Sonntag, 31. Juli 2016
Gelato
Die Autorität des Textes (Texte im Museum 565)
Zwangsneurotische und hysterische Kuratoren
„Der Hysteriker stellt dagegen seine Emotionalität und Intuition in den Vordergrund. Er geht wie selbstverständlich davon aus, dass die anderen an diesen interessiert sind, und er vermeidet rationale Argumentationen, die nicht den Fluchtpunkt seiner Emotionalität aufweisen. (…) Theoretische Referenzen verfolgen primär den Zweck, sich selbst noch interessanter zu machen. Man trifft diese Spezies vor allem in Kunstmuseen, je weniger historisch orientiert sie sind, umso mehr. (…) Er ist jedoch ebenso wenig wie der Zwangsneurotiker an wirklicher Vermittlung und Begegnung interessiert.“ Er will den anderen, den Besucher „lediglich (…) dazu bewegen, sich mit ihm zu beschäftigen. Die Auswahl der zu zeigenden Künstler und die Platzierung der Künstler im Raum ist das Medium, in dem dies geschieht. ‚Was bin ich?‘ - ‚Der, der euch das zeigt‘. (…) „Während der eine Kurator vor allem sich exponieren möchte, will der andere möglichst gar nichts von sich zeigen - außer seine exzeptionelle Teilhabe am Wissen.“
Daniel Tyradellis: Müde Museen. 2014
Donnerstag, 28. Juli 2016
Die noch nicht ausreichend gewürdigten Verdienste der Agnes Husslein um die Reform der Bundesmuseen
Was ist passiert? Minister Drozda hat ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben (hier das Gutachten) und in dem wird ausführlich dargestellt daß die Verfehlungen von Frau Husslein Grund zur sofortigen Kündigung wären. Aber da das Kuratorium lange von den Verstößen wußte und nicht gehandelt hat, wurde dadurch diese Option aufgehoben. Wir lernen: Ein Kuratorium kann jemanden, der sehr wahrscheinlich gegen das Gesetz verstoßen hat, davor schützen, zur Rechenschaft gezogen zu werden.
Also zwingt der Minister den Kuratoriumsvorsitzenden zum Rücktritt, ersetzt ihn durch eine Sektionschefin seines Minsiteriums, und kündigt eine umfassende Reform an, die zunächst einmal die Arbeit der Kuratorien und zwar aller, nicht nur des des Belveders, neu regelt.
Und er geht einen Schritt weiter und kündigt eine Art Evaluation der Bundesmuseen, ich gehe davon aus, ehr nur ihrer organisatorischen Struktur, an. Und holt sich dafür nicht den schlechtesten Berater: Edelbert Köb.
Das alles ist ein Verdienst von Agnes Husslein-Arco. Bravo!
Nur: Direktorin wird sie wohl kaum bleiben können.
Mittwoch, 27. Juli 2016
Rede über eines der interessantesten und wichtigsten Museen Österreichs. Das Jüdische Museum Hohenems feiert seinen 25.Geburtstag
Die Festrede, die ich vielleicht gehalten haben könnte
Jutta Berger und Hanno Loewy gewidmet
Vorbemerkung: Auf Einladung von Jutta Berger, der Präsidentin des Fördervereins des Jüdischen Museums Hohenems, habe ich die Festrede aus Anlaß des 25jährigen Bestandes des Jüdischen Museums vor Mitgliedern des Fördervereins gehalten. Das war am 9.Juli 2016. Ich habe gestützt auf einige handschriftliche Notizen vor allem über mein Verhältnis zum Museum gesprochen, das ich seit seiner Gründung kenne und schätze.
Vermutlich auf dem Fest habe ich meine Notizen verloren. Im folgenden Text erinnere ich mich an meine Notizen und meine Erfahrungen und Begegnung mit dem Museum…
Ich bin 1991 zum ersten Mal nach Hohenems gekommen. Also im Jahr der Gründung des Jüdischen Museums. Aber nicht um das Jüdische Museum zu sehen, sondern die erste Landesausstellung, die das Land Vorarlberg veranstaltet hat. Sie fand im Schloß statt und hatte unterm Titel „Kleider und Leute“ Kleidungspolitik zum Thema. Ich erinnere mich sehr gut an diese hervorragende Ausstellung und könnte sie noch immer in großen Zügen nacherzählen.
Woran ich mich nicht so genau erinnere ist, ob ich von der Eröffnung des Jüdischen Museums im selben Jahr wußte oder ob ich überrascht war, daß es dieses Museum nun tatsächlich gab. Denn daran hatte ich, als ich Ender 80er-Jahre erstmals von einer bevorstehenden Gründung hörte, Zweifel. Freunde machten mich auf Texte aufmerksam, Dokumente heftigster Konflikte, die mir so ausweglos verhakt erschienen, daß ich buchstäblich dachte: „Das wird nie etwas“.
Aber ich hatte die Konfliktfähigkeit der Kontrahenten unterschätzt. Der vielfach geschichtete Konflikt - ein Generationenkonflikt, ein ideologischer Dissens, einer zwischen „Schulen“ der Historikerzunft -, mündete in eine Museumsgründung, die sich von Anfang an als nicht bloß lebensfähig sondern kraftvoll und innovativ erwies: konzeptuell, architektonisch und museumspolitisch.
Ich muß damals wohl schon Eva Grabherr kennengelernt haben, die Gründungsdirektorin, die bald zu einer engen Freundin wurde und zu MitarbeiterInnen, deren Arbeit ich kennen- und schätzen lernte. Ich habe noch im selben Jahr Freunde und Studierende einer Vorlesung überredet, nach Hohenems zu kommen und bin damals mehrmals von Wien in den äußersten Westen gereist. Was ich schon gewürdigt wissen will, schließlich gibts kaum eine längere Bahnreise, die man in Österreich machen kann, außer man macht es so wie ich und bildet sich Graz als neuen Wohnort ein, von wo die Reise noch länger dauert.
Ich war seither wieder und wieder im Jüdischen Museum, so oft, daß ich vermute, es könnte mein meistbesuchte Museum überhaupt sein. Trotzdem war ich überrascht, als mich Hanno Loewy zur 25-Jahr-Feier im April dieses Jahres einlud - mit gleich drei Verpflichtungen zur aktiven Teilnahme: Vortrag, Teilnahme an einer großen Diskussion zur Zukunft nicht nur dieses sondern von Jüdischen Museen überhaupt und Podiumsdiskussion bei der zeremoniellen Eröffnen der Ausstellung „Übrig“.
Überrascht war ich, weil ich doch nicht mehr als nur Besucher gewesen bin in all den Jahren. Also überlegte ich mir damals, im April, was denn meine Beziehung zum Museum und die Beziehung des Museums gewesen sein könnte und immer noch ist. Aber trotz dieser kleinen Selbstprüfung, blieb ich beim „Besucher“. Aber seit wann dürfen sich Besucher förmlich über das Museum ihrer Zuneigung äußern? Gar eine Festrede halten?
Ich möchte heute als Festredner weiter Besucher sein und bleiben und über meine Beziehung zum, meine Erfahrungen mit dem Museum reden. Notgedrungen bruchstückhaft, denn Vieles ist mir entfallen und es gab immer wieder auch längere Unterbrechungen meiner Reisetätigkeit nach Vorarlberg. Von den Vielen Ausstellungen, Projekten oder Veranstaltungen habe ich selbstverständlich nur einen Bruchteil kennengelernt.
Ich beginne mit den erwähnten Jubiläumsveranstaltungen im April und einer paradoxen Erfahrung, die ich damals gemacht habe. In meinem Vortrag ging ich meiner aktuellen Neugier nach, das Museum als einen nicht bloß öffentlichen Ort zu denken - was er ja mehr oder weniger an sich schon ist -, sondern als einen konflikthaltigen und -fähigen sozialen Raum, der erst so eigentlich das Museum zur zivilen und demokratischen Institution macht. Dafür müssen eine Reihe von Bedingungen zusammenkommen aber die, so bin ich überzeugt, muß man dem Museum nicht aufzwingen, die sind im Museum der Moderne schon angelegt. Mein Rekonstruktionsversuch vergewaltigt die Museumsidee nicht, er bringt etwas wieder hervor, was in ihr angelegt ist.
Museen spielten bei der Formierung europäischer Nationalstaaten und republikanischer Gesellschaften eine erstaunliche Rolle. Museen waren und sind Orte der Vergesellschaftung, Orte, an denen Menschen zusammenkommen um den Grund und die Weise ihres Zusammenlebens zu ergründen, manchmal vielleicht auch zu erneuern, ihre gemeinsame Geschichte zu deuten, die Beziehung zu ihren natürlichen und sozialen Umwelten zu erforschen, zum Fremden und Anderen.
Als ich beim Vortrag so vor mich hin redete, vor einem Publikum, das gewiss keine museologischen Ambitionen hatte, kamen mir Bedenken ob meiner theoretischen Abstraktionen und ich habe mich unterbrochen, unmerklich ein paar Seiten überblättert, das Ganze war ohnehin zu lang, und mich dann geradezu entschuldigt: „Das sind sehr theoretische Früchte eines einsam an seinem Computer brütenden Wissenschafters - ohne nennenswerte praktische Bedeutung“.
Sechs Tage später, als die beiden Museums-Feiertage des Jüdischen Museums vorbei waren, dachte ich: Was hast Du da geredet? Welche Zweifel waren das denn? Vonwegen theoretische Flausen! Du bist hier in einem Museum, das genau das ist, was Du Dir vorstellst!
Hatten wir nicht eben noch in einem Kreis von fast fünfzig klugen Leuten in einem „Großen Ratschlag“ diskutiert, daß und warum Jüdische Museen es unausweichlich mit konflikthaltiger Geschichte und auch mit der Notwendigkeit zu tun hatten und weiter haben werden, daß sie selbst konfliktbereit und Dissens aushaltend sich der Geschichte anzunehmen hätten? Hatte nicht zur Begrüßung der Festgäste Hanno Loewy in seinem knappen luziden Statement das Museum klar positioniert und präzise dessen gesellschaftspolitische Aufgabe vorgestellt?
Und war nicht das Museum selbst (wie erwähnt) aus einem - heftigen, partiell zivilgesellschaftlichen - Konflikt um die Deutung Jüdischer Geschichte im Kontext der Vorarlberger Landesgeschichte entstanden? Und war nicht die Ausstellung, die es nun zu sehen gab, „Übrig“, auch ein Dokument vielfältiger Konflikte, solcher in der Überlieferung, des Gebrauchs, der Geltung, der Deutung der Dinge?
Da bin ich beim zentralen Punkt meiner anhaltenden Wertschätzung des Jüdischen Museums. Was möglicherweise selbstverständlich klingt, danach, wie ein Museum nun mal arbeitet und sich positioniert, ist so ganz und gar nicht selbstverständlich. Es setzt voraus, daß das Museum reflektiert sein muß, nicht bloß Arbeitsabläufe abwickelt, Routinen bedient, Besucher zählt, sondern immer auch einen distanzierten Blick auf das haben muß, was es und wie es etwas tut. Was seine Themen sind und welcher Vermittlung wie Methoden es bedarf. Und vor allem, welche Verantwortung es gegenüber seien Communities und der Gesellschaft als Ganzes hat.
Es ist mir noch ein zweites Mal passiert, Jahre zuvor, dass das Museum in Hohenems eine praktische Antwort bereit hatte auf meine theoretischen Basteleien. Das war die Projektreihe „Ein Viertel Stadt“, für die ich mehrmals nach Hohenems gereist bin und an die mich sehr gut erinnere: an die sommerlichen Abende (ich hab sie jedenfalls sommerlich-mild in Erinnerung), an denen die Bevölkerung durch die Stadt flanierte, konzentriert und aufmerksam vor den Projektionen stand und dann, wie Monate später, die Stelen mit den Blicklenkungen Touristen, Radler, Geschäftige, Eilige und Bedächtige lenkte und ablenkte und sie aufmerksam werden ließ für Gestalt und Geschichte der Stadt.
Das war ein sehr ungewöhnliches Projekt. Ein Museum interveniert in kommunale Debatten. Und verlässt dazu sein Haus und geht in die Stadt.
Der Umgang mit dem Stadtkern, dem Jüdischen Viertel, war vielfach ins Gerede gekommen. Immobilienspekulationen zeichneten sich ab, die Denkmalpflege steuerte dagegen, es stand eine sogar, wenn ich mich richtig erinnre, umfassende Unterschutzstellung zur Diskussion. Es hätte aber auch ganz im Gegenteil zum Verschwinden wichtiger, auch historisch bedeutender Bauten kommen können.
Daß das Museum Mitverantwortung für die künftige Entwicklung der Stadt übernahm, war schon bemerkenswert. Daß man dabei aus dem Museum herausging und, gestützt auf sorgfältig vorbereitende Forschung, im Stadtraum selbst aktiv wurde, war originell und wirksam. Wenn ich seither in Hohenems war, auch in diesen Wochen, habe ich immer wieder vom Nachwirken dieser Doppel-Aktion gehört. Mir kommt vor, daß auch die heutige, vermutlich an Touristen adressierte historische Stadtbeschilderung auf der seinerzeitigen Intervention beruht. Sie hebt unter anderem das Jüdische Viertel überhaupt erst ins Bewußtsein, das war, als ich die ersten Male nach Hohenems kam, überhaupt nicht der Fall. Denn das war ja der Kern des Projekts „Belichtete Häuser“ - verschüttete, vergessene, verdrängte Geschichte und Geschichten zurückzuholen und in das Gedächtnis der Stadt und ihrer Bevölkerung neu zu verankern. Und daß dabei die Synagoge aus einem Feuerwehrhaus zurückverwandelt werden und zu einem der praktischen und symbolischen Zentren des Ortes werden konnte, das wurde erst durch die Projektreihe möglich. Ich glaube, es ist nicht übertrieben zu behaupten, daß Hohenems dadurch seine Identität nachhaltig - und positiv - verändert hat.
Als ich kürzlich von der Österreichischen Forschungsgemeinschaft gebeten wurde im Zusammenhang mit den Plänen eines Haus der Geschichte Österreich in der Wiener Hofburg zum Thema Geschichtsvermittlung zu sprechen, habe ich die Projektreihe „Ein Viertel Stadt“ als eines unter sechs von mir ausgewählten Beispielen als Modell ausgewählt, denn ich halte sie für ein beispielhaftes Unterfangen der Schaffung kritischer und handlungsorientierender Öffentlichkeit und wundere mich so nebenbei, daß kein anderes österreichische Museum, etwa die Stadtmuseen, dieses Modell nicht weiter entwickelt haben.
Inspirierend für mein damaliges wie heutiges Nachdenken über Museen war der auch der Umgang mit Musealisierung und mit Öffentlichkeit im Projekt. Musealisierung, die dauerhafte und unveränderte Erhaltung von etwas Überliefertem, Tradierten, unter Umständen sogar einer Landschaft oder wie hier eines Stadtquartiers, kann erstickend sein, kann die weitere städtebauliche, architektonische vor allem aber auch soziale Entwicklung hemmen. Da half das Museumsprojekt, die Debatte offenzuhalten, zu verflüssigen. Dann aber machte das Museum noch etwas ganz anderes: es wartete nicht darauf, daß Besucher kommen, um sich etwas anzusehen, schöne, alte, ausratsche Dinge, sondern erzeugte gewissermaßen seine Besucher selbst, eine Gelegenheit und einen Raum, in dem sich Besucher zusammenfinden, sich sammeln konnten, in der Vieldeutigkeit dieses „Sich-Sammeln“.
„Ein Viertel Stadt“ war etwas, wo das Museum aktiv Öffentlichkeit herstellte, eine Öffentlichkeit, die in die Lage versetzt werden sollte, sich informieren zu können, sich erinnern zu können und ihre eigenen Entscheidungen zu entwicklen - etwa über die künftige Entwicklung des Stadtkerns, den Umgang mit „sensibler“ Bausubstanz, mit der Art und Weise, wie man mit der Geschichte des Ortes umgehen sollte. Mit anderen Worten: Das Museum gab keine Empfehlungen ab, es favorisierte keinen bestimmten Gesichtspunkt, es tat nicht so, als hätte es eine Lösung - es stellte einen sozialen Raum zur Verfügung, in dem debattiert werden konnte, um es der Bevölkerung von Hohenems zu ermöglichen „ihre eigenen Angelegenheiten“ zu regeln. Genau das war und ist der Sinn liberaler Öffentlichkeit, und das gehört zum Kostbarsten, was eine demokratische Gesellschaft besitzt. Und meiner Meinung nach zum Wichtigsten, was ein Museum leisten kann.
Orte zu besitzen, wo ein solcher Austausch von Interessen unter Achtung und Anerkennung des Anderen stattfinden kann, wo Konflikte sichtbar gemacht und miteinander konfrontiert werden, ohne daß sie vorschnell harmonisiert werden, daß ist ein Herzstück demokratischer Politik. Die Fähigkeit des Museums, solche Gelegenheiten in den unterschiedlichsten Formen immer wieder herzustellen, daraus sein Programm zu entwicklen, seine Anliegen an eine zivilgesellschaftliche Öffentlichkeit zu vermitteln, das ist es, was ich am Jüdischen Museum Hohenems bewundere. Und mir kommt vor, daß es angesichts der akuten gesellschaftlich-politischen Entwicklung immer wichtiger wird, solche Orte zu haben und zu fördern.
Dabei vergesse ich nicht, daß das Hohenemser Museum wie andere Jüdische Museen, die im deutschsprachigen Raum seit den 1980er-Jahren entstanden sind, auch untrennbar mit einer katastrophischen Geschichte kontaminiert sind und nie der Herausforderung ausweichen dürfen, sich dieser einzigartigen historischen Bindung bewußt zu sein und Mittel und Wege zu finden, das Eingedenken an Vernichtung und Vertreibung zu ermöglichen. Das Museum hier ist als Gedächtnisort für eine einst bedeutende und schließlich vernichtete und vertriebene Jüdische Gemeinde entstanden. Das ist nach wie vor die Kernfunktion des Museums.
Aber wie das dieses Museum macht, das sie alle, die heute hier versammelt sind, mittragen, fördern und stützen, dafür gibt es viele Wege.
Das reicht von der Aufmerksamkeit für den einzigartigen Jüdischen Friedhof bis zu dem außergewöhnlichen, von Johannes Inama initiierten Nachkommentreffen, das das winzige Museum mit seinen diversen fernen Communities buchstäblich auf der Weltkarte verankert. Dieses beständige Abarbeiten an einer Aufgabe, die manche unterm Stichwort „Unerinnerbarkeit der Geschichte“ für unmöglich erklären, weist für mich immer aber auch über den Museumstyp „Jüdisches Museum“ hinaus auf Qualitäten einer Museumsarbeit, die beispielhaft für andere Museumstypen und Museumsaufgaben sein kann und sollte.
Es ist vielleicht unzulänglich beschrieben, aber Jüdische Museen sind nicht nur einem besonderen Ethos verpflichtet (eine Verpflichtung, die sie sich selbst auferlegen), sie entwickeln daraus abgeleitet eine ungewöhnlich reflektierte und ungewöhnlich selbstreflexive Vermittlungspraxis, die sich in derselben Genauigkeit und Durchdachtheit nicht so schnell in anderen historischen Museen wiederfindet. Deshalb schaue ich auf das Hohenemser Museum gewissermaßen mit zwei Formen der Aufmerksamkeit: Was macht es als Jüdisches Museum, wie nimmt es seine spezifische Aufgabe wahr? Und was kann es so als Museum, daß ich daraus etwas Neues und Anregendes erfahren kann, das in die generelle Museumspraxis einfließen sollte? Während sich das Museum selbst wohl eher an seinesgleichen mißt, messe ich es immer auch an Museen generell.
Wenn ich eingangs erwähnt habe, daß das Hohenemser Museum möglicherweise mein meistbesuchtes ist, ich es aber nicht genau sagen kann, so kann ich etwas anderes mit Sicherheit sagen: Kein anderes Museum hat mir derart viele Anregungen, Einsichten und Inspirationen verschafft. Das lag nicht nur an Ausstellungen, die ich gesehen habe, an Projekten, bei denen ich Gast war, sondern vor allem an Personen, die ich über das Museum kennengelernt haben. Personen, die aktiv an jener präzisen und scharfsinnigen museologischen Reflexion aktiv beteiligt waren und sind, von der ich gesagt habe, daß sie sich in besonderer Weise um Jüdische Museen etabliert hat.
Dabei habe ich bis jetzt nur von zwei Gelegenheiten des Besuchs des Museums erzählt. Ich greife fast wahllos einige andere heraus, solche aus der allerjüngsten Zeit, um besser und bunter zu illustrieren, was das Museum so mit mir macht und was es mir bedeutet.
Es ist erst wenige Tage her, da beugte ich mich mit anderen Besuchern und dem Museumsteam - metaphorisch gesprochen und buchstäblich - über ein Objekt der aktuellen Ausstellung „Übrig“. Wir diskutierten in einer Abendveranstaltung über das Nachthemd der Zemira Guggenheim, über die Geschichte und Überlieferungsgeschichte dieses Objekts, genauer gesagt über das Wenige, das man sicher weiß und über genealogische Forschung, wie sie im Haus aber auch anderswo betrieben wird, über die denkbare Funktion eines solchen durchaus „sensiblen Objekts“ in der Sammlung, in einer Ausstellung. Ich war mir nicht so sicher, welche Rechtfertigung es für das Zeigen eines solchen intimen Objekts gab. Andrerseits gefiel mir die Offenheit, mit der die Experten und Expertinnen mit dem Publikum diskutierten. Objektforschung und Sammlungspolitik sind normalerweise nichts Öffentliches. Wie das so ist, mit Museumsobjekten - je mehr man fragt, desto mehr der Fragen bleiben offen. Das ist eine Qualität von Museen und von Museumsobjekten. Die Fragen öffneten sich und mich nach allen Richtungen. Ich bin nach der Veranstaltung vergnügt weggegangen.
Wenige Wochen zuvor saß ich in einer Veranstaltung, zu der mehrere Dutzend Personen zu dem Zweck zusammengekommen waren, um über Jüdischen Museen und die wünschbare Entwicklung des Hohenemser Museums zu diskutieren. Ich habe aus beruflichen und biografischen Gründen schon lange nicht mehr an einer solchen Generaldebatte teilgenommen und es unglaublich genossen, wieder mal in einem diskussionsfreudigen, hochkompetenten, streitfähigen Milieu mein eignes Wissen und meine Erfahrungen ausprobieren und einflechten zu können. „Der Große Ratschlag“ war als Beratung gedacht, als Reflexion, als Austausch unter Experten, als Prüfung von Zukunftsoptionen. Und diesmal war ich ausnahmsweise nicht Besucher, sondern begeisterter Teilnehmer, der in seinen Überlegungen bestätigt und widerlegt wurde, der mehrmals sanft angestoßen wurde, mal seine Denkrichtung zu ändern.
Die dritte Veranstaltung, die ich erwähnen möchte, ist die gewissermaßen „unwahrscheinlichste“ der drei, die ich hier nenne. Eines Tages schickte mir Hanno Loewy eine Einladung zu einem Konzert, für das er Hebammendienste in mir unklarem Ausmaß geleitet hatte, und das einen Herrn Lorne Richtestone aus Oklahoma am Klavier versprach, vier Sängerinnen, die nicht, wie üblich, mit ihren Stimmlagen sondern mit ihrer Herkunft vorgestellt wurden: Ost-Jerusalem. Es gab da aber zudem eine Cellistin aus Finnland, Sängerinnen aus Österreich und eine Organisatorin, die, wenn ich richtig verstanden habe, aus Hohenems kommt. Das ergab ein schwer durchschaubares Geflecht aus Israel, Vorarlberg, Palästina, USA, Finnland usw. und genügte schon, um mich sehr neugierig zu machen. Außerdem war ich ohnehin grade rechtzeitig in Wien, um ins Hamakom-Thaeater am Nestroyplatz zu gehen wo mich unter dem Titel „Der Wanderer“ Musik von Schubert, Salomon Sulzer und dessen Söhnen erwartete. Also hatte ich auch eine Gelegenheit, aus einem zwar prominenten, aber für mich nicht mit persönlicher Bedeutung gefüllten Namen, Sulzer, etwas Anschauliches und Lebendiges werden zu lassen.
Ich fasse mich kurz. Das Konzert gehört zum Außergewöhnlichsten, was ich je zu hören bekam. Vor allem als sich die vier „Sängerinnen aus Ost-Jerusalem“ als sechzehnjährige Operngesangsschülerinnen entpuppten, die nacheinander je ein Lied von Franz Schubert sangen. Darunter „Der Tod und das Mädchen“ und eben das Lied, das dem Programm den Titel gegeben hat, „Der Wanderer“, wo es in einer Zeile heißt, „Da wo ich nicht bin, da ist das Glück.“ Ein Konzert? Ja, auch. Aber auch so etwas wie ein Gedächtnisort, an dem Jahrhunderte und Kontinente durchkreuzt wurden und sich Geschichte und Geschichten in einem nahezu undurchdringlichen Palimpsest aufeinanderschichteten.
Warum ich ihnen das erzähle? Warum diese drei Episoden? Ja klar, es hätten auch andere sein können. Alles was ich damit sagen will ist, daß mich das Museum immer wieder überrascht, mich immer wieder inspiriert, mich immer wieder neugierig macht, mich mit Unerwartetem konfrontiert, mich, den Besucher, der seit 25 Jahren hartnäckig immer wieder kommt und weiter kommen wird.
Ich hoffe, es ist mir gelungen, Ihnen verständlich gemacht zu haben, warum ich das Museum sowohl in objektivierender Hinsicht, im Vergleich mit anderen Museen und gemessen an auch theoretisch formulierbaren Ansprüchen an zeitgemäße Museumsarbeit, für sehr ungewöhnlich halte. Aber auch, was das Museum für mich ganz persönlich bedeutet hat und bedeutet.
Beide meine Urteile möchte ich ihnen zum Abschluss mit einer kleinen Anekdote illustrieren.
Ich war wieder mal Gast in Hohenems, das Museum feierte sein zehnjähriges Jubiläum, damals noch im Löwensaal, wo ich irgendwo mitten im rappelvollen Saal saß. Ich habe zwei Dinge von dieser Jubiläumsveranstaltung in Erinnerung. Einerseits, daß sich mir das Gefühl vermittelte, daß das Saalpublikum ganz und gar identifiziert war mit dem Museum, ihrem Museum, keine Selbstverständlichkeit, bei keinem Museum. Das zweite war die Podiumsdiskussion, wo diverse Expertinnen und Experten die Geschichte und Vorzüge des Museums diskutierten. Bis dann jemand, selbst Leiter eins Jüdischen Museums, etwa so das Wort ergriff. „Also schön und gut, allen ist klar, daß das Hohenemser Museum tolle Arbeit leiste, wunderbare Projekte mache usw. Aber jetzt, bitte! jetzt möge das Museum doch endlich ein normales Museum werden.“
Ich bin damals aus meinem Sitz hochgeschossen und habe mich zu Wort gemeldet und als ich dran war habe ich dringend darum gebeten, daß das Hohenemser bitte, bitte kein normales Museum werden solle.
Es gäbe, sagte ich damals, in Österreich schätzungsweise 1400 Museen (heute sind es vielleicht schon 1600, oder 1700), davon seien ohnehin 1385 normal (ich neige zur Polemik, ja, aber das muß mir erst mal jemand beweisen, daß es sich anders verhält) und auf die restlichen fünfzehn käme es an. Denn das sind die, die etwas Neues machen, die etwas riskieren, die erfinderisch sind, die den Begriff Museum über seine Grenzen hinaus entwickeln würden. Auf die Museen käme es an, die machten die Qualität des Museumswesens eines Landes aus. Und genau so ein Museum sei das Jüdische Museum Hohenems. Also bitte! Kein normales Museum aus dem Hohenemser machen!
Ganz in diesem Sinne wünsche ich mir, daß das Jüdische Museum weiterhin kein normales wird und so einzigartig und unverzichtbar bleibt, wie es ist.
Und jetzt wünsche ich Ihnen ein schönes Fest!
Dienstag, 26. Juli 2016
Kunstschatzi oder Spaß muß einfach sein
Montag, 25. Juli 2016
Agnes Husslein 1, 2 und 3
2. Der Rechtsanwalt der "beurlaubten" Prokuristin des Belvedere-Museum hat Strafanzeige gegen Husslein erstattet. Der Rechtsanwalt ist der Meinung, daß man "von Amtswegen" aus tätig hätte werden müssen und daß das auch für den Minister und das Kuratorium gelte. (Der Standard 24.07.2016)
3. Kaum habe ich gelernt, was Comliance ist, lerne ich auch, daß es Compliance-Experten gibt. Ein solcher sagt im Standard zum "Fall Husslein" ein paar wohltuend einfache Worte. Z.B. daß die "Verdienste" einer Person (worin die auch immer bestehen, und wer immer die festgestellt haben mag) nicht mit rechtlich relevanten Verfehlungen "aufgerechnet" bzw. "entschuldet" werden können. (hier nachzulesen).
3. Die Causa Husslein geht in die nächste Etappe. Am Freitag wurde bei der Staatsanwaltschaft Strafanzeige wegen Verdachts der Untreue gegen die amtierende Belvedere-Direktorin erstattet, wie Rechtsanwalt Georg Schima namens seiner Mandantin, der beurlaubten Prokuristin Ulrike Gruber-Mikulcik, auf Standard-Anfrage bestätigt. Ein Tätigwerden hätte laut Schima auch von Amtswegen erfolgen können, war jedoch ausgeblieben. - derstandard.at/2000041713244/Belvedere-Strafanzeige-gegen-Agnes-HussleinDie Causa Husslein geht in die nächste Etappe. Am Freitag wurde bei der Staatsanwaltschaft Strafanzeige wegen Verdachts der Untreue gegen die amtierende Belvedere-Direktorin erstattet, wie Rechtsanwalt Georg Schima namens seiner Mandantin, der beurlaubten Prokuristin Ulrike Gruber-Mikulcik, auf Standard-Anfrage bestätigt. Ein Tätigwerden hätte laut Schima auch von Amtswegen erfolgen können, war jedoch ausgeblieben. - derstandard.at/2000041713244/Belvedere-Strafanzeige-gegen-Agnes-Husslein
Just for Fun?
Und zur Realität eine Notiz aus dem Perlentaucher vom 26.Juli: "Viele Museen verbieten das Fotografieren, auch ohne Blitz. Die Begründungen hierfür sind oft weit hergeholt, erlärt der Anwalt Florian Schmidt-Gabain im Gespräch mit Julia Voss von der FAZ. Oft liege es daran, das Leihgeber das Fotografieren verbieten wollen. "Zudem hat ein Museum natürlich immer aus seinem eigenen 'Hausrecht' die Möglichkeit, das Fotografieren zu verbieten. Davon möchte ich den Museen aber abraten. Gerade für junge Leute gehört das Fotografieren im Museum heute einfach dazu. Und junge Besucher benötigen die Museen dringend."
Sonntag, 24. Juli 2016
Dienstag, 19. Juli 2016
Wer will das noch wissen, das mit den Museumsbesuchern?
Lindner referiert ältere Daten zur BRD und DDR und das, was es zur Zeit nach der sogenannten Wiedervereinigung an Untersuchungsmaterial gibt. Das erlaubt - in sehr engen Grenzen - gewisse Rückschlüsse im Vergleich der beiden Staaten, Informationen über quantitative Veränderungen über längere Zeiträume hinweg und solche über das aktuelle "Wachstum" der Museumsbesuche (analog zum Museumswachstum und dem Boom an Ausstellungen - man schätzt, daß in Deutschland etwa 30.000 Museumsausstellungen pro Jahr stattfinden).
Allerdings konzentriert sich Lindner auf die soziale Zusammensetzung des Publikums, also berufliche Herkunft und Ausbildungsstand sowie regionale Herkunft (Land, Stadt, Großstadt...), die Geschlechterverteilung, beschäftigt sich aber nicht mit Motiven und kaum mit Milieus und ausdrücklich nicht mit Evaluationen.
Trotz vieler Zahlen und einiger Statistikgraphiken bleibt sein Bericht eigentümlich vage. Hier zeigt sich einmal mehr, daß der Rückzug auf Fakten und der Verzicht auf gewichtende und wertende Schlußfolgerungen nur scheinbar zu Objektivität führt. Das nach Museumstypen zwar stark variierende aber dominante Vorherrschen von Personen mit hoher Schul- und Universitätsbildung beim Museumsbesuch wird zwar abgebildet, bleibt aber gänzlich unkommentiert. Ob nun die wachsende Zahl an Museumsbesuchen Verschiebungen in der sozialen Zusammensetzung des Publikums gebracht hat, bleibt offen.
So bleibt letztlich auch unklar, wozu Besucherforschung überhaupt gemacht werden soll. Was will man denn wissen, und wozu? Geht es nur noch um Grundlagen für sozialtechnolgische Adaptionen, Marketingstrategien, Tourismusmaßnahmen, Hiule bei der Ausstellungsplanung?
Kein einziges Mal fällt das Wort "Nichtbesucher". Es gibt keine Angaben zu jenem Bevölkerungsanteil, der nie in ein Museum geht. Und der ist bekanntlich exorbitant hoch, liegt im nationalen Schnitt bei etwa 50% und bei einzelnen (großstädtischen Museen) bei 80% der ortsansässigen Bevölkerung. Diese Umstände nicht zu benennen scheint mir gerade bei einem Handbuchartikel mit dem Anspruch auf Basisinformation unverzeihbar. Alle Folgefragen, die sich aus dieser Tatsache ergeben, bleiben unerörtert.
Was die - von Lindner - genannten "Nestoren" der deutschen Besucherforschung, Klein und Treinen, seinerzeit an auf ihre empirischen Untersuchungen aufbauenden Schlußfolgerungen aufgebaut haben, hier wird das nicht mehr referiert. Alles was etwa Heiner Treinen zum "Museum als Massenmedium" oder "kulturellen Vermittlungsort" einmal zu sagen hatte, das findet sich hier nicht mehr wieder.
Soll man diesen klaren Rückschritt als Zwang zur verknappten Darstellung eines Handbuchbeitrags entschuldigen? Oder sich fragen, ob das "Vernachläßigen" älterer - unaktuell gewordener? - Forschungsfragen und -ergebnisse sich nicht komplementär verhält zum erstaunlichen Desinteresse am Museumsbesucher? Haben die bei Medien, Politikern und Museen gleichermaßen beliebten Statistikschlachten mit den Zahlen der Museumsbesuche komplett jede Frage nach der sozialen Zusammensetzung ersetzt?
Trotz (oder gerade wegen?) des Redens über "Inklusion", "Museum für alle" oder "Partizipation", niemand wirft mehr die "soziale Frage" auf, wen Museen erreichen und wen nicht. Niemand will dort mehr eine offene Frage orten, niemand, so scheints, will sich mit der mühseligen Frage nach der sozialen Bedeutung und Funktion von Museen beschäftigen. Kein Wunder, daß das Wort "Hegemonie" im Index des "Handbuch Museum" nicht vorkommt.
Montag, 18. Juli 2016
Das Wort zum Tag
Daniel Tyradellis
Sonntag, 17. Juli 2016
Frau Husslein inspiriert mich
Egal. Mich hat das inspiriert einen neuen Abschnitt zum meinem Ratgeber "Wie richtet man ein Museum zugrunde" hinzuzufügen. Hier der Link (zu einem der meistgelesenen und meistkommentierten Posts dieses Blogs)
http://museologien.blogspot.co.at/search?q=Wie+man+ein+Museum+zugrunderichtet
Ein "Handbuch Museum"
Markus Walz ist Professor für Theoretische und Historische
Museologie an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig. Nun hat er im Metzler Verlag (Stuttgart 2016) ein "Handbuch Museum" herausgegeben. Der Untertitel lautet: "Geschichte - Aufgaben - Perspektiven".
An die 60 Autorinnen und Autoren haben zu dem etwas über 400 Seiten starken Buch beigetragen.
Knapp gehaltene einzelne Beiträge sind in Kapitel zusammengefasst, eingangs zum Begriff Museum, zur Institutionengeschichte (dazu habe ich einen Abschnitt beigesteuert, "Das Museum im 19.Jahrhundert"), zur Typologie und zu "museumsverwandten" Institutionen.
Dann werden sechs "Kernaufgaben" des Museums erläutert: Sammeln, Dokumentieren, Forschen, Bewahren, Ausstellen, Vermitteln.
Es folgen die Abschnitte Museum und Gesellschaft, Ökonomie des Museums, Museumswesen und Wissenschaft. Es gibt ein Personen- und ein Sachregister. Literaturangaben finden sich bei den einzelnen Texten.
2
Was der Titel nicht verrät ist, daß das Buch nahezu exklusiv auf Deutschland eingegrenzt ist, nicht einmal auf den deutschsprachigen Raum. Selbstverständlich gibt es immer wieder Querverweise zu Museumsdebatten in anderen Ländern und zu museologischer Forschung in Europa oder den USA, dennoch ist diese Einschränkung problematisch angesichts der Globalität der Phänomene und Diskurse, die die öffentliche Wahrnehmung des Museums und die museologischen Diskussionen stark prägen. Für viele Fragen scheint es mir einfach nicht möglich, sich der Globalität des Phänomens "Museums" und der Museumsdiskurse zu entziehen.
Schwer nachzuvollziehen ist das etwa bei der Darstellung der Museumsgeschichte, wo auch mir Disziplin auferlegt war und schon allein auf Grund des vorgegebenen Umfangs kaum eine Einbettung der deutschen und österreichischen Entwicklung in die allgemeine Entwicklung möglich war. Dennoch fehlen spezifische deutsche Entwicklungen: Über die Gründung und Rolle Jüdischer Museen seit den 80er-Jahren etwa und die mit ihnen einhergehenden theoretischen Debatten wird weder im historischen noch im typologischen Teil informiert.
Mit der Entscheidung, den Band "Handbuch Museum" und nicht etwa "Handbuch Museologie" zu nennen, entledigt man sich zwar der Verpflichtung zur Würdigung des rezenten Diskussionsstandes und des wohl kaum noch lösbaren Anspruchs, die Komplexität des Wissensstandes auch nur einigermaßen abzubilden. Warum aber bei genannter "nationaler" Eingrenzung wesentliche deutsche Autorinnen und Autoren (ich nenne stellvertretend für viele Walter Grasskamp, Anke te Heesen, Gottfried Korff, Rosmarie Beier-de Haan, Angela Janelli, Sabine Offe, Alexis Joachimides, Heiner Treinen, Daniel Tyradellis - ich verzichte darauf, schweizer und österreichische Namen anzuführen) die in den letzten Jahren museologische Schlüsseltexte publiziert haben, nicht aufscheinen (oder nicht erreichbar waren), ist nicht verständlich.
Zudem war die Geburt des Bandes langwierig. Es sind viele Autorinnen abgesprungen oder wollten oder konnten die Vorgaben nicht erfüllen. So ist an vielen Stellen der Herausgeber eingesprungen oder fühlte sich berechtigt, sich als Experte selbst einzubringen. Etwa zwanzig Beiträge stammen von ihm.
3
Jede systematische Erfassung eines Wissensbereichs scheitert an immanenten Widersprüchen. Die mehrdimensionale Architektur des "Museumswissens" läßt sich nicht linear in Kapitel und Unterkapitel aufspalten, schon gar nicht ohne Redundanz und Überschneidung. Dennoch ist das Wissensfeld im Handbuch leidlich abgebildet, wennglich manches überraschend eingeordnet wird: Künstlermuseen etwa werden unter "Begriff Museum" eingereiht. Das Museum als Organisation, Betrieb und Berufsfeld kann man sich, nicht lückenlos, aus diversen Kapiteln zusammensetzen, wer etwas über den Schlüsselberuf Kurator wissen will, muß auf detektivische Suche gehen und manchmal geht es zu wie in Borges Chinesischer Enzyklopädie, etwa im Kapitel X "Kernaufgabe Ausstellen", wo man die Museumsaufsicht findet, die Studiensammlung, die Narration aber auch das "Rezeptionsverhalten der Ausstellungsgäste".
Daß das junge und wichtige Thema der Provenienzforschung unter Dokumentieren zu finden ist, ist ja einigermaßen plausibel aber eher ein Indiz für einen in vielen Kapiteln vorherrschenden überwiegend pragmatischen Zugriff auf einen Sachverhalt, der eher als positivitisch erfassbares Thema denn als diskutable Problemlage begriffen wird.
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Daß mehrere Dutzend Verfasserinnen und Verfasser kaum eine einzige konsistente methodische Linie verfolgen und kaum auf einen Museumsbegriff zu verpflichten sind, läßt sich nachvollziehen. Die in diesem Band herrschende Variabilität - oder auch schon mal das Fehlen eines nachvollziehbaren Museumsbegriffs - wird es kaum leicht machen, das Buch zu nutzen.
An wen wendet es sich überhaupt? Für eine rasche, leicht lesbare Orientierung ist es zu umfangreich und elaboriert, für museologisch Versierte an sehr vielen Stellen interessant dort, wo luzide Argumentation mit weiterführender Literatur verknüpft ist und für den Museumspraktiker (der eher ohnehin theorieasketisch ist) wird es für ganz konkrete Problemlösungen möglicherweise zu kursorisch sein.
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Beim Schmökern quer durchs Buch sind mir - vielleicht ungerecht selektiv aufmerksam -, zwei Tendenzen aufgefallen: der Hang zur positivistischen Austrocknung der Phänomene auf Fakten einerseits und Sehnsucht nach definitorisch essentialistischer Fixierung.
Über ersteres stolperte ich bei der "Begriffsgeschichte" deshalb, weil sich der Herausgeber in einem seiner Beiträge auf einen Text von mir bezieht, in dem ich über die Herkunft und Durchsetzung des Wortes "Museum" nachdenke. Mein Interesse an dem Thema wurde durch den kurzen Streit um die Benennung des Königlichen Museum in Berlin (Altes Museum, eröffnet 1830) geweckt. Dort entschied man sich bei der Wahl zwischen zwei etymologischen Interpretationen des Wortes "Museum" für die in der Antike unbekannte Anwendung auf die Praxis des Sammelns und Ausstellens. Markus Walz macht daraus die Entscheidung Friedrich Schleiermachers die Institution "mangels Alternative" als Museum zu benennen. Kurz darauf wird in seinem Text das Wort Museion mit Musenheiligtum übersetzt und lakonisch mitgeteilt: "Museion ist ferner der Eigenname eines um 280 v. Chr. gegründeten, mit einer Forschungsanstalt verbundenen Heiligtums in Alexandria."
Das ist nicht nur sachlich irritierend, weil dem unbefangenen Leser nicht klar werden muß, daß hier von der berühmten alexandrinischen Bibliothek die Rede ist und die moderne Bezeichnung "Forschungsanstalt" alle Unklarheiten verschleiert, worin nun genau die Aufgaben dieses "Museion" bestand. Das, genau diese Unbestimmtheit, war aber die Bedingung, die es erlaubte, das Wort mit neuzeitlichen Ansprüchen aufzufüllen. Walz entkleidet hier die Nachzeichnung einer Wortbedeutungsgeschichte aller kulturellen Konnotationen und teilt nackte "Tatsachen" mit, die bloß aneinandergereiht aber keinen Sinn machen, nichts aufschließen. Und so kann man auch nicht verstehen, daß die Skrupel, die man in Berlin bei der Namensgebung für eine neue Institution hatte, die noch herrschende Unsicherheit spiegelt, wie dem Neuen ein angemessener Begriff verliehen werden könnte.
Ist das, die Reduktion auf Daten und Ereignisse, ein wenig verständlich als Möglichkeit möglichst viel auf engstem Raum mitzuteilen, ist das andere, die essentialistische Definition, kaum dem Zwang zur knappen Schilderung geschuldet. Da landet man dann bei partiell tautologischen, partiell sinnfreien "Definitionen", wie der "Van-Mensch-Definition" (als die sie der Herausgeber - zustimmend - vorstellt): "A museum is a permanent museological institution which preserves collections of corporal documents and generates knowledge about these corporal documents for the public benefit."
Abgesehen davon, daß die Definition zirkulär den zu erläuternden Begriff (Museum) zur Erläuterung heranzieht (museological) und anderen Haarigkeiten (was am Museum ist eigentlich permanent? Was ist public benefit? usw.), kann sich der Autor dieser Definition nicht vorstellen, daß man das Schwergewicht der Funktion von Museen in einer sozialen Praxis sieht, was mit einem Schlag aus den Zielen Mittel machte? In dieser Definition erscheint das Wissen über die Dokumente als das Essentielle. Es sind aber doch eher die mit Hilfe von "Dokumenten" sinnstiftenden Arrangements, Kommunikations- und Deutungsangebote, um die es geht? Und die weisen auch immer über das "Wissen von den Dingen hinaus".
Anders gesagt, solche Definitionen geben sich pseudogewiss und hindern einen deswegen daran, das Denken zu wechseln.
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Museologie ist für mich kaum Wissenschaft, eher ein Wissen vom Museum, aber eines, das sich sich in den Jahrzehnten, in denen ich aus diesem Wissen für mich einen Beruf gemacht habe, unvorhersehbar entwickelt und differenziert hat. Auf der einen Seite gibt es das die Praxis anleitende Wissen. Das ist so alt wie das zur Wissensgewinnung und -speicherung betriebene Sammeln, und "Ratgeber", wie man Sammlungen anlegt, pflegt und vermittelt, sind vermutlich das älteste "museologische" Genre. Auf der anderen Seite gibt es die Neugier, das Museum als "Schlüsselphänomen der Moderne" (Sharon Macdonald) von nur allen erdenklichen Seiten zu untersuchen. Philosophie, Kunstgeschichte, Soziologie, Cultural Studies, Historische Anthropolgie und so weiter - für alle diese Disziplinen ist das Museum zum Gegenstand der Forschung geworden. Dieser Diskurs, der sich selbst nicht immer als museologisch versteht, wäre durchaus anschlussfähig an die Praxis, wenn die Praktiker sich ihm gegenüber nicht komplett abschotten würden. Dazwischen gibt es, in vielen Abstufungen, ein Wissen, das theoretisch fundiert, praktisch handhabbar und auch lehrbar sein will. Diesem Modus von "Museologie" ordne ich das "Handbuch Museum" zu.
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Was fehlt? Ich stöbere im Index und finde z.B. Schwellenangst, Schautrieb, Relikt, Privatisierung, Raubgut, Ikonoklasmus, Überwachung, Immersion, Bildungselite nicht. Es gibt aber Postmuseum, Rotenburg an der Wümme, Sockel und kuratorische Triade. Na gut.
Aura gibt es, aber Benjamins dialektisches Gegenstück Spur fehlt. Daß Gottfrieds Korff Anmutungsqualität noch nicht zu lexikalischen Ehren kommt, ist nicht so überraschend, aber daß Wahrnehmung und ästhetische Erfahrung fehlen darf schon. Auch Blick und Blickregime sucht man vegeblich. Kolonialismus gibt es, nicht aber Ethnozentrismus und Rassismus.
Trotz ihrer modernen Konjunktur hat man die Kunst- und Wunderkammer verabschiedet. Darüber ließe sich reden. Nur, wenn das Stichwort fehlt, wird man über Gründe dafür nicht im Handbuch fündig werden. Das Nationalmuseum fehlt, das ist schon sehr überraschend. Es gibt Restitution aber ohne Arisierung. Kunstraub hat es laut Register nur unter Napoleon gegeben. Kein gender und kein Frauenmuseum. Kein Ikonoklasmus, kein iconic turn, kein audience development. Eigentum ja, Besitz nein. Compliance(regeln), die grade an einem österreichischen Museum eine Direktorin bedrängen, fehlen, aber gut, die übergeordnete Museumsethik ist ein Thema. Weiterbildung, Erwachsenenbildung: Fehlanzeige. Mitbestimmung, ein Unthema, das auf die Tagesordnung gehörte, fehlt im Index. Es gibt das Unikat aber Bild, Gegenstand, Ding fehlen? Iconic turn? Nie gehört. Cultural studies? Nein. Gedächtnis schon, Erinnerung nein. Erbe - nein, aber Patrimoine.
Eine Bildungselite existiert nicht. Hegemonie ebenfalls nicht. Die New Museology, Liebkind vieler Museologen in den letzten Jahrzehnten, immer wieder wie ein Untoter zur Wiederauferstehung beschworen: im Index findet sie sich nicht. Öffentlichkeit fehlt. Und das geht ja nun ganz und gar nicht.
Im Personenregister habe ich bloß nach Autoren gesucht, die wichtige Beiträge zum Verständnis des Museums verfasst haben. Daniel Tyradellis "Müde Museen" mag zu rezent erschienen sein, als daß sein Name schon hätte berücksichtigt werden können, aber mit Donald Preziosi fehlt der aktuell brillanteste Museologe, ein Schicksal, das auch Sharon Macdonald teilt. Mit Alma S. Wittlin fehlt die wichtigste Museumshistorikerin. Hans Belting hat hochinteressante Aufsätze publiziert, fehlt aber ebenso wie Beat Wyss. Wenn die Kunst- und Wunderkammer fehlt, fehlt auch Julius von Schlosser. Darf z.B. Hans von Aufseß fehlen - und das Germanische Nationalmuseum gleich dazu?
Aber genug der Beckmesserei.
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Das Land der museologischen Handbücher ist zweifellos England. Da konnte schon mal Sharon Macdonald einen Art Leitfaden zu den diversen monumentalen Editionen verfassen, eine Art von Ratgeber für den Hilfesuchenden, der sich abertausenden Seiten von Text gegenübersieht (sehr witzig geschrieben und sehr lesenswert). Deutschsprachige Versuche, das Feld Museologie und Museum zu ordnen sind noch überschaubar. Mir fällt vor allem Anke te Heesens "Theorien des Museums" ein, das sich, völlig konträr zum fast schon parodistisch strengen Inhaltsverzeichnis, eher als Sammlung von Wissens- und Lesefrüchten ihrer Zeit an der Universität Tübingen denn als Übersicht vermittelnde Darstellung erweist, wenn auch im Detail oft brillant, anregend und aufschlussreich ist.
Das von ARGE Schnittpunkt (Wien) herausgegebene "Handbuch Ausstellungstheorie- und praxis" gibt sich schon im Titel als thematisch eingeschränkt zu erkennen. Aber die Mischung aus Essays und einem umfangreichen Glossar ist originell und bietet reichlich Stoff und Anregungen und ist näher dran an den jüngsten Entwicklungen als das eben erschienene "Handbuch Museum". Gegenüber te Heesens Publikation hat das Handbuch den Vorzug der größeren Systematik und Vollständigkeit, gegenüber dem Handbuch von ARGE Schnittpunkt die Übersichtlichkeit und ebenfalls die größere Vollständigkeit.
Einstweilen muß man sie halt alle nutzen, das ist auch bei den ungleich umfangreicheren und detaillierteren englischen Readern nicht anders. Unbefriedigend bleibt das allemal. Ein "Handbuch" - sei es des Museums, sei es der Museologie -, ist nun mal, selbst für ein Autorenkollektiv, eine nicht lösbare Aufgabe. Vielleicht liegt ein Effekt und Verdienst des "Handbuchs" darin, daß es Problembewußtsein schafft, ein Bewußtsein für die Vielgestaltigkeit des Museums als hybrider Praxis und Gegenstand theoretischer Erörterung.
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Das Bild auf dem Buchcover zeigt eine Frau, die frontal vor einer Museumswand mit drei gerahmten weißen Leinwänden steht, auf Distanz gehalten von einer niedrigen Absperrung. Stiefel, Schottenrock, Jacke und Schal machen den Eindruck einer vorm Schlechtwetter in den Schutzraum Museum Geflohenen, ihr rotes Barrett wollen wir nicht gleich symbolisch deuten, weder in Richtung Märchen noch Politik, wenngleich die drei "leeren Bilder", die sie offenbar betrachtet, den Willen des Buchgestalters verrät zu verrätseln.
Das Cover ist näher an einer Schlüsselfrage des Museums, als so mancher Text. Wo diese Eindeutigkeit und Sachlichkeit versprechen (müssen oder wollen), erweist sich das Museum immer wieder, auch in seinen einzelnen strukturellen Aspekten, als rätselhaft, bizarr, sich entziehend, immer neue Fragen aufwerfend. Jeder Versuch des Einholens dieser offenen Komplexität in ein festgeknüpftes Netz von Begriffen und Aussagen scheitert. Insofern ist das Buchcover als visuelle offene Botschaft vielversprechend.
In einer Hinsicht aber nur versprechend: Gerade mal dreizehn Abbildung hat das Buch - inklusive Grafiken. Mir hat es noch nie eingeleuchtet, warum derart viele einschlägige Publikationen ohne oder fast ohne bildliche Information auskommen, warum über einen visuelles Medium sui Generis absolut inadäquat immer und immer wieder nur im Medium Text referiert wird. Da wäre eine kleine museologische Revolution überfällig.
Siehe auch: Wer will das eigentlich noch wissen, das mit den Besuchern?
Donnerstag, 14. Juli 2016
Samstag, 9. Juli 2016
Montag, 4. Juli 2016
Samstag, 2. Juli 2016
Tagung der Österreichischen Forschungsgemeinschaft zum Haus der Geschichte Österreich
ÖFG-Tagung zum geplanten Haus der Geschichte Österreich(s): Konzepte. Inhalt. Erzählung.
Wien (OTS) - Mehr als 100 Gäste folgten gestern der Einladung der Österreichischen Forschungsgemeinschaft (ÖFG) zur Tagung "Haus der Geschichte Österreich(s): Konzepte. Inhalt. Erzählung.". Im Augustinertrakt der Österreichischen Nationalbibliothek wurde das im März vom Parlament beschlossene Projekt von Historikern und Fachleuten aus dem In- und Ausland aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet und mit dem Publikum kontrovers diskutiert. "Der Österreichischen Forschungsgemeinschaft ist es ein Anliegen, den Diskurs über dieses für Österreich bedeutende Projekt mitzugestalten", so Karlheinz Töchterle, Präsident der ÖFG. Auch künftig wird die ÖFG Veranstaltungen zu gesellschaftspolitisch relevanten Fragestellungen initiieren, um damit den evidenzbasierten wissenschaftlichen Diskurs in der Öffentlichkeit zu fördern.
Im ersten Teil der Tagung stellte Oliver Rathkolb, Vorsitzender des Internationalen Beirats des geplanten Museums, die Pläne und Konzeption für das Haus der Geschichte Österreich dar und eröffnete damit die Standort- und Periodisierungsdebatte. Artur Rosenauer thematisierte die Geschichte der Wiener Hofburg und skizzierte die unterschiedlichen Ausbaustufen des historischen Burgkomplexes. Anschließend folgten Überlegungen von Gottfried Fliedl, der sich eine offene, demokratische und geschichtsvermittelnde Institution wünscht. Anhand von exemplarischen Beispielen von Museumsprojekten und Ausstellungen im In- und Ausland versuchte er zu zeigen, wie man sich auf die Bildung sozialer und öffentlicher Räume konzentrieren und dem Problem der Vermittlung von Geschichte stellen könnte.
Der zweite Teil der Tagung diente dem Erfahrungsaustausch vergleichbarer Projekte. Einem Vortrag von Philipp Lesiak über die Planungen zum Haus der Geschichte im Museum Niederösterreich folgte ein Vortrag von Hermann Schäfer, dem Gründungspräsidenten des Hauses der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Dieser zog nicht nur Parallelen zur kontroversen Berichterstattung im Vorfeld der Gründungen der beiden Häuser, sondern sieht in der ernsthaften und kontinuierlichen Unterstützung von Seiten der Politik bei ausreichend finanziellen Mitteln die Grundsäulen für die Realisierung eines solchen Museums. Schäfer thematisierte überdies die Bewertungsfaktoren für Museumserfolge, die notwendige Museums- und Ausstellungsevaluationen und die Einflussfaktoren von Politik und Gremien, die es auszuloten gelte.
Der dritte Teil war grundsätzlichen Fragestellungen zur inhaltlichen Basis des Projekts gewidmet. Thomas Winkelbauer und Roman Sandgruber zeigten die unterschiedlichen Periodisierungsansätze auf und warnten vor politischer Geschichtsinterpretation. Die Deutungshoheit über die österreichische Geschichte ginge immer mehr von der berufsmäßigen und akademischen Geschichtsforschung auf die Journalistik über, so Sandgruber. Es folgte eine kontroversielle Debatte über die räumlichen und zeitlichen Grenzen der Geschichte Österreichs.
In der abschließenden von Ö1-Journalistin Elisabeth J. Nöstlinger moderierten Podiumsdiskussion, an der Johanna Rachinger, Heidemarie Uhl, Franz Schausberger, Oliver Rathkolb und Thomas Winkelbauer teilnahmen, wurden die Gremienbesetzung des künftigen Beirats, des Publikumsrats sowie die kalkulierten Kosten thematisiert und diskutiert.
Einig war man sich darin, dass die Finanzierung schnellstmöglich fixiert und Direktion sowie Gremien alsbald eingesetzt werden müssen, damit die inhaltliche Detailkonzeption des Projekts gestartet werden kann. Im Rahmen der Veranstaltung nahm die oft vermisste inhaltliche Diskussion breiten Raum ein, wenngleich Grundfragen der museologischen Ausrichtung mit Verweis auf die künftige Leitung etwas zu kurz kamen.