Freitag, 8. März 2013
Der immer noch sterbende Kaiser. Maximilian von Mexico, ausgestellt
Als Schulkind war ich ein veritabler Maximilian von Mexico - Experte. Ich hatte nämlich alle fünf Bände des Kolportageromans gelesen, der ursprünglich Waldröschen hieß und dessen Autor sich Capitain Ramon Diaz de la Escosura nannte. In der Buchhandlung meiner Kindheit, in der ich nach und nach Schloß Rodriganda, Die Pyramide des Sonnengottes, Benito Juarez, Trapper Geierschnabel und endlich Der sterbende Kaiser (das war Maximilian) um einige Groschen entlehnte, wurden die Bände freilich unter dem Namen des wirklichen Autors entliehen - Karl May.
Mein Expertentum verblasste, Kolportageromane des 19. Jahrhunderts vermögen offenbar bei mir kein nachhaltiges Geschichtsbewußtsein zu stiften. An den Inhalt habe ich keinerlei Erinnerung mehr, aber Wikipedia, dieses supranationale Großgedächtnis ließ einige Gedächtnissplitter wieder aufblitzen: An Karl Sternau, den Namen des Arztes aus Deutschland erinnerte ich mich, der den spanischen Grafen Emanuel de Rodriganda heilen und dessen Tochter Rosa heiraten soll, was aber vom ruchlosen Schurken Cortejo beinahe vereitelt wird indem er Sternau in Mexiko in eine Pyramide einsperrt. Zuvor hatte er seinen eigenen Sohn gegen den Erben des Grafen ausgetauscht, um Rodriganda in seine Hand zu bekommen. Es geht klarerweise alles gut aus - bis auf den leidigen Umstand, daß der Kaiser erschossen wird.
Diese Geschichte ist auch ein Kolportageroman, denn daß sich die Europäischen Großmächte (mit Ausnahme Frankreichs, das die Idee dazu lieferte) und vor allem Mexico selbst mit der Idee anfreunden könnten, daß ein Mitglied des österreichischen Herrscherhauses mal rasch mit einem Schiff übersetzt um dort drüben in Südamerika Kaiser zu werden, das konnte doch nicht mal Maximilian selbst ernsthaft glauben. Hat er aber. Aber nur kurz.
Mexico war ein selbständiges und selbstbewusstes Land, das einen beliebten Präsidenten hatte, der die Politik der Unabhängigkeit gegenüber Europa energisch vorantrieb (erinnert ja an was, oder?). Also, lange hat das nicht gedauert, das mit dem Kaisertum. Maximilian wurde verhaftet, vor Gericht gestellt, verurteilt und erschossen. Mit einem Schiff nach Österreich gebracht und in der Kapuzinergruft beigesetzt.
Und? Nun, er ist ausstellungstauglich geworden. Und das Hofmobiliendepot oder auch Möbel Museum Wien genannt, das so manches Relikt dieses Maximilian besitzt (sein Sombrero hatte es mir schon immer angetan, schon als er nur ein beiläufig abgelegtes Depotobjekt und anderen war) zeigt eine Ausstellung, noch bis zum 18. August dieses Jahres. Samt zerschossenem Rock und richtigem Sarg,
Und wenn Edouard Manet nicht ein weltberühmtes Bild von der Erschießung gemalt hätte, wer weiß, wer sich noch an Maximilian erinnerte? Karl Mays Kolportagen liest wohl niemnd mehr.
Mein Expertentum verblasste, Kolportageromane des 19. Jahrhunderts vermögen offenbar bei mir kein nachhaltiges Geschichtsbewußtsein zu stiften. An den Inhalt habe ich keinerlei Erinnerung mehr, aber Wikipedia, dieses supranationale Großgedächtnis ließ einige Gedächtnissplitter wieder aufblitzen: An Karl Sternau, den Namen des Arztes aus Deutschland erinnerte ich mich, der den spanischen Grafen Emanuel de Rodriganda heilen und dessen Tochter Rosa heiraten soll, was aber vom ruchlosen Schurken Cortejo beinahe vereitelt wird indem er Sternau in Mexiko in eine Pyramide einsperrt. Zuvor hatte er seinen eigenen Sohn gegen den Erben des Grafen ausgetauscht, um Rodriganda in seine Hand zu bekommen. Es geht klarerweise alles gut aus - bis auf den leidigen Umstand, daß der Kaiser erschossen wird.
Diese Geschichte ist auch ein Kolportageroman, denn daß sich die Europäischen Großmächte (mit Ausnahme Frankreichs, das die Idee dazu lieferte) und vor allem Mexico selbst mit der Idee anfreunden könnten, daß ein Mitglied des österreichischen Herrscherhauses mal rasch mit einem Schiff übersetzt um dort drüben in Südamerika Kaiser zu werden, das konnte doch nicht mal Maximilian selbst ernsthaft glauben. Hat er aber. Aber nur kurz.
Mexico war ein selbständiges und selbstbewusstes Land, das einen beliebten Präsidenten hatte, der die Politik der Unabhängigkeit gegenüber Europa energisch vorantrieb (erinnert ja an was, oder?). Also, lange hat das nicht gedauert, das mit dem Kaisertum. Maximilian wurde verhaftet, vor Gericht gestellt, verurteilt und erschossen. Mit einem Schiff nach Österreich gebracht und in der Kapuzinergruft beigesetzt.
Und? Nun, er ist ausstellungstauglich geworden. Und das Hofmobiliendepot oder auch Möbel Museum Wien genannt, das so manches Relikt dieses Maximilian besitzt (sein Sombrero hatte es mir schon immer angetan, schon als er nur ein beiläufig abgelegtes Depotobjekt und anderen war) zeigt eine Ausstellung, noch bis zum 18. August dieses Jahres. Samt zerschossenem Rock und richtigem Sarg,
Und wenn Edouard Manet nicht ein weltberühmtes Bild von der Erschießung gemalt hätte, wer weiß, wer sich noch an Maximilian erinnerte? Karl Mays Kolportagen liest wohl niemnd mehr.
Mittwoch, 6. März 2013
Sonntag, 3. März 2013
Böse! Gut! Museen im Umgang mit ihren Besuchern
Samstag, 2. März 2013
Großstädtisches Heimatmuseum
Alle reden über die Kunstkammer (des Wiener Kunsthistorischen Museums). Alle? Nein. Der Standard widmet eine halbe Seite seiner Wochenendausgabe einem Wiener Bezirksmuseum. Dem ältesten. Dem Meidlinger. Hier: http://derstandard.at/1362107189036/Im-aeltesten-Bezirksmuseum-Wien-in-Meidling-wird-Geschichte-konserviert
Freitag, 1. März 2013
Donnerstag, 28. Februar 2013
Das Museum als Haus - Die Welt als Museum
Der folgende Text ist über 20 Jahre alt. Es war die Grundlage für einen Vortrag der 12. Museumspädagogischen (Privat)Gespräche gewesen, die in Graz 1991 unter dem Titel "Ganz aus dem Häuschen stattfand." Von Taliman Sluga organisiert und überaus souverän und liebenswürdig geleitet.
Ich hatte den Text so sehr vergessen, daß ich zunächst gar nicht wußte, als Walter Grasskamp vor zwei Jahren sich mit der Bitte nach einem Originalexemplar der Publikation meldete. So hat er mir geholfen, einen eigenen Text wiederzuentdecken, der zu meinem eigenen Erstaunen nicht veraltet ist (abgesehen von Details oder von Formulierungen, die ich heute geringfügig ändern würde).
Unsere Vorstellung vom Museum ist wie selbstverständlich die vom festen Haus und Ort. Es geht um Schutz und Sicherheit, um Zusammenfassung, Ordnung, um Vergleichbarkeit und Zugänglichkeit. Erst durch die Fixierung des Ortes, die Dauerhaftigkeit der Sammlung und eine über längere Zeit unveränderte Schaustellung kann der Museumsbesuch zum wiederholbaren Ereignis mit erwartbaren Erfahrungen werden. Doch ist diese Vorstellung vom Museum nicht besonders alt im Verhältnis zur langen Geschichte des Sammelns. Das Museum als Haus - architektonisch und metaphorisch verstanden - ist die Form, die sich erst die bürgerliche Museumsidee gibt.
Zwischen 1815 und 1830 entstand in Berlin ein 'museion' besonderer Art. Ein speziell und nur für den Zweck entworfenes und errichtetes Haus, das bedeutendste Teile des Kunstbesitzes des preußischen Königs aufzunehmen und öffentlich zum Zweck der Bildung zu zeigen hatte. Es ist dieses von Karl Friedrich Schinkel entworfene Neue Museum, meinem Wissen nach der erste selbständige, zu öffentlichen Bildungszwecken errichtete Sammlungsbau, eine Bau zudem, der diesen Zweck mit den Mitteln der Architektur, der Monumentalmalerei und durch die städtebauliche Disposition veranschaulichte.
Mit der offenen, über beide Geschoße reichenden ionischen Loggia, mit der offenen Treppenanlage, die zu einer ebenfalls nach Außen offenen Halle im Obergeschoß führte, bildete der Architekt eine den Binnenraum des Museums mit dem öffentlichen Raum der Stadt verknüpfende Vermittlungssphäre, in der eine Zyklus von Wandgemälden mit der Darstellung der konfliktreichen Gattungsgeschichte auf den eigentlichen Museumsbesuch vorbereiten sollte.
Diesen öffentlich-kommunikativen, bilderreichen und ,bildenden', zwischen institutioneller und städtischer Öffentlichkeit vermittelnden Raum, die obere Halle, hat Schinkel selbst in einer ihren Zweck programmatisch visualisierenden Zeichnung festgehalten.
Doch nicht nur dies und die selbstbewußte Entgegensetzung der bürgerlich-öffentlichen Sphäre zum gegenüberliegenden Schloß sind bemerkenswert, sondern auch die Integration der musealen, über die ausgestellten Sammlungen evozierte Bildungserfahrung in den von den Wandgemälden erzählten gattungsgeschichtlichen Zusammenhang. Dargestellt waren in der Loggia und Treppenhalle u.a. das Götter- und Menschenleben, Kriegs- und Naturgewalt, die Gestirne usw., also nicht mehr und nicht weniger als "die Bildungsgeschichte der Welt" (1), wie es in einer zeitgenössischen Interpretation heißt.
Wilhelm von Humboldt hatte als Leiter der Museumskommission das Konzept eines Museums entworfen, das die Humanisierung der Staatsbürger - also auch die Humanisierung des preußischen Staates - zum Ziel hatte. Im Freskenzyklus wird diese Instrumentalisierung des Museums als Bildungsanstalt des Staates und der Staatsbürger, als zentrale Einrichtung, auf die sich der preußische Staat berufen und fundieren möchte, eingebettet in die Bildungsgeschichte der Gattung überhaupt. Vermittelt und zugleich extrem gespannt scheint hier das Verhältnis von Innen und Außen, von Haus und Welt, von Sammlung und Bildung.
1827 brach ein Streit über die Benennung dieses im Bau befindlichen Hauses aus. Der erste Vorschlag für eine lateinische Inschrift stieß auf Mißfallen: FRIDERICVS GVILELMVS III STVDIO ANTIQVITATIS OMNIGENAE ET ARTIVUM LIBERALIVM MVSEVM CONSTITVIT MDCCCXXVIII, in der deutschen Übersetzung: Friedrich Wilhelm III. hat dem Studium jeder Art Alterthümer und der freien Künste diesen Ruheort gestiftet 1828. (2)
Das Wort Museum, das in der deutschen Übersetzung merkwürdiger- und bezeichnenderweise nicht übersetzt und durch das eigentümliche Wort ,Ruheort' ersetzt wurde, war der Stein des Anstoßes. Die Einwände richteten sich gegen den Begriff Museum. Mit dem Wort Museum würden, so der erste Gutachter (3), "im ganzen Alterthume" nur Orte der Wissenschaft bezeichnet, aber niemals solche zur " Aufbewahrung von archäologischen oder Kunstgegenständen". Zwar sei der Sprachgebrauch Museum der populäre, niemals aber der klassische und daher für eine Inschrift ungeeignet. Ludwig Tieck, Alexander von Humboldt und die um ein Gutachten gebetene historisch-philologische Klasse der Preußisch-Königlichen Akademie der Wissenschaften kamen sinngemäß zu demselben ablehnenden Ergebnis.
Zum Zeitpunkt der Errichtung des Berliner Sammlungsinstituts ist der Begriff Museum noch keineswegs für Sammlungen und Sammlungsarchitekturen ausschließlich reserviert. So wie er für Vereine, Gesellschaften, Publikationen, literarische Sammlungen usw. auch gebräuchlich ist, können umgekehrt museale Sammlungen noch als Kabinette, Glyptotheken, Pinakotheken, Galerien usw. benannt werden.
Doch der kurze, scheinbar nebensächliche Streit um die Benennung des durchaus als neuartig empfundenen Baus ist mit der terminologischen Offenheit nicht ganz zu erklären.
Interessant an dem Streit ist, daß zwei Traditionen des Begriffs Museum aufeinandertreffen. Die eine Tradition, die die Gutachter und Experten gegen die Verwendung des Wortes Museum für einen Ort der Sammlung ins Treffen führen, leitet sich vom klassisch-antiken Wortgebrauch ab. Das heißt, von der Bezeichnung Museum für eine Pflegestätte der Wissenschaft an der aber nicht gesammelt, vor allem aber nichts Vergangenes, Historisches aufbewahrt wurde.
Die andere Tradition, von der es in den Gutachten heißt sie sei die populäre, ist offensichtlich die ältere. In dieser Tradition lebt etwas von der Bedeutung des ursprünglicheren museion, des Musenortes fort. Also von der antiken Tradition, die im16. Jahrhundert wiederentdeckt und wiederaufgenommen wurde- und zwar damals
in der doppelten Bedeutung von Hain, Garten, jedenfalls den Musen gewidmeten Naturraum und Ort der wissenschaftlichen Betätigung und des Sammelns. Indem man gegen die eigene philologisch untermauerte, rationale Kritik, die die Begriffsübertragung von Museum als Bezeichnung eines Ortes der Wissenschaft auf ein
Sammlungshaus -historisch übrigens korrekt - als unantik ablehnt, am Begriff Museum dann aber doch festhält, entschied man sich für die ungleich ältere Bedeutung, also unbewußt, nämlich ohne sich Rechenschaft über den Sinn dieser älteren Tradition zu geben.
In der Erinnerung an diese sogenannte populäre und älteste Bedeutungsschicht des Wortes Museum blitzt die Erinnerung sowohl an das museion als Ort des kollektiven Gedächtnisses auf, als auch die an einen lang zurückliegenden, längst verschütteten, konfliktreichen Enteignungsprozeß.
In diesem Enteignungsprozeß wurde die schrift- und bildlose, affektive und ausschiließlich von weiblichen Musen beschützte, kollektive und gattungsgeschichtliche Erinnerungsfähigkeit durch die rationale, textgebundene von den ausschließlich männlichen Priestern wissenschaftlicher Institutionen betriebene Gedächtnisarbeit allmählich abgelöst und verdrängt.
Der griechisch antike Begriff museion meinte ursprünglich den Ort der Musen, Töchter der Mnemosyne, der Göttin des Gedächtnisses und des Zeus. Zuerst ist es eine einzelne Muse - das Wort Muse bedeutet die Sinnende oder die Erinnernde - später sind es drei oder neun, ihre Zahl schwankt. Sie sind Naturgeister, Nymphen und leben anQuellen und Flüssen, wo sie im ekstatischen, göttlich inspirierten Gesang und Tanz die Vergangenheit und Zukunft in die Gegenwart beschwören, weissagen, deuten.
Das museion wurde dann die den Musen geweihte Stätte der Pflege der Erinnerung und des Eingedenkens an die konfliktreiche Geschichte der Zivilisation. Kunst, Geschichte und Wissenschaft hatten spezielle Schutzmusen, die für das Festhalten der Erinnerung einstanden und die vor allem die Rhapsoden beschirmten, die zu Beginn ihres Gesanges die Musen anriefen, als Garanten für die Wahrheit des von ihnen vorgetragenen Stücks Gattungsgeschichte. Es wurden den Musen Altäre errichtet, Bilder der Musen aufgestellt und der Hain, das museion, wurde zum Versammlungs- und Festplatz vornehmlich von Künstlern, dann auch zur Sammelstelle für Weihegaben und Opfer. .
Als Beschützerinnen der Künste und des Geistigen wurden die Musen später zu Schutzpatroninnen von Schulen, Gymnasien, philosophisctien Akademien, wie z. B. der platonischen Akademie und liehen ihren Namen dem alexandrinischen Museion, einer Stätte der Gelehrsamkeit, das seither oft fälschlicherweise als ,erstes Museum der Geschichte' bezeichnet wird. Aus dem museion als mythischem, vage lokalisierbaren Naturraum wird allmählich eine Topografie der institutionellen Wissenschaft.
"Keine bessere Gelegenheit findet man nun zu dieser fast mit himmlischer Lust verknüpften Betrachtung der Natur, als in Museis oder solchen Orten, welche ausdrücklich dazu an einer bequemen und einsamen Stelle angeordnet sind, wo selbst man gleichsam alle unnütze Geschäfte und weltlichen Rumor verläst, dagegen aber seine Sinnen und Gedanken zusammen ruft, und einzig und allein zur Ehre Gottes in der Betrachtung aller seiner Wunder anwendet. Hier sitzt er [der Forscher; G. F.] also ausgeschlossen und umgeben mit herrlichen, raren, wunderbaren und fremden Sachen, über deren Anschauung seine leiblichen Augen in angenehme Ergätzung und Fröhlichkeit gerathen." (4)
So beschreibt Neickelius Anfang des 16. Jahrhunderts die Freuden des solipsistischen Gelehrten in seinem privaten Refugium. Es ist das 16. Jahrhundert, das, zu erst in Italien, das museion wiederentdeckte, und zwar als privaten, in das Haus, das Schloß, den Palast integrierten Ort des Studiums und des Sammelns.
Das musaeum des 16. Jahrhunderts (5) rekonstruiert ,klassisches' Wissen, den ,antiken Text' und sammelt dafür Material, nun aber nicht nur schriftliche Überlieferungen, also Manuskripte oder Inschriften, sondern Gegenstände, wie Kleinplastiken, Münzen, Naturobjekte, Mineralien, Pflanzen und Tiere - das Präparieren und Konservieren wird im 16. Jahrhundert zu einer Basistechnik von Musealisierung. Das Museum ist ein gleichsam archäologisches Unternehmen, in dem durch Sammeln, Vergleichen und Ordnen von Material ein ,Text' gebildet werden kann.
Der Begriff ,Museum' strukturiert Praktiken des zwischen Privatheit und Öffentlichkeit changierenden Umgangs mit Wissen im Kontext sozialer Bestimmungen wie ,Prestige', ,Wissen', ,Wahrnehmung', ,Klassifikation' und ist zugleich humanistisch und enzyklopädisch. Die Welt ist im Museumsraum exemplarisch und geordnet präsent. Das musaeum wird vor allem ein Lokalisationsprinzip, eine Definition von Orten, an denen Lernen stattfinden kann.
Einerseits ist das Museum, wie das Zitat von Neickelius zeigt, ein kontemplativer Ort, an dem - vom lärmenden Treiben des Alltags fern - gleichsam mönchische 'Arkanpraktiken des Wissenserwerbes. Andrerseits sprengt das Enzyklopädische des Museums den Raum der Gelehrtenstube. Inder Reformation und Gegenreformation, auch durch die dadurch ausgelösten politischen Katastrophen und durch die das Weltbild sprengenden Expeditionen und Entdeckungen gerät das arkanhafte, private Sammeln in eine Krise. Die Integration
,exotischer ' Fundstücke in das,Sammeln, sprengt die herkömmlichen Museumsordnungen. Das Sammeln spiegelt nun, ab dem 17. Jahrhundert, eine alogischere, pluralistischere Welt wieder. Die instrumentelle und pädagogische Bedeutung von Sammlungen zieht Publikum auf sich und es entwickelt sich das Museum über das Private hinaus zum sozial und kulturell zweckgerichteten Ort.
Zum qualitativ Neuen der zu Ende des 18. Jahrhunderts etablierten Museumsidee gehört erstens die Ausdehnung der Publizität des Museums zum radikaldemokratischen Anspruch, uneingeschränkt jedermann das Museum als Ort der Erfahrung von Geschichte zugänglich zu halten. Und zweitens: die Historisierung der Sammlung und ihrer Wahrnehmung.
Das Museum wird zum Gang durch die Zeit, durch die Geschichte. So wurde bei dem erwähnten Berliner Museum erstmals eine historisch-chronologische und nach Schulen gegliederte Disposition der Sammlung vorgenommen. Die sorgfältig überlegte Hängung sollte das Vergleichen möglich und die historische Anordnung - auch unterstützt mit didaktischen Hilfsmitteln - erfahrbar machen.
Die Abtrennung des Museumsortes von der ,übrigen Weit', als einem Ort, an dem die Dinge gleichzeitig sind, konstituiert Geschichte. Das Museum wird im 19. Jahrhundert in diesem Sinn ein Ort der unendlichen Akkumulation, in der "die Zeit nicht aufhört, sich auf dem Gipfel ihrer selbst zu stapeln und zu drängen, während im 17. und noch bis zum Ende des 18. Jahrhunderts die Museen (...) Ausdruck einer individuellen Wahl waren." (6)
Die Idee, im Prinzip unvereinbare Zeiten und Räume, unvereinbare Stile und Epochen, unvereinbare Objekte an einem Ort zusammenzubringen, ist von der Idee beherrscht, die Zeit selbst aufzuheben, die Dinge, die Massen des Ererbten vor der Zeit selbst in Sicherheit zu bringen.
In diesen Dienst stellt sich eine museale Archäologie, die das mit den Toten bestattete Erbe, die selbst unsere Vorfahren aus den Gräbern holen wird, in diesen Dienst stellen sich die Raub- und Beutezüge der Moderne, die die Akkumulation musealer Sammlungen erst ermöglichen.
Das Selbstbild, das Museen von ihrer Entstehung und Entwicklung als Sammlung haben, ist das eines friedlichen und stetigen, gleichsam natürlichen Wachstums. Eine lange Geschichte glücklicher Funde, der Sammlerleidenschaft, von Geschick und List begnadeter Persönlichkeiten, die mit Instinkt und Reaktionsvermögen, das Erbe mehrten.
Bei näherem Hinsehen erweist sich dieses Wachstum als Geschichte gewaltförmiger und widerrechtlicher An- und Enteignungen: vom Bildersturm und Bilderraub der französischen Revolution bis zur Arisierung der NS-Zeit, von der Säkularisation, aus deren profaniertem Strandgut bedeutende europäische Museumsgründungen hervorgegangen sind bis zu den jüngsten Plünderungen des Irak in Kuweit, von den Expeditionen und Jagdkampagnen der Naturhistorischen Museen bis zur mit Zwang durchgesetzten und als freiwillige Schenkungen verbrämten Ablieferung von Kunst werken und Kulturgütern der kolonisierten Länder an die Staaten Europas und Nordamerikas reicht die lange Kette widerrechtlicher und gewalttätiger Enteignung.
Auch die friedlicheren Prozesse der Vermehrung des Museumsgutes erweisen sich bei näherem Hinsehen mit Gewalt verbunden. Die bürgerliche Museumsidee ist eng mit einer reaktiven und kompensativen Bewegung verknüpft.
Ein sich beschleunigender zivilisatorischer Wandel läßt immer mehr Gegenstände immer rascher veralten. Diese Gegenstandsmassen werden nun weder auf Müllhalden geworfen, noch dem natürlichen Verfall noch der Zerstörung überlassen, sondern ziehen - als geschichtliches Gut oder als ästhetisch faszinierende Überreste - in immer neue; Museen ein. ·
In der Schweiz etwa, einem Land mit der relativ größten Museumsdichte Europas
(nach Liechtenstein) wird derzeit durchschnittlich in jedem Monat ein neues Museum gegründet.
Die Masse der toten Arbeit vermehrt sich also mit unglaublicher Rasanz und der Widerspruch zwischen dieser Masse an toter Arbeit und der lebendigen Arbeit wird immer schärfer.
Mit anderen Worten: die Möglichkeit, diese in Schausammlungen, Depots, Lagern
und Kellern, Tiefspeichern und Studiensammlungen aufgehäuften Mengen an Dingen durch wissenschaftliche oder pädagogische Arbeit wieder zum Leben zu erwecken, wird immer unwahrscheinlicher und immer vergeblicher.
Für die wohl meisten Museen gilt ja, daß vor allem die wissenschaftliche Arbeit in quantitativer Hinsicht immer weiter hinter dem Sammeln, dem schieren Anhäufen, dem Horten hinterherhinkt. In einem Prüfbericht des Rechnungshofes zu den Wiener Bundesmuseen z. B. finden sich eindrucksvolle Zahlen dazu.
So ist am Naturhistorischen Museum in Wien nicht einmal mehr die wissenschaftliche Inventarisierung möglich, wenn allein in der anthropologischen Sammlung jährlich 4000 Skelettreste anfallen.
Wenn aus lebendiger menschlicher Arbeit tote, verdinglichte Arbeit wird, so ist das ein Enteignungsprozeß. Die, die einen Gegenstand hergestellt, bearbeitet, benutzt und genossen haben werden vom Produkt ihrer Arbeit getrennt. (7)
Musealisierung ist ein solcher Enteignungsprozeß. Und er findet längst nicht mehr nur im und durch das Museum statt. Die Metapher von der Weit als Museum, die in den letzten Jahren in Umlauf gebracht wurde, beschreibt das Platzen des Museums. Die Obsession, immer größere Lebensbereiche, ganze Naturbezirke und Stadtgelände, Ensembles von Monumenten oder sogar vom Verschwinden bedrohte Arbeits und Lebensweisen bewahren zu wollen, ist die scheinbar grenzen- und widerstandslose Ausdehnung der Idee des Museums als Ort des Zeitstillstandes auf die ganze Welt.
Noch einmal: die Masse der toten Arbeit wächst beständig. Die Chancen, sie wieder in lebendige zurückzuverwandeln, schwindet aber nicht nur mit ihrer Massenhaftigkeit. Tote Arbeit übt Macht aus. Gegen die immens langfristigen Bewegungen ihrer Anhäufung scheinen die kurzen Zeit- und Lebensspannen, derer, die ihr gegenüber stehen ohnmächtig.
Zudem: Die Spezialisten im Umgang mit toter Arbeit wurden und werden enteignet. Und gerade die, die Herrschaft über tote Arbeit ausüben - die Kustoden, die Museumspolitiker und -verwalter - verstehen nicht, oder nicht immer, mit ihr umzugehen. Ein Beispiel sind etwa industriehistorischen Museen, die Arbeiter einstellen, um Maschinen zu warten, in Gang zu setzen und sie Besuchern zu erläutern.
Museen, die in der Verfügung derer stehen, deren Erinnerung sie enthalten, sind die seltenste Ausnahme. Bei der Mehrzahl der Museen werden die Produzenten von ihren Produkten und Produktionsmitteln durch Musealisierung getrennt und sie werden selbst zu Museumspublikum. Zu Konsumenten ihrer eigenen Vergangenheit, die ihnen als verwissenschaftlichte, erzählte und strukturierte Vergangenheit noch einmal enteignet wird - unter einem fremdbestimmten Zugriff auf den sie keinen Einfluß haben. Tote Arbeit kann für ihre Produzenten selbst zum Mittel der Unterdrückung werden.
Wo aber jeder lebendige Umgang mit der Hinterlassenschaft fehlt oder versagt, bildet sich eine unheimliche Gegenständlichkeit, aus der noch der letzte Rest an Erinnerung an vergangene Arbeit und Geschichte gewichen ist.
Es entsteht massenhaft "Verdinglichung" und das "bedeutet, menschliche Phänomene aufzufassen, als ob sie Dinge wären", was bedeutet, "daß der Mensch fähig ist, seine eigene Urheberschaft der humanen Weit zu vergessen, und [...] daß die Dialektik zwischen dem menschlichen Produzenten und seinen Produkten für das Bewußtsein verloren ist." (8)
Wo solche unheimliche Gegenständlichkeit in die öffentlich zugänglichen Schausäle einwandert, bildet sich immerhin noch die 'Erfahrung von Fremdheit, Andersartigkeit, von Alterität, das Museum kann zu einer Schule des Befremdens werden, in der inoffizielle Hinsichten, Blickweisen eingeübt werden könnten. Doch diese neue Diskussion über das Museum als Schule des Befremdens (Sloterdijk 9) und Ort der Alteritätserfahrung (Waldenfels 10) sieht im Museum nur noch den Ort der spielerischen Einübung in das Befremden und benützt die durch Musealisierung erzwungen Distanz nicht mehr zur Kritik von Musealität und ihrem Zustandekommen.
Aber das Fehlen von eigensinniger, kritischer und lebendiger Arbeit oder ihre Ohnmacht angesichts der Menge und Last der Überlieferung erzeugen Realitätsverlust. Denn nur dann ist tote Arbeit tot, wenn sie nicht mehr in Beziehung zu setzen ist zu lebendiger Arbeit, denn nur diese Beziehung konstituiert Realität. Das Glück die Erfahrung, der Genuß liegen nicht in den Dingen, sondern in den Beziehungen zu ihnen und an die Beziehungen, an die uns die Dinge erinnern. (11)
Vermittlungsarbeit, die sich etwa unter der Prämisse der Objektvermittlung glaubt in den Dienst ,der Sache', d. h. auch: des Museums als Agentur des Erbes als stellen zu müssen, begnügt sich damit, mit den Resultaten von Musealisierung und mit institutionellen Sachzwängen unter Würdigungs- und Anerkennungspflicht zu operieren. Vermittler sind dann bloß Erbstauhelfer und Besichtigungsrninistranten.
Daher: Raus aus dem Museum!
Anmerkungen:
1 Gustav Friedrich Waagen: Karl Friedrich Schinkel als Mensch und als Künstler, 1844, zit. n.: Karl Friedrich Schinkel 1781-1841. Berlin 1982, S.149
2 Die verschiedenen Dokumente, die über diesen Konflikt Aufschluß geben sind bei Alfred Freiherr von Wolzogen abgedruckt: Aus Schinkel's Nachlaß. Dritter Band. Berlin 1863, S.271ff.
3 Staatsrat Süvern, ebenda S.272f.
4 C.F.Neickelio: Museographia oder Anleitung zum rechten Begriff und nützlicher Anlegung der Museorum oder Raritäten-Kammern. Leipzig und Breßlau 1727; zit. n.: Wolfgang Pircher: Ein Raum in der Zeit. Bemerkungen zur Idee des Museums. In: Ästhetik und Kommunikation, Heft 67/68, 18. Jg., S.41
5 Vgl. dazu und zum Folgenden Paula Findlen: The Museum: Its classical etymology and renaissance genealogy. ln: Journal of the History of Collections, I no.l 1989
6 Michel Foucault: Andere· Räume, 1967, in: Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik. Leipzig 1991, S.43
7 Vgl.: Oskar Negt, Alexander Kluge: Geschichte und Eigensinn. Frankfurt 1981, S.98ff.
8 Peter L. Berger/Thomas Luckmann: Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie. Frankfurt 1969, S.94
9 Peter Sloterdijk: Museum- Schule des Befremdens, in: Peter Noever (Hg.): Tradition und Experiment. Das Österreichische Museum für Angewandte Kunst, Wien. Salzburg 1988, S.288ff.
10 Bernhard Waldenfels: Der herausgeforderte Blick. Zur Orts- und Zeitbestimmung des Museums. ln: ders.: Der Stachel des Fremden. Frankfurt 1990, S.225ff .
11 Wie Anm.7
Ich hatte den Text so sehr vergessen, daß ich zunächst gar nicht wußte, als Walter Grasskamp vor zwei Jahren sich mit der Bitte nach einem Originalexemplar der Publikation meldete. So hat er mir geholfen, einen eigenen Text wiederzuentdecken, der zu meinem eigenen Erstaunen nicht veraltet ist (abgesehen von Details oder von Formulierungen, die ich heute geringfügig ändern würde).
Unsere Vorstellung vom Museum ist wie selbstverständlich die vom festen Haus und Ort. Es geht um Schutz und Sicherheit, um Zusammenfassung, Ordnung, um Vergleichbarkeit und Zugänglichkeit. Erst durch die Fixierung des Ortes, die Dauerhaftigkeit der Sammlung und eine über längere Zeit unveränderte Schaustellung kann der Museumsbesuch zum wiederholbaren Ereignis mit erwartbaren Erfahrungen werden. Doch ist diese Vorstellung vom Museum nicht besonders alt im Verhältnis zur langen Geschichte des Sammelns. Das Museum als Haus - architektonisch und metaphorisch verstanden - ist die Form, die sich erst die bürgerliche Museumsidee gibt.
Zwischen 1815 und 1830 entstand in Berlin ein 'museion' besonderer Art. Ein speziell und nur für den Zweck entworfenes und errichtetes Haus, das bedeutendste Teile des Kunstbesitzes des preußischen Königs aufzunehmen und öffentlich zum Zweck der Bildung zu zeigen hatte. Es ist dieses von Karl Friedrich Schinkel entworfene Neue Museum, meinem Wissen nach der erste selbständige, zu öffentlichen Bildungszwecken errichtete Sammlungsbau, eine Bau zudem, der diesen Zweck mit den Mitteln der Architektur, der Monumentalmalerei und durch die städtebauliche Disposition veranschaulichte.
Mit der offenen, über beide Geschoße reichenden ionischen Loggia, mit der offenen Treppenanlage, die zu einer ebenfalls nach Außen offenen Halle im Obergeschoß führte, bildete der Architekt eine den Binnenraum des Museums mit dem öffentlichen Raum der Stadt verknüpfende Vermittlungssphäre, in der eine Zyklus von Wandgemälden mit der Darstellung der konfliktreichen Gattungsgeschichte auf den eigentlichen Museumsbesuch vorbereiten sollte.
Diesen öffentlich-kommunikativen, bilderreichen und ,bildenden', zwischen institutioneller und städtischer Öffentlichkeit vermittelnden Raum, die obere Halle, hat Schinkel selbst in einer ihren Zweck programmatisch visualisierenden Zeichnung festgehalten.
Doch nicht nur dies und die selbstbewußte Entgegensetzung der bürgerlich-öffentlichen Sphäre zum gegenüberliegenden Schloß sind bemerkenswert, sondern auch die Integration der musealen, über die ausgestellten Sammlungen evozierte Bildungserfahrung in den von den Wandgemälden erzählten gattungsgeschichtlichen Zusammenhang. Dargestellt waren in der Loggia und Treppenhalle u.a. das Götter- und Menschenleben, Kriegs- und Naturgewalt, die Gestirne usw., also nicht mehr und nicht weniger als "die Bildungsgeschichte der Welt" (1), wie es in einer zeitgenössischen Interpretation heißt.
Wilhelm von Humboldt hatte als Leiter der Museumskommission das Konzept eines Museums entworfen, das die Humanisierung der Staatsbürger - also auch die Humanisierung des preußischen Staates - zum Ziel hatte. Im Freskenzyklus wird diese Instrumentalisierung des Museums als Bildungsanstalt des Staates und der Staatsbürger, als zentrale Einrichtung, auf die sich der preußische Staat berufen und fundieren möchte, eingebettet in die Bildungsgeschichte der Gattung überhaupt. Vermittelt und zugleich extrem gespannt scheint hier das Verhältnis von Innen und Außen, von Haus und Welt, von Sammlung und Bildung.
1827 brach ein Streit über die Benennung dieses im Bau befindlichen Hauses aus. Der erste Vorschlag für eine lateinische Inschrift stieß auf Mißfallen: FRIDERICVS GVILELMVS III STVDIO ANTIQVITATIS OMNIGENAE ET ARTIVUM LIBERALIVM MVSEVM CONSTITVIT MDCCCXXVIII, in der deutschen Übersetzung: Friedrich Wilhelm III. hat dem Studium jeder Art Alterthümer und der freien Künste diesen Ruheort gestiftet 1828. (2)
Das Wort Museum, das in der deutschen Übersetzung merkwürdiger- und bezeichnenderweise nicht übersetzt und durch das eigentümliche Wort ,Ruheort' ersetzt wurde, war der Stein des Anstoßes. Die Einwände richteten sich gegen den Begriff Museum. Mit dem Wort Museum würden, so der erste Gutachter (3), "im ganzen Alterthume" nur Orte der Wissenschaft bezeichnet, aber niemals solche zur " Aufbewahrung von archäologischen oder Kunstgegenständen". Zwar sei der Sprachgebrauch Museum der populäre, niemals aber der klassische und daher für eine Inschrift ungeeignet. Ludwig Tieck, Alexander von Humboldt und die um ein Gutachten gebetene historisch-philologische Klasse der Preußisch-Königlichen Akademie der Wissenschaften kamen sinngemäß zu demselben ablehnenden Ergebnis.
Zum Zeitpunkt der Errichtung des Berliner Sammlungsinstituts ist der Begriff Museum noch keineswegs für Sammlungen und Sammlungsarchitekturen ausschließlich reserviert. So wie er für Vereine, Gesellschaften, Publikationen, literarische Sammlungen usw. auch gebräuchlich ist, können umgekehrt museale Sammlungen noch als Kabinette, Glyptotheken, Pinakotheken, Galerien usw. benannt werden.
Doch der kurze, scheinbar nebensächliche Streit um die Benennung des durchaus als neuartig empfundenen Baus ist mit der terminologischen Offenheit nicht ganz zu erklären.
Interessant an dem Streit ist, daß zwei Traditionen des Begriffs Museum aufeinandertreffen. Die eine Tradition, die die Gutachter und Experten gegen die Verwendung des Wortes Museum für einen Ort der Sammlung ins Treffen führen, leitet sich vom klassisch-antiken Wortgebrauch ab. Das heißt, von der Bezeichnung Museum für eine Pflegestätte der Wissenschaft an der aber nicht gesammelt, vor allem aber nichts Vergangenes, Historisches aufbewahrt wurde.
Die andere Tradition, von der es in den Gutachten heißt sie sei die populäre, ist offensichtlich die ältere. In dieser Tradition lebt etwas von der Bedeutung des ursprünglicheren museion, des Musenortes fort. Also von der antiken Tradition, die im16. Jahrhundert wiederentdeckt und wiederaufgenommen wurde- und zwar damals
in der doppelten Bedeutung von Hain, Garten, jedenfalls den Musen gewidmeten Naturraum und Ort der wissenschaftlichen Betätigung und des Sammelns. Indem man gegen die eigene philologisch untermauerte, rationale Kritik, die die Begriffsübertragung von Museum als Bezeichnung eines Ortes der Wissenschaft auf ein
Sammlungshaus -historisch übrigens korrekt - als unantik ablehnt, am Begriff Museum dann aber doch festhält, entschied man sich für die ungleich ältere Bedeutung, also unbewußt, nämlich ohne sich Rechenschaft über den Sinn dieser älteren Tradition zu geben.
In der Erinnerung an diese sogenannte populäre und älteste Bedeutungsschicht des Wortes Museum blitzt die Erinnerung sowohl an das museion als Ort des kollektiven Gedächtnisses auf, als auch die an einen lang zurückliegenden, längst verschütteten, konfliktreichen Enteignungsprozeß.
In diesem Enteignungsprozeß wurde die schrift- und bildlose, affektive und ausschiließlich von weiblichen Musen beschützte, kollektive und gattungsgeschichtliche Erinnerungsfähigkeit durch die rationale, textgebundene von den ausschließlich männlichen Priestern wissenschaftlicher Institutionen betriebene Gedächtnisarbeit allmählich abgelöst und verdrängt.
Der griechisch antike Begriff museion meinte ursprünglich den Ort der Musen, Töchter der Mnemosyne, der Göttin des Gedächtnisses und des Zeus. Zuerst ist es eine einzelne Muse - das Wort Muse bedeutet die Sinnende oder die Erinnernde - später sind es drei oder neun, ihre Zahl schwankt. Sie sind Naturgeister, Nymphen und leben anQuellen und Flüssen, wo sie im ekstatischen, göttlich inspirierten Gesang und Tanz die Vergangenheit und Zukunft in die Gegenwart beschwören, weissagen, deuten.
Das museion wurde dann die den Musen geweihte Stätte der Pflege der Erinnerung und des Eingedenkens an die konfliktreiche Geschichte der Zivilisation. Kunst, Geschichte und Wissenschaft hatten spezielle Schutzmusen, die für das Festhalten der Erinnerung einstanden und die vor allem die Rhapsoden beschirmten, die zu Beginn ihres Gesanges die Musen anriefen, als Garanten für die Wahrheit des von ihnen vorgetragenen Stücks Gattungsgeschichte. Es wurden den Musen Altäre errichtet, Bilder der Musen aufgestellt und der Hain, das museion, wurde zum Versammlungs- und Festplatz vornehmlich von Künstlern, dann auch zur Sammelstelle für Weihegaben und Opfer. .
Als Beschützerinnen der Künste und des Geistigen wurden die Musen später zu Schutzpatroninnen von Schulen, Gymnasien, philosophisctien Akademien, wie z. B. der platonischen Akademie und liehen ihren Namen dem alexandrinischen Museion, einer Stätte der Gelehrsamkeit, das seither oft fälschlicherweise als ,erstes Museum der Geschichte' bezeichnet wird. Aus dem museion als mythischem, vage lokalisierbaren Naturraum wird allmählich eine Topografie der institutionellen Wissenschaft.
"Keine bessere Gelegenheit findet man nun zu dieser fast mit himmlischer Lust verknüpften Betrachtung der Natur, als in Museis oder solchen Orten, welche ausdrücklich dazu an einer bequemen und einsamen Stelle angeordnet sind, wo selbst man gleichsam alle unnütze Geschäfte und weltlichen Rumor verläst, dagegen aber seine Sinnen und Gedanken zusammen ruft, und einzig und allein zur Ehre Gottes in der Betrachtung aller seiner Wunder anwendet. Hier sitzt er [der Forscher; G. F.] also ausgeschlossen und umgeben mit herrlichen, raren, wunderbaren und fremden Sachen, über deren Anschauung seine leiblichen Augen in angenehme Ergätzung und Fröhlichkeit gerathen." (4)
So beschreibt Neickelius Anfang des 16. Jahrhunderts die Freuden des solipsistischen Gelehrten in seinem privaten Refugium. Es ist das 16. Jahrhundert, das, zu erst in Italien, das museion wiederentdeckte, und zwar als privaten, in das Haus, das Schloß, den Palast integrierten Ort des Studiums und des Sammelns.
Das musaeum des 16. Jahrhunderts (5) rekonstruiert ,klassisches' Wissen, den ,antiken Text' und sammelt dafür Material, nun aber nicht nur schriftliche Überlieferungen, also Manuskripte oder Inschriften, sondern Gegenstände, wie Kleinplastiken, Münzen, Naturobjekte, Mineralien, Pflanzen und Tiere - das Präparieren und Konservieren wird im 16. Jahrhundert zu einer Basistechnik von Musealisierung. Das Museum ist ein gleichsam archäologisches Unternehmen, in dem durch Sammeln, Vergleichen und Ordnen von Material ein ,Text' gebildet werden kann.
Der Begriff ,Museum' strukturiert Praktiken des zwischen Privatheit und Öffentlichkeit changierenden Umgangs mit Wissen im Kontext sozialer Bestimmungen wie ,Prestige', ,Wissen', ,Wahrnehmung', ,Klassifikation' und ist zugleich humanistisch und enzyklopädisch. Die Welt ist im Museumsraum exemplarisch und geordnet präsent. Das musaeum wird vor allem ein Lokalisationsprinzip, eine Definition von Orten, an denen Lernen stattfinden kann.
Einerseits ist das Museum, wie das Zitat von Neickelius zeigt, ein kontemplativer Ort, an dem - vom lärmenden Treiben des Alltags fern - gleichsam mönchische 'Arkanpraktiken des Wissenserwerbes. Andrerseits sprengt das Enzyklopädische des Museums den Raum der Gelehrtenstube. Inder Reformation und Gegenreformation, auch durch die dadurch ausgelösten politischen Katastrophen und durch die das Weltbild sprengenden Expeditionen und Entdeckungen gerät das arkanhafte, private Sammeln in eine Krise. Die Integration
,exotischer ' Fundstücke in das,Sammeln, sprengt die herkömmlichen Museumsordnungen. Das Sammeln spiegelt nun, ab dem 17. Jahrhundert, eine alogischere, pluralistischere Welt wieder. Die instrumentelle und pädagogische Bedeutung von Sammlungen zieht Publikum auf sich und es entwickelt sich das Museum über das Private hinaus zum sozial und kulturell zweckgerichteten Ort.
Zum qualitativ Neuen der zu Ende des 18. Jahrhunderts etablierten Museumsidee gehört erstens die Ausdehnung der Publizität des Museums zum radikaldemokratischen Anspruch, uneingeschränkt jedermann das Museum als Ort der Erfahrung von Geschichte zugänglich zu halten. Und zweitens: die Historisierung der Sammlung und ihrer Wahrnehmung.
Das Museum wird zum Gang durch die Zeit, durch die Geschichte. So wurde bei dem erwähnten Berliner Museum erstmals eine historisch-chronologische und nach Schulen gegliederte Disposition der Sammlung vorgenommen. Die sorgfältig überlegte Hängung sollte das Vergleichen möglich und die historische Anordnung - auch unterstützt mit didaktischen Hilfsmitteln - erfahrbar machen.
Die Abtrennung des Museumsortes von der ,übrigen Weit', als einem Ort, an dem die Dinge gleichzeitig sind, konstituiert Geschichte. Das Museum wird im 19. Jahrhundert in diesem Sinn ein Ort der unendlichen Akkumulation, in der "die Zeit nicht aufhört, sich auf dem Gipfel ihrer selbst zu stapeln und zu drängen, während im 17. und noch bis zum Ende des 18. Jahrhunderts die Museen (...) Ausdruck einer individuellen Wahl waren." (6)
Die Idee, im Prinzip unvereinbare Zeiten und Räume, unvereinbare Stile und Epochen, unvereinbare Objekte an einem Ort zusammenzubringen, ist von der Idee beherrscht, die Zeit selbst aufzuheben, die Dinge, die Massen des Ererbten vor der Zeit selbst in Sicherheit zu bringen.
In diesen Dienst stellt sich eine museale Archäologie, die das mit den Toten bestattete Erbe, die selbst unsere Vorfahren aus den Gräbern holen wird, in diesen Dienst stellen sich die Raub- und Beutezüge der Moderne, die die Akkumulation musealer Sammlungen erst ermöglichen.
Das Selbstbild, das Museen von ihrer Entstehung und Entwicklung als Sammlung haben, ist das eines friedlichen und stetigen, gleichsam natürlichen Wachstums. Eine lange Geschichte glücklicher Funde, der Sammlerleidenschaft, von Geschick und List begnadeter Persönlichkeiten, die mit Instinkt und Reaktionsvermögen, das Erbe mehrten.
Bei näherem Hinsehen erweist sich dieses Wachstum als Geschichte gewaltförmiger und widerrechtlicher An- und Enteignungen: vom Bildersturm und Bilderraub der französischen Revolution bis zur Arisierung der NS-Zeit, von der Säkularisation, aus deren profaniertem Strandgut bedeutende europäische Museumsgründungen hervorgegangen sind bis zu den jüngsten Plünderungen des Irak in Kuweit, von den Expeditionen und Jagdkampagnen der Naturhistorischen Museen bis zur mit Zwang durchgesetzten und als freiwillige Schenkungen verbrämten Ablieferung von Kunst werken und Kulturgütern der kolonisierten Länder an die Staaten Europas und Nordamerikas reicht die lange Kette widerrechtlicher und gewalttätiger Enteignung.
Auch die friedlicheren Prozesse der Vermehrung des Museumsgutes erweisen sich bei näherem Hinsehen mit Gewalt verbunden. Die bürgerliche Museumsidee ist eng mit einer reaktiven und kompensativen Bewegung verknüpft.
Ein sich beschleunigender zivilisatorischer Wandel läßt immer mehr Gegenstände immer rascher veralten. Diese Gegenstandsmassen werden nun weder auf Müllhalden geworfen, noch dem natürlichen Verfall noch der Zerstörung überlassen, sondern ziehen - als geschichtliches Gut oder als ästhetisch faszinierende Überreste - in immer neue; Museen ein. ·
In der Schweiz etwa, einem Land mit der relativ größten Museumsdichte Europas
(nach Liechtenstein) wird derzeit durchschnittlich in jedem Monat ein neues Museum gegründet.
Die Masse der toten Arbeit vermehrt sich also mit unglaublicher Rasanz und der Widerspruch zwischen dieser Masse an toter Arbeit und der lebendigen Arbeit wird immer schärfer.
Mit anderen Worten: die Möglichkeit, diese in Schausammlungen, Depots, Lagern
und Kellern, Tiefspeichern und Studiensammlungen aufgehäuften Mengen an Dingen durch wissenschaftliche oder pädagogische Arbeit wieder zum Leben zu erwecken, wird immer unwahrscheinlicher und immer vergeblicher.
Für die wohl meisten Museen gilt ja, daß vor allem die wissenschaftliche Arbeit in quantitativer Hinsicht immer weiter hinter dem Sammeln, dem schieren Anhäufen, dem Horten hinterherhinkt. In einem Prüfbericht des Rechnungshofes zu den Wiener Bundesmuseen z. B. finden sich eindrucksvolle Zahlen dazu.
So ist am Naturhistorischen Museum in Wien nicht einmal mehr die wissenschaftliche Inventarisierung möglich, wenn allein in der anthropologischen Sammlung jährlich 4000 Skelettreste anfallen.
Wenn aus lebendiger menschlicher Arbeit tote, verdinglichte Arbeit wird, so ist das ein Enteignungsprozeß. Die, die einen Gegenstand hergestellt, bearbeitet, benutzt und genossen haben werden vom Produkt ihrer Arbeit getrennt. (7)
Musealisierung ist ein solcher Enteignungsprozeß. Und er findet längst nicht mehr nur im und durch das Museum statt. Die Metapher von der Weit als Museum, die in den letzten Jahren in Umlauf gebracht wurde, beschreibt das Platzen des Museums. Die Obsession, immer größere Lebensbereiche, ganze Naturbezirke und Stadtgelände, Ensembles von Monumenten oder sogar vom Verschwinden bedrohte Arbeits und Lebensweisen bewahren zu wollen, ist die scheinbar grenzen- und widerstandslose Ausdehnung der Idee des Museums als Ort des Zeitstillstandes auf die ganze Welt.
Noch einmal: die Masse der toten Arbeit wächst beständig. Die Chancen, sie wieder in lebendige zurückzuverwandeln, schwindet aber nicht nur mit ihrer Massenhaftigkeit. Tote Arbeit übt Macht aus. Gegen die immens langfristigen Bewegungen ihrer Anhäufung scheinen die kurzen Zeit- und Lebensspannen, derer, die ihr gegenüber stehen ohnmächtig.
Zudem: Die Spezialisten im Umgang mit toter Arbeit wurden und werden enteignet. Und gerade die, die Herrschaft über tote Arbeit ausüben - die Kustoden, die Museumspolitiker und -verwalter - verstehen nicht, oder nicht immer, mit ihr umzugehen. Ein Beispiel sind etwa industriehistorischen Museen, die Arbeiter einstellen, um Maschinen zu warten, in Gang zu setzen und sie Besuchern zu erläutern.
Museen, die in der Verfügung derer stehen, deren Erinnerung sie enthalten, sind die seltenste Ausnahme. Bei der Mehrzahl der Museen werden die Produzenten von ihren Produkten und Produktionsmitteln durch Musealisierung getrennt und sie werden selbst zu Museumspublikum. Zu Konsumenten ihrer eigenen Vergangenheit, die ihnen als verwissenschaftlichte, erzählte und strukturierte Vergangenheit noch einmal enteignet wird - unter einem fremdbestimmten Zugriff auf den sie keinen Einfluß haben. Tote Arbeit kann für ihre Produzenten selbst zum Mittel der Unterdrückung werden.
Wo aber jeder lebendige Umgang mit der Hinterlassenschaft fehlt oder versagt, bildet sich eine unheimliche Gegenständlichkeit, aus der noch der letzte Rest an Erinnerung an vergangene Arbeit und Geschichte gewichen ist.
Es entsteht massenhaft "Verdinglichung" und das "bedeutet, menschliche Phänomene aufzufassen, als ob sie Dinge wären", was bedeutet, "daß der Mensch fähig ist, seine eigene Urheberschaft der humanen Weit zu vergessen, und [...] daß die Dialektik zwischen dem menschlichen Produzenten und seinen Produkten für das Bewußtsein verloren ist." (8)
Wo solche unheimliche Gegenständlichkeit in die öffentlich zugänglichen Schausäle einwandert, bildet sich immerhin noch die 'Erfahrung von Fremdheit, Andersartigkeit, von Alterität, das Museum kann zu einer Schule des Befremdens werden, in der inoffizielle Hinsichten, Blickweisen eingeübt werden könnten. Doch diese neue Diskussion über das Museum als Schule des Befremdens (Sloterdijk 9) und Ort der Alteritätserfahrung (Waldenfels 10) sieht im Museum nur noch den Ort der spielerischen Einübung in das Befremden und benützt die durch Musealisierung erzwungen Distanz nicht mehr zur Kritik von Musealität und ihrem Zustandekommen.
Aber das Fehlen von eigensinniger, kritischer und lebendiger Arbeit oder ihre Ohnmacht angesichts der Menge und Last der Überlieferung erzeugen Realitätsverlust. Denn nur dann ist tote Arbeit tot, wenn sie nicht mehr in Beziehung zu setzen ist zu lebendiger Arbeit, denn nur diese Beziehung konstituiert Realität. Das Glück die Erfahrung, der Genuß liegen nicht in den Dingen, sondern in den Beziehungen zu ihnen und an die Beziehungen, an die uns die Dinge erinnern. (11)
Vermittlungsarbeit, die sich etwa unter der Prämisse der Objektvermittlung glaubt in den Dienst ,der Sache', d. h. auch: des Museums als Agentur des Erbes als stellen zu müssen, begnügt sich damit, mit den Resultaten von Musealisierung und mit institutionellen Sachzwängen unter Würdigungs- und Anerkennungspflicht zu operieren. Vermittler sind dann bloß Erbstauhelfer und Besichtigungsrninistranten.
Daher: Raus aus dem Museum!
Anmerkungen:
1 Gustav Friedrich Waagen: Karl Friedrich Schinkel als Mensch und als Künstler, 1844, zit. n.: Karl Friedrich Schinkel 1781-1841. Berlin 1982, S.149
2 Die verschiedenen Dokumente, die über diesen Konflikt Aufschluß geben sind bei Alfred Freiherr von Wolzogen abgedruckt: Aus Schinkel's Nachlaß. Dritter Band. Berlin 1863, S.271ff.
3 Staatsrat Süvern, ebenda S.272f.
4 C.F.Neickelio: Museographia oder Anleitung zum rechten Begriff und nützlicher Anlegung der Museorum oder Raritäten-Kammern. Leipzig und Breßlau 1727; zit. n.: Wolfgang Pircher: Ein Raum in der Zeit. Bemerkungen zur Idee des Museums. In: Ästhetik und Kommunikation, Heft 67/68, 18. Jg., S.41
5 Vgl. dazu und zum Folgenden Paula Findlen: The Museum: Its classical etymology and renaissance genealogy. ln: Journal of the History of Collections, I no.l 1989
6 Michel Foucault: Andere· Räume, 1967, in: Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik. Leipzig 1991, S.43
7 Vgl.: Oskar Negt, Alexander Kluge: Geschichte und Eigensinn. Frankfurt 1981, S.98ff.
8 Peter L. Berger/Thomas Luckmann: Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie. Frankfurt 1969, S.94
9 Peter Sloterdijk: Museum- Schule des Befremdens, in: Peter Noever (Hg.): Tradition und Experiment. Das Österreichische Museum für Angewandte Kunst, Wien. Salzburg 1988, S.288ff.
10 Bernhard Waldenfels: Der herausgeforderte Blick. Zur Orts- und Zeitbestimmung des Museums. ln: ders.: Der Stachel des Fremden. Frankfurt 1990, S.225ff .
11 Wie Anm.7
Montag, 25. Februar 2013
Mikroausstellung "Saliera"
"Schatzfund" im Waldviertel |
Innen- und Bildungsministerien |
Wilfried Seipel nimmt die wiedergefundene Saliera in Empfang |
TV-Werbung für die Kunstkammer. Maximilian Schell |
Die Saliera, ein Salz- oder Pfefferfass, wurde vom italienischen Bildhauer und Goldschmied Benvenuto Cellini (1500-1571) für Franz I. von Frankreich von 1540 bis 1543 anfertigt. Es ist Cellinis einzige erhaltene Goldschmiedearbeit.
Dargestellt sind Neptun, der Gott des Meeres, mit einer Hand ein Schiff als Salzbehälter haltend und von vier pferdeartigen Wesen mit Rossleib und Fischschwänzen getragen, und Tellus, die römische Göttin der Erde. Sie sitzen einander gegenüber, "die Beine anmutsvoll ineinander geschoben" (Cellini). An ihrer Seite befindet sich ein Tempelgebäude, das als Behälter für Pfeffer dient, sowie die Darstellungen von Landtieren und einem von Blüten und Früchten strotzendem Füllhorn. In den acht Nischen des Sockels findet man Darstellungen der Jahreszeiten sowie der Morgenröte, des Tags, der Dämmerung und und der Nacht.
Kardinal Ippolito d’Este von Ferrara hatte bei Cellini das Salzfass in Auftrag gegeben, zog den Auftrag aber zurück. Cellini nahm das Modell mit auf seine Reise nach Frankreich und zeigte es dort Franz I. Er erteilte Cellini den Auftrag zur Ausführung des Salzfasses. Es gelangte später als Geschenk des französischen Königs Karl IX. an Erzherzog Ferdinand II. von Tirol und damit in habsburgischen Besitz. Das Salzfass war Teil der Kunstsammlung von Schloss Ambras und wurde im Zuge der Auflösung dieser Sammlung in das Kunsthistorische Museum in Wien überführt.
Im Mai 2003 wurde die Saliera aus dem Kunsthistorischen Museum gestohlen. Der Diebstahl wurde durch die Einrüstung des Museums erleichtert. 2006 wurde der Dieb gefasst und die Saleria, die er in einem Waldstück in eine Kiste verpackt vergraben hatte, geborgen. Der Täter, Chef einer Alarmamlagenfirma, wurde zu fast drei Jahren Haft verurteilt und ist inzwischen vorzeitig entlassen. Der damalige Generaldirektor des Museums Wilfried Seipel wurde wegen der mangelhaften Sicherheitsstandards des Museums massiv angegriffen und zum Rücktritt aufgefordert.
»Durch den Diebstahl hat das Kunsthistorische Museum seine Unschuld verloren«, erinnert sich Georg Leithe-Jasper, der frühere Direktor der Kunst- und Schatzkammer des KHM, des eigentlichen Standorts der Saliera. »Die Reaktion meiner Kollegen vom Louvre bis zur Eremitage war erschütternd. Es stimme also doch, sagten sie, das KHM sei ein unseriöses Haus geworden.« (Rainer Himmlefreundpointner: Gelegenheit, Nacht, Diebe.Wie es gelang, die "Saliera" aus dem angeblichen "Bollwerk" zu stehelen. In: DIE ZEIT online, 9.2.2006)
Mit der Eröffnung der sogenannten Kunstkammer im März 2013 rückt die Saliera als eines der kostbarsten Stücke des Museums wiederum ins Zentrum der Aufmerksamkeit.
Sonntag, 24. Februar 2013
Arm und reich. Gold und Müll.
Kulturministerien Claudia Schmied, Generaldirektorin Sabine Haag, Caritas Direktor Michael Landau. Präsentation der Caritas-Kunstkammertaschen vor dem Infocenter am Maria Theresien - Platz. Die Caritas-Kunstkammertaschen wurden in der limitierten Auflage von 1.000 Stück im Rahmen des Projekts hke aus gebrauchten KHM-Werbeplanen produziert; jede einzelne Tasche trägt eine exklusive Goldnummer, von KK0001 bis KK1000. Die Taschen sind ab sofort im KHM-Shop erhältlich. Ein Teil des Erlöses wird zugunsten der Kunstkammer verwendet, ein Teil zugunsten des Caritas-Projekts hke (Handwerk, Kunst, Entwicklung). Dieses Projekt bietet arbeitslosen jungen Menschen eine Chance, hier erste Arbeitserfahrungen zu machen und sich auf das Arbeitsleben vorzubereiten. (Text: APA, Juni 2012. Siehe auch hier: Das namenlos Glück der Schatzbildunghttp://museologien.blogspot.co.at/2013/02/schatzbildung-im-21-jahrhundert.html und hier Dabeisein, Mitreden - Bildungsbürger!). |
Samstag, 23. Februar 2013
Das namenlose Glück der Schatzbildung im 21. Jahrhundert
Es widerstrebt mir, die Feierlichkeit, den Stolz, den Patriotismus, den Hype usw., den die Eröffnung der Kunstkammer dank einer unglaublichen Marketinganstrengung (hier) auslöst, auch nur im geringsten zu stören. Ich überlasse das Feld der ZEIT, die nicht nur Joachim Riedl die ehrfurchtsvoll raunende Feder überlässt (hier), sondern auch ihre Titelseite den "Schätzen der Habsburger" weiht sowie Mathhias Dusini, der im FALTER ebenfalls sich seiner Ergriffenheit weitgehend überläßt (hier).
Freitag, 22. Februar 2013
Ausweisung
Christian Jakob im Gespräch mit der Soziologin Sassen über Desintegration
„Teilhabe war gestern“
taz: Frau Sassen, Ihrer Ansicht nach beschreibt der Begriff „Ausweisung“ so gut wie kein anderer unsere Gegenwart. Warum?
Saskia Sassen: Wenn ich von Ausweisung spreche, dann meine ich etwa die Bewohner der 13 Millionen Häuser, die seit 2006 in den USA zwangsversteigert wurden. Oder die Millionen, die in den USA im Gefängnis sitzen. Ich meine die verarmte Mittelschicht in Europa und die Milliarde Menschen, die in absoluter Armut leben.
Alles Dinge, die es schon lange gibt. Wo ist das Neue?
Nehmen wir Griechenland. Dort verlieren immer mehr Leute ihre Arbeit, immer mehr sind zu arm, um für ihre Kinder zu sorgen. Doch wenn man dort ist, sieht alles aus wie früher: Es gibt Bars, es gibt Restaurants, Büros, Leute mit Jobs. Doch verliert man den, ist man raus, wirklich raus. Das ist nicht einfach nur ein bisschen mehr Arbeitslosigkeit und Armut.
Anzeige
Sondern?
Die Ungleichheit wächst und wächst, und ab einem bestimmten Punkt ist die Veränderung ist so nachhaltig, dass wir es mit etwas Anderem zu tun haben: mit Ausweisung. Nehmen wir die Zwangsversteigerungen. Die gibt es schon, seit es Hypotheken gibt. Aber heute stehen ganze Stadtteile leer.
Sie vergleichen die Lage von Beamten mit Lohneinbußen in Südeuropa mit der inhaftierter afroamerikanischer Jugendlicher und der von Landraub betroffener Kleinbauern in Afrika: Sie alle seien „ausgewiesen“. Tun Sie der Wirklichkeit nicht einen ziemlichen Zwang an?
Ich vergleiche nicht. Wenn wir alte Erklärungsmuster beibehalten, dann lassen sich diese Dinge nicht vergleichen. Ich frage, ob diese Erklärungsmuster geeignet sind, die tiefen Veränderungen zu beschreiben, die am Werk sind. Und meine Antwort lautet: Nein, sind sie nicht. Wenn es Brüche in der Verhältnissen gibt, braucht man neue Konzepte, um sie zu erkennen.
Und das ist Ihnen gelungen?
Als der Industriekapitalismus in England bereits zur dominanten Wirtschaftsweise aufgestiegen war, sah das Land im Großen und Ganzen noch aus wie vorher: ein Agrarland mit etwas Handel. Es gab weiter Landwirtschaft, aber die Schafe waren jetzt nicht mehr einfach Schafe, sondern Grundlage des Betriebs der Textilfabriken. Jetzt ist es ähnlich: An der Oberfläche sieht alles noch aus, wie vor 40 Jahren. Ist es aber nicht.
Für die Dinge, die Sie nennen, gibt es doch längst einen Begriff: sozialer Ausschluss.
Nein, den gibt es eben nicht. Was wir heute sehen, hat mit sozialem Ausschluss nichts zu tun. Die Grenze, die jemand überschreitet, der in Griechenland seinen Job und sein Haus verliert, ist eine neue Sorte von Grenze. Das nenne ich Ausweisung. Sozialer Ausschluss ist Diskriminierung, aber im Innern des Systems. Das ist schlimm, das gibt es weiter, aber was mich hier besorgt, ist etwas Neues. Es sind die Logiken der Ausweisung von Menschen aus traditionellen Ökonomien, von der Möglichkeit, ein Teil der neuen und alten Ordnung zu bleiben.
Was verbindet denn den griechischen Erwerbslosen mit dem geräumten US-Immobilienbesitzer?
Beide werden aus ihrem Lebensraum vertrieben. Dass es in Griechenland und Spanien inzwischen auch keinen Schutz mehr gibt gegen den totalen Abstieg, so wie in den USA.
Sie behaupten, nach dem 11. September habe die US-Regierung begonnen, die Bevölkerung derart exzessiv zu überwachen, dass sie aus der Sphäre der Bürger mit historisch gewachsenen Bürgerrechten in die „Sphäre der Verdächtigen ausgewiesen“ worden sei. Ist das nicht reichlich dick aufgetragen?
Natürlich gab es schon immer Überwachung, aber heute sehen wir ein transnationales System, von dem alle Demokratien ein Teil werden. In den USA gibt es 10.000 öffentliche Einrichtungen, die sich mit der Überwachung beschäftigen, und sie arbeiten mit den Engländern und den Deutschen et cetera zusammen. Es ist eine neue Art des Krieges, der diese Zustände geschaffen hat: Wenn der Feind ein anderer Staat ist, ist er sichtbar. Aber jetzt, wo der Bürger, der Immigrant, der Tourist ein Terrorist sein kann, existiert eine Vorstellung totaler Überwachung – auch deshalb, weil wir über die nötigen Technologien verfügen. Diese Logik der totalen Überwachung macht uns alle zu Verdächtigen.
Sie schreiben, in der Vergangenheit habe es „kleinere Verluste“ gegeben, jetzt komme es zur „massiven Ausweisung“. Romantisieren Sie nicht den Keynesianismus?
Es gab im Keynesianismus Ausbeutung, Rassismus und sozialen Ausschluss, aber in der Tendenz wuchs die Zahl der Integrierten: Die wohlhabende Arbeiterklasse und die wohlhabende Mittelklasse wurden größer. Das geschah nicht, weil das System nett war, sondern weil die Wachstumsdynamik nach immer mehr von allem verlangt hat. Das Ergebnis: Es gab zunehmend Menschen mit Haus, Bildung, Pensionen, mit Teilhabe. Heute ist die Tendenz andersherum.
Wandert die Dritte Welt in den Norden?
Zwischen 1985 und 1995 hat der Internationale Währungsfonds in über 70 Krisen interveniert, die Gewerkschaften in die Schranken gewiesen, Löhne gedrückt, den öffentlichen Sektor ausgedünnt. Die Ökonomien wurden „gesundgeschrumpft“. Doch bei diesen „Schrumpfungen“ fliegen die Leute raus, von denen man glaubt, sie nicht zu brauchen. Es ist eine Ausweisung, eine wirtschaftliche Säuberung. Seit dem letzten Jahrzehnt gibt es dies auch im globalen Norden. Die Krise von 2008 wurde dazu benutzt, Sozialleistungen zu kürzen. Das sieht man besonders extrem in Spanien und Griechenland. Die griechischen Banken wurden gerettet, die Wirtschaft geschrumpft, die Leute flogen raus.
Sie nennen das die „aktive Herstellung einer Überschussbevölkerung“. Soll das heißen, dass dies mit Absicht geschieht?
Nein, nicht absichtlich. Es ist eine systeme Tendenz. Man braucht keine Verschwörung, keine Zirkel, die Entscheidungen treffen. Die Dinge entwickeln sich in diese Richtung. Im Keynesianismus ging es in Richtung mehr Integration, jetzt drehen sich die Zeiger der Uhr rückwärts.
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Haben diese Veränderungen etwas mit fallenden Profitraten zu tun?
Das ist eine sehr marxistische Vorstellung. Die Ausweisungen haben nicht mit der Profitrate in einem mechanischen Sinn zu tun. Eine Bergbaufirma vergiftet eine ganze Region innerhalb von zehn Jahren Abbau so, dass die Leute dort umgesiedelt werden müssten. Das passiert aber nicht, weil die Profitrate gefallen wäre, sondern weil diese Leute egal sind. Wenn sie sterben, dann sagen die Verantwortlichen: „Oh, das müsste unseretwegen nicht sein.“ Und machen einfach weiter.
„Teilhabe war gestern“
taz: Frau Sassen, Ihrer Ansicht nach beschreibt der Begriff „Ausweisung“ so gut wie kein anderer unsere Gegenwart. Warum?
Saskia Sassen: Wenn ich von Ausweisung spreche, dann meine ich etwa die Bewohner der 13 Millionen Häuser, die seit 2006 in den USA zwangsversteigert wurden. Oder die Millionen, die in den USA im Gefängnis sitzen. Ich meine die verarmte Mittelschicht in Europa und die Milliarde Menschen, die in absoluter Armut leben.
Alles Dinge, die es schon lange gibt. Wo ist das Neue?
Nehmen wir Griechenland. Dort verlieren immer mehr Leute ihre Arbeit, immer mehr sind zu arm, um für ihre Kinder zu sorgen. Doch wenn man dort ist, sieht alles aus wie früher: Es gibt Bars, es gibt Restaurants, Büros, Leute mit Jobs. Doch verliert man den, ist man raus, wirklich raus. Das ist nicht einfach nur ein bisschen mehr Arbeitslosigkeit und Armut.
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Sondern?
Die Ungleichheit wächst und wächst, und ab einem bestimmten Punkt ist die Veränderung ist so nachhaltig, dass wir es mit etwas Anderem zu tun haben: mit Ausweisung. Nehmen wir die Zwangsversteigerungen. Die gibt es schon, seit es Hypotheken gibt. Aber heute stehen ganze Stadtteile leer.
Sie vergleichen die Lage von Beamten mit Lohneinbußen in Südeuropa mit der inhaftierter afroamerikanischer Jugendlicher und der von Landraub betroffener Kleinbauern in Afrika: Sie alle seien „ausgewiesen“. Tun Sie der Wirklichkeit nicht einen ziemlichen Zwang an?
Ich vergleiche nicht. Wenn wir alte Erklärungsmuster beibehalten, dann lassen sich diese Dinge nicht vergleichen. Ich frage, ob diese Erklärungsmuster geeignet sind, die tiefen Veränderungen zu beschreiben, die am Werk sind. Und meine Antwort lautet: Nein, sind sie nicht. Wenn es Brüche in der Verhältnissen gibt, braucht man neue Konzepte, um sie zu erkennen.
Und das ist Ihnen gelungen?
Als der Industriekapitalismus in England bereits zur dominanten Wirtschaftsweise aufgestiegen war, sah das Land im Großen und Ganzen noch aus wie vorher: ein Agrarland mit etwas Handel. Es gab weiter Landwirtschaft, aber die Schafe waren jetzt nicht mehr einfach Schafe, sondern Grundlage des Betriebs der Textilfabriken. Jetzt ist es ähnlich: An der Oberfläche sieht alles noch aus, wie vor 40 Jahren. Ist es aber nicht.
Für die Dinge, die Sie nennen, gibt es doch längst einen Begriff: sozialer Ausschluss.
Nein, den gibt es eben nicht. Was wir heute sehen, hat mit sozialem Ausschluss nichts zu tun. Die Grenze, die jemand überschreitet, der in Griechenland seinen Job und sein Haus verliert, ist eine neue Sorte von Grenze. Das nenne ich Ausweisung. Sozialer Ausschluss ist Diskriminierung, aber im Innern des Systems. Das ist schlimm, das gibt es weiter, aber was mich hier besorgt, ist etwas Neues. Es sind die Logiken der Ausweisung von Menschen aus traditionellen Ökonomien, von der Möglichkeit, ein Teil der neuen und alten Ordnung zu bleiben.
Was verbindet denn den griechischen Erwerbslosen mit dem geräumten US-Immobilienbesitzer?
Beide werden aus ihrem Lebensraum vertrieben. Dass es in Griechenland und Spanien inzwischen auch keinen Schutz mehr gibt gegen den totalen Abstieg, so wie in den USA.
Sie behaupten, nach dem 11. September habe die US-Regierung begonnen, die Bevölkerung derart exzessiv zu überwachen, dass sie aus der Sphäre der Bürger mit historisch gewachsenen Bürgerrechten in die „Sphäre der Verdächtigen ausgewiesen“ worden sei. Ist das nicht reichlich dick aufgetragen?
Natürlich gab es schon immer Überwachung, aber heute sehen wir ein transnationales System, von dem alle Demokratien ein Teil werden. In den USA gibt es 10.000 öffentliche Einrichtungen, die sich mit der Überwachung beschäftigen, und sie arbeiten mit den Engländern und den Deutschen et cetera zusammen. Es ist eine neue Art des Krieges, der diese Zustände geschaffen hat: Wenn der Feind ein anderer Staat ist, ist er sichtbar. Aber jetzt, wo der Bürger, der Immigrant, der Tourist ein Terrorist sein kann, existiert eine Vorstellung totaler Überwachung – auch deshalb, weil wir über die nötigen Technologien verfügen. Diese Logik der totalen Überwachung macht uns alle zu Verdächtigen.
Sie schreiben, in der Vergangenheit habe es „kleinere Verluste“ gegeben, jetzt komme es zur „massiven Ausweisung“. Romantisieren Sie nicht den Keynesianismus?
Es gab im Keynesianismus Ausbeutung, Rassismus und sozialen Ausschluss, aber in der Tendenz wuchs die Zahl der Integrierten: Die wohlhabende Arbeiterklasse und die wohlhabende Mittelklasse wurden größer. Das geschah nicht, weil das System nett war, sondern weil die Wachstumsdynamik nach immer mehr von allem verlangt hat. Das Ergebnis: Es gab zunehmend Menschen mit Haus, Bildung, Pensionen, mit Teilhabe. Heute ist die Tendenz andersherum.
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