Montag, 9. April 2012
Das kleinste Museum der Welt / Das Museum zum Selbermachen
Eine Idee zum Weitergeben, Weiterdenken, Weiterbasteln...
Aus: Wunderkammer & Privatarchiv: "Mr. Jalopy stiess bei einem Garage Sale (einem privaten Flohmarkt) auf ein Ernussbutterglas, in dem vor vielen Jahren ein kleiner Junge seine grössten Schätze gesammelt hat, und dokumentierte seinen Inhalt in einem Flickr Set. Die Idee liess mich nicht mehr los. Die Suche nach einem passenden Glas begann. ... Weiter fand ich: Eine alte Uhr, die mir mein Vater mal geschenkt hatte, Murmeln, die ich beim Umgraben im elterlichen Garten wiedergefunden habe, ein Stück Fischertechnik, ein Teil aus dem Mekano Baukasten, ein Pfadfinderabzeichen, ein Stein aus einem YPS Heft, einen Unimog, eine alte Kette, und vieles mehr. ...Zum Selbermachen gibts hier das Label Das kleinste Museum der Welt blanko ohne Namen zum Runterladen. Alternativersion: Childhood in a Jar (JPG, Lizenz: Creative Commons SA BY NC). ... Mr. Jalopy found a “Childhood in a Jar” at a garage sale. I loved the idea so much that I made my own. Every piece tells a story. If you want to make one yourself, you can download the label without the name in English or German. Find an old jar and fill it with your own childhood memorabilia."
Verwechslung oder Die Macht des Museums (Das Museum lesen 23)
Lászl´Földény: Museum (Der originale Titel ist wegen seiner typografischen Mucken im Blog nicht wiedergebbar). Erschin in: Das diskursive Museum. Ostfildern 2001 |
Siehe zur 'Illustration' den benachbarten Post.
Sonntag, 8. April 2012
Even dead animals need love - Clara und Huberta
Clara wurde 1738 in Bengalen geboren und starb 1758 in London. Im Alter von 13 Jahren betrat sie in Rotterdam europäischen Boden. Im Alter von etwa einem Monat wurde ihre Mutter getötet und von Jan Albert Sichtermann, Leiter der örtlichen Ostindischen Kompanie, adoptierte. Der zähmte sie und verkaufte sie an den Kapitän Douwe Mout, der sie nach Rotterdam brachte.
Clara war das erste Nashorn, das eine solche Verfrachtung nach Europa lange überlebte. Schon in Bengalen gezähmt wurde es mit einem Karren auf Tour geschickt und entgeltlich gezeigt, in Venedig, wo es ein unbekannter Maler auf einem Gemälde darstellte, in Hamburg, Hannover, wo es als hässliches Tier angepriesen wurde, am Jahrmarkt in St. Germain in Paris, wo es wieder zur Ehre eines großen Porträts kommt, das der Hofmaler Jean-Baptiste Oudry anfertigt, Berlin, wo es Friedrich II. besichtigte oder Wien, wo der Besitzer und Schausteller in den Adelsstand erhoben wurde.
Ein Flugblatt von 1746 annoncierte das Tier unter anderem so. "Dieses Rhinoceros Nasen-Horn, oder wie es auch sonsten genennet wird, Elephanten:Meister, verdienet von Jederman gesehen oder betrachtet zu werden, weilen es wohl das erste von dieser Sorte ist so jemahlen, will nicht sagen in Teutschland, sondern gar in gantz Europa lebendig gesehen worden. Gegenwärtiges Wunder-Thier ist in Asia in der Landschafft Asem unter die Herrschafft des Groß-Moguls gehörig, mehr als 4000. Meilen von hier entlegen, mit Stricken gefangen, als zuvor die Mutter von den schwartzen Indianern, mit Pfeilen todt geschossen, und wellen es damahlen erst einen Monat alt gewesen, gantz zahm gemacht und gewöhnet worden, in denen Zimmern, wo Damen und Herrn gespeiset, zur Curiosität um den Tisch zu laufen."
Offenbar gab es schon so etwas wie Merchandising, denn von Venedig, wo das Nashorn zum Karneval gezeigt wurde, waren bald mitgebrachte Souvenirs ausverkauft.
Auf einer Tour nach London verstarb Clara. Der Erhalt eines präparierten Tierkörpers von solcher Größe war damals nicht möglich.
*
Hubert wanderte auch kreuz und quer, aber freiwillig. Hubert das Flußpferd stammte aus KwaZulu Natal, einer Region Südafrikas und als man begann seine Spur zu verfolgen, die durchs Land führte, sollte es etwa zweieinhalb Jahre dauern, bis man dem zum 'national pet' und 'the union's most famopus' gewordenen Medienstar fand. Tot im Fluß treiben, ermordet!, vermutlich von Jägern. Das war im April 1931.
Der Direktor des Amathole Museums erwarb die sterblichen Überreste von Hubert und entdeckte, daß es sich um ein weibliches Tier handelte, also ab nun um 'Huberta'.
Zum fachgerechten Präparieren wurde die Haut nach London geschickt, wo das Resultat der 'museealen Wiederbelung' temporär ausgestellt wurde, zuerst In Hong Kong, dann in London.
"To some Hindus in Kwa-Zulu Natal, Huberta was a protected animal. When she arrived near Annerly on the South Coast, the local Indians are said to have ceremonially deified her. According to contemporary accounts, she was proclaimed "Protector of the Poor" in a service in the Hindu temple. After her death, prayers were again said for her in the temple. To many, Huberta was the home of "a mighty spirit". Some Zulus believed the hippopotamus to be the reincarnation of Tshaka. The Mpondo apparently thought her to be the spirit of a famous traditional doctor, descended from a survivor of the wreck of the Grosvenor. Some Xhosa felt the animal was the spirit of a great chief - perhaps even Sandile or Hintsa - who had returned to find justice for his people." (Webseite des Amathole Museum)
Huberta war mit ihrem Tod erst recht zum Gegenstand nationaler Aufmerksamkeit geworden, inspirierte Künstler, wurde Adressatin von Gedichten und Briefen. Erst nach Ausstellungen z.B. in der Witwatersrand Agricultural Society und der Rand Easter Show 1932 kam sie in das Museum, wo sie sich noch heute befindet, "enshrined at the entrance of the old Natural History building" des Amathole Museum.
Clara war das erste Nashorn, das eine solche Verfrachtung nach Europa lange überlebte. Schon in Bengalen gezähmt wurde es mit einem Karren auf Tour geschickt und entgeltlich gezeigt, in Venedig, wo es ein unbekannter Maler auf einem Gemälde darstellte, in Hamburg, Hannover, wo es als hässliches Tier angepriesen wurde, am Jahrmarkt in St. Germain in Paris, wo es wieder zur Ehre eines großen Porträts kommt, das der Hofmaler Jean-Baptiste Oudry anfertigt, Berlin, wo es Friedrich II. besichtigte oder Wien, wo der Besitzer und Schausteller in den Adelsstand erhoben wurde.
Pietro Longhis Gemälde mit der Darstellung des Rhonzeros, ausgestellt in Venedig. (1751) |
Ein Flugblatt von 1746 annoncierte das Tier unter anderem so. "Dieses Rhinoceros Nasen-Horn, oder wie es auch sonsten genennet wird, Elephanten:Meister, verdienet von Jederman gesehen oder betrachtet zu werden, weilen es wohl das erste von dieser Sorte ist so jemahlen, will nicht sagen in Teutschland, sondern gar in gantz Europa lebendig gesehen worden. Gegenwärtiges Wunder-Thier ist in Asia in der Landschafft Asem unter die Herrschafft des Groß-Moguls gehörig, mehr als 4000. Meilen von hier entlegen, mit Stricken gefangen, als zuvor die Mutter von den schwartzen Indianern, mit Pfeilen todt geschossen, und wellen es damahlen erst einen Monat alt gewesen, gantz zahm gemacht und gewöhnet worden, in denen Zimmern, wo Damen und Herrn gespeiset, zur Curiosität um den Tisch zu laufen."
Flugblatt zur Ausstellung in Hamburg. 1744 |
Offenbar gab es schon so etwas wie Merchandising, denn von Venedig, wo das Nashorn zum Karneval gezeigt wurde, waren bald mitgebrachte Souvenirs ausverkauft.
Auf einer Tour nach London verstarb Clara. Der Erhalt eines präparierten Tierkörpers von solcher Größe war damals nicht möglich.
*
Hubert (noch), auf Wanderung, 1928 fotografiert |
Hubert wanderte auch kreuz und quer, aber freiwillig. Hubert das Flußpferd stammte aus KwaZulu Natal, einer Region Südafrikas und als man begann seine Spur zu verfolgen, die durchs Land führte, sollte es etwa zweieinhalb Jahre dauern, bis man dem zum 'national pet' und 'the union's most famopus' gewordenen Medienstar fand. Tot im Fluß treiben, ermordet!, vermutlich von Jägern. Das war im April 1931.
Hubert / Hubertas Fußspuren, 1929 von der Polizei 'verfolgt' |
Der Direktor des Amathole Museums erwarb die sterblichen Überreste von Hubert und entdeckte, daß es sich um ein weibliches Tier handelte, also ab nun um 'Huberta'.
Zum fachgerechten Präparieren wurde die Haut nach London geschickt, wo das Resultat der 'museealen Wiederbelung' temporär ausgestellt wurde, zuerst In Hong Kong, dann in London.
"To some Hindus in Kwa-Zulu Natal, Huberta was a protected animal. When she arrived near Annerly on the South Coast, the local Indians are said to have ceremonially deified her. According to contemporary accounts, she was proclaimed "Protector of the Poor" in a service in the Hindu temple. After her death, prayers were again said for her in the temple. To many, Huberta was the home of "a mighty spirit". Some Zulus believed the hippopotamus to be the reincarnation of Tshaka. The Mpondo apparently thought her to be the spirit of a famous traditional doctor, descended from a survivor of the wreck of the Grosvenor. Some Xhosa felt the animal was the spirit of a great chief - perhaps even Sandile or Hintsa - who had returned to find justice for his people." (Webseite des Amathole Museum)
Huberta_Memorial mit Karte der - 1600 Kilometer langen - Wanderung |
Huberta war mit ihrem Tod erst recht zum Gegenstand nationaler Aufmerksamkeit geworden, inspirierte Künstler, wurde Adressatin von Gedichten und Briefen. Erst nach Ausstellungen z.B. in der Witwatersrand Agricultural Society und der Rand Easter Show 1932 kam sie in das Museum, wo sie sich noch heute befindet, "enshrined at the entrance of the old Natural History building" des Amathole Museum.
Huberta "enshrined" im Amathole Museum (King William's Town; Südafrika) |
Samstag, 7. April 2012
Freitag, 6. April 2012
"Die spinnen, die ... Franzosen"
Man kann offenbar seine Nationalmythen nicht den Comiczeichnern überlassen. Der heroische Widerstand der Gallier gegen die Römer (jeder Asterix-Leser, weiß wovon ich rede), im 19. Jahrhundert noch bitterernstes Versatzstück der staatlichen französischen Geschichtspolitik und auch heute noch sozusagen popkulturell virulent (Christopher Lambert als Vercingetorix auf der breiten Leinwand).
Jetzt hat grade ein 'Vercingetorixland' eröffnet, ein Centre d'Interpéetatation, ein MuséoParc Alésia - am Ort der Schlacht, in der Vercingetorix Cäsar unterlag.
Ein Museum? Ein Interpretationszentrum?
Na jedenfalls ein Grabhügel (mit Aussichtsplattform), ein Schlachtgelände mit originalgroßen Bauten, mehr oder weniger echtes Hauen und Stechen, Schauen und Kriegspielen.
Hier Auszüge aus dem Text der Webseite: "Der Besucher wird in dieser von dem Architekten Bernard Tschumi geschaffenen Stätte zu einer Zeitreise in die Vergangenheit eingeladen. Hierbei erwarten ihn u. a.: die im Jahre 52 vor Christus stattgefundenen Kämpfe, die berühmte Schlacht von Caesar und Vercingetorix, die Entdeckung des Mythos der Gallier, wie auch ein Besuch der eindrucksvollen Nachbauten der römischen Festigungen.Antike Gegenstände, Bildreproduktionen, Diorama, Filme, Modellbauten, interaktive Geräte und Nachbauten von Kriegsmaschinen bieten den Besucher verschiedene Möglichkeiten, um die Geschichte Frankreichs auf seine ganz persönliche Art und Weise zu entdecken. Ebenso werden den Besuchern zahlreichen Animationen (Besichtigungen mit Fremdenführer, Ateliers, Nachbauten usw.), die sich gleichermaßen für Kinder wie auch Erwachsene eignen, angeboten.
Der Film „Alésia, le rêve d'un roi nu" umfasst die 7 großen Schlachten, die zur Verurteilung von Vercingetorix und zum Sieg von Caesar führten. Hierbei kann der Besucher das Fortschreiten der Truppen auf einem Miniaturnachbau der Stätte von Alésia nachverfolgen.Ein gleichermaßen für Erwachsene wie auch für Kinder höchst interessantes Erlebnis!"
Soweit die Webseite.
Voraussetzungslos wird hier nicht Geschichtspolitik gemacht. Es war Francois Mitterand, der in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts den nicht weit von Alesia entfernten anderen archäologischen Ort gallischer Geschichte, Bibracte, eminent aufwertete - als "Ort an dem der erste Akt unserer Geschichte stattgefunden hat" (Mitterand). Hier sollten nach Mitterands Worten alle Franzosen zusammenkommen und ihre Wurzeln wiederfinden. Aber nicht genug damit. Seine Interpretation der gallischen Zivilisation ohne politische Grenzen, aber durch ihre Kultur definiert und vereint, rief das Modell des vereinten Europa als sich in der Tradition gallo-französischer Geschichte entwickelnd auf.
Mitterand, von dessen Identifikation mit Vercingetorix Historiker glaubhaft sprechen, sicherte sich ein kleines Grundstück auf dem Bibracte (ein Skandal, weil es Landschaftsschutzgebiet handelte), um sich dort bestatten zu lassen. Ob das wirklich geschehen ist, habe ich im Dickicht der Mythen nicht ausmachen können. Eigentlich soll er im Familiengrab seiner Heimatgemeinde Jarnac bestattet sein, aber man habe seine Asche heimlich auf den 'Gallischen' Berg gebracht...
Donnerstag, 5. April 2012
Dienstag, 3. April 2012
Ausschluß? Einschluß? (Texte im Museum 269)
Montag, 2. April 2012
Die Annenstraße im Stadtmuseum
Unlängst habe ich im Grazer Stadtmuseum Mutter Theresa getroffen. War ein bisschen überraschend. Aber noch überraschender war, daß sie af einem Kanaldeckel festgeschraubt oder -geschweißt war. Damit sie nicht umfällt. Ich glaube, es war Bronze, aus der man sie lebensgroß gebildhauert und akkurat bemalt hatte. Ein wenig abgenutzt sah sie aus. Das kommt vielleicht vom ständigen Hin- und Herschleppen. Denn die metallene Heilige ist in Graz auf Wanderschaft und soll dem Wunsch einer Gruppe albanisch sprechender Immigranten folgend möglichst im Zentrum aufgestellt werden. Warum nicht. Da steht ja auch schon Erzherzog Johann.
Das hätte sie ja nun geschafft, schließlich liegt das Stadtmuseum in der Sporgasse und zentraler geht fast nicht. Aber hier hat sie Asyl nur auf Zeit, denn man darf nicht erwarten, daß das Stadtmuseum sie ankauft und vor die Tür stellt, in die Sporgasse.
In naher Nachbarschaft zur Mutter Theresa türmten sich Karteikästen, eye catcher einer Stadtteilinitiative, bei der, wenn ichs recht verstanden habe, alles passieren darf, wenn es nur auf der Idee des Tausches beruht, Tausch von Ideen, Dingen, Dienstleistungen, Räumen, was auch immer. Motto: "Teilen schafft Überfluß". In den Schubladen purzelten, wenn sie nicht leer waren, Playmobilmännchen rum.
In unmittelbarer museumsräumlicher Benachbartheit dokumentierte eine Lehrer-Schüler-Initiative eine mit großem und phantasivollem Aufwand betriebene Kampagne gegen eine gefährliche Verkehrssituation vor ihrer Schule. Autos gegen Schüler, keine Chance. Bis jetzt hat der Verkehr gesiegt. Sie werden weitermalen, -fotografieren, -ausstellen, was auch immer.
Ein Verein, der Migrantinnen mit Deutsch- und Bildungskursen hilft, zeigt Dinge, die unter dem oft Wenigen, was Flüchtlinge mitnehmen konnten, ihren Besitzerinnen besonders wertvoll sind.
Das Theater im Bahnhof unterlegt ein gesprochenes Tagebuch mit einem Videoloop mit den Abbrucharbeiten, die das Theater zum erneuten Umzug gezwungen haben. Ein Schaufelbagger müht sich redlich, einen Baum umzureissen und in Stücken zu verstauen. Angewandte Immobilienkunde.
Die Stadtbibliothek stellt in einem Regal Lesestoff bereit. Zum Annenviertel.
"Annenviertel", das ist die Überschrift, die alles, was ich bisher aufgezählt habe, zusammenhält.
Es geht um ein Quartier in Graz, dem Veränderungen bevorstehen. Die Annenstraße soll 'aufgewertet' werden, umgebaut, verschönert, nutzbarer. Die Annenstraße ist eine nahezu schnurgerade Verbindung zwischen dem Hauptbahnhof und dem (Alt)Stadtzentrum, viel befahren, von Autos, von Straßenbahnen. Der Autoverkehr wird kurz vor dem Stadtzentrum, das fast ganz für Autos gesperrt ist, abgelenkt, um das historische Zentrum herum. Dort wird flaniert ud konsumiert. In der Annenstraße eher nicht. Dort ist man nur, wenn man aus einem bestimmten Geschäft etwas braucht. Oder ins Kino will. Etwa in der Mitte der Straße liegt eins der Großkinos von Graz.
Sehenswürdigkeiten gibts hier keine, ein Hotel, die Arbeiterkammer, Banken, das erwähnte Kino, vermutlich der frequentierteste Punkt an der Straße, Supermärkte, sonst viel Kleingewerbe, Cafés.
Das Annenviertel ist ein 'minderer' Stadtteil von Graz, vom besseren, der Altstadt durch die Mur getrennt.
An vielen Geschäftsauslagen kleben Infos zur Aufgabe des Geschäfts. Das geht schon länger so, jetzt scheint es mir stärker geworden zu sein - vielleicht schon ein Effekt der künftigen 'Sanierung'? Nein, versichert man mir.
Das Stadtmuseum sagt auf seiner Webseite: "An der Ausstellung (…) nehmen Initiativen und Organisationen aus dem Annenviertel teil, die hartnäckig an Visionen des guten Zusammenlebens, der Stärkung von Eigenverantwortung, des Mitspracherechts der Menschen im Viertel und der freien Nutzung des öffentlichen Raums arbeiten. Zahlreiche künstlerische Beiträge eröffnen darüber hinaus alternative Sichtweisen auf das Annenviertel."
Die Ausstellung überrascht. Man bekommt Räume, Menschen, Tätigkeiten zusehen, die dem Flaneur verborgen bleiben. Hinterhäuser, wie absichtlich versteckte Läden, Geschäfte und Dienstleistungen, die man nie zu brauchen glaubt oder von denen man nicht vermutet, daß es sie überhaupt gibt.
Öffentlich / Nichtöffentlich.
Und darum geht es ja auch. Öffentlichkeit herzustellen, der nicht unbedingt ist und nicht sichtbar sein muss. Da wäre zum Beispiel Radio Helsinki, einst ein 'Schwarzsender', jetzt ein offenbar ziemlich basisdemokratisches Stadtradio. Ein riesiges Farbfoto zeigt eine ziemlich große bunte Gruppe - die 'RadiomacherInnen'. Da geht gegen die veranstaltete staatliche oder privatisierte Stadtöffentlichkeit. Wir machen das jetzt mal selber. Jeder kann kommen und etwas vorschlagen und mitmachen.
Im Erdgeschoss des Museums erinnert uns erst mal eine Installation an die vielfältigen Gebrauchsweisen des öffentlichen Raums: Spielen, Essen, Rumsitzen, Handeln, Sporteln, Reden, Malen, Demonstrieren, Ankündigen, Kochen und und und.
Vieles davon ist verschwunden, geduldet, verboten, wenig davon findet auf der Straße statt.
Man kann rasch mal durchgehen, was in einer Annenstraße alles nicht möglich ist. Z.B. dürfte man dort keine Heilige Theresa aufstellen, nicht Langlaufen wenn Schnee liegt, keine chinesische Garküche betreiben, nicht Fußballspielen (fällt mir ein, weil das mal mit Freunden und italienischen Ragazzi vor Jahren am Hauptplatz in Bologna, vor San Petronio, gemacht habe, und keiner hat uns gestört. Doch. Ein Straßenkehrer, aber auch das nur kurz).
Betteln darf man auch nicht. Das darf man in Graz seit einiger Zeit sowieso nicht, nicht nur hier.
Wo sich Öffentlichkeit im Stadtraum auffallend bildet, geht es praktisch immer um veranstaltete und kommerzialisierte Öffentlichkeit. Firmen, Medien machen Events, Weihnachtsmärkte, Ostermärkte sind erweiterte Geschäftsmeilen, Marathons haben Großsponsoren usw.
'Staatlich' unerwünschte Öffentlichkeit wird mit symbolischer und faktischer Gewalt behindert oder verdrängt. Bettler sollen hier nicht vorkommen dürfen. Und sogenannte Punkts auf den Treppen der Erzherzog-Johann-Statue, das soll auch nicht sein dürfen. Sagt der Bürgermeister der Stadt.
Gentrifizierung
Also, sage ich mir, ist das Museum jetzt auch mal ein öffentlicher Raum und das ist so ziemlich das beste, was ein (Stad)Museum machen kann. Gut. Es sieht hier ein wenig nach Bastelstunde im Seniorenheim, nach Volkshochschule und Pfarrflohmarkt aus. Aber es ermöglicht den verschiedenen Initiativen sich über ihre Community hinaus sichtbar zu machen, für sich zu werben, über ihr Tun zu informieren.
Aber etwas fehlt. Und das hat mich dann doch gewundert. Die Stadt. Von ihr geht doch die Planung zur Erneuerung des Annenviertels aus, also warum hat die Stadt nicht auch einen Infostand? Damit fehlt eine wichtige Information: was für Pläne gibt es? Und: sind die diversen Initiativen, die man kennenlernt, damit befasst, gibt es Mitsprache, Mitwirkung, echte Partizipation, also eine, wo die Machtfrage gestellt wird?
Davon leider nichts.
Es war Sonntag. Ich bin durch die Annenstraße spaziert und sie war fast leer und döste traumlos vor sich hin.
Man wird sehen, was mit ihr passiert.
An dem Tag war sie für mich eine Großausstellung mit den unglaublichsten Ausstellungs-, pardon: Auslagengestaltungen. Hier gibts noch Arrangements fast aus der Steinzeit der Auslagenwerbung.
Kurzum: Es lohnt sich, nicht immer nur ins Museum zu gehen.
Das hätte sie ja nun geschafft, schließlich liegt das Stadtmuseum in der Sporgasse und zentraler geht fast nicht. Aber hier hat sie Asyl nur auf Zeit, denn man darf nicht erwarten, daß das Stadtmuseum sie ankauft und vor die Tür stellt, in die Sporgasse.
In naher Nachbarschaft zur Mutter Theresa türmten sich Karteikästen, eye catcher einer Stadtteilinitiative, bei der, wenn ichs recht verstanden habe, alles passieren darf, wenn es nur auf der Idee des Tausches beruht, Tausch von Ideen, Dingen, Dienstleistungen, Räumen, was auch immer. Motto: "Teilen schafft Überfluß". In den Schubladen purzelten, wenn sie nicht leer waren, Playmobilmännchen rum.
In unmittelbarer museumsräumlicher Benachbartheit dokumentierte eine Lehrer-Schüler-Initiative eine mit großem und phantasivollem Aufwand betriebene Kampagne gegen eine gefährliche Verkehrssituation vor ihrer Schule. Autos gegen Schüler, keine Chance. Bis jetzt hat der Verkehr gesiegt. Sie werden weitermalen, -fotografieren, -ausstellen, was auch immer.
Ein Verein, der Migrantinnen mit Deutsch- und Bildungskursen hilft, zeigt Dinge, die unter dem oft Wenigen, was Flüchtlinge mitnehmen konnten, ihren Besitzerinnen besonders wertvoll sind.
Das Theater im Bahnhof unterlegt ein gesprochenes Tagebuch mit einem Videoloop mit den Abbrucharbeiten, die das Theater zum erneuten Umzug gezwungen haben. Ein Schaufelbagger müht sich redlich, einen Baum umzureissen und in Stücken zu verstauen. Angewandte Immobilienkunde.
Die Stadtbibliothek stellt in einem Regal Lesestoff bereit. Zum Annenviertel.
"Annenviertel", das ist die Überschrift, die alles, was ich bisher aufgezählt habe, zusammenhält.
Es geht um ein Quartier in Graz, dem Veränderungen bevorstehen. Die Annenstraße soll 'aufgewertet' werden, umgebaut, verschönert, nutzbarer. Die Annenstraße ist eine nahezu schnurgerade Verbindung zwischen dem Hauptbahnhof und dem (Alt)Stadtzentrum, viel befahren, von Autos, von Straßenbahnen. Der Autoverkehr wird kurz vor dem Stadtzentrum, das fast ganz für Autos gesperrt ist, abgelenkt, um das historische Zentrum herum. Dort wird flaniert ud konsumiert. In der Annenstraße eher nicht. Dort ist man nur, wenn man aus einem bestimmten Geschäft etwas braucht. Oder ins Kino will. Etwa in der Mitte der Straße liegt eins der Großkinos von Graz.
Sehenswürdigkeiten gibts hier keine, ein Hotel, die Arbeiterkammer, Banken, das erwähnte Kino, vermutlich der frequentierteste Punkt an der Straße, Supermärkte, sonst viel Kleingewerbe, Cafés.
Das Annenviertel ist ein 'minderer' Stadtteil von Graz, vom besseren, der Altstadt durch die Mur getrennt.
An vielen Geschäftsauslagen kleben Infos zur Aufgabe des Geschäfts. Das geht schon länger so, jetzt scheint es mir stärker geworden zu sein - vielleicht schon ein Effekt der künftigen 'Sanierung'? Nein, versichert man mir.
Das Stadtmuseum sagt auf seiner Webseite: "An der Ausstellung (…) nehmen Initiativen und Organisationen aus dem Annenviertel teil, die hartnäckig an Visionen des guten Zusammenlebens, der Stärkung von Eigenverantwortung, des Mitspracherechts der Menschen im Viertel und der freien Nutzung des öffentlichen Raums arbeiten. Zahlreiche künstlerische Beiträge eröffnen darüber hinaus alternative Sichtweisen auf das Annenviertel."
Die Ausstellung überrascht. Man bekommt Räume, Menschen, Tätigkeiten zusehen, die dem Flaneur verborgen bleiben. Hinterhäuser, wie absichtlich versteckte Läden, Geschäfte und Dienstleistungen, die man nie zu brauchen glaubt oder von denen man nicht vermutet, daß es sie überhaupt gibt.
Öffentlich / Nichtöffentlich.
Und darum geht es ja auch. Öffentlichkeit herzustellen, der nicht unbedingt ist und nicht sichtbar sein muss. Da wäre zum Beispiel Radio Helsinki, einst ein 'Schwarzsender', jetzt ein offenbar ziemlich basisdemokratisches Stadtradio. Ein riesiges Farbfoto zeigt eine ziemlich große bunte Gruppe - die 'RadiomacherInnen'. Da geht gegen die veranstaltete staatliche oder privatisierte Stadtöffentlichkeit. Wir machen das jetzt mal selber. Jeder kann kommen und etwas vorschlagen und mitmachen.
Im Erdgeschoss des Museums erinnert uns erst mal eine Installation an die vielfältigen Gebrauchsweisen des öffentlichen Raums: Spielen, Essen, Rumsitzen, Handeln, Sporteln, Reden, Malen, Demonstrieren, Ankündigen, Kochen und und und.
Vieles davon ist verschwunden, geduldet, verboten, wenig davon findet auf der Straße statt.
Man kann rasch mal durchgehen, was in einer Annenstraße alles nicht möglich ist. Z.B. dürfte man dort keine Heilige Theresa aufstellen, nicht Langlaufen wenn Schnee liegt, keine chinesische Garküche betreiben, nicht Fußballspielen (fällt mir ein, weil das mal mit Freunden und italienischen Ragazzi vor Jahren am Hauptplatz in Bologna, vor San Petronio, gemacht habe, und keiner hat uns gestört. Doch. Ein Straßenkehrer, aber auch das nur kurz).
Betteln darf man auch nicht. Das darf man in Graz seit einiger Zeit sowieso nicht, nicht nur hier.
Wo sich Öffentlichkeit im Stadtraum auffallend bildet, geht es praktisch immer um veranstaltete und kommerzialisierte Öffentlichkeit. Firmen, Medien machen Events, Weihnachtsmärkte, Ostermärkte sind erweiterte Geschäftsmeilen, Marathons haben Großsponsoren usw.
'Staatlich' unerwünschte Öffentlichkeit wird mit symbolischer und faktischer Gewalt behindert oder verdrängt. Bettler sollen hier nicht vorkommen dürfen. Und sogenannte Punkts auf den Treppen der Erzherzog-Johann-Statue, das soll auch nicht sein dürfen. Sagt der Bürgermeister der Stadt.
Gentrifizierung
Also, sage ich mir, ist das Museum jetzt auch mal ein öffentlicher Raum und das ist so ziemlich das beste, was ein (Stad)Museum machen kann. Gut. Es sieht hier ein wenig nach Bastelstunde im Seniorenheim, nach Volkshochschule und Pfarrflohmarkt aus. Aber es ermöglicht den verschiedenen Initiativen sich über ihre Community hinaus sichtbar zu machen, für sich zu werben, über ihr Tun zu informieren.
Aber etwas fehlt. Und das hat mich dann doch gewundert. Die Stadt. Von ihr geht doch die Planung zur Erneuerung des Annenviertels aus, also warum hat die Stadt nicht auch einen Infostand? Damit fehlt eine wichtige Information: was für Pläne gibt es? Und: sind die diversen Initiativen, die man kennenlernt, damit befasst, gibt es Mitsprache, Mitwirkung, echte Partizipation, also eine, wo die Machtfrage gestellt wird?
Davon leider nichts.
Es war Sonntag. Ich bin durch die Annenstraße spaziert und sie war fast leer und döste traumlos vor sich hin.
Man wird sehen, was mit ihr passiert.
An dem Tag war sie für mich eine Großausstellung mit den unglaublichsten Ausstellungs-, pardon: Auslagengestaltungen. Hier gibts noch Arrangements fast aus der Steinzeit der Auslagenwerbung.
Kurzum: Es lohnt sich, nicht immer nur ins Museum zu gehen.
Sonntag, 1. April 2012
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