Mit freundlicher Erlaubnis von Markus Walz und H-Museum veröffentliche ich hier die Rezension zum Buch von Joachim Baur (Hg.): Museumsanalyse. Methoden und Konturen eines neuen Forschungsfeldes. (Bielefeld: transcript, 2010. Kart., 287 S., ISBN 3-89942-814-5; EUR 26,80.)
Ich mache das, weil mir die Publikation gewichtig und ambitioniert erscheint und mit der Hoffnung auf eine Verbreiterung der Diskussion über eine einzelne Rezension hinaus.
Die deutschsprachige Museologie ist stark ‚angewandt‘ orientiert, das heißt an engen und eingrenzbaren fachlichen Fragen, auf die praxisanleitend reagiert wird und das meist ohne bezüglich des gesellschaftlichen, politischen, institutionellen Kontextes theoretisch besonders ambitioniert zu sein.
Ich unterschätze den Wert solcher Publikationen bis hin zum Handbuch oder zur ‚Anleitung‘ nicht, bedaure aber, daß theoretische Reflexion vergleichsweise wenig betrieben wird – die Namen einschlägiger Autoren und Publikationen sind recht schnell aufgezählt -, und auch kaum die Museumspraxis erreicht. Das mag aber keine Besonderheit der deutschsprachigen Länder sein.
Geschuldet ist das auch einem epidemisch grassierenden Aus- und Weiterbildungs(un)wesen, das aus institutionsegoistischer Perspektive schmalspurig entworfen nur sehr ausgedörrte Ansprüche verfolgt, ohne den enormen Reichtum transdisziplinärer Forschung und Diskussion zum Museum auch nur annähernd zu rezipieren.
In einer solchen Situation hat mich ein Buch neugierig gemacht, daß die Ansprüche eines ‚Readers‘ hat, dessen Grenzen zwar offensichtlich sind und von Markus Walz auch benannt werden, der sich aber doch über weite Strecken dem museologischen Reflexionswissen zuwendet und mit dem Titel „Museumsanalyse“ etwas programmatisch vorgibt, von dem ich nicht sofort und ausschließlich von einem einzigen Buch erschöpfende Auskunft erwarte.
Wie auch immer – ich würde es begrüßen, wenn um dieses Buch herum und seinen Anspruch, ‚ein neues Forschungsfeld‘ zu erschließen, eine Debatte zustande käme.
Gottfried Fliedl
Rezension von Markus Walz, Leipzig
Der Herausgeber ruft mit diesem Band einen neuen Forschungsansatz für museumsbezogene Studien aus: Da er der (theoretischen) Museologie eine
„philosophisch-totalisierende Herangehensweise“(8) und damit indirekt
Deduktivität unterstellt, soll sich „Museumsanalyse“ dadurch abgrenzen, dass sie von Fallstudien ausgeht, von denen sie auf „übergreifende gesellschaftliche, politische und kulturelle Verhältnisse“ schließen will (8).
Joachim Baur, „Was ist ein Museum? Vier Umkreisungen eines widerspenstigen Gegenstands“ bemüht sich, den Gegenstand Museum „hinreichend dingfest“ zu machen (15): zunächst in Typisierungsversuchen all dessen, was Museum heißt, anschließend etymologisch und begriffsgeschichtlich; dann mit der historischen Herleitung des heute als Museum bezeichneten Institutionentyps und abschließend eine Durchsicht verschiedenster Definitionsansätze der Gegenwart. Der Autor schlägt gut belesen Sichtschneisen in das umfangreiche Material, ohne zu einem bündigen Ergebnis zu gelangen, sodass man über den Widerspruch hinwegsehen mag, dass das (früh-) neuzeitliche Verständnis von Museum als eine enzyklopädisch angelegte Wissenssammlung im medialen und dinglichen Sinn zwar vorgetragen wird (20 f.), dennoch das British Museum oder das Museum Fridericianum naiv als Museen im modernen Sinn beansprucht werden (25).
Sharon Macdonald, „Museen erforschen. Für eine Museumswissenschaft in der Erweiterung“ (Zweitveröffentlichung in deutscher Übersetzung) liefert einen Überblick dessen, was in den britischen Museum Studies „New Museology“ heißt: die Verschiebung des Forschungsinteresses von Museumsinterna auf Kontexte – diejenigen, denen die Musealien entstammen, diejenigen der Museumsarbeit und diejenigen, aus denen heraus das Museum und seine Leistungen wahrgenommen werden – und deren perspektivische Umkehrung auf kulturelle Praxen, die als museumstypisch gelten, aber außerhalb dieser Institution Raum greifen.
Thomas Thiemeyer, „Geschichtswissenschaft: Das Museum als Quelle“ bietet eine kurze Verortung mit den Koordinaten Geschichte, Geschichtskultur, Tradition, Überrest und Lieu de Mémoire, bevor – ganz im Sinn eines Leitfadens für Fachfremde oder quer Eingestiegene – Methodenbausteine vorgelegt werden, zu denen man sich eine Selbstverortung in der historischen Sozialforschung anhand der bevorzugten Literatur (Lamnek) hinzudenken muss, die aber auch lehrbuchhaft zur Quellenkritik (von Droysen bis Brandt) leiten.
Eric Gable, „Ethnographie: Das Museum als Feld“ verortet sich in der Cultural Anthropology, deren jüngere Fachgeschichte mit Blick auf die Feldforschungmethodik aufgefaltet wird, bevor Fallbeispiele ethnographischer Beforschung von Ausstellungen, speziell reflexiver Präsentationen zu kolonialgeschichtlichen Themen, vorgestellt werden. Gable kritisiert ferner das Fehlen einer ethnographischen Publikumsforschung, die klären könnte, was die Gäste während des Museumsaufenthalts tatsächlich unternehmen, und schließt mit einer Selbstreflexion zu eigenen Feldforschungen im Histotainment-Park Colonial Williamsburg.
Jana Scholze, „Kultursemiotik: Zeichenlesen in Ausstellungen“ charakterisiert kurz das Anliegen der Semiotik und deren Sichtweise von Ausstellungen, bevor sie semiotisch orientierte Ausstellungsanalysen referiert: zunächst von Mieke Bal, anschließend von Scholze selbst. Im Gegensatz zu Thiemeyer wird kein Verfahrensleitfaden angeboten, sondern eher ein ausschnitthaftes Ergebnisreferat dieser zweifellos wegweisenden Literatur. Bedauerlich erscheint der Verzicht auf Untersuchungen Dritter, die Scholzes Instrumentarium bereits aufgegriffen haben, sodass nur eine Zusammenfassung von „Medium Ausstellung. Lektüren musealer Gestaltung“(2004) ohne neue Eindrücke vorliegt.
Heike Buschmann, „Geschichten im Raum. Erzähltheorie als Museumsanalyse“ stellt Begriffe und Analyseelemente der Erzähltheorie vor und illustriert deren Anwendbarkeit auf Ausstellungen; auf eine Anleitungshaltung wird hier ebenso verzichtet wie auf Ergebnisreferate (die einschlägige Dissertation der Autorin ist noch nicht abgeschlossen).
Volker Kirchberg, „Besucherforschung in Museen: Evaluation von Ausstellungen“ bietet einen historischen Rückblick sowie eine Typologie der Publikumsforschung in Museumsausstellungen an, problematisiert den Fokus auf Lernerfolgskontrolle und Verwerfungen im Selbstverständnis der Museumsfachleute durch aktuelle Tendenzen zur konstruktivistischen Erziehungswissenschaft. Im Überblick wird der Hang zu deskriptiven Studien herausgestellt und auf einige relevante Ergebnisse zur komplexen Grundlage von Lernerfolgen aufgrund von Ausstellungsbesuchen verwiesen. Eine gewisse Endlichkeit zeigt dieser kenntnisreiche Beitrag durch seine (unausgesprochene) Position in der Kultursoziologie, während in der Publikumsforschung auch betriebswirtschaftliche Marktforschung, Sozialgeographie und Umweltpsychologie agieren.
Katrin Pieper, „Resonanzräume. Das Museum im Forschungsfeld Erinnerungskultur“ referiert relevante Literatur zu den Begriffen Erinnerung, Gedächtnis, kollektives und kulturelles Gedächtnis sowie Erinnerungskultur und bezeichnet Museen als Indikatoren, Generatoren, Motoren und Produkt von Erinnerungskultur – zur Begründung dafür, Museen als Beobachtungsgelegenheit erinnerungskultureller Tendenzen, als Widerspiegelungen gesellschaftlicher, politischer Geschichtsbilder zu nehmen. Zur Vorgehensweise wird vorgeschlagen, ein Thema diachron oder in verschiedenen erinnerungskulturellen Kontexten synchron zu vergleichen, indem Texte über Museen (nicht Museen oder deren Leistungen) diskursanalytisch untersucht werden.
Anke te Heesen, „Objekte der Wissenschaft. Eine wissenschaftshistorische Perspektive auf das Museum“ akzentuiert zunächst das aktuelle Interesse für Universitätssammlungen einerseits, frühneuzeitliche Kunstkammern andererseits, bevor sie sich ganz auf Universitätssammlungen, also nur einen Ausschnitt des Beitragstitels, konzentriert. Das Interesse gilt „neuen Konstellationen“ in dem Sinn, dass im Zuge der Digitalisierung überholte Lehrmittel als Quasi-Musealien anfallen und die historisierende Tendenz von Universitätssammlungen verstärken, die ihrerseits einem wachsenden Rechtfertigungs- und Veröffentlichungsdruck unterliegen, während seriell erzeugte Sammlungsstücke durch ihre Belangarmut diesen Interessen nicht dienen. Wegen ihrer Aktualität und Historizität werden Universitätssammlungen als wertvolle Visualisationen des rasanten Wandels in der Wissenschaftskultur aufgefasst.
Volker Kirchberg, „Das Museum als öffentlicher Raum in der Stadt“ fasst Kirchbergs Werk „Gesellschaftliche Funktionen von Museen. Makro- meso- und mikrosoziologische Perspektiven“(2005) knapp zusammen. Hanna Murauskaya, Giovanni Pinna und Maria Bolaños, „Internationale Perspektiven der Museumsforschung“ bietet auf jeweils vier Druckseiten knappe Überblicke zur Situation und Literaturlage der Museologie, Museum Studies oder zu Museumsbezügen anderer Studienrichtungen in Frankreich, Italien, Russland und Spanien; die Einleitung motiviert diese eigenwillig gesetzten Schlaglichter als „Gesten“ gegenüber den international vielfältigen Ansätzen und der weder deutsch- noch englischsprachigen Literatur.
Im Überblick zeigen sich drei markante Begrenztheiten dieses Bandes. Zunächst einmal Anglophilie, die bis dahin reicht, Johannes Amos Comenius auf Englisch zu zitieren (Baur, 21); überwiegend wird auf englischsprachige Literatur rekurriert, ohne einen britisch-nordamerikanischen Fokus signalisiert zu haben. Probleme bereitet diese Haltung bei unterscheidbaren Begriffsbedeutungen. Die Nouvelle Muséologie wird als Ahnin der New Museology vereinnahmt und durch die egalisierende Übersetzung als Neue Museologie nicht unterschieden (Macdonald, 50; Kirchberg, 254), ohne dass eine Traditionslinie aufgezeigt wäre oder enge konzeptuelle Gemeinsamkeiten aufschienen; die falsche Datierung (50: angeblich in den späten 1970er-Jahren aufgekommen) ist darauf zurückzuführen, dass nur ein einzelner englischer Artikel als Literaturbasis diente.
Zweitens denken etliche der Beitragenden vorrangig an Geschichtsmuseen, nicht an die Vielfalt des Museumswesens; gelegentlich wird die Grenzüberschreitung zu den Kunstmuseen halbherzig erwogen (Pieper, 204 f.) oder als wenig zweckmäßig abgelehnt (Buschmann, 150) – andere Museumstypen bleiben unerwähnt. Inspirationen für naturwissenschaftliche Museen sucht man – außer der Standortbestimmung von Universitätssammlungen – vergebens.
Drittens ist zu bemängeln, dass zwar mehrere Beiträge das Wort Museumsanalyse verwenden, aber selten deutlich wird, dass Museen Institutionen sind, die sammeln, bewahren, erforschen, ausstellen und vermitteln: So spricht Pieper zwar umfassend von „Museum“, interessiert sich aber vornehmlich für Kommunikationsleistungen gesellschaftlicher Gruppen (203) und fasst das Museum selbst als Produkt (statt als Produzenten verschiedener Leistungen) auf (201); für Thiemeyer ist Museum ein Synonym für Dauerausstellung (80), konsequenterweise beleuchtet „historische Museumsanalyse“ vergangene Ausstellungen (81); Kirchberg und Scholze signalisieren schon im Beitragstitel, sich nur mit Ausstellungen zu befassen.
Damit lässt sich zusammenfassen, dass keine Handreichung zur Museumsanalyse vorliegt, wohl aber ein über bündige Beiträge leicht gemachter Einstieg in neuere Ansätze, Ausstellungen wissenschaftlich zu untersuchen; da zwei Beiträge auf noch laufenden Dissertationsprojekten basieren (Buschmann, Thiemeyer) bieten sich vorgreifende Einblicke in Forschungsdesigns. Eine vorbehaltlose Empfehlung verdient dieser Band nicht, da die klare Ausrichtung auf Bedarfe einer Zielgruppe fehlt: Wer den auf dem hinteren Buchumschlag und in der Einleitung angekündigten „Werkzeugkasten“ erwartet, wird von Thiemeyer bedient, ansonsten auf andere Literatur verwiesen; Historikerinnen und Historiker werden von Thiemeyer und Pieper unterfordert; mit gängigen Neuerscheinungen der letzten Jahre vertraute Kuratorinnen und Kuratoren erfahren bei Scholze oder Kirchberg nichts Neues; wer hereinschnuppern oder quer einsteigen möchte und auf die Fragmentarik von Readern gefasst ist, wird gut fundierte Einstiegsmöglichkeiten, aber auch begriffliche Nachlässigkeit (7: „Besucherzahlen“ statt richtig Besuchszahlen) und sehr uneinheitlichen Zitierweisen vorfinden (vielfach nur Verweise auf Werke, ohne Seitenzahl; Zitate nach Zitaten; der Herausgeber selbst setzt S. 37 voraus, dass alle wissen, wo „Adornos viel zitiertes Diktum“ nachzulesen ist).
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Zweitveröffentlichung mit freundlicher Erlaubnis von Prof. Walz (E-Mail: walz@fbm.htwk-leipzig.de) und H-Museum.
Copyright (c) 2010 by H-MUSEUM (H-Net), all rights reserved.
Von: H-Net Network for Museum Professionals [H-MUSEUM@H-NET.MSU.EDU] im Auftrag von H-Museum (Marra) [marra@MUSEUMSLIST.NET]
Gesendet: Donnerstag, 04. März 2010 21:21
Montag, 15. März 2010
Sonntag, 14. März 2010
„Auch das Thema Mensch und Maschine bewegt seit jeher die Museumsgestalter…“ Eine Publikation als Zumutung
Gegen die Abfassung einer Museumsgeschichte spricht viel: als globales Erfolgsmodell ist das Museum als Gegenstandsbereich kaum noch überschaubar, auch die museumshistorische Literatur ist durch viele monografische, länderspezifische oder typologische Untersuchungen kaum noch quantitativ rezipierbar. Schließlich ist das reflexive Wissen vom Museum in den letzten Jahrzehnten dermaßen angewachsen, dass ein Einfließen wenigstens der wesentlichen Fragestellungen in eine Historiografie des Museums einerseits unverzichtbar andererseits kaum lösbar erscheint. Kein Wunder, dass die letzte Publikation, die dem Anspruch einer umfassenden Darstellung gerecht wurde (und mangels Alternativen immer noch lohnende Lektüre ist), vor fast vierzig Jahren erschien, Alma Wittlins In Search of a Usable Future.
Hildegard Vieregg muss als im Feld Museum an mehreren und auch leitenden Positionen lange Jahre Tätige und als Präsidentin des International Committee for Museology (ICOFOM, 2001 bis 2007), diese Diskurse und daher die Schwierigkeiten ihres Vorhabens kennen. Sie löst die Probleme, indem sie sie ignoriert. Darin liegt das Versagen und die Zumutung des Buches.
Schon die Gliederung des Stoffes und damit die Strukturierung ihrer Museumsgeschichte steckt voller Widersprüche. Die Autorin wählt einen Zugang über die Typologie des Museums, wobei da allerdings nur zwei Gruppen, denen je ein Buchabschnitt gewidmet ist, übrigbleiben, Kulturgeschichtliche Museen einschließlich der Kunstmusen (als Untergruppe) einerseits und Museen der Naturwissenschaften, Natur- und Technikgeschichte andererseits. Vorangestellt wird dem im ersten Abschnitt ein „weltweiter Überblick“, mit einem Bogen von der antiken kultischen Schatzbildung bis zu „Wegweisende und Einflüsse (sic?) im 20. Jahrhundert“ als ‚europäische Museumsgeschichte’, denen kurze Abschnitte zur Geschichte der Institution in den USA, Asiens und Australiens folgen.
Als Überleitung zum Hauptteil der genannten Abschnitte III und IV wurde eine nur dreieinhalb Seiten lange kursorische Überlegung „Zur Museumstypologie“ als eigener Abschnitt II ausgekoppelt. So weit, so unübersichtlich. Es folgen zum Schluss eine tabellarische Übersicht, Literaturhinweise und ein Sach- und Personenregister.
Die Entscheidung, den Stoff über die Typologie zu gliedern, wäre dann vertretbar, wenn sie sowohl für das Verständnis der Entwicklung des jeweiligen Museumstyps etwas beitrüge, als auch – durch Verknüpfungen und Verweise – für die des Museums generell. Doch wo man auch das Buch aufschlägt, beides wird gar nicht erst versucht. Museumsname reiht sich an Museumsname, manchmal chronologisch, manchmal auch nicht, meist mit kursorischen wenige Zeilen knappen Angaben zu Sammlungen und Themenschwerpunkten versehen.
Die Auswahl und die Gewichtung der Museen bleibt ebenso rätselhaft wie ihre Signifikanz für die historische Entwicklung des Museums allgemein. Die Angaben sind nicht nur überwiegend deskriptiv und selten analytisch, sondern merkwürdig beliebig. Was soll ein Leser mit der Mitteilung anfangen, dass das Zentrale Museum der Kulturrevolution in Peking von „48 intellektuellen Schriftstellern“ angeregt wurde? Die Vatikanischen Museen werden, ohne jeden Versuch, auch nur andeutungsweise die Sonderstellung und -entwicklung dieses Museum zu charakterisieren, als bunt durcheinander gewürfelte Folge von Gründungen vorgestellt, in denen die beiden museologisch und architektonisch bedeutendsten – das Museo Pio-Clementino und der Antikenhof des Belvedere - überhaupt nicht oder nur unzureichend vorkommen. Die Ausführungen zum Cortile del Belvedere lassen, ohne Datumsangabe, einen nicht ohnehin schon informierten Leser völlig im Unklaren über die historische und kunstpolitische Tiefendimension dieser Sammlung. Stattdessen glaubt die Autorin, in Berufung auf einen FAZ-Artikel als Quelle, uns mit dem Satz zufrieden stellen zu können „Aus den Belvedere-Sammlungen ist ein Universalmuseum hervorgegangen“. (S.215)
Die Grundlagen von Wertungen bleiben unklar, weil sie bloß behauptet aber nicht argumentiert werden. So seien die „Rekonstruktionen … im Archäologischen Park Xanten…unübertroffen“ oder das Heeresgeschichtliche Museum in Wien „eines der bedeutendsten historischen Museen der Welt“, wobei der Autorin der Unterschied von militärgeschichtlichem und historischem Museen ebenso gleichgültig zu sein scheint. Außerdem ist es ein wörtliches Zitat aus der Selbstdarstellung des Museums, also eine völlig unkritisch übernommene Wertung. Der eminent wichtige politische Kontext, in dem das Museum entstanden ist, die Revolution von 1848 und ihre Niederschlagung, werden unterschlagen.
Kurzum, das weite Feld Museumsgeschichte wird in winzige Schrebergärten parzelliert, wobei sich gelegentlich die chronologischen Auflistungen zu bloßen Kalendarien verdünnen. Die Seite 208 beispielsweise ist eine dichte Packung von Namen und Jahresdaten, dennoch wird sie uns als „Exemplarische Übersicht: Kunstmuseen“ zugemutet.
Noch ärgerlicher sind Passagen, die den Leser regelrecht in die Irre führen, wie eine falsche Auskunft einen Städtetouristen. Zwei Beispiele. Das vielgenannte Museion von Alexandria wird von Vieregg als Indiz einer ägyptischen Genealogie des Museums eingeführt (ich zitiere mit ihren Kursivsetzungen): „Auch die europäische Museumsentwicklung ist nicht denkbar ohne den ägyptischen Impuls“, nämlich „ausgehend von der berühmten Bibliothek und dem Forschungsinstitut in Alexandria/Ägypten…“. Nun, Alexandria war eine griechische Gründung und auch zur Zeit der Errichtung des Museion eine griechische Stadt. Museion ist das Wort für eine sowohl mythologische Vorstellung als auch gesellschaftlich-kulturelle Praxis der Formierung eines kollektiven Gedächtnisses. Diese griechische Gedächtniskultur war einzigartig und neu, nichts dergleichen gab es bis dahin in anderen Kulturen, auch nicht in der ägyptischen.
Zweites Beispiel: Dem Königlichen Museum in Berlin lag ein von einer von Wilhelm von Humboldt geleiteten Kommission erarbeitetes Konzept zugrunde. Vieregg fasst dessen Ideen und damit den Zweck des Museums, mit Berufung auf einen Essay von Hermann Lübbe zusammen. Aufgabe des Museums sei „Repräsentation“ gewesen. Das hat Lübbe aber nicht geschrieben und gemeint. Nach den Museumsgründungen der Französischen Revolution ist das Berliner Museum das erste, und darin modellhaft bis heute, daß es als Konzept und Architektur bürgerliche Öffentlichkeit sowohl voraussetzt, anspricht als auch formiert. Das Museum hatte einen, wie es Lübbe nennt, „Staatsnutzen“, aber verstanden als Humanisierung der Nation durch an die Bürger adressierte Bildung und Kunsterfahrung. Das prozesshafte Verständnis von Bildung wird in der Architektur sinnfällig gemacht durch die Inszenierung einer zivilisatorischen Rites de passage, in der man Bau und Sammlungen in einer sorgfältig durchdachten Abfolge von Räumen, Sammlungen und Kunstwerken durchquert hat. Dem öffentlichen und öffentlichkeitsbildenden Zweck kommt das Gebäude schon beim Betreten mit der antike Vorbilder rezipierenden Halle entgegen, die das Scharnier von städtischem und musealem Raum darstellt. Viereggs Hinweis auf die Vorbildlichkeit des römisch-antiken Pantheon für Schinkels Bau ist als pauschal gemeinter falsch, er gilt nur für diesen Raum, die Rotunde und auch da eher für die die antike Form vermittelnden Räume des Museo Pio-Clementino, wo diese pathetische und symbolisch übercodierte Raumform als Sammlungarchitektur verwendet wird.
Die protodemokratischen Elemente sind sowohl im Konzept, das unter Wilhelm von Humboldts Leitung verfasst wurde, unübersehbar, als auch signifikant für die Ideen Schinkels, mit denen erstmals das Ideal des bürgerliche Öffentlichkeit adressierenden und herstellenden Bildungsmuseums einen architektonischen Ausdruck findet. Hier hätte man bemerken können, dass die Anfänge der europäischen Museumsidee als Projekt der Moderne untrennbar mit der Idee der Demokratie verknüpft sind. Die starke und gleich zweimal vorgebrachte Aussage zu Beginn des Abschnitts zur Museumsgeschichte in den USA (S.66), „anders als auf dem europäischen Kontinent waren Museen von Anfang an demokratische Einrichtungen mit einem Bildungsauftrag gegenüber der Öffentlichkeit“, impliziert eine falsche und – wiederum – grob irreführende Schlussfolgerung. Die frühen amerikanischen Gründungen stehen in der Tat mit der Staatengründung in enger Verbindung, aber das vollzieht sich gleichzeitig mit Europa und mit anderen pädagogischen und pragmatischen Zielsetzungen.
Ich breche hier ab. Dem Buch geht jeder Begriff vom Museum ab und auch jeder Versuch, der doch so lohnend wäre, diesen Begriff über die Erzählung der Geschichte der Institution zu entwickeln. Stattdessen werden wir mit unzusammenhängenden, unstrukturierten, widersprüchlichen und oft massiv irreführenden Informationen konfrontiert. Aber auch reichlich mit Leersätzen und Stilblüten („Technikgeschichtliche Museen haben unterschiedliche Leitkonzepte“ (S.236), „Auch das Thema Mensch und Maschine bewegt seit jeher die Museumsgestalter…“ (S.254), „Auch berühmte Architekten haben Museen für Indien entworfen“ (S.84), „Auch im 20. Jahrhundert sorgte der Louvre für Überraschungen – als z.B. 1989 die Pyramide des Grand (sic!) Louvre eröffnet wurde.“ (S.191), „Nach den Erfahrungen mit und in Konkurrenz zu Napoleon erwachte auch in Deutschland und anderen Ländern die Wertschätzung der Kunst.“ (S.193)). Dazu kommen falsche Daten und falsch geschriebenen Namen: Das von Karl Friedrich von (sic!) Schinkel gebaute Museum wird laut ‚Übersicht’ (S.267ff.) 1825/28 eröffnet. Also zwei Mal ? Nein, das richtige Jahr ist 1830. Das Tropenmuseum in Amsterdam wird als Kindermuseum vorgestellt und der Name eines der entwicklungsgeschichtlich bedeutendsten und schönsten Museumsräume, der Grande Galerie des Louvre, wird grausam zu Grand (sic!) Gallery (sic!) verstümmelt.
Ich sagte eingangs, dass die eminente Schwierigkeit der Darstellung einer Museumsgeschichte heute in der Überfülle der Fragestellungen und Phänomene, also in einem enorm differenzierten museologischen Wissen, dessen Verarbeitung einem Einzelnen nicht ehr möglich ist. Die Autorin 'löst' diese durch Ignorieren.
Zum ersten Mal hatte ich bei der Lektüre eines Buchs den Eindruck, dass da jemand im Wissen schreibt, dass er der selbstgestellten Aufgabe nicht gewachsen ist. Ein Blick in die bloß vier Seiten umfassenden ‚Literaturhinweise’ bestätigen den Eindruck. Hier fehlt, mit eher zufällig erscheinenden Ausnahmen, so gut wie alles, was an einschlägiger Grundlagenliteratur und Forschung vorhanden ist. Man kann schon, wie es Hildegard Vieregg gerne tut, auf Studentenarbeiten von Universitäten, auf Zeitungsartikel oder auch mal den Reclam Kunstführer zurückgreifen, aber doch nicht dann, wenn stattdessen ausgezeichnete einschlägige Literatur vorhanden ist. Und nicht dann, wenn man Autoren und Autorinnen wie Grasskamp, Hooper-Greenhill, Minges, Wittlin, Impey, Hudson, Sheehan, Bredekamp, McClellan, Bazin und viele viele andere völlig ignoriert. Wie kann man ein Buch vorlegen, das hinter allem zurückbleibt, was man museologisch und museumsgeschichtlich heute wissen kann? Wie kann man als beruflich in vielen Funktion mit Museumsfragen befasste und vertraute Expertin, so gut wie alle Diskurse negieren ? Wie kann ein renommierter Wissenschaftsverlag ein solches Buch anbieten, noch dazu unlektoriert, mit all den Fehlern, Schlampigkeiten, sachlichen Fehlern und stilistischen Schwächen ?
Das Buch ist eine Zumutung der Autorin und des Verlags.
Hildegard Vieregg: Geschichte des Museums. Eine Einführung. Wilhelm Fink Verlag. München 2008. 343 Seiten
Hildegard Vieregg muss als im Feld Museum an mehreren und auch leitenden Positionen lange Jahre Tätige und als Präsidentin des International Committee for Museology (ICOFOM, 2001 bis 2007), diese Diskurse und daher die Schwierigkeiten ihres Vorhabens kennen. Sie löst die Probleme, indem sie sie ignoriert. Darin liegt das Versagen und die Zumutung des Buches.
Schon die Gliederung des Stoffes und damit die Strukturierung ihrer Museumsgeschichte steckt voller Widersprüche. Die Autorin wählt einen Zugang über die Typologie des Museums, wobei da allerdings nur zwei Gruppen, denen je ein Buchabschnitt gewidmet ist, übrigbleiben, Kulturgeschichtliche Museen einschließlich der Kunstmusen (als Untergruppe) einerseits und Museen der Naturwissenschaften, Natur- und Technikgeschichte andererseits. Vorangestellt wird dem im ersten Abschnitt ein „weltweiter Überblick“, mit einem Bogen von der antiken kultischen Schatzbildung bis zu „Wegweisende und Einflüsse (sic?) im 20. Jahrhundert“ als ‚europäische Museumsgeschichte’, denen kurze Abschnitte zur Geschichte der Institution in den USA, Asiens und Australiens folgen.
Als Überleitung zum Hauptteil der genannten Abschnitte III und IV wurde eine nur dreieinhalb Seiten lange kursorische Überlegung „Zur Museumstypologie“ als eigener Abschnitt II ausgekoppelt. So weit, so unübersichtlich. Es folgen zum Schluss eine tabellarische Übersicht, Literaturhinweise und ein Sach- und Personenregister.
Die Entscheidung, den Stoff über die Typologie zu gliedern, wäre dann vertretbar, wenn sie sowohl für das Verständnis der Entwicklung des jeweiligen Museumstyps etwas beitrüge, als auch – durch Verknüpfungen und Verweise – für die des Museums generell. Doch wo man auch das Buch aufschlägt, beides wird gar nicht erst versucht. Museumsname reiht sich an Museumsname, manchmal chronologisch, manchmal auch nicht, meist mit kursorischen wenige Zeilen knappen Angaben zu Sammlungen und Themenschwerpunkten versehen.
Die Auswahl und die Gewichtung der Museen bleibt ebenso rätselhaft wie ihre Signifikanz für die historische Entwicklung des Museums allgemein. Die Angaben sind nicht nur überwiegend deskriptiv und selten analytisch, sondern merkwürdig beliebig. Was soll ein Leser mit der Mitteilung anfangen, dass das Zentrale Museum der Kulturrevolution in Peking von „48 intellektuellen Schriftstellern“ angeregt wurde? Die Vatikanischen Museen werden, ohne jeden Versuch, auch nur andeutungsweise die Sonderstellung und -entwicklung dieses Museum zu charakterisieren, als bunt durcheinander gewürfelte Folge von Gründungen vorgestellt, in denen die beiden museologisch und architektonisch bedeutendsten – das Museo Pio-Clementino und der Antikenhof des Belvedere - überhaupt nicht oder nur unzureichend vorkommen. Die Ausführungen zum Cortile del Belvedere lassen, ohne Datumsangabe, einen nicht ohnehin schon informierten Leser völlig im Unklaren über die historische und kunstpolitische Tiefendimension dieser Sammlung. Stattdessen glaubt die Autorin, in Berufung auf einen FAZ-Artikel als Quelle, uns mit dem Satz zufrieden stellen zu können „Aus den Belvedere-Sammlungen ist ein Universalmuseum hervorgegangen“. (S.215)
Die Grundlagen von Wertungen bleiben unklar, weil sie bloß behauptet aber nicht argumentiert werden. So seien die „Rekonstruktionen … im Archäologischen Park Xanten…unübertroffen“ oder das Heeresgeschichtliche Museum in Wien „eines der bedeutendsten historischen Museen der Welt“, wobei der Autorin der Unterschied von militärgeschichtlichem und historischem Museen ebenso gleichgültig zu sein scheint. Außerdem ist es ein wörtliches Zitat aus der Selbstdarstellung des Museums, also eine völlig unkritisch übernommene Wertung. Der eminent wichtige politische Kontext, in dem das Museum entstanden ist, die Revolution von 1848 und ihre Niederschlagung, werden unterschlagen.
Kurzum, das weite Feld Museumsgeschichte wird in winzige Schrebergärten parzelliert, wobei sich gelegentlich die chronologischen Auflistungen zu bloßen Kalendarien verdünnen. Die Seite 208 beispielsweise ist eine dichte Packung von Namen und Jahresdaten, dennoch wird sie uns als „Exemplarische Übersicht: Kunstmuseen“ zugemutet.
Noch ärgerlicher sind Passagen, die den Leser regelrecht in die Irre führen, wie eine falsche Auskunft einen Städtetouristen. Zwei Beispiele. Das vielgenannte Museion von Alexandria wird von Vieregg als Indiz einer ägyptischen Genealogie des Museums eingeführt (ich zitiere mit ihren Kursivsetzungen): „Auch die europäische Museumsentwicklung ist nicht denkbar ohne den ägyptischen Impuls“, nämlich „ausgehend von der berühmten Bibliothek und dem Forschungsinstitut in Alexandria/Ägypten…“. Nun, Alexandria war eine griechische Gründung und auch zur Zeit der Errichtung des Museion eine griechische Stadt. Museion ist das Wort für eine sowohl mythologische Vorstellung als auch gesellschaftlich-kulturelle Praxis der Formierung eines kollektiven Gedächtnisses. Diese griechische Gedächtniskultur war einzigartig und neu, nichts dergleichen gab es bis dahin in anderen Kulturen, auch nicht in der ägyptischen.
Zweites Beispiel: Dem Königlichen Museum in Berlin lag ein von einer von Wilhelm von Humboldt geleiteten Kommission erarbeitetes Konzept zugrunde. Vieregg fasst dessen Ideen und damit den Zweck des Museums, mit Berufung auf einen Essay von Hermann Lübbe zusammen. Aufgabe des Museums sei „Repräsentation“ gewesen. Das hat Lübbe aber nicht geschrieben und gemeint. Nach den Museumsgründungen der Französischen Revolution ist das Berliner Museum das erste, und darin modellhaft bis heute, daß es als Konzept und Architektur bürgerliche Öffentlichkeit sowohl voraussetzt, anspricht als auch formiert. Das Museum hatte einen, wie es Lübbe nennt, „Staatsnutzen“, aber verstanden als Humanisierung der Nation durch an die Bürger adressierte Bildung und Kunsterfahrung. Das prozesshafte Verständnis von Bildung wird in der Architektur sinnfällig gemacht durch die Inszenierung einer zivilisatorischen Rites de passage, in der man Bau und Sammlungen in einer sorgfältig durchdachten Abfolge von Räumen, Sammlungen und Kunstwerken durchquert hat. Dem öffentlichen und öffentlichkeitsbildenden Zweck kommt das Gebäude schon beim Betreten mit der antike Vorbilder rezipierenden Halle entgegen, die das Scharnier von städtischem und musealem Raum darstellt. Viereggs Hinweis auf die Vorbildlichkeit des römisch-antiken Pantheon für Schinkels Bau ist als pauschal gemeinter falsch, er gilt nur für diesen Raum, die Rotunde und auch da eher für die die antike Form vermittelnden Räume des Museo Pio-Clementino, wo diese pathetische und symbolisch übercodierte Raumform als Sammlungarchitektur verwendet wird.
Die protodemokratischen Elemente sind sowohl im Konzept, das unter Wilhelm von Humboldts Leitung verfasst wurde, unübersehbar, als auch signifikant für die Ideen Schinkels, mit denen erstmals das Ideal des bürgerliche Öffentlichkeit adressierenden und herstellenden Bildungsmuseums einen architektonischen Ausdruck findet. Hier hätte man bemerken können, dass die Anfänge der europäischen Museumsidee als Projekt der Moderne untrennbar mit der Idee der Demokratie verknüpft sind. Die starke und gleich zweimal vorgebrachte Aussage zu Beginn des Abschnitts zur Museumsgeschichte in den USA (S.66), „anders als auf dem europäischen Kontinent waren Museen von Anfang an demokratische Einrichtungen mit einem Bildungsauftrag gegenüber der Öffentlichkeit“, impliziert eine falsche und – wiederum – grob irreführende Schlussfolgerung. Die frühen amerikanischen Gründungen stehen in der Tat mit der Staatengründung in enger Verbindung, aber das vollzieht sich gleichzeitig mit Europa und mit anderen pädagogischen und pragmatischen Zielsetzungen.
Ich breche hier ab. Dem Buch geht jeder Begriff vom Museum ab und auch jeder Versuch, der doch so lohnend wäre, diesen Begriff über die Erzählung der Geschichte der Institution zu entwickeln. Stattdessen werden wir mit unzusammenhängenden, unstrukturierten, widersprüchlichen und oft massiv irreführenden Informationen konfrontiert. Aber auch reichlich mit Leersätzen und Stilblüten („Technikgeschichtliche Museen haben unterschiedliche Leitkonzepte“ (S.236), „Auch das Thema Mensch und Maschine bewegt seit jeher die Museumsgestalter…“ (S.254), „Auch berühmte Architekten haben Museen für Indien entworfen“ (S.84), „Auch im 20. Jahrhundert sorgte der Louvre für Überraschungen – als z.B. 1989 die Pyramide des Grand (sic!) Louvre eröffnet wurde.“ (S.191), „Nach den Erfahrungen mit und in Konkurrenz zu Napoleon erwachte auch in Deutschland und anderen Ländern die Wertschätzung der Kunst.“ (S.193)). Dazu kommen falsche Daten und falsch geschriebenen Namen: Das von Karl Friedrich von (sic!) Schinkel gebaute Museum wird laut ‚Übersicht’ (S.267ff.) 1825/28 eröffnet. Also zwei Mal ? Nein, das richtige Jahr ist 1830. Das Tropenmuseum in Amsterdam wird als Kindermuseum vorgestellt und der Name eines der entwicklungsgeschichtlich bedeutendsten und schönsten Museumsräume, der Grande Galerie des Louvre, wird grausam zu Grand (sic!) Gallery (sic!) verstümmelt.
Ich sagte eingangs, dass die eminente Schwierigkeit der Darstellung einer Museumsgeschichte heute in der Überfülle der Fragestellungen und Phänomene, also in einem enorm differenzierten museologischen Wissen, dessen Verarbeitung einem Einzelnen nicht ehr möglich ist. Die Autorin 'löst' diese durch Ignorieren.
Zum ersten Mal hatte ich bei der Lektüre eines Buchs den Eindruck, dass da jemand im Wissen schreibt, dass er der selbstgestellten Aufgabe nicht gewachsen ist. Ein Blick in die bloß vier Seiten umfassenden ‚Literaturhinweise’ bestätigen den Eindruck. Hier fehlt, mit eher zufällig erscheinenden Ausnahmen, so gut wie alles, was an einschlägiger Grundlagenliteratur und Forschung vorhanden ist. Man kann schon, wie es Hildegard Vieregg gerne tut, auf Studentenarbeiten von Universitäten, auf Zeitungsartikel oder auch mal den Reclam Kunstführer zurückgreifen, aber doch nicht dann, wenn stattdessen ausgezeichnete einschlägige Literatur vorhanden ist. Und nicht dann, wenn man Autoren und Autorinnen wie Grasskamp, Hooper-Greenhill, Minges, Wittlin, Impey, Hudson, Sheehan, Bredekamp, McClellan, Bazin und viele viele andere völlig ignoriert. Wie kann man ein Buch vorlegen, das hinter allem zurückbleibt, was man museologisch und museumsgeschichtlich heute wissen kann? Wie kann man als beruflich in vielen Funktion mit Museumsfragen befasste und vertraute Expertin, so gut wie alle Diskurse negieren ? Wie kann ein renommierter Wissenschaftsverlag ein solches Buch anbieten, noch dazu unlektoriert, mit all den Fehlern, Schlampigkeiten, sachlichen Fehlern und stilistischen Schwächen ?
Das Buch ist eine Zumutung der Autorin und des Verlags.
Hildegard Vieregg: Geschichte des Museums. Eine Einführung. Wilhelm Fink Verlag. München 2008. 343 Seiten
Ein "anderes" Heimatmuseum: Landeck
Heimatmuseen sind beliebt und haben eine schlechte Presse. Was an ihnen kritisiert wird, wird selten zur Grundlage neuer Konzepte. Um so größeres Interesse verdient ein Museum, das sich programmatisch selbst als ein ‚etwas anderes Heimatmuseum’ bezeichnet – das Museum in der Burg von Landeck.
Von so vielen anderen lokalen Museen unterscheidet es sich dadurch, daß es ein einziges Thema zum Leitfaden der Ausstellung macht: die für den Raum Landeck seit Jahrhunderten prägende und meist durch Not erzwungene Emigration.
So erfahren wir hier etwas über die „Schwabenkinder“, Kinder, die von ihren Familien aus wirtschaftlicher Not getrennt wurden und hunderte Kilometer nach Norden wanderten, um als unbezahlte Arbeiter in der Landwirtschaft eingesetzt zu werden. Die unter anderem durch Naturalteilung von Hof und Grund schwindende Existenzgrundlage zwang viele auf Dauer auszuwandern, z.B. in das – oft nur scheinbar – glücksverheißende Amerika, oder nach Peru, das als exotischer Exilort ausführlich thematisiert wird.
Die Erläuterungen zum ‚Schlepperunwesen’ des 19. Jahrhunderts, der organisierten Ausbeutung und Irreführung von Auswanderern, belehrt uns über bis heute andauernde Kontinuitäten im Umgang mit Exilierten.
Besonders sorgfältig werden die „Jenischen“ vorgestellt: Wer Hab und Gut verlor und nicht irgendwohin auswandern wollte oder konnte, verdingte sich als umherziehender Händler, Taglöhner oder Handwerker. Diese heterogene Gruppe depravierter Menschen bildete über eine eigene Sprache so etwas wie Gruppenidentität aus. Das Museum dokumentiert Leben und Sprache der Jenischen in Form eines umfangreichen, in die Ausstellung integrierten und daher jederzeit zugänglichen Archivs, wo man auch als Besucher selbst vertiefende Informationen abrufen kann.
Mit diesem ‚lebenden Archiv’, den Angeboten für Kinder, die viele sichtbare Anreize und Spuren im Museum vorfinden, den interaktiven Stationen, erweckt das Museum zusammen mit der Sammlung einen dem Besucher ‚entgegenkommenden’ Eindruck. Die für all diese Funktionen nötigen Objekte, Texte, Installationen, Geräte und Hilfsmittel verleihen allerdings vielen – ohnehin nicht großen - Räumen etwas Zerfransendes, Unruhiges, bunt Zusammengestelltes. Das Nebeneinander von modernem Design, beeindruckender 3D-Computeranimation, selbstgebastelter mechanischer Krippe, alten Mauern und Fresken, gekonnt programmierten Displays und last but not least, dem, was ein Heimatmuseum eben auszeichnet, Geräten, Geschirr, Werkzeugen, Möbeln, Kleidern usw. ist manchmal zu dicht.
Dazu kommt, daß um das zentrale Thema andere gruppiert werden, wie etwa Zünfte, Gerichtsbarkeit, Religiosität, frühe Industrialisierung, NS-Zeit, so daß das Hauptthema, ohnehin nur fragmentiert erzählbar, auch räumlich fragmentiert präsentiert werden muss. Diese Fragmentierung wird von der labyrinthischen Struktur des Gebäudes verstärkt, gegen die auch das ambitionierte Leitsystem kaum etwas auszurichten vermag.
Macht aber nichts!, fand ich bei meinem Besuch, ich verirre mich gerne und lasse mich überraschen: als ich alles erschöpfend zu sehen geglaubt hatte und den Ausgang suchte, entdeckte ich noch einen Raum. Und dann noch einen, nicht gerade den unwichtigsten, nämlich den mit den ‚kostbarsten’ Objekten, mittelalterlichen Spielkarten, den ältesten des Deutschen Sprachraumes.
Beinahe übersehen hätte ich auch eine kleine ‚Installation’ im Bereich der Treppe, die die wichtige Verknüpfung des zentralen Themas mit der Gegenwart von Stadt und Region leisten soll. In einem Kistchen liegen zur freien Entnahme ‚Ansichts’-Karten auf, grafisch anspruchsvoll gemacht und - die in Österreich der 20er-Jahre erfundene - Methode der Bildstatistik originell nutzend. Hier erfährt man über diverse Statistiken etwas zur Situation von Landeck, seine Bevölkerung, seine Wirtschaft und die immer noch andauernden Probleme einer 'strukturschwachen' Region.
Warum man sich entschlossen hat, ausgerechnet diese wichtige Verknüpfung von Geschichte und Gegenwart nicht in die räumlich-gestalterische Kohärenz des Museums aufzunehmen? Vielleicht wegen der unanschaulichen Abstraktheit heutiger ökonomischer und sozialer Strukturen?
Auch an anderen wichtigen Themen müssen Grafiken, Statistiken und Tabellen herhalten. Die Auswanderung der Schwabenkinder wird anhand einer Statistik veranschaulicht, die als ein Höhenweg über zackige Bergkämme gestaltet ist, der die physische Anstrengung veranschaulichen soll. Die Emigration nach Peru wird von einem Namensverzeichnis der Auswanderer einbegleitet, das so dicht wie auch kaum leserlich aber mit ihrer Botschaft, daß es 'sehr viele' waren, das Ausmaß der Auswanderung zu verdeutlicht.
Mein größter Einwand gilt diesem Scheitern der Visualisierung des Themas. Es gibt viele Informationen, aber als Text und Statistik. Auch die bewährten und sinnvollen Kurzbiografien sind vor allem: Text. Gewiss war es schwierig, ein Thema, das in der überlieferten Sammlung wahrscheinlich kaum repräsentiert war und das viele unanschauliche Aspekte enthält, mit visuellen Mitteln zu kommunizieren. An ein paar Stellen ist das gelungen. Etwas konventionell mit der Aufteilung eines ganzen Ausstellungsraumes in Felder mit Hilfe von Klebebändern, die die Naturalteilung veranschaulicht. Die ‚Grenzstreifen’ gehen mitten durch einen Tisch und durch einen – zweigeteilten – Teller.
Überzeugender der Umgang mit einem – in einschlägigen Museen so beliebten – ‚authentischen’ Interieur einer bäuerlichen Stube. Alles scheint so zu sein ‚wie es immer war’ (ein erwünschter aber täuschender Effekt solcher zumeist hochfiktionalen Environments). Wir betreten die 'gute Stube', als wäre sie von ihren Benutzern eben verlassen worden. Aber die Aussicht aus den zwei Fenstern, die hat man auf einen peruanischen Urwald. Das ist mehr als ein überraschender Gag. Das ist ein kleiner Schock, eine Irritation, über die deutlich wird, daß die Auswanderer ihre gewohnte Welt mit sich nahmen und auch in noch so ferner und exotischer Umgebung an ihr, so weit es möglich war, festhielten. In Zeiten, in denen wir Immigranten weitestgehende Integration und Anpassung abverlangen, erteilt uns der kleine visuelle Kunstgriff eine Lehre und wirft ein Blitzlicht auf ein großes gesellschaftspolitisches Gegenwartsthema.
Das weitgehende Fehlen solcher visueller Argumentationen hat zur Folge, daß das Museum in großen Teilen auf den ersten Blick nicht anders aussieht, als die meisten derartigen Museen. Auch hier findet man – manchmal buchstäblich – zuhauf die ‚üblichen Verdächtigen’ des Reliktfundus der Heimatmuseen. Meist brechen erst Texte (Zitate, Objektbeschriftungen, Computertexte oder Texttafeln) das vertraute Museumsmilieu auf. Das aber nicht immer.
Religion wird mit dichtem Objektarrangement und dichter Objektbetextung, aber ohne jede analytische Distanz vorgeführt – es sei denn, man ist bereit, die Nachbarschaft grimmiger Masken mit der in nazarenischen Unschuldsschlaf gefallenen Heiligen Rosalie von Palermo als bewusste Entscheidung der Ausstellungsmacher und als ironische Brechung zu lesen. Bei der Darstellung der ‚wehrhaften’ Seite Tirols, des Schützenwesens und des Jahres 1809, darf man schon dankbar sein, daß auf allzu pathetisch Rhetorik verzichtet wurde, wenngleich das Objektarrangement von Waffen und Gekreuzigtem den traditionellen Patriotismus wie eh und je bedient.
Der Versuch, in der Burg Landeck ein „etwas anderes Heimatmuseum“ zu errichten und ein tief in unsere Gegenwart hereinwirkendes Thema aufzugreifen verdient Respekt. Meine Kritik richtet sich nicht gegen die anerkennenswerte Ambition. Ich denke aber, dass das Museum ein Beispiel für die Schwierigkeit ist, die besonderen Möglichkeiten des Museums als hybriden Medium gerecht zu werden, das nur im durchdachten Zusammenspiel von architektonischem und sozialem Raum, Exponaten, Zeigemöbeln, Wegführung, Texten uvam. sowie dem flanierenden Besucher glücken kann. Was an manchen Stellen geglückt ist, ist ebenso ermutigend, wie die für ein derartiges Museum ungewöhnliche, sowohl aktuelle als auch sozialpolitisch wichtige Fragestellung.
Samstag, 13. März 2010
Freitag, 12. März 2010
Die Wiederkehr der Musen (Was ist ein Museum 05)
Der Brand der Bibliothek von Alexandria ist als große kulturelle Katastrophe im kulturellen Gedächtnis bis heute fest verankert. Mit der Bibliothek gingen unübersehbar viele einzigartige antike Texte zugrunde. Die Bibliothek gehörte zum Museion, einer fürstlich protegierten Einrichtung, an der Gelehrte alle Arten des Wissens hegten und pflegten. Es war wie frühere Akademien ein Ort der Produktion und des Tradierens, Weiterentwickelns, aber keiner, an dem bloß archiviert wurde. Wie schon andere Museion genannte Stätten vor ihm, wurde auch in Alexandria nicht gesammelt und ausgestellt - es sei denn man bezeichnet eine Bibliothek als Sammlung. Wissen war überwiegend schriftlich fixiertes Wissen, es gab noch keine Gründe, Dinge zum Zweck des Studiums aufzubewahren.
Wir sind also noch immer weit weg vom Museum, wie wir es heute verstehen. Aber warum nimmt dann das Alexandrinische Museion einen derart prominenten Platz unter den 'ersten Museen' ein? Aus einem paradoxen Grund. Weil man (bis heute) so wenig Gesichertes über gerade diese Institution weiß (über ihre Baulichkeiten, Funktionen, Arbeitsweise…), war sie eine ideale Projektionsfläche für spätere Projekte und Phantasmen. Alexandria war eine Projektionsfläche für zwei verschiedene Vorstellungen: dem Museion als Musenort im Sinn einer Pflege aller Wissenschaften und Künste (was durchaus in der antiken Tradition lag), aber auch als Ort des Sammelns und Ausstellens.
Diese Idee ist neu und sie formiert sich in Italien, in der Renaissance und im Humanismus. Die Vorstellung von den Musen musste im christlichen Mittelalter nahezu verschwinden, jetzt wird sie wiederbelebt, in der genannten Doppeldeutigkeit. Das 'Museo' des Bischofs, Humanisten und Historikers Paolo Giovio am Comer See, mit dem man die erste fassbare nachantike Verwendung des Wortes Museum - 1739, das Wort wird dann auch an der Villa als Inschrift angebracht -, in Verbindung bringt, ist ein Musenort, ein Ort ihrer Anwesenheit und ihrer Funktion, Wissenschaften und Künste zu protegieren. Es ist aber auch bereits Sammlung - von Antiken - und Ausstellung, in Form eines 'Heroon' oder 'Pantheon'. Nämlich einer Versammlung gemalter Porträts illustrer Männer. Also eine oder die erste Porträtgalerie, die so prominent gewesen sein muß, daß sie bereits zeitgenössisch Nachahmer fand.
Der Begriff 'Museum' (musaeum) strukturiert in der Renaissance soziale und intellektuelle Praktiken des Umgangs mit Wissen. Der Begriff umfaßt zwischen Privatheit und Publizität changierende Möglichkeiten des Umgangs mit (antiken) 'Texten' und 'Resten' im Kontext sozialer Bestimmungen wie 'Prestige', 'Wissen', 'Wahrnehmung', 'Klassifikation' und ist zugleich humanistisch und enzyklopädisch. (Paula Findlen)
Das musaeum des 16. Jahrhunderts rekonstruiert 'klassisches' Wissen, rekonstruiert den 'antiken Text' und sammelt dafür Material - es ist ein vorwiegend archäologisches, um die materielle Überlieferung antiker Reste besorgtes Unternehmen. Insofern es buchstäblich und metaphorisch um die Rekonstruktion von 'Text' geht, geht es auch um (den Beginn der) Geschichtsschreibung, um, Verschriftlichung (und Verbildlichung) als Voraussetzung der Konstruierbarkeit von Geschichte. Das Museum des 16. Jahrhunderts ist ein Ort des 'Studiums'.
Die Wiederentdeckung des Begriffs bezieht sich, das soll festgehalten sein, im Humanismus sowohl auf den den Musen geweihten Ort locus musis sacer, als auch auf die das Museion im Sinne der alexandrinische Bibliothek, also auf eine Institution, die die kulturellen Ressourcen der Gesellschaft sammelt und ordnet.
Die wohl bemerkenswerteste Wiederbelebung der Idee des Museion findet sich ausgerechnet im Zentrum der Christenheit. Die Auffindung des Laokoon 1506 veranlasst Papst Innozenz VII. ihn zusammen mit anderen Antiken im päpstlichen Privatgarten, im Belvedere, aufzustellen. Die Bezeichnung Museum wird hier nicht verwendet, aber die Nutzung des Gartens und die kurz danach in Auftrag gegebene Ausmalung der Stanzen durch Raffael, lassen keinen Zweifel, daß dieser Antikengarten im Belvedere als Museion aufgefasst wurde. Denn unter den großformatigen Fresken nimmt die Darstellung der Musen und Apolls eine hervorgehobene Bedeutung ein und war durch
Wie anderswo, ist es auch hier so, daß sich auf den mythischen Ort Museion die Vorstellung des pastoralen, kontemplativen Naturraumes bezieht, der in den Grotten, Gräbern und Gärten der Renaissance fortlebt (Boboli, Bomarzo, Pratolino).
Daß die Vatikanischen Museen auf das Datum der Einrichtung des Belvedere bezogen vor einigen Jahren ihren 500. Geburtstag feierten, ist indes eine kühne Konstruktion. Die am Beginn des 16. Jahrhunderts aufgestellten Antiken muß man weniger als Sammlung verstehen, denn als Ensemble, mit dessen ikonographischen Bedeutungen die Genealogie und Legitimität der spirituellen und weltlichen Macht des Papsttums untermauert wurde. Eine derart denkmalhafte, repräsentative Funktion hatte eine, ebenfalls römische Zusammenstellung von Antiken, deren Datum ebenfalls heute als ein Ursprungsdatum des Museums gefeiert wird. 1471 stiftete Papst Sixtus IV. (1471-1484) die sogenannten Lateran-Bronzen im Jahr seiner Wahl dem Volk von Rom. Unter anderem einen Dornauszieher, den Bronzekopf des Konstantin und die Lupa Capitolina als ein "Zeugnis altehrwürdiger Tugend und Vortrefflichkeit", das nun "dem römischen Volk" wiedergegeben werde. Auf diese Datum beziehen sich die Kapitolinischen Museen, aber wie für die päpstliche Antikensammlung im Belvedere gilt auch hier, daß diese Stiftung eher den Status einer politisch motivierten Denkmalaufstellung, denn einer Sammlungsgründung hatte.
So wichtig alle die genannten Gründungen sind, die - oft gesehene - Verbindung mit dem modernen Museum sollte man nicht vorschnell herstellen. Mindestens aus drei Gründen: noch ist das Wort Museum eines unter vielen. Zwar wird schon selbstverständlich in der 1553 edierten Beschreibung der (Münz)Sammlung des Goldschmiedes Jacopo Strada (Epitome Thesauri Antiquitatum [...] ex Musaeo Jacopi da Strada [...] ) der Begriff des Museums für eine Sammlung verwendet, aber es gibt sehr viele andere Begriffe. Entweder von der Architektur hergeleitet, wie Galerie oder Kammer, oder von der Funktion und dem Inhalt, etwa wenn mit "Wunderkammer" der Modus der Wahrnehmung, Neugier und Staunen, hervorgehoben werden.
Zweitens existiert die uns vertraute Vorstellung von der Dauerhaftigkeit der Salbung als Ganzes nicht und auch nicht der einzelnen Dinge. Objekte, z.B. wie das für Objekte der Schatzkammer der Habsburger sehr früh testamentarisch verfügt wurde, als nicht veräußerbar einzustufen und die kommenden Generation zu Bewahrung zu verpflichten, das ist die rare Ausnahme. Sammlungen können veräußert, gravierend verändert, verschenkt oder aufgegeben werden, bei Einzelpersonen zerstreuen sie sich oft mit deren Ableben, transgenerationelle Weitergabe gibt es eher nur bei mächtigen und reichen Familien und Herrscherdynastien. Noch ganz ungewöhnlich ist, daß im 'Erbfall' sich die Gemeinschaft verpflichtet, eine Sammlung im allgemeinen Interesse zu übernehmen und zu bewahren. In Basel geschieht dies etwa mit der des Humanisten Amerbach, wo die Stadt sich verpflichtet, seine Sammlung zu bewahren und zu pflegen.
Also ist eine Vorstellung obsolet, die für das Museum der Moderne zentral ist: die der unabschließbar gedachten Kontinuität. Wenn Museen oder die Museumsgeschichtsschreibung häufig eine lange Dauer der Institution - etwa über die Sammlungsgeschichte - konstruieren wollen, kann man dagegenhalten, daß keine einzige Sammlung des 16. bis 18. Jahrhunderts unverändert erhalten geblieben ist. Die Ambraser Sammlung existiert heute nur noch als Idee und Erinnerung und wird, unter völlig veränderten Bedingungen (soweit sie überliefert ist) in verschiedenen Museen gezeigt. Die erwähnten Antiken des Belvedere bald wieder zu tabuisierten 'heidnischen Göttern'. Man zerstörte sie zwar nicht, ließ sie aber hinter Brettern und Mauern verschwinden, über 200 Jahre lang. Den Bruch, den Aufklärung und Revolution bewirkten, hat keine Sammlung unbeschadet überstanden. Das Museum, das damals entstand, vollzog einen tiefen Paradigmenwechsel. Aber das Wort Museum blieb - mit seiner vielschichtigen Bedeutung - und wurde wichtiger denn je.
Abbildungen: oben die Villa Paolo Giovio am Como See, unten die Vatikanischen Gärten mit dem Belvedere
Wir sind also noch immer weit weg vom Museum, wie wir es heute verstehen. Aber warum nimmt dann das Alexandrinische Museion einen derart prominenten Platz unter den 'ersten Museen' ein? Aus einem paradoxen Grund. Weil man (bis heute) so wenig Gesichertes über gerade diese Institution weiß (über ihre Baulichkeiten, Funktionen, Arbeitsweise…), war sie eine ideale Projektionsfläche für spätere Projekte und Phantasmen. Alexandria war eine Projektionsfläche für zwei verschiedene Vorstellungen: dem Museion als Musenort im Sinn einer Pflege aller Wissenschaften und Künste (was durchaus in der antiken Tradition lag), aber auch als Ort des Sammelns und Ausstellens.
Diese Idee ist neu und sie formiert sich in Italien, in der Renaissance und im Humanismus. Die Vorstellung von den Musen musste im christlichen Mittelalter nahezu verschwinden, jetzt wird sie wiederbelebt, in der genannten Doppeldeutigkeit. Das 'Museo' des Bischofs, Humanisten und Historikers Paolo Giovio am Comer See, mit dem man die erste fassbare nachantike Verwendung des Wortes Museum - 1739, das Wort wird dann auch an der Villa als Inschrift angebracht -, in Verbindung bringt, ist ein Musenort, ein Ort ihrer Anwesenheit und ihrer Funktion, Wissenschaften und Künste zu protegieren. Es ist aber auch bereits Sammlung - von Antiken - und Ausstellung, in Form eines 'Heroon' oder 'Pantheon'. Nämlich einer Versammlung gemalter Porträts illustrer Männer. Also eine oder die erste Porträtgalerie, die so prominent gewesen sein muß, daß sie bereits zeitgenössisch Nachahmer fand.
Der Begriff 'Museum' (musaeum) strukturiert in der Renaissance soziale und intellektuelle Praktiken des Umgangs mit Wissen. Der Begriff umfaßt zwischen Privatheit und Publizität changierende Möglichkeiten des Umgangs mit (antiken) 'Texten' und 'Resten' im Kontext sozialer Bestimmungen wie 'Prestige', 'Wissen', 'Wahrnehmung', 'Klassifikation' und ist zugleich humanistisch und enzyklopädisch. (Paula Findlen)
Das musaeum des 16. Jahrhunderts rekonstruiert 'klassisches' Wissen, rekonstruiert den 'antiken Text' und sammelt dafür Material - es ist ein vorwiegend archäologisches, um die materielle Überlieferung antiker Reste besorgtes Unternehmen. Insofern es buchstäblich und metaphorisch um die Rekonstruktion von 'Text' geht, geht es auch um (den Beginn der) Geschichtsschreibung, um, Verschriftlichung (und Verbildlichung) als Voraussetzung der Konstruierbarkeit von Geschichte. Das Museum des 16. Jahrhunderts ist ein Ort des 'Studiums'.
Die Wiederentdeckung des Begriffs bezieht sich, das soll festgehalten sein, im Humanismus sowohl auf den den Musen geweihten Ort locus musis sacer, als auch auf die das Museion im Sinne der alexandrinische Bibliothek, also auf eine Institution, die die kulturellen Ressourcen der Gesellschaft sammelt und ordnet.
Die wohl bemerkenswerteste Wiederbelebung der Idee des Museion findet sich ausgerechnet im Zentrum der Christenheit. Die Auffindung des Laokoon 1506 veranlasst Papst Innozenz VII. ihn zusammen mit anderen Antiken im päpstlichen Privatgarten, im Belvedere, aufzustellen. Die Bezeichnung Museum wird hier nicht verwendet, aber die Nutzung des Gartens und die kurz danach in Auftrag gegebene Ausmalung der Stanzen durch Raffael, lassen keinen Zweifel, daß dieser Antikengarten im Belvedere als Museion aufgefasst wurde. Denn unter den großformatigen Fresken nimmt die Darstellung der Musen und Apolls eine hervorgehobene Bedeutung ein und war durch
Wie anderswo, ist es auch hier so, daß sich auf den mythischen Ort Museion die Vorstellung des pastoralen, kontemplativen Naturraumes bezieht, der in den Grotten, Gräbern und Gärten der Renaissance fortlebt (Boboli, Bomarzo, Pratolino).
Daß die Vatikanischen Museen auf das Datum der Einrichtung des Belvedere bezogen vor einigen Jahren ihren 500. Geburtstag feierten, ist indes eine kühne Konstruktion. Die am Beginn des 16. Jahrhunderts aufgestellten Antiken muß man weniger als Sammlung verstehen, denn als Ensemble, mit dessen ikonographischen Bedeutungen die Genealogie und Legitimität der spirituellen und weltlichen Macht des Papsttums untermauert wurde. Eine derart denkmalhafte, repräsentative Funktion hatte eine, ebenfalls römische Zusammenstellung von Antiken, deren Datum ebenfalls heute als ein Ursprungsdatum des Museums gefeiert wird. 1471 stiftete Papst Sixtus IV. (1471-1484) die sogenannten Lateran-Bronzen im Jahr seiner Wahl dem Volk von Rom. Unter anderem einen Dornauszieher, den Bronzekopf des Konstantin und die Lupa Capitolina als ein "Zeugnis altehrwürdiger Tugend und Vortrefflichkeit", das nun "dem römischen Volk" wiedergegeben werde. Auf diese Datum beziehen sich die Kapitolinischen Museen, aber wie für die päpstliche Antikensammlung im Belvedere gilt auch hier, daß diese Stiftung eher den Status einer politisch motivierten Denkmalaufstellung, denn einer Sammlungsgründung hatte.
So wichtig alle die genannten Gründungen sind, die - oft gesehene - Verbindung mit dem modernen Museum sollte man nicht vorschnell herstellen. Mindestens aus drei Gründen: noch ist das Wort Museum eines unter vielen. Zwar wird schon selbstverständlich in der 1553 edierten Beschreibung der (Münz)Sammlung des Goldschmiedes Jacopo Strada (Epitome Thesauri Antiquitatum [...] ex Musaeo Jacopi da Strada [...] ) der Begriff des Museums für eine Sammlung verwendet, aber es gibt sehr viele andere Begriffe. Entweder von der Architektur hergeleitet, wie Galerie oder Kammer, oder von der Funktion und dem Inhalt, etwa wenn mit "Wunderkammer" der Modus der Wahrnehmung, Neugier und Staunen, hervorgehoben werden.
Zweitens existiert die uns vertraute Vorstellung von der Dauerhaftigkeit der Salbung als Ganzes nicht und auch nicht der einzelnen Dinge. Objekte, z.B. wie das für Objekte der Schatzkammer der Habsburger sehr früh testamentarisch verfügt wurde, als nicht veräußerbar einzustufen und die kommenden Generation zu Bewahrung zu verpflichten, das ist die rare Ausnahme. Sammlungen können veräußert, gravierend verändert, verschenkt oder aufgegeben werden, bei Einzelpersonen zerstreuen sie sich oft mit deren Ableben, transgenerationelle Weitergabe gibt es eher nur bei mächtigen und reichen Familien und Herrscherdynastien. Noch ganz ungewöhnlich ist, daß im 'Erbfall' sich die Gemeinschaft verpflichtet, eine Sammlung im allgemeinen Interesse zu übernehmen und zu bewahren. In Basel geschieht dies etwa mit der des Humanisten Amerbach, wo die Stadt sich verpflichtet, seine Sammlung zu bewahren und zu pflegen.
Also ist eine Vorstellung obsolet, die für das Museum der Moderne zentral ist: die der unabschließbar gedachten Kontinuität. Wenn Museen oder die Museumsgeschichtsschreibung häufig eine lange Dauer der Institution - etwa über die Sammlungsgeschichte - konstruieren wollen, kann man dagegenhalten, daß keine einzige Sammlung des 16. bis 18. Jahrhunderts unverändert erhalten geblieben ist. Die Ambraser Sammlung existiert heute nur noch als Idee und Erinnerung und wird, unter völlig veränderten Bedingungen (soweit sie überliefert ist) in verschiedenen Museen gezeigt. Die erwähnten Antiken des Belvedere bald wieder zu tabuisierten 'heidnischen Göttern'. Man zerstörte sie zwar nicht, ließ sie aber hinter Brettern und Mauern verschwinden, über 200 Jahre lang. Den Bruch, den Aufklärung und Revolution bewirkten, hat keine Sammlung unbeschadet überstanden. Das Museum, das damals entstand, vollzog einen tiefen Paradigmenwechsel. Aber das Wort Museum blieb - mit seiner vielschichtigen Bedeutung - und wurde wichtiger denn je.
Abbildungen: oben die Villa Paolo Giovio am Como See, unten die Vatikanischen Gärten mit dem Belvedere
Dienstag, 9. März 2010
Das Genie kann nicht erklärt werden. Deutungsängste im Zeitalter von CSI
Das Wiener Kunsthistorische Museum widmet einem seiner berühmtesten Gemälde eine eigene Ausstellung: Vermeer. Die Malkunst. Spurensicherung an einem Meisterwerk.
Die Ausstellung beginnt mit einer (Ent)Täuschung, mit einer Replik des Gemäldes (von Sophie Matisse), auf der allerdings die beiden Figuren, der Maler und die Muse, fehlen. Das ist ein kleiner Schock, der allererst mal unsere Wahrnehmungsfaulheit aufstört, ein Versuch, dem Bild, das man im Kopf schon fertig mitgebracht hat, in die Quere zu kommen.
Man hat aber vor diesem fragmentierten Bild beruhigenderweise schon das Original im Blick.
Restauriert und neuerlich mit naturwissenschaftlichen Methoden auf seinen Zustand untersucht. Und von Besuchern umlagert, viele mit einem Audioguide am Ohr, einige ins nicht immer nur kunstbeflissene Gespräch vertieft, manche mit dem Handy, von denen einer mich zum unfreiwilligen Zeugen eines Erbschaftsstreites um ein Haus werden ließ...
Die Zustandsanalyse, die man vorgenommen hat, nachdem das Bild seit Jahrzehnten immer und immer wieder auf Reisen geschickt wurde, scheint einer der Anlässe für die Ausstellung zu sein. Ein zweiter Anlass war möglicherweise eine aktuelle Restitutionsforderung der einstigen Besitzerfamilie, die das Bild zwar an Adolf Hitler verkauft hatte (der es für das Führermuseum in Linz wünschte), aber den Besitzanspruch des Kunsthistorischen Museums derzeit anficht.
Sowohl die Provenienzgeschichte des Werkes (die sich nicht lückenlos rekonstruieren läßt) und der Restitutionsanspruch sind (neutral aber nicht besonders differenziert) dokumentiert, als auch die ‚Reisetätigkeit’ des Gemäldes, die bald nach dessen Aufnahme ins Museum einsetzte. Auf einer riesigen schematischen Landkarte werden die Reisen markiert, auf die man das Bild geschickt hat, ergänzt von einer langen Liste von Entlehnungen. Hier wird ein eher unterschwelliger, normalerweise nicht an das Publikum adressierter Diskurs sichtbar gemacht, in dem sich Restauratoren und Kuratoren gegenüberstehen. Wo letztere – aus verschiedenen Motiven (finanziellen, institutions- oder bildungspolitischen) – das Zirkulieren der Bilder eher fördern, bremsen Restauratoren mit Hinweis auf die Fragilität des Materials.
Das kann bis zu einer Haltung gehen, Werke nur unter restriktiven Auflagen zu zeigen oder überhaupt der Öffentlichkeit im Namen einer unbestimmten Lebensdauer des Artefakts entziehen zu wollen, und nicht immer ist den Beteiligten die Paradoxie einer solchen Haltung bewußt, die den ‚Genuß’ des Werks auf einen nie kalkulierbaren, vielleicht auch nie
eintretenden fernen Tag verlegt.
Der technische Fortschritt, das zeigt die Ausstellung, erlaubt immer feinere Introspektionen, so daß sich auch der Begriff der Beschädigung verändert und bis in die Mikrostruktur der Materialien hinein verschiebt. Man fragt sich, unter welchen Umstanden denn ein Bild noch manipuliert, gezeigt, verliehen werden kann, wenn schon die winzigste Veränderung als für das Werk bedrohlich interpretiert wird. Steht dahinter nicht ein Phantsma einer ewigen Dauer, das uns (im Museum ohnehin) stellvertretend durch die Dauer der Dinge über unsere eigene Endlichkeit hinwegtrösten soll?
Konsequenzen kann ein restauratorischer Befund auch für die Werkdeutung haben. Das Kunsthistorische Museum hat bereits mehrere Ausstellungen ausgerichtet, in denen naturwissenschaftlich fundierte Untersuchungen nicht nur die Basis der restauratorischen
Beurteilung sondern auch neuer Einsichten in den’Sinn’ eines Werkes sein sollten.
Aufgefallen ist mir das zum Beispiel an der Giorgione-Ausstellung, wo viele Röntgenaufnahmen - ähnlich wie die Spurensicherung einer Krankheit beim Menschen – objektivierbare Indizien der Werkinterpretation liefern sollten. Man konnte den Eindruck gewinnen, daß damit die Deutungsoffenheit des Werkes als auch der lebendige und fließende‚ Text’ der Interpretationsgeschichte in den Hintergrund gedrängt werden sollten - zugunsten nur noch derjenigen Befunde, die wie naturwissenschaftlich untersuchte und geprüfte kriminologische Indizien zweifelsfrei ‚feststellbar’ und ‚belegbar’ sind. CSI statt art history?
So vielfältig der konservatorische, historische, zeitpolitische (Restitution) Kontext des Vermeer-Gemäldes auch dokumentiert wird, einschließlich der – charakteristischerweise nur technischen – Produktionsbedingungen, so erstaunlich wenig erfährt man über die Bedeutungen und Bedeutungsgeschichte. Zwar gibt es eine interaktive Station, wo man chronologisch aufgefädelte Äußerungen von Kunst- und Kulturwissenschaftern abrufen kann, aber alle diese Zitate bekräftigen nur den Status des Künstlergenies und des Meisterwerkes und erschließen nichts von den unterschiedlichen Interpretationen. Dort wo die Ausstellung auf die Bedeutungen zu sprechen kommt, verweist sie uns bezeichnenderweise auf ‚Realien’, auf die im Bild dargestellten Objekte, die – als Original oder Replik – gezeigt werden.
Das Wams des Malers, die Trompete der Muse, die Landkarte der Niederlande, das Modell einer Camera Obscura vor einer Puppe des Malers und anderes mehr. Ich habe nicht verstanden, welchen Mehrwert an Einsichten ich gewinne, wenn ich diese Dinge nun nicht auf der Leinwand, sondern dreidimensional, physisch präsent, vor allem aber vereinzelt zu sehen bekomme. Wenn doch deren Bedeutung sich erst im Bild und gemeinsam mit allen anderen Elementen herstellt? Das ‚Reale’ der Dinge ist gerade im Bild und durch ihre Transformation zum Bildgegenstand auf eine andere Weise real, als es diese selbst als haptische Exponate im Ausstellungsraum sind. Während das physische Ding uns durch seine Präsenz eine greifbare Konkretheit zu vermitteln scheinen, löst sich im Bild diese Eindeutigkeit auf, und es beginnt jene offenbar unabschließbare Semiose, die wir im ‚Lesen’ des Bildes immer weiter und weiter treiben und bei dem es nie einen Abschluß, nie Eindeutigkeit gibt.
In Hinblick auf Ausstellungen scheint diese Offenheit der Wirkung von Dingen und damit der ‚Botschaft’ ganzer Ausstellungen schon lange als beunruhigend empfunden zu werden. Produktionsanleitungen und -regeln (wie solche zum Verfassen von Texten), Evaluationen, Motivforschung, empirische Kontrolle des Lernprozesses, alle diese Versuche deuten auf eine Sehnsucht nach Vereindeutigung des vermittelten Sinns hin. In der Vermeer-Ausstellung scheint sich die Sehnsucht auf das Werk auszudehnen. Soll das Beunruhigende, das Verstörende, das Nicht-Fassbare, möglichst vermieden, eingeschränkt werden?
Immerhin öffnet die Ausstellung mit der Konfrontation des Originals mit von ihm inspirierten zeitgenössischen Arbeiten den Deutungsspielraum. Das erwähnte Gemälde, vor dem man als erstem Objekt beim Eintreten in die Schau steht und eine kleine Sammlung weiterer Bilder bzw. Filme – allerdings nicht im Hauptraum – bringen die Assoziationsmöglichkeiten in Bewegeung. Den witzigen Schlußpunkt darf Maria Lassnigs Trickfilm setzen. Mit ihm thematisiert sie das Verhältnis Maler Modell als einen geschlechtspezifischen Beziehungsmodus, an dessen Ende die Umkehrung und damit die der Macht- und Blickverhältnisse stehen: jetzt steht der Maler Modell – nackt – und die Muse sitzt an der Staffelei.
Ungerührt von der Drastik dieses kurzen Films fabuliert der kommentierende Text, den zentralen Witz des Werks ungerührt mißachtend, vom „ewigen Geschlechterkampf". Die Maler – Modell-Beziehung ist ein gut von der Kunstwissenschaft erforschtes Feld und ist auch ein zentrales Motiv (neben vielen anderen) in Vermeers Bild. Warum wird nicht damit gearbeitet? Warum arbeitet man nicht mit den Motiven des Bildes und den wichtigsten Deutungen? Eine Analysis of a Masterpiece, wie der Untertitel übersetzt heißt, das bietet die Ausstellung gerade nicht - beziehungsweise nur in Splittern. Spurensicherung an einem Meisterwerk, der originale Untertitel, passt auch besser zur Haltung der Ausstellung. Es geht nicht nur um die Sicherung des Werkes (die des Stofflichen, durch Restaurierung und Konservierung), es geht auch um das, was sicher gewußt werden kann. Aber Kommunikation mit Kunst entzieht sich dieser Versicherung und läuft immer auch quer zu den oder gegen die institutionell absicherbaren und offiziellen Hinsichten – und auch über das naturwissenschaftlich Feststellbare hinaus.
PS.: Zum Zustand der Ausstellungskritik greife man zur Frankfurter Rundschau. Nicht mal Maria Lassnig ist richtig geschrieben. Dafür gibts ziemlich viel Bewunderungsschwulst für Vermeer. Nüchterner und lesbarer die Kritik in der taz, wo man aber mit der Zugangsweise zum Bild schnell zufrieden ist: "Es scheint, als solle anhand von Vermeers "Ruhm der Malkunst" eine Einführung in kunsthistorische Methodik gegeben werden. Sie reicht von der Bestimmung der Pigmentschichten unterm Mikroskop bis zur Entzifferung des Nachlassinventars. Es werden die zahlreichen im Bild präsentierten Objekte entschlüsselt, die Wandkarte etwa wird minutiös ausbuchstabiert. Nachgeschneiderte Kostüme werden genauso gezeigt wie Peter Greenaways Hommage an Vermeer in seinem Film 'ZOO'."
Sonntag, 7. März 2010
Freitag, 5. März 2010
Mittwoch, 3. März 2010
Die Schweizermacher. Museum und Imagined Community
Die Summe der kollektiven Bedeutungen der Dinge
soll also die Nationalgeschichte ergeben.
Zweifellos ist diese Materie gefährlich;
aus dem Zusammenhang kann eine Logik entstehen,
die im besten Falle eine künstliche Logik, im schlimmsten eine Scheinlogik ist.
Die Geschichte erscheint als eine ”nicht zufällige” Abfolge,
soll also die Nationalgeschichte ergeben.
Zweifellos ist diese Materie gefährlich;
aus dem Zusammenhang kann eine Logik entstehen,
die im besten Falle eine künstliche Logik, im schlimmsten eine Scheinlogik ist.
Die Geschichte erscheint als eine ”nicht zufällige” Abfolge,
die Aufreihung der Gegenstande ergibt ex post eine Sinngebung.
Die Geschichte erhebt sich aus dem verworrenen Handeln der Menschen
und wird zur logischen Geschichte, zur Heilsgeschichte,
wobei dann angenommen wird, der gegenwärtige Zustand sei das Heil.
Lucius Burckhardt: Wie kommt der Müll ins Museum?
Im Winter von 1853 auf 1854 sank der Spiegel mancher Seen der Schweiz derart, daß es zu auffallenden Entdeckungen von “Überbleibseln menschlicher Thätigkeit” kam, z.B. durch Herrn Aeppli, Lehrer in Ober-Meilen beim Zürchersee. Diese Reste, andere wurden im Bielersee entdeckt, wurden als Zeugnisse von im See errichteten Pfahlbausiedlungen einer keltohelvetischen Bevölkerung gedeutet.
Träger dieser Deutung war die junge Wissenschaft Urgeschichte und gelehrte Gesellschaften wie die Antiquarische Gesellschaft Zürich und ihr Präsident Ferdinand Keller, Ehrendoktor der Universität Zürich. Von ihm stammt der erste Bericht über derartige Funde und eine erste Deutung. Man kümmerte sich um die Sicherung der Fundstücke, ihre Aufbewahrung, regte aber auch weitere Untersuchungen an, im Mai 1854 sogar eine Unterwassergrabung im Genfersee, wahrscheinlich die erste derartige Grabung weltweit.
Die nun breiter einsetzende Forschung und Dokumentation, die in die Vorstellung von keltischen Pfahlbausiedlungen mündete, führte zu umfangreicher und privat betriebener Suche nach Funden und einem schwungvollen, von skandalösen Fälschungsfällen begleitetem Handel. Einer dieser Sammler, Friedrich Schwab, beschäftigte Fischer, die in zahllosen Schweizer Seen für ihn ‚auf Jagd‘ gingen. Er baute rasch die größte ‚Pfahlbauern‘sammlung auf, die er 1865 der Stadt Biel schenkte, die für diese Sammlung ein eigenes Museum bauen ließ (1873). Durch die sogenannte Jurakorrektur sank der Seespiegel um zwei Meter und es kam zu weiteren Funden, die die Popularität der Pfahlbauernkultur nur noch steigerte.
Schattenspiele, Historienbilder, historische Umzüge, Festzüge, Festspiele, Historienmalerei, Presseartikel, Kalender und Ausstellungen transportierten den jungen Mythos und die Aufnahme der Pfahlbauten in die Lehrpläne verfestigten das Bild von den Pfahlbauern transgenerationell. Ein nationalstiftender Mythos war geboren. Die krisenhaft ‚multiple’ Identität, die die Schweizer schon lange beschäftigte, war mit einer Wunschabstammung scheinbar wiederhergestellt.
Wichtig war, daß dieser Pfahlbauernmythos sofort visualisiert wurde: Modelle, Stiche, Gemälde, Illustrationen - schon im 1855 gedruckten “Des Volksboten Schweizer Kalender” - regten die Phantasie an. Heute gilt als erwiesen, daß sich diese Rekonstruktionen urgeschichtlicher Siedlungen, Lebensformen und Architekturen nicht so sehr auf den Tatbestand der Funde bezogen, sondern auf ethnologisches Bildmaterial verschiedener Entdeckungen und Expeditionen, z. B. auf Bilder von Siedlungen in Celebes oder Neu-Guinea.
Niemand bezweifelte die Pfahlbautheorie (nur die dauernde Besiedlung der Siedlungen wurde in Frage gestellt) und mit der Verknüpfung der Pfahlbausiedlung mit der Vorstellung einer Urbevölkerung, von der alle Schweizer, ungeachtet ihrer ethnischen oder sprachlichen Besonderheit abstammten, erhielten diese Forschungen unglaubliche Popularität.
Mitte des Jahrhunderts boten die Pfahlbauern, deren Herkunft und Geschichte zwar selbst unklar war, dennoch die Chance eine 'gemeinsame Stammesgeschichte' zu fundieren. Wie wichtig diese Herkunftsgeschichte war, zeigt die Tatsache, daß die Schweiz sich auf der Pariser Weltausstellung 1867 mit einer Ausstellung von Pfahlbaufunden repräsentierte und zwar in einem Teil der Weltausstellung zum Thema “Geschichte der Arbeit”. Man plante sogar im Park der Ausstellung einen Pfahlbau aufzustellen. Die für die Ausstellung angefertigten Historienbilder kamen - als nationales Monument nach Ende der Weltausstellung in das Bundesratshaus. Die erste vom Bund, also durch den Staat erworbene (übrigens durch ein Gutachten von Rudolf Virchow empfohlene) Sammlung der Schweiz war - eine Pfahlbausammlung (1884). Diese Sammlung wurde ebenfalls im Bundesratshaus ausgestellt.
"Die prächtigen Schädel von Auvernier können mit Ehren unter den Schädeln der Kulturvölker gezeigt werden. Durch ihre Kapazität, ihre Form und die Einzelheiten der Bildung stellen sie sich mit den besten Schädeln arischer Rasse an die Seite."
Schon damals gab es Rekonstruktionen der Gesichtszüge von Pfahlbauern aus den Funden, um Ähnlichkeit mit den 'modernen' Schweizern zu bestätigen. 1899 erklärte die Gartenlaube die Auvernier zu Ahnen der Mitteleuropäer überhaupt:
"Dieses Gesicht ist also das älteste Menschenantlitz aus Mitteleuropa, welches wir heute kennen. Es ist breit, hat eine flache Stirn, vorspringende Wangen, kurze etwas aufstrebende Nase, vollen Mund und schwellende Lippen und deutlich markierte Kieferwinkel. Diese Darstellung beruht nicht auf Phantasie, sondern für all diese Merkmale liegen, wie die genannten Forscher sagen, die unverrückbaren Dimensionen in den Knochen, die das Fundament darstellen! Jahrtausende sind ins Meer der Ewigkeit gezogen, seit diese Frau an dem Ufer des Neuenburger Sees lebte, aber ihre Gesichtszüge sind uns nicht fremd, wir sind ähnlichen unter den heute Lebenden schon begegnet, und sie werden sich auch noch viele Jahrtausende hindurch erhalten."
Erst um 1920 wurde die erste wissenschaftliche Kritik am Pfahlbauernmythos entwickelt, und zwar von H. Reinerth, einem deutschen Forscher, der später Leiter des Amtes Vorgeschichte im Amt Rosenberg in der NS-Zeit war. Dieser politische Kontext bewirkte aber, daß die Kritik in der Schweiz nicht aufgegriffen wurde, sondern, im Gegenteil, zur Stärkung des nationalen Selbstbildes, das Pfahlbauerntum ein Revival erlebte. Erneut wurde die Herkunftsgeschichte vom Pfahlbauerntum in den nationalen Diskurs eingefügt, jetzt zur Abgrenzung zum nationalsozialistischen Deutschland. 1937/38 kam es durch neue Funde zur ‚glänzenden Rehabilitierung‘ der Pfahlbauforschung.
1953/54 begann nun auch in der Schweiz eine Debatte um die Pfahlbauforschung, also 100 Jahre nach den ersten Entdeckungen, und führte zu heftigen, nicht bloß wissenschaftsinternen Kontroversen. Selbst die Schweizerische Gesellschaft für Urgeschichte spaltete sich in pro und contra und lancierte konträre Publikationen.
Heute jedoch gilt die Existenz von in Seen errichteten Siedlungen definitiv als widerlegt.
"Gegenstände neigen nur allzu leicht dazu, eine solche (scheinbar zwingende GF) Logik zu erzeugen. Ein schönes Beispiel sind die Pfahlbauer. Sie waren einst der Stolz der Schweizerischen Nationalgeschichte, und es gab kein Schulhaus, in welchem nicht die Bilder vom Alltagsleben der Pfahlbauer hingen: Die Mutter sitzt auf den Brettern vor der Hütte und schaut über den See, ob der Mann schon vom Fischen heimkehrt; die Männer schleppen den erlegten Baren zum Schiff, voller Vorfreude auf die Begrüßung im Pfahlbauerdorf. Die Pfahlbauer waren so schon wie logisch, und als in den dreißiger Jahren deutsche Gelehrte erstmals publizierten, daß es die Pfahlbauer gar nicht gab, führte dies sogar zu diplomatischen Verwicklungen mit der Eidgenossenschaft. Deutlich spürten die Schweizer, daß sich hier die kulturelle Eroberung und Vernichtung ihres Landes vorbereitet: nicht zufällig kam damals auch Hitler zur Macht...” (Lucius Burckhardt: Wie kommt der Müll ins Museum?)
Banken, Staat, Museum. Ein Krisenbild aus Island und ein Beitrag zu kleinen Serie "Gibt es eine Museumskrise oder nicht?"
Vor etwa 10 Jahren wurden Islands Banken privatisiert. Samt deren Kunstbesitz, der also zu diesem Zeitpunkt Gemeinbesitz war. Man verabsäumte, für die tausende von Kunstwerken eine entsprechende Vereinbarung zu treffen. Anders bei der Privatisierung der isländischen Post geschah, wo der Sammlungsbesitz an ein Museum übergeben wurde und anders als es z. B. bei der Privatisierung der Deutschen Post geschah, wo man diese vertraglich sogar zur Weiterführung von drei Museen verpflichtete.
Nun bieten Islands Banken dem Staat dessen ehemaligen Besitz an. Zum Kauf. Jenen Besitz, den sie bei der Privatisierung gratis erhalten haben. Kein Wunder, daß die Öffentlichkeit aufgebracht und das staatliche Kunstmuseum irritiert ist.
Immerhin ist der Vorgang über Island hinaus beispielhaft: es ist ein 'Modell' wie en bloc scheinbar unantastbarer Gemeinbesitz mit einem Federstrich privatisiert werden kann. Die Banken haben Bilder sogar veräußert (allerdings auch welche gekauft).
Was weiter passiert ist offen. Ein Kompromissvorschlag sieht vor, daß die Kunstwerke im Besitz der Banken bleiben solle, aber öffentlich zugänglich gemacht werden muß – am besten in einer der zum Museum umgebauten Banken. Bank wird Museum?
Aldo Keel: Keine kleinen Summen. Der Kunstschatz der isländischen Banken, in NZZ Online, 3.3.2010
Nun bieten Islands Banken dem Staat dessen ehemaligen Besitz an. Zum Kauf. Jenen Besitz, den sie bei der Privatisierung gratis erhalten haben. Kein Wunder, daß die Öffentlichkeit aufgebracht und das staatliche Kunstmuseum irritiert ist.
Immerhin ist der Vorgang über Island hinaus beispielhaft: es ist ein 'Modell' wie en bloc scheinbar unantastbarer Gemeinbesitz mit einem Federstrich privatisiert werden kann. Die Banken haben Bilder sogar veräußert (allerdings auch welche gekauft).
Was weiter passiert ist offen. Ein Kompromissvorschlag sieht vor, daß die Kunstwerke im Besitz der Banken bleiben solle, aber öffentlich zugänglich gemacht werden muß – am besten in einer der zum Museum umgebauten Banken. Bank wird Museum?
Aldo Keel: Keine kleinen Summen. Der Kunstschatz der isländischen Banken, in NZZ Online, 3.3.2010
Montag, 1. März 2010
Dracheneier und Phönixfedern. Alberto Manguel (Das Museum lesen 03)
Zu meiner Jugendlektüre gehörten die Detektivgeschichten Gilbert Keith Chestertons, die wegen ihres ‚Helden‘, Pater Brown, einem katholischen Priester, berühmt wurden und die verschiedentlich verfilmt und immer wieder im Fernsehen gezeigt wurden. Diesen Pater Brown, der sehr knifflige Fälle in immer erfolgreicher Konkurrenz zur Polizei zu lösen imstande ist, nimmt sich der Schriftsteller Alberto Manguel in seinem wunderbaren Essay zu Sammeln als Modell.
Für die Aufklärung des Todes eines schottischen Lords stehen Pater Brown nur einige Sachen als Indizien zur Verfügung, deren Zusammenhang aber völlig unklar ist. Der ermittelnde Inspektor resigniert: »Keine Anstrengung der menschlichen Phantasie vermag es, Schnupftabak und Diamanten, Wachs und lose Zahnräder in einen Zusammenhang zu bringen«.
Pater Brown schlägt dem verblüfften Inspektor eine Lösung vor: „Der Lord war ein erbitterter Gegner der Französischen Revolution und hatte den Stil der letzten Bourbonen kopiert. Er besaß Schnupftabak, weil dies ein Luxus des 18. Jahrhunderts war, Wachskerzen, weil sie zur Beleuchtung dienten, die Metallteile, weil Ludwig XVI. ein Hobbymechaniker gewesen war, und die Edelsteine verwiesen auf das Brillanthalsband der Marie Antoinette.“
Aber Pater Brown treibt nur ein Spiel, er entwirft immer neue Spekulationen, unter welchen Bedingungen diese Dinge einen gemeinsamen Sinn ergeben könnten. Was uns Manguel zu bedenken gibt ist, daß wir bestrebt sind Ordnung zu stiften, daß diese Ordnung bis zu einem gewissen Grad willkürlich und „nie unschuldig“ ist. Und, daß es viele Möglichkeiten gibt, den Dingen eine sie Bedeutung zu geben.
Auch „Ostereier des Patriarchen von Jerusalem, zwei Federn vom Schweif des Vogels Phönix, ein Dodar von der Insel Mauritius, der ob seiner Korpulenz des Fluges nicht fähig ist und Messingkugeln zum Wärmen der Hände für Nonnen“ bilden offenbar keine sinnvolle Einheit, aber alle diese Dinge fanden sich einmal in einer Sammlung - der der Tradescants.
Man muß nicht ins 16. und 17. Jahrhundert zurückgehen, in die Zeit der Kunst- und Wunderkammern, um wunderliche Dingwelten zu finden, wie etwa 'Thomas Manns Taufkleid, die Totenmaske von Brecht, Röntgenbilder von Erich Kästner, ein Diktiergerät von Hans Blumenberg oder eine Gabel, die angeblich Franz Kafka gehörte'. Das alles findet sich im Literaturmuseum der Moderne in Marbach.
Manguel entwirft eine kurze Geschichte der Ordnungssysteme, um seine These zu stützen, daß diese immer auch fragwürdig gewesen seien – bis hin zu den nationalen und öffentlichen Museen der Französischen Revolution, die sich, wie das Musée des Monuments, gerade bezüglich ihrer Willkürlichkeit Kritik von Zeitgenossen gefallen lassen mussten. Das Musée sei, ärgert sich ein Zeitgenosse, »eine Ansammlung von Trümmern und Särgen aus allen Jahrhunderten, zusammengeworfen ohne Sinn und Verstand in den Klosterräumen der Petits Augustins«.
Gerade mit der Entstehung des öffentlichen Museums werde aber jede Zusammenstellung von Dingen zu einer kategorisierbaren Sammlung, deren einzelnen Elemente im Museum zu Repräsentanten eines übergeordneten Sinns werden. „In den Räumen der Winnipeg Art Gallery ist ein Gemälde von Joyce Wieland nicht mehr das Gemälde, das von der Hand der Künstlerin stammt oder das es im Wohnzimmer von Conrad Black geworden wäre, sondern ein ausgewähltes Beispiel für die kanadische Kunst des 20. Jahrhunderts.“
Manguel zieht aus dieser Entwicklung zunächst einen konservativ-elitären Schluß: um Kunstbetrachtung und –genuß zu ermöglichen, müsse man – gegen die ‚kollektive museale Wahrnehmung‘ – wieder den individuellen Zugang in seine Rechte setzen. „Der Museumsbesuch sollte daher eine einsame Angelegenheit sein.“
Die Kernaussage Manguels ist das aber noch nicht. Erst die zurückgewonnene Individualisierung des Museumsbesuchs, erlaube es, ‚in Freiheit‘ gegen die Regeln des Museums zu verstoßen:
Und die Indizien? Und der tote Lord? Pater Brown stellt „die Vermutung an, daß der Lord ein Doppelleben geführt hatte. Als Dieb benötigte er die Kerzen für seine nächtlichen Raubzüge, den Schnupftabak brauchte er, um ihn, wie alle Bösewichte es taten, seinen Verfolgern in die Augen zu streuen, die Diamanten und Zahnrädchen dienten zum Zerschneiden von Fensterscheiben.“
Aber auch damit foppt er nur den Inspektor, denn, so Pater Brown, nur „zehn falsche Theorien erklären das Universum.«
Alberto Manguel: Dracheneier und Phönixfedern oder ein Plädoyer für die Sehnsucht, in: ders.: Im Spiegelreich. Berlin 1999
Für die Aufklärung des Todes eines schottischen Lords stehen Pater Brown nur einige Sachen als Indizien zur Verfügung, deren Zusammenhang aber völlig unklar ist. Der ermittelnde Inspektor resigniert: »Keine Anstrengung der menschlichen Phantasie vermag es, Schnupftabak und Diamanten, Wachs und lose Zahnräder in einen Zusammenhang zu bringen«.
Pater Brown schlägt dem verblüfften Inspektor eine Lösung vor: „Der Lord war ein erbitterter Gegner der Französischen Revolution und hatte den Stil der letzten Bourbonen kopiert. Er besaß Schnupftabak, weil dies ein Luxus des 18. Jahrhunderts war, Wachskerzen, weil sie zur Beleuchtung dienten, die Metallteile, weil Ludwig XVI. ein Hobbymechaniker gewesen war, und die Edelsteine verwiesen auf das Brillanthalsband der Marie Antoinette.“
Aber Pater Brown treibt nur ein Spiel, er entwirft immer neue Spekulationen, unter welchen Bedingungen diese Dinge einen gemeinsamen Sinn ergeben könnten. Was uns Manguel zu bedenken gibt ist, daß wir bestrebt sind Ordnung zu stiften, daß diese Ordnung bis zu einem gewissen Grad willkürlich und „nie unschuldig“ ist. Und, daß es viele Möglichkeiten gibt, den Dingen eine sie Bedeutung zu geben.
Auch „Ostereier des Patriarchen von Jerusalem, zwei Federn vom Schweif des Vogels Phönix, ein Dodar von der Insel Mauritius, der ob seiner Korpulenz des Fluges nicht fähig ist und Messingkugeln zum Wärmen der Hände für Nonnen“ bilden offenbar keine sinnvolle Einheit, aber alle diese Dinge fanden sich einmal in einer Sammlung - der der Tradescants.
Man muß nicht ins 16. und 17. Jahrhundert zurückgehen, in die Zeit der Kunst- und Wunderkammern, um wunderliche Dingwelten zu finden, wie etwa 'Thomas Manns Taufkleid, die Totenmaske von Brecht, Röntgenbilder von Erich Kästner, ein Diktiergerät von Hans Blumenberg oder eine Gabel, die angeblich Franz Kafka gehörte'. Das alles findet sich im Literaturmuseum der Moderne in Marbach.
Manguel entwirft eine kurze Geschichte der Ordnungssysteme, um seine These zu stützen, daß diese immer auch fragwürdig gewesen seien – bis hin zu den nationalen und öffentlichen Museen der Französischen Revolution, die sich, wie das Musée des Monuments, gerade bezüglich ihrer Willkürlichkeit Kritik von Zeitgenossen gefallen lassen mussten. Das Musée sei, ärgert sich ein Zeitgenosse, »eine Ansammlung von Trümmern und Särgen aus allen Jahrhunderten, zusammengeworfen ohne Sinn und Verstand in den Klosterräumen der Petits Augustins«.
Gerade mit der Entstehung des öffentlichen Museums werde aber jede Zusammenstellung von Dingen zu einer kategorisierbaren Sammlung, deren einzelnen Elemente im Museum zu Repräsentanten eines übergeordneten Sinns werden. „In den Räumen der Winnipeg Art Gallery ist ein Gemälde von Joyce Wieland nicht mehr das Gemälde, das von der Hand der Künstlerin stammt oder das es im Wohnzimmer von Conrad Black geworden wäre, sondern ein ausgewähltes Beispiel für die kanadische Kunst des 20. Jahrhunderts.“
Manguel zieht aus dieser Entwicklung zunächst einen konservativ-elitären Schluß: um Kunstbetrachtung und –genuß zu ermöglichen, müsse man – gegen die ‚kollektive museale Wahrnehmung‘ – wieder den individuellen Zugang in seine Rechte setzen. „Der Museumsbesuch sollte daher eine einsame Angelegenheit sein.“
Die Kernaussage Manguels ist das aber noch nicht. Erst die zurückgewonnene Individualisierung des Museumsbesuchs, erlaube es, ‚in Freiheit‘ gegen die Regeln des Museums zu verstoßen:
„In ihrem Roman Menschenkind Schreibt Toni Morrison: ‚An einen Ort zu kommen, wo man alles lieben konnte, was man wollte - und das Verlangen keiner Erlaubnis bedurfte -, das war die Freiheit.‘ Museen können solche Orte sein, doch kommen sie nicht ohne eine geordnete Struktur aus, denn es liegt im Wesen einer jeden Ausstellung, daß ihr Aufbau, willentlich oder nicht, explizit oder implizit, uns, dem Publikum, einen vorgefertigten Rahmen darbietet, eine ‚geordnete‘ Version des Ausstellungsguts, damit unser Weg durch die Ausstellung einer gewissen Logik folgt. Aber um die Freiheit zu erlangen, die wir brauchen, um die Deutungsklischees zu durchbrechen und die ästhetische Erlebnisfähigkeit wiederherzustellen, die zwangsläufig an der Schwelle zwischen der Bewußtheit und dem Unbewußten liegt, müssen wir die vorgegebene Ordnung verletzen, in Frage stellen. Um Regeln zu brechen, brauchen wir Regeln, und diese liefert uns das Museum.“Das ist eine überraschende Schlussfolgerung. Die Regeln des Museums sind dazu da, um gebrochen zu werden, also auch die Ordnungssysteme, um unterlaufen zu werden. „Jeder Besucher muß sein Drachenei und seine Phönixfeder selbst einfordern. Und die Öffentlichkeit darf nicht als uniforme Masse, als abstrakter Begriff in Erscheinung treten, sondern als heterogene Ansammlung von Individuen, die alle ihre besonderen Sehnsüchte und ihren gesunden, anarchischen Eigensinn in die sorgsam beschilderte Museumswelt hineintragen“, so wie es der von Paul Valery formulierte Spruch tut, der, über dem Musée de l‘ Homme in Paris angebracht, die Besucher mit den Worten empfängt: „Ihr, die ihr eintretet, bestimmt, ob ich Grab oder Schatzkammer bin, ob ich spreche oder schweige. Ihr allein müßt es entscheiden. Tritt nur ein, Freund, wenn du das Verlangen spürst.“
Und die Indizien? Und der tote Lord? Pater Brown stellt „die Vermutung an, daß der Lord ein Doppelleben geführt hatte. Als Dieb benötigte er die Kerzen für seine nächtlichen Raubzüge, den Schnupftabak brauchte er, um ihn, wie alle Bösewichte es taten, seinen Verfolgern in die Augen zu streuen, die Diamanten und Zahnrädchen dienten zum Zerschneiden von Fensterscheiben.“
Aber auch damit foppt er nur den Inspektor, denn, so Pater Brown, nur „zehn falsche Theorien erklären das Universum.«
Alberto Manguel: Dracheneier und Phönixfedern oder ein Plädoyer für die Sehnsucht, in: ders.: Im Spiegelreich. Berlin 1999
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