Die Veranstaltung des Museumsbundes in Linz zur Zukunft des
Museums, Museum 2061, wurde von zwei Statements eingeleitet, wie man sie
sich gegensätzlicher kaum vorstellen kann.
Walter Grasskamp stellte dem Museum die Diagnose “Verlust des
Bildungsauftrages”, während Wolfgang Ulrich allerorten Aufbruch sah und von einer bis dahin
ungeahnten “Öffnung” des Museums sprach.
Walter Grasskamp fällt keine leichtfertigen Urteile. Ich schätze ihn schon lange als
fundierten Analytiker, der sich auf die genaue Kenntnis der Museumspraxis
stützt. So auch diesmal, als er eine lange Liste von Veranstaltungen in
Museen abarbeitete, die allesamt nichts und nur noch wenig mit der Kernaufgabe
des Museums zu tun hätten.
Ich konnte ihm dabei gut folgen, denn mir fällt es nicht
schwer selbst so
eine Liste aus Badespaß, Kindergeburtstag, Picknick im Grünen, Bastelstunden oder Führungen für Nackte
zusammenstellen.
Auffallend ist, daß Museen vermehrt Projekte anbieten, die
man eher im Sozialbereich erwarten würde. So wenn es Angebote für spezielle
Behindertengruppen gibt oder wenn derzeit allerorten Formate für oder mit MigrantInnen angeboten werden. Hier
kann man nur im Einzelnen abwägen, wie weit so etwas noch oder nicht mehr
Museumsaufgabe ist. Wie weit das Museum neue und sinnvolle Aufgaben
erschließt oder schlicht seine Kompetenz überschreitet. Doch auch das ist eher
ein Krisensymptom, eine Suche nach neuer Legitimation und Anerkennung jenseits
des Gewohnten.
Wolfgang Ulrich dagegen stützte sich auf programmatische
Äußerungen von Museen, auf die neueste Entwicklung in der Museumsarchitektur
und auf ähnliche Veranstaltungstypen, wie sie Walter Grasskamp für seine Argumentation
herangezogen hat. Doch er ortete eine Zuwendung zum Publikum in
vielfältigen neuen Formen.
Ulrichs Ausrufung eines goldenen Zeitalters der Museen hat mich
deswegen verblüfft, weil gerade er einer der schärfsten Kritiker des Kunst- und
Museumssystems ist.
Auf das Podium zum Kommentar geladen, dachte ich deswegen einen Moment, die beiden Museumsanalytiker
hätten sich
bei der Anreise im IC auf eine Rollenverteilung a la “guter Cop, böser Cop” geeinigt oder Wolfgang
Ulrich hatte uns eben eine paradoxe pädagogische Intervention zugemutet.
Wie auch immer, ich denke, die beiden
Befunde bilden gar keinen Gegensatz, sie sind zwei Seiten derselben Medaille.
Sie sind zwei mögliche Betrachtungsweisen ein- und derselben Sachverhalte.
Von Sachverhalten, die sich bereits in
den 60iger-Jahren abzuzeichnen begann: “Nach der Proklamierung des Museums als
Dienstleistungsbetrieb Ende der sechziger Jahre", schrieb Ekkehard Mai in
einem Essay der Neuen Zürcher Zeitung, "nach 'Sinnsuche', 'Sozialrelevanz'
und 'Legitimationsnachweispflicht' hat
sich erst schleichend, dann ganz offen eine neue Dimension des Museumswesens eingestellt. [...] Das
Museum als Teil der marktwirtschaftlich konditionierten Erlebnis‑ und
Unterhaltungsindustrie ist zunehmend völlig ephemer geworden, der Grundlagenarbeit enthoben
und der puren Akklamation des Publikums im Wettbewerb von Brot und Spielen
ausgesetzt." (1)
Man mag Mai nicht unbedingt in seinem
Kulturpessimismus folgen, aber die analytisch schärfer formulierende Rosalind
Kraus kommt zu einem ähnlichen Schluß: „Die Krise der Museumsgesellschaft ist
weitgehend ein Resultat der marktwirtschaftlichen Orientierung der 80er Jahre.
Die Vorstellung vom Museum als Sachwalter des öffentlichen Erbes ist der Vorstellung
vom Museum als einem Unternehmen mit sehr gut vermarktbaren Beständen und mit
Expansionsgelüsten gewichen.“ (2)
Man erinnere sich an diese Zeit, als man
nicht mehr ins museumsnahe Café gehen musste, sondern im Museum selbst
kulinarisch bestens versorgt wurde, als die ersten eigenen Abteilungen für
Museumspädagogik geschaffen wurden, als die ersten Museumsshops entstanden und
nicht nur spröde wissenschaftliche Kataloge verkauften, Coffe-table-books,
Nippes, Spielsachen für Erwachsene oder auch schon mal Teddybären im
Klimt-Design.
Die Euphorie Wolfgang Ullrichs gilt
einer konsumistischen Öffnung, die den Besucher tendentiell bereits als
mathematischen Wert in der Besucherstatistik sieht und als zahlenden Kunden
weit mehr denn als Bildungsbürger. Viele der Öffnungen, die Ullrich anführte,
finden wir überall dort, wo sich Museen bereits
konsequent als Dienstleister ausrichten und die Kunst des Marketing oder
der Kundenbindung ebenso geschickt nutzen, wie Handelsketten oder
Medienkonzerne.
Welchen drohenden Verlust sieht dagegen
Walter Grasskamp auf die Museen zukommen?
Museen waren zu Beginn Orte bürgerlicher Emanzipation und
Repräsentation, im Grunde Medien liberaler Öffentlichkeit, in der Subjekte sich
politisch teilhabend und die Gesellschaft als demokratische formierten. Den
Traum vom aufgeklärten, kritischen und an den öffentlichen Angelegenheiten
aktiv beteiligten Citoyen, der an den öffentlichen Angelegenheiten im Interesse
des Allgemeinwohls teilhat, verstehe ich als Essenz dessen, was das
demokratische Museum als Bildungsinstitution ausmacht. Von nicht weniger als
der „Humanisierung der Nation“ sprach der Philosoph Hermann Lübbe in seiner
Analyse des königlichen Museums in Berlin. Alle frühbürgerlichen Museen teilen
in der ein oder anderen Form diesen Traum. Die Frage ob Walter Grasskamp recht
behält, daß dieser Traum ausgeträumt ist, oder Wolfgang Ulrichs optimistische
Deutung der Hyperaktivität der Museen stimmiger ist, ist also keine
Geschmacksfrage im Abwägen zwischen zwei Argumentationslinien. Das ist schon
eine kritische Weggabelung. Nur - merken das die Museen überhaupt?
Erschienen in: neues museum, Oktober 2017; Nr.17-4, S.130-131
[1]
Ekkehard Mai: Museums-Transfer. Strukturwandel einer erfolgreich verloren
gegebenen Institution. Neue Zürcher Zeitung Montag 17. Juli 1995, Seite 21. Mai
setzt fort: "Das zur bloßen Mehrheitsfrage rudimentierte Politikverständnis
von Demokratie, die sich mehr und mehr nach Wahl‑ und Haushaltsperioden unter
sozialen und wirtschaftlichen Aspekten vor allem 'rechnen' lassen muß, hat
nicht das Selbstwert‑, sondern vor allem das Funktionsverständnis zum A und O
erklärt."
[2]
Rosalind Krauss: Die kulturelle Logik des spätkapitalistischen Museums, in:
Texte zur Kunst, 2.Jg., Nr.6, Juni 1992 S.131ff., hier S.135
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