Dienstag, 18. Mai 2010
"Wurde auch Zeit!" (Texte im Museum 54)
Museum für Deutsche Geschichte, 1990 - eine weitere hochherzige Spende von Andreas Grünewald-Steiger.
Montag, 17. Mai 2010
Museumsbüchse der Pandora? Das neue Museum in Metz
Das eben eröffnete Centre Pompidou Metz hat wegen seiner ungewöhnlichen Architektur wieder einmal (wie so oft bei moderner Museumsarchitektur) aus den meisten Berichtererstattern (mehr oder minder geübte) Architekturkritiker gemacht.
Auch Marc Zitzmann setzt sich in der Neuen Zürcher Zeitung vom 14. Mai 2010 mit der Architektur auseinander, wirft aber einige museumspolitische Fragen auf.
Das Centre Pompidou Metz hat nämlich weniger mit seiner 'Mutterinstitution' zu tun, als man denkt. Als Museum ohne Sammlung greift auf die des Musée national d'art moderne zurück, wird aber nicht vom Staat, sondern regional finanziert und bestreitet sein Programm mit Wechselausstellungen.
"Ist es wirklich ein Akt der «kulturellen Demokratisierung», diese Werke in einer Provinzstadt zu zeigen statt in Paris, das – schon rein verkehrstechnisch – nach wie vor das Zentrum des Landes bildet? Das Centre Pompidou Metz als (gebaute) Form und als (musealer) Inhalt lässt sich durchaus mit guten Argumenten verteidigen. Als kulturpolitisches Projekt allerdings öffnet es die Pandorabüchse – bereitet es doch Projekten den Weg, die fragwürdig sind (wie der Louvre Lens) oder schlicht skandalös (wie der Louvre Abu Dhabi)."
Zitzmann verneint das und kritisiert die Instrumentalisierung von Museen für Tourismus und Szandortpolitik mit großer Heftigkeit - und nennt das ein Öffnen der Büchs der Pandora. Zum Glück mit Fragezeichen...
Der Artikel: NZZ 14. 5. 2010
Auch Marc Zitzmann setzt sich in der Neuen Zürcher Zeitung vom 14. Mai 2010 mit der Architektur auseinander, wirft aber einige museumspolitische Fragen auf.
Das Centre Pompidou Metz hat nämlich weniger mit seiner 'Mutterinstitution' zu tun, als man denkt. Als Museum ohne Sammlung greift auf die des Musée national d'art moderne zurück, wird aber nicht vom Staat, sondern regional finanziert und bestreitet sein Programm mit Wechselausstellungen.
"Ist es wirklich ein Akt der «kulturellen Demokratisierung», diese Werke in einer Provinzstadt zu zeigen statt in Paris, das – schon rein verkehrstechnisch – nach wie vor das Zentrum des Landes bildet? Das Centre Pompidou Metz als (gebaute) Form und als (musealer) Inhalt lässt sich durchaus mit guten Argumenten verteidigen. Als kulturpolitisches Projekt allerdings öffnet es die Pandorabüchse – bereitet es doch Projekten den Weg, die fragwürdig sind (wie der Louvre Lens) oder schlicht skandalös (wie der Louvre Abu Dhabi)."
Zitzmann verneint das und kritisiert die Instrumentalisierung von Museen für Tourismus und Szandortpolitik mit großer Heftigkeit - und nennt das ein Öffnen der Büchs der Pandora. Zum Glück mit Fragezeichen...
Der Artikel: NZZ 14. 5. 2010
James Cook, die Südsee und wir im Museum
Als Kaiser Karl V. aus der Eroberung Amerikas stammende Objekte in Brüssel ausstellen ließ, war einer der Bewunderer Albrecht Dürer, der dem, was er sah – „so viel schöner anzusehen dann Wunderding“ -, Bewunderung entgegenbrachte und ihren Schöpfern Respekt als “subtilen Ingenia der Menschen in frembden Landen“.
Der Schock, der von der Fremdartigkeit des Nie-Gesehenen ausging, schlägt sich in der Suche nach einer geeigneten Sprache zur Bezeichnung der Dinge und ihrer Erfahrung nieder und in ihrer Ästhetisierung.
Wahrscheinlich wird es vielen Besuchern, die die im Wiener Völkerkundemuseum laufende Ausstellung „James Cook und die Entdeckung der Südsee“ besuchen, noch immer ähnlich gehen. Auch sie werden mit etwas konfrontiert, was einen weiten Zeitraum und eine große zeitliche Entfernung in jener eiegntümlichen Dialektik überbrückt, die Walter Benjamin mit den Metaphern „Spur“ und „Aura“ zu fassen versuchte. Mit dieser Dialektik zu arbeiten, das ist eine der besonderen und eigentümlichen Möglichkeiten des Museums.
Was Besucher in der Ausstellung zu sehen bekommen, ist weit weniger James Cook selbst (seine Person, sein Wirken als Seefahrer und Kartograph), denn die „Wunderding aus frembden Landen“. Jedenfalls ist es mir so gegangen. Nachdem der Pflichtteil der historischen Intrada (ich komme drauf zurück) hinter mir lag, schlugen mich rasch die wunderbaren Dinge in ihren Bann, die vielen Objekte, die die Kulturen bezeugen, mit denen man damals, vor über 200 Jahren, in Berührung kam und die nun in den vielen Schausälen des Museums ausgebreitet vor uns liegen liegen.
Werkzeuge, Geräte, Kleidung, Musikinstrumente, Schmuck, Kopfbedeckungen... Das meiste aus pflanzlichem Material gemacht, aus Vogelfedern, aus Haaren oder Knochen von Tieren, aus Muscheln und Schneckenhäusern, aus Holz, weniges aus Stein. Welch ein kunstvolles Ding kann ein Fliegenwedel sein, noch dazu, wenn seine feinen Perlmuttstückchen auch noch Klang erzeugen. Paddel sind nicht einfach plumpe Holzstücke, sondern elegant geformt und am Übergang zum verbreiterten Teil kunstvoll verziert. Kämme waren in Neuseeland offenbar ein Männerschmuck, aus Walknochen, hoch ins Haar gesteckt, waren sie auch ein Zeichen einer Würde, wenn ihr Träger nicht einfach nur Federn im geknoteten Haar stecken hatte. Angelhaken für den Haifischfang waren aufwendig und geduldig erzeugte, mehrteilige, grausam aussehende Werkzeuge; mit ausgehöhlten Kokosnüssen ließ sich Fruchtbrei herstellen, aus einem Kürbis ein tragbares Gefäß. Um bei der Arbeit nicht von der Sonne geblendet zu werden, flochten sich Frauen trapezförmige Schirmchen, deren schmälere Seite von einem Ring gebildet wird, den man auf den Kopf ziehen konnte. Eine Steinschleuder aus Pflanzenfasern ist ebenso kunstvoll, wie die Umhängetasche, in der man die ‚Munition’ (die Steine) mit sich trug.
Es sind zauberhafte Dinge, einfach, zweckmäßig, kunstvoll, aus schlichten Materialien, die man in manchmal sehr aufwendigen Verfahren verarbeitete, z.B. breitgeklopfte Fasern zu großen Kleidungsstücken. So ‚schön’ und ‚naturnah’ die Dinge erscheinen, ein romantisierendes Bild der Südsee bedienen sie nicht, das tun eher manche Bilddarstellungen der Expeditionsteilnehmer, die oft vor Ort, ebenso oft aber nach Skizzen und Notizen und sehr viel später entstanden oder sich völlig vom Gesehenen und Erreigneten entfernen konnten, wie etwa Johann Zoffanys Bild, das Cooks Tod als antike Tragödie erzählt.
‚Südsee-Romantisch’ kann der Eindruck auch deshalb nicht werden, weil die Objekte unprätentiös ausggestellt und knapp kommentiert werden, kontextualisiert von der wissenschaftlichen Tätigkeit der (ersten beiden) Expeditionen und der seefahrerischen Meisterleistung dreier welterweiternden Reisen.
Der Logistik dieser Reisen ist ein Teil der Ausstellung gewidmet. Während mir aufgeklappte Bücher, Fernrohre oder komplizierte Messinstrumente in Vitrinen herzlich wenig sagen, waren die multimedialen Informatione so hilfreich, mir immerhin das Gefühl zu vermitteln, als hätte ich (endlich) verstanden, wie man sich denn (zu jener Zeit) auf einem weiten leeren Meer ziemlich exakt orientieren und verorten konnte. Daß es schon so etwas wie Maggi-Würfel gab, Trockensuppe, die im Museum nicht grade appetitlich oder gesundheitsfördernd aussieht, und manch andere erstaunliche ‚Ergänzungsnahrung’, die erfolgreich typischen Mangelerkrankungen der Seefahrt vorbeugte, beeindruckte mich. Wenig, zu wenig erfährt man über die Interessen der Auftraggeber, über die mittel- und langfristigen Effekte der kolonisierenden Landnahme. Daß ein Mitglied der Expedition die erste Kolonie Strafgefangener in Australien gründete, habe ich in einer Zeitungsrezension erfahren, vielleicht in der Ausstellung überlesen. Daß die Bewohner grade der australischen Küsten wünschten, daß die Eurpäer rasch wieder verschwinden, wie Cook selbst notierte, hat die – wie wir wissen – bis heute nachwirkende Kolonisierung Australiens und die Beinahe-Ausrottung eines ganzen Kontinents nicht verhindert.
Stattdessen beschäftigt man sich mit dem zur damaligen Zeit auch durch Cooks Expeditionen erzeugten Südsee-Bild, das - zusammen mit Reiseberichten - viele dauerhafte Klischees erzeugte. Dankenswerterweise wird bei den meisten Gemälden und Zeichnungen angegeben, unter welchen Umständen das Bild entstand, ob vor Ort oder am Schiff oder womöglich Jahre später in London... Man hat so eine gewisse Chance, die Authentizität der Darstellung selbst abzuschätzen, aber die Komplexität der Beziehung, die da entstand, kann man so nicht einmal erahnen.
Welche Wechselbeziehung zwischen europäischem Vorurteil, Erfahrungen vor Ort und Nachwirkung in Gang gesetzt wurde, das kann man staunend zur Kenntnis nehmen, wenn man das Buch zur Hand nimmt, das der Teilnehmer der zweiten Expedition, Georg Forster verfasste. (A voyage round the worlds; 1777). Sein Text vermittelt einen durch und durch ebenso offenen, neugierigen wie anerkennenden Blick auf das Neue, vor allem auf die Menschen, die er trifft und kennenlernt. Alles was von der mitgebrachten Erfahrung abwich (und oft hart und tödlich von den Seefahrern bestraft wurde), sucht er vor dem Hintergrund seiner protodemokratischen Gesellschaftstheorie und einem aufgeklärten, egalitären Menschenbild zu verstehen und zu würdigen. (Forster war einer der konsequentesten Sympathisanten der Französischen Revolution, ein führender Kopf der kurzlebigen Mainzer Republik und deren Deputierter der Nationalversammlung in Paris). Selbst den - heute bezweifelten - Kannibalismus, auf den man zu treffen glaubte, suchte er zu verstehen und nicht zu verurteilen.
Der europäische Blick, die europäischen Interessen können sich repräsentieren. In Texten, Dokumenten, Büchern, Seekarten, Bildern. Dazu gibt es kein Äquivalent bei den ‚entdeckten’ Völkern. Ohne Schriftkultur bleiben nur ihre mehr oder weniger zufällig in europäische Museen gelangten Objekte als – sehr relative, aber ja nie auf Dokumentation angelegte – Artikulationsmöglichkeiten. Nicht mal ein Dutzend von Zeichnungen, offenbar unter dem Einfluß europäischer entstanden, mögen kostbar und selten sein, die überragende Macht der eurozentristischen Repräsentation tangieren sie natürlich nicht.
Statt Nostalgie stellt sich im Ausstellungsraum eher Melancholie (als museumstypische Verstimmung) ein, denn wir werden mit Überlebseln verschiedenster Bevölkerungsgruppen konfrontiert, deren Relikte in – überwiegend europäischen – Museen überdauert haben, während ihre Erzeuger und Nutzer samt ihren Kulturen größtenteils untergegangen sind. Manche unmittelbar auf Grund ihrer ‚Entdeckung’, manche mit Zeitverzögerung aber indirekt ebenfalls durch die Kolonisierung. Mehr als 3000 Kilometer australischer Küste kartierte Cook und „nahm sie für die britische Krone in Besitz“ (Ausstellungstext). Das war einfach. Ein einseitiger „Rechtsakt“ genügte, wo es nötig war, durchgesetzt mit Gewehren, Pistolen und Schiffskanonen. Diese Waffen stellten eine Überlegenheit her, die jede zahlenmäßige der ‚Entdeckten’ zunichte machten.
Dürers Besuch der ausgestellten „Wunderding“, den ich eingangs erwähnte, interpretiert Stephen Greenblatt als Indiz eines ästhetischen Verstehens, das sich von einer bloßen Artikulation der Beziehung zu Macht und Reichtum zu emanzipieren beginnt. Ästhetisches Verstehen beruht für ihn generell auf der Abstraktion von Macht und Gewaltförmigkeit als Bedingungen des Erwerbs und Genusses (kulturellen) Reichtums. (Stephen Greenblatt: Resonanz und Staunen, in: ders.: Schmutzige Riten. Frankfurt 1991, S.224f.). Ich denke, man kann diese Überlegung auf die Ausstellung übertragen. Indem man Greenblatts These auf den Kopf stellt. Der ästhetische Genuss bringt dessen geschichtlichen und sozialen Bedingungen zum verschwinden. Er macht durch Ästhetisierung historische Ereignisse, mögen sie noch so katastrophisch verlaufen sein, angenehm konsumierbar, in einer wunderbaren, schönen Ausstellung, in der man kaum behelligt wird von zuviel analytischem Beiwerk.
Die Schau als Biografie eines Eroberers zu erzählen, der Cook symbolisch (bis heute) und materiell war, stellvertretend für eine europäische Großmacht, heißt, den Blick der Eroberung noch einmal aufzunehmen. (Die Engländer hatten seit dem 16. Jh. einen Komplex, weil sie nichts richtiges entdeckt hatten; sie hatten nur Piraten. Dann kam endlich James Cook, den konnte man jetzt zumgrössetn Seefahrer aller Zeiten erklären, wie ihn eine Weltmacht brauchte. Leserbrief – in Originalortografie - zu einer Ausstellungsrezension). Der erste Blick im ersten Raum muß auf das großformatige Porträt Cooks fallen – es ist in der Raumachse, der Eingangstür gegenüber angebracht -, das ihn mit einer seiner Seekarten zeigt auf die er mit besitzergreifender Geste weist.
Cook eignet sich für eine auf ihn bezogene Erzählweise, weil er, wie die Ausstellung uns sagt, im Kontext europäischer Aufklärung und der Wissenschaft verpflichtet, um einen von Respekt getragenen Umgang mit den ‚Einheimischen’ bemüht gewesen sein soll. Im allerersten Ausstellungstext wird er uns zudem als Aufsteiger aus ärmlichsten Verhältnissen – Sohn eines Taglöhners -, vorgestellt, der es dann zum berühmten Seefahrer, Entdecker, Kartografen gebracht hat, der unser Wissen um die Welt so unendlich erweitert hat und aus dem in einer Aufsteigergeschichte „ein Held der europäischen Besitznahme der Welt“ werden durfte, dessen Auftrag hinter der Wendung „geopolitische Interessen“ (Ausstellungstext) versteckt wird.
Schließlich ist die Kultur der polynesischen Inseln im rituellen Kanon musealer Aufmerksamkeit gegenüber der griechischen und römischen Antike, der ägyptischen Hochkultur oder denen Altamerikas eindeutig deklassiert. Cook ist also auch ein Vorwand, um eine Kultur zu zeigen, deren "...objects in international museums have never been studied or published or visited...". (Jenny Newell)
Cook ist überdies so geeignet als Zentrum der gesamten Erzählung, weil er auch ein Opfer ist. Auf seiner dritten Reise wurde er unter Umständen getötet, für die es mehrere Versionen gibt. Ob es nun eine Identifizierung als Teil einer Zeremonie war, die die Einheimischen vornahmen oder einer jener Gewaltakte der Eindringlinge, der diesmla nicht wie so oft glimpflich verlief, Cook wurde - in den Augen seiner Auftraggeber - sofort zum Opfer von 'Unzivilisertheit' und 'Wildheit', die man den entdeckten Völkern zuschrieb und mit ihr die Eroberungen und Entdeckungen legitimierte.
Die Ausstellung strengt sich nicht besonders an, diese Erzähl- und Deutungsstruktur zu relativieren.
Cooks, von einigen näher vorgestellten Wissenschaftern und Künstlern unterstützte Welterweiterung und aufklärende Wissenserweiterung bildet die zentrale Legitimation um noch einmal die Geschichte der drei legendären Reisen zu erzählen, aber damit auch noch einmal in eurozentristischer Perspektive und wieder einmal unter weitgehender Ausblendung der Gewaltförmigkeit des Unternehmens selbst aber auch der des wissenschaftlichen Zugriffs auf das Fremde und die Fremden.
Dabei hätte die Ambivalenz dieses Unternehmens, als von Annektion, Unterwerfung, Beherrschung wie von wissenschaftlicher Neugier motiviert, genügend Gelegenheit geboten, das Museum einmal nicht nur metaphorisch als „Schule des Befremdens“ zu gebrauchen, sondern als Ort, an dem Fremdheit auch erst hergestellt wird, unter einem inszenierten Blick und einem formierten Interesse.
Sind nicht damals für uns immer noch ent-scheidende Bilder des Eigenen und Fremden entstanden, Strategien der Exotisierung und Distanzierung und der ent-fremdenden Aneignung? Hätte man, wenn man schon den aus jenen Jahren stammenden Begriff „Ethnologie“ kurz problematisiert, nicht mehr zur Wissenschaftsgeschichte machen können, oder zur Sammlungsgeschichte? Ein paar Objekte gibt es dazu, einige ‚außer Katalog’, als sei da jemandem im letzten Augenblick etwas ein- oder aufgefallen. Aber die Chance auf eine selbstreflexive Thematisierung der Bedingung der Ausstellung wird nicht wirklich versucht.
Da liegt in einer großen, technisch aufwenigen Vitrine ein großes Stoffstück, das trotz seiner konservatorischen Fragilität überdauert hat. Mitten auf den Stoff wurde ein Zettel befestigt, der offenbar inventarische Angaben enthält (es gibt mehrerer solcher Objekte in der Ausstellung). Hätte man nicht über die Würdigung der handwerklichen und ästhetischen Qualitäten des Objekts nicht auch dessen symptomatisches Exponaten-Dasein thematisieren können. Seine Transformation in den verschiedenen Etappen der Aneignung - Tausch, Gabe (die Ausstellung vermittelt den Eindruck, als wäre alles freiwillig den Europäern übermittelt worden) -, Erfassung und Systemisierung durch die Expedition schon vor Ort (Listen, Tabellen, Zeichnungen etc., wie man sie in der Ausstellung sehen kann), Existenz in einer europäischen Sammlung oder Schaustellung, Funktion als ethnographisches Objekt der Wissenschaft oder des Museums...?
Das hätte helfen können, unseren heutigen Blick etwas auf Distanz zu bringen, zu differenzieren, etwas von der Komplexität und Fragilität des musealen Blicks wenigstens zu ahnen. Aber auf solche Feingriffe kommen Museen leider nicht, zumindest nicht in diesem Fall, es scheint eher um eine grobgestrickte ‚Sehenswürdigkeit’ zu gehen, um schnelles, einfaches Sehen und Bewundern.
Den Folgen der Cook'schen Expeditionen schenkt die Ausstellung bemerkenswert wenig Beachtung. Das gilt auch für den Katalog. Die jüngere Geschichte der Region, die Bemühungen um Widergewinnung ihrer Geschichte, die Rolle eigener Sammlungen und Museen werden, so weit ich sehe, überhaupt nicht thematisisert.
Cook war sich der Konsequenzen der europäischen Intervention bewußt und hatte eine klare Vorstellung davon, daß sich die Existenz der Völker, mit denenen man in Kontakt kam, dramatisch verändern würde. Noch radikaler als er hat Georg Forster den durch die Reisen ausgelösten Kulturschock, den man auslöste beschrieben und hellsichtig die katastrophische Zukunft beschrieben: „Es ist Unglücks genug, dass alle unsre Entdeckungen so viel unschuldigen Menschen haben das Leben kosten müssen. So hart das für die kleinen ungesitteten Völkerschaften seyn mag, welche von den Europäern aufgesucht worden sind, so ists doch wahrlich nur eine Kleinigkeit im Vergleich mit dem unersetzlichen Schaden, den ihnen diese durch den Umsturz ihrer sittlichen Grundsätze zugefügt haben.“
Die Ausstellung James Cook und die Entdeckung der Südsee ist im Museum für Völkerkunde in Wien noch bis 13. September 2010 zu sehen, vom 7. Oktober bis 2010 bis 13. Februar 2011 im Historischen Museum Bern.
Der Schock, der von der Fremdartigkeit des Nie-Gesehenen ausging, schlägt sich in der Suche nach einer geeigneten Sprache zur Bezeichnung der Dinge und ihrer Erfahrung nieder und in ihrer Ästhetisierung.
Wahrscheinlich wird es vielen Besuchern, die die im Wiener Völkerkundemuseum laufende Ausstellung „James Cook und die Entdeckung der Südsee“ besuchen, noch immer ähnlich gehen. Auch sie werden mit etwas konfrontiert, was einen weiten Zeitraum und eine große zeitliche Entfernung in jener eiegntümlichen Dialektik überbrückt, die Walter Benjamin mit den Metaphern „Spur“ und „Aura“ zu fassen versuchte. Mit dieser Dialektik zu arbeiten, das ist eine der besonderen und eigentümlichen Möglichkeiten des Museums.
Was Besucher in der Ausstellung zu sehen bekommen, ist weit weniger James Cook selbst (seine Person, sein Wirken als Seefahrer und Kartograph), denn die „Wunderding aus frembden Landen“. Jedenfalls ist es mir so gegangen. Nachdem der Pflichtteil der historischen Intrada (ich komme drauf zurück) hinter mir lag, schlugen mich rasch die wunderbaren Dinge in ihren Bann, die vielen Objekte, die die Kulturen bezeugen, mit denen man damals, vor über 200 Jahren, in Berührung kam und die nun in den vielen Schausälen des Museums ausgebreitet vor uns liegen liegen.
Werkzeuge, Geräte, Kleidung, Musikinstrumente, Schmuck, Kopfbedeckungen... Das meiste aus pflanzlichem Material gemacht, aus Vogelfedern, aus Haaren oder Knochen von Tieren, aus Muscheln und Schneckenhäusern, aus Holz, weniges aus Stein. Welch ein kunstvolles Ding kann ein Fliegenwedel sein, noch dazu, wenn seine feinen Perlmuttstückchen auch noch Klang erzeugen. Paddel sind nicht einfach plumpe Holzstücke, sondern elegant geformt und am Übergang zum verbreiterten Teil kunstvoll verziert. Kämme waren in Neuseeland offenbar ein Männerschmuck, aus Walknochen, hoch ins Haar gesteckt, waren sie auch ein Zeichen einer Würde, wenn ihr Träger nicht einfach nur Federn im geknoteten Haar stecken hatte. Angelhaken für den Haifischfang waren aufwendig und geduldig erzeugte, mehrteilige, grausam aussehende Werkzeuge; mit ausgehöhlten Kokosnüssen ließ sich Fruchtbrei herstellen, aus einem Kürbis ein tragbares Gefäß. Um bei der Arbeit nicht von der Sonne geblendet zu werden, flochten sich Frauen trapezförmige Schirmchen, deren schmälere Seite von einem Ring gebildet wird, den man auf den Kopf ziehen konnte. Eine Steinschleuder aus Pflanzenfasern ist ebenso kunstvoll, wie die Umhängetasche, in der man die ‚Munition’ (die Steine) mit sich trug.
Es sind zauberhafte Dinge, einfach, zweckmäßig, kunstvoll, aus schlichten Materialien, die man in manchmal sehr aufwendigen Verfahren verarbeitete, z.B. breitgeklopfte Fasern zu großen Kleidungsstücken. So ‚schön’ und ‚naturnah’ die Dinge erscheinen, ein romantisierendes Bild der Südsee bedienen sie nicht, das tun eher manche Bilddarstellungen der Expeditionsteilnehmer, die oft vor Ort, ebenso oft aber nach Skizzen und Notizen und sehr viel später entstanden oder sich völlig vom Gesehenen und Erreigneten entfernen konnten, wie etwa Johann Zoffanys Bild, das Cooks Tod als antike Tragödie erzählt.
‚Südsee-Romantisch’ kann der Eindruck auch deshalb nicht werden, weil die Objekte unprätentiös ausggestellt und knapp kommentiert werden, kontextualisiert von der wissenschaftlichen Tätigkeit der (ersten beiden) Expeditionen und der seefahrerischen Meisterleistung dreier welterweiternden Reisen.
Der Logistik dieser Reisen ist ein Teil der Ausstellung gewidmet. Während mir aufgeklappte Bücher, Fernrohre oder komplizierte Messinstrumente in Vitrinen herzlich wenig sagen, waren die multimedialen Informatione so hilfreich, mir immerhin das Gefühl zu vermitteln, als hätte ich (endlich) verstanden, wie man sich denn (zu jener Zeit) auf einem weiten leeren Meer ziemlich exakt orientieren und verorten konnte. Daß es schon so etwas wie Maggi-Würfel gab, Trockensuppe, die im Museum nicht grade appetitlich oder gesundheitsfördernd aussieht, und manch andere erstaunliche ‚Ergänzungsnahrung’, die erfolgreich typischen Mangelerkrankungen der Seefahrt vorbeugte, beeindruckte mich. Wenig, zu wenig erfährt man über die Interessen der Auftraggeber, über die mittel- und langfristigen Effekte der kolonisierenden Landnahme. Daß ein Mitglied der Expedition die erste Kolonie Strafgefangener in Australien gründete, habe ich in einer Zeitungsrezension erfahren, vielleicht in der Ausstellung überlesen. Daß die Bewohner grade der australischen Küsten wünschten, daß die Eurpäer rasch wieder verschwinden, wie Cook selbst notierte, hat die – wie wir wissen – bis heute nachwirkende Kolonisierung Australiens und die Beinahe-Ausrottung eines ganzen Kontinents nicht verhindert.
Stattdessen beschäftigt man sich mit dem zur damaligen Zeit auch durch Cooks Expeditionen erzeugten Südsee-Bild, das - zusammen mit Reiseberichten - viele dauerhafte Klischees erzeugte. Dankenswerterweise wird bei den meisten Gemälden und Zeichnungen angegeben, unter welchen Umständen das Bild entstand, ob vor Ort oder am Schiff oder womöglich Jahre später in London... Man hat so eine gewisse Chance, die Authentizität der Darstellung selbst abzuschätzen, aber die Komplexität der Beziehung, die da entstand, kann man so nicht einmal erahnen.
Welche Wechselbeziehung zwischen europäischem Vorurteil, Erfahrungen vor Ort und Nachwirkung in Gang gesetzt wurde, das kann man staunend zur Kenntnis nehmen, wenn man das Buch zur Hand nimmt, das der Teilnehmer der zweiten Expedition, Georg Forster verfasste. (A voyage round the worlds; 1777). Sein Text vermittelt einen durch und durch ebenso offenen, neugierigen wie anerkennenden Blick auf das Neue, vor allem auf die Menschen, die er trifft und kennenlernt. Alles was von der mitgebrachten Erfahrung abwich (und oft hart und tödlich von den Seefahrern bestraft wurde), sucht er vor dem Hintergrund seiner protodemokratischen Gesellschaftstheorie und einem aufgeklärten, egalitären Menschenbild zu verstehen und zu würdigen. (Forster war einer der konsequentesten Sympathisanten der Französischen Revolution, ein führender Kopf der kurzlebigen Mainzer Republik und deren Deputierter der Nationalversammlung in Paris). Selbst den - heute bezweifelten - Kannibalismus, auf den man zu treffen glaubte, suchte er zu verstehen und nicht zu verurteilen.
Der europäische Blick, die europäischen Interessen können sich repräsentieren. In Texten, Dokumenten, Büchern, Seekarten, Bildern. Dazu gibt es kein Äquivalent bei den ‚entdeckten’ Völkern. Ohne Schriftkultur bleiben nur ihre mehr oder weniger zufällig in europäische Museen gelangten Objekte als – sehr relative, aber ja nie auf Dokumentation angelegte – Artikulationsmöglichkeiten. Nicht mal ein Dutzend von Zeichnungen, offenbar unter dem Einfluß europäischer entstanden, mögen kostbar und selten sein, die überragende Macht der eurozentristischen Repräsentation tangieren sie natürlich nicht.
Statt Nostalgie stellt sich im Ausstellungsraum eher Melancholie (als museumstypische Verstimmung) ein, denn wir werden mit Überlebseln verschiedenster Bevölkerungsgruppen konfrontiert, deren Relikte in – überwiegend europäischen – Museen überdauert haben, während ihre Erzeuger und Nutzer samt ihren Kulturen größtenteils untergegangen sind. Manche unmittelbar auf Grund ihrer ‚Entdeckung’, manche mit Zeitverzögerung aber indirekt ebenfalls durch die Kolonisierung. Mehr als 3000 Kilometer australischer Küste kartierte Cook und „nahm sie für die britische Krone in Besitz“ (Ausstellungstext). Das war einfach. Ein einseitiger „Rechtsakt“ genügte, wo es nötig war, durchgesetzt mit Gewehren, Pistolen und Schiffskanonen. Diese Waffen stellten eine Überlegenheit her, die jede zahlenmäßige der ‚Entdeckten’ zunichte machten.
Dürers Besuch der ausgestellten „Wunderding“, den ich eingangs erwähnte, interpretiert Stephen Greenblatt als Indiz eines ästhetischen Verstehens, das sich von einer bloßen Artikulation der Beziehung zu Macht und Reichtum zu emanzipieren beginnt. Ästhetisches Verstehen beruht für ihn generell auf der Abstraktion von Macht und Gewaltförmigkeit als Bedingungen des Erwerbs und Genusses (kulturellen) Reichtums. (Stephen Greenblatt: Resonanz und Staunen, in: ders.: Schmutzige Riten. Frankfurt 1991, S.224f.). Ich denke, man kann diese Überlegung auf die Ausstellung übertragen. Indem man Greenblatts These auf den Kopf stellt. Der ästhetische Genuss bringt dessen geschichtlichen und sozialen Bedingungen zum verschwinden. Er macht durch Ästhetisierung historische Ereignisse, mögen sie noch so katastrophisch verlaufen sein, angenehm konsumierbar, in einer wunderbaren, schönen Ausstellung, in der man kaum behelligt wird von zuviel analytischem Beiwerk.
Die Schau als Biografie eines Eroberers zu erzählen, der Cook symbolisch (bis heute) und materiell war, stellvertretend für eine europäische Großmacht, heißt, den Blick der Eroberung noch einmal aufzunehmen. (Die Engländer hatten seit dem 16. Jh. einen Komplex, weil sie nichts richtiges entdeckt hatten; sie hatten nur Piraten. Dann kam endlich James Cook, den konnte man jetzt zumgrössetn Seefahrer aller Zeiten erklären, wie ihn eine Weltmacht brauchte. Leserbrief – in Originalortografie - zu einer Ausstellungsrezension). Der erste Blick im ersten Raum muß auf das großformatige Porträt Cooks fallen – es ist in der Raumachse, der Eingangstür gegenüber angebracht -, das ihn mit einer seiner Seekarten zeigt auf die er mit besitzergreifender Geste weist.
Cook eignet sich für eine auf ihn bezogene Erzählweise, weil er, wie die Ausstellung uns sagt, im Kontext europäischer Aufklärung und der Wissenschaft verpflichtet, um einen von Respekt getragenen Umgang mit den ‚Einheimischen’ bemüht gewesen sein soll. Im allerersten Ausstellungstext wird er uns zudem als Aufsteiger aus ärmlichsten Verhältnissen – Sohn eines Taglöhners -, vorgestellt, der es dann zum berühmten Seefahrer, Entdecker, Kartografen gebracht hat, der unser Wissen um die Welt so unendlich erweitert hat und aus dem in einer Aufsteigergeschichte „ein Held der europäischen Besitznahme der Welt“ werden durfte, dessen Auftrag hinter der Wendung „geopolitische Interessen“ (Ausstellungstext) versteckt wird.
Schließlich ist die Kultur der polynesischen Inseln im rituellen Kanon musealer Aufmerksamkeit gegenüber der griechischen und römischen Antike, der ägyptischen Hochkultur oder denen Altamerikas eindeutig deklassiert. Cook ist also auch ein Vorwand, um eine Kultur zu zeigen, deren "...objects in international museums have never been studied or published or visited...". (Jenny Newell)
Cook ist überdies so geeignet als Zentrum der gesamten Erzählung, weil er auch ein Opfer ist. Auf seiner dritten Reise wurde er unter Umständen getötet, für die es mehrere Versionen gibt. Ob es nun eine Identifizierung als Teil einer Zeremonie war, die die Einheimischen vornahmen oder einer jener Gewaltakte der Eindringlinge, der diesmla nicht wie so oft glimpflich verlief, Cook wurde - in den Augen seiner Auftraggeber - sofort zum Opfer von 'Unzivilisertheit' und 'Wildheit', die man den entdeckten Völkern zuschrieb und mit ihr die Eroberungen und Entdeckungen legitimierte.
Die Ausstellung strengt sich nicht besonders an, diese Erzähl- und Deutungsstruktur zu relativieren.
Cooks, von einigen näher vorgestellten Wissenschaftern und Künstlern unterstützte Welterweiterung und aufklärende Wissenserweiterung bildet die zentrale Legitimation um noch einmal die Geschichte der drei legendären Reisen zu erzählen, aber damit auch noch einmal in eurozentristischer Perspektive und wieder einmal unter weitgehender Ausblendung der Gewaltförmigkeit des Unternehmens selbst aber auch der des wissenschaftlichen Zugriffs auf das Fremde und die Fremden.
Dabei hätte die Ambivalenz dieses Unternehmens, als von Annektion, Unterwerfung, Beherrschung wie von wissenschaftlicher Neugier motiviert, genügend Gelegenheit geboten, das Museum einmal nicht nur metaphorisch als „Schule des Befremdens“ zu gebrauchen, sondern als Ort, an dem Fremdheit auch erst hergestellt wird, unter einem inszenierten Blick und einem formierten Interesse.
Sind nicht damals für uns immer noch ent-scheidende Bilder des Eigenen und Fremden entstanden, Strategien der Exotisierung und Distanzierung und der ent-fremdenden Aneignung? Hätte man, wenn man schon den aus jenen Jahren stammenden Begriff „Ethnologie“ kurz problematisiert, nicht mehr zur Wissenschaftsgeschichte machen können, oder zur Sammlungsgeschichte? Ein paar Objekte gibt es dazu, einige ‚außer Katalog’, als sei da jemandem im letzten Augenblick etwas ein- oder aufgefallen. Aber die Chance auf eine selbstreflexive Thematisierung der Bedingung der Ausstellung wird nicht wirklich versucht.
Da liegt in einer großen, technisch aufwenigen Vitrine ein großes Stoffstück, das trotz seiner konservatorischen Fragilität überdauert hat. Mitten auf den Stoff wurde ein Zettel befestigt, der offenbar inventarische Angaben enthält (es gibt mehrerer solcher Objekte in der Ausstellung). Hätte man nicht über die Würdigung der handwerklichen und ästhetischen Qualitäten des Objekts nicht auch dessen symptomatisches Exponaten-Dasein thematisieren können. Seine Transformation in den verschiedenen Etappen der Aneignung - Tausch, Gabe (die Ausstellung vermittelt den Eindruck, als wäre alles freiwillig den Europäern übermittelt worden) -, Erfassung und Systemisierung durch die Expedition schon vor Ort (Listen, Tabellen, Zeichnungen etc., wie man sie in der Ausstellung sehen kann), Existenz in einer europäischen Sammlung oder Schaustellung, Funktion als ethnographisches Objekt der Wissenschaft oder des Museums...?
Das hätte helfen können, unseren heutigen Blick etwas auf Distanz zu bringen, zu differenzieren, etwas von der Komplexität und Fragilität des musealen Blicks wenigstens zu ahnen. Aber auf solche Feingriffe kommen Museen leider nicht, zumindest nicht in diesem Fall, es scheint eher um eine grobgestrickte ‚Sehenswürdigkeit’ zu gehen, um schnelles, einfaches Sehen und Bewundern.
Den Folgen der Cook'schen Expeditionen schenkt die Ausstellung bemerkenswert wenig Beachtung. Das gilt auch für den Katalog. Die jüngere Geschichte der Region, die Bemühungen um Widergewinnung ihrer Geschichte, die Rolle eigener Sammlungen und Museen werden, so weit ich sehe, überhaupt nicht thematisisert.
Cook war sich der Konsequenzen der europäischen Intervention bewußt und hatte eine klare Vorstellung davon, daß sich die Existenz der Völker, mit denenen man in Kontakt kam, dramatisch verändern würde. Noch radikaler als er hat Georg Forster den durch die Reisen ausgelösten Kulturschock, den man auslöste beschrieben und hellsichtig die katastrophische Zukunft beschrieben: „Es ist Unglücks genug, dass alle unsre Entdeckungen so viel unschuldigen Menschen haben das Leben kosten müssen. So hart das für die kleinen ungesitteten Völkerschaften seyn mag, welche von den Europäern aufgesucht worden sind, so ists doch wahrlich nur eine Kleinigkeit im Vergleich mit dem unersetzlichen Schaden, den ihnen diese durch den Umsturz ihrer sittlichen Grundsätze zugefügt haben.“
Samstag, 15. Mai 2010
Montag, 10. Mai 2010
Sonntag, 9. Mai 2010
"Da bekommt die Mineralogie sofort gesellschaftliche Relevanz". Aus der Welt der Direktoren.
Abbildung - Impcat. Heftig,
vielleicht endgültig, vielleicht nur Kino (oben)
und Papst & Impact (M. Cattelan,
Die neunte Stunde, 1999) (unten)
und Papst & Impact (M. Cattelan,
Die neunte Stunde, 1999) (unten)
Im Interview mit dem designierten Direktor des Naturhistorischen Museum, Christian Köberl, Astronom und Impact-Forscher, greift Bettina Steiner in der Tageszeitung Die Presse nach den Sternen: gibt's außerirdisches Leben? Und wenn ja, soll man mit ihnen Kontakt aufnehmen? (Der Forscher hält sich bedeckt).
Gibt es das Universum überhaupt? ("Es ist nicht unwahrscheinlich", höre ich mit Erleichterung). Was ist ein guter, was ein schlechter Wissenschafter?
Fragen über Fragen, ehe es zur entscheidenden kommt: "Ich denke mit Schrecken daran, wie ich mit meiner Tochter durch Reihen ausgestopfter Tiere spaziert bin – die noch dazu völlig unsystematisch aufgestellt und mangelhaft beschriftet waren."
Da darf sich Herr Köberl darüber freuen, daß mit ihm - nicht von ungefähr, meint er - ein Wissenschafter berufen worden sei (die Vorgänger, was waren die eigentlich?), denn um Forschung ginge es, um Grundlagenforschung.
Und wie wollen Sie das vermitteln, fragt Frau Steiner. Köberl: Man sagt immer, Steine seien langweilig. Aber das müssen sie nicht sein. Haben Sie gewusst, dass man für den Betrieb von Mobiltelefonen seltene Erden braucht? Da bekommt die Mineralogie sofort gesellschaftliche Relevanz!
Und für Kinder wird's einen beweglichen Dino geben.
Aber sonst wohl, wie gesagt, eher Forschung, denn: 100 Würmer nebeneinander sind fad. Aber ich kann erklären, welche von ihnen Parasiten sind und was sie anrichten.
Samstag, 8. Mai 2010
Weltmaschine
Ein runder, ein hundertster Geburtstag: Am 13. Mai 1910 wurde Franz Gsellmann geboren. Sein ‚Nachruhm’ begann mit einem Ereignis, um das sich ein Dickicht von Legenden webt. Fest steht nur, daß das „Atomium“ der Weltausstellung in Brüssel den damals 48jährigen Landwirt anregen, eine Maschine zu bauen. Ob er damals in einer Nacht mit der Bahn nach Brüssel und in der folgenden zurückgefahren ist oder ob er bloß ein Foto des „Atomium“ gesehen hat?
Jedenfalls begann er (wir dürfen vermuten, zum Mißfallen seiner Familie) in einem Raum seines Bauernhofes in Kaag bei Edelsbach bei Feldbach (die Ortsangabe vermittelt eine Ahnung von der Entlegenheit eines Ortes) an einer Maschine zu arbeiten, bis zu seinem Tod im Jahr 1981
Bekannt wurde die „Weltmaschine des Franz Gsellmann“ noch zu seinen Lebzeiten, zuerst durch ein Feature des Österreichischen Fernsehen, dann durch das Interesse von Harald Szeemann, das wiederum Künstler wie Jean Tinguely und Bernhard Luginbühl in die tiefste Steiermark lockte.
Gsellmann baute seine Maschine aus Resten, Abfall, Hausrat, Fundstücken, aus extra angefertigten Teilen, aus Lampen, Motoren, Lichtern, Ventilatoren, Heiligenstatuen, Rädern, Spielzeug, Geräten, Geschirr, Hufeisen, Kruzifixen, Installationsteilen, Glocken, Buchstaben, Instrumenten...
Die raumgroße Weltmaschine blieb unvollendet, konnte nie vollendet werden, hatte ihren ‚Sinn’ wohl gerade in ihrer Unvollendbarkeit. Eine Arbeit als ein obsessives Begehren, das sich seiner Einsamkeit und Unerfüllbarkeit stellt. Heute, in einem etwas – um das Betrachten und Umrunden zu ermöglichen - erweiterten Raum ausgestellt, zu besichtigen gegen ein kleines Entgeld, das Land subventioniert mit der Bezahlung der Stromkosten. Und nun, im Zustand, in dem sie nach Gsellmanns Tod zurückblieb, sorgfältig gepflegt, erfreut die „Weltmaschine“ mit ihrem rätselhaften Klingen, Leuchten und Bewegen – auf ewig & immer...
Jedenfalls begann er (wir dürfen vermuten, zum Mißfallen seiner Familie) in einem Raum seines Bauernhofes in Kaag bei Edelsbach bei Feldbach (die Ortsangabe vermittelt eine Ahnung von der Entlegenheit eines Ortes) an einer Maschine zu arbeiten, bis zu seinem Tod im Jahr 1981
Bekannt wurde die „Weltmaschine des Franz Gsellmann“ noch zu seinen Lebzeiten, zuerst durch ein Feature des Österreichischen Fernsehen, dann durch das Interesse von Harald Szeemann, das wiederum Künstler wie Jean Tinguely und Bernhard Luginbühl in die tiefste Steiermark lockte.
Gsellmann baute seine Maschine aus Resten, Abfall, Hausrat, Fundstücken, aus extra angefertigten Teilen, aus Lampen, Motoren, Lichtern, Ventilatoren, Heiligenstatuen, Rädern, Spielzeug, Geräten, Geschirr, Hufeisen, Kruzifixen, Installationsteilen, Glocken, Buchstaben, Instrumenten...
Die raumgroße Weltmaschine blieb unvollendet, konnte nie vollendet werden, hatte ihren ‚Sinn’ wohl gerade in ihrer Unvollendbarkeit. Eine Arbeit als ein obsessives Begehren, das sich seiner Einsamkeit und Unerfüllbarkeit stellt. Heute, in einem etwas – um das Betrachten und Umrunden zu ermöglichen - erweiterten Raum ausgestellt, zu besichtigen gegen ein kleines Entgeld, das Land subventioniert mit der Bezahlung der Stromkosten. Und nun, im Zustand, in dem sie nach Gsellmanns Tod zurückblieb, sorgfältig gepflegt, erfreut die „Weltmaschine“ mit ihrem rätselhaften Klingen, Leuchten und Bewegen – auf ewig & immer...
Guillotine und Museum (Was ist ein Museum 07)
Um zu verstehen, wie tiefgreifend sich in der Französischen Revolution das ändert, was das Wort Museum ab nun bezeichnet, genügt es zunächst, ein wenig Ereignisgeschichte zu erzählen. Mit dem Bildersturm in der ersten Phase der Revolution werden alle Zeichen und Spuren des Despotismus, des Ancien Regime attackiert. Ganze Bauten wie Kirchen werden demoliert oder profaniert, Denkmäler gestürzt, selbstverständlich die der Könige zuerst, Bibliotheken, Archive - im Grunde alles, was an die verhasste und gestürzte Herrschaft erinnern kann -, wird verkauft, versteigert oder zerstört.
Je umfassender dieser, teils gesteurte, teils anarchische Vandalismus wird, desto mehr wird eine Kehrseite des Bildersturms sichtbar und in den Diskussionen, auch der des Nationalkonvents, bemerkbar.
Sich aller Erinnerungsspuren zu entledigen, liefe in letzter Konsequenz auf eine totale Amnesie hinaus, auf eine Aufsprengung des zeitlichen und geschichtlichen Kontinuum, wie es ja in der Einführung einer neuen Zeitrechnung bewußt angestrebt wurde.
Zu derselben Zeit schärfte sich aber das Bewußtsein eben für dieses Kontinuum des geschichtlichen, zivilisatorischen Prozesses, für die Geschichte der Gattung, für eine Entwicklung, die sich als Gesamtheit in einem (als Singular) neuen Wort bildtete: (Die) Geschichte.
Die religiösen un die alten politisch-gesellschaftlichen Sinnstiftungen implodierten und mußten durch neue ersetzt werden, und eine dieser Legitimations- und Sinnstiftungsinstanzen konnte die (nationale) Geschichte sein. Das einigende Band der Gemeinschaft, der religiöse Glaube und der an seine weltliche Statthalterschaft des Königs gebundene politische mußten ersetzt werden.
Eine Gemeinschaft, die ihre Möglichkeiten, ihr Gemeinsames auszubilden, zu symbolisieren und anzuerkennen nicht nur verliert, sondern aktiv zerstört, gerät in eine tödliche Krise; der Höhepunkt dieser Krise ist in den Jahren 1793 und 1794 erreicht, wo der Bürgerkrieg zum Exzess wird, und der König auf die Guillotine geschickt wird.
Der Großen Enzyklopädie zufolge wurde das erste Museum im modernen Sinne des Wortes (das heißt, die erste öffentliche Sammlung) am 27. Juli 1793 vom französischen Nationalkonvent gegründet. Dies würde bedeuten, daß der Ursprung des modernen Museums mit der Entwicklung der Guillotine einherging. Dieser Satz Batailles (siehe dazu den Post Das Museum lesen 10) trifft etwas Wesentliches:
Denn jetzt ist die Stunde einer neuen Idee, für die in den Debatten des Nationalkonvents, ein altes, aber mit neuem Inhalt gefülltes Wort auftaucht: Patrimoine. Erbe, väterliches Erbe. die Vorstellung eines Gesamt von ideellen und materiellen überlieferten Werten, auf die man sich in Narration und Symbolisierung beziehen kann. Und deshalb ist das auch die Stunde des Museums, auch ein altes Wort, das nun mit neuen Inhalten aufgeladen wird.
Man kann das langsame Kippen der Debatte um den Bildersturm genau verfolgen; vom frühen Enthusiasmus über erste Skepsis und Einwände bis zu den Anfängen einer Politik des Erbes, die in Maßnahmen zum Erhalt bedrohter Zeugnisse führen und schließlich zum Entschluß, Museen zu gründen.
Mit der Gründung mehrer großer Museen, beginnenden mit dem Museum im Louvre am 10. August 1793, schafft man ein Common Object an kulturell-geschichtlichen Objekten, um die sich die Gemeinschaft bilden und sammeln kann - buchstäblich und symbolisch.
Diese neuartige Identifizierung der Gemeinschaft findet in einer Verschränkung von Individuum und Gesellschaft statt. Die Eröffnung des Museums im königlichen Schloß, im Louvre – ich zitiere Andrew McClellan, den Historiker der Geschichte des Museums in der Revolutionszeit -, “was tied to the birth of a new nation. The investiture of the Louvre with the power of a revolutionary sign radically transformed the ideal museum public. To the extent that the Louvre embodied the Republican principles of Liberty, Equality, and Fraternity, all citizens were encouraged to participate in the experience of communal ownership, and clearly many did.” (vgl. Die Idee des Museums in diesem Blog)
Wovon Mc Clellan spricht, ist ein Museum, das in so gut wie allem weit über das hinausgeht, was je einer Sammlung früher zugeschrieben werden konnte. Das Museum ist nicht nur nicht eine bloß zufällig-nebensächliche kulturpolitische Maßnahme, sondern steht im Zentrum der gesellschaftlichen Integration, ja mehr als das, sie konstituiert sie - mit anderen Ereignissen und Prozessen - mit.
Welch emphatische Bedeutung die Gründung des Museums im Louvre (also im annektierten Königsschloß) hatte und seine Eröffnung am 10. August 1793, dem ersten Jahrestag der Erstürmung der Tuilerien, wird schlagartig klar, wenn man zwei weitere - bewußt synchronisierte - Ereignisse dieses Tages nennt: La fête de l'Unite, das Fest der Einheit, das man sich als eine Art Prozession vorstellen muß mit dem Höhepunkt einer Zeremonie, die auf den Trümmern der Bastille stattfand. Die Abgeordneten aller Departements Frankreichs tranken aus einem Pokal Wasser das den Brüsten einer ägyptisierenden Statue der weisheit Entsprang. Dies 'Kommunion' hatte ihre rechtliche Ergänzung in der feierlichen Deklaration der Verfassung, der ersten demokratisch-republikanischen, Frankreichs. (Daß sie aufgrund des Sturms der Ereignisse nie umgesetzt wurde, ist in diesem Zusammenhang unerheblich. Es geht um die - extrem verdichtete - Symbolik dieses Tages).
In dieser Verfassung war unter anderem das Recht auf Bildung für jedermann verankert und die Verpflichtung des Staates das zu garantieren.
Bildung ist das Bedürfnis aller. Die Gesellschaft muß ihre ganze Kraft daran setzen, die Fortschritte der allgemeinen Vernunft zu begünstigen und allen Bürgern Bildung zugänglich zu machen.
Diese staatliche Garantie macht den Kern des wohlfahrtsstaatlichen Verständnisses von Politik, auch von Kulturpolitik also auch von Museumspolitik aus. Und dasselbe wohlfahrtsstaatliche Konzept begründet demokratische Öffentlichkeit, das eben nur unter der Bedingung denkbar ist, daß im Idealfall alle an ihr teilhaben können und es auch sollen.
Wir verstehen wie dürr und irreführend ein Verständnis von Museum und Öffentlichkeit ist, das darunter nur Zugänglichkeit versteht. Öffentlichkeit ist das, worin sich das wohlfahrtsstaatliche Konzept realisieren kann und eine unverzichtbare Bedingung demokratischer Vergesellschaftung - auch in der Sphäre der Kultur.
Öffentlichkeit, also auch die, die im Museum stattfindet, aber nicht nur stattfindet, sondern dort auch hergestellt wird, ist notwendigerweise diskursiv, analytisch und kritisch, denn nur so kann das permanente Aushandeln stattfinden, mit der sich der Bürger mit der Gemeinschaft und diese in sich selbst 'bilden' kann. Wenn Carol Ducan und Sabine Offe von der zivilisatorischen Rolle des Museums sprechen und sie analysieren, dann ist im Kern dieser Prozeß gemeint. In der genannten Verfassung ist das Ziel der gesellschaftlichen Entwicklung unüberbietbar formuliert; lakonisch heißt es im Artikel 1: „Ziel der Gesellschaft das allgemeine Glück“.
In dem, was wir heute mit dem Wort Bildung transportieren, wird kaum noch erahnbar, was es im Kontext von Aufklärung und Revolution bedeutete.
Der Mythos der Aufklärung beruht auf der Vorstellung der Wissbarkeit, Darstellbarkeit und Gestaltbarkeit der Welt und ihrer Beherrschbarkeit durch menschliche Vernunft. Der Bildungsort Museum stellte die Hoffnungen und Illusionen aus, die mit der Engführung von abendländischem Zivilisationsprozess und langfristigen Veränderungen menschlicher Verhaltens- und Empfindensstandards einhergingen. Potentiell alle Museen waren gedacht als Orte, an denen das Publikum sich ein Bild machen konnte von der Ordnung der Welt durch die Anschauung von Objekten aus Natur und Kunst und von der Ordnung der Geschichte in Artefakten, deren vergangene Bedeutung richtungweisend schien für Aufgaben der zeitgenössischen Gegenwart und Zukunft. (Sabine Offe)
Weder ist das Museum ausschließlich retrospektiv und bloß archivalisch gedacht (als ein Ort des behüteten und geschützten Schlafs der Dinge, wie es ein weitverbreitetes kuratorisches Rollenbild glaubt), noch ist es eine Agentur des Wissens, das pädagogisch Lehren erteilt.
Das Museum ist ein Ort der Selbstbeschreibung und Selbstauslegung und es kann das in individueller wie gesellschaftlicher Hinsicht sein. Die Rituale des Museums dienten der Einführung ziviler Normen, die durch öffentliche rituelle Performanz angeeignet, als allgemein verbindliche sichtbar gemacht und eingeübt wurden. Sie dienten der Dramatisierung von „Selbstbeschreibung" und „Selbstauslegung" der bürgerlichen Gesellschaft und ihrer Mitglieder, der Darstellung einer Zivilisierung, die sie zugleich herstellen sollten.
Aber dabei bleibt es nicht, darin erschöpft sich die Funktion des Museums nicht. Unbeachtet bleibt hingegen das diesen Ritualen eigene ambivalente Verhältnis zur gelebten Alltagswirklichkeit. Sie haben eine latente Funktion, die in der „Zivilisierung" nicht aufgeht. Als solche stellen sie ein Wunschbild der bürgerlichen Gesellschaft dar, die sich darin nicht, wie sie ist, sondern wie sie sein sollte oder sich sehen wollte, spiegelt. Aber „zivilisierende" Rituale im Museum schaffen - wie alle Rituale - Gegenbilder, die nicht nur auf gesellschaftliche Werte und Normen, sondern auch auf ganz andere reale gesellschaftliche Erfahrungen verweisen. Sie thematisieren Verborgenes in entstellter Form. Sie bezeugen nicht nur explizit die Wunsch-, sondern auch implizit die Schreckensbilder der Zivilisation. Denn Museen, alle Museen, repräsentieren nicht nur, was zu sehen ist, sondern auch, was dem öffentlichen Diskurs und der Wahrnehmung entzogen werden soll oder verborgen bleibt, eine Geschichte gesellschaftlicher Gewalt. (Sabine Offe)
Ich breche hier - vorläufig - ab, denn von hier aus sind weitere Differenzierungen möglich und nötig. Was hier (auch) sichtbar wird, in der Ambivalenz des Museums, ist eine Ambivalenz des Umgangs mit dem Museum. Hier öffnet sich nicht nur ein Blick auf die 'abschließende' oder 'verschließende' Arbeit des Museums, das uns auf Distanz halten und uns 'Unschuldskomödien' vorspielen kann.
Hier öffnet sich aber auch das Museum, das ein Potential zu einer institutionell selbstreflexiven Praxis hat, das sich und sein Publikum über sich selbst aufklären könnte, das das Entstellte und Verborgene sichtbar, lesbar und besprechbar machen könnte. Sichtbar wird aber schließlich auch eine instrumentelle, manipulative und hegemoniale Funktion des Museums, die schon Carol Duncan beschrieben hat. Museen sind auch (und das hat man in der Französischen Revolution schon gewusst und genutzt) „sites that publicly represent beliefs about the order of the world, its past and present, and the individual's place within it. [...] To control a museum means precisely to control the representation of a community and its highest values and truths."
Also: Reichlich was an Aufgaben wartet, bei der weiteren Beantwortung der Frage: Was ist ein Museum? Aber auch bei der: Was ist ein Museum in einer postdemokratischen Gesellschaft und angesichts des Zerfalls der Idee des Wohlfahrtsstaates?
Je umfassender dieser, teils gesteurte, teils anarchische Vandalismus wird, desto mehr wird eine Kehrseite des Bildersturms sichtbar und in den Diskussionen, auch der des Nationalkonvents, bemerkbar.
Sich aller Erinnerungsspuren zu entledigen, liefe in letzter Konsequenz auf eine totale Amnesie hinaus, auf eine Aufsprengung des zeitlichen und geschichtlichen Kontinuum, wie es ja in der Einführung einer neuen Zeitrechnung bewußt angestrebt wurde.
Zu derselben Zeit schärfte sich aber das Bewußtsein eben für dieses Kontinuum des geschichtlichen, zivilisatorischen Prozesses, für die Geschichte der Gattung, für eine Entwicklung, die sich als Gesamtheit in einem (als Singular) neuen Wort bildtete: (Die) Geschichte.
Die religiösen un die alten politisch-gesellschaftlichen Sinnstiftungen implodierten und mußten durch neue ersetzt werden, und eine dieser Legitimations- und Sinnstiftungsinstanzen konnte die (nationale) Geschichte sein. Das einigende Band der Gemeinschaft, der religiöse Glaube und der an seine weltliche Statthalterschaft des Königs gebundene politische mußten ersetzt werden.
Eine Gemeinschaft, die ihre Möglichkeiten, ihr Gemeinsames auszubilden, zu symbolisieren und anzuerkennen nicht nur verliert, sondern aktiv zerstört, gerät in eine tödliche Krise; der Höhepunkt dieser Krise ist in den Jahren 1793 und 1794 erreicht, wo der Bürgerkrieg zum Exzess wird, und der König auf die Guillotine geschickt wird.
Der Großen Enzyklopädie zufolge wurde das erste Museum im modernen Sinne des Wortes (das heißt, die erste öffentliche Sammlung) am 27. Juli 1793 vom französischen Nationalkonvent gegründet. Dies würde bedeuten, daß der Ursprung des modernen Museums mit der Entwicklung der Guillotine einherging. Dieser Satz Batailles (siehe dazu den Post Das Museum lesen 10) trifft etwas Wesentliches:
Denn jetzt ist die Stunde einer neuen Idee, für die in den Debatten des Nationalkonvents, ein altes, aber mit neuem Inhalt gefülltes Wort auftaucht: Patrimoine. Erbe, väterliches Erbe. die Vorstellung eines Gesamt von ideellen und materiellen überlieferten Werten, auf die man sich in Narration und Symbolisierung beziehen kann. Und deshalb ist das auch die Stunde des Museums, auch ein altes Wort, das nun mit neuen Inhalten aufgeladen wird.
Man kann das langsame Kippen der Debatte um den Bildersturm genau verfolgen; vom frühen Enthusiasmus über erste Skepsis und Einwände bis zu den Anfängen einer Politik des Erbes, die in Maßnahmen zum Erhalt bedrohter Zeugnisse führen und schließlich zum Entschluß, Museen zu gründen.
Mit der Gründung mehrer großer Museen, beginnenden mit dem Museum im Louvre am 10. August 1793, schafft man ein Common Object an kulturell-geschichtlichen Objekten, um die sich die Gemeinschaft bilden und sammeln kann - buchstäblich und symbolisch.
Diese neuartige Identifizierung der Gemeinschaft findet in einer Verschränkung von Individuum und Gesellschaft statt. Die Eröffnung des Museums im königlichen Schloß, im Louvre – ich zitiere Andrew McClellan, den Historiker der Geschichte des Museums in der Revolutionszeit -, “was tied to the birth of a new nation. The investiture of the Louvre with the power of a revolutionary sign radically transformed the ideal museum public. To the extent that the Louvre embodied the Republican principles of Liberty, Equality, and Fraternity, all citizens were encouraged to participate in the experience of communal ownership, and clearly many did.” (vgl. Die Idee des Museums in diesem Blog)
Wovon Mc Clellan spricht, ist ein Museum, das in so gut wie allem weit über das hinausgeht, was je einer Sammlung früher zugeschrieben werden konnte. Das Museum ist nicht nur nicht eine bloß zufällig-nebensächliche kulturpolitische Maßnahme, sondern steht im Zentrum der gesellschaftlichen Integration, ja mehr als das, sie konstituiert sie - mit anderen Ereignissen und Prozessen - mit.
Welch emphatische Bedeutung die Gründung des Museums im Louvre (also im annektierten Königsschloß) hatte und seine Eröffnung am 10. August 1793, dem ersten Jahrestag der Erstürmung der Tuilerien, wird schlagartig klar, wenn man zwei weitere - bewußt synchronisierte - Ereignisse dieses Tages nennt: La fête de l'Unite, das Fest der Einheit, das man sich als eine Art Prozession vorstellen muß mit dem Höhepunkt einer Zeremonie, die auf den Trümmern der Bastille stattfand. Die Abgeordneten aller Departements Frankreichs tranken aus einem Pokal Wasser das den Brüsten einer ägyptisierenden Statue der weisheit Entsprang. Dies 'Kommunion' hatte ihre rechtliche Ergänzung in der feierlichen Deklaration der Verfassung, der ersten demokratisch-republikanischen, Frankreichs. (Daß sie aufgrund des Sturms der Ereignisse nie umgesetzt wurde, ist in diesem Zusammenhang unerheblich. Es geht um die - extrem verdichtete - Symbolik dieses Tages).
In dieser Verfassung war unter anderem das Recht auf Bildung für jedermann verankert und die Verpflichtung des Staates das zu garantieren.
Bildung ist das Bedürfnis aller. Die Gesellschaft muß ihre ganze Kraft daran setzen, die Fortschritte der allgemeinen Vernunft zu begünstigen und allen Bürgern Bildung zugänglich zu machen.
Diese staatliche Garantie macht den Kern des wohlfahrtsstaatlichen Verständnisses von Politik, auch von Kulturpolitik also auch von Museumspolitik aus. Und dasselbe wohlfahrtsstaatliche Konzept begründet demokratische Öffentlichkeit, das eben nur unter der Bedingung denkbar ist, daß im Idealfall alle an ihr teilhaben können und es auch sollen.
Wir verstehen wie dürr und irreführend ein Verständnis von Museum und Öffentlichkeit ist, das darunter nur Zugänglichkeit versteht. Öffentlichkeit ist das, worin sich das wohlfahrtsstaatliche Konzept realisieren kann und eine unverzichtbare Bedingung demokratischer Vergesellschaftung - auch in der Sphäre der Kultur.
Öffentlichkeit, also auch die, die im Museum stattfindet, aber nicht nur stattfindet, sondern dort auch hergestellt wird, ist notwendigerweise diskursiv, analytisch und kritisch, denn nur so kann das permanente Aushandeln stattfinden, mit der sich der Bürger mit der Gemeinschaft und diese in sich selbst 'bilden' kann. Wenn Carol Ducan und Sabine Offe von der zivilisatorischen Rolle des Museums sprechen und sie analysieren, dann ist im Kern dieser Prozeß gemeint. In der genannten Verfassung ist das Ziel der gesellschaftlichen Entwicklung unüberbietbar formuliert; lakonisch heißt es im Artikel 1: „Ziel der Gesellschaft das allgemeine Glück“.
In dem, was wir heute mit dem Wort Bildung transportieren, wird kaum noch erahnbar, was es im Kontext von Aufklärung und Revolution bedeutete.
Der Mythos der Aufklärung beruht auf der Vorstellung der Wissbarkeit, Darstellbarkeit und Gestaltbarkeit der Welt und ihrer Beherrschbarkeit durch menschliche Vernunft. Der Bildungsort Museum stellte die Hoffnungen und Illusionen aus, die mit der Engführung von abendländischem Zivilisationsprozess und langfristigen Veränderungen menschlicher Verhaltens- und Empfindensstandards einhergingen. Potentiell alle Museen waren gedacht als Orte, an denen das Publikum sich ein Bild machen konnte von der Ordnung der Welt durch die Anschauung von Objekten aus Natur und Kunst und von der Ordnung der Geschichte in Artefakten, deren vergangene Bedeutung richtungweisend schien für Aufgaben der zeitgenössischen Gegenwart und Zukunft. (Sabine Offe)
Weder ist das Museum ausschließlich retrospektiv und bloß archivalisch gedacht (als ein Ort des behüteten und geschützten Schlafs der Dinge, wie es ein weitverbreitetes kuratorisches Rollenbild glaubt), noch ist es eine Agentur des Wissens, das pädagogisch Lehren erteilt.
Das Museum ist ein Ort der Selbstbeschreibung und Selbstauslegung und es kann das in individueller wie gesellschaftlicher Hinsicht sein. Die Rituale des Museums dienten der Einführung ziviler Normen, die durch öffentliche rituelle Performanz angeeignet, als allgemein verbindliche sichtbar gemacht und eingeübt wurden. Sie dienten der Dramatisierung von „Selbstbeschreibung" und „Selbstauslegung" der bürgerlichen Gesellschaft und ihrer Mitglieder, der Darstellung einer Zivilisierung, die sie zugleich herstellen sollten.
Aber dabei bleibt es nicht, darin erschöpft sich die Funktion des Museums nicht. Unbeachtet bleibt hingegen das diesen Ritualen eigene ambivalente Verhältnis zur gelebten Alltagswirklichkeit. Sie haben eine latente Funktion, die in der „Zivilisierung" nicht aufgeht. Als solche stellen sie ein Wunschbild der bürgerlichen Gesellschaft dar, die sich darin nicht, wie sie ist, sondern wie sie sein sollte oder sich sehen wollte, spiegelt. Aber „zivilisierende" Rituale im Museum schaffen - wie alle Rituale - Gegenbilder, die nicht nur auf gesellschaftliche Werte und Normen, sondern auch auf ganz andere reale gesellschaftliche Erfahrungen verweisen. Sie thematisieren Verborgenes in entstellter Form. Sie bezeugen nicht nur explizit die Wunsch-, sondern auch implizit die Schreckensbilder der Zivilisation. Denn Museen, alle Museen, repräsentieren nicht nur, was zu sehen ist, sondern auch, was dem öffentlichen Diskurs und der Wahrnehmung entzogen werden soll oder verborgen bleibt, eine Geschichte gesellschaftlicher Gewalt. (Sabine Offe)
Ich breche hier - vorläufig - ab, denn von hier aus sind weitere Differenzierungen möglich und nötig. Was hier (auch) sichtbar wird, in der Ambivalenz des Museums, ist eine Ambivalenz des Umgangs mit dem Museum. Hier öffnet sich nicht nur ein Blick auf die 'abschließende' oder 'verschließende' Arbeit des Museums, das uns auf Distanz halten und uns 'Unschuldskomödien' vorspielen kann.
Hier öffnet sich aber auch das Museum, das ein Potential zu einer institutionell selbstreflexiven Praxis hat, das sich und sein Publikum über sich selbst aufklären könnte, das das Entstellte und Verborgene sichtbar, lesbar und besprechbar machen könnte. Sichtbar wird aber schließlich auch eine instrumentelle, manipulative und hegemoniale Funktion des Museums, die schon Carol Duncan beschrieben hat. Museen sind auch (und das hat man in der Französischen Revolution schon gewusst und genutzt) „sites that publicly represent beliefs about the order of the world, its past and present, and the individual's place within it. [...] To control a museum means precisely to control the representation of a community and its highest values and truths."
Also: Reichlich was an Aufgaben wartet, bei der weiteren Beantwortung der Frage: Was ist ein Museum? Aber auch bei der: Was ist ein Museum in einer postdemokratischen Gesellschaft und angesichts des Zerfalls der Idee des Wohlfahrtsstaates?
Freitag, 7. Mai 2010
Donnerstag, 6. Mai 2010
Museumskrise - was ist das? Beispiel Steiermark
Es ist ja hier schon öfter die Rede gewesen von der Museumskrise. genauer gesagt davon, ob es sie gibt oder ob es eher so ein Ungeheuer von Loch Ness ist.
Wir haben Experten befragt, den Generaldirektor der Dresdner Museen oder den Präsidenten des Deutschen Museumsbundes -, aber wir gestehen, wir sind ratlos.
Leser des Standard wurden mit der Überschrift Die Abrissbirne schwingt bereits neulich in die Museumskrisenfalle gelockt.
Um 25% solle das Kulturbudget des Landes Steiermark gekürzt werden, berichtet am 4.5. Thomas Trenkler (hier). Das Kulturamt hat, so liest man, das Joanneum inklusive Kunsthaus, den Steirischen Herbst, die List-Halle, die Theater-Holding, die Kultur Service Gesellschaft und auch die Regionale um Vorschlage für Einsparungsmöglichkeiten gebeten.
Ein Museumsraum (Museumsphysiognomien 4)
Ein Raum in einem Kunstmuseum. Genauer gesagt, nur ein Ausschnitt eines Raumes. - Ein seltsames Bild. Warum wurde es aufgenommen? Zu dokumentarischen Zwecken? Die streng symmetrische, fast pedantische Komposition könnte auch auf eine künstlerische Absicht deuten.
Was zeigt das Foto? Zunächst einmal einen schon etwas angejahrten Raum, mit verfärbten oder gar schmutzigen Tapeten und einer Vorrichtung zur Befestigung von Bildern - sichtbare Leiste, sichtbare Drähte -, wie sie aus der Mode gekommen sind. Aufweniger Parkettboden mit breiten Sesselleisten. Die Bilder sorgfältig arrangiert, wie man das in einer Kunstgalerie erwartet, also Balance von groß und klein, Abwechslung, an einer gedachten Horizontalen (Augenhöhe?) ausgerichtet.
Auf diesen Raum scheint noch immer jene Beschreibung zu passen, mit der Goethe in "Dichtung und Wahrheit" die Dresdner Gemäldegalerie charakterisierte: "Dieser in sich selbst wiederkehrende Saal, in welchem Pracht und Reinlichkeit bei der größten Stille herrschten, die blendenden Rahmen, alle der Zeit noch näher, in der sie verguldet wurden...". Die Pracht ist schon etwas schäbig, aber still, geradezu leblos ist der Raum. Wir sehen ja keinen Betrachter.
Was könnte "Reinlichkeit" zu Goethes Zeit bedeutet haben? Warum erschien sie ihm so bemerkenswert, daß er noch einmal darauf zu sprechen kommt? "...der gebohnte Fußboden, die mehr von Schauenden betretenen als von Arbeitenden benutzten Räume...". Aha, darum könnte es gehen: Kunstgenuß als etwas, das jemandem möglich ist, der nicht arbeitet, oder Kunstgenuß als Nicht-Arbeit. Und Räume, die nicht an Arbeit erinnern, an Spuren dessen, was Draußen ist, des Gesellschftlichen? Räume, die "ein Gefühl von Feierlichkeit" vermitteln, "einzig in seiner Art, das um so mehr der Empfindung ähnelte, womit man ein Gotteshaus betritt, als der Schmuck so manches Tempels, der Gegenstand so mancher Anbetung hier abermals, nur zu heiligen Kunstzwecken aufgestellt erschien...". Hier kommt also auch die Genealogie des Museums als Tempel und (Tempel)schatz ins Spiel.
Auf unserem Bild vermittelt sich das wohl kaum noch. Eher Wohnzimmer, als Tempel. Das Museum, die bürgerliche Idee der musealen Kunstbeflissenheit, scheint selbst museal, schal geworden zu sein, ein wenig abgenutzt, ein wenig angestaubt, ein wenig langweilg.
Und der Stuhl? Im Zentrum des Bildes. Es ist ein stilistisch auffallender Stuhl, er könnte auch schon als Museumsobjekt durchgehen, doch kein Schild, keine Kordel hindert uns daran, Platz zu nehmen.
Würden wir das tun? Ermüdet ja. Aber sonst wohl kaum. Wir würden in eine reichlich ungünstige Position geraten, eher dem Raum und seinen - hoffentlich doch anwesenden - Besuchern zugewandt, weniger den Bildern. Die Gemälde in unserer Nachbarschaft könnten wir überhaupt nicht sehen.
Also ist das auch kein Rastplatz für Besucher.
Hier wird wohl ein Aufseher oder eine Aufseherin Platz nehmen, wenn sie ihren Rundgang unterbrechen. Denn hier ist die ideale Beobachter-, nein: Überwachungsposition. Hier hat man alle und alles im Raum im Blick. Es gibt Museumskonzepte des 19. Jahrhunderts, wo sich Kustoden ihr Büro am Ende einer Raumflucht aus dem Grund wünschten, um jederzeit den Besucher im Auge zu haben.
Es geht nicht nur um eine Ordnung der Dinge, sondern auch um ein geordnetes Ritual, (das Besucher ohnehin internalisiert haben). Trotzdem, man kann nie wissen. Keine bürgerliche Gesellschaft, auch nicht im Museum, ohne Polizei.
Dienstag, 4. Mai 2010
Das Palmenbuch (Das Museum lesen 11)
Haben Sie schon mal eine Palme gezeichnet?
Ist ja ganz einfach? Meinen Sie?
Dann machen Sie's mal!
Blätter, Palmenblätter - wie sehen denn grade mal die Blätter aus, schmal, breit, lanzettförmig,
büschelförmig nach oben, oder nach unten hängend, dicht, vereinzelt?
Grün, graugrün, graublau, graubraun...
Und der Stamm!?
Also, wie sieht sie nun aus, Ihre Palme?
Christoph Eiböck könnte Ihnen Auskunft geben. Er hat 5000 oder 7000 Zeichnungen von Palmen gesammelt, er weiß nicht wie viele.
Ich durfte auch mal eine zeichnen für ihn. Fiel mir ganz schön schwer.
Das kann aber doch nicht so schwer sein, dachte ich, eine Palme zu zeichnen? Aber als patscherter Erwachsener!
Hier ist eine von Marcel Broodthaers gezeichnete. Als Zugabe 1 Kamel und 3 Pyramiden.
Und jetzt gibt es das Palmenbuch. Wieder. Oder noch immer. Von Hildebrand, Sturm und Eiböck.
Da sind nur zwar nur ein paar von den Palmenzeichnungen aus der Sammlung des Palmenzeichnungs-Kurators Eiböck drinnen und dazwischen....
... dazwischen Texte zur Vermittlung im Museum, Gedanken zum Museum, praktische Tipps, Texte, die einem helfen, die Richtung im Denken und Suchen zu wechseln.
So groß wie eine Hand ist das Buch, weiß, vorne ein Palmenblatt (ein kleines). Grün. (palm - Innenfläche der Hand).
Solche Ideen kommen von Heiderose Hildebrand.
Sie hat ihrer Arbeit immer weit mehr Intuition und Erfahrung
aus ihrem Leben zugrundegelgt, als große Theorie.
Ganz wichtig, so war mein Eindruck, war die Mitarbeit
in einem freien Theaterprojekt.
Ich erinnere mich noch - hoffentlich
richtig, daß ich sie bezeichnenderweise
im Dramatischen Zentrum in Wien kennengelernt habe.
Da war jemand, der mit einer kleinen Gruppe sprach, Bälle ins
Publikum war, uns ein wenig durcheinander brachte.
Was dann passierte, weiß ich nicht mehr.
Außer, daß wir uns anfreundeten
und viele Jahre lang, mal lose,
mal enger zusammengearbeitet haben
(übrigens nie in einem Vermittlungsprojekt,
außer wenn ich Gast war, Teilnehmer wie jeder andere auch).
Das Buch ist eine bricolage, eine Bastelei, die zum Basteln anregt. Würmer im Getriebe, Blitz und Brille aber auch: Das museale Objekt und seine Vielschichtigkeit.
Und dann noch. Abgrundtief ist das Loch, wenn wir meinen, Leute überzeugen zu müssen.
Das Palmenbuch kann man sich schenken lassen. Kaufen kann man es nicht. Außer beim Lehrmittelverlag des Kantons Zürich, Räffelstrasse 32, Postfach 8045 Zürich. Und dort kostet es 15 Euro.
Im Werbetext lesen wir, Museumspädagogik sei eine Kunst, die Kunstfertigkeit verlangt. Im Buch lesen wir aber auch: Museen und Ausstellungen sind nicht vordergründig pädagogische Einrichtungen. Ihre Besonderheit liegt in dem Zustand begründet, dass es hier zu Verdichtungen von Zeit, Materialität und kenntnis kommt.
Das was Heiderose Hildebrand gemacht hat, hat mich sehr beeinflußt.
Was im Palmenbuch die Essenz ist, war auch die ihrer Arbeit:
ein offenes Verständnis vom Museum und der Vermittlungsarbeit.
Es ging nicht um Wissen, sondern um Situationen.
Darum, Situationen herzustellen, in denen ein Maximum
an eigenständiger und kreativer Beschäftigung mit Kunst gefördert wurde.
Im Palmenbuch spielt die Beziehung 'Besucher' - Objekt eine große Rolle.
Das ist vielleicht ein wenig ein Mißverständnis.
Denn mit heutigen Erfahrungen würde ich die Arbeit theatralisch, performativ nennen.
Denn mit heutigen Erfahrungen würde ich die Arbeit theatralisch, performativ nennen.
Gehen, Schauen, Reden, Nachdenken, Wählen, Agieren, Handeln, Tun
- das alles spielte zusammen eine Rolle.
- das alles spielte zusammen eine Rolle.
Weder die strukturelle Autorität des Museums oder die der 'Ordnung der Dinge',
noch die (an)leitende Funktion einer Person standen im Mittelpunkt,
sondern die Absicht Neugier zustiften.
Abgrundtief ist das Loch, wenn wir meinen, Leute überzeugen zu müssen. Also auch ein Anti-Pädagogik oder Nicht-Museumspädagogik-Buch, oder eins, das davor warnt, zu wissen, was das ist Ver-Mittlung.
(... das ist doch ... Broodthaers. Kein Zweifel! Im Palmenhaus in. Ähm. In, also wo war das bloß? Und was macht er da? Er schaut sich eine Palme an. Will er sie zeichnen, ist er verreist, genießt er bloß das warme Klima des Treibhauses, schaut er nach, wie die Blätter der Palme geformt sind - glatt oder gezackt, oder ob sie Früchte tragen?)
Museen Stauseen schlage ich auf. Vom sammelnsammelnsammeln ist da die Rede, den Auswüchsen, den Möglichkeiten, dem zu entkommen, vom anderen Umgang mit Dingen...Vogel Kunst Hobel heißt ein anderer Text (vom dem ich hier aber nichts verrate. Oder doch. es geht um unterschiedliche Daseinsweisen von Objekten in Museen, um ihre multiple Identität. Und das ist dann von Eva Sturm, die sich schon früh um eine Theorie dessen bemühte, was sie praktisch machte).
Als Heiderose Hildebrand ihre arbeit in Wien begann,
gab es an Museen noch kaum Interesse an, wie es damals noch überall genannt wurde:
Museumspädagogik. Im Gegenteil.
Meine Neugier am Museum generell wurde durch einen
merkwürdigen Museumsbesuch während meines Kunstgeschichtestudiums ausgelöst.
gab es an Museen noch kaum Interesse an, wie es damals noch überall genannt wurde:
Museumspädagogik. Im Gegenteil.
Meine Neugier am Museum generell wurde durch einen
merkwürdigen Museumsbesuch während meines Kunstgeschichtestudiums ausgelöst.
Kunstgeschichte studieren hieß damals (vielleicht heute noch),
stundenlang in abgedunkeltenHöhlen (genannt: Hörsäle)
zu sitzen und sich Dias von Kunstwerken anzusehen, in "Doppelprojektion".
Denn das war der 'Königsweg' der 'Disziplin' Kunstgeschichte
stundenlang in abgedunkeltenHöhlen (genannt: Hörsäle)
zu sitzen und sich Dias von Kunstwerken anzusehen, in "Doppelprojektion".
Denn das war der 'Königsweg' der 'Disziplin' Kunstgeschichte
- das "vergleichende Sehen".
Gemeinsame Besuche in Ausstellungen gab es praktisch nie,
mit einer mir erinnerlichen Ausnahme.
Das war zwar ein Museumsbesuch, aber keiner in der Sammlung oder Ausstellung,
sondern in einer Direktion. Von dem Besuch sind mir drei Dinge
lebhaft in Erinnerung geblieben: die prachtvollen barocken Inventare,
die wir zu sehen bekamen;
lebhaft in Erinnerung geblieben: die prachtvollen barocken Inventare,
die wir zu sehen bekamen;
die Klage, daß mit dem weniger werden von Kriegsinvaliden,
kaum noch Aufseher zu rekrutieren seien
und daß Museen möglichst vom Publikum unbehelligt
ihrer eigentlichen, nämlich wissenschaftlichen Aufgabe
nachgehen können sollten.
kaum noch Aufseher zu rekrutieren seien
und daß Museen möglichst vom Publikum unbehelligt
ihrer eigentlichen, nämlich wissenschaftlichen Aufgabe
nachgehen können sollten.
Das war der Anstoß, mich mit der Frage zu beschäftigen, "was ist ein Museum?".
Und kurz darauf oder kurz vorher muß es die Begegnung
mit Heiderose Hildebrand gegeben haben.
Sie hatte auch eine Antwort,
aber eine sehr schräge, abweichende, versuchsweise, wandelbare,
und das passte zu meiner 'Lesebeschäftigung',
wo ich auch Antworten auf meine Fragen fand,
die so gar nicht zu den offiziösen Ansichten und zum
Alltag der Museen zu passen schienen.
aber eine sehr schräge, abweichende, versuchsweise, wandelbare,
und das passte zu meiner 'Lesebeschäftigung',
wo ich auch Antworten auf meine Fragen fand,
die so gar nicht zu den offiziösen Ansichten und zum
Alltag der Museen zu passen schienen.
Ich glaube jetzt haben wir uns ein Gedicht verdient:
Alltagsgeräte, alter Schmuck.Das ist von Klaus Merz und man findet es im Palmenbuch auf den ersten Seiten. Ah, das ist ja ein Haiku. In der Vitrine spiegle ich mich, ich sehe mich, nicht das Objekt. Oder mich im Objekt. Und was sieht das Objekt. Wen schützt die Vitrine. Sehe ich nicht die Welt im Museum? Aber wieso der Wärter? Der sollte doch mich im Auge haben. Oder das Objekt in der Vitrine? Er sieht die Welt, weil er dem Museum den Rücken kehrt, aus dem Fenster blickt, das Museum 'verläßt'. Sieht er nun mehr als wir?
In der Vitrine spiegelt sich zwischen den Dingen
dein Gesicht.
Am Fenster steht der Wärter
und betrachtet die Welt.
Tja. Und so ist das ganze Buch.
Installation von Marcel Broodthaers, zwei Palmen, ein Papagei.
Ich habe es nach vielen Jahren wieder in die Hand bekommen, das kleine Büchlein, und meine erste Reaktion war: Wie erfrischend es inmitten des (museums)pädagogischen (Funktionärs)Sprechens wirkt, wie anregend es geblieben ist.
Wunderbar.
Ach ja, und das noch. (Unter: Wissenschaft und Elektrizität). Bügeln, mixen, föhnen, rasieren, toasten, backen, braten, schneiden, waschen.
Ein Beispiel zu föhnen, toasten, backen...: Ein Projekt von Heiderose Hildebrand
habe ich noch sehr lebhaft in Erinnerung.
Es fand nicht im Museum statt
habe ich noch sehr lebhaft in Erinnerung.
Es fand nicht im Museum statt
sondern in einem Schulraum oder etwas ähnlichem.
Sie hatte den Künstler Hartmut Skerbisch gebeten,
für Ihr Projekt ein 'Objekt' zu schaffen.
für Ihr Projekt ein 'Objekt' zu schaffen.
Das ist, neben der Theatererfahrung, eine zweite Quelle ihrer Arbeit:
daß sie Kontakte mit Künstlern pflegte und eine eigene Galerie führte.
Skerbisch hatte in einem Raum einen 'Berg' aus Salz hergestellt,
Salz bildet einen schön regelmäßigen und blendenweißen Kegel.
Und darüber hing ein großes, wenn ich mich recht erinnere,
knallrotes Schwert aus Holz.
Salz bildet einen schön regelmäßigen und blendenweißen Kegel.
Und darüber hing ein großes, wenn ich mich recht erinnere,
knallrotes Schwert aus Holz.
Den Umgang der Kinder mit diesem unglaublich starken Bild
werde ich nie vergessen. Ihre Reaktionen
waren unglaublich sensibel und subtil, reich, genau, aufmerksam - und,
nicht überraschend - bei Mädchen sehr viel anders als bei Buben.
werde ich nie vergessen. Ihre Reaktionen
waren unglaublich sensibel und subtil, reich, genau, aufmerksam - und,
nicht überraschend - bei Mädchen sehr viel anders als bei Buben.
Was war das überhaupt? Museumspädagogik? Wohl kaum?
Wäre mit einem Wortungetüm 'soziale intervention' was getan? Kaum?
Unterricht? Nie und nimmer.
Wäre mit einem Wortungetüm 'soziale intervention' was getan? Kaum?
Unterricht? Nie und nimmer.
Ich kenne keinen Lehrplan, wo man in einer solchen Form
mit Symbolen und ihrer visuellen Macht, vielleicht auch Gewalt, arbeitet.
mit Symbolen und ihrer visuellen Macht, vielleicht auch Gewalt, arbeitet.
Und der Auftakt zum Projekt - was war das?
"Innenseite nach außen". Jeder zog sein 'Oberkleid' - Pullover, Sakko,
T-Shirt, Weste - verkehrtrum an. Ich lernte so mein Sakko kennen,
dessen Innenleben weitaus interessanter war als das glatte Schwarz außen.
Es hatte unglaublich viele zusammengeflickte Teile, und ich sah plötzlich
eher wie ein Sandler aus.
T-Shirt, Weste - verkehrtrum an. Ich lernte so mein Sakko kennen,
dessen Innenleben weitaus interessanter war als das glatte Schwarz außen.
Es hatte unglaublich viele zusammengeflickte Teile, und ich sah plötzlich
eher wie ein Sandler aus.
So, und damit war ein Gespräch angestoßen, wann, und ob man sein Inneres zeigt,
ob man das tun soll, ob einem das schaden kann,
oder nützen, was alles passieren kann, wenn man es tut.
ob man das tun soll, ob einem das schaden kann,
oder nützen, was alles passieren kann, wenn man es tut.
Heute mag das Standardrepertoire der 'Vermittlungsarbeit' sein, ich weiß es nicht.
So. Jetzt hör' ich aber auf.
Na, vielleicht noch schnell das Gedicht von Seite elf !
Wie wünschen Sie sich ein Museum?
_bequem?
_groß
_kostbar?
_chaotisch?
_luftig?
_ruhig?
_ergreifend?
_reich bestückt?
_verwirrend?
_sauber?
_?
_?
_?
Und noch zwei Palmen von Broodthaers...
... und alles Gute zum Geburtstag, Heiderose!
Samstag, 1. Mai 2010
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