Sonntag, 7. November 2010

Ötzi darf nicht sterben (Museumsphysiognomien 10)

Das Bild des mumifizierten Mannes, den man "Ötzi" nennt, ist - mit seinem einem Totenschädel ähnelnden Kopf, dem ledrig-ausgetrockneten und braunen Körper und der unnatürlich weggestreckten Hand - zu einer weit verbreiteten und sehr populären 'Ikone' geworden. Ich muß hier kein Bild einstellen, wir haben es im Kopf.
2011 feiert "Ötzi", der "Mann aus dem Eis" oder "…vom Hauslabjoch" seinen zwanzigsten Geburtstag und bekommt dafür im Archäologiemuseum in Bozen eine große Ausstellung, die seinem "zweiten Leben" (Museumstext) gewidmet sein wird. Also nicht nur der wissenschaftlichen Erforschung, sondern auch dem medialen Diskurse und populären Verarbeitung.
Von Anfang begleiteten und überdeckten diese Diskurse die wissenschaftliche Forschung und ihre Ergebnisse. Bezeichnend dafür ist, daß sich der von einem Journalisten wenige Tage nach der Entdeckung des Toten kreierte Name sofort durchsetzte und eine wissenschaftliche Bezeichnung nie durchsetzte. 'Ötzi', das war ein sehr gelungener Taufakt.
Was der über 5000 Jahre alte, auf Grund vieler Zufälle konservierte und schließlich entdeckte Körper bewirkte, war nicht so sehr Interesse an Fakten über ein fernes unbekanntes Leben sondern Mobilisierung von Phantasmen.
Sofort setzte die Beanspruchung unter nationalen Vorzeichen ein, womit die Feststellung des Fundortes - jenseits oder diesseits einer Staatsgrenze - zur diplomatisch-politischen Agenda wurde. und ernsthaft wurde Ötzi, gestützt auf genetische Spekulationen, zum Ahnen erklärt (was heute widerlegt ist), so als ob es so etwas wie eine rein männliche Genealogie geben könne. Ötzi ließ sich für erstaunlich viel reklamieren: nationale Identität, männliche Identität (legendär das ZIB 2 - Schreiduell zweier 'Ötzilogen' wegen der Frage, ob Ötzi einen Penis habe oder nicht), Suche nach der (kollektiven wie individuellen) Herkunft, dem Ursprung, Spekulationen über Todesumstände.
Wie jede Mumie bediente er aber vor allem ein zentrales museales Phantsama, das des "Überdauerns".
Die Paradoxie jeder Mumie liegt ja im ostentativen 'Überleben', das dem Körper durch geschickte Bearbeitung verliehen wird. Die Konservierung bewirkt die Verdinglichung des Körpers, der den Status eines unzerstörbaren Objekts erhält. Die Identität des Leibes dauerhaft zu behaupten stellt aber auch den Tod auf Dauer. Die religiöse Vorstellung des in seinem Leib 'weiterlebenden' Menschen und die unabweisliche Tatsache, daß er als Toter konserviert wird, kreuzen sich in der Mumie auf unauflösliche Weise.
Jede aus dem Grab geholte Mumie ist so etwas wie ein zwischen Leben und Tod wandernder Untoter und es ist kein Wunder, daß Populärliteratur und Film (nicht das Museum) die Rachemacht dieses unagegoltenen Lebens und Todes ausmalten.Was Archäologie und Museum der Mumie antun ist ja nicht weniger als die Zerstörung nicht der des dinglichen Kontextes (Grabbau, Grabbeigaben usw.), sondern einer spirituellen Vorstellung eines durch diesen Kontext mit garantierten 'Lebens nach dem Tod'.
An und für sich hat die Mumie den Zweck der visuellen Bekräftigung der 'Dauer' gar nicht (anders als etwa 'Effigies' aus Wachs oder Holz, die einen Ersatzleib bilden, die eine Person so repräsentieren können, daß selbst eine Hinrichtung als Bild möglich wird), denn als Teil des Totenrituals ist sie unsichtbar. Das gilt ja für fast alle Bestattungsrituale aller Kulturen und aller Zeiten.
Erst durch Ausstellung und Musealisierung wird eine Erfahrung virulent, die das Museum - bedrohlich und tröstend zugleich - vermittelt. Es gibt 'Dinge', sagt uns das Museum, die uns überdauern (und wir 'in ihnen'). Das gilt für Dinge als Lebensspuren selbstverständlich generell, aber es gilt in einer besonderen Weise für den menschlichen Körper 'als (Museums)Ding'.
Das unüberbietbar symptomatische Objekt des Museums ist die Mumie deswegen, weil strukturell das Museum Dauer garantiert oder zu garantieren glaubt - in Form eines 'unzerstörbaren' technischen Gedächtnisses (der Dinge) und in Form der abstrakten Vorstellung eines damit gestützten transgenerationellen Gattungsgedächtnisses. 
Wie Reliquien konfrontiert uns ein solcher Mumien-Leib wie der Ötzis nicht nur mit seinem Tod (der spekulativ nur in bezug auf die Umstände ist), sondern auch mit unserem Tod, tröstet uns aber mit der Botschaft, daß der Leib überdauern kann, physisch und mental, im 'Gedächtnis des Museums': wir werden nicht spurlos verschwinden.
Diesem 'wir' war und ist Ötzi natürlich ungleich näher als jede ägyptische Mumie, weil er 'bei uns' gefunden wurde, in 'unserer Gegend' und irgendwie (ja wie eigentlich?) zu 'unserer Geschichte', 'unserer' Kultur gehört. Das Phantasma, daß wir von ihm abstammen könnten, mag wissenschaftlich widerlegt sein, erledigt ist es damit aber nicht.
Daß Ötzi nicht bestattet werden kann, versteht sich. Nicht so sehr wegen der Option auf bislang noch ungeahnte, künftige wissenschaftliche Methoden, für die der Leib als 'Forschungsobjekt' 'aufgespart' werden muß, sondern weil seine Sichtbarkeit eine einzigartige Möglichkeit eines Identitäts-Spiels erlaubt, das ein Grabmal nie bieten könnte (mal ganz abgesehen von touristischer und materieller Umwegrentabilität). Wo würde man Ötzi bestatten können?
Der Aufwand, der für das Sichtbarmachen getrieben wird ist technisch groß. Gekühlt und bei hoher Luftfeuchtigkeit liegt der Tote auf einer Art von Seziertisch in einer mit Eisziegeln ausgekachelten Kammer, die vielfach kontrolliert und überwacht wird. Angeblich steht für den Fall eines Totalausfalls eine idente zweite Kammer zur Verfügung. Ötzi darf nicht sterben.
Diese Unheimlichkeit wird durch die klinische Umgebung herabgestuft, versachlicht. Das kleine rechteckige Fenster, durch das der Museumsbesucher einen Blick werfen darf, wird durch eine Wand abgeschirmt, um, wie es auf der Museumswebseite heißt, ein wenig jener Intimität zu ermöglichen, die der Begegnung mit einem Toten angemessen ist.
"Parallel dazu sollte die Forschungsarbeit am Körper fortgesetzt werden. Die Mumie selbst befindet sich heute fast versteckt in einem apsidenartigen, abgedunkelten Raum und kann durch ein Fenster betrachtet werden, an dem die BesucherInnen nacheinander vorbeiziehen. Das nur 40x40 cm große Schaufenster in die Kühlzelle von Ötzi folgt in erster Linie konservatorischen Vorgaben, da bei einer größeren Öffnung die Klimaschwankungen zu stark würden. Mit dieser abgeschirmten Ausstellungssituation wollten die Gestalter auch ethischen Anforderungen nach einer Art "Intimsphäre" für die Mumie gerecht werden."
Ich vermute, daß für den durchschnittlichen Museumsbesucher die Teile des Museums, die den Forschungsergebnissen gewidmet sind, zwar interessant, aber nicht das Entscheidende sind. Die wissenschaftliche Rationalisierung eines Begehrens nach einem unmöglichen Blick - den durch Jahrtausende zurück und in gewisser Weise auch in eine Zukunft, in die wir uns als Überdauernde projiziren können -, wird vor der Mumie unerheblich. Dort ist sie - als Exponat - auf eine Gegenständigkeit reduziert, an der wir unsere Subjektivität - als bedroht und als tröstend stabilisiert - erfahren können.
Wer sich darüber hinaus (und über das Museum hinaus) nach Verlebendigung sehnt und die Spannung von Todesangst und Lebenstrieb nicht aushält, wird reichlich mit animierten Puppen versorgt, bis hin zur filmischen Rekonstruktion oder dem archäologischen Reenactement.
Fotos: Archäologiemuseum Bozen Webseite

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