Alexander Kluge: Medialisieren - Musealisieren, in: Wolfgang Zacharias
(Hg.): Zeitphänomen Musealisierung. Das Verschwinden der Gegenwart und die Konstruktion
der Erinnerung. Essen 1990, S.38f.
Dienstag, 14. Februar 2012
Alexander Kluge zum 80. Geburtstag - "Der gärtnerische Umgang mit Zeit" (Das Museum lesen 22)
„Wenn
ich „Musealisierung“ richtig verstehe und in diesem Horizont zu interpretieren
versuche, wenn ich den Begriff ernst nehme, dann kann es ja nur heißen: Arbeit
gegen den Geschichtsverlust.“ - „Das ist das stillschweigende Ideal, das ich
habe, wenn ich mir ein Museum als Idee und Praxis vorstelle. Ich sehe darin
eigentlich eine kleine Produktionsabteilung, es wird immer ein Betrieb sein,
der im Respekt vor Zuschauern, vor Nutzern und eben im Respekt vor den Objekten
lebt und von daher natürlich nicht eine Fabrik sein wird, in der alles neu
prodzuiert und die alten Dinge zerschlägt, daraus neu macht.“ - „Ich sehe
diesen Punkt (des immer wieder durcharbeitens, dieses gründliche aufsammeln,
variationsfähig machen, gründlich und langsam erzählen, von dem K. an anderer
Stelle spricht und für er die Perestrojika als Beispiel nimmt, mit ihrem
Versuch, bürgerliche Aufklärung ‘noch einmal zu machen’. GF) notwendig
aufgehoben eigentlich bei denjenigen, die Verantwortung tragen für vergangene,
verlorene Objekte, also für die Museen. Es gilt, diese Übersprungsmöglichkeiten
bereitzuhalten in den Museen...Es gilt hier...zwei Haltungen gegenüberzustellen:
ob ich mich zu meinem Lebenslauf als Zuschauer
verhalte oder ob ich mich dazu als Produzent
dazu verhalte. Ob ich mich zu der Gesellschaft, in der ich lebe, im Produzentenstatus
bewege oder als Zuschauer bewege.“ - „Ich glaube, daß Museumsarbeit, Musealisierung
genau der sorgsame Umgang, der gärtnerische Umgang mit Zeit sein sollte und langfristig
die Erzeugung von Zeiten, von intensiven, trächtigen, von reichen,
erfahrungshaltigen Zeiten bewirkt, jedenfalls bewirken könnte, inmitten eines
Getriebes, inmitten gegenwärtiger Emsigkeit und Ruhelosigkeit. So ist es auch
in einigen schönen Museen mitten in New York. Sie sind genauso gebaut, daß sie
mitten im Zentrum der Stadt Zeitoasen sind. Eigentlich könnte man sie auch wie
einen Tümpel, wie ein Wasser, wie einen Teich auffassen: indem man es
verweilend ohne Langeweile aushalten kann. Es gibt dazu eine fesselnde Metapher:
Solche Teiche können auch sehr schnell zufrieren, dadurch daß z.B. zuviel
rundherum musealisiert wird. Wenn eine Stadt zuviele Museen bekommt, z.B.
zuviele Veranstaltungen produziert...da können Wirkungen entstehen, die analog
zur Natur dazu führen, daß ein Teich, eine Szene, ein Produktionszusammenhang
zufriert. Ich habe immer sehr inden Dreißigerjahren, in ferner Zeit, die
Mitarbeiter in der Arztpraxis meines Vaters bewundert, die, ohne verpflichtet
und aufgefordert zu sein, Strohteile nahmen und im Teich im Garten zwischen das
Eis klemmten, so daß die Fische offene Stellen behielten und Luft bekamen. So
konnte der Teich nie ganz zufrieren. Sie leisteten hier unbestellte
Arbeit...Sie wurden nicht dafür bezahlt...“.
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Das ist eine schöne Idee von Museum jenseits aller Bewahrungstechnik mit Blick auf das Zukünftige
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