Samstag, 6. Februar 2010

Je näher man ein Wort ansieht, desto ferner sieht es zurück: Museum (Was ist ein Museum 03)

Die selbstbewußte Feststellung des Indian Museum in Kalkutta, das neuntälteste Museum der Welt zu sein, hat uns zu der Frage geführt, welches denn das erste wäre und in der Folge zu einer kleinen Studiensammlung von ‚Ersten Museen’, was wiederum schnell gezeigt hat, daß ‚Museum’ höchst unterschiedliche Praktiken des Sammelns, Zeigens und Wissens über einen sehr langen Zeitraum hinweg bezeichnet. Ein einziges Wort, um den humanistischen Wissensraum und das nationale Sammlungs- und Schaumuseum zu bezeichnen? Kompliziert wird die Angelegenheit noch dadurch, daß das Wort auch noch ganz andere Dinge bezeichnet. Es hat mythologische, religiöse, wissenschaftliche oder zum Beispiel literarische Konnotationen.
Und dann: es ‚passt’ nicht. Es deckt gar nicht die moderne Idee des allgemein zugänglichen Sammlungsortes ab, den eine Gesellschaft in repräsentativer und diskursiver Absicht einrichtet und unterhält.
Deswegen kommt es am Beginn des 19. Jahrhunderts, also zu dem Zeitpunkt wo sich dieses neue Modell kultureller Selbstdarstellung und Selbstvergewisserung entwickelt und durchsetzt, zu einer Kritik des Begriffs. Bei der Errichtung einer königlichen Antikensammlung in München verzichtet man auf ihn und wählt das Kunstwort Glyptothek. Während der Errichtung des zeitgleich entstehenden Königlichen Museum in Berlin (heute: Altes Museum) beginnt man sich zu fragen, ob es denn je in der Antike eine Praxis, eine Institution gegeben hat, die dem entspricht, was man grade dabei ist zu verwirklichen. Es kommt zu einem kurzen gelehrten Disput in die Akademie der Wissenschaft eingeschaltet wird. Und das Resultat der Debatte ist: nein, so etwas wie ein allgemein zugängliches Haus, das dazu da ist, daß überlieferte, historische Kunst zum Zweck der Bildung auf Dauer bewahrt und ausgestellt würde, so etwas kannten ‚die Alten’ nicht.
Museum würde "im ganzen Alterthume" nur Orte der Wissenschaft bezeichnen, solche zur "Aufbewahrung von archäologischen oder Kunstgegenständen" niemals.
Man entscheidet sich dennoch für ‚Museum’, um in der (lateinschen) Stifterinschrift an der Fassade des Baues den Zweck des Ganzen zu bezeichnen. Und zwar indem man sich auf eine ‚ältere’ Bedeutung des griechischen Wortes beruft. Freilich ohne diese Bedeutung zu erläutern.
Mit der Benennung des Museums der Revolutionszeit im königlichen Schloß, dem Louvre, als ‚Museum Française’ (und nicht als Musée, und das macht einen Unterschied – davon vielleicht ein andermal), war der latinisierten Übertragung des griechischen ‚museion’ zur Bezeichnung der staatlichen Sammlung und des nationalen Museums bereits der Weg geebnet.
Aber ich denke, daß die Entscheidung, die man in Berlin traf, noch einmal eine wichtige für die ab nun usuelle Bezeichnung war, und zwar, weil es sich um den ersten Museumsbau (Karl Friedrich Schinkel) handelte (in einer bedetenden Stadt und für eine bedeutende Sammlung), der den Funktionen des Museums architektonisch Ausdruck gab: praktisch, symbolisch und performativ.
Ist die Geschichte damit zu Ende?
Keineswegs. Denn was verstand man in Berlin wohl unter der ‚älteren Bedeutung’ des Wortes Museum? Warum die Wahl eines eingestandenermaßen ‚unpassenden’ Wortes? Und warum übersetzte man dieses Wort (entgegen der Wortbedeutung) so ins Deutsche: Ruheort (nämlich der Kunst)?
FRIDERICVS GVILELMMVS III STVDIO ANTIQVITATIS OMNI­GENAE ET ARTIVUM LIBERALIVM MVSEVM CONSTITVIT MDCCCXXVIII - Friedrich Wilhelm III hat dem Studium jeder Art Alterthümer und der freien Künste diesen Ruheort gestiftet 1828.
Fortsetzung folgt.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen