Dienstag, 4. September 2012

Soll das Konzentrationslager Buchenwald kulturelles Welterbe werden?

Die Stadt Weimar bemüht sich, unterstützt vom Leiter der Gedenkstätte, das ehemalige Konzentrationslager Buchenwald als Weltkulturerbe anerkennen zu lassen. Es wäre das erste Mal, daß ein Ort massenhafter Verbrechen in den Rang eines Weltkulturerbes erhoben würde.
Es gibt auch Gegenstimmen. Orte des Verbrechens könnten und dürften niemals eine solche Anerkennung finden, denn Verbrechen solchen Ausmaßes seien "nicht Kultur".

Buchenwald, ehemaliges Barackengelände. Foto GF
 Das ist eine riskante Argumentation, weil sie darauf hinausläuft, Gewalt und Verbrechen aus dem Kulturbegriff auszuschließen. Unterschlagen würde damit eine Dialektik, von der das Konzept des Welterbes selbst zehrt: alles was an dieser kulturellen Überlieferung von Barbarei kontaminiert ist, wird durch seine Kulturalisiserung verdrängt und gleichsam unsichtbar.
Eine unter Schutz gestellte Stahlfabrik sollen wir als Kathedrale der Industrialisierung und nicht als Ort entfremdender Arbeitsbedingungen und etwa Produktion von Rüstungsgütern wahrnehmen. Die Fragen nach den Quellen des Reichtums und der Macht, die einem indischen Mogul die Errichtung eines märchenhaftes Mausoleums (Taj Mahal) erlaubt, soll nicht gestellt werden.
Genau diese Kulturalisierung der Barbarei ist aber ein Effekt der Unterschutzstellung im Namen eines sogenannten Welterbes. Es soll ein Kanon global gültiger kultureller Werte geschaffen werden, der eine positive (vor allem ästhetische) Anerkennung erheischt. Und das durchaus im Sinne des Konzepts der Sehenswürdigkeit, deren Wert und Bedeutung schon vorab postuliert und verbrieft ist und somit jedem sich immer wieder erneuernden Diskurs entzogen, der diese Bedeutung befragen und infragestellen könnte.
Die Verantwortlichen der Stadt Weimar und der Leiter der Gedenkstätte betonen, daß es genau um diese Dialektik von Hochkultur (Stadt) und Verbrechen (Lager) ginge. Machte man Ernst damit, machte es nur Sinn, wenn es Konsequenzen für das - vielfach problematische - Konzept des Welterbes hätte. Aber in dessen Praxis ist eine reflexive Problematisierung des kulturellen Erbes nicht vorgesehen.
Und: So fragwürdig die Attitude ist, mit der sich eine hand voll von Kulturbürokraten zum globalen Erblasser ernennt, so fragwürdig wäre der Effekt, der nun auch ein in Deutschland liegendes NS-Konzentrationslager einem globalen Erben überantwortet und damit auch die Frage nach Schuld und Verantwortung verschieben würde.  

Sonntag, 2. September 2012

Ein Museums(nicht)liebhaber (Das Museum lesen 28)


Ich liebe Museen nicht sonderlich. Es gibt viele, die man bewundern kann, es gibt keines, das einem Wonnen schenkte. Was an Vorstellungen über Ein- und Zuord-nung, Erhaltung und Nutzen für die Allgemeinheit umläuft, ist richtig und einleuchtend, hat aber mit Spendung von Wonnen wenig zu tun.
Beim ersten Schritte den schönen Dingen entgegen nimmt eine Hand mir den Stock weg, untersagt mir ein Anschlag das Rauchen.
Das Museum übt eine nicht abreißende Anziehungskraft auf alles aus, was Menschen tun. Der Mensch, der Werke schafft, der Mensch, der stirbt, füttern es. Alles endet an der Wand oder im Schauschrank... Ich kann mich nicht enthalten, an die Spielbank zu denken, die bei jedem Umlauf gewinnt. Doch das Vermögen, diese immer voller werdenden Speicher zu nutzen, steigt keineswegs mit ihrem Wachstum. Unsere Schätze erdrücken uns und verwirren uns. Die Notwendigkeit, sie in einer Behausung zusammenzudrängen, treibt die Betäubung und die Trauer, die von ihnen ausgehen, noch über sich hinaus. So weiträumig das Schloß auch sein mag, noch so angepaßt, noch so geordnet - immer kommen wir uns in diesen Galerien ein wenigverloren und verzweifelt vor, so allein gegenüber so viel Kunst! Was alles diese Tausende von Stunden hervorgelockt haben, die so viele Meister aufbrachten, um zu zeichnen und zu malen, wirkt in einigen wenigen Augenblicken auf unsere Sinne und auf unserm Geist— und diese Stunden waren doch eine jede selbst bis zum Rande voll mit Jahren des Suchens, des Erfahrens, des Wachseins, des Genies befrachtete Stunden! . . . Da müssen wir notwendig erliegen. Was tun? Wir werden oberflächlich.

Paul Valery: Das Problem der Museen

Freitag, 31. August 2012

Selten gezeigt (Texte im Museum 321)

Landesmuseum Ferdinandeum Innsbruck

Sponsoring (Texte im Museum 320)


Haus der Geschichte. Frankreich. Österreich

Nationale Historische Museen sind Versuche, den politischen Zugriff auf die Vergangenheit zu ermöglichen, in einer großen Meistererzählung, die sich der herrschenden politischen Ideologie fügt. Auch wenn es nur bescheiden "Haus der Geschichte" hieß, das französische Projekt stammte direkt aus dem weit nach rechts ausholenden Wahlkampf Nikolas Sarkozys, in dem ihm Frankreichs nationale Identität sogar ein eigenes Ministerium Wert war.

Trotz massiven Widerstandes vieler und namhafter Historiker hätte das Projekt bei der Wiederwahl Sarkozys wohl eine Chance zur Verwirklichung gehabt - in der nun schon langen Tradition, mit der sich Französische Präsidenten mit Museumsbauten Denkmäler setzen. Als vorbildlich stellte man das Deutsche Historische Museum hin, eine andere patrimoniale politische Gründung, von Helmut Kohl betrieben und durchgesetzt.
Nun ist das Projekt definitiv beerdigt worden. Der neue Präsident verfolgt es nicht weiter. Man wird sich mit einer Vernetzung der ohnehin zahlreich existierenden Museen begnügen.

Das österreichische Projekt eines "Hauses der Geschichte" ist noch nicht offiziell beerdigt. Das geht in Österreich anders. Irgendwo, in einer Schublade, liegt wohl das Konzept, aber derzeit ist kein Politiker in Sicht, der sich hinter diese Idee stellt und der Staat wird derzeit, auch angesichts der klammen Mittel für die Bundesmuseen, kaum Geld für ein so großes Projekt lockermachen.

Unter der Regierung Schüssel, wo konservative Geschichtspolitik via Ausstellungen betrieben wurde, war das noch anders. Auch hier reagierten die Historiker ablehnend. Aber auch da ist Österreich anders. An den 'nationalen' Geschichtsausstellungen beteiligte sie sich sehr wohl und beim Protest hatte man gelegentlich den Eindruck, es ging nicht nur um  Ablehnung, sondern darum, die Deutungshoheit in die Hand zu bekommen.

Dabei gilt für Österreich dasselbe wie für Frankreich, nämlich das, was dort im Zentrum der Kritik und der jüngsten Beendigung des Projekts stand: es gibt kein einheitliches Narrativ, in dem sich die Geschichte einer Nation fassen ließe. Und niemand ist interessiert, sich die Konflikte anzutun, die die Konzeption und Errichtung so eines "Hauses" zwangsläufig mit sich brächte.

Donnerstag, 30. August 2012

Ein Museum: Tsunami-Museum. Hilo/Hawai


Pacific Tsunami Museum is a museum in Hilo, Hawaii dedicated to the history of the April 1, 1946 Pacific tsunami and the May 23, 1960 Chilean tsunami which devastated much of the east coast of the Big Island, especially Hilo.
The museum also has a mission to educate people in general about tsunamis, including the 2004 Indian Ocean earthquake and tsunami. It is located at 130 Kamehameha Avenue, Hilo.


Heute (Texte im Museum 319)


Vom Ding zum Exponat (Das Museum lesen)



"Die Abfolge: Ding, Abfallprodukt, Zeichen mit Symbolcharakter wird von der Mehrheit der Gegenstände durchlaufen, aus denen sich das kulturelle Erbe zusammensetzt. Aber nur von der Mehrheit, nicht von allen. In einigen Fällen hat man nämlich am Anfang nicht ein Artefakt, sondern ein Naturobjekt; das gilt für Fossilien, Wälder, Naturparks, geschützte Arten von Tieren und Pflanzen usw. Zudem gibt es Artefakte, die schon immer Zeichen mit Symbolcharakter waren: Gemälde, Zeichnungen, Stiche, Skulpturen, Münzen, liturgische Gegenstände, gedruckte Bücher oder Manuskripte, Inschriften, Gebäude, Kleider und, im allgemeinen, alle die Artefakte, die nicht wegen ihres Gebrauchswertes allein hergestellt wurden, sondern gedacht waren auch als Augenweide und als Verweis auf Unsichtbares. Im Gegensatz zu den Dingen, die zu Zeichen mit Symbolcharakter geworden sind, wechseln diese Objekte im Laufe ihrer Geschichte nicht die Kategorie. Aber Zweck und Bedeutung auch dieser Objekte ändern sich. Ein Dekorelement oder ein religiöses Kultobjekt haben, einmal im Museum angelangt, einen besonderen Zweck, der von ihrem ursprünglichen verschieden ist. Um sich davon zu überzeugen, betrachte man nur ein Bild. Ein Bild hängt nicht in einem Museum, um die Wände zu schmücken, im Gegenteil, die Wände wurden errichtet, um das Bild ausstellen zu können. Und ein religiöses Kultobjekt wird in einem Museum weder zu Gebeten noch zu Spenden anregen; es ist entweder ein historisches Zeugnis früherer Gläubigkeit oder ein Kunstwerk, an dem man das Material oder die künstlerische Ausführung oder beides bewundern kann. Genauso bezeugt ein Adelspalast, einmal zum historischen Bauwerk geworden, nicht mehr den Platz seines Besitzers in der Adelshierarchie. Vergleicht man ihn aber mit anderen Palästen derselben Epoche, so zeigt er, wie die Architektur damals Unterschiede des sozialen Status zum Ausdruck brachte. Somit weckt er Fragen und Reaktionen, die verschieden sind von denen, die seine ursprüngliche Funktion hervorrief.
Die Bildung des kulturellen Erbes besteht also in der Umwandlung von gewissen Abfallprodukten in Zeichen mit Symbolcharakter (analog dazu die Umwandlung von gewissen Naturobjekten) und in einer Zweck und Bedeutungsänderung von Zeichen mit Symbolcharakter. Die Auswahl der für das kulturelle Erbe würdig befundenen Objekte hängt ab von ihrer Fähigkeit, eine neue Sinnstiftung zuzulassen, die hauptsächlich an ihre Vorgeschichte, ihre Rarität gebunden ist. Sind sie aber einmal zu Zeichen mit Symbolcharakter geworden, dann wird ihnen ein spezieller Schutz zuteil, der sie vor zerstörenden Einflüssen von Mensch und Umwelt schützt."
Krzystof Pomian 

Kindermund tut Wahrheit kund (Texte im Museum 318)

Archäologie-Museum Bozen

Mittwoch, 29. August 2012

Inner meaning (Das Museum lesen 27)

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„Art and museum culture is the secular religion of capitalism. 
It provides a space for inner meaning in an otherwise spiritually empty world.“

Gregory Sholette

Hundertwasser (Entrée 74)

Huntertwasserhaus, Wien

Das "globale Museum"


1
Das wäre eine schöne Frage für Günther Jauchs „Wer wird Millionär“, eine die die letzte Hürde vor der Million sein müsste: In welchem der folgenden vier Länder gibt es kein Museum? Ist das A) Tibet B) Monaco C) Tuvalu D) Eritrea.
Wer glaubt, daß Monaco nur aus Casino, Formel I und Fürstenpaar besteht, irrt, da gibt es ein Museum, ein berühmtes sogar, das ozeanografische. Alle europäischen Kleinstaaten, also auch alle europäischen Staaten haben Museen. (Mit dem Kuriosum des kleinsten Staates, in dem sich eins der weltweit ältesten, bedeutendsten und größten Museen befindet - der Vatikan).
Tibet hätte bis vor einigen Jahren wohl gestimmt, in der traditionellen tibetischen Kultur kann man sich keinen Platz für eine solche Institution vorstellen. Aber diese Kultur ist dabei, durch die von China seiner autonomen Region verordneten Modernisierung langsam überlagert und verdrängt zu werden. Dazu gehört nicht nur der Ausbau des Bildungswesens, der Straßenbau, die technische Meisterleistung einer Bahnlinie nach Lhasa, sondern auch ein Museum in der Hauptstadt.
Eritrea? Man könnte wohl auf mehr als nur einen jener afrikanischen Staaten als ‚museumslos’ verfallen, deren politische und gesellschaftliche Kohärenz so fragil ist, daß man sich eine so sehr auf langfristige Pflege und Alimentierung angewiesene Institution wie ein Museum nicht vorstellen kann. Eritrea ist aber auch falsch.
Richtig ist Tuvalu, der viertkleinste Staat der Erde mit der drittkleinsten Bevölkerung. Tuvalu ist ein Inselstaat im Stillen Ozean mit grade mal etwas über 10.000 Einwohnern und erst seit 1978 ein souveräner Staat. Übrigens einer, der von seiner Umwelt, dem Meer und seinem Ansteigen, als derart bedroht gilt, daß die Einwohner ernsthaft die kollektive Auswanderung nach Neuseeland und Australien erwogen haben, und, wie ich grade lese, wiederum erwägen. Da braucht man nicht unbedingt ein Museum (das es hingegen in allen anderen Insel-Kleinstaaten in den großen Ozeanen gibt).
2
Ich glaube nicht, daß diese Frage in einem Fernsehquiz fair wäre. Wer soll so etwas wissen, wer hat sich eine solche Frage je gestellt?
Mich hat der Ehrgeiz, das nachzuprüfen auch erst gepackt, als meine Unterlagen (Reste, Brösel, Abfall aus diversen Recherchen) sich so verdichteten, daß ich dachte, es sei einfach, die Verbreitung von Museen weltweit zu evaluieren. Von den 194 derzeit in der UNO vertretenen Staaten der Welt (und sehr viel mehr Staaten gibt es nicht und das sind dann meist solche mit einem fraglichen, umstrittenen Status) können wir ja von so viele auf Anhieb ausschließen, daß der ‚Rest’ doch leicht zu überprüfen sein müsste. Dachte ich jedenfalls.
Eine viel zu lange dauernde Grippe, während der man zu intelligenterer Tätigkeit ohnehin kaum fähig ist, habe ich genutzt, um das Internet heißlaufen zu lassen. Und da zeigten sich dann beträchtliche Schwierigkeiten, denn an globalen Daten fehlt es oder sie sind, wie bei Wikipedia, extrem schlampig und unzuverlässig. Wenn man nicht auf Museumsverbände stößt wie es sie für Afrika (mit bescheidenen Daten) gibt oder die Pazifischen Inseln, dann muß man jedem Einzelfall nachgehen.
Das Suchen und Recherchieren war übrigens ganz und gar nicht uninteressant, weil man auf Museen stößt, die interessante Konzepte verfolgen oder in ungewöhnlichen politischen oder kulturellen Kontexten existieren, fern von dem, was wir möglichweise als „europäische Norm“ im Kopf haben.
Die Antwort auf die Frage, „gibt es Staaten, die kein Museum haben?“ hat mich selbst ziemlich verblüfft. Die Antwort lautet: unter den etwa 194 Staaten (die Zahl schwankt ja durch Separation, Anerkennung, Dekolonisierung, unterschiedliche Beurteilung der Selbständigkeit usw. laufend) konnte ich außer Tuvalu nur noch ein einziges weiteres Land identifizieren, das kein Museum hat: Dschibuti. Also ein afrikanisches Land mit einer langen Kolonialisierungsgeschichte und einer aktuell politisch und ökonomisch depressiven Situation. Dabei bin ich mir in diesem Fall nicht mal restlos sicher, denn ich bin dort auf Spuren eines möglichweise aus der französischen Kolonialzeit stammenden Museum gestoßen, konnte aber nicht verifizieren, ob es noch existiert.
Die richtige Antwort auf die Quizfrage lautet also „Tuvalu“ und: möglicherweise gibt es nur ein einziges Land weltweit, in dem es kein Museum gibt (und wenn Tuvalu tatsächlich, wie seine Bewohner befürchten, vom Meer verschluckt wird, ja dann...).
3
Ja, und? Was wissen wir jetzt? - Ich denke, es ist nicht trivial, festzustellen daß eine kulturelle Praxis und Institution sich weltweit verbreitet und durchgesetzt hat, und das offenbar unabhängig von der politischen, ideologischen, religiösen und sozialen Verfasstheit und des jeweiligen staatlichen und gesellschaftlichen Status. Von welcher anderen (einigermaßen vergleichbaren) Institution (Bibliothek, Konzerthäusern und Orchestern, Theater, Archiv, Oper usw.) kann man das gleichermaßen sagen?
Dabei sieht es ganz so aus, als würde sich das Museum unterschiedlichsten Konstellationen anpassen können, ohne seine konzeptuelle Identität aufgeben zu müssen. Das Museum ist ein Modell, ein Schema, mit einer Reihe von Eigenschaften und Funktionen, die in ihrem Zusammenspiel seine gesellschaftliche Rolle ausmachen. Dazu gehört die im allgemeinen Interesse bewahrte Sammlung, die vermittelt (ausgestellt) wird und daher allgemein zugänglich sein sollte, um jedermann Wissen, Bildung, Erfahrungen zu ermöglichen, die aber so etwas wie das bewahrenswerte kulturelle Erbe bildet, das kollektive Identität stiften soll. Dieser funktionelle Kern läßt sich so gut wie überall ausmachen. 
Ich traue mir das Urteil zu, daß das Museum global ideologisch und medial ziemlich uniform ist und daß es, von Einzelfällen abgesehen, keine wirklich alternativen regionalen Museumsentwicklungen gibt. Sicher, es gibt Staaten, wo Museen eine herausgehobene gesellschaftspolitische Rolle haben. Wie etwa in Südafrika, wo es eine Reihe von innovativen Museen gibt, die die konfliktreiche Geschichte und Gegenwart des Landes thematisieren. Oder Israel, dessen zentrale Museen stark am nation building des jungen Staates beteiligt waren und sind und die für die Gesellschaft zentrale Erinnerung an die Shoah aufrechthalten.
Daß Museen weltweit ideologisch und konzeptionell einem Schema folgen, bedeutet ganz und gar nicht, daß es nicht eine gegen unendlich gehende Variabilität im Einzelfall gibt, die der Architektur, dem Standort, der Trägerschaft, dem Thema, der Sammlung, dem Vermittlungskonzept, der Einbindung in eine spezielle Community und vielem anderem geschuldet sein kann.
So wie „Kopfbedeckungen“ eine geradezu unabschließbare Variabilität hinsichtlich Form, Ästhetik, Symbolik oder Funktion haben (der Zylinder, der Stahlhelmelm, das Kopftuch, die Tiara, der Strohhut, die Schirmkappe, die Pelzmütze, der Turban...), obwohl doch der menschliche Kopf innerhalb einer geringen Bandbreite ein- und dieselbe ‚Grundlage’ für die Applikation einer ‚Bedeckung’ bietet, so scheint es mir auch bei Museen zu sein.
Das Konzept oder Schema ‚Museum’ kann unter spezifischen Bedingungen höchst unterschiedlich ausformulierbar sein. Architektonisch-städtebauliche, ästhetische, gesellschaftspolitische, funktionelle oder symbolische Funktionen variieren und mischen sich in immer neuen und manchmal sehr überraschender Weise.
Das macht das Museum - und die Beschäftigung - mit ihm kurzweilig.
4
Wenn ich die Erfahrungen meiner Beschäftigung mit dem Museum und der Recherche zum „globalen Museum“ als Maßstab nehme, dann lassen sich zwei Anforderungen an Museen besonders häufig ausmachen: da ist einmal die Hoffnung, daß das Museum gesellschaftliche Integrität und Identität, wenn schon nicht herstellen so wenigstens repräsentieren kann (Nationalmuseen gibt es auch in den allerkleinsten Staaten und postkoloniale Staaten oder etwa Staaten, die aus dem Zerfall der Sowjetunion und des kommunistischen Regimes hervorgegangen sind, schreiben Museen eine besondere Rolle zu).
Und da gibt es zweitens die Hoffnung, daß das „kulturelle Erbe“ im Museum dauerhaft bewahrt und gepflegt werden kann. Beide Aspekte gehören zum Kern der europäischen Museumsidee der Aufklärung. Aber ist es nicht fragwürdig, daß ein einziges Konzept, die Vielfalt der rituellen, memorialen, ästhetischen und sozialen Praktiken, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt einmal geleistet haben, zu ersetzen beginnt – überall? (mit Unterstützung von Organisationen wie ICOM).
Es bleibt ein Unbehagen, oder die Frage, warum das ‚Konzept Museum’ möglicherweise nicht einfach nur stabil sondern möglicherweise auch so starr erscheint. Wäre es denn nicht wünschenswert, daß es sich in unterschiedlichen Situationen neu konfigurieren kann? Ist es nicht problematisch, wenn sich ein kulturelles Muster buchstäblich weltweit alternativlos durchsetzt?
Alternativlos? Ich bin nicht sicher. Wie wir wissen besitzt das Museum definitorisch eine beachtliche Randunschärfe. Sehr zum Ärger jener Institutionen und Interessenvertretung, die innerhalb ihrer Organisationslogik (und weniger um des Museums willen) eine möglichst einfache Definition benötigen. Denn diese entscheidet ja über Zugehörigkeit oder Ausgeschlossensein (aus der Organisation).
Gerade ‚an den Rändern’ findet sich aber das Neue, Innovative, Zukunftweisende, das möglicherweise nicht nur quantitativ unterschätzt wird, sondern auch durch das Bemühen um definitorische ‚Sauberkeit’ (ICOM) möglicherweise vorschnell exkludiert bleibt.
5
Die „Idee Museum“ hat sich global durchgesetzt? So statistisch, wie ich das hier vorführe, verfälscht dieser Satz die Tatsachen. Die Verteilung der Museen weltweit – die einzige Zahl die ich kenne ist an die 15, 20 Jahre alt und da werden 60.000 Museen genannt -, ordnet sich entlang der politisch-wirtschaftlich dominierenden Staaten und Großregionen: USA, Europa, Japan, Australien, in jüngerer Zeit in Ostasien - mit der chinesischen Museumspolitik von 1000 Museums-Gründungen in 10 Jahren. (Ich kenne keine brauchbare Studie, die diese Ungleichverteilung abbildet).
Diesen Großregionen sind praktisch alle Museen zuzuordnen, die als weltweit führend, das kulturelle Erbe repräsentierend und schützend gelten. Dort befinden sich die Museen, die den Museumsdiskurs bestimmen, die mit der größten medialen Attraktivität und den höchsten Besuchszahlen.
In jeder Hinsicht ist Afrika das Schlußlicht. Nahezu alle seine einzelnen Staaten bilden in den einschlägigen Wirtschaftsstatistiken die lange Schlußkolonne. Die große Ausnahme ist das schon früh industrialisierte und wirtschaftlich prosperierende Südafrika. Die etwa dreihundert Museen, die es dort gibt, übertreffen die Zahl der Museen im gesamten restlichen Kontinent.
Mein handgestrickter Versuch, mir ein „Bild“ von der globalen Situation der Museen zu verschaffen, hat mir viele Überraschungen beschert und den eurozentrierten Blick, den „wir“ haben, gelegentlich kräftig abgelenkt.
Ich glaube, daß hier ein weites Feld für Forschung und Recherche brachliegt, etwa für komparatistische Studien, für nationale Museumspolitiken, für historische Entwicklungen und vieles andere mehr.

heiß! (Texte im Museum 317)

Museum Sensenhammer Deutschfeistritz

Montag, 27. August 2012

Musealisierung als Ausrottung

(...) So hat man vor kurzem die gesamte Wissenschaft und Technik mobilisiert, um die Mumie von Ramses II zu retten, nachdem man sie einige Jahrzehnte im hintersten Winkel eines Museums hat verfaulen lassen. Bei der Vorstellung, nicht retten zu können, was die symbolische Ordnung während 40 Jahrhunderten zu konservieren wußte ‑ allerdings dem Licht und dem Blick entzogen ‑,wird das Abendland plötzlich von Panik ergriffen. Ramses hat für uns heute keine Bedeutung mehr, nur die Mumie ist von unschätzbarem Wert, denn sie ist der Garant für den Sinn der Akkumulation. Unsere gesamte lineare und akkumulative Kultur bricht zusammen, wenn sich die Vergangenheit nicht für alle sichtbar speichern läßt.
Um diesen Zusammenbruch zu verhindern vertreibt man die Pharaonen aus ihrem Grab und die Mumien aus ihrer Stille. Dafür exhumiert man sie und läßt ihnen militärische Ehren zuteil werden. Sie sind gleichzeitig Beute der Wissenschaft und Beute der Würmer. Nur das absolute Geheimnis sichert ihnen diese tausendjährige Macht ‑ die Herrschaft über die Fäulnis, die zugleich die Herrschaft des totalen Tauschzyklus mit dem Tod ist. Wir können unsere Wissenschaft nur noch in den Dienst der Wiederherstellung von Mumien stellen, d.h. eine sichtbare Ordnung restaurieren.
Demgegenüber war die Einbalsamierung eine mythische Arbeit mit dem Ziel, eine verborgene Dimension zu verewigen. Wir benötigen eine sichtbare Vergangenheit, ein sichtbares Kontinuum, einen sichtbaren Ursprungsmythos, der uns über unser Ende beruhigt. Denn im Grunde haben wir nie daran geglaubt. Warum das historische Schauspiel bei der Ankunft der Mumie am Flughafen? Weil Ramses eine große despotische und militärische Figur war? Ganz sicher. Doch vor allem, weil unsere Kultur davon träumt, hinter dieser verstorbenen Macht, die sie sich einzuverleiben sucht, eine Ordnung zu besitzen, die mit ihr nichts zu tun hätte. Sie träumt davon, weil sie diese Macht als/wie ihre eigene Vergangenheit durch Exhumieren ausgerottet hat.
Wir sind von Ramses fasziniert, wie die Christen der Renaissance von den Indianern Amerikas, jenen (menschlichen?) Wesen, die nie etwas vom Worte Christi gehört haben, fasziniert waren. In den Anfängen der Kolonialisierung gab es einen Augenblick der Bestürzung und des Taumels angesichts der Möglichkeit, selbst dem universellen Gesetz des Evangeliums zu entkommen. Nur eines war möglich: entweder man gab die Nicht‑Universalität dieses GESETZES zu, oder aber man rottete die Indianer aus, um alle Beweise dafür zu vernichten. Im Allgemeinen gab man sich damit zufrieden, die Indianer zu bekehren, oder einfacher noch, sie zu entdecken, was ausreichte, um sie allmählich auszurotten.
So wird es ausreichen, Ramses zu exhumieren, um ihn durch Museifizierung auszurotten. Denn Mumien verfaulen nicht an Würmern: Sie sterben, weil man sie aus der verschlafenen Ordnung des Symbolischen ‑ Herr der Fäulnis und des Todes in die Ordnung der Geschichte, der Wissenschaft und des Museums transhumiert, eine Ordnung, die nichts mehr beherrscht, die lediglich das ihr Vorausgegangene weihevoll der Fäulnis und dem Tode überantwortet und anschließend mit Hilfe der Wissenschaft wieder zum Leben erweckt. Nicht wieder gutzumachende Gewalt gegenüber allen Geheimnissen, Gewalt einer Kultur ohne Geheimnis, Haß einer ganzen Zivilisation auf ihre eigenen Grundlagen.

aus: Jean Baudrillard: Ramses oder die jungfräuliche Wiederuaferstehung

Kaiserliche Bahnhofstasse (Texte im Museum 316)

Museum am Ostwall, Dortmund

Besuchen Sie Ihr Museum! (Museumsphysiognomien)


Das Universalmuseum Joanneum in Graz wirbt derzeit mit großen Plakaten. "Besuchen Sie Ihr Zeughaus!", "Besuchen Sie Ihr Schloss!", "Besuchen Sie Ihr Palais". Gemeint sind die einzelnen Sammlungsstandorte mit ihren Dauerausttellungen, das Schloss Eggenberg und eben das Museum im Palais.
"Ihr Museum" ist im rechtlichen Sinn korrekt, denn die Sammlungsobjekte sind bei einem öffentlichen Museum wie diesem Landesmuseum Gemeingut, sie gehören jedermann. Das allerdings nur abstrakt. Wer ins Depot ginge, um sich dort für einige Monate ein biedermeierliches Aquarell oder einen Römerkopf zur repräsentativen Ausstattung seiner Wohnung abzuholen, würde auf keine Herausgabebereitschaft stoßen.
Umgekehrt kann aber das Museum auch nichts veräußern, von dem, was es treuhänderisch verwahrt, es sei denn mit höchster politischer Erlaubnis in Ausnahmefällen. Ein bisschen Budgetsanierung mit dem Verkauf eines Objekts, das geht (normalerweise) gar nicht.
Es ist aber nicht anzunehmen, daß die Marketingfachleute oder das Designbüro, die das Plakat entworfen haben, mit dem "Ihr" diesen rechtlichen Besitz an Kulturgütern ansprechen wollen, (der den meisten auch gar nicht bewußt sein dürfte) sondern wohl eher performativ eine Identifikation mit dem Museum als Ganzes herzustellen beabsichtigen. Etwa im Sinn, "das Museum ist für Dich da, es ist Deines, also geh doch (wieder) mal hin".
So etwas kann man aber nicht einfach appelativ herstellen, auch nicht mit einem Rufzeichen am Ende des Satzes. Identifikation mit Museen ist etwas, was langsam aufgebaut und sorgfältig gepflegt werden muß und es natürlich alles andere als gleichgültig, wie und was gezeigt wird.
An Museen in England oder Schottland kann man das Resultat einer solch lange gewachsenen Museumskultur studieren: populäre Museen mit bunten Besuchermassen, die sich wie selbstverständlich durch das Museum bewegen als sei es - eben ihrs.
Nun gut, vielleicht ist ja die Plakatserie ein Teil oder der Beginn einessolchen'Audience Development', also ein Stück Bewirtschaftung öffentlicher Aufmerksamkeit für dieses bestimmte Museum.
Nicht unterschätzen sollte man, daß in dem Appell an die Identifikation schon immer auch der Ausschluß steckt. Denn ein großer Teil der Bevölkerung, die hier angesprochen werden soll, geht nicht etwa deswegen nicht ins Museum, weil sie die Inhalte nicht interessieren oder die Objekte oder die Programme. Sie gehen deswegen nicht hin, weil das Museum als für sie bedeutsamer kultureller Ort schlicht und einfach nicht existiert. Niemand hat das so präzise und empirisch wie theoretisch fundiert beschrieben, wie der französische Soziologe Pierre Bourdieu.
Es gibt einen fundamentalen Ausschluß, der über die Produktion und Verteilung von Wissen und Bildung (schon früh, in Familie und Schule) zustandekommt und dazu führt, daß, wie uns Museumssoziologen versichern, für bis zur Hälfte einer Bevölkerung "das Museum nicht existiert". Es ist nicht "Ihrs".