Samstag, 13. Februar 2010

Die Musen und das Museum (Was ist ein Museum 04)

Wir hatten ein Museum entdeckt, das sich bescheiden aber auch stolz, ein neuntältestes nennt, und darus messerscharf geschlossen, es müsse demnach auch also ein ältestes gebne. Indes führte die Suche danach zu entschieden zu vielen ersten Museen und es zeigte sich, daß es ein Wort gibt und dessen Geschichte und daß es verschiedene kulturelle Praktiken, die - manchmal - mit diesem Wort bezeichnet werden, aber auch daß diese Wort Sachen bezeichnet, die mit dem, was wir heute landläufig darunter verstehen, nichts zu tun hat. Je näher man ein Wort ansieht, desto ferner sieht es zurück.
Diese ziemlich verwirrende Entdeckung machten manche Museumsgründer zu Anfang des 19. Jahrhunderts, also zu der Zeit, da jene hybriden institutionellen Praktiken entstanden, die wir heute als Museum bezeichnen. Interessanter als der Fall München, wo man anläßlich der errichtung eines Gebäudes für die Antikensammlung des Bayrischen Königs lieber ein neues Wort erfand, Glyptothek, als 'Museum' zu verwenden, ist Berlin, wo im Zuge der Errichtung und Planung des Königlichen Museum dieses Wort plötzlich verdächtig und umstritten wird. Aber dann doch gewählt wird, obwohl man in der kurz aufflammenden Kontroverse argumentiert, daß "die Alten" so etwas, was hier in Berlin grade entstehe, nie gekannt hätten.
Das war eine auch heute nicht anders formulierbare Einsicht. Aber dennoch hielt man an 'Museum' fest - im Namen einer nicht näher erläuterten 'älteren' Bedeutungsschicht.

Ich  vermute, daß damit die wörtliche Bedeutung gemeint war und aktualisiert wurde: Museum ist die lateinische Form des Griechischen Museion und das ist der "Musensitz", der Ort, an dem sich die Musen aufhalten und wo sie im Medium Tanz und Gesang Götter- und Gattungsgeschichte erzählen. Die Musen (ihre Zahl ist da noch ganz unbestimmt), Töchter der Göttin der Erinnerung, Mnemosyne (und des Zeus) sind also so etwas - und das ist etwas historisch Neues - wie ein kollektives Gedächtnis. Sie erzählen Vergangenheit und Deuten Zukunft und versammeln das in der Gegenwart, an einem Ort der sowohl imaginär wie topografisch konkret sein kann, dem Museion.
Dieser Ort ist meist einer in der freien Natur, wo es weder Gebäude (etwa einen Tempel) gibt noch - das schon gar nicht - eine Sammlung von Gegenständen. Die Musen singen und tanzen, sie sammeln nicht. Ihr Gedächtnis ist das lebendige der gesprochen Sprache, nicht der Buchstabe des fixierten Textes.
Die allmähliche Transformation des Musenmythos hat mehrere Aspekte. Einer ist die - konfliktreiche, als Krise des Gedächtnisses in der Philosophie der Antike thematisierten - Ablösung des lebendigen Gedächtnisses, des 'liebenden Eingedenkens' -, durch ein technisches, das sich vom Sprecher und damit von Zeit und Ort lösen kann. Also die durch die Erfindung des Alphabets mögliche und damit auch transgenerationelle 'Monumentalisierung' des Gedächtnisses im Aufzeichnungsmedium Text.
Die zweite Transformation ist die, die ich als Enteignung der Musen bezeichnen möchte. Ihre Gabe des Erzählens und Deutens geht auf Spezialisten über, z.B. auf den Aioden, der, sich selbst auf einfachen Saiteninstrument begleitend, tausende Versstrophen umfassende, dann auch aufzeichenbare Texte (Hesiod, Homer) verfasst und vorträgt. Oder auf die Philosophen, die nun zu Produzenten und Hütern jenes Wisssens und jener Kunstfertigkeiten werden, die die Musen nur noch beschützen dürfen.
In der Blütezeit der antiken Polis, mit der Gründung der Akademien (die erste entsteht in Athen), ist das Museion das kultische Zentrum eines urbanen, von männlicher Priesterschaft definierten und besetzten Wissensortes.
Das ist auch noch so, bei dem für die Genealogie des Museums scheinbar so wichtigen, im hellenistischen Alexandrien unter der paternalistischen und protektionistischen Politik eiunes Fürsten errichteten Instituts, bei der wieder das Wort Museion die Bezeichnung Akademie überlagert.
Was im Streiten über das Wort Museum in Berlin in den 20er-Jahren des 19.Jahrhunderts aktualisiert wird, ist die älteste Bedeutungsschicht von Museion: der kollektive Gedächtnisort, an dem Vergangenheit und Zukunft in der Gegenwart versammelt werden. Aber das noch ganz ohne jene Verdinglichung und technischen Speicherbildung, ohne die uns das Museum undenkbar scheint, und um derentwillen man in Berlin ja auch nahe dran war, das Wort zu verwerfen.
Der Konflikt aber, der sich zwischen dem lebendig wirkenden Gedächtnis einerseits und seiner technischen, verdinglichenden, 'musealen' Formierung andrerseits eröffnete, ist seit Anbeginn des Museums der Moderne virulent geblieben.
Anläßlich der unter anderem aus der Beraubung europäischer Sammlung (unter Napoleon) und in der Französischen Revolution gegründeten Museen, namentlich des Louvre, entsteht sofort eine fundamentale Kritik des Museums.
Friedrich Schiller legte in einem kurzen Gedicht den Finger in diese Wunde, die sich nie wieder geschlossen hat:

Friedrich Schiller: Die Antiken zu Paris

Was der Griechen Kunst erschaffen,
Mag der Franke mit den Waffen
Führen nach der Seine Strand,
Und in prangenden Museen
Zeig' er seine Siegstrophäen
Dem erstaunten Vaterland! 


Ewig werden sie ihm schweigen,
Nie von den Gestellen steigen
In des Lebens frischen Reihn.
Der allein besitzt die Musen,
Der sie trägt im warmen Busen;
Dem Vandalen sind sie Stein.



Fortsetzung folgt.

Abb.: Muse, römische Kopie nach griechischem Original, 2.Jh.n.Chr. Kapitolinische Museen / Centrale Montemartini, Rom. Hubert Robert: Salle des Saisons, Musée Napoleon / Louvre. Louvre, Paris

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