Um zu verstehen, wie tiefgreifend sich in der Französischen Revolution das ändert, was das Wort Museum ab nun bezeichnet, genügt es zunächst, ein wenig Ereignisgeschichte zu erzählen. Mit dem Bildersturm in der ersten Phase der Revolution werden alle Zeichen und Spuren des Despotismus, des Ancien Regime attackiert. Ganze Bauten wie Kirchen werden demoliert oder profaniert, Denkmäler gestürzt, selbstverständlich die der Könige zuerst, Bibliotheken, Archive - im Grunde alles, was an die verhasste und gestürzte Herrschaft erinnern kann -, wird verkauft, versteigert oder zerstört.
Je umfassender dieser, teils gesteurte, teils anarchische Vandalismus wird, desto mehr wird eine Kehrseite des Bildersturms sichtbar und in den Diskussionen, auch der des Nationalkonvents, bemerkbar.
Sich aller Erinnerungsspuren zu entledigen, liefe in letzter Konsequenz auf eine totale Amnesie hinaus, auf eine Aufsprengung des zeitlichen und geschichtlichen Kontinuum, wie es ja in der Einführung einer neuen Zeitrechnung bewußt angestrebt wurde.
Zu derselben Zeit schärfte sich aber das Bewußtsein eben für dieses Kontinuum des geschichtlichen, zivilisatorischen Prozesses, für die Geschichte der Gattung, für eine Entwicklung, die sich als Gesamtheit in einem (als Singular) neuen Wort bildtete: (Die) Geschichte.
Die religiösen un die alten politisch-gesellschaftlichen Sinnstiftungen implodierten und mußten durch neue ersetzt werden, und eine dieser Legitimations- und Sinnstiftungsinstanzen konnte die (nationale) Geschichte sein. Das einigende Band der Gemeinschaft, der religiöse Glaube und der an seine weltliche Statthalterschaft des Königs gebundene politische mußten ersetzt werden.
Eine Gemeinschaft, die ihre Möglichkeiten, ihr Gemeinsames auszubilden, zu symbolisieren und anzuerkennen nicht nur verliert, sondern aktiv zerstört, gerät in eine tödliche Krise; der Höhepunkt dieser Krise ist in den Jahren 1793 und 1794 erreicht, wo der Bürgerkrieg zum Exzess wird, und der König auf die Guillotine geschickt wird.
Der Großen Enzyklopädie zufolge wurde das erste Museum im modernen Sinne des Wortes (das heißt, die erste öffentliche Sammlung) am 27. Juli 1793 vom französischen Nationalkonvent gegründet. Dies würde bedeuten, daß der Ursprung des modernen Museums mit der Entwicklung der Guillotine einherging. Dieser Satz Batailles (siehe dazu den Post Das Museum lesen 10) trifft etwas Wesentliches:
Denn jetzt ist die Stunde einer neuen Idee, für die in den Debatten des Nationalkonvents, ein altes, aber mit neuem Inhalt gefülltes Wort auftaucht: Patrimoine. Erbe, väterliches Erbe. die Vorstellung eines Gesamt von ideellen und materiellen überlieferten Werten, auf die man sich in Narration und Symbolisierung beziehen kann. Und deshalb ist das auch die Stunde des Museums, auch ein altes Wort, das nun mit neuen Inhalten aufgeladen wird.
Man kann das langsame Kippen der Debatte um den Bildersturm genau verfolgen; vom frühen Enthusiasmus über erste Skepsis und Einwände bis zu den Anfängen einer Politik des Erbes, die in Maßnahmen zum Erhalt bedrohter Zeugnisse führen und schließlich zum Entschluß, Museen zu gründen.
Mit der Gründung mehrer großer Museen, beginnenden mit dem Museum im Louvre am 10. August 1793, schafft man ein Common Object an kulturell-geschichtlichen Objekten, um die sich die Gemeinschaft bilden und sammeln kann - buchstäblich und symbolisch.
Diese neuartige Identifizierung der Gemeinschaft findet in einer Verschränkung von Individuum und Gesellschaft statt. Die Eröffnung des Museums im königlichen Schloß, im Louvre – ich zitiere Andrew McClellan, den Historiker der Geschichte des Museums in der Revolutionszeit -, “was tied to the birth of a new nation. The investiture of the Louvre with the power of a revolutionary sign radically transformed the ideal museum public. To the extent that the Louvre embodied the Republican principles of Liberty, Equality, and Fraternity, all citizens were encouraged to participate in the experience of communal ownership, and clearly many did.” (vgl. Die Idee des Museums in diesem Blog)
Wovon Mc Clellan spricht, ist ein Museum, das in so gut wie allem weit über das hinausgeht, was je einer Sammlung früher zugeschrieben werden konnte. Das Museum ist nicht nur nicht eine bloß zufällig-nebensächliche kulturpolitische Maßnahme, sondern steht im Zentrum der gesellschaftlichen Integration, ja mehr als das, sie konstituiert sie - mit anderen Ereignissen und Prozessen - mit.
Welch emphatische Bedeutung die Gründung des Museums im Louvre (also im annektierten Königsschloß) hatte und seine Eröffnung am 10. August 1793, dem ersten Jahrestag der Erstürmung der Tuilerien, wird schlagartig klar, wenn man zwei weitere - bewußt synchronisierte - Ereignisse dieses Tages nennt: La fête de l'Unite, das Fest der Einheit, das man sich als eine Art Prozession vorstellen muß mit dem Höhepunkt einer Zeremonie, die auf den Trümmern der Bastille stattfand. Die Abgeordneten aller Departements Frankreichs tranken aus einem Pokal Wasser das den Brüsten einer ägyptisierenden Statue der weisheit Entsprang. Dies 'Kommunion' hatte ihre rechtliche Ergänzung in der feierlichen Deklaration der Verfassung, der ersten demokratisch-republikanischen, Frankreichs. (Daß sie aufgrund des Sturms der Ereignisse nie umgesetzt wurde, ist in diesem Zusammenhang unerheblich. Es geht um die - extrem verdichtete - Symbolik dieses Tages).
In dieser Verfassung war unter anderem das Recht auf Bildung für jedermann verankert und die Verpflichtung des Staates das zu garantieren.
Bildung ist das Bedürfnis aller. Die Gesellschaft muß ihre ganze Kraft daran setzen, die Fortschritte der allgemeinen Vernunft zu begünstigen und allen Bürgern Bildung zugänglich zu machen.
Diese staatliche Garantie macht den Kern des wohlfahrtsstaatlichen Verständnisses von Politik, auch von Kulturpolitik also auch von Museumspolitik aus. Und dasselbe wohlfahrtsstaatliche Konzept begründet demokratische Öffentlichkeit, das eben nur unter der Bedingung denkbar ist, daß im Idealfall alle an ihr teilhaben können und es auch sollen.
Wir verstehen wie dürr und irreführend ein Verständnis von Museum und Öffentlichkeit ist, das darunter nur Zugänglichkeit versteht. Öffentlichkeit ist das, worin sich das wohlfahrtsstaatliche Konzept realisieren kann und eine unverzichtbare Bedingung demokratischer Vergesellschaftung - auch in der Sphäre der Kultur.
Öffentlichkeit, also auch die, die im Museum stattfindet, aber nicht nur stattfindet, sondern dort auch hergestellt wird, ist notwendigerweise diskursiv, analytisch und kritisch, denn nur so kann das permanente Aushandeln stattfinden, mit der sich der Bürger mit der Gemeinschaft und diese in sich selbst 'bilden' kann. Wenn Carol Ducan und Sabine Offe von der zivilisatorischen Rolle des Museums sprechen und sie analysieren, dann ist im Kern dieser Prozeß gemeint. In der genannten Verfassung ist das Ziel der gesellschaftlichen Entwicklung unüberbietbar formuliert; lakonisch heißt es im Artikel 1: „Ziel der Gesellschaft das allgemeine Glück“.
In dem, was wir heute mit dem Wort Bildung transportieren, wird kaum noch erahnbar, was es im Kontext von Aufklärung und Revolution bedeutete.
Der Mythos der Aufklärung beruht auf der Vorstellung der Wissbarkeit, Darstellbarkeit und Gestaltbarkeit der Welt und ihrer Beherrschbarkeit durch menschliche Vernunft. Der Bildungsort Museum stellte die Hoffnungen und Illusionen aus, die mit der Engführung von abendländischem Zivilisationsprozess und langfristigen Veränderungen menschlicher Verhaltens- und Empfindensstandards einhergingen. Potentiell alle Museen waren gedacht als Orte, an denen das Publikum sich ein Bild machen konnte von der Ordnung der Welt durch die Anschauung von Objekten aus Natur und Kunst und von der Ordnung der Geschichte in Artefakten, deren vergangene Bedeutung richtungweisend schien für Aufgaben der zeitgenössischen Gegenwart und Zukunft. (Sabine Offe)
Weder ist das Museum ausschließlich retrospektiv und bloß archivalisch gedacht (als ein Ort des behüteten und geschützten Schlafs der Dinge, wie es ein weitverbreitetes kuratorisches Rollenbild glaubt), noch ist es eine Agentur des Wissens, das pädagogisch Lehren erteilt.
Das Museum ist ein Ort der Selbstbeschreibung und Selbstauslegung und es kann das in individueller wie gesellschaftlicher Hinsicht sein. Die Rituale des Museums dienten der Einführung ziviler Normen, die durch öffentliche rituelle Performanz angeeignet, als allgemein verbindliche sichtbar gemacht und eingeübt wurden. Sie dienten der Dramatisierung von „Selbstbeschreibung" und „Selbstauslegung" der bürgerlichen Gesellschaft und ihrer Mitglieder, der Darstellung einer Zivilisierung, die sie zugleich herstellen sollten.
Aber dabei bleibt es nicht, darin erschöpft sich die Funktion des Museums nicht. Unbeachtet bleibt hingegen das diesen Ritualen eigene ambivalente Verhältnis zur gelebten Alltagswirklichkeit. Sie haben eine latente Funktion, die in der „Zivilisierung" nicht aufgeht. Als solche stellen sie ein Wunschbild der bürgerlichen Gesellschaft dar, die sich darin nicht, wie sie ist, sondern wie sie sein sollte oder sich sehen wollte, spiegelt. Aber „zivilisierende" Rituale im Museum schaffen - wie alle Rituale - Gegenbilder, die nicht nur auf gesellschaftliche Werte und Normen, sondern auch auf ganz andere reale gesellschaftliche Erfahrungen verweisen. Sie thematisieren Verborgenes in entstellter Form. Sie bezeugen nicht nur explizit die Wunsch-, sondern auch implizit die Schreckensbilder der Zivilisation. Denn Museen, alle Museen, repräsentieren nicht nur, was zu sehen ist, sondern auch, was dem öffentlichen Diskurs und der Wahrnehmung entzogen werden soll oder verborgen bleibt, eine Geschichte gesellschaftlicher Gewalt. (Sabine Offe)
Ich breche hier - vorläufig - ab, denn von hier aus sind weitere Differenzierungen möglich und nötig. Was hier (auch) sichtbar wird, in der Ambivalenz des Museums, ist eine Ambivalenz des Umgangs mit dem Museum. Hier öffnet sich nicht nur ein Blick auf die 'abschließende' oder 'verschließende' Arbeit des Museums, das uns auf Distanz halten und uns 'Unschuldskomödien' vorspielen kann.
Hier öffnet sich aber auch das Museum, das ein Potential zu einer institutionell selbstreflexiven Praxis hat, das sich und sein Publikum über sich selbst aufklären könnte, das das Entstellte und Verborgene sichtbar, lesbar und besprechbar machen könnte. Sichtbar wird aber schließlich auch eine instrumentelle, manipulative und hegemoniale Funktion des Museums, die schon Carol Duncan beschrieben hat. Museen sind auch (und das hat man in der Französischen Revolution schon gewusst und genutzt) „sites that publicly represent beliefs about the order of the world, its past and present, and the individual's place within it. [...] To control a museum means precisely to control the representation of a community and its highest values and truths."
Also: Reichlich was an Aufgaben wartet, bei der weiteren Beantwortung der Frage: Was ist ein Museum? Aber auch bei der: Was ist ein Museum in einer postdemokratischen Gesellschaft und angesichts des Zerfalls der Idee des Wohlfahrtsstaates?
Samstag, 8. Mai 2010
Freitag, 7. Mai 2010
Donnerstag, 6. Mai 2010
Museumskrise - was ist das? Beispiel Steiermark
Es ist ja hier schon öfter die Rede gewesen von der Museumskrise. genauer gesagt davon, ob es sie gibt oder ob es eher so ein Ungeheuer von Loch Ness ist.
Wir haben Experten befragt, den Generaldirektor der Dresdner Museen oder den Präsidenten des Deutschen Museumsbundes -, aber wir gestehen, wir sind ratlos.
Leser des Standard wurden mit der Überschrift Die Abrissbirne schwingt bereits neulich in die Museumskrisenfalle gelockt.
Um 25% solle das Kulturbudget des Landes Steiermark gekürzt werden, berichtet am 4.5. Thomas Trenkler (hier). Das Kulturamt hat, so liest man, das Joanneum inklusive Kunsthaus, den Steirischen Herbst, die List-Halle, die Theater-Holding, die Kultur Service Gesellschaft und auch die Regionale um Vorschlage für Einsparungsmöglichkeiten gebeten.
Ein Museumsraum (Museumsphysiognomien 4)
Ein Raum in einem Kunstmuseum. Genauer gesagt, nur ein Ausschnitt eines Raumes. - Ein seltsames Bild. Warum wurde es aufgenommen? Zu dokumentarischen Zwecken? Die streng symmetrische, fast pedantische Komposition könnte auch auf eine künstlerische Absicht deuten.
Was zeigt das Foto? Zunächst einmal einen schon etwas angejahrten Raum, mit verfärbten oder gar schmutzigen Tapeten und einer Vorrichtung zur Befestigung von Bildern - sichtbare Leiste, sichtbare Drähte -, wie sie aus der Mode gekommen sind. Aufweniger Parkettboden mit breiten Sesselleisten. Die Bilder sorgfältig arrangiert, wie man das in einer Kunstgalerie erwartet, also Balance von groß und klein, Abwechslung, an einer gedachten Horizontalen (Augenhöhe?) ausgerichtet.
Auf diesen Raum scheint noch immer jene Beschreibung zu passen, mit der Goethe in "Dichtung und Wahrheit" die Dresdner Gemäldegalerie charakterisierte: "Dieser in sich selbst wiederkehrende Saal, in welchem Pracht und Reinlichkeit bei der größten Stille herrschten, die blendenden Rahmen, alle der Zeit noch näher, in der sie verguldet wurden...". Die Pracht ist schon etwas schäbig, aber still, geradezu leblos ist der Raum. Wir sehen ja keinen Betrachter.
Was könnte "Reinlichkeit" zu Goethes Zeit bedeutet haben? Warum erschien sie ihm so bemerkenswert, daß er noch einmal darauf zu sprechen kommt? "...der gebohnte Fußboden, die mehr von Schauenden betretenen als von Arbeitenden benutzten Räume...". Aha, darum könnte es gehen: Kunstgenuß als etwas, das jemandem möglich ist, der nicht arbeitet, oder Kunstgenuß als Nicht-Arbeit. Und Räume, die nicht an Arbeit erinnern, an Spuren dessen, was Draußen ist, des Gesellschftlichen? Räume, die "ein Gefühl von Feierlichkeit" vermitteln, "einzig in seiner Art, das um so mehr der Empfindung ähnelte, womit man ein Gotteshaus betritt, als der Schmuck so manches Tempels, der Gegenstand so mancher Anbetung hier abermals, nur zu heiligen Kunstzwecken aufgestellt erschien...". Hier kommt also auch die Genealogie des Museums als Tempel und (Tempel)schatz ins Spiel.
Auf unserem Bild vermittelt sich das wohl kaum noch. Eher Wohnzimmer, als Tempel. Das Museum, die bürgerliche Idee der musealen Kunstbeflissenheit, scheint selbst museal, schal geworden zu sein, ein wenig abgenutzt, ein wenig angestaubt, ein wenig langweilg.
Und der Stuhl? Im Zentrum des Bildes. Es ist ein stilistisch auffallender Stuhl, er könnte auch schon als Museumsobjekt durchgehen, doch kein Schild, keine Kordel hindert uns daran, Platz zu nehmen.
Würden wir das tun? Ermüdet ja. Aber sonst wohl kaum. Wir würden in eine reichlich ungünstige Position geraten, eher dem Raum und seinen - hoffentlich doch anwesenden - Besuchern zugewandt, weniger den Bildern. Die Gemälde in unserer Nachbarschaft könnten wir überhaupt nicht sehen.
Also ist das auch kein Rastplatz für Besucher.
Hier wird wohl ein Aufseher oder eine Aufseherin Platz nehmen, wenn sie ihren Rundgang unterbrechen. Denn hier ist die ideale Beobachter-, nein: Überwachungsposition. Hier hat man alle und alles im Raum im Blick. Es gibt Museumskonzepte des 19. Jahrhunderts, wo sich Kustoden ihr Büro am Ende einer Raumflucht aus dem Grund wünschten, um jederzeit den Besucher im Auge zu haben.
Es geht nicht nur um eine Ordnung der Dinge, sondern auch um ein geordnetes Ritual, (das Besucher ohnehin internalisiert haben). Trotzdem, man kann nie wissen. Keine bürgerliche Gesellschaft, auch nicht im Museum, ohne Polizei.
Dienstag, 4. Mai 2010
Das Palmenbuch (Das Museum lesen 11)
Haben Sie schon mal eine Palme gezeichnet?
Ist ja ganz einfach? Meinen Sie?
Dann machen Sie's mal!
Blätter, Palmenblätter - wie sehen denn grade mal die Blätter aus, schmal, breit, lanzettförmig,
büschelförmig nach oben, oder nach unten hängend, dicht, vereinzelt?
Grün, graugrün, graublau, graubraun...
Und der Stamm!?
Also, wie sieht sie nun aus, Ihre Palme?
Christoph Eiböck könnte Ihnen Auskunft geben. Er hat 5000 oder 7000 Zeichnungen von Palmen gesammelt, er weiß nicht wie viele.
Ich durfte auch mal eine zeichnen für ihn. Fiel mir ganz schön schwer.
Das kann aber doch nicht so schwer sein, dachte ich, eine Palme zu zeichnen? Aber als patscherter Erwachsener!
Hier ist eine von Marcel Broodthaers gezeichnete. Als Zugabe 1 Kamel und 3 Pyramiden.
Und jetzt gibt es das Palmenbuch. Wieder. Oder noch immer. Von Hildebrand, Sturm und Eiböck.
Da sind nur zwar nur ein paar von den Palmenzeichnungen aus der Sammlung des Palmenzeichnungs-Kurators Eiböck drinnen und dazwischen....
... dazwischen Texte zur Vermittlung im Museum, Gedanken zum Museum, praktische Tipps, Texte, die einem helfen, die Richtung im Denken und Suchen zu wechseln.
So groß wie eine Hand ist das Buch, weiß, vorne ein Palmenblatt (ein kleines). Grün. (palm - Innenfläche der Hand).
Solche Ideen kommen von Heiderose Hildebrand.
Sie hat ihrer Arbeit immer weit mehr Intuition und Erfahrung
aus ihrem Leben zugrundegelgt, als große Theorie.
Ganz wichtig, so war mein Eindruck, war die Mitarbeit
in einem freien Theaterprojekt.
Ich erinnere mich noch - hoffentlich
richtig, daß ich sie bezeichnenderweise
im Dramatischen Zentrum in Wien kennengelernt habe.
Da war jemand, der mit einer kleinen Gruppe sprach, Bälle ins
Publikum war, uns ein wenig durcheinander brachte.
Was dann passierte, weiß ich nicht mehr.
Außer, daß wir uns anfreundeten
und viele Jahre lang, mal lose,
mal enger zusammengearbeitet haben
(übrigens nie in einem Vermittlungsprojekt,
außer wenn ich Gast war, Teilnehmer wie jeder andere auch).
Das Buch ist eine bricolage, eine Bastelei, die zum Basteln anregt. Würmer im Getriebe, Blitz und Brille aber auch: Das museale Objekt und seine Vielschichtigkeit.
Und dann noch. Abgrundtief ist das Loch, wenn wir meinen, Leute überzeugen zu müssen.
Das Palmenbuch kann man sich schenken lassen. Kaufen kann man es nicht. Außer beim Lehrmittelverlag des Kantons Zürich, Räffelstrasse 32, Postfach 8045 Zürich. Und dort kostet es 15 Euro.
Im Werbetext lesen wir, Museumspädagogik sei eine Kunst, die Kunstfertigkeit verlangt. Im Buch lesen wir aber auch: Museen und Ausstellungen sind nicht vordergründig pädagogische Einrichtungen. Ihre Besonderheit liegt in dem Zustand begründet, dass es hier zu Verdichtungen von Zeit, Materialität und kenntnis kommt.
Das was Heiderose Hildebrand gemacht hat, hat mich sehr beeinflußt.
Was im Palmenbuch die Essenz ist, war auch die ihrer Arbeit:
ein offenes Verständnis vom Museum und der Vermittlungsarbeit.
Es ging nicht um Wissen, sondern um Situationen.
Darum, Situationen herzustellen, in denen ein Maximum
an eigenständiger und kreativer Beschäftigung mit Kunst gefördert wurde.
Im Palmenbuch spielt die Beziehung 'Besucher' - Objekt eine große Rolle.
Das ist vielleicht ein wenig ein Mißverständnis.
Denn mit heutigen Erfahrungen würde ich die Arbeit theatralisch, performativ nennen.
Denn mit heutigen Erfahrungen würde ich die Arbeit theatralisch, performativ nennen.
Gehen, Schauen, Reden, Nachdenken, Wählen, Agieren, Handeln, Tun
- das alles spielte zusammen eine Rolle.
- das alles spielte zusammen eine Rolle.
Weder die strukturelle Autorität des Museums oder die der 'Ordnung der Dinge',
noch die (an)leitende Funktion einer Person standen im Mittelpunkt,
sondern die Absicht Neugier zustiften.
Abgrundtief ist das Loch, wenn wir meinen, Leute überzeugen zu müssen. Also auch ein Anti-Pädagogik oder Nicht-Museumspädagogik-Buch, oder eins, das davor warnt, zu wissen, was das ist Ver-Mittlung.
(... das ist doch ... Broodthaers. Kein Zweifel! Im Palmenhaus in. Ähm. In, also wo war das bloß? Und was macht er da? Er schaut sich eine Palme an. Will er sie zeichnen, ist er verreist, genießt er bloß das warme Klima des Treibhauses, schaut er nach, wie die Blätter der Palme geformt sind - glatt oder gezackt, oder ob sie Früchte tragen?)
Museen Stauseen schlage ich auf. Vom sammelnsammelnsammeln ist da die Rede, den Auswüchsen, den Möglichkeiten, dem zu entkommen, vom anderen Umgang mit Dingen...Vogel Kunst Hobel heißt ein anderer Text (vom dem ich hier aber nichts verrate. Oder doch. es geht um unterschiedliche Daseinsweisen von Objekten in Museen, um ihre multiple Identität. Und das ist dann von Eva Sturm, die sich schon früh um eine Theorie dessen bemühte, was sie praktisch machte).
Als Heiderose Hildebrand ihre arbeit in Wien begann,
gab es an Museen noch kaum Interesse an, wie es damals noch überall genannt wurde:
Museumspädagogik. Im Gegenteil.
Meine Neugier am Museum generell wurde durch einen
merkwürdigen Museumsbesuch während meines Kunstgeschichtestudiums ausgelöst.
gab es an Museen noch kaum Interesse an, wie es damals noch überall genannt wurde:
Museumspädagogik. Im Gegenteil.
Meine Neugier am Museum generell wurde durch einen
merkwürdigen Museumsbesuch während meines Kunstgeschichtestudiums ausgelöst.
Kunstgeschichte studieren hieß damals (vielleicht heute noch),
stundenlang in abgedunkeltenHöhlen (genannt: Hörsäle)
zu sitzen und sich Dias von Kunstwerken anzusehen, in "Doppelprojektion".
Denn das war der 'Königsweg' der 'Disziplin' Kunstgeschichte
stundenlang in abgedunkeltenHöhlen (genannt: Hörsäle)
zu sitzen und sich Dias von Kunstwerken anzusehen, in "Doppelprojektion".
Denn das war der 'Königsweg' der 'Disziplin' Kunstgeschichte
- das "vergleichende Sehen".
Gemeinsame Besuche in Ausstellungen gab es praktisch nie,
mit einer mir erinnerlichen Ausnahme.
Das war zwar ein Museumsbesuch, aber keiner in der Sammlung oder Ausstellung,
sondern in einer Direktion. Von dem Besuch sind mir drei Dinge
lebhaft in Erinnerung geblieben: die prachtvollen barocken Inventare,
die wir zu sehen bekamen;
lebhaft in Erinnerung geblieben: die prachtvollen barocken Inventare,
die wir zu sehen bekamen;
die Klage, daß mit dem weniger werden von Kriegsinvaliden,
kaum noch Aufseher zu rekrutieren seien
und daß Museen möglichst vom Publikum unbehelligt
ihrer eigentlichen, nämlich wissenschaftlichen Aufgabe
nachgehen können sollten.
kaum noch Aufseher zu rekrutieren seien
und daß Museen möglichst vom Publikum unbehelligt
ihrer eigentlichen, nämlich wissenschaftlichen Aufgabe
nachgehen können sollten.
Das war der Anstoß, mich mit der Frage zu beschäftigen, "was ist ein Museum?".
Und kurz darauf oder kurz vorher muß es die Begegnung
mit Heiderose Hildebrand gegeben haben.
Sie hatte auch eine Antwort,
aber eine sehr schräge, abweichende, versuchsweise, wandelbare,
und das passte zu meiner 'Lesebeschäftigung',
wo ich auch Antworten auf meine Fragen fand,
die so gar nicht zu den offiziösen Ansichten und zum
Alltag der Museen zu passen schienen.
aber eine sehr schräge, abweichende, versuchsweise, wandelbare,
und das passte zu meiner 'Lesebeschäftigung',
wo ich auch Antworten auf meine Fragen fand,
die so gar nicht zu den offiziösen Ansichten und zum
Alltag der Museen zu passen schienen.
Ich glaube jetzt haben wir uns ein Gedicht verdient:
Alltagsgeräte, alter Schmuck.Das ist von Klaus Merz und man findet es im Palmenbuch auf den ersten Seiten. Ah, das ist ja ein Haiku. In der Vitrine spiegle ich mich, ich sehe mich, nicht das Objekt. Oder mich im Objekt. Und was sieht das Objekt. Wen schützt die Vitrine. Sehe ich nicht die Welt im Museum? Aber wieso der Wärter? Der sollte doch mich im Auge haben. Oder das Objekt in der Vitrine? Er sieht die Welt, weil er dem Museum den Rücken kehrt, aus dem Fenster blickt, das Museum 'verläßt'. Sieht er nun mehr als wir?
In der Vitrine spiegelt sich zwischen den Dingen
dein Gesicht.
Am Fenster steht der Wärter
und betrachtet die Welt.
Tja. Und so ist das ganze Buch.
Installation von Marcel Broodthaers, zwei Palmen, ein Papagei.
Ich habe es nach vielen Jahren wieder in die Hand bekommen, das kleine Büchlein, und meine erste Reaktion war: Wie erfrischend es inmitten des (museums)pädagogischen (Funktionärs)Sprechens wirkt, wie anregend es geblieben ist.
Wunderbar.
Ach ja, und das noch. (Unter: Wissenschaft und Elektrizität). Bügeln, mixen, föhnen, rasieren, toasten, backen, braten, schneiden, waschen.
Ein Beispiel zu föhnen, toasten, backen...: Ein Projekt von Heiderose Hildebrand
habe ich noch sehr lebhaft in Erinnerung.
Es fand nicht im Museum statt
habe ich noch sehr lebhaft in Erinnerung.
Es fand nicht im Museum statt
sondern in einem Schulraum oder etwas ähnlichem.
Sie hatte den Künstler Hartmut Skerbisch gebeten,
für Ihr Projekt ein 'Objekt' zu schaffen.
für Ihr Projekt ein 'Objekt' zu schaffen.
Das ist, neben der Theatererfahrung, eine zweite Quelle ihrer Arbeit:
daß sie Kontakte mit Künstlern pflegte und eine eigene Galerie führte.
Skerbisch hatte in einem Raum einen 'Berg' aus Salz hergestellt,
Salz bildet einen schön regelmäßigen und blendenweißen Kegel.
Und darüber hing ein großes, wenn ich mich recht erinnere,
knallrotes Schwert aus Holz.
Salz bildet einen schön regelmäßigen und blendenweißen Kegel.
Und darüber hing ein großes, wenn ich mich recht erinnere,
knallrotes Schwert aus Holz.
Den Umgang der Kinder mit diesem unglaublich starken Bild
werde ich nie vergessen. Ihre Reaktionen
waren unglaublich sensibel und subtil, reich, genau, aufmerksam - und,
nicht überraschend - bei Mädchen sehr viel anders als bei Buben.
werde ich nie vergessen. Ihre Reaktionen
waren unglaublich sensibel und subtil, reich, genau, aufmerksam - und,
nicht überraschend - bei Mädchen sehr viel anders als bei Buben.
Was war das überhaupt? Museumspädagogik? Wohl kaum?
Wäre mit einem Wortungetüm 'soziale intervention' was getan? Kaum?
Unterricht? Nie und nimmer.
Wäre mit einem Wortungetüm 'soziale intervention' was getan? Kaum?
Unterricht? Nie und nimmer.
Ich kenne keinen Lehrplan, wo man in einer solchen Form
mit Symbolen und ihrer visuellen Macht, vielleicht auch Gewalt, arbeitet.
mit Symbolen und ihrer visuellen Macht, vielleicht auch Gewalt, arbeitet.
Und der Auftakt zum Projekt - was war das?
"Innenseite nach außen". Jeder zog sein 'Oberkleid' - Pullover, Sakko,
T-Shirt, Weste - verkehrtrum an. Ich lernte so mein Sakko kennen,
dessen Innenleben weitaus interessanter war als das glatte Schwarz außen.
Es hatte unglaublich viele zusammengeflickte Teile, und ich sah plötzlich
eher wie ein Sandler aus.
T-Shirt, Weste - verkehrtrum an. Ich lernte so mein Sakko kennen,
dessen Innenleben weitaus interessanter war als das glatte Schwarz außen.
Es hatte unglaublich viele zusammengeflickte Teile, und ich sah plötzlich
eher wie ein Sandler aus.
So, und damit war ein Gespräch angestoßen, wann, und ob man sein Inneres zeigt,
ob man das tun soll, ob einem das schaden kann,
oder nützen, was alles passieren kann, wenn man es tut.
ob man das tun soll, ob einem das schaden kann,
oder nützen, was alles passieren kann, wenn man es tut.
Heute mag das Standardrepertoire der 'Vermittlungsarbeit' sein, ich weiß es nicht.
So. Jetzt hör' ich aber auf.
Na, vielleicht noch schnell das Gedicht von Seite elf !
Wie wünschen Sie sich ein Museum?
_bequem?
_groß
_kostbar?
_chaotisch?
_luftig?
_ruhig?
_ergreifend?
_reich bestückt?
_verwirrend?
_sauber?
_?
_?
_?
Und noch zwei Palmen von Broodthaers...
... und alles Gute zum Geburtstag, Heiderose!
Samstag, 1. Mai 2010
Museum und Guillotine - George Bataille (Das Museum Lesen 10)
Der Großen Enzyklopädie zufolge wurde das erste Museum im modernen Sinne des Wortes (das heißt, die erste öffentliche Sammlung) am 27. Juli 1793 vom französischen Nationalkonvent gegründet. Dies würde bedeuten, daß der Ursprung des modernen Museums mit der Entwicklung der Guillotine einherging. Allerdings war bereits das Ende des 17. Jahrhunderts gegründete, zur Universität Oxford gehörende Ashmolean Museum eine öffentliche Sammlung.
Die weitere Entwicklung des Museums hat selbst die kühnsten Hoffnungen seiner Gründer noch übertroffen. Zum einen stellt heute die Gesamtheit aller Museen der Welt eine ungeheure Ansammlung von Reichtümern dar. Vor allem aber liefert die Gesamtheit aller Museumsbesucher der Welt das zweifellos großartigste Beispiel für die Befreiung der Menschheit von materiellen Sorgen und die Hinwendung zur Kontemplation.
Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Räume und Kunstgegenstände in einem Museum nicht mehr sind als ein Gefäß: Den Inhalt bilden die Besucher, und in dieser Hinsicht unterscheidet sich das Museum von der Privatsammlung. Ein Museum ist wie die Lunge einer Großstadt: Die Besucherschar strömt wie Blut jeden Sonntag ins Museum hinein und kommt gereinigt und erfrischt wieder heraus. Die Bilder sind nichts anderes als leblose Oberflächen, und nur in der Menge der Betrachter vollzieht sich jenes Spiel von Lichteffekten und Reflexen, dessen technische Details von den Kritikern beschrieben worden sind. Es ist immer wieder interessant, mit Bewunderung zur Kenntnis zu nehmen, wie die am Sonntag um fünf Uhr zur Ausgangstür des Louvre herausströmenden Besucher sichtbar von dem Wunsch beseelt sind, ganz jenen göttlichen Geschöpfen zu gleichen, die sie, wie ihre leuchtenden Augen zeigen, so hinreißend finden.
Granville hat über die Beziehungen zwischen Gefäß und Inhalt, die sich in den Museen beobachten lassen, ein Schema aufgestellt, in dem die vorübergehend zwischen Besuchten und Besuchern entstehenden Bindungen (so scheint es zumindest) bewußt übertrieben werden. Es ist wie bei einem Eingeborenen von der Elfenbeinküste, der polierte Steinäxte aus der Steinzeit in eine mit Wasser gefüllte Wanne legt, ein Bad darin nimmt und dem, was er für Donnergestein hält (da es bei einem Gewitter vom Himmel gefallen ist), ein Hühneropfer darbringt: Er nimmt die von großer Begeisterung und einem Gefühl tiefer Verbundenheit geprägte Einstellung zu den Gegenständen vorweg, die auch für den modernen Museumsbesucher charakteristisch ist.
Das Museum ist ein gigantischer Spiegel, der es dem Menschen ermöglicht, sich endlich von allen Seiten zu betrachten und zu bewundern und sich jener Extase hinzugeben, die in allen Kunstzeitschriften zum Ausdruck gebracht wird.
Georges Bataille, Lemma ‘Museum’ aus: Documents – Dochtrines Archéologie, Beaux-Arts, Ethnographie (1929-39), hier zit. n.: Wunderkammer des Abendlandes. Museum und Sammlung im Spiegel der Zeit. Bonn 1994, S.99
Die weitere Entwicklung des Museums hat selbst die kühnsten Hoffnungen seiner Gründer noch übertroffen. Zum einen stellt heute die Gesamtheit aller Museen der Welt eine ungeheure Ansammlung von Reichtümern dar. Vor allem aber liefert die Gesamtheit aller Museumsbesucher der Welt das zweifellos großartigste Beispiel für die Befreiung der Menschheit von materiellen Sorgen und die Hinwendung zur Kontemplation.
Dabei ist zu berücksichtigen, daß die Räume und Kunstgegenstände in einem Museum nicht mehr sind als ein Gefäß: Den Inhalt bilden die Besucher, und in dieser Hinsicht unterscheidet sich das Museum von der Privatsammlung. Ein Museum ist wie die Lunge einer Großstadt: Die Besucherschar strömt wie Blut jeden Sonntag ins Museum hinein und kommt gereinigt und erfrischt wieder heraus. Die Bilder sind nichts anderes als leblose Oberflächen, und nur in der Menge der Betrachter vollzieht sich jenes Spiel von Lichteffekten und Reflexen, dessen technische Details von den Kritikern beschrieben worden sind. Es ist immer wieder interessant, mit Bewunderung zur Kenntnis zu nehmen, wie die am Sonntag um fünf Uhr zur Ausgangstür des Louvre herausströmenden Besucher sichtbar von dem Wunsch beseelt sind, ganz jenen göttlichen Geschöpfen zu gleichen, die sie, wie ihre leuchtenden Augen zeigen, so hinreißend finden.
Granville hat über die Beziehungen zwischen Gefäß und Inhalt, die sich in den Museen beobachten lassen, ein Schema aufgestellt, in dem die vorübergehend zwischen Besuchten und Besuchern entstehenden Bindungen (so scheint es zumindest) bewußt übertrieben werden. Es ist wie bei einem Eingeborenen von der Elfenbeinküste, der polierte Steinäxte aus der Steinzeit in eine mit Wasser gefüllte Wanne legt, ein Bad darin nimmt und dem, was er für Donnergestein hält (da es bei einem Gewitter vom Himmel gefallen ist), ein Hühneropfer darbringt: Er nimmt die von großer Begeisterung und einem Gefühl tiefer Verbundenheit geprägte Einstellung zu den Gegenständen vorweg, die auch für den modernen Museumsbesucher charakteristisch ist.
Das Museum ist ein gigantischer Spiegel, der es dem Menschen ermöglicht, sich endlich von allen Seiten zu betrachten und zu bewundern und sich jener Extase hinzugeben, die in allen Kunstzeitschriften zum Ausdruck gebracht wird.
Georges Bataille, Lemma ‘Museum’ aus: Documents – Dochtrines Archéologie, Beaux-Arts, Ethnographie (1929-39), hier zit. n.: Wunderkammer des Abendlandes. Museum und Sammlung im Spiegel der Zeit. Bonn 1994, S.99
Freitag, 30. April 2010
Die Idee des Museums (Museumsphysiognomien 3)
Wir alle glauben zu wissen, was ein Museum ist. Wie in diesem Gemälde von Hubert Robert (1733-1808) ist es ein Raum, eine Architektur, in der Leute zusammenkommen, um etwas zu sehen, hier sind es Kunstwerke zu. Was wir sehen, ist eine Menschenmenge, Männer, Frauen, Kinder, wir sagen, ein Publikum, aus offenbar sehr unterschiedlichen Personen zusammengesetzt, in die Betrachtung von Kunstwerken, in Gespräche vertieft, aber auch - man darf annehmen es sind Künstler - kopierend vor einzelnen Gemälden.
Was das Gemälde zeigt, scheint genau das zu sein, was wir von einem Museum erwarten: eine Sphäre des sozial unbegrenzten Zuganges. Jedermann scheint hier die Erlaubnis zum Zutritt zu haben und jedermann scheint der Gebrauch von Kunst oder Kultur gestattet zu sein, in diesem Haus und Raum mit dem Namen ‘Museum’.
Was die im Gemälde dargestellte Menge vom Publikum aller früheren (und seltenen) Darstellungen von Sammlungsräumen unterscheidet, ist das Selbstbewußtsein und die Autonomie, mit der die Besucher auftreten und sich verhalten.
Die Selbstverständlichkeit, mit der sich Menschen im Museumsraum bewegen – hier ist es die Grande Galerie des Louvre -, hat mit einem signifikanten Bruch zu tun, mit dem Sammlungen in einem bestimmbaren geschichtlichen Zeitraum Allgemein-(Staats-)Besitz werden und das Recht auf kulturelle Betätigung und Bildung als Menschenrecht und von der Verfassung jedermann garantiert werden. Bis dahin befanden sich Sammlungen (mit wenigen Ausnahmen) in privatem Besitz und alle Regelungen ihrer Nutzung und Zugänglichkeit unterlagen willkürlichen Entscheidungen des Besitzers. Sie konnten ebenso großzügig wie restriktiv sein. Jetzt ist der Zugang zu den ‚Bildungsgütern’, also auch zum Museum ein Recht.
Das Gemälde ist eines von vielen, das Hubert Robert von der Grande Galerie gemalt hat. Es zeigt nicht dokumentarisch den tatsächlichen Zustand, sondern einen erwünschten und zukünftigen. Der Louvre wurde 1793 als öffentliches Museum eröffnet. In diesem Jahr wurde der Künstler adeliger Auftraggeber verhaftet und entging nur knapp der Guillotinierung. Wenig später finden wir ihn, der auch sein Atelier im Louvre hatte, in der Kommission, der die Betreuung des Museums vom Nationalkonvent anvertraut war.
Robert fordert hier die Utopie eines Museums ein, die Mitte 1793 bereits Realität geworden, aber noch unvollkommen realisiert worden war.
In Wirklichkeit war die Grande Galerie ein ziemlich düsterer 'Tunnel', noch nicht von oben beleuchtet. Aber in allen Gemälden Roberts, in denen er diesen zentralen Raum des Museums dargestellt hat - als Baustelle, als Entwurf, als Ruine, als prachtvolle und reich ausgestattete Galerie -, immer ist der Raum mit einem Publikum bevölkert, wie man es von anderen Sammlungsdarstellungen nicht kannte. Ab jetzt garantierte der Staat den Bestand des Museums und die allgemeine und freie Benutzung.
Allgemeiner Besitz des kulturellen Erbes, Grundrecht auf Bildung und Zugang als allgemeines Recht sind aber nicht der Zweck des Museums, sondern seine Bedingungen. Nur wo diese strukturellen Voraussetzungen vorhanden sind, kann das Museum seine sozialisierende und zivilisierende Rolle erfüllen. Erst dann wird das Museum zum diskursiven und sozialen Raum, in dem die Phantasmen von ‚Wir’, ‚Ganzheit’, ‚Endlichkeit’, ‚Herkunft und Zukunft’, ‚Freiheit’ oder ‚Andersheit’ und viele andere mehr zirkulieren können. So ist dieses Museum auch ein nationales u n d universales Museum.
Was das Gemälde zeigt, scheint genau das zu sein, was wir von einem Museum erwarten: eine Sphäre des sozial unbegrenzten Zuganges. Jedermann scheint hier die Erlaubnis zum Zutritt zu haben und jedermann scheint der Gebrauch von Kunst oder Kultur gestattet zu sein, in diesem Haus und Raum mit dem Namen ‘Museum’.
Was die im Gemälde dargestellte Menge vom Publikum aller früheren (und seltenen) Darstellungen von Sammlungsräumen unterscheidet, ist das Selbstbewußtsein und die Autonomie, mit der die Besucher auftreten und sich verhalten.
Die Selbstverständlichkeit, mit der sich Menschen im Museumsraum bewegen – hier ist es die Grande Galerie des Louvre -, hat mit einem signifikanten Bruch zu tun, mit dem Sammlungen in einem bestimmbaren geschichtlichen Zeitraum Allgemein-(Staats-)Besitz werden und das Recht auf kulturelle Betätigung und Bildung als Menschenrecht und von der Verfassung jedermann garantiert werden. Bis dahin befanden sich Sammlungen (mit wenigen Ausnahmen) in privatem Besitz und alle Regelungen ihrer Nutzung und Zugänglichkeit unterlagen willkürlichen Entscheidungen des Besitzers. Sie konnten ebenso großzügig wie restriktiv sein. Jetzt ist der Zugang zu den ‚Bildungsgütern’, also auch zum Museum ein Recht.
Das Gemälde ist eines von vielen, das Hubert Robert von der Grande Galerie gemalt hat. Es zeigt nicht dokumentarisch den tatsächlichen Zustand, sondern einen erwünschten und zukünftigen. Der Louvre wurde 1793 als öffentliches Museum eröffnet. In diesem Jahr wurde der Künstler adeliger Auftraggeber verhaftet und entging nur knapp der Guillotinierung. Wenig später finden wir ihn, der auch sein Atelier im Louvre hatte, in der Kommission, der die Betreuung des Museums vom Nationalkonvent anvertraut war.
Robert fordert hier die Utopie eines Museums ein, die Mitte 1793 bereits Realität geworden, aber noch unvollkommen realisiert worden war.
In Wirklichkeit war die Grande Galerie ein ziemlich düsterer 'Tunnel', noch nicht von oben beleuchtet. Aber in allen Gemälden Roberts, in denen er diesen zentralen Raum des Museums dargestellt hat - als Baustelle, als Entwurf, als Ruine, als prachtvolle und reich ausgestattete Galerie -, immer ist der Raum mit einem Publikum bevölkert, wie man es von anderen Sammlungsdarstellungen nicht kannte. Ab jetzt garantierte der Staat den Bestand des Museums und die allgemeine und freie Benutzung.
Allgemeiner Besitz des kulturellen Erbes, Grundrecht auf Bildung und Zugang als allgemeines Recht sind aber nicht der Zweck des Museums, sondern seine Bedingungen. Nur wo diese strukturellen Voraussetzungen vorhanden sind, kann das Museum seine sozialisierende und zivilisierende Rolle erfüllen. Erst dann wird das Museum zum diskursiven und sozialen Raum, in dem die Phantasmen von ‚Wir’, ‚Ganzheit’, ‚Endlichkeit’, ‚Herkunft und Zukunft’, ‚Freiheit’ oder ‚Andersheit’ und viele andere mehr zirkulieren können. So ist dieses Museum auch ein nationales u n d universales Museum.
Donnerstag, 29. April 2010
Lives of Perfect Creatures. Dogs of the Soviet Space Program - Paul Weschler (Das Museum lesen 09)
Das Buch Mr. Wilsons Wunderkammer von Paul Weschler stellt das Museum of Jurassic Technology in Los Angeles vor. 'Vorstellen' ist der falsche Ausdruck: in einer Mischung von Essay, Biografie und investigativem Journalismus versucht der Autor einem der merkwürdigsten und bemerkenswertesten Museen, jedenfalls einem Museum mit einem sehr merkwürdigen Titel, Tage auf die Spur zu kommen.
Dieses Museum ist aus der obsessiven Beschäftigung mit den Grenzen und Widersprüchen der musealen Repräsentation geboren, und ist als solches vor allem bei Museumsleuten und Museologen belibt. Man darf vermuten, weil hier etwas passieren darf, was im musealen Normalbetrieb nicht passieren soll. Die spielerische, experimentelle Überschreitung von Grenzen, das Arbeiten mit Verrätselungen und dem Staunenswerten, mit Authentizität und Fiktion.
Hat es Madalena Delanie, die in die USA emigrierte Liedsängerin aus Rumänien wirklich gegeben, und hat sie Mr. Sonnabend wirklich je getroffen? Vor allem aber: gibt uns die Delanie/Sonnabend-Hall des Museums darüber wirklich Auskunft? Der Museumsgründer schreibt dazu: The Delani/Sonnabend Halls which occupy the entire rear quarters of the Museum's original building house a sequential array of exhibits which, when taken together, detail the lives and work of Madelena Delani, a singer of art songs and operatic material and Geoffery Sonnabend, a neurophysiologist and memory researcher who's three volume work Obliscence: Theories of Forgetting and the Problem of Matter stands a milestone in the field.
Weschler beschreibt das Museum of Jurassic Technology in einer ähnlich elliptischen Bewegung, wie sie das Museum selbst operiert. Er breitet zunächst erzählerisch einige der Wundergeschichten des Museums aus, so daß es einem den Boden unter den Füßen wegzieht, dann lenkt er in einer Art Recherche auf die Quellen und Anregungen in der Museumsgeschichte, die für Mr. Wilson wichtig waren und sind. Ehe man zu fürchten beginnt, Paul Weschler würde mit seiner peniblen Aufarbeitung entzaubern, dreht er noch mal in eine andere Richtung und läßt uns so erst recht neugierig zurück.
Er findet einen Stil, der das Museum weder abschildert noch erklärt, sondern der in die Ideenwelt hineinschlüpft, um sich dort verwundert zu verirren, wie wir uns in diesem Buch – und auch im Museum – verirren dürfen. Was erwartet man denn von einer Abteilung des Museums mit dem Titel Lives of Perfect Creatures. Dogs of the Soviet Space Program? Oder vom GARDEN OF EDEN ON WHEELS mit den Selected Collections from Los Angeles Area Mobile Home and Trailer Parks?
Weschler, Lawrence: Mr. Wilson's Cabinet of Wonder. Pronged Ants, Horned Humans, Mice on Toast, and Other Marvels of Jurassic Technology. New York (Panther Books) 1995. Dt.: Mr. Wilsons Wunderkammer. Von aufgespießten Ameisen, gehörnten Menschen und anderen Wundern der jurassischen Technik. München Wien 1998
Dieses Museum ist aus der obsessiven Beschäftigung mit den Grenzen und Widersprüchen der musealen Repräsentation geboren, und ist als solches vor allem bei Museumsleuten und Museologen belibt. Man darf vermuten, weil hier etwas passieren darf, was im musealen Normalbetrieb nicht passieren soll. Die spielerische, experimentelle Überschreitung von Grenzen, das Arbeiten mit Verrätselungen und dem Staunenswerten, mit Authentizität und Fiktion.
Hat es Madalena Delanie, die in die USA emigrierte Liedsängerin aus Rumänien wirklich gegeben, und hat sie Mr. Sonnabend wirklich je getroffen? Vor allem aber: gibt uns die Delanie/Sonnabend-Hall des Museums darüber wirklich Auskunft? Der Museumsgründer schreibt dazu: The Delani/Sonnabend Halls which occupy the entire rear quarters of the Museum's original building house a sequential array of exhibits which, when taken together, detail the lives and work of Madelena Delani, a singer of art songs and operatic material and Geoffery Sonnabend, a neurophysiologist and memory researcher who's three volume work Obliscence: Theories of Forgetting and the Problem of Matter stands a milestone in the field.
Weschler beschreibt das Museum of Jurassic Technology in einer ähnlich elliptischen Bewegung, wie sie das Museum selbst operiert. Er breitet zunächst erzählerisch einige der Wundergeschichten des Museums aus, so daß es einem den Boden unter den Füßen wegzieht, dann lenkt er in einer Art Recherche auf die Quellen und Anregungen in der Museumsgeschichte, die für Mr. Wilson wichtig waren und sind. Ehe man zu fürchten beginnt, Paul Weschler würde mit seiner peniblen Aufarbeitung entzaubern, dreht er noch mal in eine andere Richtung und läßt uns so erst recht neugierig zurück.
Er findet einen Stil, der das Museum weder abschildert noch erklärt, sondern der in die Ideenwelt hineinschlüpft, um sich dort verwundert zu verirren, wie wir uns in diesem Buch – und auch im Museum – verirren dürfen. Was erwartet man denn von einer Abteilung des Museums mit dem Titel Lives of Perfect Creatures. Dogs of the Soviet Space Program? Oder vom GARDEN OF EDEN ON WHEELS mit den Selected Collections from Los Angeles Area Mobile Home and Trailer Parks?
Weschler, Lawrence: Mr. Wilson's Cabinet of Wonder. Pronged Ants, Horned Humans, Mice on Toast, and Other Marvels of Jurassic Technology. New York (Panther Books) 1995. Dt.: Mr. Wilsons Wunderkammer. Von aufgespießten Ameisen, gehörnten Menschen und anderen Wundern der jurassischen Technik. München Wien 1998
Mittwoch, 28. April 2010
Musée Grevin, Paris
Der Faszination von Wachsfigurenkabinetten entzieht sich kaum jemand. Bei gut gemachten Figuren löst die Nähe von Lebensnähe und Totenstarre dia ambivalente Erfahrung von Angst und Staunen aus. Solche Kabinette sind immer unheimlich und trösten im Versprechen, ein Überdauern als Bild sei möglich. Tatsächlich kommt die Wachsbildnerei aus dem Totenkult. Wo der organische Leib zum Verfall verurteilt wurde, bot ein sozialer Leib, eine Puppe aus Holz, Wachs oder welchem Material auch immer, ein die Person erinnerndes Memento. Wachs erwies sich dabei wegen seiner Lebensnähe als besonders geeignet, einen Toten zu 'ersetzen' und dabei 'noch lebendig' zu erscheinen.
Frankreich war das Land, in dem die Brücke vom Totenkult zur Schaustellung gerschlagen wurde. Madame Gresholtz, Schülerin eines der berühmtesten Wachsbildners des 18. Jahrhunderts, modellierte in der Revolution die Köpfe von Guillotinierten, die zu Propagandazwecken ausgestellt wurden. Als die Revolution zu Ende ging, floh Gresholtz nach London und änderte ihren Namen: ab nun nannte sie sich Madame Tussaud.
Das Musée Grevin wurde 1882 eröffnet und war sofort ein Erfolg. Nach und nach wurde es erweitert, vom Wachsfigurenkabinett zum Komplex mit kleinem Theater und illusionistischen Räumen, unter anderem dem Le Palais des Mirages, das von der Weltausstellung von 1900 übernommen wurde und nach umfassender Restaurierung seine illusionistischen Verwandlungen wieder eindrucksvoll vorführt. Schon wegen der Belle-Epoque-Architektur lohnt sich der Besuch des Musée Grevin - übrigens und der benachbarten Passagen, in denen sich seit Walter Benjamins oder Louis Aragons Zeiten nichts geändert zu haben scheint.
Doch verblüfft das Musée nicht nur damit und mit mehr oder minder gelungenen Wachsfiguren von Zeitgenossen wie Zidane, Jospin, Bocuse, Dali, de Gaulle oder einer - ziemlich mißglückten - Fanny Ardant, sondern mit alten Tableaus, die einmal so etwas wie ein Museum der Geschichte Frankreichs mit einer Reihe von Tableaus zu der der Französischen Revolution gebildet haben. Teile davon sind inzwischen leider einer 'Modernisierung' des Figurenensembles zum Opfer gefallen sind: Wie etwa die unheimliche Gedenk- und Reliquieninszenierung von Napoleons Sterbezimmer. Aber Jeanne darc darf noch am Scheiterhaufen verbrennen...
Frankreich war das Land, in dem die Brücke vom Totenkult zur Schaustellung gerschlagen wurde. Madame Gresholtz, Schülerin eines der berühmtesten Wachsbildners des 18. Jahrhunderts, modellierte in der Revolution die Köpfe von Guillotinierten, die zu Propagandazwecken ausgestellt wurden. Als die Revolution zu Ende ging, floh Gresholtz nach London und änderte ihren Namen: ab nun nannte sie sich Madame Tussaud.
Das Musée Grevin wurde 1882 eröffnet und war sofort ein Erfolg. Nach und nach wurde es erweitert, vom Wachsfigurenkabinett zum Komplex mit kleinem Theater und illusionistischen Räumen, unter anderem dem Le Palais des Mirages, das von der Weltausstellung von 1900 übernommen wurde und nach umfassender Restaurierung seine illusionistischen Verwandlungen wieder eindrucksvoll vorführt. Schon wegen der Belle-Epoque-Architektur lohnt sich der Besuch des Musée Grevin - übrigens und der benachbarten Passagen, in denen sich seit Walter Benjamins oder Louis Aragons Zeiten nichts geändert zu haben scheint.
Doch verblüfft das Musée nicht nur damit und mit mehr oder minder gelungenen Wachsfiguren von Zeitgenossen wie Zidane, Jospin, Bocuse, Dali, de Gaulle oder einer - ziemlich mißglückten - Fanny Ardant, sondern mit alten Tableaus, die einmal so etwas wie ein Museum der Geschichte Frankreichs mit einer Reihe von Tableaus zu der der Französischen Revolution gebildet haben. Teile davon sind inzwischen leider einer 'Modernisierung' des Figurenensembles zum Opfer gefallen sind: Wie etwa die unheimliche Gedenk- und Reliquieninszenierung von Napoleons Sterbezimmer. Aber Jeanne darc darf noch am Scheiterhaufen verbrennen...
Frankreich, das Land der Museologie - Nina Gorgus (Das Museum lesen 08)
Wenn man sich mit den Pariser Museen beschäftigt, wird einem auffallen, wie sehr deren Profil durch eine enge und wechselseitige Beziehung zu den Wissenschaften und zu wissenschaftlichen Institutionen bestimmt ist. Wie häufig dort Museen raumlich und funktional mit wissenschaftlichen Einrichtungen verbunden sind.
Dadurch entsteht zwangsläufig ein reflexives Verhältnis zum Museum und zur Museumsarbeit. 'Museologie' hat als spezifische Reflexionsarbeit und -möglichkeit in Frankreich einen hohen Stellenwert.
Und es ist schade, daß im Vergleich zu angelsächsischen Debatten so wenig davon in der deutschsprachigen Diskussion eine Rolle spielt.
Das Niveau der französiche Museologie ist aber nicht nur strukturellen und institutionellen Bedingungen geschuldet, sondern auch Persönlichkeiten wie Henri Georges Rivières, eine Schlüsselfigur in der Entwicklung von Theorie und Praxis.
Rivière war Ethnologe und Museologe mit großer Affinität zur zeitgenössichen Kunst, dem Jazz und zur Philosophie. Mit Georges Bataille gründet er die Zeitschrift documents, (dessen aleatorisches 'Glossar' jenen kurzen Text unter dem Lemma 'Museum' enthält, der wie wohl kein zweiter Einfluß auf mein Denken übers Museum hatte.)
Das kenntnis- und materialreiche Buch von Nina Gorgus ist aber weit mehr als eine Biografie, es bietet einen interessanten Blick auf die Museumsentwicklung in Paris seit den 30er-Jahren, auf wichtige Museen wie etwa das Musée des Arts et Traditions Populaires de la France (dessen Gründer Rivière war), und wichtige Museumsideen, wie die 'Erfindung' des Ècomusée. Ein weiterer Vorzug des Buches ist die Begabung der Autorin, die biografischen und institutionellen Aspekte anschaulich mit den ideologisch-politischen zu vermitteln.
Dadurch entsteht zwangsläufig ein reflexives Verhältnis zum Museum und zur Museumsarbeit. 'Museologie' hat als spezifische Reflexionsarbeit und -möglichkeit in Frankreich einen hohen Stellenwert.
Und es ist schade, daß im Vergleich zu angelsächsischen Debatten so wenig davon in der deutschsprachigen Diskussion eine Rolle spielt.
Das Niveau der französiche Museologie ist aber nicht nur strukturellen und institutionellen Bedingungen geschuldet, sondern auch Persönlichkeiten wie Henri Georges Rivières, eine Schlüsselfigur in der Entwicklung von Theorie und Praxis.
Rivière war Ethnologe und Museologe mit großer Affinität zur zeitgenössichen Kunst, dem Jazz und zur Philosophie. Mit Georges Bataille gründet er die Zeitschrift documents, (dessen aleatorisches 'Glossar' jenen kurzen Text unter dem Lemma 'Museum' enthält, der wie wohl kein zweiter Einfluß auf mein Denken übers Museum hatte.)
Das kenntnis- und materialreiche Buch von Nina Gorgus ist aber weit mehr als eine Biografie, es bietet einen interessanten Blick auf die Museumsentwicklung in Paris seit den 30er-Jahren, auf wichtige Museen wie etwa das Musée des Arts et Traditions Populaires de la France (dessen Gründer Rivière war), und wichtige Museumsideen, wie die 'Erfindung' des Ècomusée. Ein weiterer Vorzug des Buches ist die Begabung der Autorin, die biografischen und institutionellen Aspekte anschaulich mit den ideologisch-politischen zu vermitteln.
Nina Gorgus: Der Zauber der Vitrinen. Zur Museologie Georges Henri Rivière Münster New York München Berlin 1999
Partizipation. Call for Papers des Historischen Museum Frankfurt
Ich bin von Mitarbeiterinnen des Historischen Museums Frankfurt gebeten worden, diesen Call for Papers zu verbreiten - was ich hiemit gerne tue. GF
// Call for Papers //
Arbeitstagung vom 18.-19.11.2010
Gegenwartsthemen ausstellen
Zwischen Partizipation und user generated content – eine Herausforderung für das
Stadtmuseum des 21. Jahrhunderts
Das historische museum frankfurt plant im Rahmen seiner Neukonzeption neben einer stadtgeschichtlichen Dauerausstellung einen Ausstellungsbereich zu Gegenwart und Zukunft der Stadt Frankfurt. Das Stadtlaboratorium wird in Zusammenarbeit mit seinen Besuchern bzw. Benutzern erarbeitet.
Die Arbeitstagung richtet sich an Experten und Kollegen, die Gegenwarts-und Zukunftsthemen in Kooperation mit Communities erarbeiten und ausstellen bzw. an Vertreter verschiedener Wissenschaftsdisziplinen, deren Forschungsarbeiten das im Titel umrissene Themenspektrum beinhalten.
Partizipativ ausstellen
Während der Arbeitstagung wird das „partizipative Museum“ sowohl in theoretischer Perspektive als auch an Hand von vielfältigen Praxisbeispielen erörtert werden.
Ihre Wurzeln findet die Idee der „Bevölkerungsbeteiligung“ bereits im 19. Jahrhundert und setzt sich schließlich in den 1970er Jahren unter Einbezug des lebensweltlichen Kontextes durch
(z.B. im Écomusée, Georges Henri Rivière).
Für ein Stadtmuseum einer kleinen Metropolregion zu Beginn des 21. Jahrhunderts stellen sich jedoch manche Fragen anders, denen wir in einer ersten Themeneinheit nachgehen wollen: Wie gelingt der Anspruch, eine reale und nachhaltige Teilhabe und Mitbestimmung im Ausstellungsprozess umzusetzen? Welche Haltung kann, soll oder muss das Museum (auch als städtische Institution) einnehmen, wenn es mit gesellschaftlichen und politischen Konfliktthemen umzugehen hat, die von seinen Kooperationspartnern eingebracht werden? Wie gelingt die Balance zwischen einer kooperativen Ausstellungskonzeption und dem gleichzeitigen Qualitätsanspruch der Bildungsinstitution? Versprechen solche Co-Creation-Prozesse weitere Mehrwerte, als jene, Reflexionen über eigene soziokulturelle Praxen anzustellen und Identitätsangebote in der unsicheren Moderne zu schaffen? Ist es ein Marketinginstrument? Wie können Museumsbesucher aktiv Ausstellungsinhalte mitbestimmen und erarbeiten, ohne dass die Museumskuratoren zu reinen Facility Managern werden? Laufen wir Gefahr, wie Udo Gösswald, Leiter des Berliner Bezirksmuseums Neukölln, auf der Tagung der Berliner Stadtmuseen im April 2009 warnte, durch eine unnötige „Amateurisierung“ die Museumsarbeit zu entwerten? Oder verändern sich die Rollen dahingegen, dass der Kurator zu einem „Vermittler, Moderator und Übersetzer“ und der Besucher zum „Lernenden, Lehrenden, Betrachter und Betrachteten“ wird (Beat Hächler, Co-Leitung Stapferhaus Lenzburg)? Schließlich sind in diesem partizipativen Anspruch die Forderungen nach der interkulturellen Öffnung einer deutschen Bildungsinstitution sowie nach einem niedrig schwelligen Zugang für bildungsferne Milieus verwoben.
Praktisch möchten wir den Austausch anregen: Welche Erfahrungen wurden bereits mit partizipativen Ausstellungsprojekten gemacht und welche Resümees können daraus für die konkrete Umsetzung gezogen werden? Welche Partizipationsformen und -methoden wie z. B. „open space“ und „world café“ haben sich bewährt, welche sind als problematisch zu bewerten?
Gegenwart ausstellen
In einer zweiten Themeneinheit wird der Blick auf das Ausstellen von Gegenwartsthemen in einem Stadtgeschichtlichen Museum gerichtet. Das Stadtlabor, in dem über die Gegenwart und Zukunft des alltäglichen Lebens in der Stadt reflektiert und verhandelt werden soll, fordert ähnliche aber auch andere Ausstellungsweisen sowie Kommunikations-und Interaktionformen heraus, als es kultur-und sozialgeschichtliche Ausstellungen tun. Der Begriff der „sozialen Szenografie“ will den offenen Interaktionsprozess zwischen Besucher, Ausstellungsmacher, Personal, Objekt und Raum auf neue Weise fassen und die Handlungen der Besucher selbst als Ausstellungsinhalt und -bestandteil nutzbar machen. Innerhalb des diskursiven Stadtlabors gilt es, sich mit soziokulturellen und politischen Gegenwartsthemen der Stadtgesellschaft auseinanderzusetzen, um die Gegenwart zu gestalten und die Zukunft anzudenken. Es geht also um Alltagsthemen der Gegenwart, die in die individuelle oder kollektive Vergangenheit in Form von Erinnerung und Geschichte als auch in das Zukünftige eingebettet sind, in dem sich persönliche als auch gesellschaftlich geteilte Visionen und Entwicklungsoptionen zeigen. Es sind Themen, die sich in einem aktuellen Diskurs befinden, möglicherweise aber in ihrem gesellschaftlichen Aushandlungsprozess begrifflich noch nicht gefasst sind.
Welche Themen als relevant zu betrachten sind, gilt es zu klären. Sie sind nach Entscheidungskriterien zu bestimmen, die zu entwickeln Gottfried Fliedl als „nicht auflösbares Dilemma“ bezeichnete. Möglicherweise ist auch dies nur in Form eines partizipativen Aushandlungsprozesses und einer sensiblen Aufmerksamkeit für aktuelle Themen denkbar – vergleichbar mit Arbeitsweisen der Szene-Scouts.
Fragen, die Anlass geben über Gegenwartsausstellungen nachzudenken, sind außerdem: Was leisten Ausstellungen über Gegenwartsthemen im Vergleich zu der alltäglichen medialen Berichterstattung? Wie kann die Gegenwart diskursiv verhandelt werden? Welche theoretischen Positionen greifen hierfür? Wie lassen sich kulturgeschichtliche Ausstellungen mit gegenwartsbezogenen Ausstellungsräumen verschränken? Welche Folgen für die Museen hat das Konzept der partizipativen Gegenwartsausstellung für die klassischen Funktionen sammeln, bewahren, ausstellen, vermitteln?
Für 2011 ist eine Folgeveranstaltung in der Schweiz angedacht. Beide Tagungen sollen in einem Tagungsband dokumentiert werden.
Call for Papers: Einsendeschluss 15. August 2010
Detailprogramm ab Mitte September 2010
Für Fragen und Anregungen
Susanne Gesser (susanne.gesser@stadt-frankfurt.de, Tel: 069 212 35633) und Katja Weber (katja.weber@stadt-frankfurt.de, Tel: 069 212 33814)
historisches museum frankfurt
Saalgasse 19 (Römerberg) 60311 Frankfurt am Main Tagungsseite: http://www.historisches-museum-frankfurt.de/index.php?article_id=190&clang=0
Bitte schicken Sie Ihre Exposés (1-3 Seiten) an:
katja.weber@stadt-frankfurt.de
// Call for Papers //
Arbeitstagung vom 18.-19.11.2010
Gegenwartsthemen ausstellen
Zwischen Partizipation und user generated content – eine Herausforderung für das
Stadtmuseum des 21. Jahrhunderts
Das historische museum frankfurt plant im Rahmen seiner Neukonzeption neben einer stadtgeschichtlichen Dauerausstellung einen Ausstellungsbereich zu Gegenwart und Zukunft der Stadt Frankfurt. Das Stadtlaboratorium wird in Zusammenarbeit mit seinen Besuchern bzw. Benutzern erarbeitet.
Die Arbeitstagung richtet sich an Experten und Kollegen, die Gegenwarts-und Zukunftsthemen in Kooperation mit Communities erarbeiten und ausstellen bzw. an Vertreter verschiedener Wissenschaftsdisziplinen, deren Forschungsarbeiten das im Titel umrissene Themenspektrum beinhalten.
Partizipativ ausstellen
Während der Arbeitstagung wird das „partizipative Museum“ sowohl in theoretischer Perspektive als auch an Hand von vielfältigen Praxisbeispielen erörtert werden.
Ihre Wurzeln findet die Idee der „Bevölkerungsbeteiligung“ bereits im 19. Jahrhundert und setzt sich schließlich in den 1970er Jahren unter Einbezug des lebensweltlichen Kontextes durch
(z.B. im Écomusée, Georges Henri Rivière).
Für ein Stadtmuseum einer kleinen Metropolregion zu Beginn des 21. Jahrhunderts stellen sich jedoch manche Fragen anders, denen wir in einer ersten Themeneinheit nachgehen wollen: Wie gelingt der Anspruch, eine reale und nachhaltige Teilhabe und Mitbestimmung im Ausstellungsprozess umzusetzen? Welche Haltung kann, soll oder muss das Museum (auch als städtische Institution) einnehmen, wenn es mit gesellschaftlichen und politischen Konfliktthemen umzugehen hat, die von seinen Kooperationspartnern eingebracht werden? Wie gelingt die Balance zwischen einer kooperativen Ausstellungskonzeption und dem gleichzeitigen Qualitätsanspruch der Bildungsinstitution? Versprechen solche Co-Creation-Prozesse weitere Mehrwerte, als jene, Reflexionen über eigene soziokulturelle Praxen anzustellen und Identitätsangebote in der unsicheren Moderne zu schaffen? Ist es ein Marketinginstrument? Wie können Museumsbesucher aktiv Ausstellungsinhalte mitbestimmen und erarbeiten, ohne dass die Museumskuratoren zu reinen Facility Managern werden? Laufen wir Gefahr, wie Udo Gösswald, Leiter des Berliner Bezirksmuseums Neukölln, auf der Tagung der Berliner Stadtmuseen im April 2009 warnte, durch eine unnötige „Amateurisierung“ die Museumsarbeit zu entwerten? Oder verändern sich die Rollen dahingegen, dass der Kurator zu einem „Vermittler, Moderator und Übersetzer“ und der Besucher zum „Lernenden, Lehrenden, Betrachter und Betrachteten“ wird (Beat Hächler, Co-Leitung Stapferhaus Lenzburg)? Schließlich sind in diesem partizipativen Anspruch die Forderungen nach der interkulturellen Öffnung einer deutschen Bildungsinstitution sowie nach einem niedrig schwelligen Zugang für bildungsferne Milieus verwoben.
Praktisch möchten wir den Austausch anregen: Welche Erfahrungen wurden bereits mit partizipativen Ausstellungsprojekten gemacht und welche Resümees können daraus für die konkrete Umsetzung gezogen werden? Welche Partizipationsformen und -methoden wie z. B. „open space“ und „world café“ haben sich bewährt, welche sind als problematisch zu bewerten?
Gegenwart ausstellen
In einer zweiten Themeneinheit wird der Blick auf das Ausstellen von Gegenwartsthemen in einem Stadtgeschichtlichen Museum gerichtet. Das Stadtlabor, in dem über die Gegenwart und Zukunft des alltäglichen Lebens in der Stadt reflektiert und verhandelt werden soll, fordert ähnliche aber auch andere Ausstellungsweisen sowie Kommunikations-und Interaktionformen heraus, als es kultur-und sozialgeschichtliche Ausstellungen tun. Der Begriff der „sozialen Szenografie“ will den offenen Interaktionsprozess zwischen Besucher, Ausstellungsmacher, Personal, Objekt und Raum auf neue Weise fassen und die Handlungen der Besucher selbst als Ausstellungsinhalt und -bestandteil nutzbar machen. Innerhalb des diskursiven Stadtlabors gilt es, sich mit soziokulturellen und politischen Gegenwartsthemen der Stadtgesellschaft auseinanderzusetzen, um die Gegenwart zu gestalten und die Zukunft anzudenken. Es geht also um Alltagsthemen der Gegenwart, die in die individuelle oder kollektive Vergangenheit in Form von Erinnerung und Geschichte als auch in das Zukünftige eingebettet sind, in dem sich persönliche als auch gesellschaftlich geteilte Visionen und Entwicklungsoptionen zeigen. Es sind Themen, die sich in einem aktuellen Diskurs befinden, möglicherweise aber in ihrem gesellschaftlichen Aushandlungsprozess begrifflich noch nicht gefasst sind.
Welche Themen als relevant zu betrachten sind, gilt es zu klären. Sie sind nach Entscheidungskriterien zu bestimmen, die zu entwickeln Gottfried Fliedl als „nicht auflösbares Dilemma“ bezeichnete. Möglicherweise ist auch dies nur in Form eines partizipativen Aushandlungsprozesses und einer sensiblen Aufmerksamkeit für aktuelle Themen denkbar – vergleichbar mit Arbeitsweisen der Szene-Scouts.
Fragen, die Anlass geben über Gegenwartsausstellungen nachzudenken, sind außerdem: Was leisten Ausstellungen über Gegenwartsthemen im Vergleich zu der alltäglichen medialen Berichterstattung? Wie kann die Gegenwart diskursiv verhandelt werden? Welche theoretischen Positionen greifen hierfür? Wie lassen sich kulturgeschichtliche Ausstellungen mit gegenwartsbezogenen Ausstellungsräumen verschränken? Welche Folgen für die Museen hat das Konzept der partizipativen Gegenwartsausstellung für die klassischen Funktionen sammeln, bewahren, ausstellen, vermitteln?
Für 2011 ist eine Folgeveranstaltung in der Schweiz angedacht. Beide Tagungen sollen in einem Tagungsband dokumentiert werden.
Call for Papers: Einsendeschluss 15. August 2010
Detailprogramm ab Mitte September 2010
Für Fragen und Anregungen
Susanne Gesser (susanne.gesser@stadt-frankfurt.de, Tel: 069 212 35633) und Katja Weber (katja.weber@stadt-frankfurt.de, Tel: 069 212 33814)
historisches museum frankfurt
Saalgasse 19 (Römerberg) 60311 Frankfurt am Main Tagungsseite: http://www.historisches-museum-frankfurt.de/index.php?article_id=190&clang=0
Bitte schicken Sie Ihre Exposés (1-3 Seiten) an:
katja.weber@stadt-frankfurt.de
Montag, 26. April 2010
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