiv bin ich an diesem Text hängengeblieben, und habe ihn auf die aktuelle Situation des Museums bezogen: einerseits als eine Programmatik, das man sichtbar, greifbar verabschiedet hat, das in Scherben liegt, andrerseits als Frage, die man als eine an die Leitung des Hauses aufrecht erhalten sollte.

Missverständliches und Erschreckendes zum Jüdischen Museum der Stadt Wien in der Tageszeitung DIE PRESSE. Auch in eigener Sache

In der heutigen Ausgabe der Tageszeitung DIE PRESSE (Link hier) wird über den Abbruch der Hologramme im Jüdischen Museum der Stadt Wien berichtet. Es gibt in dem Artikel (ich benutze die Online-Ausgabe, wobei ich annehme, daß die mit der Print-Ausgabe ident ist) zwei Passagen, die mich veranlasst haben, einerseits die PRESSE um eine Richtigstellung zu bitten, anderseits diese Richtigstellung umgehend auch an das Jüdische Museum weiterzuleiten.Ich gebe das an DIE PRESSE gerichtete und an das Museum weitergeitete Mail hier vollständig und im Wortlaut wieder. Aus ihm geht, so denke und hoffe ich, alles Nötige hervor.

Sehr geehrte Frau Özkan!

Sie schreiben in Ihrem Artikel zum Abbruch der Hologramme im Jüdischen Museum der Stadt Wien (wie ich der aktuellen Online-Ausgabe von DIE PRESSE, 8.2.2011) entnehme, unter anderem:

"Eine Mitarbeiterin hatte die Scherben fotografiert und die Bilder per Mail verschickt. Der Grazer Museologe Gottfried Fliedl hat die Bilder schließlich auf seinen Blog gestellt („Das Jüdische Museum der Stadt Wien vernichtet sein wichtigstes Medium“) – seither geht ein Aufschrei durch die Museumswelt."

Sie legen einen Kausalzusammenhang zwischen Ereignissen nahe, der nicht stattgefunden hat. Auf Ihre einleitende Feststellung bei Ihrem gestrigen Anruf, daß Frau Heimann-Jelinek die Bilder verschickt und  ich Sie daraufhin veröffentlicht hätte, habe ich klar widersprochen. Die Wahrheit ist, daß die Bilder längst im Netzt zirkulierten, als ich sie innerhalb kürzester Zeit von gleich drei Seiten zugeschickt bekam. Dann habe ich sie in meinen Blog eingestellt.

Das ist ganz und gar nicht das, was sie schreiben, und wenn ich aus Ihrem Artikel wenig später erfahre, daß "Die Mitarbeiterin ... für das Weiterleiten der Fotos „gerügt“ (wurde), (und) es werde mit ihr noch weitere Gespräche über ihre Zukunft geben", dann wird erst recht das Gewicht ihrer Formulierung und die Tragweite klar.

Ich ersuche Sie, in einer der nächsten Ausgaben der Presse diese mir zugeschriebene Formulierung, die so ziemlich das Gegenteil dessen ist, was ich zu Ihnen gesagt habe, richtigzustellen.

Es geht auch nicht um eine scheinbar bloß technische Frage, sondern um die Motive für den Abbruch von Teilen einer sehr hoch geschätzten, international beachteten Ausstellung und um die Frage nach der Qualität dessen, was ihr nachfolgen wird.

Daß ausgerechnet die Autorin dieser Dauerausstellung arbeitsrechtlich zur 'Rechenschaft' gezogen werden soll - so verstehe ich, was Sie schreiben - macht mich sprachlos. Warum führt das Museum nicht selbst die notwendige Diskussion, warum informiert es die Öffentlichkeit nicht selbst über die Vorgänge und über seine Pläne?

Mit freundlichen Grüßen

Gottfried Fliedl