Montag, 31. Mai 2010

Das wahre Museum. Le Corbusier (Das Museum lesen 12)

Stellen wir uns ein wahres Museum vor, in dem alles enthalten ist, in dem ein komplettes Bild dargestellt werden kann, nach dem Ablauf der Zeit, nach der Zerstörung der Zeit. (Und wie vollständig sie zu zerstören weiß! So gründlich und komplett, daß fast nichts übrigbleibt, nur die Objekte von großer Extravaganz, von großer Eitelkeit, die Katastrophen immer überdauern und somit die unzerstörbaren Kräfte der Eitelkeit bezeugen). Um unsere Vorstellung zu konkretisieren, sollten wir uns ein Museum der heutigen Zeit errichten, in dem Gegenstände der heutigen Zeit ausgestellt sind; zum Beispiel: eine einfache Jacke, eine Melone, ein gut gearbeiteter Schuh. Eine elektrische Glühbirne mit Bajonettverschluß; ein Heizkörper; ein Tischtuch aus weißem Leinen; unsere alltäglichen Trinkgläser und Flaschen verschiedener Form, in denen wir unsere Weine aufbewahren, vom edlen Mercurey über den Graves bis zum einfachen Tafelwein; eine Reihe von Kaffeehausstühlen mit Rattanauskleidung, wie die von Thonet aus Wien – und dann noch eine Waschschüssel, eine Uhr, ein Koffer, ein Aktenregal und ein Bild von einer Pfeife.

Le Corbusier 1924

Fundsache - "Bayrische Identität"



Alpines Museum München

Besser schlafen mit guten Texten... (Texte im Museum 58)



Ausstellung "Zimmer frei", Alpines Museum Bern (2010)

Freitag, 28. Mai 2010

Saurier und Forschung. Noch einmal: Wie sich der Direktor des Naturhistorischen Museums Wien die Aufgaben eines Museums erklärt

In zwei Dingen ist sich der designierte Direktor des Naturhistorischen Museum Wien, Christian Köberl, sicher: warum die Dinosaurier ausgestorben sind und was ein Museum ist. Nämlich eine "Bühne". Und zwar wofür? Für die Darstellung von Forschung. Denn: "Grundsätzlich ist das Museum ja vor allem auch eine Forschunginstitution, und nicht nur ein Ort, an dem man ausgestopfte Tiere zeigt." Heißt? "Ich möchte die Naturwissenschaften ausstellen, die an dem Museum betrieben werden - und dabei ihre hohe gesellschaftliche Relevanz vermitteln. Ein Beispiel wären etwa die Rohstoffe in der mineralogischen Sammlung: Da kann man Teile so reorganisieren, um zu zeigen, welche Rohstoffe für was nötig sind, vom Auto bis zum Handy." Diese - nicht ganz neue Einsicht (s. Post vom 9. Mai 2010) - vermittelt uns der Direktor in einem Interview, das Klaus Taschwer führte. Der Standard 25. Mai 2010. Und wenn er sich mit den Sauriern doch irrt? Würden wir daran zweifeln, daß das Museum ein Ort der Popularisierung von Forschung ist?
PS.: Bei meinem Handy interessiert mich eigentlich weniger, aus welchen Rohstoffen es besteht, als vielmehr die Frage, wie man dem verdammten Ding beibringen kann, die Tastatursperre völlig willkürlich außer Dienst zu stellen.

Donnerstag, 20. Mai 2010

Sicher ist sicher (Texte im Museum 57)



Museum Meerseburg. Bildspende von Andreas Grünewald Steiger

Museumskrise? - Die Hamburger Kunsthalle schließt ihre Galerie der Gegenwart für ein halbes Jahr

Museumskrise? Das war hier schon öfter die Frage. Gibt's eine, oder gibt's keine?! Vielleicht ist das die Krise, daß sich keiner traut, die Frage energisch zu stellen, oder klar zu beantworten? Oder daß sich aus der Nähe die Symptome so mehrdeutig zeigen...
Da hätten wir nun die Hamburger Kunsthalle. Vor einiger Zeit kam sie in die Schlagzeilen, als - wahrscheinlich übereilt - behauptet wurde, die Kunsthalle würde ihre finanzielle Gesundung mit einem Verkauf eines ihrer Gemälde finanzieren.
Und jetzt schließt ein Teil des Museums. Zwar nur auf Zeit und aufgrund eines entdeckten Bauschadens. Sagt die Kulturbehörde.
Dem widerspricht der Direktor des Hauses aus dem Urlaub. Selbstverständlich - eine Teilschließung ist eine Kostenersparnis.

Niklas Maak reibt sich die Augen: wieso wird der Direktor bei einer solchen Entscheidung nicht zugezogen? Oder hat man seinen Urlaub abgewartet, um ihn vor vollendete Tatsachen zu stellen?
Doch das ist die Nahsicht. Maak schreibt in der heutigen FAZ die Krise des Museums einer langfristigen Entwicklung zu, der Expansion dieses (und, kann man hinzufügen, vieler anderer Museen), die in besseren Zeiten begonnen wurde und die nun nicht mehr so ohne weiteres zu finanzieren sei.

"In den achtziger Jahren, als sich in den Kulturetats der Städte der geballte Wohlstand der alten Bundesrepublik spiegelte, wurden gigantische Neu- und Anbauten finanziert, die mit den geschrumpften Etats nicht mehr haltbar sind, und in einer Krise, in der Politiker allen Ernstes Krippenplätze und Schulausstattungen infrage stellen, wächst der Druck auf Kulturinstitutionen gewaltig."
Da klemmt es dann auch bei den Wechselausstellungen. Attraktive, überregional beachtete, die viele Besucher anziehen, könnten nicht mehr finanziert werden, Private Sammler und Museumsgründer wären inzwischen in einer besseren, 'konkurrenzfähigeren' Position.

Ein Teil der Probleme ist hausgemacht und die Überführung eines statalichen Instituts in eine Stiftung möglicherweise nicht geschickt gemanagt worden. Aber dass nun einfach das staatlich-öffentliche Museum wie ein Auslaufmodell behandelt würde, und auf kompensatorische private Alternativen verwiesen werde, das ist, so Maak, eine bedenkliche Entwicklung: "Gerade angesichts der Refeudalisierung der Kunstwelt ist, im Sinne der guten alten Res publica, ein Ort um so nötiger, an dem eine demokratische Gesellschaft sich ihrer selbst jenseits von Sponsoreninteressen und Privatgeschmack vergewissert und diskutiert."
Der Druck wird größer werden, es zeichnet sich ab, daß im Bildungsbereich, bei Schulen, Universitäten, Einrichtungen für Kinder uvam. mehr und mehr gespart werden wird.  


Der befragte Leiter der Kunsthalle, Hubertus Gaßner, rückt auch die Konkurrenz in den Mittelpunkt und ein zusätzliches Argument - den Zerfall burgerlichen Engagements, dem die Kunsthalle ihre Existenz verdankt. "Früher wollten Sammler ihre Kunst im Museum sehen, jetzt bauen sie sich die Häuser selbst. Die Kunsthalle wurde 1868 als bürgerliche Institution gegründet. Wenn sich jetzt die bürgerliche Gesellschaft auflöst, kann es durchaus sein, dass sich auch die Museen auflösen. Eine gedächtnislose Gesellschaft lässt auch ihre Museen verschwinden. Vielleicht bekommen wir dann wieder den alten Typus der Wunderkammer, die man besuchen darf."

Was auf dem Spiel steht, hat Hubertus Gaßner in einem schon früheren Interview (Hamburger Abendblatt) differenzierter und nachdrücklicher so beschrieben: "Im Wesentlichen sind Museen Gründungen bürgerlicher Nationalstaaten. Wenn man beobachtet, wie der Nationalstaat nach und nach verschwindet und sich das Bürgertum transformiert, dann kann man darüber spekulieren, ob das Museum in seiner ursprünglichen Funktion der Repräsentation bürgerlicher Kultur und Gesellschaft noch auf Dauer Bestand haben wird. Für mich wäre das ein höchst bedauerlicher Fall, ich begrüße das nicht, sondern kämpfe dagegen. Natürlich werden die Häuser und die Sammlungen bestehen bleiben, aber schon jetzt stellen wir ja fest, dass die Besucher nur zu 20 Prozent der Sammlungen wegen kommen und zu 80 Prozent, um sich Wechselausstellungen anzusehen. Wenn Museen sich zu reinen Ausstellungshallen entwickeln, verlieren sie ihren ursprünglichen Charakter."
 
Ich verstehe ihn so: was auf dem Spiel steht, nicht nur bei der Hamburger Kunsthalle, ist nicht in erster Linie eine Frage des Budgets oder der Konkurrenz mit anderen kulturellen und privaten Einrichtungen; es geht darum, ob einer bestimmten Idee des Museums noch Existenzberechtigung zugeschrieben wird oder nicht. Zur Lösung dieser Fragen wird kaum das Klein-Klein der punktuellen tagespolitischen Auseinandersetzungen beitragen, die schnellen und halben Kompromisse, die eine schwierige Situation überbrücken, sondern nur ein grundsätzliche Auseinandersetzung darüber, in welcher Form man das Museum noch wünscht oder auch nicht. Aber wer ist "man"?
Ich denke, "man" das sind alle, die ein interesse an der Existenz und der Arbeit der Museen haben, die Museumsleiter und Kuratoren, dann die Besucher und Nutzer, diejenige bürgerliche Öffentlichkeit an deren Standing nicht nur Hubertus Gaßner zu zweifeln beginnt, und Beamte und Politiker, die sich als Treuhänder eines Auftrags und einer Idee begreifen müssten, und nicht nur als Organe eines etatistischen Zwangsvollzugs.

Erinnerung... (Texte im Museum 56)













Jüdisches Museum der Stadt Wien

Mittwoch, 19. Mai 2010

Museumskrise? Schließt das Freilichtmuseum in Stübing?

In ihrer heutigen Ausgabe berichtet die "Kleine Zeitung", daß das Freilichtmuseum in Stübing 300.000.- Euro zur Finanzierung fehlen. Da das Museum von einer Stiftung getragen wird, würde das die Auflösung der Stiftung bedeuten, wenn das Geld nicht aufgetrieben würde. Die Zeitung nimmt dabei den Bund in die Pflicht, mit der Argumentation Stübing sei ein Bundesmuseum.
Da der Artikel einen Tag vor der Kuratoriumssitzung erscheint, darf man annehmen, daß er lanciert wird, um die Verhandlungsposition des Museums und der Stiftung zu stärken.
Andrerseits wird von einem Besucherschwund um fast 50% berichtet, ohne daß ein Anhaltspunkt für Gründe gegeben wird und von einem kostenintensiven raschen Wachstum des Museums. Also doch eine strukturelle Krise, in der ein Museum in "Sparzwangszeiten" an seine "Grenzen des Wachstums" kommt?
Stübing wurde 1962 gegründet und 1970 eröffnet, in einer einmaligen Konstruktion. In der Stiftung sind alle Bundesländer vertreten und der Bund. Das Museum widmet sich auch nicht nur der ländlichen Baukultur der Steiermark, sondern der ganz Österreichs - einschließlich Südtirols. In dieser Kombination von Konstruktion und Inhalt kann man Stübing als das einzige Nationalmuseum Österreichs bezeichnen - auch wenn das so niemand tut. Ein Nationalmuseum, das, bezeichnend für die konservative Kulturpolitik der 60er-Jahre (der damalige Unterrichtsminister Heinrich Drimmel war treibende Kraft bei dem Projekt), das ländlich-bäuerliche, vorindustrielle Bild Österreichs propagierte und bis heute pflegt. Also dann doch eher ein Gesamtheimatmuseum als ein Nationalmuseum...

Dienstag, 18. Mai 2010

"Lassen Sie doch was hier...!" (Texte im Museum 55)



















Und noch einmal Dank an Andreas Grünewald-Steiger!

"Frau Minister...??". Das Ringen des Matthias Dusini um eine Antwort der für die Museen zuständigen Ministerin Claudia Schmied auf seine ausgefuchsten Fragen



Der kleine Matthias Dusini - Claudia Schmied - Quiz. Wie hat die Ministerin geantwortet?

1.

Dusini: Werden öffentliche Einrichtungen dazu verwendet, das Image fragwürdiger Privatpersonen (D. nennt Herbert Batliner) aufzupolieren?

Schmied:

a) Da müssen Sie Herrn Batliner fragen?

b) Ich hoffe nicht. Institutionen sollten genau prüfen, mit wem sie kooperieren

c) Als Kunstminsterin freut es mich grundsätzlich, wenn die Museen gemeinsam mit Privaten Kunst für uns alle zugänglich machen.

2.

Dusini: Das Mumok und die Alberten werden derzeit mit Beständen des Daimler-Konzerns bespielt. hat man sich so die Zukunft der Bundesmuseen vorzustellen?

Schmied:

a) Diese Frage zielt ins Herz der Kulturpolitik

b) Kunst mit allen - die Wege zur Kunst müssen breiter werden. Dieses Bekenntnis müssen wir gegenüber neoliberalen Tendenzen immer wieder erneuern.

c) Nein. Man kann nicht öffentliche Einrichtungen die Verfügung über die Museums- und Kulturpolitik überlassen

Das gesamte Interview: "Ich bin nicht allein am Minoritenplatz". Claudia Schmied über die Reform der Museen, die Verantwortung des Staates und das Risiko in der Politik. Interview: Matthias Dusini, in: FALTER, 19/2010, S.34/35 (nicht online).

Richtig ist:

1a und 1c; 2 a und 2 b

Post scriptum:


"Ein chinesisches Sprichwort sagt: „Glück ist ein Gut, das sich vervielfacht, wenn man es teilt.“
Die Übergabe der Sammlung von Rita und Herbert Batliner an die Albertina kann als Realisierung dieses weisen Spruchs gesehen werden.
Was zwei Menschen mit großer Liebe zur Bildenden Kunst gesammelt haben, wird hier zur Freude und Bereicherung für viele Menschen.
Picasso hat einmal gesagt: „Kunst wäscht den Staub des Alltags von der Seele.“
Reiner könnte die Seele nicht sein, als am Ende dieser Ausstellung".

Rede Bundesminister Claudia Schmied anläßlich der Eröffnung der Ausstellung der Sammlung Batliner in der Albertina. 28.5.2009. Webseite des Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur.

"Wurde auch Zeit!" (Texte im Museum 54)



Museum für Deutsche Geschichte, 1990 - eine weitere hochherzige Spende von Andreas Grünewald-Steiger.

Montag, 17. Mai 2010

Museumsbüchse der Pandora? Das neue Museum in Metz

Das eben eröffnete Centre Pompidou Metz hat wegen seiner ungewöhnlichen Architektur wieder einmal (wie so oft bei moderner Museumsarchitektur) aus den meisten Berichtererstattern (mehr oder minder geübte) Architekturkritiker gemacht.
Auch Marc Zitzmann setzt sich in der Neuen Zürcher Zeitung vom 14. Mai 2010 mit der Architektur auseinander, wirft aber einige museumspolitische Fragen auf.
Das Centre Pompidou Metz hat nämlich weniger mit seiner 'Mutterinstitution' zu tun, als man denkt. Als Museum ohne Sammlung greift auf die des Musée national d'art moderne zurück, wird aber nicht vom Staat, sondern regional finanziert und bestreitet sein Programm mit Wechselausstellungen.

"Ist es wirklich ein Akt der «kulturellen Demokratisierung», diese Werke in einer Provinzstadt zu zeigen statt in Paris, das – schon rein verkehrstechnisch – nach wie vor das Zentrum des Landes bildet?
Das Centre Pompidou Metz als (gebaute) Form und als (musealer) Inhalt lässt sich durchaus mit guten Argumenten verteidigen. Als kulturpolitisches Projekt allerdings öffnet es die Pandorabüchse – bereitet es doch Projekten den Weg, die fragwürdig sind (wie der Louvre Lens) oder schlicht skandalös (wie der Louvre Abu Dhabi)."

Zitzmann verneint das und kritisiert die Instrumentalisierung von Museen für Tourismus und Szandortpolitik mit großer Heftigkeit - und nennt das ein Öffnen der Büchs der Pandora. Zum Glück mit Fragezeichen...


Der Artikel: NZZ 14. 5. 2010

James Cook, die Südsee und wir im Museum

Als Kaiser Karl V. aus der Eroberung Amerikas stammende Objekte in Brüssel ausstellen ließ, war einer der Bewunderer Albrecht Dürer, der dem, was er sah – „so viel schöner anzusehen dann Wunderding“ -, Bewunderung entgegenbrachte und ihren Schöpfern Respekt als “subtilen Ingenia der Menschen in frembden Landen“.
Der Schock, der von der Fremdartigkeit des Nie-Gesehenen ausging, schlägt sich in der Suche nach einer geeigneten Sprache zur Bezeichnung der Dinge und ihrer Erfahrung nieder und in ihrer Ästhetisierung.
Wahrscheinlich wird es vielen Besuchern, die die im Wiener Völkerkundemuseum laufende Ausstellung „James Cook und die Entdeckung der Südsee“ besuchen, noch immer ähnlich gehen. Auch sie werden mit etwas konfrontiert, was einen weiten Zeitraum und eine große zeitliche Entfernung in jener eiegntümlichen Dialektik überbrückt, die Walter Benjamin mit den Metaphern „Spur“ und „Aura“ zu fassen versuchte. Mit dieser Dialektik zu arbeiten, das ist eine der besonderen und eigentümlichen Möglichkeiten des Museums.

Was Besucher in der Ausstellung zu sehen bekommen, ist weit weniger James Cook selbst (seine Person, sein Wirken als Seefahrer und Kartograph), denn die „Wunderding aus frembden Landen“. Jedenfalls ist es mir so gegangen. Nachdem der Pflichtteil der historischen Intrada (ich komme drauf zurück) hinter mir lag, schlugen mich rasch die wunderbaren Dinge in ihren Bann, die vielen Objekte, die die Kulturen bezeugen, mit denen man damals, vor über 200 Jahren, in Berührung kam und die nun in den vielen Schausälen des Museums ausgebreitet vor uns liegen liegen.
Werkzeuge, Geräte, Kleidung, Musikinstrumente, Schmuck, Kopfbedeckungen... Das meiste aus pflanzlichem Material gemacht, aus Vogelfedern, aus Haaren oder Knochen von Tieren, aus Muscheln und Schneckenhäusern, aus Holz, weniges aus Stein. Welch ein kunstvolles Ding kann ein Fliegenwedel sein, noch dazu, wenn seine feinen Perlmuttstückchen auch noch Klang erzeugen. Paddel sind nicht einfach plumpe Holzstücke, sondern elegant geformt und am Übergang zum verbreiterten Teil kunstvoll verziert. Kämme waren in Neuseeland offenbar ein Männerschmuck, aus Walknochen, hoch ins Haar gesteckt, waren sie auch ein Zeichen einer Würde, wenn ihr Träger nicht einfach nur Federn im geknoteten Haar stecken hatte. Angelhaken für den Haifischfang waren aufwendig und geduldig erzeugte, mehrteilige, grausam aussehende Werkzeuge; mit ausgehöhlten Kokosnüssen ließ sich Fruchtbrei herstellen, aus einem Kürbis ein tragbares Gefäß. Um bei der Arbeit nicht von der Sonne geblendet zu werden, flochten sich Frauen trapezförmige Schirmchen, deren schmälere Seite von einem Ring gebildet wird, den man auf den Kopf ziehen konnte. Eine Steinschleuder aus Pflanzenfasern ist ebenso kunstvoll, wie die Umhängetasche, in der man die ‚Munition’ (die Steine) mit sich trug.
Es sind zauberhafte Dinge, einfach, zweckmäßig, kunstvoll, aus schlichten Materialien, die man in manchmal sehr aufwendigen Verfahren verarbeitete, z.B. breitgeklopfte Fasern zu großen Kleidungsstücken. So ‚schön’ und ‚naturnah’ die Dinge erscheinen, ein romantisierendes Bild der Südsee bedienen sie nicht, das tun eher manche Bilddarstellungen der Expeditionsteilnehmer, die oft vor Ort, ebenso oft aber nach Skizzen und Notizen und sehr viel später entstanden oder sich völlig vom Gesehenen und Erreigneten entfernen konnten, wie etwa Johann Zoffanys Bild, das Cooks Tod als antike Tragödie erzählt.
‚Südsee-Romantisch’ kann der Eindruck auch deshalb nicht werden, weil die Objekte unprätentiös ausggestellt und knapp kommentiert werden, kontextualisiert von der wissenschaftlichen Tätigkeit der (ersten beiden) Expeditionen und der seefahrerischen Meisterleistung dreier welterweiternden Reisen.

Der Logistik dieser Reisen ist ein Teil der Ausstellung gewidmet. Während mir aufgeklappte Bücher, Fernrohre oder komplizierte Messinstrumente in Vitrinen herzlich wenig sagen, waren die multimedialen Informatione so hilfreich, mir immerhin das Gefühl zu vermitteln, als hätte ich (endlich) verstanden, wie man sich denn (zu jener Zeit) auf einem weiten leeren Meer ziemlich exakt orientieren und verorten konnte. Daß es schon so etwas wie Maggi-Würfel gab, Trockensuppe, die im Museum nicht grade appetitlich oder gesundheitsfördernd aussieht, und manch andere erstaunliche ‚Ergänzungsnahrung’, die erfolgreich typischen Mangelerkrankungen der Seefahrt vorbeugte, beeindruckte mich. Wenig, zu wenig erfährt man über die Interessen der Auftraggeber, über die mittel- und langfristigen Effekte der kolonisierenden Landnahme. Daß ein Mitglied der Expedition die erste Kolonie Strafgefangener in Australien gründete, habe ich in einer Zeitungsrezension erfahren, vielleicht in der Ausstellung überlesen. Daß die Bewohner grade der australischen Küsten wünschten, daß die Eurpäer rasch wieder verschwinden, wie Cook selbst notierte, hat die – wie wir wissen – bis heute nachwirkende Kolonisierung Australiens und die Beinahe-Ausrottung eines ganzen Kontinents nicht verhindert.
Stattdessen beschäftigt man sich mit dem zur damaligen Zeit auch durch Cooks Expeditionen erzeugten Südsee-Bild, das - zusammen mit Reiseberichten - viele dauerhafte Klischees erzeugte. Dankenswerterweise wird bei den meisten Gemälden und Zeichnungen angegeben, unter welchen Umständen das Bild entstand, ob vor Ort oder am Schiff oder womöglich Jahre später in London... Man hat so eine gewisse Chance, die Authentizität der Darstellung selbst abzuschätzen, aber die Komplexität der Beziehung, die da entstand, kann man so nicht einmal erahnen.
Welche Wechselbeziehung zwischen europäischem Vorurteil, Erfahrungen vor Ort und Nachwirkung in Gang gesetzt wurde, das kann man staunend zur Kenntnis nehmen, wenn man das Buch zur Hand nimmt, das der Teilnehmer der zweiten Expedition, Georg Forster verfasste. (A voyage round the worlds; 1777). Sein Text vermittelt einen durch und durch ebenso offenen, neugierigen wie anerkennenden Blick auf das Neue, vor allem auf die Menschen, die er trifft und kennenlernt. Alles was von der mitgebrachten Erfahrung abwich (und oft hart und tödlich von den Seefahrern bestraft wurde), sucht er vor dem Hintergrund seiner protodemokratischen Gesellschaftstheorie und einem aufgeklärten, egalitären Menschenbild zu verstehen und zu würdigen. (Forster war einer der konsequentesten Sympathisanten der Französischen Revolution, ein führender Kopf der kurzlebigen Mainzer Republik und deren Deputierter der Nationalversammlung in Paris). Selbst den - heute bezweifelten - Kannibalismus, auf den man zu treffen glaubte, suchte er zu verstehen und nicht zu verurteilen.

Der europäische Blick, die europäischen Interessen können sich repräsentieren. In Texten, Dokumenten, Büchern, Seekarten, Bildern. Dazu gibt es kein Äquivalent bei den ‚entdeckten’ Völkern. Ohne Schriftkultur bleiben nur ihre mehr oder weniger zufällig in europäische Museen gelangten Objekte als – sehr relative,  aber ja nie auf Dokumentation angelegte – Artikulationsmöglichkeiten. Nicht mal ein Dutzend von Zeichnungen, offenbar unter dem Einfluß europäischer entstanden, mögen kostbar und selten sein, die überragende Macht der eurozentristischen Repräsentation tangieren sie natürlich nicht.
Statt Nostalgie stellt sich im Ausstellungsraum eher Melancholie (als museumstypische Verstimmung) ein, denn wir werden mit Überlebseln verschiedenster Bevölkerungsgruppen konfrontiert, deren Relikte in – überwiegend europäischen – Museen überdauert haben, während ihre Erzeuger und Nutzer samt ihren Kulturen größtenteils untergegangen sind. Manche unmittelbar auf Grund ihrer ‚Entdeckung’, manche mit Zeitverzögerung aber indirekt ebenfalls durch die Kolonisierung. Mehr als 3000 Kilometer australischer Küste kartierte Cook und „nahm sie für die britische Krone in Besitz“ (Ausstellungstext). Das war einfach. Ein einseitiger „Rechtsakt“ genügte, wo es nötig war, durchgesetzt mit Gewehren, Pistolen und Schiffskanonen. Diese Waffen stellten eine Überlegenheit her, die jede zahlenmäßige der ‚Entdeckten’ zunichte machten.

Dürers Besuch der ausgestellten „Wunderding“, den ich eingangs erwähnte, interpretiert Stephen Greenblatt als Indiz eines ästhetischen Verstehens, das sich von einer bloßen Artikulation der Beziehung zu Macht und Reichtum zu emanzipieren beginnt. Ästhetisches Verstehen beruht für ihn generell auf der Abstraktion von Macht und Gewaltförmigkeit als Bedingungen des Erwerbs und Genusses (kulturellen) Reichtums. (Stephen Greenblatt: Resonanz und Staunen, in: ders.: Schmutzige Riten. Frankfurt 1991, S.224f.). Ich denke, man kann diese Überlegung auf die Ausstellung übertragen. Indem man Greenblatts These auf den Kopf stellt. Der ästhetische Genuss bringt dessen geschichtlichen und sozialen Bedingungen zum verschwinden. Er macht durch Ästhetisierung historische Ereignisse, mögen sie noch so katastrophisch verlaufen sein, angenehm konsumierbar, in einer wunderbaren, schönen Ausstellung, in der man kaum behelligt wird von zuviel analytischem Beiwerk.

Die Schau als Biografie eines Eroberers zu erzählen, der Cook symbolisch (bis heute) und materiell war, stellvertretend für eine europäische Großmacht, heißt, den Blick der Eroberung noch einmal aufzunehmen.  (Die Engländer hatten seit dem 16. Jh. einen Komplex, weil sie nichts richtiges entdeckt hatten; sie hatten nur Piraten. Dann kam endlich James Cook, den konnte man jetzt zumgrössetn Seefahrer aller Zeiten erklären, wie ihn eine Weltmacht brauchte. Leserbrief – in Originalortografie - zu einer Ausstellungsrezension). Der erste Blick im ersten Raum muß auf das großformatige Porträt Cooks fallen – es ist in der Raumachse, der Eingangstür gegenüber angebracht  -, das ihn mit einer seiner Seekarten zeigt auf die er mit besitzergreifender Geste weist.
Cook eignet sich für eine auf ihn bezogene Erzählweise, weil er, wie die Ausstellung uns sagt, im Kontext europäischer Aufklärung und der Wissenschaft verpflichtet, um einen von Respekt getragenen Umgang mit den ‚Einheimischen’ bemüht gewesen sein soll. Im allerersten Ausstellungstext wird er uns zudem als Aufsteiger aus ärmlichsten Verhältnissen – Sohn eines Taglöhners -, vorgestellt, der es dann zum berühmten Seefahrer, Entdecker, Kartografen gebracht hat, der unser Wissen um die Welt so unendlich erweitert hat und aus dem in einer Aufsteigergeschichte „ein Held der europäischen Besitznahme der Welt“ werden durfte, dessen Auftrag hinter der Wendung „geopolitische Interessen“ (Ausstellungstext) versteckt wird.
Schließlich ist die Kultur der polynesischen Inseln im rituellen Kanon musealer Aufmerksamkeit gegenüber der griechischen und römischen Antike,  der ägyptischen Hochkultur oder denen Altamerikas eindeutig deklassiert. Cook ist also auch ein Vorwand, um eine Kultur zu zeigen, deren "...objects in international museums have never been studied or published or visited...". (Jenny Newell)
Cook ist überdies so geeignet als Zentrum der gesamten Erzählung, weil er auch ein Opfer ist. Auf seiner dritten Reise wurde er unter Umständen getötet, für die es mehrere Versionen gibt. Ob es nun eine Identifizierung als Teil einer Zeremonie war, die die Einheimischen vornahmen oder einer jener Gewaltakte der Eindringlinge, der diesmla nicht wie so oft glimpflich verlief, Cook wurde - in den Augen seiner Auftraggeber - sofort zum Opfer von 'Unzivilisertheit' und 'Wildheit', die man den entdeckten Völkern zuschrieb und mit ihr die Eroberungen und Entdeckungen legitimierte.
Die Ausstellung strengt sich nicht besonders an, diese Erzähl- und Deutungsstruktur zu relativieren.
Cooks, von einigen näher vorgestellten Wissenschaftern und Künstlern unterstützte Welterweiterung und aufklärende Wissenserweiterung bildet die zentrale Legitimation um noch einmal die Geschichte der drei legendären Reisen zu erzählen, aber damit auch noch einmal in eurozentristischer Perspektive und wieder einmal unter weitgehender Ausblendung der Gewaltförmigkeit des Unternehmens selbst aber auch der des wissenschaftlichen Zugriffs auf das Fremde und die Fremden.
Dabei hätte die Ambivalenz dieses Unternehmens, als von Annektion, Unterwerfung, Beherrschung wie von wissenschaftlicher Neugier motiviert, genügend Gelegenheit geboten, das Museum einmal nicht nur metaphorisch als „Schule des Befremdens“ zu gebrauchen, sondern als Ort, an dem Fremdheit auch erst hergestellt wird, unter einem inszenierten Blick und einem formierten Interesse.
Sind nicht damals für uns immer noch ent-scheidende Bilder des Eigenen und Fremden entstanden, Strategien der Exotisierung und Distanzierung und der ent-fremdenden Aneignung? Hätte man, wenn man schon den aus jenen Jahren stammenden Begriff „Ethnologie“ kurz problematisiert, nicht mehr zur Wissenschaftsgeschichte machen können, oder zur Sammlungsgeschichte? Ein paar Objekte gibt es dazu, einige ‚außer Katalog’, als sei da jemandem im letzten Augenblick etwas ein- oder aufgefallen. Aber die Chance auf eine selbstreflexive Thematisierung der Bedingung der Ausstellung wird nicht wirklich versucht.
Da liegt in einer großen, technisch aufwenigen Vitrine ein großes Stoffstück, das trotz seiner konservatorischen Fragilität überdauert hat. Mitten auf den Stoff wurde ein Zettel befestigt, der offenbar inventarische Angaben enthält (es gibt mehrerer solcher Objekte in der Ausstellung). Hätte man nicht über die Würdigung der handwerklichen und ästhetischen Qualitäten des Objekts nicht auch dessen symptomatisches Exponaten-Dasein thematisieren können. Seine Transformation in den verschiedenen Etappen der Aneignung -  Tausch, Gabe (die Ausstellung vermittelt den Eindruck, als wäre alles freiwillig den Europäern übermittelt worden) -, Erfassung und Systemisierung durch die Expedition schon vor Ort (Listen, Tabellen, Zeichnungen etc., wie man sie in der Ausstellung sehen kann), Existenz in einer europäischen Sammlung oder Schaustellung, Funktion als ethnographisches Objekt der Wissenschaft oder des Museums...?
Das hätte helfen können, unseren heutigen Blick etwas auf Distanz zu bringen, zu differenzieren, etwas von der Komplexität und Fragilität des musealen Blicks wenigstens zu ahnen. Aber auf solche Feingriffe kommen Museen leider nicht, zumindest nicht in diesem Fall, es scheint eher um eine grobgestrickte ‚Sehenswürdigkeit’ zu gehen, um schnelles, einfaches Sehen und Bewundern.
Den Folgen der Cook'schen Expeditionen schenkt die Ausstellung bemerkenswert wenig Beachtung. Das gilt auch für den Katalog. Die jüngere Geschichte der Region, die Bemühungen um Widergewinnung ihrer Geschichte, die Rolle eigener Sammlungen und Museen werden, so weit ich sehe, überhaupt nicht thematisisert.
Cook war sich der Konsequenzen der europäischen Intervention bewußt und hatte eine klare Vorstellung davon, daß sich die Existenz der Völker, mit denenen man in Kontakt kam, dramatisch verändern würde. Noch radikaler als er hat Georg Forster den durch die Reisen ausgelösten Kulturschock, den man auslöste beschrieben und hellsichtig die katastrophische Zukunft beschrieben: „Es ist Unglücks genug, dass alle unsre Entdeckungen so viel unschuldigen Menschen haben das Leben kosten müssen. So hart das für die kleinen ungesitteten Völkerschaften seyn mag, welche von den Europäern aufgesucht worden sind, so ists doch wahrlich nur eine Kleinigkeit im Vergleich mit dem unersetzlichen Schaden, den ihnen diese durch den Umsturz ihrer sittlichen Grundsätze zugefügt haben.“

Die Ausstellung James Cook und die Entdeckung der Südsee ist im Museum für Völkerkunde in Wien noch bis 13. September 2010 zu sehen, vom 7. Oktober bis 2010 bis 13. Februar 2011 im Historischen Museum Bern.