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Montag, 7. Februar 2011

Entgleitende Bilder. Die Dauerausstellung des Jüdischen Museums der Stadt Wien


Die im Internet zirkulierenden Bilder von der Zerstörung der Hologramme der Dauerausstellung des Jüdischen Museums der Stadt Wien haben ein heftiges Echo ausgelöst. Seit mehreren Tagen werden die das Museum und die Hologramme betreffenden Posts dieses Blogs massenweise abgerufen. An den Reaktionen zeigt sich, daß es nicht bloß um den Abbruch geht, sondern um die Haltung gegenüber einer exzeptionellen Ausstellung und um die zukünftige Ausrichtung des Museums.
Um zu verdeutlichen, worum es geht, worin die Qualität der Ausstellung lag und was auf dem Spiel stehen könnte, veröffentliche ich hier einen Aufsatz der 2004 erschienen ist.
Gottfried Fliedl


Sabine Offe, Gottfried Fliedl

Entgleitende Bilder. Über die Dauerausstellung des Jüdischen Museums der Stadt Wien


Aus: Wiener Jahrbuch für Jüdische Geschichte, Kultur & Museumswesen, Bd.6, Wien 2004. S. 19 – 26
Ungekürzt. Anmerkungsnachweise entfernt.

Das Jüdische Museum in Wien ist eine Zumutung. Es stellt die Erwartungen, die Besucher an konventionelle Ausstellungen herantragen, infrage, es verunsichert sie, es fordert sie heraus. Manche führen das darauf zurück, dass es in der Ausstellung an Informationen, an begleitender Belehrung, an Vermittlung fehle. Tatsächlich aber ist das Jüdische Museum nicht nur das konzeptionell und ästhetisch eindrucksvollste unter Jüdischen und kulturhistorischen Museen überall, sondern auch ein Museum, das sich in besonderem Maße seines Vermittlungsauftrags angenommen hat. Dem sind nicht nur die umfangreichen Programme für Besuchergruppen gewidmet, über die in diesem Heft an anderer Stelle berichtet wird, sondern auf “Vermittlung“ ist auch jedes Detail der Gestaltung der Dauerausstellung angelegt.

Der Begriff “Vermittlung“ ist in den letzten Jahren an die Stelle des herkömmlichen der “Museumspädagogik“ getreten. Vermittlung könnte einen nicht-hierarchischen Prozess bezeichnen, an dem beide Seiten beteiligt sind, Museum und Besucher eine Beziehung aufnehmen mit dem Anspruch wechselseitiger Verständigung und sich der Anstrengung der Verständigung ebenso aussetzen wie der Möglichkeit von Missverständnissen und der Chance der Anerkennung und des Aushaltens von Missverständnissen. Vermittlung, so verstanden, entfaltet sich in der Wechselwirkung von Ausstellungsintentionen und deren Aneignungsweisen durch die BesucherInnen, daran beteiligt sind institutionelle Traditionen, personelle Entscheidungen, Besucherreaktionen, Dinge, Gebäude, Texte. Vermittlung bildet “Mitten“, involviert emotionale ebenso wie kognitive, bewusste ebenso wie unbewusste Erzählungen von Ausstellungsmachern und Ausstellungsbesuchern. Ein Modell solcher Vermittlung für das Lehren und Lernen von Geschichte hat Volkhard Knigge entwickelt. Vermittlung, so Knigge, ist gekennzeichnet von einer „Doppelbewegung“: „Einerseits evoziert der historische Gegenstand [oder das Objekt im Museum, S.O.] etwas am Subjekt, beispielsweise Assoziationen, Erinnerungen und Querverbindungen, Gefühle und Körperzustände. Auf diese Weise vermittelt er Subjekteigenschaften oder setzt er Effekte am Subjekt, die auf ihn selbst verweisen. Diese können sich [...] zu Spuren verdichten, in denen sich Eigenschaften des Vergangenheitsmaterials am Subjekt selbst zum Ausdruck bringen.“ Gemeint sind hier körperlich wie mental erlebte Angst, Schrecken, Mitleid, oder auch positiv identifikatorische Formen des Miterlebens, die als Reaktion auf den "Gegenstand" auftreten können. Andererseis tragen die Subjekte gleichzeitig und gegenläufig ihre „Vorerfahrungen, affektiven Prägungen und (unbewußten) Wünschen“ (Volkhard Knigge) an die Gegenstände der Vermittlung heran. Diese Wechselbewegung kennzeichnet Vermittlung, sie lässt sich als Gegenentwurf zum  kontrollierenden Gestus autoritativer Besucherbelehrung verstehen. Damit verbunden ist das Risiko, dass Besucher und Ausstellende sich in den Ergebnissen solcher Wechselwirkung nicht wiedererkennen, die Ausstellenden ihre Absichten in der Rezeption verfehlt sehen, die Besucher ihrerseits enttäuscht sind, dass ihnen nicht Informationen angeboten werden, die sie getrost und getröstet über die Gewissheiten vermeintlich besser Wissender nach Hause tragen können.

Vielerorts wird in der Diskussion über Museen die “Abwesenheit“ dessen beschworen, was im Museum ausgestellt und nur als “Spur“ in den Dingen, denen es Raum gibt, erhalten scheint. Diese Debatte greift ein festgefügtes Fundament der Museumsarbeit an: die vermeintlich durch originale Gegenstände verbürgte Authentizität von Erfahrungen, eine der durch visuelle Evidenz unbezweifelbar scheinende Gewissheit, die verborgene Macht des Museums bei der Zuweisung von Bedeutungen und Lesarten. Wiewohl alle Museen von dieser Reflexion betroffen sind, scheinen sie weithin in der Praxis resistent gegen derartige theoretische Einsichten. Nur dort, wo der “Gegenstand“ des Museums konfliktreich oder traumatisierend in die Gegenwart hereinragt, stellt sich die Museumsarbeit, etwa in postkolonialen Konstellationen, den neuen Anforderungen. Namentlich die Erschütterung durch den Holocaust, die nachhaltige Beschädigung des mit dem Projekt der Moderne entwickelten Modells der Zivilisierung des Menschen und der damit verknüpften Hoffnungen, stellt auch die traditionellen und konventionellen Formen von Darstellung und Vermittlung in Museen infrage. Es überrascht nicht, dass die seit den achtziger Jahren im deutschsprachigen Raum entstandenen Jüdischen Museen besonders sensibel, facettenreich und innovativ auf theoretische Debatten auch der Museologie reagieren. Sie reagieren darauf, dass Museen es kategorial mit Abwesendem und Fremdgewordenem zu tun haben, mit neuen architektonischen Konzepten und neuen Strategien des Ausstellens und Vermittelns. Diese spiegeln die Ambivalenzen der Aufgabe der Institution: die Geschichte der Juden und deren wechselvolle Entfaltung als Teil europäischer Geschichte seit deren Anfängen zu zeigen, und an die Vernichtung der europäischen Juden im Nationalsozialismus zu erinnern. Anders als etwa in den USA sind Jüdische Museen in Österreich und Deutschland nicht nur Museen, sondern immer auch Mahnmale. Als Museen sind sie Teil einer Institution, die Kontinuität und kulturelles Erbe der bürgerlichen Gesellschaft repräsentiert und in den Dienst der Konstruktion von “kulturellem Gedächtnis“ und Identitätsstiftung stellt. Als Mahnmale hingegen repräsentieren sie nicht die Kontinuität, sondern die fundamentale Erschütterung bürgerlicher Kultur, den Zivilisationsbruch in der europäischen Geschichte im 20. Jahrhundert.

Jüdische Museen sind oft nicht einmal Räume für Dinge, sondern selbst lediglich die Spur einer abwesenden materiellen Überlieferung jüdischer Kultur, die so systematisch vernichtet wurde wie die Menschen. Jede Rekonstruktion und Repräsentation von Geschichte und Kultur der Juden gerät daher in Gefahr, die Geschichte der Vernichtung museal ungeschehen zu machen, Lücken und Leerstellen zu verdecken und zu verstellen. Die Konzeption der Dauerausstellung des Jüdischen Museums in Wien thematisiert diese Ambivalenz von Anwesenheit und Abwesenheit in allen Bereichen der in drei Stockwerken eingerichteten drei Teilen der ständigen Sammlung und in drei unterschiedlichen Formen. Die Vergangenheit/Geschichte wird nicht im Rahmen konventioneller Darstellungsweisen erzählt, sondern Besucher sehen sich der Frage, wie sie zu erzählen und zu vermitteln sei, ausgesetzt. Die Ausstellung wendet sich an BesucherInnen, deren Familienbiographien in verschiedener Weise geprägt sind von NS-Geschichte, in der Mehrheit an Nachkommen der Tätergeneration. Die Besucher Jüdischer Museen sind daher immer schon in der einen oder anderen Weise beteiligt an Auseinandersetzungen über Deutungen und langfristige Folgen dieser Geschichte. Ein Museum wie das Wiener Jüdische Museum kann davon ausgehen, dass BesucherInnen wissen, was geschehen ist, aber es muss auch davon ausgehen, dass jedes Wissen über den Holocaust begleitet wird vom Schatten des Nichtwissens, des Nichtwissenwollens, des Nichtbegreifenkönnens – dem Schatten der Traumatisierung, die der Holocaust auch für die gegenwärtige Kultur Europas bedeutet.

Das Risiko wechselseitiger Missverständnisse geht das Jüdische Museum in Wien nicht nur ein, sondern es zeigt, dass sie unumgänglich, ja vielleicht  sogar wünschenswert sind. Der Imperativ Zachor!, Erinnere Dich!, des religiösen wie säkularen (nationalstaatlichen) Judentums, ist dem gesamten Museum eingeschrieben. Aber anders als im Jüdischen Museum Berlin, in dem die körperliche, kognitive und affektive Gängelung der BesucherInnen durch Architektur und Ausstellung keine Abwege, Umwege, eigenständige Assoziationen und Abweichungen von der großen Museums-Geschichtserzählung vorsieht, belässt es das Wiener Museum bei Angeboten an die Besucher, diesem Imperativ zu folgen.

Bereits im Eingangsbereich das Hauses, der ganz zuletzt gestaltet wurde, erinnert eine Inschrift (deutsch und englisch) an die ermordeten Juden. Die Schrift an der Wand erscheint farbig changierend auf  weißem Grund, sie ist schwer lesbar je nach Beleuchtungssituation und Standort des Lesers, ein Menetekel, das wahrzunehmen den Eintretenden überlassen bleibt. Ebenfalls im Erdgeschoss, im Museums-Café, erinnert eine Tafel an die erste und Eröffnungs-Ausstellung: “Hier hat Teitelbaum gewohnt“. (Felicitas Heimann-Jelinek) Da das “Café Teitelbaum“ dieser Ausstellung den Namen verdankt, verweist die Tafel auf den gegenwärtigen Ort des Lesers als einen Ort, der in der Vergangenheit der eines anderen gewesen ist oder gewesen sein könnte und damit auf Zusammenhänge ebenso wie auf deren Zerstörung. Auch ist die Tafel ein Kommentar zur Selbstmusealisierung des Museums, sie erinnert an die Ausstellung und zugleich an ‚Teitelbaum’, also stellvertretend unter dem einst verbreiteten Familiennamen an die Juden Wiens. Die Bedeutungen verschränken sich, sie zu entziffern bedarf es des Vorwissens, die Cafébesucher können sie im Raum belassen oder sie mitnehmen in den ersten Raum der Dauerausstellung. Dieser ist verbunden mit dem Veranstaltungsraum, der über alle Geschosse reicht und überwölbt wird von einem lichten Zeltsegel und darüber einer Kuppel aus Glas und Eisen.


Die nach oben sich öffnende Bewegung wird verstärkt durch die auf die hellen Wände verstreuten farbenfreudigen Stempelbilder von Nancy Spero, verfremdete Bildzitate: ein Detail des zerstörten Leopoldstädter Tempels (nach einem Foto), die Judenverbrennung in Erdberg (nach der Schedelschen Weltchronik), die Ansicht der (Wiener) Judenstadt (Vogelperspektive), Razzia in der Wiener Kultusgemeinde am 18. März 1938, Lesen der Haggada, Mazzesbacken (nach mittelalterlichen Illustrationen), Gustav Mahler, Tänzerinnen.


Diese Bilder haben keine Ordnung, bilden keine Erzählung, folgen keinem Zeitraster, sondern stellen Einzelheiten, Facetten der Überlieferung vor, können Auslöser für Assoziationen werden. Sie thematisieren Erinnerung in der Gestalt von Vergessenem, von den BesucherInnen nicht oder kaum Bekanntem. Sie drängen ihre Geschichten niemandem auf, aber sie geben sie auch nicht un-vermittelt preis. Wer Näheres erfahren will, muss sich auf die Suche machen.


Die im selben Raum ausgestellte Sammlung von Ritualobjekten aus der Sammlung Berger scheint zunächst noch am ehesten den habitualisierten Erwartungen von Museumsbesuchern zu entsprechen. Sie stehen gereiht und geordnet in Vitrinen, sie sind schön und kostbar. Aber Bibelzitate, die auf das Glas der Vitrinen geklebt wurden, erschweren und verdecken den Blick auf diese Objekte, sie verweisen auf den Vorrang der Schrift gegenüber der Materialität der Dinge im Judentum, sind keine Erläuterung des Gezeigten.


Wer die Sammlungsgegenstände frontal betrachtet, hat im Augenwinkel eine unscheinbare Inschrift, die über Motiv und Geschichte der Sammlung und des Sammlers Auskunft gibt, aber nur wie beiläufig, beiseite gesagt, neben der Vitrine in einer Raumecke angebracht. Es ist eine Widmung des Sammlers, gerichtet an seine ermordete Familie. Vielleicht führt diese Beiläufigkeit dazu, dass Besuchern  erst nach dem Verlassen des Museums, aber umso jäher, das Erschrecken widerfährt über die Ungeheuerlichkeit des Geschehenen mitten im Glanz der Schönheit der Dinge und Bilder dieses Raumes – erzwungen wird dieses Erschrecken nicht.

Wenn Museumsbesucher den großen Saal im zweiten Stock des Museums betreten, scheint dieser zunächst leer, falls nicht Sonderausstellungen diesen beabsichtigten Eindruck der Leere verstellen. In der Mitte des Raums wurde ein Karree von Stelltafeln errichtet, die zum Saal hin transparent wirken wie aus Glas. Begibt sich der Besucher in den von den Tafeln gebildeten Innenraum sieht er sich jedoch umgeben von Bildern, denn die gläsernen Tafeln sind Hologramme. Nach Maßgabe der Position, die der Besucher einnimmt, scheinen auf jeder Tafel Bilder auf, die - wie ephemere Dias - Fragmente ehemaligen Wiener jüdischen Lebens zeigen, eine Straßenansicht der Leopoldstadt, ein Porträt von Theodor Herzl, Ritualobjekte, Industrieerzeugnisse, alltägliche Gegenstände, - und sie verschwinden wieder, wenn der Besucher weiter geht, sich bückt oder reckt.


„Das Medium der Transmissionshologramme thematisiert (das) Verschwinden, thematisiert, dass sich Geschichte uns entzieht. Darüber hinaus stellt es den absoluten Ausgangspunkt des historischen Objekts ebenso in Frage in Frage wie das Konzept einer ‚wahren’ historischen Rekonstruktion. Keine Ausstellung kann deutlich machen, was österreichisch-jüdische Geschichte in ihrem ganzen Ausmaß tatsächlich war.“ (Felicitas Heimann-Jelinek) Das ‚Verschwinden’, das Ephemere der ‚Bilder’ des Hologramms verweigert auch eine phantasmatische an das Museum gerichtete Erwartung: dass es durch dauerhafte Sicherung, Fest-Stellung von Dingen dauerhaft Erinnerung sichern und aufbewahren könnte.


Jeglicher ‚Feststellung’ entzieht sich auch die Gestaltung des Raumes, die der Architekt  Martin Kohlbauer entwickelt hat. Sein Wohnliches und Inwendiges wird zum Kippen gebracht, wenn man den durch die Hologramme gebildeten Raum betritt, einen in den Parkettfußboden eingelassenen gepflasterten Platz. Dieser ist ein Innenraum, der einen Außenraum in einem Interieur bildet, ein Platz, dem die fließenden Bilder der Hologramme keine feste Begrenzung verleihen, der weniger durch die Sammlung von Bildern, sondern durch das Sich-Sammeln der Besucher definiert zu sein scheint. Selbst das memoriale Zeichen, das auf fast keinem Platz fehlen darf, bietet hier trotz seiner monumentalen Festigkeit nur neue Ambivalenzen. Der aus der  Mitte des Gevierts gerückte Block – der die Form- und Gedächtnisgelegenheit des Denkmals evoziert -  trägt eine Tafel mit einem der ältesten Aufzeichnungsmedien, eine chronologische Liste. Doch aus der lakonischen Aufzählung von zwischen 903 und 1994 ausgespannten Daten lässt sich keine zusammenhängende Erzählung rekonstruieren. Die räumliche und thematische Inszenierung der Hologramme stellt keinen Zusammenhang her, vielmehr sagen sie etwas aus über das Fehlen solchen Zusammenhangs, über die Abwesenheit der vernichteten Wiener jüdischen Kultur vor 1938, die sich dem Besucher nicht zu schönen Erinnerungsbildern verklärt. Die Hologrammbilder dieser Kultur reagieren auf seinen Blick, seine jeweilige und gegenwärtige Perspektive, tauchen mit diesem auf und verschwinden. Sie vermitteln zwischen dem, was das Museum zeigen und dem, was der Besucher sehen kann und bringen zur Anschauung, dass das Vergangene eine gegenwärtige Konstruktion des Museums und dass der Besucher an dieser Konstruktion beteiligt ist.

Im dritten Stock und im letzten Raum der Dauerausstellung schließlich wurde ein Schaudepot eingerichtet - eine fast den gesamten Raum einnehmende Vitrine, in der Dinge, vor allem Ritualobjekte, stehen. Sie wurden nach ehemaligen Funktionen zu Gruppen weniger geordnet als abgestellt. Es sind Reste von nach 1938 geborgenen aus individuellem und Gemeinde-Eigentum stammenden Gegenständen. Kein Text mit Erläuterungen zu ihrer Herkunft oder Festgebräuchen, zu ihrer Funktion oder ihrem Erhaltungszustand – manche Objekte zeigen Spuren gewaltsamer Deformation - entlastet den Besucher vor dieser so überwältigenden wie bedrückenden Menge von im Museum so offenkundig nutzlosen Gegenständen, die sich in der Menge gegen die Zumutung sperren, "jüdische Kultur" zu repräsentieren. Karg wie die Metallregale, die sie aufbewahren, ist auch das schriftliche Inventar, das bereitliegt und erlaubt, erste Spuren zu diesen Dingen aufzunehmen – mehr nicht. Der Raum und seine spröde Möblierung bilden keine Arche, in der die Gegenstände zur befriedeten musealen Ruhe gekommen wären, mehr einen Transitraum, in dem die Reise des Entzifferns und Lesens erst in Gang kommen muss.

Das Wiener Museum macht keinen Gebrauch von der "Geschichtslosigkeit von Gefühlen" (Werner Hanak), die Besucher werden nicht aufgefordert, sich in die Geschichte hineinzuversetzen, sondern sich bewusst zu werden, dass ihr Blick aus der Gegenwart und von außen auf die Geschichte im Museum gerichtet ist. Der Simulation solcher Gefühle, die andere Museen mit entsprechend aufgeladenen Inszenierungen zu fördern suchen, setzt die Dauerausstellung in Wien das Fremde und Befremdliche von Objekten und Inszenierungen entgegen. Sie verweist auf die Ferne der Vergangenheit und auf die Gegenwart des Museums, die sie zu einer gegenwärtigen Installation von Geschichte aufbereitet. Das Museum verzichtet damit sehr weitgehend auf die vorbehaltlose Ausübung seiner Autorität über Erzählweisen und Bedeutungskonstruktionen, indem es Objekte nicht als fraglose Garanten gesicherter Erkenntnisse präsentiert, sondern als Symbolisierungen, an denen Fragen und Antworten, vielleicht jede Sprechfähigkeit, immer wieder abgleiten und neu ansetzen müssen.

Mit diesem Verzicht auf verordnetes Gedenken und identifizierende Nachempfindung geht das Wiener Jüdische Museum einen Weg der Vermittlung, der Besucher auch irritieren und verunsichern kann. Dies geschieht gerade dort, wo dem Museum konventionell eine seiner vorrangigen Aufgaben, nämlich kollektive wie individuelle Identität zu verbürgen, zugemutet wird. Im Wiener Jüdischen Museum verweigert die Gestaltung und Inszenierung auch hier jede beruhigende oder abschliessende Gewissheit. So wurden zwei Hologrammstelen aus dem Geviert der übrigen Bildträger in einer Weise herausgerückt, dass sie eine Art Tor bilden. Sie zitieren und suggerieren die traditionelle Bedeutungsanmutung einer architektonischen Würdegeste, eine achsial-symmetrisch geordnete und hierarchisch gesteigerte Anlage. Doch diese Geste wird durch die Wahl der Bildsujets und deren Konfrontation unterminiert: Die Hologrammbilder von Israel- und Österreichfahne, mit Judensternen bedruckter Stoff und zwei Zitate von Jean Améry werden ineinandergespiegelt. Die Zitate sind Sätze über Identität und Heimat und über als Nummer tätowierte Identität, die ihre Träger zur Vernichtung bestimmte. Diese Spiegelung spiegelt und spielt mit der Ungewissheit und Gefährdung von individueller, nationaler, kollektiver “Identität“ und deren Fixierung in Bildern, Texten, Dingen. Sie spiegelt keine Ähnlichkeiten zwischen dem, was sie zeigt und den BesucherInnen, diese können sich darin nicht erkennen. Diese verweigerte Identifizierung wirkt zurück auf die Besucher als Infragestellung der eigenen individuellen und kollektiven Selbstgewissheit, als Kippen der Identität im Blick auf kippende Identitätsprojektionen in den Hologrammbildern.

Hologramme sind keine Mahnmale, sie sind Antimonumente in reiner Form: angewiesen auf den Blick der Museumsbesucher und ihre Bereitschaft zu erinnern – sonst findet Erinnerung nicht statt. Die entgleitenden Bilder führen vor, was Erinnerung an das Geschehene nicht einholbar und nicht nachvollziehbar machen kann, sie verknüpfen Wissen und Nichtwissen. Sie bewahren die Erinnerung an Tod und Vernichtung, aber lösen sie zugleich aus der Überwältigung durch den Entzug ihrer Materialität. Die Besucher sehen und erfahren sich als an dieser Vermittlung von Geschichte und Erinnerung Beteiligte, und diese Weise der Vermittlung lässt ihnen auch Raum für die den Rundgang immer begleitende Wahrnehmung der Gegenwart des Hauses, seiner stadtzugewandten Offenheit und Transparenz. Das Museum ist kein statischer Ort der Bewahrung von Vergangenheit, die Spuren und Lebenszeugnisse der ehemaligen jüdischen Bewohner Wiens in den Bildern der Hologramme, die Häuser, Straßen und Plätze Teitelsbaums und anderer ermöglichen die Wahrnehmung der historischen Veränderungen auch des gegenwärtigen Raumes. Vom Museum ausgehend, kann sich der Blick auch auf die kollektiven und individuellen Geschichten in dieser Stadt, auf die vergangene Geschichte der Interaktion von Juden und Nichtjuden und auf deren Bedeutung für die heutigen Bewohner oder Reisenden, also die Museumsbesucher selbst, verändern.

Die im doppelten Wortsinne reflektierende/reflexiveVermittlung von Geschichte im Jüdischen Museum Wien stellt die institutionelle und konventionelle Autorität des Museums infrage, nimmt sie zurück, vermindert sie, und fördert damit neue Wahrnehmungen, die Bereitschaft zum Nachdenken über eigene Positionen. Die Ausstellung gibt die Gegenstände nicht als Geschichten aus, sondern zeigt sie als gegenwärtige Schatten vergangener Geschichte. Diese Geschichte wird nicht durch Anwesenheit, sondern durch ihr Fehlen und Fehl-am-Platz sein im Museum bezeugt und bedarf immer neuer und gegenwärtiger Erzählungen und Aneignung durch die Besucher. BesucherInnen des Jüdischen Museums in Wien haben nach dem Rundgang durch die Dauerausstellung keinen “Gesamtüberblick“ über Geschichte, Religion, Kultur “der Juden“, wie manche ihn von der Ausstellung eines Museums erwarten zu können meinen  – aber sie können erkennen und unterscheiden zwischen dem, was sie im Museum gesehen haben und dem, was wirklich geschehen ist und im Museum keinen Raum finden kann, zwischen dem, was vergangen und dem, was gegenwärtig ist, zwischen dem, was gewusst und dem, was nicht gewusst und vermittelt werden kann. Vermittelt wird ihnen, dass Geschichte und Gedächtnis weder institutionell noch individuell verfügbar sind, dass sie auf ihre Fragen und Nachfragen und die Bereitschaft, sich den Zumutungen des Museums auszusetzen, angewiesen bleiben. Und die Ausstellung verweist sie auf die Möglichkeit, auch solche Fragen zu stellen, die nicht durch Objekte und Informationen als schnelle Antworten zum Schweigen gebracht werden können.

Alle Fotografien: Gottfried Fliedl. Sie können bei Nennung des Namens gerne alle Fotos herunterladen und weiterverwenden.


Siehe auch: Das wahre Bild der Vergangenheit, sowie zum Abbruch der Hologramme ein kurzes Statement und bilder und einen Kommentar von Sabine Offe dazu hier.

Freitag, 4. Februar 2011

Erneuerung durch Zerstörung? "Bedenkenlosigkeit gegenüber ästhetischer, gesellschaftspolitischer und ethischer Verantwortung..."

Die Bilder der Zerstörung der Hologramme aus dem Jüdischen Museum in Wien haben mich empört und entsetzt. Noch die Argumentation der Direktorin, ihr Vorgehen sei technischen Problemen geschuldet (man habe die Hologramme auch für ein Depot nicht erhalten können, denn sie ließen sich nicht auseinanderschrauben!) belegt, wie Gedankenlosigkeit umschlägt in Bedenkenlosigkeit gegenüber ästhetischer, gesellschaftspolitischer und ethischer Verantwortung den Dingen gegenüber, die das Museum bewahrt.
Ich kenne das Wiener Museum seit seiner Gründung, und ich kenne kein anderes, das die besondere Aufgabe Jüdischer Museen so sensibel in die Gestaltung von Dauer- und Sonderausstellungen übersetzt hat. Aufgabe Jüdischer Museen ist es,  Aspekte der Geschichte der Juden auszustellen in den Spuren einer materiellen Überlieferung, die vernichtet werden sollte wie die Menschen. Die Hologramme waren eines der Medien, mit dem das Museum an das, was übrig blieb und an das, was zerstört wurde, erinnern und die Nähe von Erinnern und Vergessen, von Anwesenheit und Abwesenheit im Museum erfahrbar machte und den Besuchern ermöglichte und zumutete, darüber nachzudenken.
Die Zerstörung der Ausstellung und die Verstörung über die uns aus Wien erreichenden Bilder sind auch Zeichen dafür, wie Erinnern und Vergessen dieser Geschichte konfliktreich in die Gegenwart hereinragen. „Neue Wege“ zu gehen hat die neue Direktorin angekündigt. Vielleicht sollte sie den Raum, so wie er jetzt aussieht, für Besucher öffnen und diese fragen, woran diese „Installation“  sie erinnert?
Dr. Sabine Offe, Bremen.
Autorin von "Jüdische Museen in Deutschland und Österreich", Berlin 2000

Institut für Religionswissenschaft
Universität Bremen

Erneuerung durch Zerstörung? Noch eine Stellungnahme.

Da Kommentare zu versteckt sind und mir der von Heidemarie Uhl gewichtig erscheint, veröffentliche ich ihn als eigenen Post.

Danke für diesen Beitrag, auch mich bestürzen diese Bilder - vor allem in Anbetracht der Sorgfalt, die mittlerweile beim Abbau von Ausstellungen üblich ist. So werden etwa die Schauwände der alten Dauerausstellung in der Gedenkstätte Mauthausen, die rein historischen Wert haben, archiviert.
Bei den Hologrammen des Jüdischen Museums handelte es sich allerdings um Objekte von internationalem Rang, sie galten als einer der wichtigsten und innovativsten museologischen Beiträge zur Frage der Darstellbarkeit von (jüdischer) Geschichte im Museum. Ihre Zerstörung könnte man auch als Symbol sehen - soll damit zum Ausdruck gebracht werden, dass sich das Wiener Jüdische Museum aus der Liga der international renommierten (Jüdischen) Museen verabschieden will?

Heidemarie Uhl, Österreichische Akademie der Wissenschaften
Februar 03, 2011

Erneuerung durch Zerstörung? Eine weitere Reaktion.

Die Bilder sind erschreckend. Und Gottfried Fliedl ist zu danken, die Vorgänge sichtbar gemacht und eine Diskussion darüber ausgelöst zu haben - selbst wenn sie nun zu spät zu sein scheint.
Es ist wirklich schwer begreifbar, dass es keinerlei (technische) Möglichkeit gegeben haben soll, die Hologramme zu bewahren. In eine neue Dauerausstellung wären Sie sicher leicht integrierbar gewesen. Eine Aufbewahrung im Depot sollte ohnehin kein Problem dargestellt haben.
Noch im vergangenen Jahr habe ich bei einem Museumsrundgang mit einer Gruppe Schüler/innen erleben können, wie wunderbar sich an die Hologramme Diskussionen über (jüdische) Geschichte und (museale) Repräsentation anknüpfen lassen. Es ist äußerst bedauerlich, dass kommenden Besucher/innen
diese Reflexionsfläche nicht mehr zur Verfügung steht und eine innovative und intellektuell herausfordernde museale Darstellungsform unwiederbringlich vernichtet wurde.   

Priv.-Doz. Mag. Dr. Dirk Rupnow
Institute für Zeitgeschichte
Universität Innsbruck

Erneuerung durch Zerstörung? In eigener Sache.

Die Veröffentlichung der Bilder vom Abbruch der Hologramme im Jüdischen Museum der Stadt Wien, die mir gleich von drei verschiedenen Seiten zugeschickt worden sind, haben eine ungewöhnlich starke Reaktion hervorgerufen.
Der Eintrag wird von weit überdurchschnittlich vielen Lesern aufgerufen.
Mein Vorschlag, Kommentare hinterlassen, wird kaum genutzt. Nach wie vor scheint es schwierig zu sein, zu Museen überhaupt inhaltlich gehaltvolle Diskussionen zu initiieren.
Aber erst bei einem qualifzierten und starken Echo derjenigen, die Museen nutzen, besuchen, oder auch einen professionellen Bezug haben, wird langsam auch für Museen jene kritische Öffentlichkeit entstehen, wie sie für andere kulturelle Bereiche längst üblich ist.
Die Bilder, isoliert publiziert, haben eine gewisse polemische Qualität. Aber zweifellos sind sie mehr als nur die Dokumentation des brachialen Werkens einer Abbruchfirma. Die Reaktionen, die es gibt, zeigen das und ein Mehr an Reaktion würde dazu beitragen, daß Diskussionen von Museen nicht abgewehrt werden, sondern als ein enormes Potential der Reflexion geschätzt würden.
Ich lade weiter ein, Kommentare zu verfassen oder mir zur Veröffentlichung zuzuschicken.
Anonyme Kommentare werde ich nicht mehr veröffentlichen. 

Donnerstag, 3. Februar 2011

Erneuerung durch Zerstörung? Das Jüdische Museum der Stadt Wien vernichtet sein wichtigstes Medium, die Dauerausstellung III. Eine Reaktion

Ein international renommiertes Objekt jüdischer und nicht zuletzt auch der Wiener Gedächtniskultur in tausend Scherben - das weckt unwillkürlich Assoziationen an böse Zeiten. Dass vor einer neuen Dauerausstellung die Entfernung der alten erfolgt, ist verständlich und üblich, allerdings unter Bewahrung der ausgedienten Objekte zumindest im Depot. An die Museumsleitung ist daher zu fragen: War dieser Vandalenakt tatsächlich die einzig mögliche Lösung? Hat man zum Abbau der Hologramme Fachgutachten eingeholt, insbesondere der Firma, die diese vor 17 Jahren errichtet hat? Hat man sich gründlich und ausreichend lange mit alternativen Lösungen auseinander gesetzt? Hat man die Stadt Wien informiert und erfolgte der Abbruch mit deren Zustimmung? Wenn ja, mit welcher Begründung, wenn nein, mit welchen Konsequenzen?
Ich hoffe, diese Fragen werden in den nächsten Tagen von kompetenter Seite beantwortet.

Beste Grüße
Martha Keil

Institut für jüdische Geschichte Österreichs
Dr. Karl Renner-Promenade 22
A-3100 St. Pölten

Erneuerung durch Zerstörung? Das Jüdische Museum der Stadt Wien vernichtet sein wichtigstes Medium, die Dauerausstellung II. Eine Reaktion der Direktorin

Nach einem Mail an Frau Dr. Danielle Spera hat Sie ungewöhnlich rasch reagiert. Hier ohne weiteren Kommentar und ungekürzt mein Mail und die Antwort von Frau Direktor Spera.

Sehr geehrte Frau Direktor!

In den letzten beiden Tagen haben mir mehrere Freunde Fotos vom Abbruch der Hologramme zugeschickt, die nicht nur mich schockiert haben. Ich frage mich, warum die Hologramme überhaupt zerstört werden mussten, wo ihre Deponierung doch keinen großen Aufwand bedeutet hätte und, noch besser, eine weitere Verwendung in anderen Zusammenhängen durchaus denkbar gewesen wäre.

Daß Sie das Museum erneuern wollen, sei Ihnen unbenommen und es wird zu begrüßen sein, wenn an die Stelle des Alten etwas Besseres tritt. Worin dies bestehen könnte, wird aus den mir zugänglichen (Medien)Informationen und der Webseite des Museums noch nicht klar.

Ich war mit vielen meiner Freunde seit der Gründung des Museums der Auffassung, daß die Dauerausstellung eine ungewöhnliche, innovative und weit überdurchschnittliche Lösung für die vielfach schwierige Repräsentation einer Geschichte gefunden hat, deren Spuren gewaltsam zerstört wurden.
Ich möchte nicht so weit gehen, die mir zugesandten Bilder mit dieser Gewaltsamkeit zu assoziieren, aber die rätselhaft überschüssige Aggressivität, die hier manifest ist, und die mir über einen normalen Abbruch hinauszugehen scheint, läßt mich rätseln. Auch ein Museum hat natürlich eine Geschichte, die nicht zuletzt in seinem Interieur, Display, in seiner Gestaltung usw. sedimentiert ist. Eine derart gründliche Zerstörung - richtet sie sich nicht auch gegen das Gedächtnis des Museums selbst?

Ich schätzte das Jüdische Museum immer als einen im europäischen und sogar globalen Maßstab exquisiten Platz einer hochintelligent inszenierten und erzählten Geschichtskultur, und ich frage mich, ob das, was nun vorgeht, als eine 'Abwicklung' anzusehen ist und als Aufgeben einer Haltung, die von höchsten museologischen, geschichtstheoretischen und ethischen Ansprüchen getragen war oder als Aufbruch zu neuen Strategien der Museumsarbeit und, in der neuen Ausstellung, der Repräsentation von Geschichte auf neuem, höherem Niveau. Dies allein könnte das 'Abbruchunternehmen' rechtfertigen.

Ihr

Dr. Gottfried Fliedl
Museologe, Kunsthistoriker, Historiker
Graz


Sehr geehrter Herr Fliedl,

einige Richtigstellungen zu Ihrem Mail.

Zur Sache:
Wir renovieren unser Haus nicht, um eine Dauerausstellung zu vernichten, sondern weil technische Geräte im Haus einer Erneuerung  bedürfen und wir darüber hinaus den Veranstaltungsraum aus dem dafür ungeeigneten Raum im Erdgeschoß in den zweiten Stock verlegen wollen. Klimaanlage und Lifte müssen ersetzt werden, weil sie nur mehr unzulänglich funktionieren und den gesetzlichen Bestimmungen nicht mehr entsprechen. Das Haus musste renoviert werden, sonst wären wir gezwungen gewesen, es zu sperren.

Was die Hologramme betrifft, so haben wir versucht, sie zu erhalten. Wir hatten auch schon eine Vereinbarung mit dem Technischen Museum zur Übernahme einer Glasplatte und darüber hinaus eine konservatorisch fachgerechte Lagerung fixiert. Allerdings stellte sich dann heraus, dass die Glasplatten so verschraubt und verklebt waren, dass die ausführenden Firmen keine Möglichkeit gefunden haben, sie zu demontieren. Dies haben uns mehrere Firmen und ein gerichtlicher Sachverständiger bestätigt. Ganz abgesehen davon, hatten die Hologramme bereits das Ende ihrer Lebensdauer erreicht, die Folien lösten sich ab und es wäre nur mehr eine Frage einer kurzen Zeit gewesen, bis sie nicht verwendbar gewesen wären.

Ich ersuche Sie abschließend, vor einer empörten Reaktion auf Hinweise einer Person aus unserem Haus lieber den fairen Kontakt mit mir zu suchen und zu hinterfragen, ob alle an Sie gelangten Informationen so auch stimmen.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Danielle Spera
Jüdisches Museum Wien|Direktorin   
Dorotheergasse 11
A-1010 Wien
Österreich
Tel:      +431 5350431
Mobil:   +43 699 15205555
e-mail:    danielle.spera@jmw.at
www.jmw.at

Mittwoch, 2. Februar 2011

Erneuerung durch Zerstörung? Das Jüdische Museum der Stadt Wien vernichtet sein wichtigstes Medium, die Dauerausstellung

ACHTUNG! Sie lesen einen der zwar meistabgerufenen, aber ältesten Posts zur Diskussion um das Jüdische Museum der Stadt Wien. Hier finden Sie einen Link zu einer Zusammenfassung der bisherigen Diskussion am neuesten Stand mit zahllosen weiterführenden Links zu diversen Informatione, Kommentaren, Dokumenten.

*

Daß das Jüdische Museum der Stadt Wien seine Dauerausstellung erneuern würde, war schon mit der Bestellung der neuen Leiterin absehbar. Daß es jetzt geschieht, ist nicht überraschend.
Aber wie es geschieht.
Die Fotos, die ich gestern erhalten habe, haben mich schockiert, nicht nur weil sie das definitive Ende der Ausstellung bezeugen. Sondern weil hier eine Destruktivität manifest wird, von der man sich schwer vorstellen kann, daß sie allein der Routine einer Abbruchfirma geschuldet ist.
Man hätte die Hologramme doch sicherlich erhalten, sehr wahrscheinlich auch noch sinnvoll in anderen Zusammenhängen verwenden können.
Auch konsevatorisch sehe ich da kein größeres Problem, die großen Glastafeln sind nicht mal besonders voluminös.
Doch sie einfach zu zertrümmern, in tausend Stücke hauen und auf den Müll kehren?
Das ist schwer verständlich. - Museen gehen heute aus vielerlei Gründen mit alten Ausstellungen pfleglicher um, schließlich bilden sie selbst eine Form des institutionellen Gedächtnisses, das man nicht ohne jedes Bedenken einfach beseitigt.
Und erst recht von einem Jüdischen Museum wäre doch eine besondere Sensibilität erwartbar. Es hütet ein Gedächtnis, das durch Zerstörung unwiderbringlich beschädigt war und von dem es selbst, einschließlich seiner Dauerausstellung und der Hologramme, selbst ein Teil ist.
Genau darin lag ja eine der Leistungen der Hologramme, dies als besonderes Veranschaulichungsmedien mit einzigartigen eigenschaften, zu thematisieren.


Eine Erinnerung an die alte Dauerausstellung hier, Kritik am politischen Umgang mit dem Museum hier und zum früh mit dem Diretionswechsel sich ankündigenden Verschwinden der Dauerausstellung hier.





Zur jüngsten Entwicklung siehe: Jüdisches Museum - CSI übernehmen sie!

Der einfachste Zugang zu allen auf diesem Blog veröffentlichten Informationen ist über den Link "Jüdisches Museum Wien" (links im 'Inhaltsverzeichnis zu finden) möglich.

Ich veröffentliche keine anonymen Kommentare, nur solche, die namentlich gekennzeichnet sind.

Donnerstag, 9. September 2010

Das Jüdische Museum der Stadt Wien. Eine neue Entwicklung oder eine Zeitungsente im Sommerloch?

Das Jüdische Museum der Stadt Wien geistert durch das Sommerloch. In der gestrigen Ausgabe der "Presse" gleich in zwei Varianten. Während die Printausgabe eher in nüchternem Berichtston den Wunsch von Ariel Muzikant (Präsident der Wiener Kultusgemeinde) referiert, das Museum zu verlegen und neu zu bauen, verknüpft die Onlineausgabe den Vorstoß mit derselben Idee des Direktors des Wienmuseum, Wolfgang Kos, auf dem sogenannten Morzinplatz ein Museum zu bauen.
Nur reden die beiden von zwei verschieden Museen, jeder von 'seinem'.
Während aber Wolfgang Kos als Direktor legitimiert und verpflichtet ist, über Perspektiven der Entwicklung des von ihm geleiteten Museums nachzudenken, ist die Wortmeldung eines Präsidenten der Kultusgemeinde eine Intervention.
Die Online-Ausgabe der Presse spitzt diese Tatsache gleich zum Konflikt zu: Die Schlagzeile "Muzicant sorgt sich um Speras Museum" setzt voraus, daß es etwas gibt, worum man sich sorgen machen muß und legt nahe, daß dies etwas mit der Direktorin zu tun hat, die in journalistisch nicht ungewöhnlicher Plakativität gleich als 'Besitzerin' (ihr Museum) apostrophiert wird.
Den beiden Presse-Artikeln ist nur ein Motiv zu entnehmen, warum Ariel Muzkant sich eine Absiedlung und einen Neubau wünscht: Wir haben die zweitgrößte jüdische Sammlung in ganz Europa und haben überhaupt keinen Platz, sie darzustellen." 
Die Art und Weise, wie er sein Anliegen - eine erstaunliche Präjudizierung -, mit einem Urteil über die Leiterin verknüpft, kann man vor dem Hintergrund einschlägiger Gebräuche im Umgang mit Personen und Taktiken, sie zu beschädigen, schwerlich anders als - gelinde gesagt - Warnung verstehen. "Man muss ihr eine Chance geben, neu zu beginnen." Er erwarte "jede Menge Neuheiten" und er habe auch betreffend des Neubaues "volles Vertrauen, dass die Frau Dr. Spera das gut machen wird".
Ariel Muzikants Kompetenz in Museumsfragen muß nicht groß sein, solange er sich nicht derart eingreifend äußert. Seine Maxime, 'die Sammlung muß gezeigt werden' ist an Schlichtheit aber nicht so weit entfernt von jenen Ideen, die Daniel Spera, z.B. in persönlich eingefärbten Interviews und Lifestyle-Magazinen wie nebenbei einflicht. Sie muss, so kurz nach Amtsantritt, noch kein konzises Konzept haben, aber die Äußerungen lassen vermuten, daß das Museum ohne Not seine wesentlichen Qualitäten einbüßen könnte. Beiden, Muzikant und Spera, scheint es nicht sehr viel zu kümmern, was das Museum war und ist, eines der bedeutenden Museen europaweit, und beiden scheint die Verantwortung nicht so ganz bewußt zu sein, nur dann etwas Neues zu machen, wenn es eine neue, über das bisherige hinausreichende Qualität hat.

Mittwoch, 9. Juni 2010

Die Türken in Wien. Eine Ausstellung des Jüdischen Museum der Stadt Wien

„Graz war immer das letzte Bollwerk eines westlichen Europas gegenüber den türkischen Übergriffen“. Dieser 'Sager' des Bürgermeisters der zweitgrößten Stadt Österreichs von 2005 steht in einer sehr langen Tradition - vor allem katholisch und konservativ-nationaler - antitürkischer Politik, die die zweimalige Belagerung Wiens, vor allem die von 1683, für ihre Zwecke instrumentalisiert hat. In meiner Volksschulklasse hing selbstverständlich ein der Bildtafeln, wie sie damals als Unterrichtsbehelf verwendet wurden, die "Türkenbelagerung" dar und der "Heimatkundeunterricht" führte unsere Klasse vor jene noch sichtbare Bresche in der Stadtmauer, wo die türkischen Belagerer am Eindringen in die Stadt gehindert wurden.

Nur vor dem Hintergrund dieses buchstäblich über Jahrhunderte tradierten Topos der "Türken vor Wien", versteht man den Witz, mit dem dem Ausstellungstitel "Die Türken in Wien" eine blitzartige Verschiebung der Perspektive und eine ironische Brechung der uralten Klischees gelingt.

Hinter dem Titel verbirgt sich aber nicht eine Revision verbogener Geschichtsbilder und zählebiger Vorurteile, sondern die penible Rekonstruktion eines Stücks so gut wie vergessener Geschichte. Wien war eine der Endpunkte der Fluchtbewegung der aus Spanien vertriebenen Juden, der Sepharden. Und Wien war eine der Orte, an dem sie sich als Gemeinde etablieren und integrieren konnten und zugleich Bezugspunkt für die anderen sephardischen Gemeinden des Balkan  die eine Brücke für Handel und Kultur zwischen dem Habsburgerreich und dem Osmanischen Reich bildeten.

Was das Museum mit spröden Dokumenten und in wenigen Schauräumen bietet ist mehr als nur eine Dokumentation eines vergessenen Teils der Österreichischen Geschichte. Es ist auch eine Demonstration, was ein Museum auf der Basis wissenschaftlicher Vorarbeit leisten kann. Nämlich buchstäblich das: etwas im Gedächtnis zu behalten, was andernfalls vergessen wäre.

Die Türken in Wien. Jüdisches Museum der Stadt Wien. Bis 31. Oktober

Montag, 29. März 2010

Die Dauerausstellung des Jüdischen Museums Wien wird verschwinden

Die designierte Direktorin des Jüdischen Museums der Stadt Wien, die Fernsehjournalistin und -sprecherin Danielle Spera, die überraschend von den Verantwortlichen einem halben Dutzen hervorragender Museumsexperten und -leiter vorgezogen wurde (s. Blog dazu), ließ im Interview in der von ihr mitbegründetn Zeitschrift NU (Nr. 38; 4/2009) keinen Zweifel an der Aufgabe der Dauerausstellung.
Das ist mir ein ganz großes Anliegen. Eine permanente Ausstellung gehört alle 12 bis 14 Jahren erneuert, das ist also im Jüdischen Museum Wien schon überfällig. Derzeit gibt es die Hologramme. Das war vor circa 20 Jahren State oft the Art, inzwischen ist es überholt. Da wir nicht viel Platz haben, denke ich an eine Multi-Media-Ausstellung. Die kann man auch schnell erneuern. Das ist für mich ein sehr dringendes Projekt. 
An Stelle der alten Dauerausstellung denkt sich Frau Spera eine Multimediaausstellung, die könne man schnell erneuern, an Übernahmen von Ausstellungen wie "Koscher & Co." mit Begleitveranstaltungen wie "Kochkurse, Abendessen, Snackboxen mit koscherem Essen an Schulen".
Dem "Wunsch der Entscheidungsträger" nach vermehrter touristischer Attraktivität, will die Direktorin gerecht werden: "Ich möchte jüdische Pfade einrichten. Das Museum soll im Ausland bekannt gemacht werden. Migranten und ihre Nachkommen sollen sich einen virtuellen Stadtplan erstellen können, auf Spurensuche gehen. Oder prominente, jüdische Persönlichkeiten sollen virtuell durch die Stadt führen ... Es ist mein Ziel, Menschen, die nach Wien kommen, bei der Spurensuche zu helfen, Dazu werden wir alle vorhandenen Quellen brauchen. Und ich möchte unbedingt Schulprojekte initiieren, damit Schüler Fragen stellen."
"Das Jüdische Museum in Wien ist eine Zumutung. Es stellt die Erwartungen, die Besucher an konventionelle Ausstellungen herantragen, infrage, es verunsichert sie, es fordert sie heraus", hatten Sabine Offe und ich als ersten Satz in unserer Analyse und Würdigung der Dauerausstellung geschrieben. Die Sprödigkeit, der Anspruch, die Herausforderung des Konzepts war schon oft Anlaß des Widerspruchs und der Verstörung. Die Kuratorin der Ausstellung, Felicias Heimann-Jelinek, ließ nie einen Zweifel daran, daß Popularität, Besucherfreundlichkeit, narrative oder mediale Attraktivität, nicht ihr wesentliches Ziel sind. Sie dreht bezüglich der "Besucherfreundlichkeit" die Verantwortlichkeit um: bei einem reflexiven Ausstellungskonzept muß auch der Besucher sich aktiv verhalten, sich einlassen wollen. Denn es wendet sich vor allem an Menschen, die bereit sind, sich verantwortlich der Geschichte zu stellen.
Bei allem Respekt für die Ziele und Vorstellungen von Frau Spera, ihre museologischen Ideen sind dünn und konventionell und fallen weit hinter das Konzept der noch existierenden Dauerausstellung zurück. Selbstverständlich ist es legitim, eine Dauerausstellung zu erneuern. Aber dann muß es ein überzeugendes neues Konzept geben. Nur wenn es besser ist als das alte, ist die Erneuerung vernünftig.

Die Ausstellung gibt die Gegenstände nicht als Geschichten aus, sondern zeigt sie als gegenwärtige Schatten vergangener Geschichte. Diese Geschichte wird nicht durch Anwesenheit, sondern durch ihr Fehlen und Fehl-am-Platz sein im Museum bezeugt und bedarf immer neuer und gegenwärtiger Erzählungen und Aneignung durch die Besucher. BesucherInnen des Jüdischen Museums in Wien haben nach dem Rundgang durch die Dauerausstellung keinen “Gesamtüberblick“ über Geschichte, Religion, Kultur “der Juden“, wie manche ihn von der Ausstellung eines Museums erwarten zu können meinen  – aber sie können erkennen und unterscheiden zwischen dem, was sie im Museum gesehen haben und dem, was wirklich geschehen ist und im Museum keinen Raum finden kann, zwischen dem, was vergangen und dem, was gegenwärtig ist, zwischen dem, was gewusst und dem, was nicht gewusst und vermittelt werden kann. Vermittelt wird ihnen, dass Geschichte und Gedächtnis weder institutionell noch individuell verfügbar sind, dass sie auf ihre Fragen und Nachfragen und die Bereitschaft, sich den Zumutungen des Museums auszusetzen, angewiesen bleiben. Und die Ausstellung verweist sie auf die Möglichkeit, auch solche Fragen zu stellen, die nicht durch Objekte und Informationen als schnelle Antworten zum Schweigen gebracht werden können.
Das war das Resumé, das Sabine Offe und ich zur Bedeutung der Ausstellung zogen. Diese Ausstellung war weit über die eines bestimmten Jüdsichen Museums hinaus ein Modell für die museale Repräsentation von Geschichte, eine - meiner Meinung - herausragende, auch im weiten internationalen Vergleich unikale Antwort auf avancierte theoretische Positionen und museologische Herausforderungen.
 Die Frage ist: wofür wird das zerstört werden? 

Die Zitate zur Dauerausstellung aus: Sabine Off, Gottfried Fliedl: Die Dauerausstellung des Jüdischen Museums der Stadt Wien, in: Wiener Jahrbuch für Jüdische Geschichte, Kultur & Museumswesen, Bd.6, Wien 2004. S. 19 – 26
Abbildung: Eine der 'Erinnerungsspuren' im Erdgeschoss der Dauerausstellung. Nancy Spero.

Dienstag, 8. Dezember 2009

Jüdisches Museum der Stadt Wien - Ein Opfer populistischer Kulturpolitik?

Das Jüdische Museum hat eine neue Leitung. Beworben haben sich unter anderem Hanno Loewy (Korrektur vom 1.3.2011: Wie ich erst jetzt erfahre, bin ich einer "Zeitungsente" aufgesessen. Hanno Loewy hatte sich damals n i c h t beworben. Es tut mir leid, daß man der Berichterstattung der österreichischen Tagespresse so wenig trauen kann.) und Bernhard Purin, beide als Wissenschafter und Museumsleiter hervorragend qualifiziert.
Die Stadt Wien hat sich für eine Nachrichtensprecherin des ORF Fernsehens entschieden. Aus den Zeitungsberichten war nichts über eine Qualifikation für den Job einer Museumsdirektion herauszulesen. Keine Managementerfahrung, keine mit dem Ausstellen, keine einschlägige wissenschaftliche Qualifikation.
Worum es geht, wurde in den ersten Äußerungen auf der Pressekonferenz klar, in der Frau Spera vorgestellt wurde. Es geht um Popularisierung, um mediale Präsenz, um bessere 'Quoten'. Das Museum hat etwa 80.000 Besucher im Jahr und das scheint den Kommunalpolitikern zu wenig zu sein.
Das Museum hat eine der innovativsten Dauerausstellungen, die ich kenne. Es gab hier zahlreiche Ausstellungen, die nicht nur durch die Themenwahl interessant waren, sondern durch ihre Reflexivität. Was theoretisch unter diesem Schlagwort so oft gefordert wird, daß Museen sich der Bedingungen ihrer komplexen Arbeit bewußt werden sollen, ihrer 'Hybridität', um damit praktisch neue Repräsentationsformen zu entwickeln, das galt für viele der Ausstellungen des Jüdischen Museums.
Also warum mißt man Museen immer und immer wieder nur an der Zahl der Besucher und nicht an der - in diesem Fall - überragenden Qualität? Warum kann man nicht ertragen, daß es ein paar Museen gibt, es sind ohnehin so wenige, die intelligente, nachhaltige und innovative Arbeit machen? Warum respektiert man nicht die über viele Jahre hin bewährte kuratorische Professionalität und Erfahrung?

fotos: gottfried fliedl