Mehr und mehr Kunstmuseen nutzen das Internet nicht nur für Werbung, sondern auch für Information. Große (Kunst)Museen bieten ihre Sammlungsbestände großzügig digitalisiert an, mit aufwendigen Suchmaschinen, exzellenten Abbildungen und gelegentlich auch mit sehr ausführlicher und fundierter Information.
Die Bilddatenbank etwa der Vereinigung der Französischen Nationalmuseen läßt keine Wünsche offen. Jedes einzelne Objekt ist mit allen nur erdenklichen und wünschbaren Daten versehen, es gibt zahllose Ordnungs- und Suchkriterien, die Abbildungen sind ausgezeichnet.
Von der Sorgfalt, mit der etwa das Rijksmuseum seine Interims-Ausstellung auf seiner Webseite nicht nur dokumentiert, sondern ein 'Nachlesen' und 'Nach-Denken' mit viel über die Ausstellung hinausgehender Information begleitet, war hier schon die Rede.
Abbildungen aus der, wenn ich mich recht erinnere, etwa 50.000 Fotografien umfassenden Fotothek des Museum of Natural History in New York, die dieses kürzlich rechtefrei ins Netz gestellt hat, habe ich hier auch schon verwendet; diese Sammlung ist einzigartig wegen ihrer dokumentarischen Qualität nicht so sehr was Objekte betrifft, sondern den Betrieb und 'Alltag' des Museums: Aufbau von Ausstellungen, pädagogische Aktivitäten, Besucher, Bau von Dioramen, Präparierung von Tieren für die Ausstellungen u.v.a.m.
Das Metropolitan-Museum hat über 30.000 Objekte in seinem Netz gestellt, Sammlungsobjekte buchstäblich aus 'aller Herren Länder', ebenfalls mit vielen verschiedenen Parametern abrufbar. Luxuriöse 'Werkzeuge' ermöglichen es einem, die 'unsichtbare Sammlung' des Museums chronologisch, ikonografisch, topografisch usw. zu 'sichten' und zu 'besichtigen'.
Beim Arbeiten mit dieser eindrucksvollen Bilddatenbank sind mir einige Dinge aufgefallen.
Eines der 'Portale', die den Zugang zum virtuellen Archiv öffnet, ist eine Weltkarte. Klar, dieses Museum hat eine Sammlung, die 'die ganze Welt' abdeckt. Hier findet man nicht nur Relikte der bekannten Hochkulturen, mittelalterliche Glasfenster, nordamerikanische indianische Vorratsgefäße, assyrische Reliefs, gotische Kathedralplastik, chinesische Landschaftszeichnungen, ein Renaissencestudiolo..., hier gibt es, oft nur in einem oder einigen wenigen Exemplaren, Exponate von nie gehörten, halb versunkenen, kaum erforschten Kulturregionen.
Dieses Museum sagt uns, die Welt (hier, Abbildung unten, die von 500 bis 1000 n.Chr.) steht Dir zur Verfügung, wir sind imstande sie zu präsentieren und zu repräsentieren. Suche Dir irgendeinen Punkt der Welt (a la Earth View) und wir zeigen Dir unsere passenden Schätze...
"Global survey" ist eine Formel, mit dem gelegentlich solche Museen charakterisiert werden - oder womit sie sich selbst charakterisieren. Survey ist ein vieldeutiges Wort, es läßt sich mit Zusammenstellung (in gewissem Sinn also als Sammlung) ebenso übersetzen, wie im Sinn von Prüfung, Bewertung, aber auch Erkundung, Studie oder auch Besichtigung.
Bestandsaufnahme ist eine weitere 'Übersetzung' des Wortes und sie trifft doch gut und genau diese Form der digitalen Repräsentation und die Art und Weise, wie sie sich an uns wendet.
Der 'Bestand' der Kulturen der Welt - das ist eine große, eine in gewisser Weise auch anmaßende Geste, eine einladende und verführende, was die Bequemlichkeit der Verfügbarkeit betrifft. Wir brauchen uns nicht mehr in Bewegung zu setzen, um 'Zugang' zu den 'kulturellen Werten und Schätzen' zu bekommen.
Die Tatsache und die Tücken der technischen Reproduktion - jedes Objekt in gleich großer Abbildung, egal ob es 'in Wirklichkeit' 3 oder 300 Zentimeter groß ist, immer nur frontal und in einer einzigen Ansicht usw. -, verdrängt man dabei gerne, genau so wie alle Bedingungen, die eine solche 'Übersicht' und 'Bestandsaufnahme' erst ermöglicht haben.
Zum Beispiel, die Art und Weise des Erwerbs. Angaben zur Provenienz gibt es, wie es scheint für alle Objekte, aber immer nur jene Angaben, die sich auf den Akt beziehen, mit dem das Objekt in den Besitz des Museums gelangte - hier, beim Metropolitan Museum, sind das sehr häufig Schenkungen von privater Seite. Zur Provenienzgeschichte erfährt man nichts.
Eine andere Beobachtung: das Suchen nach Objekten ist mit einer Distinktion möglich, die auf einer vom Museum für uns bereits getroffenen Entscheidung zusammenfällt. Wir können 'Alles' durchsuchen oder die 'Highlights'. Auch hier fehlen die Kriterien der Auswahl, aber interessant war für mich, was man sieht, wenn man 'Alles' sucht. Man sieht nämlich etwas, was man so in Museen nie zu sehen bekommt und nie zu sehen bekommen kann - die 'Summe' buchstäblich aller deponierten Dinge und das sozusagen gleichzeitig, also von der Kollossalstatue bis zum ephemeren Bruchstück in einer endlosen Reihe von Fotos und Texten den gesamten Sammlungsbestand. Man sieht und ahnt etwas von der possesistischen Gier der Institution, der Zufälligkeit des Sammlens, der Fragmentierung und Beliebigkeit der Sammlung.
Man sieht endlose Listen (s. Abb. unten) von Objekten, von Objeketen, die wohl kaum je das 'Licht' einer Ausstellung sehen werden und kaum über eine mehr oder weniger oberflächliche Inventarisierung hinaus Gegenstand der Forschung werden. Gar nicht werden können, angesichts der schieren Unmenge von Objekten.
Das Museum hat für diesen Fall eine Formel bereit, nämlich, daß alle Angaben vorbehaltlich einer späteren und genaueren Erforschung und Überprüfung gemacht werden.
Und noch eine Beobachtung: diese oft kleinen, bescheidenen Objekte, die unterm puren Augenschein nichts vermitteln und die ohne einen dinglichen oder deutenden Kontext kaum mehr sind als deponiertes Strandgut - hier im Museum bedeuten sie nahezu nichts, solange sie nicht (was dann ja auch nur auf Zeit geschähe) ausgestellt und damit bearbeitet und in einen wie immer formierten Kontext gestellt würden.
In ihrem - wenn er so oder so noch existierte - ursprünglichen Kontext, aber auch in einem inzwischen 'fremden', aber politisch-gesellschaftlich und kulturell ihrer Herkunft gemäßeren, was würden sie da bedeuten? Wohl ungleich mehr. Sie hätten im glücklichen Fall schon ob einer geschichtlich-kulturell 'passenderen' Anwesenheit ganz andere Chancen der Wahrnehmbarkeit und ganz andere Potentiale an Bedeutungen.
Wenn gelegentlich an einzelnen, spektakulären Objekten, die komplexe Frage der Restiution diskutiert wird, stellen die Massen an 'fremdem' Strandgut in so vielen ('westlichen') Museen nicht auch die Frage nach einem strukturellen und umfassendem 'Entzug'?
"Global survey", von großen Museen als argumentative Waffe in der Abwehr von Restitutionsforderungen benutzt (wir hielten so lange Jahre die schützende Hand über die Schätze der Menschheit....), ist nur möglich durch eine Art ursprünglicher Akkumulation kultureller Güter und Werte, die dann eben wo anders 'fehlen'.
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