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Freitag, 13. April 2012

Nach dem Museum... (Weisses Rauschen)

Das jüngst erschienene Buch 'Museum x. Zur Neuvermessung eines mehrdimensionalen Raumes'. Berlin (Panama Verlag) 2011 hat einen originellen 'Abspann'. Jede Autorin, jeder Autor wurden gebeten, kurz zu sagen, was sie denn nach einem Museumsbesuch machen würden. Hier die Antwort von Sharon McDonald.

Ausstellen heißt....




Ausstellen heisst die Harmonie trüben. 
Ausstellen heisst den Besucher in seiner intellektuellen Behaglichkeit stören. 
Ausstellen heisst Gefühle hervorrufen, Wut und das Verlangen noch mehr zu wissen. 
Ausstellen heisst einen spezifischen Diskurs über ein Museum führen, bestehend aus Gegenständen, Texten und Darstellungen. 
Ausstellen heisst Gegenstände in den Dienst einer theoretischen Betrachtung, eines Diskurses oder einer Geschichte stellen und nicht umgekehrt. 
Ausstellen heisst das Wesentliche durch kritische Distanz nahelegen, gefärbt von Humor, Ironie und Spott. 
Ausstellen heisst gegen angenommene Ideen kämpfen, die Stereotypen und die Dummheit. 
Ausstellen heisst gemeinsam eine Erfahrung intensiv leben.

Jacques Hainard

Montag, 9. April 2012

Verwechslung oder Die Macht des Museums (Das Museum lesen 23)

Lászl´Földény: Museum (Der originale Titel ist wegen seiner typografischen Mucken im Blog nicht wiedergebbar). Erschin in: Das diskursive Museum. Ostfildern 2001

Siehe zur 'Illustration' den benachbarten Post.

Dienstag, 14. Februar 2012

Alexander Kluge zum 80. Geburtstag - "Der gärtnerische Umgang mit Zeit" (Das Museum lesen 22)

„Wenn ich „Musealisierung“ richtig verstehe und in diesem Horizont zu interpretieren versuche, wenn ich den Begriff ernst nehme, dann kann es ja nur heißen: Arbeit gegen den Geschichtsverlust.“ - „Das ist das stillschweigende Ideal, das ich habe, wenn ich mir ein Museum als Idee und Praxis vorstelle. Ich sehe darin eigentlich eine kleine Produktionsabteilung, es wird immer ein Betrieb sein, der im Respekt vor Zuschauern, vor Nutzern und eben im Respekt vor den Objekten lebt und von daher natürlich nicht eine Fabrik sein wird, in der alles neu prodzuiert und die alten Dinge zerschlägt, daraus neu macht.“ - „Ich sehe diesen Punkt (des immer wieder durcharbeitens, dieses gründliche aufsammeln, variationsfähig machen, gründlich und langsam erzählen, von dem K. an anderer Stelle spricht und für er die Perestrojika als Beispiel nimmt, mit ihrem Versuch, bürgerliche Aufklärung ‘noch einmal zu machen’. GF) notwendig aufgehoben eigentlich bei denjenigen, die Verantwortung tragen für vergangene, verlorene Objekte, also für die Museen. Es gilt, diese Übersprungsmöglichkeiten bereitzuhalten in den Museen...Es gilt hier...zwei Haltungen gegenüberzustellen: ob ich mich zu meinem Lebenslauf als Zuschauer verhalte oder ob ich mich dazu als Produzent dazu verhalte. Ob ich mich zu der Gesellschaft, in der ich lebe, im Produzentenstatus bewege oder als Zuschauer bewege.“ - „Ich glaube, daß Museumsarbeit, Musealisierung genau der sorgsame Umgang, der gärtnerische Umgang mit Zeit sein sollte und langfristig die Erzeugung von Zeiten, von intensiven, trächtigen, von reichen, erfahrungshaltigen Zeiten bewirkt, jedenfalls bewirken könnte, inmitten eines Getriebes, inmitten gegenwärtiger Emsigkeit und Ruhelosigkeit. So ist es auch in einigen schönen Museen mitten in New York. Sie sind genauso gebaut, daß sie mitten im Zentrum der Stadt Zeitoasen sind. Eigentlich könnte man sie auch wie einen Tümpel, wie ein Wasser, wie einen Teich auffassen: indem man es verweilend ohne Langeweile aushalten kann. Es gibt dazu eine fesselnde Metapher: Solche Teiche können auch sehr schnell zufrieren, dadurch daß z.B. zuviel rundherum musealisiert wird. Wenn eine Stadt zuviele Museen bekommt, z.B. zuviele Veranstaltungen produziert...da können Wirkungen entstehen, die analog zur Natur dazu führen, daß ein Teich, eine Szene, ein Produktionszusammenhang zufriert. Ich habe immer sehr inden Dreißigerjahren, in ferner Zeit, die Mitarbeiter in der Arztpraxis meines Vaters bewundert, die, ohne verpflichtet und aufgefordert zu sein, Strohteile nahmen und im Teich im Garten zwischen das Eis klemmten, so daß die Fische offene Stellen behielten und Luft bekamen. So konnte der Teich nie ganz zufrieren. Sie leisteten hier unbestellte Arbeit...Sie wurden nicht dafür bezahlt...“.

Alexander Kluge: Medialisieren - Musealisieren, in: Wolfgang Zacharias (Hg.): Zeitphänomen Musealisierung. Das Verschwinden der Gegenwart und die Konstruktion der Erinnerung. Essen 1990, S.38f. 

Montag, 30. Januar 2012

Erwartungen ans Museum (Das Museum lesen 22)

Wir erwarten von Museen, daß sie erbaulich sind ohne anmaßend zu sein, bildend ohne pedantisch zu sein, wissenschaftlich ohne elitär zu sein, demokratisch ohne vulgär zu sein. Angesichts dieser konkurrierenden Aufträge verwundert es nicht, daß die Literatur zur Museumskunde voller Zweifel ist über die Legitimität des Museums und voller Widersprüche über seinen Zweck und seine Organisation. Diese Zweifel und Widersprüche sind Zeichen der Unsicherheiten unserer Kultur über sich selbst.  

James J. Sheehan

Sonntag, 29. Januar 2012

Freitag, 16. September 2011

Das Museum bedeutet das Ende der Totenruhe






Die Fotos stammen aus dem Allerheiligenmuseum Schaffhausen, einem typischen 'kulturgeschichtlichen' Museum, in dem es viele sehr unterschiedliche Sammlungen gibt. Vor einigen Jahren hat das Museum in einer Ausstellung und einem Buch " Im Land der Dinge. Museologische Erkundungen) (dem die Fotos entnommen sind), die 'Museologie' des eigenen Museums erforscht und sichtbar gemacht - ein bemerkenswerter Akt der Selbstreflexion der Arbeit, auch als Grundlage veränderter Ausstellungsweisen.
Wie in Schneewittchens Glassarg liegt hier ein "Ahne", allerdings an einem Platz, wo er wie in Verlegenheit oder mit Achtlosigkeit mehr abgestellt als ausgestellt erscheint. Die Präsenz des Todes, die Anwesenheit eines Toten wird gemildert durch die Sterilität und Abstraktheit der Vitrine und ihrer Umgebung, der glatten hellen und gekachelten Mauer. Wir 'vergessen', vom scheinbar wissenschaftlich-dokumentarischen Blick, den das Museum anzunehmen fordert, nicht nur unsere Ängste und Ambivalenzen 'im Angesicht des Todes', wir 'vergessen auch, wie paradox das Ausgraben und Ausstellen Toter ist. Das ist ja eine in jeder hinsicht radikale Inversion dessen, was eine Bestattung bezweckt. Das macht der Satz "Das Ende der Totenruhe" wieder sichtbar.

Dienstag, 13. September 2011

Ort gegen die Vergänglichkeit

,,Ars longa, vita brevis": Museen sind Orte und Horte gegen Vergänglichkeit, Sterblichkeit und Vergeßlichkeit. Hier, wo die Zeit stillsteht und als totgesagte oder totgeschlagene aufbewahrt und aufgebahrt liegt, segnet Kunst das Zeitliche. Auch wenn bereits die Futuristen sie als Friedhöfe, als Stätten nekrophiler Phantasie zu denunzieren trachteten, sind die Künstler und mit ihnen Muse um Muse um Muse nach wie vor begie­rig, im Museum Einlaß zu finden, um Überlebenschancen für ihr Werk zu wahren und Unsterblichkeit ihres Namens zu sichern. Mögen die Museen auch noch so ,,fortschrittlich” sich geben, sie können voran nur gehen im Rückwärtsgang, mit rückwärts-gewandtem Blick: spurensichernd. Darin liegt ihre Idee, die radikal sich nur verwirklichen läßt, wenn das schutzbedürftige Gut dem Menschen vollends entzogen wird.
Timm Ulrichs 


Staub

STAUB
 
In der Vorstellung der Märchenerzähler erwacht Dornröschen nicht mit einer dicken Staubschicht bedeckt; sie haben auch nicht an die finsteren Spinnweben gedacht, die ihr rotes Haar bei der ersten Bewegung zerrissen hatte. Dabei legen sich endlos traurige Staubdecken über die menschlichen Behausungen und beschmutzen sie gleichförmig:als ginge es darum, die Dachboden und die alten Stuben für den bevorstehenden Einzug der spukenden Gespenster und der Larven herzurichten, die sich am wurmstichigen Geruch alten Staubs nähren und berauschen. Wenn sich die dicken Dienstmädchen allmorgendlich mit einem großen Staubwedel oder gar einem elektrischen Staubsaugerbewaffnen, so sind sie sich vielleicht nicht gänzlich im unklaren darüber, daß sie genauso sehr wie die positivsten Gelehrten dazu beitragen, die bösartigen Geister fernzuhalten, denen vor Sauberkeit und Logik ekelt. Eines Tages allerdings wird der Staub, der ja hartnackig ist, wahrscheinlich über die Dienstmädchen siegen und gewaltige Trümmer verlassener Bauten und menschenleerer Lagerhauser überziehen: und in dieser fernen Zeit wird nichts mehr bestehen, was uns vor den Schrecken der Nacht schützt, in deren Abwesenheit wir zu so großen Buchhaltern geworden sind ...

Georges Bataille

Montag, 12. September 2011

Hausmuseum

Hausmuseum
In der Ecke eines leeren Zimmers
trage alle Gegenstände zusammen
deren du im Hause habhaft werden kannst
sei es nun Geschirr
Wäsche
Werkzeug
seien es Bücher oder sonst was
und nach und nach
eins nach dem andern
so wie dir die Dinge in die Hände kommen
hänge sie an den Wänden auf
wie das in Museen Schlössern
Zeughäusern und Kunsthallen üblich ist
Jiri Kolar

Samstag, 10. September 2011

"There is no...." (Das Museum lesen 20)

Von Eilean Hooper-Greenhill gibts ja schon den schönen Satz "There is no essential museum" (Punkt), nur übertroffen von Sharon McDonalds "The museum doesn't exist".
Jetzt mal im Ernst, und das Objekt? "There is no essential truth of the object" (wiederum EHG) und weiter "Their meaning is fluid, changeable, relational and contextual".
Dazu ein echter Haim Steinbach:

Mittwoch, 31. August 2011

"Museum" (Das Museum lesen 19)

Johann Georg Krünitz: Oeconomische Encyclopädie, oder allgemeines System der Land- Haus- und Staats-Wirthschaft, in alphabetischer Ordnung

Museum, das, aus dem Griech. μουσειον bedeutet 1) einen Tempel der Musen. 2) Eine Sammlung von Kunstwerken, öfters auch von Büchern und Naturproducten. 3) Einen Ort, wo man zusammen kommt, um sich mit den Wissenschaften und schönen Künsten zu beschäftigen, daher auch ein Studirzimmer oft ein Museum genannt wird; Mit den Museen in der 2ten und dritten Bedeutung dieses Wortes werden wir es hier vorzüglich zu thun haben, da man jetzt an mehreren Orten dergleichen Anstalten findet.
In so fern man unter Museum eine Sammlung von Kunstwerken versteht, ist es mit Kunstkammer, Kunst=Cabinet, Kunstsammlung zwar mehrentheils als gleichbedeutend zu nehmen, wovon ein eigner Artikel im 55sten Theile dieses Werkes vorkommt. In manchen Fällen schließt das Wort Museum indessen die Kunstsammlungen nur als einen Theil in sich, und in  so fern muß ich mich hier noch besonders damit beschäftigen, vorzüglich auch, da es einige jetzt so weltberühmte Museen gibt, die in jenem Artikel nicht angeführt oder doch nicht beschrieben sind, und die ich nicht übergehen kann. Dahin gehört vor allen Dingen
 I. Das Museum Napoleon zu Paris,
welches vor einigen Jahren noch das Kunstmuseum, Musée des Arts heiß, und im Louvre befindlich ist, und jetzt eine solche Anzahl von Kunstwerken der alten und neuen Zeit enthält, wie man nirgends auf der Erde an einem Orte beysammen findet. Man rechnet nähmlich, nachdem darin alle vor der Revolution zerstreuete öffentliche Kunstwerke zusammen gebracht, und diese durch die in andern Ländern eroberten vermehrt sind, 1390 Gemählde fremder Schulen, 270 aus der alten französischen, und über 1000 aus der neuen französischen Schule; 20,000 Zeichnungen aus verschiedenen Schulen, 4000 Kupferplatten, und 30,000 Kupferstiche, über 150 antike Statuen und eine Menge hetrurischer Vasen, Porphyrtafeln etc. Die bis jetzt dem Publicum geöffnete Gallerie faßt nicht die Hälfte der Kunstwerke, welche die französische Nation besitzt; über 1000 Gemählde stehen zu Versailles und 6 -- 700 im Louvre. Aus diesen letzteren soll eine Commission 15 Gemähldesammlungen auswählen, die in Lyon, Bordeaux, Strasburg, Brüssel, Marseille, Rouen, Dijon, Nantes, Toulouse Genf, Caen, Lille, Maynz, Rennes, und Nancy aufgestellt werden sollen.

Sonntag, 19. Juni 2011

Museum und Warenhaus (Das Museum lesen 18)


Es gibt Beziehungen zwischen Warenhaus und Museum, zwischen den(en) der Bazar ein vermittelndes Glied schafft. Die Massierung der Kunstwerke im Museum nähert sie den Waren an, die, wo sie sich dem Passanten in Massen darbieten, die Vorstellung in ihm wecken, auch auf ihn müsse ein Anteil daran entfallen.

Walter Benjamin: Das Passagen-Werk

Dienstag, 31. Mai 2011

One Truth (Das Museum lesen 17)


The ordinary museum and its representatives simply present one form of the truth. To talk about this museums means speaking about the conditions of truth. It is also important to find out whether or not the fictional museum casts a new light on the mechanism of art, the artistic life, the society. I pose the question with my museum. Therefore I do not find it necessary to produce  the answer.

Marcel Broodthaers

Montag, 14. März 2011

Die Bedrohung der Dinge - Bohumil Hrabal (Das Museum lesen 15)


Herr Kakra ist einer der wunderlichsten unter den wunderlichen Bewohner des Waldes von Kersko, denen der Schriftsteller Bohumil Hrabal, der hier ein kleines Häuschen bewohnte, tatsächlich oder in seinen Phantasien begegnet ist und denen er in seiner Geschichtensammlung “Schneeglöckchenfeste” Denkmäler gesetzt hat.
Herrn Kakra trifft man auf ruhelosen Wanderungen kreuz und quer durch den Wald, von Dorf zu Dorf, auf Allen, Wegen Straßen, vor allem aber zu den Kinos der Gegend. So sammelte er ein enzyklopädisches Wissen, das er dem, der ihm bei seinen scheinbar ziellosen Wanderungen begegnete, als rätselhafte Fragen freimütig anbot. Wer hat den nun in Der Große Dikator neben Charlie Chaplin den Dikator aus Bakterie gespielt. Und Herr Kakra antwortete selbst: “Aber den spielte doch Jack Oakie, das muß jedes kleine Kind wissen…”.
*
“… und heute, als ich Herrn Kakra zum ersten Mal in einem elenden Zustand sah, folgerte ich, daß seine Wege keinen Sinn mehr hatten, daß er nur ging, um irgendwohin zu gehen, daß er nur ging,weil er gehen mußte, weil hier an den warmen Kamin angelehnt zu sitzen untätig leben hieß, und das der Tod war. Herr Kakra winkte mit den über den Knien hängenden Armen ab und sagte ... das geht vorüber, ich habe mich nur erinnert, daß ich einmal ein Jahr lang, aber das ist schon lange her, auch gut gewohnt habe, ich wohnte bei einer schönen Frau, die sah fast wie Maureen O'Hara aus, wir hatten sogar eine schöne Wohnung, in der soviele Möbel und Sachen waren, daß ich davon nach einem einzigen Jahr krank wurde, die Ärzte sagten damals, daß ich im Kopf krank sei, aber woher, ich war nicht krank, ich krankte an den fünfzehn Schränken, ich war von sechsunddreißig Stühlen krank, ich erkrankte schwer an sieben Tischen und Tischlein, sechsundfünfzig Schlüsselchen und Schlüssel hatten mich zu Tode ermüdet, im Kopf steckten mir hundertzwanzig Tellerchen und Teller, fünfzehn Krüge und Sauceschüsseln und Fleischwölfe hämmerten mir auf den Schädel, ich war allein schon deswegen krank, weil wir einen Kühlschrank hatten, aber am meisten krankte ich an den vier Zimmern und an der Küche, an den tausend Gläsern und Gabeln und Messern und Löffeln und Löffelchen, das Badezimmer und die darin hängenden Frottiertücher erschreckten mich zu Tode, wenn ich die Schränke aufmachte, streckten überall Handtücher und Abwischlappen, Damenhöschen und Unterröcke, Hemden und Unterhosen mir ihre unanständigen Zungen heraus, lange Zungen von fünfzig Krawatten, die Blumentischchen und kleinen Vasen in allen Ecken erschreckten mich, weil ich damals keine anderen Sorgen hatte, als so viele Sachen in Gang zu halten, und alle die Sachen waren gegen mich, die Sachen wußten es und ich wußte es von ihnen, und so entschloß ich mich eines Tages und ging fort, weit weg, immer auf einem Weg, es war gleich, auf welchem, wichtig war, daß ich ging, denn je weiter ich ging, desto mehr entfernte ich mich von all dem unmenschlichen Kram ... Und seither, wenn mir in den Sinn kommt, daß ich zurückgehen sollte, gehe ich lieber und gehe, schreite durch die Gegend und den Wald, um nicht dorthin zurückzugehen, um hier zu bleiben, wo ich schon dreißig Jahre lebe, mit zwei Kleiderhaken, an welchen ich mich auch erhängen könnte. Wissen Sie, zweimal hat man mich ins Irrenhaus gebracht, aber ich habe ihnen dort bewiesen, daß sie verrückt sind, und nicht ich. . . Ich sagte, Herr Kakra, ich bin nicht besser dran, ich leide auch unter Möbeln und Kühlschränken und Hunderten von Stühlen und Tischen und Zimmern und Küchen, in welchen ich mit meiner Frau zusammenstoße, wir stoßen uns immer an, obwohl wir so viel Platz haben, aber Herr Kakra, Sie haben sich von den Kanapees und Tischen getrennt, während ich es mir nur vorstellte und nie auch nur versucht habe, wegzugehen, wie Sie. . . Kommen Sie, wir gehen in den Wald und machen einen Halt im Forsthaus, dort wird es lustig sein, ja? Und Herr Kakra, von dem ich jetzt bemerkte, daß er barfuß war, griff hinter sich und zog ein Paar Schuhe hervor, die man Kaminfeger nennt, Schnürschuhe mit rundemeuerten Sohlen, er wickelte sich Stoffetzen um die Füsse und zog die Kaminfeger an und schnürte sie bedächtig …”.

Sonntag, 29. August 2010

Das Museum und seine vergessene Herkunft - Walter Grasskamp (Das Museum lesen 14)

Mir ist es einmal passiert, daß ein Teilnehmer an einem Seminar die gemeinsame Lektüre eines Texte schroff mit dem Hinweis zurückwies, der sei ja schon fast zehn Jahre alt.
Der Text, den ich gerne in Erinnerung bringen möchte (und der, soweit ich sehe, in der museologischen Debatte, selten auftaucht), ist schon dreißig Jahre alt. 
Das Buch von Walter Grasskamp, einem Kunsthistoriker mit journalistischer Berufserfahrung, Museumsgründer und Museumsstürmer, nennt sich im Untertitel eine Sozialgeschichte des Kunstmuseums. (München 1981).
Das Buch ist aber als Kritik der herrschenden (bundesrepublikanischen) Kulturpolitik weit umfassender angelegt und in dieser Hinsicht auch partiell überholt. Auch museologisch hat sich seither unglaublich viel entwickelt und manches, was nicht ganz fugenlos argumentiert ist, läßt sich heute deshalb präziser und differenzierter formulieren.
Das Buch hat auch keine geschlossene 'Erzählung', sondern besteht aus einem Kaleidoskop untereinander verbundener Kapitel, setzt mit museumsgeschichtlichen Ausführunge ein, widmet sich einer - breit verstandenen - Kunst- und Kulturvermittlung, kommt auf eine damals virulente Debatte einer nationalen Kunstgalerie zu sprechen,  auf die Dialektik von Hauptstadt und Provinz sowie auf die "kulturelle Verelendung".
Sicher, der Vorbehalt, das Buch sei ja dreißig Jahre alt, trifft so manche seiner Passagen, aber das Programmatische an ihm und viele Themen sind so wenig erledigt, wie nur etwas. Trotz einer wachsenden museumsgeschichtlichen Forschung mangelt es noch immer eklatant an einer geschichtsbewussten und - wie bei Grasskamp - kulturpolitisch und soziologisch kontextualisierten Museumsdebatte. So reich an Themen, Motiven und Fragen eine rasant bommende Museologie auch ist, es ist eine über weite Strecken geschichtsvergessene Disziplin, erstaunlich angesichts der strukturellen und immanenten Historizität der Institution.
Grasskamp beklagte in der Einleitung zu seinem Buch etwas, was heute so aktuell ist wie je - daß die Museumsverantwortlichen den tiefgreifenden Wandel der Institution nicht beschreiben könnten, weil sie nicht die "Geschichtlichkeit ihrer Institution und ihrer Aufgaben" begriffen. "Ein erstaunlicher Mangel" bei einer institution, "die der Vermittlung von Geschichtsbewußtsein dienen sollte." (...) "Dabei verdiente die Geschichte der Institution durchaus mehr Interesse als die Sammlungen."
In den Kapiteln, in denen die Transformation der fürstlichen Sammlungen in das bürgerliche Museum beschrieben werden, finden sich, trotz einfacher Linienführung der Argumentation, bis heute standhaltende Beobachtungen. Grasskamp hat damit ein Fundament einer (deutschsprachigen) Museumshistoriografie und -soziologie gelegt, deren Anregungen entweder so gut wie nie mehr aufgegriffen oder als fragmentierte Teilprobleme in disziplinärer Arbeitsteilung um ihre Brisanz gebracht wurden. So wie etwa in der Besucherforschung kaum noch ein Bewußtsein von der öffentlichen Funktion von Museen vorhanden ist, um nur ein Beispiel zu nennen.
Man versteht Museen nicht nur nicht ohne deren Geschichte, man kann auch schwer Transformationen ihrer Funktionen und Bedeutungen analysieren, ohne die Geschichtelichkeit der Probleme anzuerkennen. Vor allem aber kann man kaum eine Idee eines wünschbaren und künftigen Museums, es sei denn eine vollkommen dezisionistisch, entwickeln, wenn man sich nicht der Ideen- und Sozialgeschichte des Museums stellt.
Museen "verdanken ihre Existenz der Tendenz aller Systeme, sich selbst am Leben zu erhalten. Sie haben sich längst als Bürokratien verselbständigt und die Zwecke ihrer Arbeit zu bloßen Mitteln ihres Fortbestehens  pervertiert." (Bazon Brock)
Möglich daß der Autor selbst auf das vor so langen Jahren und in einem scheinbar 'fernen' kulturpolitischen Umfeld entstandene Buch nur noch freundlich-skeptisch zurückblickt. Als Kompendium, das das museologische Geschichtsbewußtsein stärkt ist es unbedingt immer noch lesens- und empfehlenswert.

Samstag, 12. Juni 2010

Tod im Museum - Marcel Proust (Das Museum lesen 13)


»Ein Kritiker hatte geschrieben, daß Vermeers Ansicht von Delft (die das Museum im Haag für eine Ausstellung zur Verfügung gestellt hatte), ein Bild, das er (Bergotte. Anm.d.Red.) liebte und sehr gut zu kennen meinte, ein kleines gelbes Mauerstück enthalte, das so gut gemalt sei, daß es für sich allein betrachtet einem kostbaren chinesischen Kunstwerk gleichkomme, von einer Schönheit, die sich selbst genüge. […] Endlich stand er vor dem Vermeer, den er strahlender in Erinnerung hatte, noch verschiedener von allem, was er sonst kannte, auf dem er aber dank dem Artikel des Kritikers zum ersten Mal kleine blaugekleidete Figürchen wahrnahm, ferner, daß der Sand rosig gefärbt war, und endlich auch die kostbare Materie des kleinen gelben Mauerstücks. Das Schwindelgefühl nahm zu; er heftete seine Blicke – wie ein Kind auf einen gelben Schmetterling, den es gern festhalten möchte – auf das kostbare gelbe Mauerstück. So hätte ich schreiben sollen, sagte er sich. […] Indessen entging ihm die Schwere seines Schwindelgefühls nicht. In einer himmlischen Waage sah er auf der einen Seite sein eigenes Leben, während die andere Schale das so kleine trefflich in Gelb gemalte Mauerstück enthielt. Er spürte, daß er unvorsichtigerweise das erste für das zweite hingegeben hatte. Ich möchte doch nicht, sagte er sich, für die Abendzeitungen die Sensation dieser Ausstellung sein. Er sprach mehrmals vor sich hin: ›Kleines gelbes Mauerstück mit einem Dachvorsprung, kleines gelbes Mauerstück.‹ Im gleichen Augenblick rollte er auf ein Rundsofa […] Ein neuer Schlag streckte ihn nieder, er rollte vom Sofa auf den Boden, wo hinzueilende Besucher und Aufseher ihn umstanden. Er war tot. Für immer?“

Marcel Proust: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit

Montag, 31. Mai 2010

Das wahre Museum. Le Corbusier (Das Museum lesen 12)

Stellen wir uns ein wahres Museum vor, in dem alles enthalten ist, in dem ein komplettes Bild dargestellt werden kann, nach dem Ablauf der Zeit, nach der Zerstörung der Zeit. (Und wie vollständig sie zu zerstören weiß! So gründlich und komplett, daß fast nichts übrigbleibt, nur die Objekte von großer Extravaganz, von großer Eitelkeit, die Katastrophen immer überdauern und somit die unzerstörbaren Kräfte der Eitelkeit bezeugen). Um unsere Vorstellung zu konkretisieren, sollten wir uns ein Museum der heutigen Zeit errichten, in dem Gegenstände der heutigen Zeit ausgestellt sind; zum Beispiel: eine einfache Jacke, eine Melone, ein gut gearbeiteter Schuh. Eine elektrische Glühbirne mit Bajonettverschluß; ein Heizkörper; ein Tischtuch aus weißem Leinen; unsere alltäglichen Trinkgläser und Flaschen verschiedener Form, in denen wir unsere Weine aufbewahren, vom edlen Mercurey über den Graves bis zum einfachen Tafelwein; eine Reihe von Kaffeehausstühlen mit Rattanauskleidung, wie die von Thonet aus Wien – und dann noch eine Waschschüssel, eine Uhr, ein Koffer, ein Aktenregal und ein Bild von einer Pfeife.

Le Corbusier 1924