Raffael: Kopf einer Muse. Studie zum Fresko "Parnass" in den Stanzen des Vatikan |
Jede Frage was denn ein Museum ist, zieht eine zweite Frage mit sich, nämlich welches denn das erste gewesen sein könnte. In diesem Sinn habe ich mit einer sicheren und einer unsicheren Antwort begonnen. In "Das neuntälteste Museum der Welt" (Teil 1) behauptete ein Museum das neuntälteste zu sein, und damit zu wissen was das älteste und was überhaupt ein Museum sei.
Die Fortsetzung im Teil 2 listete verschiedene Antworten auf diese Frage auf, die durch ihre Verschiedenartigkeit das Problem eher verwirrten und verschärften. Und im dritten Teil, "Je näher man ein Wort ansieht, desto ferner sieht es zurück", wurde über die Unsicherheit, ja den Streit über die Benennung eines Hauses für die königliche Kunstsammlung in Berlin erzählt. Soll das, kann das 'Museum' heißen. Und wenn ja, warum?
Die Entscheidung war folgenreich, denn sie hat dazu beigetragen, daß 'Museum' das gebräuchliche Wort wurde, aber sie war alles andere als sicher untermauert.
Im vierten Teil bin ich einer Spur gefolgt, die die Debatte um das Berliner Museum legt: die der Herkunft des Wortes Museum. Diese Zeitreise bestätigte die Skrupel, die die Gelehrten in Berlin hatten; tatsächlich, so etwas wie ein Haus, in dem auf Dauer Gegenstände ausschließlich zum Zweck des Betrachtens bewahrt und ausgestellt werden, das gab es in der Antike nicht. Museion war der Versammlungsort der Musen, aber die Musen 'sammelten' nicht, sie sangen und tanzten.
Dennoch spinnt sich ein geistesgeschichtlicher Faden vom 8. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung (der ersten schriftlichen Erwähnung der Musen) bis in die Neuzeit herauf. Die Idee einer Art von kollektivem, gesellschaftlichem Gedächtnis (in der Antike: die gattungsgeschichtlichen Erzählungen des Mythos) einerseits und ein medientheoretischer und -kritischer Aspekt andrerseits. Denn in der Geschichte der Musen und ihres Aufenthaltsortes, dem Museion, spiegelt sich der zivilisatorische Bruch von lebendem und technischen Gedächtnis. Was nur mündlich überlieferbar war, wurde durch die Aufzeichnungsmedien Bild und Schrift dauerhaft, 'monumental, tendenziell unzerstörbar.
Die Dialektik von lebendem, aber kurzlebigem und schwankendem Erinnern und dinglicher, festgeschriebener Erinnerung, die das das lebende Gedächtnis bedroht, ist schon Stoff der antiken Philosophie selbst.
Das wird aber auch eine Hypothek für die Idee des Museums der Moderne werden. Die Dinge aufzubewahren und damit - nur vermeintlich - deren - Gedächtnis schon aktualisiert zu haben. An diesem Widerspruch wird sich die Kritik am Museum, namentlich die der künstlerischen Avantgarden, immer und immer wieder entzünden.
Vorerst waren aber das Museion und die Musen selbst vom Vergessen bedroht. Das christliche Mittelalter sah mit sehr raren Ausnahmen keinen Grund die 'heidnischen Götter' am Leben zu halten und erst die Rückwendung zu den antiken Überlieferungen in der mediterranen Renaissance des 15. und 16. Jahrhunderts ließ die Idee des Museion wieder aufleben. Und zwar als Ort der gelehrten Studien, als Ort der Sammlung, als Ort der beides beschützenden Musen, die zu diesem Zweck als Bilder oder Statuen (in Villen oder Parks) heraufgerufen wurden. Dem war der 5. Teil, "Die Wiederkehr der Musen", gewidmet.
Diese Entwicklung führt aber nicht zur privilegierten Verwendung des Wortes 'Museum'. Für die diversen Weisen des Sammelns und Ausstellens seit dem 16. Jahrhundert, gibt es viele Namen, Museum ist darunter (erstmals um 1550), aber einer unter vielen, und einer mit vielerlei Bedeutungen. Der Bedeutungsvielfalt und dem Bedeutungswandel von 'Museum' in der Neuzeit war der 6. Teil gewidmet, der bereist auf eine Entscheidung für den Gebrauch des Wortes vorbereitete. Nämlich der Schaffung mehrerer, für unterschiedliche Wissensbereiche zuständiger Museen in der Französischen Revolution und die Preisgabe einer Idee eines universalen Wissens- und Bildungsortes. Bis dahin waren beide unter dem Begriff Museum transportierten Optionen offen gewesen.
Der Louvre. Als 'Musée Napoleon' auch ein Ort der 'Trophäen', der im militärisch eroberten Ausland erbeuteten Kunstgüter. |
Zugänglichkeit für jedermann ist also kein Ziel des Museums, sondern Bedingung, daß die zivilisierende Aufgabe des Museums wahrgenommen werden kann.
Nach einem 8. Teil zur sofort einsetzenden 'Globalisierung' der Museumsidee und der Vorbildlichkeit des Französischen Modells, das im Schlepptau der französischen Armee in vielen europäischen Städten angesiedelt wird, habe ich dann im 9. Teil diesen zentralen Punkt der modernen Idee des Museums präzisiert - den Übergang von der Nutzung von Sammlungen und Ausstellungen als Vergünstigung (bis dahin sind mit raren Ausnahmen alle diese Praktiken privater Verfügungsgewalt) zum Museum, zu dessen Nutzung ein verbrieftes Recht besteht. Das transformiert den Sinn der Institution fundamental und macht das Museum, wie seine Architektur, seine städtebauliche Situation und der mediale Diskurs, in den es einbezogen ist, zeigen, zu einem Schlüsselphänomen der Moderne.
Von hier aus könnten wir also den Triumphzug einer Idee beschreiben, so wie es George Bazin in seiner Museumsgeschichte gemacht hat, der vom 19. Jahrhundert als dem Goldenen Zeitalter des Museums spricht. Aber es lohnt sich, auf etwas einzugehen, worüber dieser Triumphzug hinweggerollt ist: die essentielle Kritik die das Museum bereits im Moment seines Entstehens begleitet.
Das ist mein nächstes Thema - demnächst....
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