Das Ende der
Harmlosigkeit
Tagung mediamus, Lenzburg Vermittlung
im Museum. Stellenwert und Handlungsspielräume.
Diese Überlegungen sind im Zusammenhang
mit der Tagung Vermittlung im Museum.
Stellenwert und Handlungsspielräume entstanden, die mediamus im September 2012 auf der Lenzburg (CH) stattfand. Alle
Beobachtungen zur aktuellen „Vermittlungsszene“ sind sehr subjektiv und
bruchstückhaft. Während ich am Beginn meiner Beschäftigung mit dem Museum viele
Kontakte pflegte, ist heute die Aufmerksamkeit für Fragen der Vermittlung auf
Grund anderer Arbeitsschwerpunkte in den Hintergrund gerückt. Dennoch hat es
mich interessiert, aus Anlass der genannten Tagung, meine Beobachtungen einmal
zusammenzufassen und jene Fragen zu stellen, die den Veranstalterinnen wichtig
war: welchen Stellenwert und welche Handlungsspielräume hat „Vermittlung“?
(zum Teil 2 hier)
(zum Teil 2 hier)
Ausstellung "Leidenschaften". Hygiene-Museum Dresden 2013 |
Museum should transform themselves
from beeing about something to being for somebody.
Stephen Weil
Das Feld der Vermittlung
Seit ich in den 80er-Jahren
mit Museumspädagogik, so hieß das damals noch, wofür heute meist ‚Vermittlung’
verwendet wird, in Berührung gekommen bin, Akteure und Projekte kennengelernt
habe und schließlich mit Freunden Weiterbildungsprojekte entwickelt habe, hat
sich die Szene – ich kann nur von Österreich sprechen -, verändert. Es gibt
mehr Museen denn je, die ihr eigenes Vermittlungspersonal und einschlägige
Programme haben und seit einigen Jahren gibt es eine staatliche Kampagne in der
Kombination von freiem Eintritt in Bundesmuseen für Kinder und Jugendliche und
Projektgeldern für Vermittlung. Das Museum, an dem ich arbeite, beschäftigt,
z.T. geringfügig, über einhundert in der Vermittlung tätige Personen.
Im Gegenzug dazu ist die
ehedem bunte und innovative freie Szene geschrumpft. Entweder ist sie in Museen
untergekommen oder hat angesichts der institutionellen Konkurrenz aufgegeben.
Das Resultat ist weder in
Hinblick auf die Ziele und Inhalte der Arbeit noch in Hinblick auf die
Beschäftigungssituation eindeutig. Die Beschäftigungssituation hat sich
vielleicht weniger verändert als man denkt, weil auch im Museum Vermittlung
meist einen geringen Status hat und von prekär Beschäftigten geleistet wird - selbst
dort, wo das Museum von der Attraktivität der Programme zählbar – und darum
geht es Museumsleitungen oft – profitiert.
Der Organisationsgrad ist
höher denn je, es gibt Verbände, Zeitschriften, Webauftritte, Tagungen und
ungleich mehr an verschiedenartigsten Weiterbildungsangeboten als noch vor 20,
25 Jahren.
Was Inhalte und Methoden
betrifft, so ist mein – sehr subjektiver Eindruck, daß es in Österreich -, und
nur von Österreich, ich wiederhole mich, kann ich sprechen -, eine Stagnation
gibt. Innovative Projekte scheint es eher in unabhängigen Gruppen zu geben oder
solchen, die projektbezogen und daher zeitlich begrenzt mit Museen
zusammenarbeiten.
Es scheint sehr viel Routine
zu geben, viel Weiterverwenden des Bewährten und einen geringen Bedarf, Praxis
und Theorie untereinander abzugleichen und an den Wandel des Museums, seines
Umfeldes und seines Publikums anzupassen.
Trotz des vielfältigen
Weiterbildungsangebotes sehe ich weit und breit keine echte Ausbildung, was
aber nach wie vor für die Museumskernberufe generell auch weiter gilt, wo ja
die fachliche, akademisch-wissenschaftliche Ausbildung nach wie vor der
Königsweg zu den Schlüsselpositionen des Museums ist. Solange es kein
einigermaßen klar definiertes Berufsfeld ‚Vermittlung’ gibt, kann es auch kaum
so etwas wie eine Ausbildung geben: keine Professionalisierung ohne Profession.
Auch im Hinblick auf
Erfahrungen und Beobachtungen aus der Institution, an der ich arbeite, schließe
ich, daß sich im Kern an der Situation der Vermittlung in den letzten Jahren
und Jahrzehnten nicht sehr viel geändert hat. In Status, Bezahlung und
Machtpositionierung rangiert die Vermittlung meist noch immer im unteren Viertel
der Machthierarchie, mit der Konsequenz, daß sie selbst kaum aus einer -
freiwillig angenommenen oder aufgezwungenen -, innerinstitutionellen
,Dienstleister‘-Rolle herauskommt und diverse von ihr nicht hinterfragbare
Zielsetzungen bedient. Und das mit Vermittlungsformen, die unter
Harmlosigkeits- oder Verharmlosungsverdacht stehen, wie Kindergeburtstage,
VIP-Führung, Ferienspiele, Nacht-im-Museum, Schatzsuchen, Malen und Basteln im
Museum usw.
VermittlerInnen
(MuseumspädagogInnen usw.) sehen sich im Museum in einer Rolle, die zwischen
zwei Polen situiert ist: entweder als verantwortliche und aktive Akteure, die
sich mit neuen technisch-medialen und sozialen Fragen konfrontiert sehen oder
als passiv Ausführende von vorgegeben Aufgaben.
Marcel Broodthaers: Projet pour un musée sur un ile d´serte, Ile du Musée. 1971 |
Gerade die reflektierteren
Tendenzen der Vermittlungsarbeit geraten dabei m.M. nach in eine mehrfach
geschichtete Situation der Überforderung. Vereinfacht gesagt, weil sie
einerseits den aktuell wichtiger werdenden und problematischen
,dienstleisterischen‘ und ,marktorientierten‘ Museumsstrategien zuwiderlaufende
Ziele verfolgen, gleichzeitig aber selten gewahr werden, daß sie im Grunde
immer auch schon ein Stück weit einer dem Museum seit je inhärentes Ziel
verfolgen, nämlich eine letztlich analytische, selbstbewußte, kritische
Öffentlichkeit zu generieren. Paradoxerweise tendiert gerade die reflektiertere
Spielart der Vermittlung an ihrer Selbstabschaffung. An ihrer Auflösung in
einer komplexen Museumspraxis, in der ja Vermittlung immer ein essentieller
Bestandteil war. Avantgarde in der Vermittlerszene sein, heißt, so stellt es
sich für mich dar, eher eine von institutionellen Praktiken in jeder Hinsicht
abgekoppelte und sehr eigensinnige und selbstbewusste Arbeit zu betreiben, die
viele Schnittstellen mit anderen kulturellen Praktiken hat, mit der
Theaterarbeit, der Stadtteilarbeit, der künstlerischen Intervention und anderem
mehr.
Die museologische und
vermittlungstheoretische Tradition, in die sie sich einschreiben könnten,
nehmen sie dabei selten als Potential wahr. Wie das Museum in seiner
Alltagspraxis agiert auch die Vermittlung eigentümlich ‚geschichtslos’.
Wenn ich, was eher nur noch selten
passiert, ein einschlägiges Projekt kennenlerne oder auf einer Fachtagung Gast
bin, verhärtet sich das Gefühl, daß sowohl die Diskussionen - gerade in Bezug
auf die grundsätzlichen Fragen - auf der Stelle treten als auch, daß sich das
Methodenspektrum kaum erweitert hat.
Bei der Entwicklung einer
kohärente Theorie als Grundlage der Vermittlung hat man vom Museum keine
Unterstützung zu erwarten haben, weil es ja auch eher nur an kurzfristig-pragmatischen
Zielen orientiert ist, an medialer Aufmerksamkeit, Besucher‘umsatz‘, politischer
Akklamation usw. Und weil museologische Theoriebildung kaum an Museen
stattfindet und umgekehrt auch kaum Anwendung findet. Museologie und Museum
existieren in parallen Universen.
Die Herausforderung, die in
dieser Situation steckt, läßt sich so zusammenfassen: spricht die Institution Museum
gewissermaßen durch die Vermittlung hindurch und vollzieht Vermittlung die
autoritative, hegemonialae Rolle der Institution fraglos mit? Oder ist Vermittlung
in der Lage und Willens, so etwas wie eine Gegenöffentlichkeit innerhalb der
Institution zu bilden? Erhebt Vermittlung eine eigne Stimme und soll und kann
sie die haben, wenn man anerkennt, daß das Museum „Vermittlung ist“?
Der beschriebene prekäre
Status der Vermittlung hat verschiedene Ursachen, über die ich bestenfalls
Vermutungen anstellen kann. Eine Ursache ist wohl ein grundlegender
struktureller Widerspruch. Der, ich wiederhole mich, daß Vermittlung ein Teil
einer selbst vermittelnden Institution ist. Alles am Museum, von der Auswahl
der Objekte über die wissenschaftliche Bearbeitung bis zur Ausstellung und der
Erzeugung von Bedeutung durch Positionierung und Texte und anderes mehr, das ist Vermittlung. In ihr ist schon
alles einbezogen, der, der über die Bedeutungen verfügt, sie „erzeugt“, in der
privilegierten Position des „Sprechers“ (Autors) ist, all die Exponate, Dinge,
Medien, Szenografien, Texte, mit deren Hilfe Bedeutungen kommuniziert werden
und last but not least der Besucher, der wie der Leser oder Kinogänger den „Text“
mit produziert und immer schon „im Bild ist“ (W.Kemp). Wo hat hier die
„Vermittlung“ als besondere Funktion oder Rolle ihren Platz?
Die relative
Geringschätzung, der sich Vermittlung vielerorts noch ausgesetzt sieht, und die
sich in einer diskriminierenden Situierung in der Hierarchie und der
diskriminierenden Bezahlung niederschlägt, hat womöglich mit diesem
strukturellen Widerspruch zu tun. Für die, die im Museum traditionellerweise
die Machtpositionen besetzen, die fachlich-akademische ausgebildeten Kuratoren,
mag Vermittlung als überflüssige Fleißaufgabe erscheinen, wenn nicht sogar als
Konkurrenz um eine zentrale Aufgabe, die der (Re)präsentation, Visualisierung,
kurzum des Ausstellens. Da nützt es noch immer wenig, wenn man darauf hinweist,
daß diese sehr spezifische, zwischen Kunst und Wissenschaft oszillierende
Kompetenz, in der akademische-fachlichen Ausbildung nahezu nie vermittelt wird,
während andrerseits Vermittler oft sehr komplexe einschlägige Qualifikationen
haben.
Technisches Museum. Wien. Semipermanente Ausstellung "In Arbeit". 2011ff |
Das museologische Feld
Einige Stichworte, die in
den letzten Jahren immer wieder aufgetaucht sind: Inklusion, Neue Museologie,
Partizipation, Social Inclusion, Museum 2.0, Audience Development u.a.m. Allen
Stichworten gemeinsam sind zwei Aspekte: alle beziehen sich auf das Verhältnis
Museum - Öffentlichkeit – BesucherInnen und alle sind Chiffren für den Wunsch
nach Veränderung, Reform, Entwicklung des Museums.
Derartige Schlagworte
drücken den Wunsch nach Transformation des Museums aus, nach größerer
Publikumsnähe, Nutzung neuer Kommunikationsformen Wobei immer wieder die New Museology
als museologischer Bezugspunkt gewählt wird, (obwohl die inzwischen so ‚new’
nicht mehr ist) und alle verraten ein Missbehagen am herkömmlichen
pragmatischen Selbstverständnis des Museums. Dessen Wappenschild ist die ,ICOM-Definition‘, die so viele vor
sich hertragen, um sich und das Museum vor unangenehmen Fragen
und Einsichten zu schützen.
Ich kann aber nicht
erkennen, daß sich dieses Missbehagen, das sich in den Schlagworten ausdrückt,
sich nachhaltig formiert und als in die Praxis wirkend und eingreifend
etabliert hätte.
All den Beschwörungen, die
ihre wiederkehrenden Formeln haben wie etwa den Kampfrufen ,Neue Museologie!‘
oder ,Partizipation!‘, haftet wegen der Ineffektivität im Feld der Praxis etwas
Geisterhaftes an, so als ob diese Forderungsrituale eher nur den Zweck hätten,
gelegentlich durch Berufung auf das ganz
Andere die herrschende öde Realität unangetastet lassen zu können. Oder ist
ein bisschen so wie in Robert Musil es (in seinen nachgelassenen Fragmenten
nachzulesen) im Mann ohne Eigenschaften
analysiert hat, daß die Menschen nicht gut, schön und wahrhaftig
sind, sondern es lieber sein wollen?[1]
Die Dynamik des Museums wird
sicher nicht von den fachlichen Debatten um Museum 2.0 oder Partizipation
bestimmt, nicht von idealen Projektionen, die überdies fatal nach naiver
Technik- und Mediengläubigkeit schmecken, deren praktische Einlösung aber nirgendwo
stattfindet. Die Dynamik der Transformation des Museums kommt nicht aus dem
Kern der Institution, nicht einmal aus den auf sie bezogenen Metadiskursen. Sondern
überwiegend an das Museum von außen herangetragenen und von sehr
unterschiedlichen Interessen getragenen Entwicklungen.
Positiv z. B. von der
beispiellosen Entwicklung der Museumsarchitektur, der Museumsgestaltung
(Szenografie usw. - nebenbei gesagt der inzwischen wohl bestorganisierte und
offensivst aufgestellte museumsaffine Berufsstand), künstlerischen
Interventionen und Experimenten.
Negativ vom allseits um sich
greifenden Spardiktat, das heißt von der erzwungenen Erosion des
wohlfahrtsstaatlichen Konzepts auch des Museums im Kontext einer umfassenden
Verabschiedung der Politik von diesem Gesellschaftsmodell. Konkret von der von
den Museen eilfertig vorangetriebenen Dienstleistungsorientierung,
Ökonomisierung oder den Tendenzen der Reprivatisierung wenn nicht
Refeudalisierung.
Den großen
Herausforderungen, denen sich Museen heute gegenüber sehen, Kürzung der Mittel,
verstärktes Vordringen privater Interessen, Konkurrenz anderer Medien oder
Wandel des Publikumsinteresses und demografische Veränderung des Publikums
(etwa Schrumpfen des Bildungsbürgertums), begegnen Museen eher defensiv oder
gar willfährig. Der Kunsthistoriker und Museologe Walter Grasskamp hat unlängst
festgestellt, daß Museen immer weniger imstande sind, sich zu legitimieren,
ihre Existenz zu rechtfertigen, ihre Arbeit öffentlich zu deklarieren.
Die sozialtechnologischen
Strategien, die sich etwa hinter dem Stichwort Web 2.0 verbergen oder dem der
social inclusion, ignorieren den historisch-gesellschaftlichen Kontext, in dem
Museen entstanden sind, wirken und zu entwickeln wären. Sie bieten punktuelles
Basteln im Interesse eines reibungsloseren Funktionierens innerhalb der als
Sachzwang hingenommenen und weitgehend affirmierten Gegenwartspraxis der Museen
an.
Marco Lulic: Museum of Revolution. Wien 2010 |
Museum should transform themselves from beeing about something to being
for somebody.
Der Satz von Stephen Weil, den ich wie ein Motto über diesen Text gestellt
habe, scheint ebenso trivial zu sein, wie die Forderung nach mehr oder anderer
Öffentlichkeit. Denn waren Museen nicht immer öffentlich in einem essentiellen
und emphatischen Sinn, das heißt, nicht bloß Dienstleistungsinstrumente, die eben
auch ein Publikum hatten, sondern Gefäße der Herstellung (bürgerlicher)
Öffentlichkeit, ein zivilierendes Ritual (C. Duncan. Sabine Offe), der immer
auch schon ein subversives, Demokratie ermöglichendes und mit herstellendes
Moment eingeschrieben war.
Wenn man heute feststellt,
daß mit der Museumsöffentlichkeit etwas defizitär zu sein scheint, dann wäre es
doch an der Zeit, einmal einen museumssoziologisch und museumsgeschichtlich
unterfütterten Begriff vom Museum zu entwickeln, um präzise bestimmen zu
können, woran genau es mangelt und wohin denn die Entwicklungsreise gehen soll.
Wer will eigentlich was vom Museum?
Unglücklicherweise fehlt den
Museen etwas, was andere kulturelle Institutionen selbstverständlich kennen:
Kritik. So etwas wie Ausstellungskritik, die ihren Namen verdient, gibt es
kaum. Museumskritik, die der Komplexität der Institution gerecht würde, kenne
ich nehezu überhaupt nicht. Es gibt kaum eine Analyse der spezifischen
Medialität und Disposition, mit der Inhalte transportiert und Bildungsziele und
Erfahrungsmöglichkeiten anvisiert werden. Also entfällt auch eine Reflexion,
die über das Mantra der Erbsenzählerei von Besuchern hinaus eine qualitative
Bestimmung von Öffentlichkeit leisten könnte und damit – vor diesem Hintergrund
– eine von Vermittlung. Warum soll mit welchen Zielen wem etwas vermittelt werden?
[1] „Darum ist es das
Lebenerhaltende schlechthin, daß es der Menschheit gelungen ist, anstatt
dessen, ‚wofür es sich wirklich zu leben lohnt’, das ‚dafür’leben zu erfinden
oder, mit anderen Worten, an die Stelle ihres Idealzustands den ihres
Idealismus zu setzen.“ Mit dem „Dienst am Ideal“ wird „das Ideal selbst
ausgeschlossen“. Robert Musil: Der Mann ohne Eigenschaften. Reinbek 2010. S.1458ff., Zitat S. 1460 und
1460f.
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