Das Ende der Harmlosigkeit. Übers Vermitteln (Teil 2)
Sinclair Rosss. Museum of Despair |
Das zivilisierende Ritual
Ich verstehe das Museum als
ein gesellschaftliches Projekt der Moderne, das der Staat treuhänderisch im
Interesse der Wohlfahrt aller seiner Bürger unterhält. Ich verstehe es als ein
zivilisierendes Ritual der kollektiven wie individuell wirksamen
Selbstvergewisserung und Selbstdeutung.
Von der
Verkehrsinfrastruktur bis zum Bildungswesen, vom Gesundheitswesen bis zu den
Gefängnissen, das alles sind öffentliche Einrichtungen, die dem Gemeinwohl
dienen und die deshalb durch die ‚öffentliche Hand’ finanziert und verwaltet
werden. Dem Anspruch nach wenden sich öffentliche Einrichtungen immer an die
Gesamtheit einer Gesellschaft, das Gemeinwohl ist, wie das Wort schon sagt,
unteilbar. Auch vom Gefängnis, wo man dieses Prinzip vielleicht nicht so gerne
universal verstanden wissen will, gilt, daß grundsätzlich jedermann mit ihm
einmal Bekanntschaft schließen könnte, aber ‚wohlfahrtstaatlich’ ist es erst
deshalb, weil es ein Ordnungsinstrument ist, das Ausschlüsse aus der Gesellschaft
auf Zeit ermöglicht oder mit dem sich auch die Idee der Verbesserung der
Individuen, mithin der Gesellschaft als Ganzes (Resozialisierung etc.)
verbindet.
Wenig anders verhält es sich
mit dem Museum, von dem wir ja wissen, daß viele Menschen es gar nicht besuchen
und nutzen, aber wohlfahrtsstaatlich ist es deshalb, weil sich sein
zivilisatorischer (bildender) Anspruch auf uneingeschränkt jedermann richten
muß.
Ich diskutiere jetzt noch
nicht, welche Probleme im Auseinanderklaffen von Anspruch und Wirklichkeit
liegen, sondern beziehe mich zunächst auf die Herkunft der Idee.
Am Tag, an dem, mitten in
der Französischen Revolution das Museum im ehemaligen Königsschloß, dem Louvre
eröffnet wurde, am 10. August 1793, wurde auch eine neue Verfassung deklariert.
Mit unüberbietbarem Pathos formuliert ihr erster Satz „Das Ziel der
Gesellschaft ist das Glück aller.“ Letztlich sind alle staatlichen Maßnahmen
und Einrichtungen diesem Ziel zu- und untergeordnet. Ästhetische und
historische Erfahrung sind von Anfang an als Aufgaben des Museums buchstäblich
zentral und das neue Gewicht des Museums im, man könnte sagen „neuen“ Staat
wird zum Beispiel deutlich in seiner städtebaulichen Situierung und
architektonischen Ausstattung.
Ein erhellendes Beispiel
dafür, was mit ‚wohlfahrtlich’ in Bezug auf das Museum gemeint ist, bietet das
1830 eröffnete Museum, das für die Sammlungen des preussischen Königs eröffnet
wurde. Sein Architekt, Karl Friedrich Schinkel und deine Kommission, die aus
Künstlern und Wissenschaftlern bestand und deren Leitung Wilhelm von Humboldt
innehatte, konzipierten dieses Museum nicht mehr als exklusiven privaten Raum
eines Herrschers und seiner Dynastie, in das man nur mit freiwillig gewährter
Großzügigkeit Zutritt hatte, sondern als öffentlichen Raum und Ort, dessen
Betreten ein Recht war. Und nur so kann ja eine öffentliche Einrichtung auch
öffentlich wirken, nur so konnte, wie es die Kommission vorsah, ästhetische
Erfahrung des Einzelnen sich im Museumsraum zur kollektiv wirksamen
Humanisierung der Nation (H. Lübbe) ‚ver/sammeln’.
Das ist Grundlage auch des
heutigen Museums, der Museumsarbeit aktuell, auch wenn wir weder alle
herkömmlichen Begriffe noch verwenden und uns manche Implikationen und
Strukturmerkmale gar nicht mehr bewußt sind. Als im Dienste aller seiner Bürger
institutionalisierten wohlfahrtlichen Leistung ist also auch das Museum
,öffentlich‘, man könnte hinzufügen „ab nun“, denn die Sammlungspraktiken der
frühen Neuzeit bis herauf in die Zeit der Aufklärung kennen das (in Frankreich
mit der Verfassung) verankerte Recht auf Zugang der Bildungseinrichtungen nicht.
Das Museum ist zweitens auch
,öffentlich‘ als diskursiver Sphäre, also im Sinne von bürgerlicher
Öffentlichkeit,‘ in der die alle betreffenden Angelegenheiten‘, die ,gemeinsame
Sachen‘ ausgehandelt werden und dadurch auch jegliche Macht einer Kontrolle
unterworfen wird.
Karen Knorr. Musée de la chasse, Paris |
Aber nicht allein durch das
Recht auf die Zugänglichkeit läßt sich das Museum als - mit gewissen
Vorbehalten -, „demokratisch“ verstehen, sondern nur insoweit es seine
diskursive und öffentlichkeitsbildende Aufgabe auch aktiv wahrnimmt. Denn an
und für sich ist das Museum (wie vieles andere auch) gegenüber jeglicher Form
der Instrumentalisierung neutral). Die demokratische Qualität eines Museums
mißt sich an seiner Vitalität und Dynamik, mit der es öffentliche Debatten und
Interessen aufzunehmen imstande ist, zu initiieren, weiterzutreiben.
Öffentlich ist das Museum noch
in einem weiteren Sinn, nämlich insofern als die Bedeutungen, die es generiert
öffentlich zirkulieren. Museen etablieren Kanons und Werte, verfestigen sie,
tradieren und selektieren Wissen, etablieren Hierarchien von Werten und
Blickregime, die uns dazu anleiten oder auch verführen, bestimmte Dinge (nur)
unter bestimmten Blickwinkeln zu sehen, sie tradieren Werte über Generatzionen
hinweg u.a.m. Sie versuchen zumindest – ob Museen das wirklich können,
bezweifle ich -, identitäre Diskurse zu regulieren und zu beeinflussen, etwa
wenn nationale Geschichtsmuseen oder historische Blockbuster-Ausstellungen das
Geschichtsbewußtsein ganzer Gesellschaften zu beeinflussen suchen.
Daraus leitet sich die
unabweisbare gesellschaftliche Verantwortung des Museums ab. Und deshalb muß
sich auch heute der öffentliche Museums-Diskurs daran messen lassen: inwieweit er
selbst Teil der politischen oder ökonomischen Machtverhältnisse bleibt oder
inwieweit er subversive Gegenöffentlichkeit herstellt.
Das Museum hat eine
Verantwortung - und es ist nicht neutral und nicht unschuldig: Im Museum finden
sich soziale Distinktionen, gesellschaftliche Konflikte, Machtverhältnisse
reproduziert und gespiegelt. Das Museum ist nicht nur ein ,Schauplatz‘ der
Distinktion, es wirkt selbst ,diskriminierend‘ und agiert hegemonial indem es
partikulare Sichtweisen und Interessen als allgemein verbindlich und gültig
erscheinen läßt. Zum Beispiel in einem Kanon würdigungspflichtiger kultureller
Werte. Es ist ein autoritativer Ort mit eigentümlicher Wahrheitspflichtigkeit
und fragwürdiger, scheinbar in den Dingen naturwüchsig begründbarer
Authentizität, die nahezu jedes „Sprechen“ im Museum als wahr erscheinen läßt.
Hinter der eigentümlichen Autorität
und Authentizität des Museums verbergen sich „institutionalisierte Diskurse“,
mit deren Hilfe „Identitäten oder Subjektformen (nationale, geschlechtliche,
koloniale etc.) konstruiert, reproduziert und in Umlauf gehalten“ werden.
(Oliver Marchart).
Das bleibt aber den
Beteiligten, nicht nur dem Publikum, sondern weithin den in der Institution
Tätigen selbst, verborgen. Darin unterscheidet sich das Museum wesentlich von
anderen kulturellen Institutionen und Praktiken, in die diese Selbstreflexion
gleichsam wie ein Bestandteil der Produktion und Reproduktion von Wissen,
Macht, Bildern, Bedeutungen selbst eingeschrieben scheint. Was das Kino
betrifft, so existiert ein permanenter Diskurs über die Freiheit und
Unabhängigkeit der Filmemacher, der Ökonomisierung der Filmproduktion, der
Geltung des Films, die er in nationalen Fragen haben kann oder auch nicht. Ein
Film wie aktuell Zero Dark Thirty, der die Verfolgung und Ermordung Osama Bin
Ladens zeigt, einschließlich von Folter, die zur Informationsbeschaffung
eingesetzt wird, hat in den USA (und nicht nur dort) zu einer weit über das
Kino hinaus sich entwickelnden Diskussion über Legalität und Legitimität des
staatlichen Handelns geführt.
Fürs Museum läßt sich derlei
nirgendwo beobachten (obwohl es von der Produktionslogik und Rezeption her
alles andre als undenkbar wäre) und die raren Ausnahmen, an denen eine Konflikt
sich entzündet (wie etwa bei einer Ausstellung des Smithsonian Institute über
den ersten Atombombenabwurf durch die USA und dessen Sinnhaftigkeit – die
Ausstellung kam nicht zustande), zeigt, in welchem Ausmaß das Museum machtaffin
ist.
Darin
liegt die Macht des Museums. „Die Öffentlichkeit der Institution Museum machte
potentiell alle Bürger zu Teilhabern eines gemeinsamen kulturellen Erbes und
stärkte ihre Loyalität einem Staat gegenüber, der durch die Institution des
Museums Freiheit und Gleichheit der Bürger ebenso wie seine Verantwortung für
das Gemeinwohl demonstrierte. Die Initiation der Bürger in diese Werte durch
civilizing rituals, über Gebäude, Präsentation, Zugangsregelungen und Verhaltensanweisungen,
Verbote und Gebote in Museen wirkte mit an der ‚gleichzeitigen Entfaltung und
Regulierung des Subjekts’“.
Und: „Die Rituale des
Museums dienten der Einführung ziviler Normen, die durch öffentliche rituelle
Performanz angeeignet, als allgemein verbindliche sichtbar gemacht und eingeübt
wurden. Sie dienten der Dramatisierung von „Selbstbeschreibung" und
„Selbstauslegung" der bürgerlichen Gesellschaft und ihrer Mitglieder, der
Darstellung einer Zivilisierung, die sie zugleich herstellen sollten.“ (S. Offe)
Aber wer stellt her, wer
spricht da und in wessen Interesse? Und mit welcher Legitimation?
Yoga im San Diego Museum of Art |
Die Dillemata der
Vermittlung
Wir befinden uns mitten in
einem dramatischen Rückbau des Wohlfahrtsstaates und demokratischer Strukturen.
Das Museum ist in dieser politischen Großwetterlage keine Insel der Seligen. Rentabilitätsdruck,
Deckelung und Kürzung der Finanzierung, vereinzelte Schließungen, Öffnung für angeblich
selbstlose, also ‚mäzenatische’ private Interessen, Orientierung an Event,
Vermarktung und Modellierung der Museumsarbeit (und Museumsarchitektur) nach
Freizeitbedürfnissen (u.a.) sind Etiketten, unter denen das, was im Gang ist,
beschrieben werden kann. Gegenwehr ist kaum zu erkennen. Die Museen passen sich
an, so gut es geht, manche widerwillig, manche berauscht von den vermutlich
sehr kurzfristigen Optionen, die ein sich Ausliefern an private Interessen
bietet. Soweit ich es überblicken kann, scheint es in den deutschsprachigen
Ländern weder auf der Ebene staatlicher Politik noch auf der der
Museumsinteressen vertretenden Verbände einen nennenswerten analytischen
Diskurs zu dieser Frage zu geben. Museumskrise? Nie gehört?
Soll das Museum wie andere
öffentliche Einrichtungen einfach preisgegeben werden? Ist es ohnehin dabei,
sich abzuschaffen?
Wie weit kann oder will man
in der eigenen Praxis gehen? Wie kann man auf seinem Platz reagieren? Bevor man
das im Detail überlegt, scheint mir eine Voraussetzung zwingend: Es gibt gar
keine andere Möglichkeit, als sich in einer solchen Situation sowohl gesellschaftspolitisch
als auch museumsgeschichtlich reflektiert gegenüber dem eigenen Tun zu verhalten.
Persönlich, aus meiner
museumsgeschichtlichen Forschung heraus, meine ich, daß es, wie auch immer man
seine aktuellen Ziele formuliert, eine Rückbezüglichkeit auf jenes „Projekt
Museum“ geben muß, das vor zweihundert Jahren entstanden ist, und zwar nicht
aus nostalgischen Gründen oder weil an diesem Modell festzuhalten wäre (ganz
und gar nicht), sondern deshalb, weil dieses Modell im Kern noch immer unsere
Vorstellung vom Museum trägt und reguliert und unser praktisches Arbeiten
leitet – bewußt oder unbewußt.
Noch einmal: Das heißt
nicht, daß ich auf dieses Modell zwingend verpflichten will, das wäre Unsinn.
Selbstverständlich unterliegt auch das Museum ständigen Änderungen und die
Option auf Transformation gilt auch für das Museum als Ganzes. Aber wenn man
etwas überwinden wollte, wenn man etwas hinter sich lassen wollte, wenn man
etwas verabschieden wollte, dann kann man das nur verantwortlich tun, das heißt
mit Gründen und mit einer klaren und deklarierten Alternative. Nur unter dieser
Bedingung kann man das Museum „erfolgreich aufgeben“.
Wie sehen die Optionen für
ein solches „erfolgreiches Aufgeben“ aus, wie sollte und könnte Vermittlung
unter gegeben Umständen aussehen?
Carmen Mörsch hat vier Funktionen
von Vermittlung ausgemacht[1]: eine affirmative, „wenn sie“, wie sie schreibt „Institutionen der
Hochkultur und das was sie produzieren, möglichst reibungslos an ein
entsprechend initiiertes und bereits interessiertes Publikum vermittelt.“ Eine reproduktive, wenn es ihr und dem Museum
in erster Linie um die Rekrutierung eines Publikums (der Zukunft) geht.
Liege ich falsch, wenn ich
vermute, daß die Mehrzahl der Vermittlungsprojekte diese beiden Funktionen
erfüllt?
Die dritte Funktion nennt
sie „kritisch – dekonstruktiv“, die Vermittlung
übernimmt es einerseits selbst, die strukturellen Voraussetzungen des Museums
und der Vermittlung zu reflektieren und ermöglicht andrerseits auch ihre
Klientel durch Offenlegung ihres Standpunktes, sich an dieser Reflexion
eigenständig zu beteiligen und sie selbständig weiterzuentwickeln.
Die vierte Möglichkeit liegt
darin, gesellschafts- und institutionenverändernd wirken zu wollen. Das geht
aber nur dann, wenn man auf die Inhalte und die Rahmenbedingungen unter denen
sie produziert und vermittelt werden selbst Einfluss nimmt. Dies nennt Carmen Mörsch
transformativ.
Man trifft also eine Wahl.
So oder so und ob man das will oder nicht, ob es einem bewußt ist oder nicht. Man
positioniert sich. Welche der vier
Strategien man verfolgt, in jedem Fall, so denke ich, man darf verlangen, daß
in der Standpunkt den man einnimmt deklariert, begründet und verantwortet
werden muß.
Und ich denke auch, daß man
in der Wahl zwischen den gennanten Optionen nicht völlig freie Hand hat. Zwar
ist jede dieser Wahlmöglichkeiten mit fachlichen und ideologischen
Implikationen ausgestattet und man könnte meinen, welche Wahl getroffen werde,
läge allein in der Verfügung der jeweiligen verantwortlichen Akteure. Die Wahl
in der individuellen Verfügung zu belassen unterschätzt einerseits die verantwortung
gegenüber dem Publikum, mit dem man etweas tut aber auch den
gesellschaftlich-politischen Rahmen, in dem man agiert.
Mark Dion, William Schefferine: Rain Forest Preserves |
Mein mir wichtigstes
Argument kommt aber wiederum aus der Geschichte, Struktur und Logik des Museums
selbst, die diese Wahl determinieren.
Vermittlung kann wohl nur
dann sich weiter entwickeln, wenn man sich selbstbewußt, fachlich und
museologisch fundiert und im gesellschaftlichen Kontext verantwortlich
positioniert, wenn sie ihre Position und die des Museum reflektiert.
Dabei habe ich immer die
historisch-institutionelle Verfasstheit des Museums (wie eingangs kurz
skizziert) als eines - möglicherweise unvollendeten - „Projekts der Moderne“ im
Auge. Entweder man nutzt das dort bereitstehende Potential und arbeitet am
wohlfahrtsstaatlichen Konzept weiter und verändert es oder man überschreitet
es, aber dann kann man auch das nur begründet und mit einer überzeugenden
Alternative tun. Alles andere hieße für mich bei der Erosion einer Idee bloß
zuzusehen, tatenlos auf der Titanic stehen und abzuwarten, wie das Wasser
steigt.
Aber selbst etwas zugrunde
gehen zu lassen, im Sinne eines Verwerfens oder Verabschiedens, einer
endgültigen Zurückweisung, braucht ein Wissen, was man zurückweist, sonst ist
es blinde Destruktivität. Erst im Wissen einer Differenz blitzt das Andere und
das Bessere auf.
Es gibt einen weiteren Weg.
Man kann entdecken – und ich kenne manche Kollegin, manchen Kollegin der ihn,
aus Resignation oder im Gegenteil, kreativ und optimistisch geht -, daß die
Ziele, die man verfolgt, mit den Mitteln des Museums gar nicht (mehr)
durchsetzbar, nicht zu verwirklichen sind.
Wäre es dann nicht gleich
besser, mit dem Ruf ,Raus aus dem Museum‘, sich auf (in jeder Hinsicht)
riskante, innovative, organisatorisch wie inhaltlich und strategisch neue
Projekte, Ziele, Kooperationen einzulassen und die alte staubige Tante Museum,
die selbst von ihren eigenen Vertretern so sehr vernachlässigt, mißverstanden
und unterschätzt wird, hinter sich zu lassen?
Wobei die Pointe die wäre,
daß man dann die im Museum angelegten Ziele und Potentiale, zwar jenseits
seiner Mauern, aber unbelastet von deren verhärteter Strukturen, wieder
entdecken, ernst nehmen, reflektieren und radikalisieren könnte.
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