Mittwoch, 22. November 2017

Montag, 20. November 2017

Darf ein Museum ein Geheimnis bewahren. Sokratische Frage 27

Was für eine wunderschöne Frage! Eine sokratische, weil sie in viele Richtungen weist. Hier, im Weltmuseum, sind Objekte gemeint, die von ihren Nutzern und Herstellern als tabu angesehen wurden und eigentlich nicht gezeigt werden sollten.

Der Museumsblick

Lewis Mazzatenta: Museum tourists admire an enormous carving of Pharaoh Ramses II in Egypt, April 1991

Aufbruch oder Ende des Museums? Walter Grasskamp gegen Wolfgang Ulrich

Die Veranstaltung des Museumsbundes in Linz zur Zukunft des Museums, Museum 2061, wurde von zwei Statements eingeleitet, wie man sie sich gegensätzlicher kaum vorstellen kann.
Walter Grasskamp stellte dem Museum die Diagnose “Verlust des Bildungsauftrages”, während Wolfgang Ulrich allerorten Aufbruch sah und von einer bis dahin ungeahnten “Öffnung” des Museums sprach.
Walter Grasskamp fällt keine leichtfertigen Urteile. Ich schätze ihn schon lange als fundierten Analytiker, der sich auf die genaue Kenntnis der Museumspraxis stützt. So auch diesmal, als er eine lange Liste von Veranstaltungen in Museen abarbeitete, die allesamt nichts und nur noch wenig mit der Kernaufgabe des Museums zu tun hätten.
Ich konnte ihm dabei gut folgen, denn mir fällt es nicht schwer selbst so eine Liste aus Badespaß, Kindergeburtstag, Picknick im Grünen, Bastelstunden oder Führungen für Nackte zusammenstellen.
Auffallend ist, daß Museen vermehrt Projekte anbieten, die man eher im Sozialbereich erwarten würde. So wenn es Angebote für spezielle Behindertengruppen gibt oder wenn derzeit allerorten Formate für oder mit MigrantInnen angeboten werden. Hier kann man nur im Einzelnen abwägen, wie weit so etwas noch oder nicht mehr Museumsaufgabe ist. Wie weit das Museum neue und sinnvolle Aufgaben erschließt oder schlicht seine Kompetenz überschreitet. Doch auch das ist eher ein Krisensymptom, eine Suche nach neuer Legitimation und Anerkennung jenseits des Gewohnten.
Wolfgang Ulrich dagegen stützte sich auf programmatische Äußerungen von Museen, auf die neueste Entwicklung in der Museumsarchitektur und auf ähnliche Veranstaltungstypen, wie sie Walter Grasskamp für seine Argumentation herangezogen hat. Doch er ortete eine Zuwendung zum Publikum in vielfältigen neuen Formen.
Ulrichs Ausrufung eines goldenen Zeitalters der Museen hat mich deswegen verblüfft, weil gerade er einer der schärfsten Kritiker des Kunst- und Museumssystems ist.
Auf das Podium zum Kommentar geladen, dachte ich deswegen einen Moment, die beiden Museumsanalytiker hätten sich bei der Anreise im IC auf eine Rollenverteilung a la “guter Cop, böser Cop” geeinigt oder Wolfgang Ulrich hatte uns eben eine paradoxe pädagogische Intervention zugemutet.
Wie auch immer, ich denke, die beiden Befunde bilden gar keinen Gegensatz, sie sind zwei Seiten derselben Medaille. Sie sind zwei mögliche Betrachtungsweisen ein- und derselben Sachverhalte.
Von Sachverhalten, die sich bereits in den 60iger-Jahren abzuzeichnen begann: “Nach der Proklamierung des Museums als Dienstleistungsbetrieb Ende der sechziger Jahre", schrieb Ekkehard Mai in einem Essay der Neuen Zürcher Zeitung, "nach 'Sinnsuche', 'Sozialrelevanz' und 'Legitimationsnachweispflicht'  hat sich erst schleichend, dann ganz offen eine neue Dimension des Museumswesens eingestellt. [...] Das Museum als Teil der marktwirtschaftlich konditionierten Erlebnisund Unterhaltungsindustrie ist zunehmend völlig ephemer geworden, der Grundlagenarbeit enthoben und der puren Akklamation des Publikums im Wettbewerb von Brot und Spielen ausgesetzt." (1)
Man mag Mai nicht unbedingt in seinem Kulturpessimismus folgen, aber die analytisch schärfer formulierende Rosalind Kraus kommt zu einem ähnlichen Schluß: Die Krise der Museumsgesellschaft ist weitgehend ein Resultat der marktwirtschaftlichen Orientierung der 80er Jahre. Die Vorstellung vom Museum als Sachwalter des öffentlichen Erbes ist der Vorstellung vom Museum als einem Unternehmen mit sehr gut vermarktbaren Beständen und mit Expansionsgelüsten gewichen.“ (2)
Man erinnere sich an diese Zeit, als man nicht mehr ins museumsnahe Café gehen musste, sondern im Museum selbst kulinarisch bestens versorgt wurde, als die ersten eigenen Abteilungen für Museumspädagogik geschaffen wurden, als die ersten Museumsshops entstanden und nicht nur spröde wissenschaftliche Kataloge verkauften, Coffe-table-books, Nippes, Spielsachen für Erwachsene oder auch schon mal Teddybären im Klimt-Design.
Die Euphorie Wolfgang Ullrichs gilt einer konsumistischen Öffnung, die den Besucher tendentiell bereits als mathematischen Wert in der Besucherstatistik sieht und als zahlenden Kunden weit mehr denn als Bildungsbürger. Viele der Öffnungen, die Ullrich anführte, finden wir überall dort, wo sich Museen bereits  konsequent als Dienstleister ausrichten und die Kunst des Marketing oder der Kundenbindung ebenso geschickt nutzen, wie Handelsketten oder Medienkonzerne.
Welchen drohenden Verlust sieht dagegen Walter Grasskamp auf die Museen zukommen?
Museen waren zu Beginn Orte bürgerlicher Emanzipation und Repräsentation, im Grunde Medien liberaler Öffentlichkeit, in der Subjekte sich politisch teilhabend und die Gesellschaft als demokratische formierten. Den Traum vom aufgeklärten, kritischen und an den öffentlichen Angelegenheiten aktiv beteiligten Citoyen, der an den öffentlichen Angelegenheiten im Interesse des Allgemeinwohls teilhat, verstehe ich als Essenz dessen, was das demokratische Museum als Bildungsinstitution ausmacht. Von nicht weniger als der „Humanisierung der Nation“ sprach der Philosoph Hermann Lübbe in seiner Analyse des königlichen Museums in Berlin. Alle frühbürgerlichen Museen teilen in der ein oder anderen Form diesen Traum. Die Frage ob Walter Grasskamp recht behält, daß dieser Traum ausgeträumt ist, oder Wolfgang Ulrichs optimistische Deutung der Hyperaktivität der Museen stimmiger ist, ist also keine Geschmacksfrage im Abwägen zwischen zwei Argumentationslinien. Das ist schon eine kritische Weggabelung. Nur - merken das die Museen überhaupt?

Erschienen in: neues museum, Oktober 2017; Nr.17-4, S.130-131



[1] Ekkehard Mai: Museums-Transfer. Strukturwandel einer erfolgreich verloren gegebenen Institution. Neue Zürcher Zeitung Montag 17. Juli 1995, Seite 21. Mai setzt fort: "Das zur bloßen Mehrheitsfrage rudimentierte Politikverständnis von Demokratie, die sich mehr und mehr nach Wahl‑ und Haushaltsperioden unter sozialen und wirtschaftlichen Aspekten vor allem 'rechnen' lassen muß, hat nicht das Selbstwert‑, sondern vor allem das Funktionsverständnis zum A und O erklärt."
[2] Rosalind Krauss: Die kulturelle Logik des spätkapitalistischen Museums, in: Texte zur Kunst, 2.Jg., Nr.6, Juni 1992 S.131ff., hier S.135

Warum hat der Biber orange Zähne? (Texte im Museum 641)

Niederösterreich-Museum. 2017. Foto: GF

Wohl der Nymphensittiche (Texte im Museum 640)

Gesehen in der Ausstellung Naturgeschichten. Spuren des Politischen. MUMOK. 2017 Foto: GF

Licht an! (Texte im Museum 639)

gesehen im Wiener Volkskundemuseum, Foto GF

Alles was man über Geier wissen muß (Texte im Museum 638)

Naturhistorisches Museum Wien, 2017. Foto: GF

Montag, 6. November 2017

Repression/Partizipation. Eine weitere Anmerkung zur Farce der Bestellung einer neuen Leitung am steirischen Landesmuseum

In den noch nicht ganz zehn Jahren, in denen ich diesen Blog betreibe, ist es erst ein Mal vorgekommen, daß Posts in kurzer Zeit derart häufig abgerufen wurden wie die beiden, die ich zur "Farce" (Kleine Zeitung) der Bestellung einer neuen Leitung des Universalmuseum Joanneum verfasst habe.
Der vom 31. Oktober hatte innerhalb von 24 Stunden mehrere hunderte "Besuche" ("Politik und Museum. Am Beispiel der "Farce" um die Bestellung einer neuen Leitung des Universalmuseum Graz", hier nachzulesen), und auch der frühere wurde weit überdurchschnittlich oft abgerufen ("Universalmuseum Joanneum Graz. "Parteienenschacher". "Farce". "Postenproporz", 22.Oktober, hier nachzulesen).

Die Statistiken, die der Blog automatisch erstellt, geben kaum Auskunft über die Zusammensetzung der "Leser", außer daß diesmal, wenig überraschend, überproportional viele aus Österreich kamen und kommen. Was die "Leser" erwarten,  und wie sie reagieren, das läßt sich nicht einmal erahnen.

Gut möglich, daß auch MitarbeiterInnen des Joanneum dabei sind, denn immerhin hat das derzeit knapp an die vierhundert davon, und es sind, wie man unschwer erfahren kann viele davon betroffen, beunruhigt und auch empört.

Artikuliert wird dieser Unmut sicher nicht in der Öffentlichkeit. Einerseits verpflichten interne (fragwürdige) Regelungen MitarbeiterInnen zur Verschwiegenheit, was interne Angelegenheiten angeht. Und das selbst in diesem Fall, wo ja nichts mehr "intern", sondern durchaus öffentlich ist. Wie viele Museen auch hat auch das Joanneum eine sehr strikte hierarchisch Organisationen, der Leitung viele Möglichkeiten in die Hand gibt, interne Diskussionen zu steuern oder gar einzudämmen und im Einzelfall zu unterbinden. Ich kenne aus meiner Zeit am Joanneum einige einschlägige Vorfälle und war selbst Objekt ziemlich willkürlich-zufälliger Repression am Rande der Entlassungsdrohung.


Das Joanneum hat es ja geschafft, seine Leiterin der Personalverwaltung auf eine Weise loszuwerden (ich glaube 2010 war das), die diese selbst mir gegenüber als Mobbing bezeichnet hat. Wenn es um Machtfragen geht, lassen solche Organisationen nicht mit sich Spaßen und das hohe Risiko, den Job zu verlieren, geht niemand so schnell um idealistischer Motive willen ein.


Nein, die Belegschaft hat keine guten Karten, sich in die öffentliche Diskussion - sofern die überhaupt weitergeführt wird -, einzuschalten. Etwa in eine Diskussion, die weiterköchelt, weil die FPÖ eine Neuausschreibung der Joanneums-Leitung gefordert hat.

Eigentlich wäre es schon aus ganz praktischen Gründen hoch an der Zeit, MitarbeiterInnen an Informationen und Entscheidungen umfassend zu beteiligen, ihnen große Verantwortung zu übertragen und Loyalität über Identifikation mit gemeinsam entwickelten Zielen in kooperativen Projekten zu erzeugen und nicht durch ein repressives Klima und dann auch mal durch Zwang.


Hunderte Mitarbeiterinnen vom öffentlichen Diskurs in eigner Angelegenheit und Verantwortung nach Möglichkeit fernzuhalten, gerade dort, wo sie betroffen sind, widerspricht rechtlichen und demokratischen Grundregeln. Das ist so banal, daß ich mich fast geniere, das hinzuschreiben.

Am Österreichischen Museumstag 2017 hat eine Teilnehmerin in einem Arbeitskreis, in dem wir auf das Thema zu sprechen kamen, eine rabiate wie bedenkenswerte Formulierung gefunden: Partizipation - ein Modewort, das Museen gerne vollmundig in den Mund nehmen -, kann es nur geben, wenn es zuvor Partizipation im Museum (ich verstehe darunter weit mehr als nur gewerkschaftliche Mitbestimmung) gibt. Davon ist das Joanneum, und nicht nur das, weit entfernt.

Sonntag, 5. November 2017

Saurier-Restitution


In der FAZ berichtet der Afrikanist Holger Stoecker über ein Projekt Berliner Museen, die den Erwerb eines Dinosaurierskeletts im Berliner Naturkundemuseum untersuchen. Gefunden wurde das Skelett Anfang des 20. Jahrhunderts im damaligen Deutsch-Ostafrika. Heute gibt es Gruppen in Tansania, die es zurückfordern. Die Regierung in Tansania will das allerdings nicht, so Stoecker: "Es bestätigt sich damit das Bild aus anderen Restitutionsprozessen: Marginalisierte Gruppennutzen Rückgabeforderungen, um sich politisch zu organisieren und ihre Position im gesamtgesellschaftlichen Gefüge zu stärken. Nicht selten geraten sie dabei in eine offene Kontroverse mit ihren Regierungen. Im Juni 2017 erteilte die Regierung Tansanias durch den stellvertretenden Minister für natürliche Ressourcen und Tourismus, Ramo Makani, den Rückgabeforderungen eine Absage." Der Grund: Tansania könne das Skelett weder sachgerecht aufbewahren noch ausstellen. Die Regierung hätte lieber deutsche Unterstützung bei der Ausbildung eigener Archäologen und bei eigenen Ausgrabungen.

Dienstag, 31. Oktober 2017

Politik und Museum. Am Beispiel der "Farce" um die Bestellung einer neuen Leitung des Universalmuseum Graz

Wenn die KLEINE ZEITUNG die Umstände der Berufung einer neuen Leitung des Universalmuseum als "Farce" bezeichnet, dann ist damit eine "Parallelaktion" von formeller Ausschreibung und Anhörung einerseits und der - zeitlich dem weit vorausliegender -, Vorentscheidung durch die Politik andrerseits gemeint. Inzwischen hat die mit Abstand wichtigste steirische Zeitung das Thema noch einmal aufgegriffen, ausgerechnet in der Sonntagsausgabe und mit einer Schlagzeile auf Seite eins. (1) (hier und hier).

Wenn man mal etwas auf Distanz zu den Details geht und die rein personalpolitische Bewertung (etwa die Frage nach der Qualifikation der Betreffenden) kurz beiseite schiebt, bleibt ein Signal der verantwortlichen Landespolitiker übrig, das man salopp, aber sicher nicht unzutreffend so zusammenfassen kann: Die Institution, ihr Auftrag, ihr Image sind uns herzlich egal, was zählt ist, daß wir "unsere Leute" unterbringen.  (Vgl. den Post vom 22.10.2017 zu diesem Aspekt). 


Es gibt viele Ebenen, auf denen die Politik auf Museen Einfluß nehmen kann. Die wichtigste ist die der Finanzierung. Mit der Entscheidung über die Höhe des Museumsbudgets hat die Politik den mächtigsten Hebel, ins Museum einzugreifen, den Spielraum zu bestimmen, den das Museum etwa bei Ausstellungen oder Personal oder Projekten hat. Wie das aktuelle Beispiel zeigt, ist Personalpolitik der zweite große Hebel, zumal die Bestellung der Leitungsfunktion(en). Aber es wird auch direkt interveniert, wenn es um Personalwünsche auf der Ebene unterhalb der Leitung geht oder um Einstufung innerhalb der Hierarchie, also um "Beförderung" oder Zurücksetzung. So griff ein Landesrat vor Jahren massiv in das Organigramm des Joanneum ein und verband das mit gleich mehreren personellen Verschiebungen. Eine Variante ist das "Verschieben" von Parteien nahestehenden Personen, für die sich keine andere "Beschäftigung" finden ließ. Die bekommen Alibi-Agenden oder parken gutbezahlt als "Weisse Elefanten".

Die Politik besetzt schließlich die diversen Gremien, Aufsichtsräte, Kuratorien, Beiräte. In Land und Stadt geschieht das in der Steiermark nach dem Proporz. Jede Wahl hat Auswirkung auf die Gremien. Nur im glücklichsten Fall zählt hier Kompetenz vor Parteinähe oder -mitgliedschaft.
Und es gibt schließlich auch den direkten Einfluß auf das Programm des Museums bis hin zum Wunsch, ein bestimmtes Ausstellungsthema zu realisieren.
Es liegt auf der Hand, wie vielfältig der Schaden einer solchen Museums"politik" ist.

Statt ins Detail zu gehen oder Beispiele zu nennen, möchte ich aber noch grundsätzlicher werden. Es gibt drei Gruppen, die in dieses politische Spiel verwickelt sind. Erstens die Politiker, die ihre Macht ausagieren und u.U. durch ihre Ein- und Übergriffe verfestigen oder ausweiten wollen. Zweitens das Museum, namentlich die Museumsleitung, die in aller Regel, vor allem bei großen Museen, mit dem Ausbalancieren von Museumsarbeit einerseits und politischen Wünschen andrerseits beschäftigt sind und drittens die Besucher, die in diesem Spiel keine Rolle haben und sich nicht artikulieren können. 

Selbst dort, wo es Museumsvereine gibt oder Beiräte, haben die kaum Einfluß auf das Museum oder sind selbst von einer breiteren öffentlichen Artikulation von Wünschen und Interessen abgekoppelt.

Anders formuliert: es geht um das Verhältnis von Staat - Gesellschaft - Institution. Im Grunde sind Museen wohlfahrtsstaatliche Einrichtungen, die Gesellschaftsziele verwirklichen. Der Staat nimmt diese Interessen treuhänderisch über (Steuer)Finanzierung und Verwaltung wahr. Aber der eigentliche "Interessent", die (Zivil)Gesellschaft, kommt in dem Spiel nicht vor, hat keine Möglichkeit der Vertretung ihrer Interessen.


Historisch war das schon mal ganz anders. Viele frühen Museumsgründungen (also seit dem späten 18.Jahrhundert) sind bürgerliche, zivilgesellschaftliche Gründungen mit einschlägiger Trägerschaft, etwa in Form von Vereinen. So kommt die Trägerschaft des Joanneum 1811ff. aus dem Bürgertum, überdies aus einem eher radikaldemokratischen Milieu. Diesen Umstand übersieht man in dem speziellen Fall gerne, wegen der überdeterminierten Figur des Gründers, Erzherzog Johann, ein Mitglied der Kaiserfamilie und des Hochadels.


Derartige Trägerschaften erlauben die direkte Artikulation gesellschaftlicher Interessen ohne jeden Umweg und ohne jede Verwässerung und oft im Widerspruch zu den staatlich-politischen. Das Joanneum ist bis 1848 mit seinem Leseverein ein Medium - argwöhnisch von der Zensur beobachtete - subversiver Öffentlichkeit. Indem die im ständisch besetzten Tärgergremium aktiven Bürger nicht bloß ihre individuellen Bedürfnisse verfolgen, sondern allgemeine Interessen, agieren sie politisch. Denn in ihrer Verantwortung für das gesellschaftliche Gemeinwohl arbeiten sie nicht nur den Interessen des Demos, das heißt des Staatsvolkes zu, sie sind es selbst gerade durch ihr Engagement im und für das Museum, insofern sie allgemein Interessen öffentlich artikulieren. Ja mehr noch, sie werden dadurch selbst zum Demos, agieren nicht als Bourgeois sondern als Citoyen.


Politik und Demokratie sind keine dem Museum äußerliche Eigenschaften, sie sind der Kern der aufklärerischen, bürgerlichen und europäischen Museumsidee. Sicher, man kann dem Museum diese Eigenschaften nehmen, sie schwächen oder zerstören. Und das ist, so denke ich, genau dann der Fall, wenn das Politische des Museums durch staatliche oder Parteipolitik angegriffen und ersetzt wird.


Berufungsverfahren laufen oft so, wie das eben beim Universalmuseum Joanneum geschehen ist, nicht nur bei Museen, nicht nur bei Kulturinstitutionen. Aber speziell beim Grazer Joanneum bricht das Verfahren einer parteipolitischen Besetzung mit einer sehr langen Tradition demokratischer Kultur und schädigt das Museum, gerade dieses, bis ins Mark. Die einst ständisch-bürgerliche (Selbst)Verwaltung des Museums ist in einem langen Prozess bis heute auf ein Kuratorium ohne wirkliche Agenda zusammengeschrumpft und den diversen, Abteilungen zugeordneten Museumsvereinen hat der Steirische Rechnungshof erst jüngst relative Sinnlosigkeit attestiert. 


Was diese Berufung so besonders macht ist, daß sie in einem tief von demokratischer Tradition geprägten Museum erfolgt. Die Einsetzung einer neuen Leitung unter den geschilderten und von der Kleinen Zeitung scharf kritisierten Bedingungen, ist in der Geschichte des Joanneums der einzigartige Fall eines ostentativen Verzichts. Des Verzichts, dem Museum ein Ziel zu geben, eine Aufgabe zu stellen. Die könnte und müsste immer eine im Interesse des Demos sein, der Gesellschaft. Indem man das verweigert, um eine mehrfach fragwürdige Personalie im Parteinschacher auszudealen, zerstört man den ideellen Kern des Museums - und, ich bin mir sicher, das mit auch gravierenden praktischen Folgen.


Gibt es da einen Hoffnungshorizont? Kaum? Denn dazu müßten sich die strukturell "Ausgeschlossenen", das Publikum, artikulieren. Dafür gibt es, auch anderswo, kaum Beispiele, kaum Erfahrung. Und ein Medium wie die lokal wichtige Kleine Zeitung repräsentiert - vielleicht auf einige Zeit und durchaus in bemerkenswerter Verantwortung - eher ihre eigene Auffassung, aber kaum, aus Mangel an schon öffentlicher Artikulation, eine kulturpolitisch selbstbewusste Zivilgesellschaft.


Oppositionelle Stimmen aus der Politik gibt es nicht, bis auf die "Grünen", die das Thema entdeckt haben, nachdem das Kind tief im Brunnen war. Wie verkorkst die Situation ist, ermißt man daran, daß die zwingende Lösung durch eben die Politik hergestellt werden müßte, die den Schaden verursacht hat und kein Interesse daran hat, ihre Macht auch nur um Millimeter aufzugeben. Die Lösung kann nur, so utopisch das angesichts der "systemischen Realverfassung"  das klingt, in einer Wiederherstellung der zivilgesellschaftlichen Verfügung über "ihr" Museum sein. Apropos: Die Sammlung gehört schon "uns", sie befindet sich im Eigentum der Bewohner des Landes. Der Einfluß der sogenannten öffentlichen Hand, also der Landespolitik, müsste auf ein Minimum reduziert werden, auf Kontrolle der angemessenen Verwendung der (Steuer)Mittel. Alles andere, einschließlich der Berufung leitender Mitarbeiter, der Entwurf eines mission statements, die Ausarbeitung eines Arbeitsprogrammes, Entwicklung partizipatorischer Ptojekte, die große und auch marginalisierte Gruppen einzubeziehen hätten usw. gehört in eine zu schaffende "Agenda Zivilgesellschaft"..


Oder kommt da etwas anderes? Der - wiederbestellte - Leiter des Museums, Wolfgang Muchitsch, hat in seiner Funktion als Leiter des Österreichischen Museumsbundes eine Offensive "Los von der Politik" angekündigt. Also?!


   


(1) Ernst Sittinger, Redakteur der Kleinen Zeitung, am 29.10.2017: "Wieso muss der Finanzchef eines Museums ausgerechnet Kulturmanagement studiert haben und gut vernetzt mit Schulen sein? So stand es nämlich in der Ausschreibung für den kaufmännischen Geschäftsführer im Universalmuseum Joanneum. Und siehe da, eine SPÖ-Funktionärin machte das Rennen. Sie hat, oh Wunder, Kulturmanagement studiert. Und als Vizepräsidentin des Landesschulrats hat sie – glückliche Fügung – gute Kontakte zu Schulen. Und, drittes Wunder, ihr Wechsel schafft neue Perspektiven für eine ÖVP-Frau."

Sonntag, 22. Oktober 2017

Museumsgütesiegel. Die ausgezeichneten Museen Österreichs

Auf der Webseite des Museumsbundes liest man:
"In Österreich ist der Begriff Museum rechtlich nicht geschützt und an keinerlei Auflagen gebunden. (...) Der Museumsbund Österreich hat gemeinsam mit allen mit Museumsangelegenheiten befassten regionalen Einrichtungen in den Bundesländern die Museumsregistrierung entwickelt, um Museen (...) von anderen kulturellen, museumsähnlichen Institutionen und Einrichtungen zu unterscheiden."
Der Museumsbund listet derzeit 743 Museen auf, die registriert sind und seinem Selbstverständnis nach tatsächlich Museen sind.
Gleichzeit zeichnen der Museumsbund und ICOM Österreich alljährlich besondere Museen aus, am Österreichischen Museumstag 2017 kamen eben sechs neue hinzu.
Insgesamt gibt es 254 mit dem Gütesiegel ausgezeichnete Museen. Das sind mehr als ein Drittel aller (registrierten) Museen.
Auch das Heeresgeschichtliche Museum hat ein Gütesiegel.
Das Kaiserjägermuseum hat ein Gütesiegel.
Das Museum auf der Schattenburg in Feldkirch hat eins.
Um nur die allerbesten zu erwähnen.
Österreich muß ein Museumswunderland sein.
Da das Gutesiegel seit Anfang 2000 verliehen wird, dürften um 2060 alle österreichischen Museen bestätigtermaßen qulitätvoll sein.
Wie das geht? Indem man verschieden, umfangreiche Formblätter ausfüllen läßt und eine Frage ausläßt: Worin besteht die "Güte" der Museen? Worin besteht - in der Innensicht, in der Beurteilung von außen, deren Qualität?

P.S.:
Kein Museum nach Richtlinien. Aber meinem (und nicht nur meinem) Urteil nach, eine der besten historischen Ausstellungen Österreichs: Das Franz Michael Felder Museum im Vorarlberger Schoppernau. (Foto G.F.)
Kein Museum meiner (und vieler andrer auch) Meinung nach, sondern ein politisch-ideologisch fragwürdiger, museologisch unakzeptabel veralteter , von militarismus, Opferbereitschaft und heroischer Männlichkeit geprägter Ort. der besser heute als morgen geschlossen gehörte, aber der Einschätzung von ICOM Österreich und Museumsbund überdurchschnittliche Qualität hat: das Kaiserjägermuseum am Berrgisel. (Foto: G.F.)

Universalmuseum Joanneum Graz. "Parteienenschacher". "Farce". "Postenproporz"

Der Kulturressortchefin der "Kleinen Zeitung", Ute Baumhackl, muß der Geduldsfaden schnalzend gerissen sein. 
In mehreren kurz hintereinander erscheinenden Artikeln machte sie darauf aufmerksam, daß die beiden Leitungspositionen des ehemaligen Landesmuseums, jetzt: Universalmuseum in Graz längst feststünden (ich ergänze aus eigenem Informationsstand: mindestens seit dreieinhalb Monaten), aber dennoch ein Hearing stattfinde, Eine "Farce" (U.B.), an der sich eben darum auch kaum wer beteilige.

Der Ärger von Frau Baumhackl wird schließlich so groß, daß sie Namen nennt und den parteipolitischen Deal. Der sieht so aus: "...die kaufmännische Geschäftsführerin stand angeblich schon lange vor den Hearings fest. Es ist die Ex-SP-Kultursprecherin im Landtag, Alexia Getzinger. Ursprünglich sollte sie nach halber Legislaturperiode die VP-Landesschulratspräsidentin Elisabeth Meixner ablösen. Die will nun aber 2018 Bildungsdirektorin werden, für die ausgebildete Kulturmanagerin Getzinger gab es einen Deal zwischen SPÖ und ÖVP – was die „rote“ Doppelspitze“ im UMJ erst möglich machte." (U.B. in der Kleinen Zeitung, 19.10.2017)

Und weiter: "Die schönen Worte über die historische und kulturelle Bedeutung des Joanneums kann sich die steirische Politik jetzt aufzeichnen: Sie verliert jede Glaubwürdigkeit, wenn sie zum Schein Hearings zur dessen künftiger Leitung durchführt und ihr Ausgang längst feststeht."
Während es ehedem einen  wissenschaftlichen Leiter gab (Wolfgang Muchitsch) und einen Intendanten (Peter Pakesch), gibt es jetzt neben dem wissenschaftlichen einen kaufmännischen Leiter. Aus eigener Wahrnehmung füge ich hinzu, daß in Wirklichkeit diese Aufteilung wenig bedeutet hat, beide Leiter agierten eigentlich immer in fast allen Aufgabengebieten, wenn auch mit unterschiedlicher Intensität. 

Eine Doppelspitze gab es ja seit 2003 nicht wegen der Aufgabenfülle und -teilung, sondern als "großkoalitionäre" Leitung, die ÖVP und SPÖ unter sich ausmachten. Daß nun der ÖVP ihre "Parteisoldatin" (U.B.) so viel wert ist, daß sie zuläßt, daß das Museum von zwei "Roten" regiert wird, pardon, geleitet, ist schon beachtlich. Dabei macht die Bestellung zweier Leiter m. M. nach in diesem speziellen Fall, keinen Sinn. Man könnte sich die teure Stelle buchstäblich ersparen.
Der Deal ist ein rein parteipolitischer, deshalb bedarf er der Camouflage, die aber endgültig mit der Aufklärung in den Artikeln von Frau Baumhackl zur Farce geworden ist, und wie! Denn in der Auswahlkommission sitzt niemand, der je ein Museum geleitet oder eine Ausstellung produziert hat, niemand aus Restösterreich und schon gar niemand aus dem Ausland. Wozu auch?

Mit diesem Agieren signalisieren beide Parteien, daß die einzige Maxime ihres Handelns die Platzierung "ihrer" Funktionäre auf lukrative und repräsentative Positionen ist. Und daß es keine inhaltlichen und strategischen Kriterien mehr gibt. Damit bringt man eine Kulturinstitution wie ein so großes Museum um. Es gibt keine Ansprüche mehr seitens der Politik, keine Vorstellung davon, wozu dieses Museum gut ist. Das schlägt voll in die Institution durch: Mit der unglücklichen Entscheidung, sich "Universalmuseum" zu nennen (weltweit nennt sich - wohlweislich - kein Museum so), kassierte man die Agenda "Landesmuseum". Man kann es an vielen Orten des Museums sehen, was das bedeutet, in der identitätspolitischen Ausrichtung eine Leerstelle zu lassen, etwa am jüngst eröffneten sogenannten Geschichtsmuseum. 
Das ist in Wirklichkeit das diametrale Gegenteil, ein Depot ohne Beschriftung, Kontextualisierung, mit hinter Gittern gefangengesetzter Objekte, noch dazu von überwiegender bescheidener regionaler Qualität. Vor allem aber ohne jede zeitliche Dialektik und Differenzerfahrung, ohne die keine Geschichtserfahrung entstehen kann, und ohne Deutungsabsicht und ohne Reflexion. Schon jetzt ein klinisch toter Ort.

Ute Baumhackl: "Das Üble an solchen Deals ist ja (...) dass sie die wirklich wichtigen Fragen verdrängen. Etwa die, was das Joanneum als kulturhistorische Schatzkammer des Landes künftig leisten muss. Stattdessen wird das Haus zum Symbol für Parteienschacher und Postenproporz. Und wir dachten, die sind schon lang vorbei im Museum."

Vor Jahren habe ich einen ironischen "Lebenshilfe-Text" veröffentlicht, der großes Echo hatte: "Wie ruiniert man ein Museum?". Ich denke, ich kann jetzt diesen Text um ein anschauliches Beispiel erweitern.

Ergänzung am späten Nachmittag desselben Tages.
Offenbar auf der Basis einer Agenturmeldung wird nun in verschiedenen Medien die Berufung von Wolfgang Muchitsch und Alexandra Getzinger gemeldet. Und folgender Kommentar des für das Berufungsverfahren (und das Museum) zuständigen Landesrat Drexler: Getzinger sei mit einem männlichen Bewerber gleichauf gelegen und aufgrund der Gleichstellungsregel vorgezogen worden. Dass beide Kandidaten der SPÖ nahestünden, zeige, dass es keinen Proporz-Deal gegeben habe. 
Der Kulturlandesrat weiß, daß es anders ist, daß er Beteiligter an einem schon vor Monaten ausgehandelten Deals ist. Und er weiß, daß "wir" es wissen, das heißt, diejenigen, die so etwas verfolgen, lesen. Und er weiß, daß "wir" es u.a. aus der Zeitung wissen, also daß eine größere Öffentlichkeit weiß, daß er "es" weiß.

Also: Der Kulturlandesrat besitzt die Kultiviertheit, sich nicht damit zu begnügen, das Ergebnis des sogenannten Berufungsverfahrens mitzuteilen. Nein, er macht uns auch noch auf den Kopf, verhöhnt uns, und zwar detailliert und maximal zynisch. Er beschädigt nicht nur jeden qualifizierten Bewerber, der ausgebremst wurde, er beschädigt nicht nur das Museum, indem er (mit anderen) signalisiert, daß es nur um parteipolitische Rochaden geht, nein er macht sich auch noch über die Idee und Praxis der Gleichstellung lustig, bringt sich indirekt als gläubiger Gleichstellungsfan und als Anti-Korruptionist ein.

Dienstag, 17. Oktober 2017

Einklagbarer Kunstgenuss?

“Nach zahllosen Touristenbeschwerden wegen des starken Gedränges in den Vatikanischen Museen,” berichtet de KURIER, “hat der italienische Konsumentenschutzverband Codacons eine Klage beim Gericht des Vatikans eingereicht.” Und zwar weswegen? “Wegen des Andrangs hätten Besucher kaum Möglichkeit, die Werke zu bewundern.” Das wird ein interessanter Prozess. Durchsetzung von Kunstgenuss gegen Organisationsmängel!
Ob es eine Rechtsgrundlage für das Einklagen von Kunsterfahrung gegen Museen gibt? “Der Verband verwies auf die italienische Gesetzgebung, demnach sich in geschlossenen Räumen nicht mehr als 1,2 Personen pro Quadratmeter aufhalten dürfen.”
Die Leiterin des jährlich von etwa sechs Millionen Menschen besuchten Museums möchte Besucherströme in weniger besuchte Orte des riesigen Museumskomplexes umleiten.