Daniel Spoerris Musée sentimental war einst ein das Museum - mild - attackierendes Projekt, das mit der Willkür seiner Auswahl- und Ordnungskriterien - das war das Alphabet -, die Willkürlichkeit der wisenschaftlich-musealen Ordnungen in Frage stellte. Das Musée konnte etwas tun, was das Museum damals noch kaum tun konnte, dem Alltäglichen, Banalen, Übershenen, dem Fragment, dem Abfall, dem Deponierten die Funktion einer Zeugenschaft zu verleihen, ohne die Dinge zu monumentalsieren und in ein zwingendes und dominierendes Narrativ einzubetten.
Nicht die offizielle Erzählung mit versteckter aber autoritärer Autorschaft regierte die Bedeutung der Dinge, sondern die individuelle Erinnerungsfähigkeit, die liebevolle Empathie, in den Dingen Spuren des vergangenen Lebens suchen zu wollen - so verstehe ich das ‚sentimental'. Damit wurde ein Zugang zu den Dingen gestiftet, der sie nicht in das Korsett vorgepräggter Deutungen zwängte, sondern die individuelle Arbeit an der Dechiffrierung der Dinge vom Betrachter/Besucher forderte, denn ohne diese Arbeit erwachte nichts aus der Abstraktion des Alphabets.
Das erste Musée sentimental, das ich nicht aus den Katalogbüchern und Kritiken, sondern durch den Besuch kennenlernte, das Musée sentimental de Prusse (1981), machte auf mich schon einen zwiespältigen Eindruck der Ermüdung, weil hier das Zufällige und Spielerische einer willkürlichen Ordnung von einer auf Preussens Geschichte bezogenen zweiten, implizit doch dokumentierend-erzählerischen Intention überdeckt wurde. Daß die Mitglieder der preussischen Königsfamilie hier nur noch als eingeweckte, nach ihnen benannten Obstsorten - „Gute Louise" - präsent waren, war zwar schon hart am Rand der Schmunzelkunst aber in der Wahl der Gedächtnisform immerhin noch analytisch witzig: das Rex-Glas als genuin historistisch verfahrendes ‚technisches Gedächtnis' und insofern von symptomatischer Qualität für das, wie sich Museen erinnern.
Jetzt gibt es im Kunstraum Stein (bei Krems) ein weiteres Musée sentimental, und Autor ist wiederum Daniel Spoerri selbst, der sich in der Nähe, in Hadersdorf am Kamp, ein neues Refugium geschaffen hat. Unter dem bombastischen Titel „Eine Stadt biografiert sich selbst" wird das Musée zusammen mit einem komplementären von Bazon Brock gezeigt. Er bat Bewohner von Krems ihr ‚liebstes Gut' in einer Prozession ins Museum zu tragen. Der Kalauer, der programmatisch verstanden werden will, „Zeige dein Liebstes gut. Zeige dein liebstes Gut" wird uns in einem kurzen Video von Bazon Brock als subversive Geste angepriesen, als eine Repräsentation von unten, als ein individuelles Einschreiben in das Museum.
Das nun ist es gerade nicht geworden, denn der eine Raum, in dem das liebste Gut Heimstatt hat, ist eine ziemlich lieblose, beiläufige Regalisierung - und das auch nicht in einem Museum, sondern selbstreferentiell in einem ‚Kunstraum'. Ohne sich einen Deut um die Repräsentativität der Zufallsgaben und die Motive und Objektbeziehungen der Besitzer zu kümmern, wird das ganze in die bekanntlich große Überredungskunst Brocks eingehüllt und zum in ‚Österreich noch nie dagewesenen' Projekt stilisiert.
Das ist doppelt dreist: denn - um nur ein Beispiel zu nennen - der „Berg der Erinnerungen" in Graz im Kulturhauptstadtjahr 2003 nimmt sich im Vergleich mit der Installation in Krems wie ein Bentley gegenüber einem Dreirad aus. Vor allem aber: die Idee, mit Besitztümern und Sammlungen Privater im Museum etwas zu installieren oder zu prozessieren, was sowohl die Interessen und Motive der Beteiligten anerkennt als auch, entweder als Haupt- oder Nebeneffekt etwas zur Reflexion des musealen Sammelns und Zeigens beizutragen, ist sehr alt und wurde an anderer Stelle ungleich reflektierter und intelligenter verwirklicht. Zum Beispiel im Ruhrlandmuseum Essen 2005 (Die Gegenwart der Dinge. 100 Jahre Ruhrlandmuseum) oder - hier im Blog schon gewürdigt -, Böse Dinge. Eine Enzyklopädie des Ungeschmacks im Museum der Dinge, Berlin.
Hinter dem gewaltigen Aufwand Brockscher Rhetorik findet sich so gut wie nichts und eher das Gegenteil vom der behaupteten Anerkennung und Aufwertung individueller Repräsentationswünsche: ein Raum mit der Anmutung eines Abstellkellers und ein in Form und Sache äußerst bescheidenes ‚Inventar' mit kurzen Äußerungen der Leihgeber, das ist alles.
Brock würdigt sich nicht nur selbst, er darf (im erwähnten Video) auch Spoerri würdigen (der sich auch selbst und Brock würdigen darf...usw.) und das Musée sentimental das bedeutendste Museumskonzept des 20. Jahrhunderts nennen.
Warum es im 21. immer noch gezeigt werden soll, das zu rechtfertigen, bleibt uns das Musée schuldig. In einer kurzen Flucht kleiner Räume finden sich Objekte, die irgendeinen Bezug zu Krems haben und die nach Stichworten zusammengestellt wurden. Stichworte wie: Marillen, Salz, Donau, Goldhaube, Wein, Glocken, Justizanstalt, Mariandl uam. Es zeigt sich schnell, daß das Konzept mit so wenigen Objekten schlecht funktioniert, weil die Matrix, die sich aus so wenigen Dingen und Worten weben läßt, viel zu grobmaschig wird, um auch nur annähernd so etwas wie die versprochene Biografie der Stadt Krems ergeben zu können.
Die räumliche Ordnung nach Schlagworten konterkariert die ursprüngliche Idee: man liest nun die Objekte zwangsläufig als illustrative Dokumente eines ‚Themas' - und die folgen nun vielen der Klischees, die ohnehin schon seit eh und je mit der Wachau verknüpft waren oder die beliebig sind. Oskar Werner kommt wohl hier vor, weil seine Mutter in der Wachau wohnte. Welche Bedeutung haben dann aber Dokumente wie das Service, die Brieftasche, eine Visiten- und eine Eintrittskarte aus dem Besitz Oskar Werners? Was sollen sie bezeugen? Was evozieren?
Vollends problematisch wird aber die Art und Weise, wie mit der NS-Zeit und der Judenverfolgung umgegangen wird. Die Nivellierung der Themen auf ein einziges, ‚sentimentales' Niveau, läßt die Nachbarschaft von NSDAP und Marillenbrand, Judenverfolgung und Goldhaube unerträglich werden. Krems, und ausgerechnet übrigens auch der Ort, in dem sich Spoerri niedergelassen hat, Hadersdorf (und das nahe Langenlois, ein berühmter Weinort) sind allesamt Orte mit einer immer wieder umkämpften und verdrängten Geschichte. Ausgerechnet diese Fragen auf dem Niveau einer aleatorischen Collage zu verharmlosen, das geht nicht. Da gibt es etwa das Fotoalbum des NSADAP Pressefotografen Rudolf Haas in unmittelbarer Nachbarschaft des Straf(Kriegsgefangenen)Lagers 17 B in Gneixendorf und gegenüber dann „Jüdische Geschäfte in Krems" neben einer Collage, die Spoerri aus Kopien der Fotos des erwähnten NSDAP-Fotografen gemacht hat - mit der unkommentierten Betextung „Bildersammlung Ortsgruppe Stein". Die Verwischung der Grenzen von Original und Kopie könnte anderswo auch analytisch genutzt werden, hier ist sie fahrlässig. Aber es ist irgendwie egal: eine Gipsmaske Anton Bruckners ist eindeutig ein Gustav Mahler mit schmaler Nase, scharfem Profil und wallendem Haupthaar. Über Anton Bruckners rundlich-bäurischen Kopf spross immer nur eine Glatze... Nirgendwo erzeugt das Zusammenstellen und -würfeln der Sachen irgendeinen analytischen Effekt, alles ist gleichgültig gemacht in einem selbstreferentiellen Spiel der Dinge.
Beide Ausstellungen machen einen müden, uninspirierten Eindruck, bei beiden Ideen - dem des Musée sentimental und dem des ‚Laienmuseums' - wird nur lauwarm aufgewärmt. Die Avantgarde von einst kommt in die Jahre und in die Provinz um sich selbst zu demontieren.
„Alles war sehr gut und lustig" heißt es im Besucherbuch.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen