Auf der
von Elena Messner und Peter Pirker veranstaltete Tagung
"Heeresgeschichtliches Museum neu" (20. und 21.Mai 2021, Literaturhaus
Wien) war Wolfgang muchitsch zu Gast. Er ist Leiter des Universalmuseum Joanneum und des Österreichischen Musuemsbund. Als Leiter der Kommission, die das Heeresgeschichtliche Museum evaluiert hat, kennt er dessen Situation genau und hat auch Einflüß auf den weiteren Prozess der Entwicklung des Museums.
Ich habe ihn gebten, seine Sicht der Dinge nach der Tgaung darszustellen - hier ist der Text.
Martin
Fritz hat mir vor wenigen Tagen sein klares Statement zu wünschbaren Optionen zur Verfügung gestellt. Auf der Tagung hat sich daraus eine kurze Kontroverse mit Wolfgang Muchitsch zum Leitbildprozess entwickelt. Hier der Link zum Statement von Martin Fritz. https://museologien.blogspot.com/2021/06/martin-fritz-ein-leitbildprozess-fur.html
Gottfried Fliedl
Wolfgang Muchitsch
Heeresgeschichtliches
Museum Wien - Wie könnte es
weitergehen?
Über die Kritik am Heeresgeschichtlichen Museum Wien
(HGM) wurde in den letzten Monaten vielfach in den Medien berichtet, wurden entsprechende
Kommissionen zur Evaluierung eingesetzt und deren Ergebnisse veröffentlicht[1] sowie
unter dem Titel #hgmneudenken öffentliche Diskussionen geführt.
Im Zuge dieses Prozesses hat die Kommission, der ich
angehört habe und
die erstmals ein österreichisches Museum in einer solchen Form überprüft hat, zu keinem Zeitpunkt die Existenz und Notwendigkeit des HGM
in Frage gestellt und auch keine Hinweise auf antisemitische, rassistische oder
rechtsextreme Inhalte gefunden, auch wenn fehlende Kontexte bei einigen
Objektgruppen Interpretationsspielräume bieten.
Einzelne Bereiche wurden positiv hervorgehoben, wie die international bedeutenden
Sammlungen, die Ausstellung zum Ersten Weltkrieg im Vergleich zu den übrigen
Ausstellungsteilen sowie die engagierte Arbeit der Kulturvermittler*innen und
die zahlreichen Angebote.
Gleichzeitig ist die vorgefundene Problemlage aber so
vielschichtig, dass man diese nicht mit einzelnen kosmetischen Interventionen
beheben kann, sondern nur mit einer Gesamtlösung, im Grund einer Neugründung
des HGM.
Wo liegen die
Probleme?
Zuallererst mangelt es an einem stringenten Gesamtkonzept, das die
Haltung der Institution, seine Visionen und Ziele widerspiegelt und aus dem
sich alle anderen Maßnahmen, Sammlungs- und Ausstellungspolitik, Zielgruppendefinition,
Vermittlungskonzepte etc. bis hin zur Organisationsstruktur ableiten lassen. Da
die im HGM zu verhandelnde Militärgeschichte untrennbar mit der politischen,
gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung des Landes vom
16. Jahrhundert bis in die Gegenwart verbunden ist, sollte ein solches Konzept
naturgemäß auch mit anderen musealen Einrichtungen abgestimmt werden.
Das nächste „Problem“ ist die Hülle des HGM: das kulturhistorisch
äußerst wertvolle Gebäude selbst und dessen Ausstattung, in dem ein inhaltliches
und politisches Programm in Stein gegossen wurde – Glanz und Glorie der
habsburgischen Armee und der Ruhm ihrer erfolgreichen Feldherren. Dieses
politische Programm des Gebäudes mit seiner unkommentierten Feldherren- und
Ruhmeshalle ist bis heute ungebrochen. Dementsprechend ist das Gebäude selbst
das erste Museumsobjekt des HGM, dessen politischer Inhalt zu dechiffrieren
ist. Dass das Gebäude einer umfassenden Sanierung und die räumlichen Funktionen
einer Bereinigung bedürfen, ist ebenso offensichtlich wie der Investitionsrückstau
in anderen Bereichen des HGM.
Ein weiteres „Problem“ sind die international bedeutenden
Sammlungen des HGM, die in weiten Bereichen auf den Hinterlassenschaften von
Offizieren, Feldherren und Mitgliedern des Hauses Habsburg aufbauen und daher
die heute zurecht geforderte Multiperspektivität nicht in sich tragen. Die
Perspektiven der einfachen Soldat*innen, der von Gewalt, Konflikten und Kriegen
betroffenen Zivilbevölkerung oder die der Gegner fehlen dementsprechend.
Ein zusätzliches Problem, das auch vom Bundesrechnungshof aufgezeigt
wurde, ist die Struktur, in der das HGM in das BMLV eingebettet ist. Ob das HGM
innerhalb des BMLV überhaupt richtig angesiedelt ist oder ob es nicht eher in
den Verband und damit die Kooperation der vom Bundesmuseen-Gesetz umfassten
Bundesmuseen aufgenommen werden sollte, ist eine immer wiederkehrende Frage.
Dass es sehr wohl möglich ist, auch innerhalb eines Verteidigungsressorts ein
kritisches und selbstreflexives Militärmuseum zu führen, zeigt das immer wieder
als Vorbild zitierte Militärhistorische Museum der Bundeswehr in Dresden. In
welchem Ministerium es schlussendlich auch angesiedelt ist, das HGM braucht,
neben den finanziellen Mitteln für die Umsetzung und den künftigen Betrieb
einer neue Gesamtlösung, jedenfalls eine Struktur, die größere wirtschaftliche
Freiheit und Kompetenzen beinhaltet, zumal dem HGM in § 31a (7) Forschungsorganisations-Gesetz
inhaltliche Weisungsfreiheit und organisatorische Autonomie zuerkannt wird.
Dementsprechend muss das bestehende Team breit aufgestellt und interdisziplinär
erweitert werden, um neben den anerkannten militärhistorischen und
waffentechnischen Expertisen auch andere Aspekte und Perspektiven der
Geschichts-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften in sein Programm und seine
Präsentationen einfließen lassen zu können.
Das bislang am intensivsten diskutierte
Problem des HGM sind sicherlich dessen über die Jahrzehnte entstandenen
ständigen Schausammlungen. Auch hier wird deutlich, dass ein Gesamtkonzept für
das Haus und seine Ausstellungen fehlt. Kritisiert wird außerdem der Mangel an
Multiperspektivität, die fehlenden Ansprüchen einer modernen Militärgeschichte,
die fehlenden Kontextualisierungen sowie die im Vergleich zur gesamten Ausstellungsfläche
von 7.300 m2 zu bescheidene Sonderausstellungsflächen von 115 m²,
was sehr viel über die Ausstellungspolitik eines Hauses aussagt. Die
Schausammlungen erwecken den Anschein, von Fachwissenschafter*innen für ein
Fachpublikum gemacht worden zu sein, haben vielfach den Charakter eines
Schaudepots mit einer Überfülle an Objekten ohne nähere Erklärungen und
Kontextualisierungen. Das HGM zeigt, wie Kriege vom österreichischen
Feldherrnhügels aus geführt wurden, aber nicht warum sie entstanden sind,
welche Auswirkungen und Folgen sie hatten und wie sie beendet wurden. Ruhm und
Ehre des Hauses Habsburg und seiner Heerführer stehen im Mittelpunkt, Siege
überstrahlen alles. Ursachen, Niederlagen und Gegner bleiben im Dunkeln,
Beutestücke werden als Siegestrophäen präsentiert und bestehende Feinbilder weitertradiert.
Wie könnte es weitergehen?
Ausgelöst von den zivilgesellschaftlichen und medialen Debatten
haben sowohl Bundesminister Thomas Starlinger (3. Juni 2019 bis 7. Jänner 2020)
als auch Bundesministerin Klaudia Tanner (seit 7. Jänner 2020) den dringenden
Handlungsbedarf erkannt und parallel zu einer laufenden Prüfung des
Bundesrechnungshofs externe Kommissionen sowohl mit der Überprüfung des Museumsshop-Sortiments
als auch der ständigen Schausammlungen beauftragt.
Der vorgelegte Bericht zu den Schausammlungen hat Bundesministerin
Tanner sowie die Verantwortlichen im BMLV mittlerweile aus meiner Sicht und
Wahrnehmung ernsthaft dazu bewogen, eine „große“ Lösung für das HGM anzustreben
und anzugehen, die sowohl eine Reform der Struktur, eine Erweiterung des Teams,
eine Generalsanierung der Liegenschaft als auch eine inhaltliche Neuorientierung
und darauf aufbauend Neuaufstellung des Museums beinhaltet.
Sosehr ich dem von Martin Fritz in der letzten Diskussion
vorgeschlagenen Prozess einer zivilgesellschaftlichen Neugründung einiges
abgewinnen kann, bin ich doch angesichts der aktuellen Rahmenbedingungen und
des im Augenblick gegebenen window of opportunity im Sinne einer realistischen
Lösung der Verfechter eines eher pragmatischen Zugangs.
Erste Schritte dazu sind neben der internen Reform der Struktur,
die mehr Autonomie und wirtschaftliche Spielräume eröffnet, die Einsetzung
eines breit aufgestellten internationalen Beirates, der der Ministerin sowie
vor allem der Leitung des HGM bei der weiteren Entwicklung kollegial und
konstruktiv kritisch beratend zur Seite stehen soll. Aufbauend auf einer internationalen
Ausschreibung des BMLV im Herbst, die den Willen zu einer Neuorientierung bzw.
Neugründung des HGM klar zum Ausdruck bringen müsste und von potenziellen
Bewerber*innen als Entscheidungsgrundlage für eine Bestellung Konzepte für die
mögliche Entwicklung des HGM einfordert, sollte eine neue Leitung des HGM
bestellt werden, der man in weiterer Folge auch unbedingt die Möglichkeit geben
muss, zwei bis drei Schlüsselposition mit Personen ihres Vertrauens zu
besetzen. Dieses neue Leitungsteam wäre gemeinsam mit den Mitarbeiter*innen des
HGM gefordert, in einem ersten Schritt unter der Einbindung möglichst vieler
Stakeholder und Initiativen sowie des Beirates ein Gesamtkonzept für das „HGM
Neu“ zu entwickeln, aus dem heraus sich alle weiteren Ziele und Maßnahmen
ableiten. Inwieweit – bis zur tatsächlichen Umsetzung eines neuen Konzeptes,
die schlussendlich einige Jahre benötigen wird – in bestehende
Ausstellungsbereiche interveniert wird bzw. Teile geschlossen werden, sollte in
der Entscheidung der künftigen Leitung liegen. Sinnvoll wäre es jedenfalls, die
vom BMLV bereits zusätzlich in Aussicht gestellten Mittel nicht in einzelne
kleine Reparaturmaßnahmen, sondern in die sorgsame Planung und Vorbereitung
eines „HGM Neu“ einfließen zu lassen. Zugleich muss sich das BMLV bewusst sein,
dass es sich dabei nicht nur um das spannendste, sondern wohl auch finanziell
größte Museumsprojekt des Bundes in den kommenden Jahren handeln wird. Ein
Vergleichswert wäre die nunmehr beginnende Neuaufstellung des Deutschen
Historischen Museums in Berlin, für die bei einer ähnlichen Dimension, aber bei
weiten vielfach besseren baulichen Infrastruktur über EUR 46 Mio. veranschlagt
sind. Es bleibt zu hoffen, dass die zur Umsetzung des Konzepts erforderlichen
Budgetmittel langfristig abgesichert zur Verfügung stehen und der politische
Wille dafür in den kommenden Jahren nicht verloren geht.