Das 'Musée sentimental' ist ein fester Begriff in der Geschichte der
'Künstllermuseen' und gilt als eines der der interessantesten und
erfolgreichsten Projekte, mit denen Künstler sich seit den 70er-Jahren (Claes Oldenburg, Andy Warhol, Marcel Broodthaers uva.) mit der Idee des
Museums auseinandergesetzt haben.
Daniel Spoerri hat selbst immer wieder und in unterschiedlichsten Rollen an seiner für den Kölner Kunstverein (1979) entwickelten Idee weitergestrickt, zuletzt etwa in Krems/Stein (in einer ziemlich verunglückten Form) und nun in Graz im Stadtmuseum in wiederum einer neuen Variante.
Sowohl Spoerri als auch die beiden Kuratoren sind am Grazer Stadtmuseum stark von der ursprünglichen Idee abgewichen. Spoerri steuerte drei 'Installatuionen' bei wie sie unterschiedlicher nicht hätten sein können, während unter dem Titel "Grazgeflüster" (wie werbewirksam und wie informativ ist so ein Titel eigentlich?) graztypische Objkete mit Geschichten, Anekdoten und Infos verknüpft und gezeigt werden.Daniel Spoerri hat selbst immer wieder und in unterschiedlichsten Rollen an seiner für den Kölner Kunstverein (1979) entwickelten Idee weitergestrickt, zuletzt etwa in Krems/Stein (in einer ziemlich verunglückten Form) und nun in Graz im Stadtmuseum in wiederum einer neuen Variante.
Eine solche Ausstellung soll weder eine Stadgeschichte erzählen noch repräsentativ eine Stadt sozusagen abbilden. Es funktioniert eher wie ein Auslegen von Spuren, bei denen man eineige Indizien zusätzlich mitbekommt, im übrigen aber selbst dann weiterfahnden sollte. Nicht bloß die intellektuelle Auseiunandersetzung kommt dabei ins Spiel, das Wissen un geschichtliche Ereignisse und Abläufe, sondern eine emotionale Disposition wie sie religiösen wie profanen Reliquien eigentümlich ist (Einer der _ mehreren - Untertitel der Kölner Ausstellung lautete denn auch 'Entwurf zu einem Lexikon von Reliquien und Relikten). Als Dinge, die mit einem großen Ereignis oder einer bedeutenden Person buchstäblich einmal 'in Berührung' gestanden haben, vermittelt sich uns noch im Museum etwas von dieser einstigen Nähe - das aber in der zeitlichen und apparativen (Vitrinen, Sockel, Beschriftung) Distanz des Museums, die eine eigentümliche Dialektik der Museumserfahrung in Bewegung hält: daß uns nämlich, wie es Walter Bejamin formuliert hat, zeitlich und räumlich nahe ist, was ja unter Umständen zeitlich und räumlich unendlich entfernt sein kann.
Im glücklichsten Fall kommt im Spiel mit "Spur" und "Aura" (so die Begriffe Benjamins) eine witzige und gleichwohl politisch aktuelle Installation zustande wie bei der Dokumentation des juristischen Umgangs mit einem feinstaubgeschädigten Kind (mit echten Akten und echtem Husten), im schlechteren Fall, bleibt es eim Beliebigen und Anekdotischen stecken, wie z.B. bei Spoerris Sammlung Steirischer Panther, an denen ihn offenbar nur deren - gelegentlich zensierte, gelegentlich schamhaft entsorgte -, flammende Virilität interessiert hat.
Die Konjunktur des Musée sentimental hat mit der offenkundigen Irritation herkömmlicher Museumsparadigmen zu tun. Die beim 'Original', dem Kölner Musée sentimentale verwendete alphabetische Ordnung, war zur Zeit ihrer Entstehung eine befreiende Geste gegenüber der oft zwanghaften und sowieso fragwürdigen Ordnungssysteme aus den einschlägigen Wissenschaften. Zusätzlich bedeutete die Wahl alltäglicher, bescheidener, fragmentarischer usw. Objekte noch einmal einen kleinen Aufstand gegen das hochkulturelle Pathos des Museums zu inszenieren.
Wie es ist mit den Gesten der Avantgarde, irgendwann werden sie vereinnahmt oder ergeben sich freiwillig dem Sog der Institutionen. Museologisch kariöse Museen greifen zur Intervention, zur Installation zum Künstlermuseum wie sich nach physischer Wiederherstellung Sehnende zu Frischzellenkuren und Botoxspritzen.
Bei der Eröffnung war Daniel Spoerri ganz schön grantig. Angeblich wegen eines Ärgers mit seinem Hotel. Vielleicht aber auch, weil er selber, inzwischen über 80 Jahre alt, merkt, daß er selbst viel zur Erschöpfung einer Idee beiträgt, die einmal frischer und jünger gewesen sein könnte, als man auf den ersten Blick sieht. Denn neben neuartiger, spielerischer Repräsentation von 'Geschichte' hatte das Musée noch eine andere, weniger offenkundige Bedeutung.
Unter großem Zeitdruck entstanden, als Arbeit mit einer Gruppe von Studenten, und daher weit mehr kollektiv generiertes Projekt als 'Genie'-Künstler-Museum, könnte das Kölner Musée Sentimental etwas gewesen sein, was es wohl extrem selten gibt: eine kollektiv kuratierte Ausstellung.
"Grazgeflüster" hat über die Fortsetzung und Entwicklung einer Idee hinaus eine spezifische Funktion für das Museum selbst: in der Zeit der Vorbereitung einer neuen Dauerausstellung ist dieses Musée auch ein Probelauf für eine andere Art der Erzählweise, die jedes Pathos, jede Meistererzählung, jedes Anlehnen an kanonisierte Highlights vermeidet. In der Praxis zeigt sich etwas Erstaunliches: nicht jede Stadt scheint für eine derartige doppelbödige, ironische Repräsentation geeignet. In den Diskussionen um das Musée sentimental, die wir auf der Sommerakademie 2011 mit Susanne Padberg*) geführt haben, schien Köln auf Grund vieler lokaler Eigenheiten, Eigenheiten seiner Alltagskultur, seines Dialekts, seiner karnevalesken Tradition und anderes mehr, für ein solches Experiment wie das Musée sentimental besonders geeignet. Vielleicht ist ja Graz ironifreier, feinstaubbedeckter und eindimensionaler als man denkt.
Ich habe eine Grundsympathie für jede Form des experimentellen, tentativen Ausstellens, deswegen möchte ich hier weniger als Kritiker, denn als Berichterstatter auftreten und dazu ermutigen - die Ausstellung ist noch bis Februar zu sehen -, "Grazgeflüster" zu besuchen.
Definitiv empfehlen möchte ich den 'Katalog', der aufwändig gestaltet die Idee des 'Musée transformiert und einer der schönsten und intelligentesten Ausstellungskataloge seit langem ist.**)
*) Durch ein Projekt des Ludwig-Uhland Instituts der Universität Tübingen ist das Musée sentimental inzwischen zur Ehre einer Dokumentation und Analyse gekommen, die in Buchform und von Anke te Heesen und Susanne Padberg herausgegebenen 2011 publiziert wurde: Musée sentimental 1979. Ein Ausstellungskonzept, bezieht sich mit der Jahreszahl 1979 explizit überwiegend auf das Projekt im Kölner Kunstverein. Das Buch ist bei Hatje und Cantz erschienen.
**) Gerhard Schwarz, Otto Hochreiter, Beat Gugger (Hg.): Grazgeflüster. Einige Stichworte zu einem Musée Sentimental de Graz mit Daniel Spoerri. Graz 2011
Der Katalog wurde eben mit dem Award des Deutschen Designer Clubs ausgezeichnet.
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