Wir alle glauben zu wissen, was ein Museum ist. Wie in diesem Gemälde von Hubert Robert (1733-1808) ist es ein Raum, eine Architektur, in der Leute zusammenkommen, um etwas zu sehen, hier sind es Kunstwerke zu. Was wir sehen, ist eine Menschenmenge, Männer, Frauen, Kinder, wir sagen, ein Publikum, aus offenbar sehr unterschiedlichen Personen zusammengesetzt, in die Betrachtung von Kunstwerken, in Gespräche vertieft, aber auch - man darf annehmen es sind Künstler - kopierend vor einzelnen Gemälden.
Was das Gemälde zeigt, scheint genau das zu sein, was wir von einem Museum erwarten: eine Sphäre des sozial unbegrenzten Zuganges. Jedermann scheint hier die Erlaubnis zum Zutritt zu haben und jedermann scheint der Gebrauch von Kunst oder Kultur gestattet zu sein, in diesem Haus und Raum mit dem Namen ‘Museum’.
Was die im Gemälde dargestellte Menge vom Publikum aller früheren (und seltenen) Darstellungen von Sammlungsräumen unterscheidet, ist das Selbstbewußtsein und die Autonomie, mit der die Besucher auftreten und sich verhalten.
Die Selbstverständlichkeit, mit der sich Menschen im Museumsraum bewegen – hier ist es die Grande Galerie des Louvre -, hat mit einem signifikanten Bruch zu tun, mit dem Sammlungen in einem bestimmbaren geschichtlichen Zeitraum Allgemein-(Staats-)Besitz werden und das Recht auf kulturelle Betätigung und Bildung als Menschenrecht und von der Verfassung jedermann garantiert werden. Bis dahin befanden sich Sammlungen (mit wenigen Ausnahmen) in privatem Besitz und alle Regelungen ihrer Nutzung und Zugänglichkeit unterlagen willkürlichen Entscheidungen des Besitzers. Sie konnten ebenso großzügig wie restriktiv sein. Jetzt ist der Zugang zu den ‚Bildungsgütern’, also auch zum Museum ein Recht.
Das Gemälde ist eines von vielen, das Hubert Robert von der Grande Galerie gemalt hat. Es zeigt nicht dokumentarisch den tatsächlichen Zustand, sondern einen erwünschten und zukünftigen. Der Louvre wurde 1793 als öffentliches Museum eröffnet. In diesem Jahr wurde der Künstler adeliger Auftraggeber verhaftet und entging nur knapp der Guillotinierung. Wenig später finden wir ihn, der auch sein Atelier im Louvre hatte, in der Kommission, der die Betreuung des Museums vom Nationalkonvent anvertraut war.
Robert fordert hier die Utopie eines Museums ein, die Mitte 1793 bereits Realität geworden, aber noch unvollkommen realisiert worden war.
In Wirklichkeit war die Grande Galerie ein ziemlich düsterer 'Tunnel', noch nicht von oben beleuchtet. Aber in allen Gemälden Roberts, in denen er diesen zentralen Raum des Museums dargestellt hat - als Baustelle, als Entwurf, als Ruine, als prachtvolle und reich ausgestattete Galerie -, immer ist der Raum mit einem Publikum bevölkert, wie man es von anderen Sammlungsdarstellungen nicht kannte. Ab jetzt garantierte der Staat den Bestand des Museums und die allgemeine und freie Benutzung.
Allgemeiner Besitz des kulturellen Erbes, Grundrecht auf Bildung und Zugang als allgemeines Recht sind aber nicht der Zweck des Museums, sondern seine Bedingungen. Nur wo diese strukturellen Voraussetzungen vorhanden sind, kann das Museum seine sozialisierende und zivilisierende Rolle erfüllen. Erst dann wird das Museum zum diskursiven und sozialen Raum, in dem die Phantasmen von ‚Wir’, ‚Ganzheit’, ‚Endlichkeit’, ‚Herkunft und Zukunft’, ‚Freiheit’ oder ‚Andersheit’ und viele andere mehr zirkulieren können. So ist dieses Museum auch ein nationales u n d universales Museum.
Freitag, 30. April 2010
Donnerstag, 29. April 2010
Lives of Perfect Creatures. Dogs of the Soviet Space Program - Paul Weschler (Das Museum lesen 09)
Das Buch Mr. Wilsons Wunderkammer von Paul Weschler stellt das Museum of Jurassic Technology in Los Angeles vor. 'Vorstellen' ist der falsche Ausdruck: in einer Mischung von Essay, Biografie und investigativem Journalismus versucht der Autor einem der merkwürdigsten und bemerkenswertesten Museen, jedenfalls einem Museum mit einem sehr merkwürdigen Titel, Tage auf die Spur zu kommen.
Dieses Museum ist aus der obsessiven Beschäftigung mit den Grenzen und Widersprüchen der musealen Repräsentation geboren, und ist als solches vor allem bei Museumsleuten und Museologen belibt. Man darf vermuten, weil hier etwas passieren darf, was im musealen Normalbetrieb nicht passieren soll. Die spielerische, experimentelle Überschreitung von Grenzen, das Arbeiten mit Verrätselungen und dem Staunenswerten, mit Authentizität und Fiktion.
Hat es Madalena Delanie, die in die USA emigrierte Liedsängerin aus Rumänien wirklich gegeben, und hat sie Mr. Sonnabend wirklich je getroffen? Vor allem aber: gibt uns die Delanie/Sonnabend-Hall des Museums darüber wirklich Auskunft? Der Museumsgründer schreibt dazu: The Delani/Sonnabend Halls which occupy the entire rear quarters of the Museum's original building house a sequential array of exhibits which, when taken together, detail the lives and work of Madelena Delani, a singer of art songs and operatic material and Geoffery Sonnabend, a neurophysiologist and memory researcher who's three volume work Obliscence: Theories of Forgetting and the Problem of Matter stands a milestone in the field.
Weschler beschreibt das Museum of Jurassic Technology in einer ähnlich elliptischen Bewegung, wie sie das Museum selbst operiert. Er breitet zunächst erzählerisch einige der Wundergeschichten des Museums aus, so daß es einem den Boden unter den Füßen wegzieht, dann lenkt er in einer Art Recherche auf die Quellen und Anregungen in der Museumsgeschichte, die für Mr. Wilson wichtig waren und sind. Ehe man zu fürchten beginnt, Paul Weschler würde mit seiner peniblen Aufarbeitung entzaubern, dreht er noch mal in eine andere Richtung und läßt uns so erst recht neugierig zurück.
Er findet einen Stil, der das Museum weder abschildert noch erklärt, sondern der in die Ideenwelt hineinschlüpft, um sich dort verwundert zu verirren, wie wir uns in diesem Buch – und auch im Museum – verirren dürfen. Was erwartet man denn von einer Abteilung des Museums mit dem Titel Lives of Perfect Creatures. Dogs of the Soviet Space Program? Oder vom GARDEN OF EDEN ON WHEELS mit den Selected Collections from Los Angeles Area Mobile Home and Trailer Parks?
Weschler, Lawrence: Mr. Wilson's Cabinet of Wonder. Pronged Ants, Horned Humans, Mice on Toast, and Other Marvels of Jurassic Technology. New York (Panther Books) 1995. Dt.: Mr. Wilsons Wunderkammer. Von aufgespießten Ameisen, gehörnten Menschen und anderen Wundern der jurassischen Technik. München Wien 1998
Dieses Museum ist aus der obsessiven Beschäftigung mit den Grenzen und Widersprüchen der musealen Repräsentation geboren, und ist als solches vor allem bei Museumsleuten und Museologen belibt. Man darf vermuten, weil hier etwas passieren darf, was im musealen Normalbetrieb nicht passieren soll. Die spielerische, experimentelle Überschreitung von Grenzen, das Arbeiten mit Verrätselungen und dem Staunenswerten, mit Authentizität und Fiktion.
Hat es Madalena Delanie, die in die USA emigrierte Liedsängerin aus Rumänien wirklich gegeben, und hat sie Mr. Sonnabend wirklich je getroffen? Vor allem aber: gibt uns die Delanie/Sonnabend-Hall des Museums darüber wirklich Auskunft? Der Museumsgründer schreibt dazu: The Delani/Sonnabend Halls which occupy the entire rear quarters of the Museum's original building house a sequential array of exhibits which, when taken together, detail the lives and work of Madelena Delani, a singer of art songs and operatic material and Geoffery Sonnabend, a neurophysiologist and memory researcher who's three volume work Obliscence: Theories of Forgetting and the Problem of Matter stands a milestone in the field.
Weschler beschreibt das Museum of Jurassic Technology in einer ähnlich elliptischen Bewegung, wie sie das Museum selbst operiert. Er breitet zunächst erzählerisch einige der Wundergeschichten des Museums aus, so daß es einem den Boden unter den Füßen wegzieht, dann lenkt er in einer Art Recherche auf die Quellen und Anregungen in der Museumsgeschichte, die für Mr. Wilson wichtig waren und sind. Ehe man zu fürchten beginnt, Paul Weschler würde mit seiner peniblen Aufarbeitung entzaubern, dreht er noch mal in eine andere Richtung und läßt uns so erst recht neugierig zurück.
Er findet einen Stil, der das Museum weder abschildert noch erklärt, sondern der in die Ideenwelt hineinschlüpft, um sich dort verwundert zu verirren, wie wir uns in diesem Buch – und auch im Museum – verirren dürfen. Was erwartet man denn von einer Abteilung des Museums mit dem Titel Lives of Perfect Creatures. Dogs of the Soviet Space Program? Oder vom GARDEN OF EDEN ON WHEELS mit den Selected Collections from Los Angeles Area Mobile Home and Trailer Parks?
Weschler, Lawrence: Mr. Wilson's Cabinet of Wonder. Pronged Ants, Horned Humans, Mice on Toast, and Other Marvels of Jurassic Technology. New York (Panther Books) 1995. Dt.: Mr. Wilsons Wunderkammer. Von aufgespießten Ameisen, gehörnten Menschen und anderen Wundern der jurassischen Technik. München Wien 1998
Mittwoch, 28. April 2010
Musée Grevin, Paris
Der Faszination von Wachsfigurenkabinetten entzieht sich kaum jemand. Bei gut gemachten Figuren löst die Nähe von Lebensnähe und Totenstarre dia ambivalente Erfahrung von Angst und Staunen aus. Solche Kabinette sind immer unheimlich und trösten im Versprechen, ein Überdauern als Bild sei möglich. Tatsächlich kommt die Wachsbildnerei aus dem Totenkult. Wo der organische Leib zum Verfall verurteilt wurde, bot ein sozialer Leib, eine Puppe aus Holz, Wachs oder welchem Material auch immer, ein die Person erinnerndes Memento. Wachs erwies sich dabei wegen seiner Lebensnähe als besonders geeignet, einen Toten zu 'ersetzen' und dabei 'noch lebendig' zu erscheinen.
Frankreich war das Land, in dem die Brücke vom Totenkult zur Schaustellung gerschlagen wurde. Madame Gresholtz, Schülerin eines der berühmtesten Wachsbildners des 18. Jahrhunderts, modellierte in der Revolution die Köpfe von Guillotinierten, die zu Propagandazwecken ausgestellt wurden. Als die Revolution zu Ende ging, floh Gresholtz nach London und änderte ihren Namen: ab nun nannte sie sich Madame Tussaud.
Das Musée Grevin wurde 1882 eröffnet und war sofort ein Erfolg. Nach und nach wurde es erweitert, vom Wachsfigurenkabinett zum Komplex mit kleinem Theater und illusionistischen Räumen, unter anderem dem Le Palais des Mirages, das von der Weltausstellung von 1900 übernommen wurde und nach umfassender Restaurierung seine illusionistischen Verwandlungen wieder eindrucksvoll vorführt. Schon wegen der Belle-Epoque-Architektur lohnt sich der Besuch des Musée Grevin - übrigens und der benachbarten Passagen, in denen sich seit Walter Benjamins oder Louis Aragons Zeiten nichts geändert zu haben scheint.
Doch verblüfft das Musée nicht nur damit und mit mehr oder minder gelungenen Wachsfiguren von Zeitgenossen wie Zidane, Jospin, Bocuse, Dali, de Gaulle oder einer - ziemlich mißglückten - Fanny Ardant, sondern mit alten Tableaus, die einmal so etwas wie ein Museum der Geschichte Frankreichs mit einer Reihe von Tableaus zu der der Französischen Revolution gebildet haben. Teile davon sind inzwischen leider einer 'Modernisierung' des Figurenensembles zum Opfer gefallen sind: Wie etwa die unheimliche Gedenk- und Reliquieninszenierung von Napoleons Sterbezimmer. Aber Jeanne darc darf noch am Scheiterhaufen verbrennen...
Frankreich war das Land, in dem die Brücke vom Totenkult zur Schaustellung gerschlagen wurde. Madame Gresholtz, Schülerin eines der berühmtesten Wachsbildners des 18. Jahrhunderts, modellierte in der Revolution die Köpfe von Guillotinierten, die zu Propagandazwecken ausgestellt wurden. Als die Revolution zu Ende ging, floh Gresholtz nach London und änderte ihren Namen: ab nun nannte sie sich Madame Tussaud.
Das Musée Grevin wurde 1882 eröffnet und war sofort ein Erfolg. Nach und nach wurde es erweitert, vom Wachsfigurenkabinett zum Komplex mit kleinem Theater und illusionistischen Räumen, unter anderem dem Le Palais des Mirages, das von der Weltausstellung von 1900 übernommen wurde und nach umfassender Restaurierung seine illusionistischen Verwandlungen wieder eindrucksvoll vorführt. Schon wegen der Belle-Epoque-Architektur lohnt sich der Besuch des Musée Grevin - übrigens und der benachbarten Passagen, in denen sich seit Walter Benjamins oder Louis Aragons Zeiten nichts geändert zu haben scheint.
Doch verblüfft das Musée nicht nur damit und mit mehr oder minder gelungenen Wachsfiguren von Zeitgenossen wie Zidane, Jospin, Bocuse, Dali, de Gaulle oder einer - ziemlich mißglückten - Fanny Ardant, sondern mit alten Tableaus, die einmal so etwas wie ein Museum der Geschichte Frankreichs mit einer Reihe von Tableaus zu der der Französischen Revolution gebildet haben. Teile davon sind inzwischen leider einer 'Modernisierung' des Figurenensembles zum Opfer gefallen sind: Wie etwa die unheimliche Gedenk- und Reliquieninszenierung von Napoleons Sterbezimmer. Aber Jeanne darc darf noch am Scheiterhaufen verbrennen...
Frankreich, das Land der Museologie - Nina Gorgus (Das Museum lesen 08)
Wenn man sich mit den Pariser Museen beschäftigt, wird einem auffallen, wie sehr deren Profil durch eine enge und wechselseitige Beziehung zu den Wissenschaften und zu wissenschaftlichen Institutionen bestimmt ist. Wie häufig dort Museen raumlich und funktional mit wissenschaftlichen Einrichtungen verbunden sind.
Dadurch entsteht zwangsläufig ein reflexives Verhältnis zum Museum und zur Museumsarbeit. 'Museologie' hat als spezifische Reflexionsarbeit und -möglichkeit in Frankreich einen hohen Stellenwert.
Und es ist schade, daß im Vergleich zu angelsächsischen Debatten so wenig davon in der deutschsprachigen Diskussion eine Rolle spielt.
Das Niveau der französiche Museologie ist aber nicht nur strukturellen und institutionellen Bedingungen geschuldet, sondern auch Persönlichkeiten wie Henri Georges Rivières, eine Schlüsselfigur in der Entwicklung von Theorie und Praxis.
Rivière war Ethnologe und Museologe mit großer Affinität zur zeitgenössichen Kunst, dem Jazz und zur Philosophie. Mit Georges Bataille gründet er die Zeitschrift documents, (dessen aleatorisches 'Glossar' jenen kurzen Text unter dem Lemma 'Museum' enthält, der wie wohl kein zweiter Einfluß auf mein Denken übers Museum hatte.)
Das kenntnis- und materialreiche Buch von Nina Gorgus ist aber weit mehr als eine Biografie, es bietet einen interessanten Blick auf die Museumsentwicklung in Paris seit den 30er-Jahren, auf wichtige Museen wie etwa das Musée des Arts et Traditions Populaires de la France (dessen Gründer Rivière war), und wichtige Museumsideen, wie die 'Erfindung' des Ècomusée. Ein weiterer Vorzug des Buches ist die Begabung der Autorin, die biografischen und institutionellen Aspekte anschaulich mit den ideologisch-politischen zu vermitteln.
Dadurch entsteht zwangsläufig ein reflexives Verhältnis zum Museum und zur Museumsarbeit. 'Museologie' hat als spezifische Reflexionsarbeit und -möglichkeit in Frankreich einen hohen Stellenwert.
Und es ist schade, daß im Vergleich zu angelsächsischen Debatten so wenig davon in der deutschsprachigen Diskussion eine Rolle spielt.
Das Niveau der französiche Museologie ist aber nicht nur strukturellen und institutionellen Bedingungen geschuldet, sondern auch Persönlichkeiten wie Henri Georges Rivières, eine Schlüsselfigur in der Entwicklung von Theorie und Praxis.
Rivière war Ethnologe und Museologe mit großer Affinität zur zeitgenössichen Kunst, dem Jazz und zur Philosophie. Mit Georges Bataille gründet er die Zeitschrift documents, (dessen aleatorisches 'Glossar' jenen kurzen Text unter dem Lemma 'Museum' enthält, der wie wohl kein zweiter Einfluß auf mein Denken übers Museum hatte.)
Das kenntnis- und materialreiche Buch von Nina Gorgus ist aber weit mehr als eine Biografie, es bietet einen interessanten Blick auf die Museumsentwicklung in Paris seit den 30er-Jahren, auf wichtige Museen wie etwa das Musée des Arts et Traditions Populaires de la France (dessen Gründer Rivière war), und wichtige Museumsideen, wie die 'Erfindung' des Ècomusée. Ein weiterer Vorzug des Buches ist die Begabung der Autorin, die biografischen und institutionellen Aspekte anschaulich mit den ideologisch-politischen zu vermitteln.
Nina Gorgus: Der Zauber der Vitrinen. Zur Museologie Georges Henri Rivière Münster New York München Berlin 1999
Partizipation. Call for Papers des Historischen Museum Frankfurt
Ich bin von Mitarbeiterinnen des Historischen Museums Frankfurt gebeten worden, diesen Call for Papers zu verbreiten - was ich hiemit gerne tue. GF
// Call for Papers //
Arbeitstagung vom 18.-19.11.2010
Gegenwartsthemen ausstellen
Zwischen Partizipation und user generated content – eine Herausforderung für das
Stadtmuseum des 21. Jahrhunderts
Das historische museum frankfurt plant im Rahmen seiner Neukonzeption neben einer stadtgeschichtlichen Dauerausstellung einen Ausstellungsbereich zu Gegenwart und Zukunft der Stadt Frankfurt. Das Stadtlaboratorium wird in Zusammenarbeit mit seinen Besuchern bzw. Benutzern erarbeitet.
Die Arbeitstagung richtet sich an Experten und Kollegen, die Gegenwarts-und Zukunftsthemen in Kooperation mit Communities erarbeiten und ausstellen bzw. an Vertreter verschiedener Wissenschaftsdisziplinen, deren Forschungsarbeiten das im Titel umrissene Themenspektrum beinhalten.
Partizipativ ausstellen
Während der Arbeitstagung wird das „partizipative Museum“ sowohl in theoretischer Perspektive als auch an Hand von vielfältigen Praxisbeispielen erörtert werden.
Ihre Wurzeln findet die Idee der „Bevölkerungsbeteiligung“ bereits im 19. Jahrhundert und setzt sich schließlich in den 1970er Jahren unter Einbezug des lebensweltlichen Kontextes durch
(z.B. im Écomusée, Georges Henri Rivière).
Für ein Stadtmuseum einer kleinen Metropolregion zu Beginn des 21. Jahrhunderts stellen sich jedoch manche Fragen anders, denen wir in einer ersten Themeneinheit nachgehen wollen: Wie gelingt der Anspruch, eine reale und nachhaltige Teilhabe und Mitbestimmung im Ausstellungsprozess umzusetzen? Welche Haltung kann, soll oder muss das Museum (auch als städtische Institution) einnehmen, wenn es mit gesellschaftlichen und politischen Konfliktthemen umzugehen hat, die von seinen Kooperationspartnern eingebracht werden? Wie gelingt die Balance zwischen einer kooperativen Ausstellungskonzeption und dem gleichzeitigen Qualitätsanspruch der Bildungsinstitution? Versprechen solche Co-Creation-Prozesse weitere Mehrwerte, als jene, Reflexionen über eigene soziokulturelle Praxen anzustellen und Identitätsangebote in der unsicheren Moderne zu schaffen? Ist es ein Marketinginstrument? Wie können Museumsbesucher aktiv Ausstellungsinhalte mitbestimmen und erarbeiten, ohne dass die Museumskuratoren zu reinen Facility Managern werden? Laufen wir Gefahr, wie Udo Gösswald, Leiter des Berliner Bezirksmuseums Neukölln, auf der Tagung der Berliner Stadtmuseen im April 2009 warnte, durch eine unnötige „Amateurisierung“ die Museumsarbeit zu entwerten? Oder verändern sich die Rollen dahingegen, dass der Kurator zu einem „Vermittler, Moderator und Übersetzer“ und der Besucher zum „Lernenden, Lehrenden, Betrachter und Betrachteten“ wird (Beat Hächler, Co-Leitung Stapferhaus Lenzburg)? Schließlich sind in diesem partizipativen Anspruch die Forderungen nach der interkulturellen Öffnung einer deutschen Bildungsinstitution sowie nach einem niedrig schwelligen Zugang für bildungsferne Milieus verwoben.
Praktisch möchten wir den Austausch anregen: Welche Erfahrungen wurden bereits mit partizipativen Ausstellungsprojekten gemacht und welche Resümees können daraus für die konkrete Umsetzung gezogen werden? Welche Partizipationsformen und -methoden wie z. B. „open space“ und „world café“ haben sich bewährt, welche sind als problematisch zu bewerten?
Gegenwart ausstellen
In einer zweiten Themeneinheit wird der Blick auf das Ausstellen von Gegenwartsthemen in einem Stadtgeschichtlichen Museum gerichtet. Das Stadtlabor, in dem über die Gegenwart und Zukunft des alltäglichen Lebens in der Stadt reflektiert und verhandelt werden soll, fordert ähnliche aber auch andere Ausstellungsweisen sowie Kommunikations-und Interaktionformen heraus, als es kultur-und sozialgeschichtliche Ausstellungen tun. Der Begriff der „sozialen Szenografie“ will den offenen Interaktionsprozess zwischen Besucher, Ausstellungsmacher, Personal, Objekt und Raum auf neue Weise fassen und die Handlungen der Besucher selbst als Ausstellungsinhalt und -bestandteil nutzbar machen. Innerhalb des diskursiven Stadtlabors gilt es, sich mit soziokulturellen und politischen Gegenwartsthemen der Stadtgesellschaft auseinanderzusetzen, um die Gegenwart zu gestalten und die Zukunft anzudenken. Es geht also um Alltagsthemen der Gegenwart, die in die individuelle oder kollektive Vergangenheit in Form von Erinnerung und Geschichte als auch in das Zukünftige eingebettet sind, in dem sich persönliche als auch gesellschaftlich geteilte Visionen und Entwicklungsoptionen zeigen. Es sind Themen, die sich in einem aktuellen Diskurs befinden, möglicherweise aber in ihrem gesellschaftlichen Aushandlungsprozess begrifflich noch nicht gefasst sind.
Welche Themen als relevant zu betrachten sind, gilt es zu klären. Sie sind nach Entscheidungskriterien zu bestimmen, die zu entwickeln Gottfried Fliedl als „nicht auflösbares Dilemma“ bezeichnete. Möglicherweise ist auch dies nur in Form eines partizipativen Aushandlungsprozesses und einer sensiblen Aufmerksamkeit für aktuelle Themen denkbar – vergleichbar mit Arbeitsweisen der Szene-Scouts.
Fragen, die Anlass geben über Gegenwartsausstellungen nachzudenken, sind außerdem: Was leisten Ausstellungen über Gegenwartsthemen im Vergleich zu der alltäglichen medialen Berichterstattung? Wie kann die Gegenwart diskursiv verhandelt werden? Welche theoretischen Positionen greifen hierfür? Wie lassen sich kulturgeschichtliche Ausstellungen mit gegenwartsbezogenen Ausstellungsräumen verschränken? Welche Folgen für die Museen hat das Konzept der partizipativen Gegenwartsausstellung für die klassischen Funktionen sammeln, bewahren, ausstellen, vermitteln?
Für 2011 ist eine Folgeveranstaltung in der Schweiz angedacht. Beide Tagungen sollen in einem Tagungsband dokumentiert werden.
Call for Papers: Einsendeschluss 15. August 2010
Detailprogramm ab Mitte September 2010
Für Fragen und Anregungen
Susanne Gesser (susanne.gesser@stadt-frankfurt.de, Tel: 069 212 35633) und Katja Weber (katja.weber@stadt-frankfurt.de, Tel: 069 212 33814)
historisches museum frankfurt
Saalgasse 19 (Römerberg) 60311 Frankfurt am Main Tagungsseite: http://www.historisches-museum-frankfurt.de/index.php?article_id=190&clang=0
Bitte schicken Sie Ihre Exposés (1-3 Seiten) an:
katja.weber@stadt-frankfurt.de
// Call for Papers //
Arbeitstagung vom 18.-19.11.2010
Gegenwartsthemen ausstellen
Zwischen Partizipation und user generated content – eine Herausforderung für das
Stadtmuseum des 21. Jahrhunderts
Das historische museum frankfurt plant im Rahmen seiner Neukonzeption neben einer stadtgeschichtlichen Dauerausstellung einen Ausstellungsbereich zu Gegenwart und Zukunft der Stadt Frankfurt. Das Stadtlaboratorium wird in Zusammenarbeit mit seinen Besuchern bzw. Benutzern erarbeitet.
Die Arbeitstagung richtet sich an Experten und Kollegen, die Gegenwarts-und Zukunftsthemen in Kooperation mit Communities erarbeiten und ausstellen bzw. an Vertreter verschiedener Wissenschaftsdisziplinen, deren Forschungsarbeiten das im Titel umrissene Themenspektrum beinhalten.
Partizipativ ausstellen
Während der Arbeitstagung wird das „partizipative Museum“ sowohl in theoretischer Perspektive als auch an Hand von vielfältigen Praxisbeispielen erörtert werden.
Ihre Wurzeln findet die Idee der „Bevölkerungsbeteiligung“ bereits im 19. Jahrhundert und setzt sich schließlich in den 1970er Jahren unter Einbezug des lebensweltlichen Kontextes durch
(z.B. im Écomusée, Georges Henri Rivière).
Für ein Stadtmuseum einer kleinen Metropolregion zu Beginn des 21. Jahrhunderts stellen sich jedoch manche Fragen anders, denen wir in einer ersten Themeneinheit nachgehen wollen: Wie gelingt der Anspruch, eine reale und nachhaltige Teilhabe und Mitbestimmung im Ausstellungsprozess umzusetzen? Welche Haltung kann, soll oder muss das Museum (auch als städtische Institution) einnehmen, wenn es mit gesellschaftlichen und politischen Konfliktthemen umzugehen hat, die von seinen Kooperationspartnern eingebracht werden? Wie gelingt die Balance zwischen einer kooperativen Ausstellungskonzeption und dem gleichzeitigen Qualitätsanspruch der Bildungsinstitution? Versprechen solche Co-Creation-Prozesse weitere Mehrwerte, als jene, Reflexionen über eigene soziokulturelle Praxen anzustellen und Identitätsangebote in der unsicheren Moderne zu schaffen? Ist es ein Marketinginstrument? Wie können Museumsbesucher aktiv Ausstellungsinhalte mitbestimmen und erarbeiten, ohne dass die Museumskuratoren zu reinen Facility Managern werden? Laufen wir Gefahr, wie Udo Gösswald, Leiter des Berliner Bezirksmuseums Neukölln, auf der Tagung der Berliner Stadtmuseen im April 2009 warnte, durch eine unnötige „Amateurisierung“ die Museumsarbeit zu entwerten? Oder verändern sich die Rollen dahingegen, dass der Kurator zu einem „Vermittler, Moderator und Übersetzer“ und der Besucher zum „Lernenden, Lehrenden, Betrachter und Betrachteten“ wird (Beat Hächler, Co-Leitung Stapferhaus Lenzburg)? Schließlich sind in diesem partizipativen Anspruch die Forderungen nach der interkulturellen Öffnung einer deutschen Bildungsinstitution sowie nach einem niedrig schwelligen Zugang für bildungsferne Milieus verwoben.
Praktisch möchten wir den Austausch anregen: Welche Erfahrungen wurden bereits mit partizipativen Ausstellungsprojekten gemacht und welche Resümees können daraus für die konkrete Umsetzung gezogen werden? Welche Partizipationsformen und -methoden wie z. B. „open space“ und „world café“ haben sich bewährt, welche sind als problematisch zu bewerten?
Gegenwart ausstellen
In einer zweiten Themeneinheit wird der Blick auf das Ausstellen von Gegenwartsthemen in einem Stadtgeschichtlichen Museum gerichtet. Das Stadtlabor, in dem über die Gegenwart und Zukunft des alltäglichen Lebens in der Stadt reflektiert und verhandelt werden soll, fordert ähnliche aber auch andere Ausstellungsweisen sowie Kommunikations-und Interaktionformen heraus, als es kultur-und sozialgeschichtliche Ausstellungen tun. Der Begriff der „sozialen Szenografie“ will den offenen Interaktionsprozess zwischen Besucher, Ausstellungsmacher, Personal, Objekt und Raum auf neue Weise fassen und die Handlungen der Besucher selbst als Ausstellungsinhalt und -bestandteil nutzbar machen. Innerhalb des diskursiven Stadtlabors gilt es, sich mit soziokulturellen und politischen Gegenwartsthemen der Stadtgesellschaft auseinanderzusetzen, um die Gegenwart zu gestalten und die Zukunft anzudenken. Es geht also um Alltagsthemen der Gegenwart, die in die individuelle oder kollektive Vergangenheit in Form von Erinnerung und Geschichte als auch in das Zukünftige eingebettet sind, in dem sich persönliche als auch gesellschaftlich geteilte Visionen und Entwicklungsoptionen zeigen. Es sind Themen, die sich in einem aktuellen Diskurs befinden, möglicherweise aber in ihrem gesellschaftlichen Aushandlungsprozess begrifflich noch nicht gefasst sind.
Welche Themen als relevant zu betrachten sind, gilt es zu klären. Sie sind nach Entscheidungskriterien zu bestimmen, die zu entwickeln Gottfried Fliedl als „nicht auflösbares Dilemma“ bezeichnete. Möglicherweise ist auch dies nur in Form eines partizipativen Aushandlungsprozesses und einer sensiblen Aufmerksamkeit für aktuelle Themen denkbar – vergleichbar mit Arbeitsweisen der Szene-Scouts.
Fragen, die Anlass geben über Gegenwartsausstellungen nachzudenken, sind außerdem: Was leisten Ausstellungen über Gegenwartsthemen im Vergleich zu der alltäglichen medialen Berichterstattung? Wie kann die Gegenwart diskursiv verhandelt werden? Welche theoretischen Positionen greifen hierfür? Wie lassen sich kulturgeschichtliche Ausstellungen mit gegenwartsbezogenen Ausstellungsräumen verschränken? Welche Folgen für die Museen hat das Konzept der partizipativen Gegenwartsausstellung für die klassischen Funktionen sammeln, bewahren, ausstellen, vermitteln?
Für 2011 ist eine Folgeveranstaltung in der Schweiz angedacht. Beide Tagungen sollen in einem Tagungsband dokumentiert werden.
Call for Papers: Einsendeschluss 15. August 2010
Detailprogramm ab Mitte September 2010
Für Fragen und Anregungen
Susanne Gesser (susanne.gesser@stadt-frankfurt.de, Tel: 069 212 35633) und Katja Weber (katja.weber@stadt-frankfurt.de, Tel: 069 212 33814)
historisches museum frankfurt
Saalgasse 19 (Römerberg) 60311 Frankfurt am Main Tagungsseite: http://www.historisches-museum-frankfurt.de/index.php?article_id=190&clang=0
Bitte schicken Sie Ihre Exposés (1-3 Seiten) an:
katja.weber@stadt-frankfurt.de
Montag, 26. April 2010
Fast Food. Schnell mal was über Otto Neurath.
Otto Neurath. Wem sagt der Name etwas?
Philosoph, Ökonom, Direktor des Kriegswirtschaftsmuseums in Leipzig, Präsident des Zentralwirtschaftsrates der Ungarischen Räterepublik, Gründer eines Siedler- und Kleingartenverbandes, dann eines Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseums, Entwickler der Isotope (= International System of Typographic Picture Education) und der Methode der Wiener Bildstatistik, Mitglied des Wiener Kreises, träumte von einer Universalsprache und einem Universalmuseum, "Mundaneum".
Das Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseum existiert noch, abgeschnitten von seinen ursprünglichen Aufgaben innerhalb der sozialistischen Politik der Gemeinde Wien. Und Neurath? Wo hat er 'überlebt'.
Eine kleine Ausstellung im Museum für Angewandte Kunst, „OTTO NEURATH. Gypsy Urbanism", lässt die Frage offen. Eine knapp Skizzierte Biografie, wesentliche Publikationen und Beispiele seiner Bildstatistik sowie Fotografien verschiedner Ausstellungen des Museums werden in chronologischer Ordnung in Vitrinen und an den Wänden präsentiert. Einschließlich von Arbeiten seiner Frau und anderer Nachlaßinstitutionen.
Weder Auswahl noch Absicht haben sich mir in der Ein-Raum-Ausstellung erschlossen. An einer Seite aufgeschlagene Bücher hinter Glas machen mich in Ausstellungen sowieso schon nervös, noch mehr aber der Test, wie lange ein uninformiert bleibender Besucher begreift, daß die Ausstellung nicht etwa am Eingang beginnt, sondern in der exakt hintersten linken Ecke.
Für museologisches Interesse kämen Neuraths Museumsgründungen und Ausstellungen als zeittypische sozialpolitische Projekte ebenso infrage, wie die Bildstatistik als popularisierendes Wissensmedium. Aber in der Ausstellung? Objekt neben Objekt, kurze Bildbeschriftungen, knappe und wenige erläuternde Texte. Über die Vermittlung einer Ahnung, was das gewesen sein könnte, geht das nicht hinaus. Die schönen Thesen zur Ausstellung auf der Webseite, werden allenfalls kurz angerissen, nirgends ernsthaft durchgearbeitet und visualisiert.
Neuraths Interesse für das Mundaneum, sein Kontakt mit Le Corbusier? Ja, das Wort kommt vor, aber sonst nichts dazu. Kein Katalog.
Punkti Punkti, Strichi Strichi, fertig ist das Mondgesicht, heißt ein Kinderreim, an den ich mich noch erinnere. Er scheint auch als Ausstellungsprinzip noch gültig zu sein.
Philosoph, Ökonom, Direktor des Kriegswirtschaftsmuseums in Leipzig, Präsident des Zentralwirtschaftsrates der Ungarischen Räterepublik, Gründer eines Siedler- und Kleingartenverbandes, dann eines Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseums, Entwickler der Isotope (= International System of Typographic Picture Education) und der Methode der Wiener Bildstatistik, Mitglied des Wiener Kreises, träumte von einer Universalsprache und einem Universalmuseum, "Mundaneum".
Das Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseum existiert noch, abgeschnitten von seinen ursprünglichen Aufgaben innerhalb der sozialistischen Politik der Gemeinde Wien. Und Neurath? Wo hat er 'überlebt'.
Eine kleine Ausstellung im Museum für Angewandte Kunst, „OTTO NEURATH. Gypsy Urbanism", lässt die Frage offen. Eine knapp Skizzierte Biografie, wesentliche Publikationen und Beispiele seiner Bildstatistik sowie Fotografien verschiedner Ausstellungen des Museums werden in chronologischer Ordnung in Vitrinen und an den Wänden präsentiert. Einschließlich von Arbeiten seiner Frau und anderer Nachlaßinstitutionen.
Weder Auswahl noch Absicht haben sich mir in der Ein-Raum-Ausstellung erschlossen. An einer Seite aufgeschlagene Bücher hinter Glas machen mich in Ausstellungen sowieso schon nervös, noch mehr aber der Test, wie lange ein uninformiert bleibender Besucher begreift, daß die Ausstellung nicht etwa am Eingang beginnt, sondern in der exakt hintersten linken Ecke.
Für museologisches Interesse kämen Neuraths Museumsgründungen und Ausstellungen als zeittypische sozialpolitische Projekte ebenso infrage, wie die Bildstatistik als popularisierendes Wissensmedium. Aber in der Ausstellung? Objekt neben Objekt, kurze Bildbeschriftungen, knappe und wenige erläuternde Texte. Über die Vermittlung einer Ahnung, was das gewesen sein könnte, geht das nicht hinaus. Die schönen Thesen zur Ausstellung auf der Webseite, werden allenfalls kurz angerissen, nirgends ernsthaft durchgearbeitet und visualisiert.
Neuraths Interesse für das Mundaneum, sein Kontakt mit Le Corbusier? Ja, das Wort kommt vor, aber sonst nichts dazu. Kein Katalog.
Punkti Punkti, Strichi Strichi, fertig ist das Mondgesicht, heißt ein Kinderreim, an den ich mich noch erinnere. Er scheint auch als Ausstellungsprinzip noch gültig zu sein.
Sex sells. Immer und überall!
Das hier schon mal als außerordentliche Sammlung gewürdigte Art Brut Center (Klosterneuburg/Gugging) geht merkwürdige Wege.
Derzeit werden zwei Sonderausstellungen gezeigt. Eine davon ist einem der bekanntesten Patienten von Leo Navratil gewidmet, Johann Hauser.
Johann Hauser, so teilt man uns auf Texttafeln mit, war ein schwer manisch-depressiver Mensch, der nicht geheilt werden konnte und sein Leben in der Anstalt in Gugging verbrachte. 53 Jahre lang.
Auf den Zeichnungen - fast ausnahmslos Frauen - werden wir mit ungewöhnlicher Aggressivität und tiefen Ängsten konfrontiert; mit wenigen Ausnahmen zeichnete Hauser verschlingende, entstellte, verformte, auf dominante und bedrohlich gezeichneten Geschlechtsmerkmale reduzierte Frauenkörper. Tiefes Rot und tiefes Schwarz sind die dominierenden Farben.
"Hauser's Frauen.!" (tatsächlich mit einem Rufzeichen und einem Punkt) ist die Werkschau betitelt; selbst wenn es - was bezweifelt werden darf - 'Hauser's Frauen' gewesen sein sollten, der Titel trifft nichts von der Obsession des Künstlers und kokettiert mit einem völlig ausgeleierten Klischee.
Nicht genug damit. Der eingangs der Schau offerierte Text bietet uns Hausers Werk als 'erotisch' an, noch einmal eine in jeder Hinsicht irreführendes, aber fürs Marketing zauberhaft wirkende Wort.
Und damit es auch der letzte Depp begreift, platziert man vor diesem Einführungstext eine Figurine eines Pin-Up im Stil der 50er-Jahre. So what??
Donnerstag, 22. April 2010
Relic - Douglas Preston. (Das Museum lesen 07)
Das Ängstigende des Museums, die Angst im Museum, die Angst vorm Museum. Wo findet man das reflektiert, überhaupt erst einmal wahrgenommen? Eher in der Literatur, in der Trivialliteratur, im Film, in Comics, eher nicht in der museologischen Literatur.
Ein wiederkehrender Topos ist die Angst vor einer Art Wiederkehr des - durch Musealisierung und ihre Techniken und Riten nur scheinbar - Verdrängten, die Angst vor dem was unabgegolten den Museumsdingen und daher denen, die mit ihnen zu tun hatten, sie benutzt oder hergestellt haben, angetan wird. Die Dialektik von Ahnenfurcht und Ahnenglaube wird dort am heftigsten wirksam, wo das 'Ding', das Exponat tatsächlich ein Mensch ist.
Bereits 1932 - und seither in zahllosen Sequenz und Variationen - rächte sich Boris Karloff als The Mummy an der Störung seiner Totenruhe. Den Verstoß gegen den Sinn des Mumifizierungs- und Bestattungsritual der ägyptischen Hochkultur kaschiert das Museum mit wissenschaftlichem Erkenntnisinteresse und es bedurfte populärer Medien, um das als dünne Rationalisierung zu entlarven.
Eine Variation bietet der Roman von Douglas Preston und Lincoln Child Relic - Museum der Angst. Gar schauerlich wütet hier, im American Museum of Natural History in New York, ETWAS, das von einer Museumsexpedition gewissermaßen eingeschleppt wurde und sich als ekelhaftes Raubtier erweist, das seine Musealisierung ziemlich übel nimmt. Eine Pointe ist, daß Mitarbeiter und Besucher dem 'Relikt' gerade deswegen ausgeliefert werden, weil sie sich in den Sicherheitsvorkehrungen des Museums verfangen.
Douglas Preston weiß wovon er redet, denn er schreibt vom Museum, an dem er arbeitete und dessen Geschichte er erforscht hat: Douglas Preston: Dinosaurs in the attic. The American Museum of Natural History. New York 1994. Es gibt auch eine Verfilmung, aber ich rate zum interessanteren und spannenderen Buch.
Ein wiederkehrender Topos ist die Angst vor einer Art Wiederkehr des - durch Musealisierung und ihre Techniken und Riten nur scheinbar - Verdrängten, die Angst vor dem was unabgegolten den Museumsdingen und daher denen, die mit ihnen zu tun hatten, sie benutzt oder hergestellt haben, angetan wird. Die Dialektik von Ahnenfurcht und Ahnenglaube wird dort am heftigsten wirksam, wo das 'Ding', das Exponat tatsächlich ein Mensch ist.
Bereits 1932 - und seither in zahllosen Sequenz und Variationen - rächte sich Boris Karloff als The Mummy an der Störung seiner Totenruhe. Den Verstoß gegen den Sinn des Mumifizierungs- und Bestattungsritual der ägyptischen Hochkultur kaschiert das Museum mit wissenschaftlichem Erkenntnisinteresse und es bedurfte populärer Medien, um das als dünne Rationalisierung zu entlarven.
Eine Variation bietet der Roman von Douglas Preston und Lincoln Child Relic - Museum der Angst. Gar schauerlich wütet hier, im American Museum of Natural History in New York, ETWAS, das von einer Museumsexpedition gewissermaßen eingeschleppt wurde und sich als ekelhaftes Raubtier erweist, das seine Musealisierung ziemlich übel nimmt. Eine Pointe ist, daß Mitarbeiter und Besucher dem 'Relikt' gerade deswegen ausgeliefert werden, weil sie sich in den Sicherheitsvorkehrungen des Museums verfangen.
Douglas Preston weiß wovon er redet, denn er schreibt vom Museum, an dem er arbeitete und dessen Geschichte er erforscht hat: Douglas Preston: Dinosaurs in the attic. The American Museum of Natural History. New York 1994. Es gibt auch eine Verfilmung, aber ich rate zum interessanteren und spannenderen Buch.
Mittwoch, 21. April 2010
Gletschergarten Luzern
Mich hat die "Entdeckung der Alpen" vielseitiges kulturhistorisches Thema immer interessiert und umgekehrt proportional zu meiner eigenen bergsteigerischen Betätigung (im moderateren Bereich bis etwas über 3000 Meter und auch das nur sehr sporadisch) nahmen die Besuche einschlägiger Ausstellungen zu - bis ich schließlich eine Einladung erhielt, selbst an einer Ausstellung teilzunehmen.
Einer der merkwürdigsten Orte berg- und alpenbezogenen Ausstellend findet sich - nicht so überraschend - in der Schweiz und hat den ungewöhnlichen Namen "Gletschergarten".
Im 19. Jahrhundert entdeckten die Schweizer ihre Alpen nicht nur als touristisch vermarktbar und verkehrstechnisch erschließbar, sondern die Berge auch als historisch-genealogisch bedeutsame und identifikatorische Objekte.
Wie auch anderswo, wurden Spuren der Erdgeschichte gelegentlich am Ort erhalten, gesichert und zur Besichtigung adaptiert. Das geschah auch mit dem bei ihrer Entdeckung am Rande von Luzern (heute in der Stadt) gelegenen sogenannten Gletschertöpfe. Das sind eiszeitliche, tiefe Auswaschungen in Gletschern, die bis in den festen Boden vorrückten und dort runde Höhlungen hinterließen. Sie wurden wie - als zunächst missverständlich gedeutete - Mirabilia bewahrt und gezeigt.
Nach und nach entstanden um dieses 'Naturwunder' ein Museum, ein Gebäude im Schweizer Stil, ein Diorama in einer Almhütte, ein Garten, eine Aussichtswarte und dann wurde gegen Ende des 19. Jahrhunderts noch ein Spiegelkabinett 'im Stil der Alhambra' von einer Schweizer Landesausstellung hierher geschafft. Das private Unternehmen vermischte umstandslos belehrende und unterhaltende, heimat- und naturkundliche Elemente in einem 'Erlebnispark' avant la lettre.
Höhepunkt der kulturgeschichtlichen Sammlung des Museums sind Alpendioramen, die zu den ältesten gehören, bemerkenswertesten Objekte, die für Zwecke militärischer Planung und touristischer Erbauung hergestellt wurden. Sie sin herausragende Dokumente des frühen Alpinismus und der 'Entdeckung' und 'Konstruktion' der Schweiz.
Abbildung: Webseite des Museums
Einer der merkwürdigsten Orte berg- und alpenbezogenen Ausstellend findet sich - nicht so überraschend - in der Schweiz und hat den ungewöhnlichen Namen "Gletschergarten".
Im 19. Jahrhundert entdeckten die Schweizer ihre Alpen nicht nur als touristisch vermarktbar und verkehrstechnisch erschließbar, sondern die Berge auch als historisch-genealogisch bedeutsame und identifikatorische Objekte.
Wie auch anderswo, wurden Spuren der Erdgeschichte gelegentlich am Ort erhalten, gesichert und zur Besichtigung adaptiert. Das geschah auch mit dem bei ihrer Entdeckung am Rande von Luzern (heute in der Stadt) gelegenen sogenannten Gletschertöpfe. Das sind eiszeitliche, tiefe Auswaschungen in Gletschern, die bis in den festen Boden vorrückten und dort runde Höhlungen hinterließen. Sie wurden wie - als zunächst missverständlich gedeutete - Mirabilia bewahrt und gezeigt.
Nach und nach entstanden um dieses 'Naturwunder' ein Museum, ein Gebäude im Schweizer Stil, ein Diorama in einer Almhütte, ein Garten, eine Aussichtswarte und dann wurde gegen Ende des 19. Jahrhunderts noch ein Spiegelkabinett 'im Stil der Alhambra' von einer Schweizer Landesausstellung hierher geschafft. Das private Unternehmen vermischte umstandslos belehrende und unterhaltende, heimat- und naturkundliche Elemente in einem 'Erlebnispark' avant la lettre.
Höhepunkt der kulturgeschichtlichen Sammlung des Museums sind Alpendioramen, die zu den ältesten gehören, bemerkenswertesten Objekte, die für Zwecke militärischer Planung und touristischer Erbauung hergestellt wurden. Sie sin herausragende Dokumente des frühen Alpinismus und der 'Entdeckung' und 'Konstruktion' der Schweiz.
Abbildung: Webseite des Museums
Towards a New Museum - Victoria Newhouse (Das Museum lesen 06)
Massenmedial wird der Museumsboom seit den 80er-Jahren überwiegend über die 'Blockbuster-Architektur' internationaler Stararchitekten wahrgenommen. Museumsgründungen werden oft nur noch in Form von Architekturkritiken, wenn nicht -hymnen wahrgenommen. Die Zahl und Vielfalt der Publikationen zur Museumsarchitektur der letzten drei Jahrzehnte ist unüberschaubar geworden. Es gibt alles, von der Architekten- bis zur Baumonografie, nationale, typologische oder zeitlich eingegrenzte Darstellungen. Es gibt auch eine Reihe von Überblicksdarstellungen, die aber auf Grund ihres Eurozentrismus aber auch wegen der nicht mehr erfassbaren Zahl jährlicher Neu-, Zu- oder Umbauten immer ihre Grenzen haben.
Ein Buch, das ich sehr nützlich finde, ist das von Victoria Newhouse. Sie verliert den Kontakt zur Museumsentwicklung nicht, referiert kurz auch und bruchstückhaft die Geschichte der Museumsarchitektur. Vor allem ist sie eine scharfzüngige Analytikerin, die sich weder von großen Architektennamen noch berühmten Museen einschüchtern lässt.
Als ich mit der Louvre-Erweiterung, die von Staatspräsident Mitterand höchstpersönlich initiiert wurde, beschäftigte, fand ich in Victoria Newhouse eine Verbündete in meiner Skepsis gegenüber I.M. Peis Architektur.
Also gut, ich bin etwas befangen...
In Anspielung auf Le Corbusier Towards A New Architecture geht es Newhouse um eine Beschreibung der 'Revolution des Museums', die in den letzten Jahrzehnten stattgefunden hat. Fundierte Analyse steht neben sehr scharfen Urteile heraus. Typologisch gegliedert, betont subjektiv, reich bebildert gibt das Buch einen guten Einblick in die enorme Vielfalt heutiger Museumsarchitektur.
Victoria Newhouse: Towards A New Museum. New York 1998
Ein Buch, das ich sehr nützlich finde, ist das von Victoria Newhouse. Sie verliert den Kontakt zur Museumsentwicklung nicht, referiert kurz auch und bruchstückhaft die Geschichte der Museumsarchitektur. Vor allem ist sie eine scharfzüngige Analytikerin, die sich weder von großen Architektennamen noch berühmten Museen einschüchtern lässt.
Als ich mit der Louvre-Erweiterung, die von Staatspräsident Mitterand höchstpersönlich initiiert wurde, beschäftigte, fand ich in Victoria Newhouse eine Verbündete in meiner Skepsis gegenüber I.M. Peis Architektur.
Also gut, ich bin etwas befangen...
In Anspielung auf Le Corbusier Towards A New Architecture geht es Newhouse um eine Beschreibung der 'Revolution des Museums', die in den letzten Jahrzehnten stattgefunden hat. Fundierte Analyse steht neben sehr scharfen Urteile heraus. Typologisch gegliedert, betont subjektiv, reich bebildert gibt das Buch einen guten Einblick in die enorme Vielfalt heutiger Museumsarchitektur.
Victoria Newhouse: Towards A New Museum. New York 1998
Montag, 19. April 2010
"Blutgebundene Abhängigkeit". Das Haus der Natur in Salzburg wird sich wohl weiter nicht um die Aufarbeitung seiner NS-Geschichte kümmern
Zum neuesten Stand der
Erforschung, Diskussion und Aufarbeitung der Rolle von Eduard Paul Trat
und des von ihm gegründeten naturmuseums durch das Haus der Natur selbst
siehe den Post „Das Haus der Natur stellt sich zum ersten Mal seiner
Gesichte. Hier: http://museologien.blogspot.co.at/2014/10/das-haus-der-natur-stellt-sich-zum.html
Dieser Artikel erschien vor über acht Jahren in der Tageszeitung Der Standard. Die Reaktion seitens des Ministeriums und des Museums damals: keine. Das Museum behielt seinen Preis. Heute ist trotz mancher Anläufe und vor allem einer wissenschaftlichen Expertise weitgehend alles wie immer. Das Museum behelligt sich nicht mit seiner Altlast. Aus diesem Grund veröffentliche ich, sozusagen als Erinnerung, den Zeitungsartikel, der nicht veraltet ist, bis auf die Tatsache, daß man heute ein noch größeres und differenzierteres Wissen über Eduard Paul Tratz und das Haus der Natur in der NS-Zeit hat. GF
Der vom Wissenschaftsministerium vergebene Österreichische Museumspreis ging heuer an das Haus der Natur in Salzburg, ein Museum, das in der NS-Zeit eine Forschungseinrichtung der SS war und dessen Schausammlung wesentlich zur Legitimation des nationalsozialistischen Herrschafts- und Unrechtssystems beigetragen sollte.Kritiklos würdigt das Preisgutachten das Museum einschließlich seiner Relikte aus der NS-Zeit. Besonders erwähnenswert fand man z. B. eine museologische Rarität, nämlich die eindrucksvollen Tibet-Dioramen.
1938/39 wurde unter der Schirmherrschaft Himmlers eine SS-Expedition nach Tibet unternommen, um den Ursprung des als 'arisch' bezeichneten Menschen zu erforschen. Es wurden rassen- und völkerkundliche Arbeiten durchgeführt. Kopf-, Hand-, und Fußabformungen, Gesichtsmasken, sowie Körpervermessungen führte Bruno Beger durch, der später im KZ Auschwitz mit vergleichbaren Fragestellungen anatomische Forschungen betrieb.
Aus der Expeditionssammlung und mit Hilfe der anthropologischen Abformungen wurden große Dioramen, eine Tibetschau, errichtet, um den innigen Zusammenhang zwischen dem Menschen und seiner Umwelt optisch zu verdeutlichen. Initiiert und mitfinanziert wurden die Dioramen vom 'Ahnenerbe', das auch den Ausbau des Museums unterstützte. Bereits im Herbst 1938, bald nach dem 'Anschluß' Österreichs, war das Haus der Natur der 1935 vom Reichsführer der SS Heinrich Himmler, gegründeten SS-Stiftung 'Forschungs- und Lehrgemeinschaft Ahnenerbe' angegliedert worden.
Die Stiftung sollte u.a. Raum, Geist und Tat des nordrassigen Indogermanentums erforschen. Das 'Ahnenerbe' förderte seit Beginn des Weltkrieges auch medizinische und biologische Forschung - auch als wehrwissenschaftliche Zweckforschung:: Kampfstoff-, Seuchen- und wehrmedizinische Forschung, sowie die kriegswichtige Wehrgeologie, für die 1941 der Reichsbund für Karst- und Höhlenforschung mit Sitz in Salzburg gegründet wurde und die Informationen zur Partisanenbekämpfung bereitstellte.
Bundesleiter dieses Reichsbundes wurde der 1888 in Salzburg geborene Gründer und Direktor des Hauses der Natur, Eduard Paul Tratz, SS-Hauptsturmführer, seit 1944 Träger des Totenkopfringes und Mitglied der Waffen-SS, seit 1939 Abteilungsleiter der neuen Forschungsstätte des Ahnenerbes für darstellende und angewandte Natur, Träger des Blutordens, Kulturpreisträger der Gauhauptstadt Salzburg im Jahre 1944.
In der gutachterlichen Begründung zur Preisverleihung von 1991 wird das Haus der Natur als dynamisches Museum, als ein mutiges und weitblickendes Unternehmen gewürdigt und die Auszeichnung mit der ausdrücklichen Berufung auf seine gesamte Geschichte sowie mit den Verdiensten seines Gründers legitimiert.
Tratz wollte eine Institution, die aus dem Volke herausgewachsen ist, und in erster Linie für das Volk zu sein hatte. 'Volkstümlichkeit' war auch die Funktion des Museums als Institut des 'Ahnenerbes', geleitet, wie Tratz 1939 schrieb, von der selbstverständliche(n) Pflicht..., der Volksgemeinschaft zu dienen und mitzuwirken an der naturwissenschaftlichen Unterbauung des großen und einmaligen Werkes unseres Führers.
Die didaktisch durchdachte Schausammlung sollte verständlich machen, wohin wir Menschen im Rahmen unserer naturgesetzlichen Stellung gehören, nämlich in die erb-, blut-, und bodengebundene Abhängigkeit der uns vom Geschick zugewiesenen Sendung.
Im Naturbegriff von Tratz waren Störungen im Zustand des Werdens und Wachsens eines Wesens, wie er in einer Ahnenforschungs-Publikation 1943 schrieb, Behinderungen der vollen Lebensbetätigung, [...] Krüppel oder Mißgeburten gehörten daher rücksichtslos ausgemerzt
Tratz nahm an 'naturwissenschaftlichen Arbeitsbesprechungen' des 'Ahnenerbes' teil, bei denen der Anatom August Hirt auch über seine zahlreiche Versuche an Menschen, wie den Kampfstoffversuchen berichtete. Tratz besuchte Mitarbeiter des Instituts für wehrwissenschaftliche Zweckforschung des 'Ahnenerbes' - auch in den Laboratorien, so im KZ Dachau und im KZ Natzweiler bei Straßburg.
Tratz und das Museum profitierten von nur durch den Krieg zugänglichen Exponaten. Sie reichten vom Mammut aus der Ukraine bis hin zu den Abformungen von Zigeunertypen aus Konzentrationslagern. Die Aufstellung von Abformungen von 'Rasseköpfen', also von 'nordischen, ostischen, dinarischen und jüdischen Köpfen' - einige davon waren bis vor wenigen Monaten noch als Teil der öffentlichen Schausammlung zu sehen - und die Begehrlichkeit von Tratz gerade nach 'Zigeunertypen', machen das durch nationalsozialistische Ideologie überformte darwinistische Konzept (dieses Teils) des Museums deutlich.
Heute unterliegt die Geschichte des Hauses der fast lückenlosen Tabuisierung. In den Museumspublikationen aus der Zeit nach 1945, in den seither erschienen vielen Festschriften für Tratz, der das Museum bis 1976 leitete, im aktuellen Museumsführer finden sich bis auf winzige Spurenelemente keinerlei Hinweise auf die Geschichte des Hauses. Der Zugang zum Archiv wurde, auch das ein Indiz einer die Wiederkehr des Verdrängten fürchtenden Tabuisierung, den Autoren dieses Beitrags verweigert.
Das Haus der Natur ist, wie Eduard Paul Tratz es 1954 einmal formuliert hat, wirklich ein Museum, das seine eigenen Wege ging und geht.
Zu diesem Weg gehört die manifeste Unfähigkeit des Hauses der Natur sich kritisch mit den materiellen und ideologischen 'Erbstücken' der NS-Zeit auseinanderzusetzen.
Daß das Wissenschaftsministerium diesen 'Weg' mit einem 'Staatspreis' honoriert ist unakzeptabel.
Sabine Schleiermacher ist Wissenschafterin am Institut für Medizin-Soziologie des Universitäts-Krankenhauses Eppendorf in Hamburg
Gottfried Fliedl arbeitet als freiberuflicher Museologe in Wien
*
Zur Geschichte des Hauses der Natur in diesem Blog.
Kritik von Hans Katschthaler an Prof. Robert Hoffmann und seinem Gutachten zum Haus der Natur. Eine Reaktion des Gutachters zum Haus der Natur, Prof.Dr. Robert Hoffmann, auf diese politische Kritik an ihm und seiner Expertise. Ein Artikel von Gerald Lehner zur Kritik von Hans Katschthaler an Prof. Hoffmann und dessen Gutachten.
Webseite Haus der Natur. - Derzeit scheint das Museum eine Politik der Erinnerungslosigkeit zu betreiben. Ich konnte auf der Webseite weder Angaben zur Geschichte des Museums, noch zur Tibetschau noch zu Tratz finden. (April 2010)
Die Abbildung einer rassenkundlichen Sammlung stammt aus der 1963 erschienen Publikation "Wegweiser durch das Haus der Natur in Salzburg. Herausgegeben aus Anlass seines 4ojährigen Bestandes von Eduard Paul Tratz". Teile dieser Sammlung waren zum Zeitpunkt des Erscheinens des Artikels von Sabine Schleiermacher und mir im Haus der Natur noch zu sehen. In der Publikation von Tratz fehlt jeder Hinweis auf die Geschichte des Museums in der NS-Zeit - bis auf zahlreiche Fotos von den Tibet-Dioramen.
Dieser Artikel erschien vor über acht Jahren in der Tageszeitung Der Standard. Die Reaktion seitens des Ministeriums und des Museums damals: keine. Das Museum behielt seinen Preis. Heute ist trotz mancher Anläufe und vor allem einer wissenschaftlichen Expertise weitgehend alles wie immer. Das Museum behelligt sich nicht mit seiner Altlast. Aus diesem Grund veröffentliche ich, sozusagen als Erinnerung, den Zeitungsartikel, der nicht veraltet ist, bis auf die Tatsache, daß man heute ein noch größeres und differenzierteres Wissen über Eduard Paul Tratz und das Haus der Natur in der NS-Zeit hat. GF
Sabine Schleiermacher, Gottfried Fliedl: "Blutgebundene Abhängigkeit" Museumspreis 1991: Eine späte Ehrung für nationalsozialistische Rassenforscher. In: Der Standard, Donnerstag 13. Februar 1992, S.23
Der vom Wissenschaftsministerium vergebene Österreichische Museumspreis ging heuer an das Haus der Natur in Salzburg, ein Museum, das in der NS-Zeit eine Forschungseinrichtung der SS war und dessen Schausammlung wesentlich zur Legitimation des nationalsozialistischen Herrschafts- und Unrechtssystems beigetragen sollte.Kritiklos würdigt das Preisgutachten das Museum einschließlich seiner Relikte aus der NS-Zeit. Besonders erwähnenswert fand man z. B. eine museologische Rarität, nämlich die eindrucksvollen Tibet-Dioramen.
1938/39 wurde unter der Schirmherrschaft Himmlers eine SS-Expedition nach Tibet unternommen, um den Ursprung des als 'arisch' bezeichneten Menschen zu erforschen. Es wurden rassen- und völkerkundliche Arbeiten durchgeführt. Kopf-, Hand-, und Fußabformungen, Gesichtsmasken, sowie Körpervermessungen führte Bruno Beger durch, der später im KZ Auschwitz mit vergleichbaren Fragestellungen anatomische Forschungen betrieb.
Aus der Expeditionssammlung und mit Hilfe der anthropologischen Abformungen wurden große Dioramen, eine Tibetschau, errichtet, um den innigen Zusammenhang zwischen dem Menschen und seiner Umwelt optisch zu verdeutlichen. Initiiert und mitfinanziert wurden die Dioramen vom 'Ahnenerbe', das auch den Ausbau des Museums unterstützte. Bereits im Herbst 1938, bald nach dem 'Anschluß' Österreichs, war das Haus der Natur der 1935 vom Reichsführer der SS Heinrich Himmler, gegründeten SS-Stiftung 'Forschungs- und Lehrgemeinschaft Ahnenerbe' angegliedert worden.
Die Stiftung sollte u.a. Raum, Geist und Tat des nordrassigen Indogermanentums erforschen. Das 'Ahnenerbe' förderte seit Beginn des Weltkrieges auch medizinische und biologische Forschung - auch als wehrwissenschaftliche Zweckforschung:: Kampfstoff-, Seuchen- und wehrmedizinische Forschung, sowie die kriegswichtige Wehrgeologie, für die 1941 der Reichsbund für Karst- und Höhlenforschung mit Sitz in Salzburg gegründet wurde und die Informationen zur Partisanenbekämpfung bereitstellte.
Bundesleiter dieses Reichsbundes wurde der 1888 in Salzburg geborene Gründer und Direktor des Hauses der Natur, Eduard Paul Tratz, SS-Hauptsturmführer, seit 1944 Träger des Totenkopfringes und Mitglied der Waffen-SS, seit 1939 Abteilungsleiter der neuen Forschungsstätte des Ahnenerbes für darstellende und angewandte Natur, Träger des Blutordens, Kulturpreisträger der Gauhauptstadt Salzburg im Jahre 1944.
In der gutachterlichen Begründung zur Preisverleihung von 1991 wird das Haus der Natur als dynamisches Museum, als ein mutiges und weitblickendes Unternehmen gewürdigt und die Auszeichnung mit der ausdrücklichen Berufung auf seine gesamte Geschichte sowie mit den Verdiensten seines Gründers legitimiert.
Tratz wollte eine Institution, die aus dem Volke herausgewachsen ist, und in erster Linie für das Volk zu sein hatte. 'Volkstümlichkeit' war auch die Funktion des Museums als Institut des 'Ahnenerbes', geleitet, wie Tratz 1939 schrieb, von der selbstverständliche(n) Pflicht..., der Volksgemeinschaft zu dienen und mitzuwirken an der naturwissenschaftlichen Unterbauung des großen und einmaligen Werkes unseres Führers.
Die didaktisch durchdachte Schausammlung sollte verständlich machen, wohin wir Menschen im Rahmen unserer naturgesetzlichen Stellung gehören, nämlich in die erb-, blut-, und bodengebundene Abhängigkeit der uns vom Geschick zugewiesenen Sendung.
Im Naturbegriff von Tratz waren Störungen im Zustand des Werdens und Wachsens eines Wesens, wie er in einer Ahnenforschungs-Publikation 1943 schrieb, Behinderungen der vollen Lebensbetätigung, [...] Krüppel oder Mißgeburten gehörten daher rücksichtslos ausgemerzt
Tratz nahm an 'naturwissenschaftlichen Arbeitsbesprechungen' des 'Ahnenerbes' teil, bei denen der Anatom August Hirt auch über seine zahlreiche Versuche an Menschen, wie den Kampfstoffversuchen berichtete. Tratz besuchte Mitarbeiter des Instituts für wehrwissenschaftliche Zweckforschung des 'Ahnenerbes' - auch in den Laboratorien, so im KZ Dachau und im KZ Natzweiler bei Straßburg.
Tratz und das Museum profitierten von nur durch den Krieg zugänglichen Exponaten. Sie reichten vom Mammut aus der Ukraine bis hin zu den Abformungen von Zigeunertypen aus Konzentrationslagern. Die Aufstellung von Abformungen von 'Rasseköpfen', also von 'nordischen, ostischen, dinarischen und jüdischen Köpfen' - einige davon waren bis vor wenigen Monaten noch als Teil der öffentlichen Schausammlung zu sehen - und die Begehrlichkeit von Tratz gerade nach 'Zigeunertypen', machen das durch nationalsozialistische Ideologie überformte darwinistische Konzept (dieses Teils) des Museums deutlich.
Heute unterliegt die Geschichte des Hauses der fast lückenlosen Tabuisierung. In den Museumspublikationen aus der Zeit nach 1945, in den seither erschienen vielen Festschriften für Tratz, der das Museum bis 1976 leitete, im aktuellen Museumsführer finden sich bis auf winzige Spurenelemente keinerlei Hinweise auf die Geschichte des Hauses. Der Zugang zum Archiv wurde, auch das ein Indiz einer die Wiederkehr des Verdrängten fürchtenden Tabuisierung, den Autoren dieses Beitrags verweigert.
Das Haus der Natur ist, wie Eduard Paul Tratz es 1954 einmal formuliert hat, wirklich ein Museum, das seine eigenen Wege ging und geht.
Zu diesem Weg gehört die manifeste Unfähigkeit des Hauses der Natur sich kritisch mit den materiellen und ideologischen 'Erbstücken' der NS-Zeit auseinanderzusetzen.
Daß das Wissenschaftsministerium diesen 'Weg' mit einem 'Staatspreis' honoriert ist unakzeptabel.
Sabine Schleiermacher ist Wissenschafterin am Institut für Medizin-Soziologie des Universitäts-Krankenhauses Eppendorf in Hamburg
Gottfried Fliedl arbeitet als freiberuflicher Museologe in Wien
*
Zur Geschichte des Hauses der Natur in diesem Blog.
Kritik von Hans Katschthaler an Prof. Robert Hoffmann und seinem Gutachten zum Haus der Natur. Eine Reaktion des Gutachters zum Haus der Natur, Prof.Dr. Robert Hoffmann, auf diese politische Kritik an ihm und seiner Expertise. Ein Artikel von Gerald Lehner zur Kritik von Hans Katschthaler an Prof. Hoffmann und dessen Gutachten.
Webseite Haus der Natur. - Derzeit scheint das Museum eine Politik der Erinnerungslosigkeit zu betreiben. Ich konnte auf der Webseite weder Angaben zur Geschichte des Museums, noch zur Tibetschau noch zu Tratz finden. (April 2010)
Die Abbildung einer rassenkundlichen Sammlung stammt aus der 1963 erschienen Publikation "Wegweiser durch das Haus der Natur in Salzburg. Herausgegeben aus Anlass seines 4ojährigen Bestandes von Eduard Paul Tratz". Teile dieser Sammlung waren zum Zeitpunkt des Erscheinens des Artikels von Sabine Schleiermacher und mir im Haus der Natur noch zu sehen. In der Publikation von Tratz fehlt jeder Hinweis auf die Geschichte des Museums in der NS-Zeit - bis auf zahlreiche Fotos von den Tibet-Dioramen.
Freitag, 16. April 2010
Donnerstag, 15. April 2010
Neue Webseite der Museumsakademie Joanneum
Die Museumsakademie Joanneum hat eine eigene Webseite betrieben. Nun ist die Museumsakademie auf die Webseite des Universalmuseums - in gewohnten Umfang - übersiedelt und ab sofort dort erreichbar.
Die Adresse bleibt im übrigen dieselbe: www.museumsakademie-joanneum.at
Die nächste Veranstaltung der Museumsakademie beschäftigt sich mit dem Wandel des Kuratorenberufes. Nähere Information hier.
Sonntag, 11. April 2010
Samstag, 10. April 2010
Das andere Museum. Carlo Scarpa und das Museum im Castelvecchio von Verona
Der Museumsboom hat eine geradezu übrerdeterminierte und expressive Seite: die Museumsarchitektur. Seit auch bestimmte planungstechnische und statische Grenzen gefallen sind, scheint es kein Halten mehr zu geben. Architekten übertreffen sich in immer ungewöhnlicheren Formensprachen und fast scheint es so, als habe sich das Ideologem der 80er-Jahre, demzufolge das Museum die letzte Bauaufgabe mit Kunstanspruch sei, zum Museumsentwerfen ohne Grenzen und Hemmungen entwickelt.
Was in den 80er-Jahren begann, daß die Architektur des Museums ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückte und daß das Museum so vielen Architekten den Weg bahnte zum internationalen Ruhm (Holleins Museum in Mönchengladbach oder James sterlings Stuttgarter Staatsgalerie als Beispiele der 80er-Jahre), scheint sich in dem Sinn universalisiert haben, daß kaum noch ein Architekt, der etwas auf sich hält, nicht auch ein Museum (mindestens) im Portfolio haben muß.
Als Konsumenten der üblichen nationalen oder regionalenm Medien bekommen wir überhaupt nicht mit, was vor sich geht, man muß schon zu Fachpublikationen oder einschlägigen Web-Informationen greifen, um eine Ahnung von dem Effekt eines Programmes wie der Volksrepublkik China zu bekommen, die in 10 Jahren 1000 Museum (eintausend, jawohl, kein Tipfehler) realisieren möchte. Der Museumsboom folgt den Spuren der Globalisierung, und wo diese nicht oder noch nicht hingekommen ist ( es sei denn in ihrer ausschließlich destruktiven Konsequenz), gibt es weder einen Museumsboom, noch einen der Museumsarchitektur.
E i n europäisches Land bildet eine auffallende Ausnahmen: Italien. Hätte nicht eben das Museum des XXI. Jahrhunderts in Rom seine Tore geöffnet - Zaha Hadid, selbstverständlich (es hätte auch Herzog/de Meuron sein können, Jean Nouvel oder Frank O. Gehry...) , ich hätte Schwierigkeiten, ein einschlägiges Museum zu nennen. Selbstverständlich gibt es Neubauten, Kunstmuseen, Naturmuseen usw. Aber kaum eines davon ist in der Championsleague vertreten.
Das hat seinen Grund in einer zu z.B. Frankreich, England oder Deutschland so verschiedenen Museumsauffassung. Vor allem für den Reichtum der Kunst galt, daß sie möglichst nicht von ihrem gewachsenen Kontext getrennt werden dürfe, sondern möglichst in der genuinen architektonischen Umgebung verbleiben solle. Daß Sammlungen jahrhundertelang an ein- und demselben Ort verblieben gab auch unter pragmatischen Gesichtspunkten keinerlei Anlass mit Traditionen zu brechen. Die Zäsur, die das Museum hervorgebracht hat, konnte in Italien nie auf die Resonanz stoßen, die sie in anderen europäischen Ländern hatte.
Wenn man zum Beispiel die Kapitolinischen Museen besucht, wird man sich - obwohl die Aufstellung der Sammlung aus der Zeit um 1800 stammt -, der tiefen Verbindung von Sammlung, Bau und historischem Ort nicht entziehen können.
Es gibt vielleicht noch einen anderen Grund, für die offenbar andere italienische Museumstradition. Und dieser andere Grund hat einen Namen. Carlo Scarpa. Als Gestalter vieler der bedeutensten Kunstmuseen Italiens hatte er enormen Einfluß, auch als Ausstellungsgestalter. Und - in nur einem Fall - als Museumsarchitekt, wobei es sich auch in diesem Fall um einen Umbau, eine Adaption handelt, aber so tiefgreifend, daß man das Museum in Verona als sein zentrales Werk sieht und sehen muss.
Eine der subtilsten und durchdachtesten Museumsarchitekturen und –gestaltungen ist der Um- und Ausbau des mittelalterlichen Kastells Veronas zu einem städtischen Museum.
Carlo Scarpa (1906-1978), verantwortlich für die Adaptionen von Museen (u.a. Accademia Venedig, Uffizien Florenz, Nationalmuseum Palermo) arbeitete 1958 bis 64 und 1967 bis 73 eng mit dem damaligen Leiter der Sammlung zusammen und gestaltete das vorhandene Konglomerat von mittelalterlicher Burg, an der durch Jahrhunderte an- und umgebaut wurde, in ein Museum um.
Das an der etsch und am Rand der Altstadt gelegene Museo Castelvecchio - für sich schon ein eindrucksvoller bau -, ist so ein Raum geworden, in dem mithilfe einer geradezu unerschöpflichen und variationsreichen Gestaltung subtilste Beziehungen von Objekt, Raum, Stadt und Besucher hergestellt werden. Jede Geste des Zeigens und (Auss)stellens ist durchgearbeitet, sämtliche Zeigemöbel und -gestelle sind von Scarpa selbst entworfen worden und jeweils auf das individuelle Kunstwerk zugeschnitten.
Das gilt auch für die Inszenierung des Blicks auf die Werke - der Reichtum an Blickinszenierungen lässt einen immer wieder staunen, ebenso die Wechselbeziehung von Raum, Objekt, Weg und Betrachter, von Außen und Innen. Wenn man hier nicht nur die Werke im Blick hat, sondern die Inszenierung der Architektur, die subtile Gestaltung aller Details, den Umgang mit Licht, die Inszenierung des Betretens und Verlassens und last but not least den ebenfalls subtil gestalteten kleinen Garten, kann man hier Stunden um Stunden verbringen.
Alles ist hier einem Gestaltungsauftrag unterworfen, jede kleinste Detail, aber alles ist den Kunstwerken und ihrer Wahrnehmung zu- und untergeordnet. Der Gestaltungswille verselbständigt sich nie und viele Details wird man gar nicht bemerken, wenn man seine Aufmerksamkeit nicht gezielt auf Dinge lenkt, die man nun mal im Museum zwar sieht - aber nicht bewußt. Sockel, Leuchtkörper, Türklinken, Fensterlaibungen, Schwellen, Handläufe, Staffeleien...
Ein Höhepunkt des Rundganges, der durch Bau und Sammlung gelegt ist, ist ein mittelalterliches Reiterdenkmal. Hoch über den Köpfen der Besuche, die den Hof der Burg betreten, schweben Pferd und Reiter. Später werden wird dem Denkmal auf Augenhöhe begegnen, es umrunden können, von vielen Punkten des Runganges es in immer neuen Perspektiven in den Blick bekommen.
Scarpas Capolavoro ist das entschiedene Gegenteil zu einer Tendenz im zeitgenössichen Museumsbau, der sich gegenüber der Sammlung neutral, wenn nicht gleichgültig verhält und des Erlebnis und die Expression der Architektur verselbständigt. Wie vielleicht nur noch bei Friedrich Kiesler ist alles der Kunsterfahrung zugeordnet - aber ohne daß sich die Gestaltung verstecken und unsichtbar machen würde. Selbst Details wie Schrauben oder Scharniere sind hier individuell gestlatet, alles ist von höchster funktionaler, ästhetischer und materieller Qualität.
Das heißt aber wohl auch, daß ein solches Museum wie ein geschlossenes Werk selbst den Gesetzen eines Denkmals untwerworfen wird; man kann sich nicht vorstellen, wie sich ein solches Museum - mit der Sammlung - weiterentwickeln kann.
Bei meinem letzten Besuch habe ich zwei Halbtage im Museum verbracht, gut unterstützt von den wunderbaren Cafes Veronas. Also: Zeit nehmen! Viel Zeit!
Was in den 80er-Jahren begann, daß die Architektur des Museums ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückte und daß das Museum so vielen Architekten den Weg bahnte zum internationalen Ruhm (Holleins Museum in Mönchengladbach oder James sterlings Stuttgarter Staatsgalerie als Beispiele der 80er-Jahre), scheint sich in dem Sinn universalisiert haben, daß kaum noch ein Architekt, der etwas auf sich hält, nicht auch ein Museum (mindestens) im Portfolio haben muß.
Als Konsumenten der üblichen nationalen oder regionalenm Medien bekommen wir überhaupt nicht mit, was vor sich geht, man muß schon zu Fachpublikationen oder einschlägigen Web-Informationen greifen, um eine Ahnung von dem Effekt eines Programmes wie der Volksrepublkik China zu bekommen, die in 10 Jahren 1000 Museum (eintausend, jawohl, kein Tipfehler) realisieren möchte. Der Museumsboom folgt den Spuren der Globalisierung, und wo diese nicht oder noch nicht hingekommen ist ( es sei denn in ihrer ausschließlich destruktiven Konsequenz), gibt es weder einen Museumsboom, noch einen der Museumsarchitektur.
E i n europäisches Land bildet eine auffallende Ausnahmen: Italien. Hätte nicht eben das Museum des XXI. Jahrhunderts in Rom seine Tore geöffnet - Zaha Hadid, selbstverständlich (es hätte auch Herzog/de Meuron sein können, Jean Nouvel oder Frank O. Gehry...) , ich hätte Schwierigkeiten, ein einschlägiges Museum zu nennen. Selbstverständlich gibt es Neubauten, Kunstmuseen, Naturmuseen usw. Aber kaum eines davon ist in der Championsleague vertreten.
Das hat seinen Grund in einer zu z.B. Frankreich, England oder Deutschland so verschiedenen Museumsauffassung. Vor allem für den Reichtum der Kunst galt, daß sie möglichst nicht von ihrem gewachsenen Kontext getrennt werden dürfe, sondern möglichst in der genuinen architektonischen Umgebung verbleiben solle. Daß Sammlungen jahrhundertelang an ein- und demselben Ort verblieben gab auch unter pragmatischen Gesichtspunkten keinerlei Anlass mit Traditionen zu brechen. Die Zäsur, die das Museum hervorgebracht hat, konnte in Italien nie auf die Resonanz stoßen, die sie in anderen europäischen Ländern hatte.
Wenn man zum Beispiel die Kapitolinischen Museen besucht, wird man sich - obwohl die Aufstellung der Sammlung aus der Zeit um 1800 stammt -, der tiefen Verbindung von Sammlung, Bau und historischem Ort nicht entziehen können.
Es gibt vielleicht noch einen anderen Grund, für die offenbar andere italienische Museumstradition. Und dieser andere Grund hat einen Namen. Carlo Scarpa. Als Gestalter vieler der bedeutensten Kunstmuseen Italiens hatte er enormen Einfluß, auch als Ausstellungsgestalter. Und - in nur einem Fall - als Museumsarchitekt, wobei es sich auch in diesem Fall um einen Umbau, eine Adaption handelt, aber so tiefgreifend, daß man das Museum in Verona als sein zentrales Werk sieht und sehen muss.
Eine der subtilsten und durchdachtesten Museumsarchitekturen und –gestaltungen ist der Um- und Ausbau des mittelalterlichen Kastells Veronas zu einem städtischen Museum.
Carlo Scarpa (1906-1978), verantwortlich für die Adaptionen von Museen (u.a. Accademia Venedig, Uffizien Florenz, Nationalmuseum Palermo) arbeitete 1958 bis 64 und 1967 bis 73 eng mit dem damaligen Leiter der Sammlung zusammen und gestaltete das vorhandene Konglomerat von mittelalterlicher Burg, an der durch Jahrhunderte an- und umgebaut wurde, in ein Museum um.
Das an der etsch und am Rand der Altstadt gelegene Museo Castelvecchio - für sich schon ein eindrucksvoller bau -, ist so ein Raum geworden, in dem mithilfe einer geradezu unerschöpflichen und variationsreichen Gestaltung subtilste Beziehungen von Objekt, Raum, Stadt und Besucher hergestellt werden. Jede Geste des Zeigens und (Auss)stellens ist durchgearbeitet, sämtliche Zeigemöbel und -gestelle sind von Scarpa selbst entworfen worden und jeweils auf das individuelle Kunstwerk zugeschnitten.
Das gilt auch für die Inszenierung des Blicks auf die Werke - der Reichtum an Blickinszenierungen lässt einen immer wieder staunen, ebenso die Wechselbeziehung von Raum, Objekt, Weg und Betrachter, von Außen und Innen. Wenn man hier nicht nur die Werke im Blick hat, sondern die Inszenierung der Architektur, die subtile Gestaltung aller Details, den Umgang mit Licht, die Inszenierung des Betretens und Verlassens und last but not least den ebenfalls subtil gestalteten kleinen Garten, kann man hier Stunden um Stunden verbringen.
Alles ist hier einem Gestaltungsauftrag unterworfen, jede kleinste Detail, aber alles ist den Kunstwerken und ihrer Wahrnehmung zu- und untergeordnet. Der Gestaltungswille verselbständigt sich nie und viele Details wird man gar nicht bemerken, wenn man seine Aufmerksamkeit nicht gezielt auf Dinge lenkt, die man nun mal im Museum zwar sieht - aber nicht bewußt. Sockel, Leuchtkörper, Türklinken, Fensterlaibungen, Schwellen, Handläufe, Staffeleien...
Ein Höhepunkt des Rundganges, der durch Bau und Sammlung gelegt ist, ist ein mittelalterliches Reiterdenkmal. Hoch über den Köpfen der Besuche, die den Hof der Burg betreten, schweben Pferd und Reiter. Später werden wird dem Denkmal auf Augenhöhe begegnen, es umrunden können, von vielen Punkten des Runganges es in immer neuen Perspektiven in den Blick bekommen.
Scarpas Capolavoro ist das entschiedene Gegenteil zu einer Tendenz im zeitgenössichen Museumsbau, der sich gegenüber der Sammlung neutral, wenn nicht gleichgültig verhält und des Erlebnis und die Expression der Architektur verselbständigt. Wie vielleicht nur noch bei Friedrich Kiesler ist alles der Kunsterfahrung zugeordnet - aber ohne daß sich die Gestaltung verstecken und unsichtbar machen würde. Selbst Details wie Schrauben oder Scharniere sind hier individuell gestlatet, alles ist von höchster funktionaler, ästhetischer und materieller Qualität.
Das heißt aber wohl auch, daß ein solches Museum wie ein geschlossenes Werk selbst den Gesetzen eines Denkmals untwerworfen wird; man kann sich nicht vorstellen, wie sich ein solches Museum - mit der Sammlung - weiterentwickeln kann.
Bei meinem letzten Besuch habe ich zwei Halbtage im Museum verbracht, gut unterstützt von den wunderbaren Cafes Veronas. Also: Zeit nehmen! Viel Zeit!
Freitag, 9. April 2010
Der Museumsbesuch | Vladimir Nabokov (Das Museum lesen 05)
"Als vor ein paar Jahren einer meiner Pariser Bekannten - milde gesagt: ein etwas wunderlicher Mann - erfuhr, daß ich zwei oder drei Tage in Montisert verbringen würde, bat er mich, das dortige Museum aufzusuchen, wo, wie er gehört hatte, ein Portrait von Leroy hängen sollte, das seinen Großvater darstellte." So beginnt eine harmlose Geschichte, oder? Wenn das Bild tatsächlich dort ist, soll es gekauft werden - aus einem Museum? Der Erzähler hält das denn auch für "Unfug" und: "Sehenswürdigkeiten zu besichtigen, ob es sich nun um Museen oder alte Gebäude handelt, ist mir ein Gräuel." Aber unfreiwillig, von einem Regen gezwungen, betritt er doch das Museum.
Als erstes trifft er auf einen Wärter, bezahlt Eintritt und findet ein ganz gewöhnliches Museum: "Alles war, wie es sein soll: graue Farbtöne, der Schlaf der Substanz, dematerialisierte Materie. Die übliche Vitrine mit alten, abgegriffenen Münzen, die im schrägen Samt ihrer Fächer ruhten. (…) Ehrwürdige Mineralien lagen in ihren offenen Gräbern aus staubigem Pappmache; die Photographie eines verwunderten spitzbärtigen Herrn wachte über einer Sammlung verschieden großer, seltsamer schwarzer Klumpen. Sie hatten Ähnlichkeit mit gefrorenem Larvenkot, und ich blieb unwillkürlich vor ihnen stehen, denn es wollte mir nicht gelingen, ihre Natur, Zusammensetzung und Bestimmung zu erraten."
Kot, Exkremente, Abfall, dem wollen wir im Museum nicht begegnen, aber eine ebenso alte wie hartnäckige Theorie des Sammelns bringt gerade diese so hochgeschürzte Kulturtechnik mit der Verdauung und ihren Produkten in Verbindung. Das ergibt rätselhafte Produkte im Museum. “'Was ist das?' fragte ich." - "Die Wissenschaft hat es bislang noch nicht geklärt” erwidert der Aufseher. “Schön und gut«, sagte ich, “aber wer hat entschieden, und warum, daß sie einen Platz im Museum verdienen?«
Das sind illegitime Fragen, das kann zu nicht s Gutem führen. Doch da entdeckt der Besucher das Bild, das zu finden und kaufen er beauftragt ist. Dazu muß das Museum verlassen und der Museumsdirektor aufgesucht werden, der aber leugnet, daß sich das bestimmte Bild imBesitz des Museums befinde. In einem ingrimmigen Wortwechsel - “Er hat einen Frack an”, rief ich. “Ich schwöre, er trägt einen Frack.” - „Und wie hat Ihnen unser Museum so im allgemeinen gefallen?” fragte M. Godard mißtrauisch. “Haben Sie den Sarkophag zu würdigen gewußt?” muß ein gemeinsamer Besuch des Museum beschlossen werden, um die Sache aufzuklären.
Ich verweigere hier eine vorschnelle Auskunft, wer recht behalten wird. Die Geschichte soll ja ihre Spannung behalten. Aber inzwischen ist im Museum einiges anders geworden, es ist stark besucht, von einer Meute junger Besucher, die alle Regeln des Museumsbesuchs verletzen. Aber das Museum selbst scheint sich aller seiner Regeln, Rituale und Ordnungen zu entledigen. "Hunde liefen hier über Azurteppiche, und auf einem Tigerfell lagen Bogen und Köcher." Mit der Implosion der gewohnten Museumsordnungen zerfällt auch die Konsistenz der räumlichen Erfahrung, selbst die Grenze von Bildern und Dingen und Räumen beginnt zu verschwimmen. Eben noch registriert unser Besucher "das vollständige Gerippe eines Wals, das aussah wie das Spantenwerk einer Fregatte" aber nur eine Treppe trennt ihn von einer "Schar grauhaariger Leute mit Regenschirmen, die eine gigantische Nachbildung des Universums betrachteten."
Das ist zu viel, er kündigt an, gehen zu wollen. Doch wie? Wo ist der Ausgang?
Zuletzt, in einem düsteren, aber großartigen Raum, welcher der Geschichte der Dampfmaschine gewidmet war, gelang es mir, meinen unbesorgten Führer einen Augenblick lang anzuhalten. "Ich bog um eine Ecke und fand mich inmitten von tausend Musikinstrumenten; die Wände, Spiegel alle, reflektierten eine Kolonne von Konzertflügeln, während sich in der Mitte ein Teich mit einem bronzenen Orpheus auf einem grünen Felsen befand. Das Thema Wasser war damit noch nicht zu Ende, denn als ich zurücklief, landete ich in der Abteilung Brunnen und Bäche, und es war gar nicht leicht, an den gewundenen, schlüpfrigen Rändern jener Gewässer entlangzugehen." Merkwürdige Geräusche, Dunkelheit und plötzliche Menschenleere steigern die Unheimlichkeit und traumhafte Ausweglosigkeit.
"Endlich rannte ich in irgendeinen Raum mit Kleiderhaken, die auf ungeheuerliche Weise mit schwarzen Mänteln und Astrachanpelzen überladen waren; hinter einer Tür brauste Beifall auf, aber als ich sie aufstieß, war da kein Theater, sondern nur ein weiches, milchiges Licht und ein hervorragend gefälschter Nebel mit völlig überzeugenden Flecken undeutlicher Straßenlaternen. Mehr als überzeugend! Ich trat näher, und sofort ersetzte ein freudiges und unmißverständliches Gefühl der Wirklichkeit endlich den Spuk, zwischen dem ich hin und her geeilt war. Der Stein unter meinen Füßen war richtiger Gehsteig, der mit wunderbar duftendem neuem Schnee bedeckt war, und seltene Fußgänger hatten darin bereits frische schwarze Spuren zurückgelassen."
Doch das ist nicht das Ende, was jetzt passiert, soll nicht verraten werden. Jetzt kollidieren auch noch die Zeiten, Erinnerung und Gegenwart, Geschichte und Lebensgeschichte…
Nabokovs traumhaftes Wandeln durch ein träumendes Museum führt uns zur Kehrseite dessen, was wir am Museum 'normalerweise' sehen, sehen wollen, der Text führt uns über die Grenze dessen was 'normal' am Museum ist, lockt uns durch seine Rationalisierungen und die subtilen, meist unsichtbaren Grenzen, die diese Rationalisierung schützen und aufrechterhalten. Nabokov macht etwas am Museum sichtbar, was in den offiziösen Hinsichten und den wissenschaftlichen, museologischen Interpretationen entweder nicht gesucht oder verfehlt wird.
Was sich in der Zeit der Säkularisierung und Aufklärung (grob gesprochen zwischen 1770 und 1830) entwickelt, ist ein Ort, der wie eine Leerstelle offen gehalten wird für einen nie endenden Diskurs, in dem das ‚andere der Vernunft’ einen Platz behält.
Auch hier gilt, dass der Schlaf der Vernunft Monstren wachhält, Monstren, die ihre Spuren bis in die Etymologie legen, als mostra in der Genealogie des Ausstellens, oder als Musen, die als ursprünglich ungebändigte weibliche Natur- und Rachemächte, in die Genealogie des Museums hineinspuken.
Diese macht Nabokovs Text sichtbar.
Vladimir Nabokov: Der Museumsbesuch. Band 14 der Gesamtausgabe, Gesammelte Erzählungen, Band I, Dieter E. Zimmer (Hg.). Reinbek bei Hamburg (Rohwohlt) 1966.
Als erstes trifft er auf einen Wärter, bezahlt Eintritt und findet ein ganz gewöhnliches Museum: "Alles war, wie es sein soll: graue Farbtöne, der Schlaf der Substanz, dematerialisierte Materie. Die übliche Vitrine mit alten, abgegriffenen Münzen, die im schrägen Samt ihrer Fächer ruhten. (…) Ehrwürdige Mineralien lagen in ihren offenen Gräbern aus staubigem Pappmache; die Photographie eines verwunderten spitzbärtigen Herrn wachte über einer Sammlung verschieden großer, seltsamer schwarzer Klumpen. Sie hatten Ähnlichkeit mit gefrorenem Larvenkot, und ich blieb unwillkürlich vor ihnen stehen, denn es wollte mir nicht gelingen, ihre Natur, Zusammensetzung und Bestimmung zu erraten."
Kot, Exkremente, Abfall, dem wollen wir im Museum nicht begegnen, aber eine ebenso alte wie hartnäckige Theorie des Sammelns bringt gerade diese so hochgeschürzte Kulturtechnik mit der Verdauung und ihren Produkten in Verbindung. Das ergibt rätselhafte Produkte im Museum. “'Was ist das?' fragte ich." - "Die Wissenschaft hat es bislang noch nicht geklärt” erwidert der Aufseher. “Schön und gut«, sagte ich, “aber wer hat entschieden, und warum, daß sie einen Platz im Museum verdienen?«
Das sind illegitime Fragen, das kann zu nicht s Gutem führen. Doch da entdeckt der Besucher das Bild, das zu finden und kaufen er beauftragt ist. Dazu muß das Museum verlassen und der Museumsdirektor aufgesucht werden, der aber leugnet, daß sich das bestimmte Bild imBesitz des Museums befinde. In einem ingrimmigen Wortwechsel - “Er hat einen Frack an”, rief ich. “Ich schwöre, er trägt einen Frack.” - „Und wie hat Ihnen unser Museum so im allgemeinen gefallen?” fragte M. Godard mißtrauisch. “Haben Sie den Sarkophag zu würdigen gewußt?” muß ein gemeinsamer Besuch des Museum beschlossen werden, um die Sache aufzuklären.
Ich verweigere hier eine vorschnelle Auskunft, wer recht behalten wird. Die Geschichte soll ja ihre Spannung behalten. Aber inzwischen ist im Museum einiges anders geworden, es ist stark besucht, von einer Meute junger Besucher, die alle Regeln des Museumsbesuchs verletzen. Aber das Museum selbst scheint sich aller seiner Regeln, Rituale und Ordnungen zu entledigen. "Hunde liefen hier über Azurteppiche, und auf einem Tigerfell lagen Bogen und Köcher." Mit der Implosion der gewohnten Museumsordnungen zerfällt auch die Konsistenz der räumlichen Erfahrung, selbst die Grenze von Bildern und Dingen und Räumen beginnt zu verschwimmen. Eben noch registriert unser Besucher "das vollständige Gerippe eines Wals, das aussah wie das Spantenwerk einer Fregatte" aber nur eine Treppe trennt ihn von einer "Schar grauhaariger Leute mit Regenschirmen, die eine gigantische Nachbildung des Universums betrachteten."
Das ist zu viel, er kündigt an, gehen zu wollen. Doch wie? Wo ist der Ausgang?
Zuletzt, in einem düsteren, aber großartigen Raum, welcher der Geschichte der Dampfmaschine gewidmet war, gelang es mir, meinen unbesorgten Führer einen Augenblick lang anzuhalten. "Ich bog um eine Ecke und fand mich inmitten von tausend Musikinstrumenten; die Wände, Spiegel alle, reflektierten eine Kolonne von Konzertflügeln, während sich in der Mitte ein Teich mit einem bronzenen Orpheus auf einem grünen Felsen befand. Das Thema Wasser war damit noch nicht zu Ende, denn als ich zurücklief, landete ich in der Abteilung Brunnen und Bäche, und es war gar nicht leicht, an den gewundenen, schlüpfrigen Rändern jener Gewässer entlangzugehen." Merkwürdige Geräusche, Dunkelheit und plötzliche Menschenleere steigern die Unheimlichkeit und traumhafte Ausweglosigkeit.
"Endlich rannte ich in irgendeinen Raum mit Kleiderhaken, die auf ungeheuerliche Weise mit schwarzen Mänteln und Astrachanpelzen überladen waren; hinter einer Tür brauste Beifall auf, aber als ich sie aufstieß, war da kein Theater, sondern nur ein weiches, milchiges Licht und ein hervorragend gefälschter Nebel mit völlig überzeugenden Flecken undeutlicher Straßenlaternen. Mehr als überzeugend! Ich trat näher, und sofort ersetzte ein freudiges und unmißverständliches Gefühl der Wirklichkeit endlich den Spuk, zwischen dem ich hin und her geeilt war. Der Stein unter meinen Füßen war richtiger Gehsteig, der mit wunderbar duftendem neuem Schnee bedeckt war, und seltene Fußgänger hatten darin bereits frische schwarze Spuren zurückgelassen."
Doch das ist nicht das Ende, was jetzt passiert, soll nicht verraten werden. Jetzt kollidieren auch noch die Zeiten, Erinnerung und Gegenwart, Geschichte und Lebensgeschichte…
Nabokovs traumhaftes Wandeln durch ein träumendes Museum führt uns zur Kehrseite dessen, was wir am Museum 'normalerweise' sehen, sehen wollen, der Text führt uns über die Grenze dessen was 'normal' am Museum ist, lockt uns durch seine Rationalisierungen und die subtilen, meist unsichtbaren Grenzen, die diese Rationalisierung schützen und aufrechterhalten. Nabokov macht etwas am Museum sichtbar, was in den offiziösen Hinsichten und den wissenschaftlichen, museologischen Interpretationen entweder nicht gesucht oder verfehlt wird.
Was sich in der Zeit der Säkularisierung und Aufklärung (grob gesprochen zwischen 1770 und 1830) entwickelt, ist ein Ort, der wie eine Leerstelle offen gehalten wird für einen nie endenden Diskurs, in dem das ‚andere der Vernunft’ einen Platz behält.
Auch hier gilt, dass der Schlaf der Vernunft Monstren wachhält, Monstren, die ihre Spuren bis in die Etymologie legen, als mostra in der Genealogie des Ausstellens, oder als Musen, die als ursprünglich ungebändigte weibliche Natur- und Rachemächte, in die Genealogie des Museums hineinspuken.
Diese macht Nabokovs Text sichtbar.
Vladimir Nabokov: Der Museumsbesuch. Band 14 der Gesamtausgabe, Gesammelte Erzählungen, Band I, Dieter E. Zimmer (Hg.). Reinbek bei Hamburg (Rohwohlt) 1966.
Donnerstag, 8. April 2010
Das Grazer Zeughaus
Das Grazer Zeughaus liegt im Stadtzentrum, an der prominentesten Straße der Stadt, der Herrengasse, und in unmittelbarer Nachbarschaft zum Landhaus. Es wurde 1639 von Antonio Solar geplant und 1647 fertiggestellt. Das fünfgeschossige Bauwerk nahm alle bis dahin wegen verschiedener Bedrohungen immer umfangreicher werdenden, aber an verschiedenen Orten gelagerten und zur Verteidigung der Steiermark bestimmten Waffenbestände auf.
1749 wurde unter Kaiserin Maria Theresia das Wehrwesen des Reichs zentralisiert und die Auflösung des Grazer Zeughauses angeordnet. Es konnte nach einem Einspruch aber weiter betrieben werden. In mehr und mehr baulich fragwürdigem Zustand wurde es mehr und mehr zu einem Objekt, dem historisches und denkmalpflegerisches Interesse galt und mit fortschreitendem Funktionsverlust begann sich auch die Aufstellung zur Ausstellung zu wandeln, auch von Dingen, die bis dahin nicht zum Zeughaus gehört hatten.
Ende des 19. Jahrhunderts wurde umfassend der Bau saniert und die Waffen restauriert. Das Zeughaus wurde definitiv zum Museum. Drei der vier Geschosse verloren ihre Inneneinrichtung des 17. Jahrhunderts. Im Jahr 1882 wurde die Sammlung, als Teil des Landesmuseum Joanneum, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die jüngste Veränderung war die Einrichtung einer Ausstellung im Erdgeschoss „Zum Schutz des Landes“ (1997).
Das Zeughaus gilt als die „weltgrößte Waffensammlung in einem originalen Zeughaus“ (Alexander Toifl). Teile der Sammlung wurden 1992 bis 1999 unter dem Titel Imperial Austria auf Tournee geschickt, 2008 wurde eine Ausstellung in Cleveland/Ohio, 2009 im Museum Tinguely in Basel gezeigt - unter dem Titel Rüstung und Robe zusammen mit Roben des Modeschöpfers Roberto Capucci und Objekten von Tinguely.
Das Zeughaus ist eine der bestbesuchten Sammlungen des Universalmuseum Museum und wegen der genannten Einzigartigkeit als gut erhaltene Waffensammlung der frühen Neuzeit aber auch wegen vieler kostbarer Rüstungen und Waffen sehenswert. Die größte Sehenswürdigkeit sind aber nicht einzelne, herausragende Sammlungsstücke, sondern das Ensemble in seiner Ganzheit und seiner Situierung am originalen Ort.
1749 wurde unter Kaiserin Maria Theresia das Wehrwesen des Reichs zentralisiert und die Auflösung des Grazer Zeughauses angeordnet. Es konnte nach einem Einspruch aber weiter betrieben werden. In mehr und mehr baulich fragwürdigem Zustand wurde es mehr und mehr zu einem Objekt, dem historisches und denkmalpflegerisches Interesse galt und mit fortschreitendem Funktionsverlust begann sich auch die Aufstellung zur Ausstellung zu wandeln, auch von Dingen, die bis dahin nicht zum Zeughaus gehört hatten.
Ende des 19. Jahrhunderts wurde umfassend der Bau saniert und die Waffen restauriert. Das Zeughaus wurde definitiv zum Museum. Drei der vier Geschosse verloren ihre Inneneinrichtung des 17. Jahrhunderts. Im Jahr 1882 wurde die Sammlung, als Teil des Landesmuseum Joanneum, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die jüngste Veränderung war die Einrichtung einer Ausstellung im Erdgeschoss „Zum Schutz des Landes“ (1997).
Das Zeughaus gilt als die „weltgrößte Waffensammlung in einem originalen Zeughaus“ (Alexander Toifl). Teile der Sammlung wurden 1992 bis 1999 unter dem Titel Imperial Austria auf Tournee geschickt, 2008 wurde eine Ausstellung in Cleveland/Ohio, 2009 im Museum Tinguely in Basel gezeigt - unter dem Titel Rüstung und Robe zusammen mit Roben des Modeschöpfers Roberto Capucci und Objekten von Tinguely.
Das Zeughaus ist eine der bestbesuchten Sammlungen des Universalmuseum Museum und wegen der genannten Einzigartigkeit als gut erhaltene Waffensammlung der frühen Neuzeit aber auch wegen vieler kostbarer Rüstungen und Waffen sehenswert. Die größte Sehenswürdigkeit sind aber nicht einzelne, herausragende Sammlungsstücke, sondern das Ensemble in seiner Ganzheit und seiner Situierung am originalen Ort.
Mittwoch, 7. April 2010
Gipsoteca Possagno
Unweit der Stadt Treviso, nahe an Bassano del Grappa und in den Hügeln gelegen, die den Übergang von den Alpen in die Ebenen des Veneto bilden, liegt der unscheinbare Ort Possagno. Wenn man durch das langgestreckte Straßendorf fährt, kann man leicht ein völlig unscheinbares Haus übersehen, auf dem gleichwohl der Schriftzug "Museo" zu lesen ist.
Dieses Haus ist der Geburtsort des Bildhauers Antonio Canova (1757-1822). Hinter diesem schlichten Haus, in einem parkartigen Garten hat Canova selbst die Errichtung einer Gipsoteca zur Aufnahme seiner Werke veranlasst. Nach seinem Tod wurde sein Atelier geschlossen und sein künstlerischer Nachlass, Skizzen, Entwürfe, Modelle, unverkaufte Werke usw., nach Possagno gebracht und in dem nun realisierten Bau gezeigt.
Dieser klassizistische, einschiffige Bau, eine dreiteilige Basilika, wurde 1836 nach Plänen des Architekten Francesco Lazzari fertig gestellt. Bemerkenswert ist der Bau nicht nur als einer der frühesten selbständigen Sammlungsbauten, als frühe Museumsarchitektur, sondern als Teil eines großen Konzepts. Haus und Gipsoteca sind in einer Achse mit einer erhöht gelegenen Kirche verbunden, zu der eine monumantale Treppe hinaufführt. Die in den Hügeln liegenden Rundkirche, ein 'Pantheon' mit griechischem Temperlportikus a la Parthenon, von deren Kuppel man einen weiten Blick in die Alpenrandlandschaft hat, wurde gemeinsam mit der Gipsoteca geplant und ist Canovas Grablege. Sie wurde nach Plänen Canovas vom Architekten Antonio Selva errichtet.
Das Bemerkenswerteste dieses Museums sind aber weder der Bau noch die einzelnen Werke, sondern die Atmosphäre der 'Basilika'. Dichtgedrängt stehen hier monumentale Studien neben kleinformatigen 'Skizzen' und Studien. Viele der Werke sind von einem Netz von Löchern überzogen, die das maßstabgerechtes Duplizieren erlaubte. Diese 'Punktierung', das unwirkliche Weiß der Gipse, die Fülle des mythologischen Personals, das alles gibt dem Raum eine nahezu surreale Qualität.
1957 wurde die Disposition diese merkwürdigen Museums von Carlo Scarpa überarbeitet und dieser exzeptionelleste der italienischen Ausstellungsarchitekten fügte der Basilika einen kleinen, lichtdurchfluteten Annex zur Aufnahme weiterer Werke hinzu. Auch das Geburts- und Wohnhaus Canovas ist als Museum eingerichtet. Weitere Skulpturen, Werke der Malerei, Stiche, Zeichnungen uam. und persönliche Gegenstände werden dort gezeigt.
Dieses Haus ist der Geburtsort des Bildhauers Antonio Canova (1757-1822). Hinter diesem schlichten Haus, in einem parkartigen Garten hat Canova selbst die Errichtung einer Gipsoteca zur Aufnahme seiner Werke veranlasst. Nach seinem Tod wurde sein Atelier geschlossen und sein künstlerischer Nachlass, Skizzen, Entwürfe, Modelle, unverkaufte Werke usw., nach Possagno gebracht und in dem nun realisierten Bau gezeigt.
Dieser klassizistische, einschiffige Bau, eine dreiteilige Basilika, wurde 1836 nach Plänen des Architekten Francesco Lazzari fertig gestellt. Bemerkenswert ist der Bau nicht nur als einer der frühesten selbständigen Sammlungsbauten, als frühe Museumsarchitektur, sondern als Teil eines großen Konzepts. Haus und Gipsoteca sind in einer Achse mit einer erhöht gelegenen Kirche verbunden, zu der eine monumantale Treppe hinaufführt. Die in den Hügeln liegenden Rundkirche, ein 'Pantheon' mit griechischem Temperlportikus a la Parthenon, von deren Kuppel man einen weiten Blick in die Alpenrandlandschaft hat, wurde gemeinsam mit der Gipsoteca geplant und ist Canovas Grablege. Sie wurde nach Plänen Canovas vom Architekten Antonio Selva errichtet.
Das Bemerkenswerteste dieses Museums sind aber weder der Bau noch die einzelnen Werke, sondern die Atmosphäre der 'Basilika'. Dichtgedrängt stehen hier monumentale Studien neben kleinformatigen 'Skizzen' und Studien. Viele der Werke sind von einem Netz von Löchern überzogen, die das maßstabgerechtes Duplizieren erlaubte. Diese 'Punktierung', das unwirkliche Weiß der Gipse, die Fülle des mythologischen Personals, das alles gibt dem Raum eine nahezu surreale Qualität.
1957 wurde die Disposition diese merkwürdigen Museums von Carlo Scarpa überarbeitet und dieser exzeptionelleste der italienischen Ausstellungsarchitekten fügte der Basilika einen kleinen, lichtdurchfluteten Annex zur Aufnahme weiterer Werke hinzu. Auch das Geburts- und Wohnhaus Canovas ist als Museum eingerichtet. Weitere Skulpturen, Werke der Malerei, Stiche, Zeichnungen uam. und persönliche Gegenstände werden dort gezeigt.
Montag, 5. April 2010
Die Einladung (Museumsphysiognomien 02)
Eine einladende Geste. "Treten Sie ein!". Der Vorhang wird extra für uns zurückgeschlagen. Eine Geste, wie von einem Theater- , nicht Museumsdirektor, der uns auf eine Bühne bittet…
Da möchte man sich nicht lange bitten lassen. Wir sind auch nicht allein, nicht die ersten. In dem unscheinbar ausgestatteten Raum haben sich schon Menschen eingefunden. Sie bemerken uns nicht, sind schon in die Betrachtung der präparierten Tiere vertieft. Bürgerliches Publikum, sorgfältig gekleidet. Es ist doch ein besonderer Anlass. Ein Museumsbesuch.
Der freundliche Herr am Eingang, das ist der Direktor, Willson Peale. Das Gemälde hat er gemalt. Ein Selbstporträt, ein Museumsporträt. Eines der schönsten Museumsbilder überhaupt. Als er es gemalt hat, 1822, ist er über 80 Jahre alt und er hat ein bewegtes Leben hinter sich. Er gehört zu der Generation, die die Unabhängigkeit der Kolonien gegenüber Großbritannien betrieben hat und die für die Vereinigten Staaten als Soldaten gekämpft haben. Peale war schon damals Maler, ausgebildet auch in England, woher die Eltern kamen. Er ist schon auf dem amerikanischen Kontinent geboren. Als Maler-Soldat porträtierte er Heroen des Unabhängigkeitskrieges, schließlich die 'Väter der Nation', Thomas Jefferson, George Washington.
Nach dem Krieg, in einer Zeit der wirtschaftlichen Depression, kann er nicht bloß als Maler leben. Beim Anfertigen von Illustrationen von Fossilien einer privaten Sammlung entdeckt er seine Neugier für lange ausgestorbene Tiere und - das Museum. Er gräbt mit seiner Familie ein Mastodon aus und fügt die Knochen zu einem Skelett des Tieres zusammen. Das wird ein Glanzstück seines Museums. Heute gilt diese Rekonstruktion als die älteste bekannte überhaupt. Er bringt sich das Präparieren von Tieren bei, er hält naturkundliche Vorlesungen, er sammelt, er lässt sich Dinge schenken. Das alles wird Grundlage eines Museums, das pädagogisch ist, aber auch Schaustellung, die Geld zum Leben bringen soll. Vom Mastodon wird ein zweites Skelett gefertigt, das mit einem Sohn durch Europa tourt.
Die im Vordergrund des Gemäldes platzierten Attribute weisen ihn in seiner vielfältigen Begabtheit aus: die Malutensilien, der Knochen, das Werkzeug des Präparators. Der Maler, der Naturforscher, der Präparator. Er ist aber auch Botaniker, Erfinder von falschen Zähnen, eines Gerätes zum Kopieren von Dokumenten, eines tragbaren Dampfbades, einer Windmühle, verschiedener mechanischer Geräte für die Landarbeit, und einerArt von Fahr- oder Laufrad. Und er ist Mitglied der American Philosophical Society, deren Sammlung er betreut.
Peale gründet (1786) und betreibt sein Museumin Philadelphia privat. Nach und nach wächst es sich zu einem öffentlichen Museum aus. Durch seine Situierung - zweiteilig sind Teile des Museums in der Independence Hall - rückt es ins politische Zentrum, trägt zwar seinen Namen, aber ist zu dieser Zeit nahezu ein nationales Institut. Das Mastodon ist nicht nur ein überraschend entdecktes, bis dahin unbekanntes Tier. Es ist ein 'politisches Objekt'. Es erlaubt nicht nur der jungen Nation, sich in eine lange (Natur)Geschichte einzuschreiben, es ist auch ein Indiz in einem zwischen Europa und den neuen Staaten umkämpften historisch-kulturellen Feld. Buffon, der große Französische Naturforscher, hat eine Theorie zur degenerativen Fauna Amerikas, die auf eine generell biologische Unterlegenheit gegenüber Europa schließen lässt. Die steile These lässt sich jetzt bestreiten. Thomas Jefferson selbst beteiligt sich als Paläontologe (ein Teil der Sammlung kommt in Peales Museum) an der Debatte, legt eine einschlägige Sammlung an und liefert in Publikationen Argumente. Das von Peale und seinen Söhnen ausgegrabene 'montierte' Mastodon ist eine Sensation, ein must see in der damals größten Stadt der unabhängigen Staaten, Philadelphia.
Peales Museum ist aber nicht nur als 'erstes Museum der USA' interessant und attraktiv war es nicht nur als Ausstellung Peales eigener Gemälde, seiner wunderlichen Sammlung, seiner Naturpräparate, durch sein Mastodon - das wir hinter dem 'gelüfteten Vorhang' erkennen. Peale sorgte höchstpersönlich für etwas, was wir heute wohl als Szenografie bezeichnen würden. Augenzeugen berichten von auf wirklichem Wasser schwimmenden lebende Tieren. Peale baute und erfand Geräte - eine Art Orgel -, mit denen er Musik erzeugte und ein anderes Gerät, mit dem er bewegte Bilder projizieren konnte! Und, er fügt sich selbst in das Ganze als Wachsfigur ein, einer offenbar so überzeugend gelungenen Doppelgängerexistenz, daß sie Besucher, die davon erstaunt berichten, erschrecken, als sie Peale - reglos - in seinem Büro vorfinden.
Von dieser 'Multimedialität' des Museums gibt uns das Gemälde keine Vorstellung. Im Gegenteil. Der Raum wirkt sehr nüchtern, ungemein wohlgeordnet, aufgeräumt und übersichtlich. Es fehlt ihm auch jedes Dekorum, das europäische Museen - wenn auch noch so bescheiden - auszeichnet und das Museum zum profanen Heiligtum macht. Der Museumsraum (einer von mehreren, den das Museum besaß), strahlt eher jenes "rational amusement" aus, das ein Schlüsselwort von Peales Museumsverständnis war. Und dies steht im Dienste gesellschaftlicher Zwecke: „Natural History has to promote National and Individual happiness“ . Trotz des privaten Staus des Museums, begegnen wir hier - praktisch zeitgleich mit den Museen der Französischen Revolution -, der neuen Idee des öffentlichen und zivilisatorischen Museums.
Diesen zivilisierenden Effekt des Museums erläutert Peale in seiner Theorie des Sammelns, Peale’s discourse introductory to a course of lectures (1800), an einem überraschenden Beispiel: Eines Tages hätten ihn die Häuptlinge untereinander bitter verfeindeter Indianerstämme besucht und unter dem Eindruck ihres Museumsbesuches die Beilegung ihrer Streitigkeiten beschlossen.
In einem wunderbaren Essay zu einigen Gemälden Peales wird gemutmaßt, daß das 'Museums-Selbstporträt' ihn nicht nur, wie man so sagt, 'nach dem Leben' wiedergibt, sondern wie eine 'Kippfigur' gelesen werden kann. So wie der Pfau im Bildvordergrund vom Betrachter nicht eindeutig als lebendes Tier oder Präparat identifiziert werden kann (es gab ja beides im Museum), könnte der freundliche Herr auch - als Wachsfigur verstanden werden.
Peale war für derlei Allegorik nicht nur nicht blind, er staffierte sie in vielen Bildern beredt aus: auf seinem Familienporträt sind die Verstorbenen Mitglieder wie in antiker Tradition als Büsten auf den Möbeln präsent und das große Gemälde, das, mit der Schilderung vieler technischer Einzelheiten, die Bergung des Mastodons wiedergibt, spielt unübersehbar auf die Arche Noah an. 'Arche' ist in einer bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgbaren Tradition eine Metapher für die bewahrende Funktion von Sammlungen.
Die Bergung des riesigen Tieres, das man damals für ein Mammut hielt, durch Peale und seine Familie ist aber mehr als nur ein der der Arche vergleichbarer Rettungsakt. Da es ein bis dahin unbekanntes Tier ist, kann sein Fund und seine Rekonstruktion - zu einer Zeit, in der man sich der Möglichkeit des Aussterbend von Tieren noch nicht so bewusst war -, als Wiederbelebung verstanden werden. Peales Sohn Rembrandt (sic!) schreibt: The bones exist, - the animals do not, und bringt ein sehr ambivalentes strukturelles Element des Museums auf den Punkt. Es sind zwar 'Überlebsel' - das Wort 'survival' wird Jahrzehnte später in der frühen amerikanischen Ethnologie zum Schlüsselbegriff werden -, die das Museum bewahrt. Doch es sind und bleiben immer und unhintergehbar 'tote Dinge', die das Museum aufbewahrt - und die dennoch eine symbolisches Überdauern in dieser merkwürdigen neuen Institution 'Museum' ermöglichen.
Peales Idee, sich als Wachsfigur zu verdoppeln, hat in der antiken Tradition ihre Herkunft, den vergänglichen biologischen Leib durch einen nicht vergänglichen sozialen Leib zu ersetzen. (Der Philosoph Jeremy Bentham wird - zu etwa derselben Zeit - diese Idee radikalisieren: er bestimmte, seinen bekleideten Leib wie eine Puppe in einer Vitrine sitzend in der von ihm mitbegründeten London University auszustellen. dort sitz er noch immer. Ein bizarrer Akt der (Selbst)Musealisierung.
Peales Einschreibung in die Unsterblichkeit der Dingwelt gelang, im Porträt überlebte er. Die Institution indes, die überlebte nicht. Und das obwohl Peale eine große Familie hatte und seine Söhne seine Talente und Leidenschaften tradierten.
Vielleicht ist das Verschwinden des Museums auch seiner labilen privaten und damit finanziellen Trägerschaft geschuldet. Ohne staatliche Unterstützung war es der wachsenden Konkurrenz anderer großer Institutionen nicht gewachsen, die die Idee des Museums mit der der diversen populären Schaustellungstechniken vermischten. So wurde ein Teil der Sammlung an Barnum verkauft.
Die drei Momente, die Peales Museum ausmachten, privates Engagement im öffentlichen Interesse, pädagogisches Sendungsbewußtsein - das Museum als "School of Wisdom" (Peale) -, und Integration der der europäischen, akademischen Museologie so verdächtigen Schaustellungskünste, werden ab da das US-Amerikanische Museumswesen bis heute auszeichnen und vom europäischen - mit allen Vor- und Nachteilen - unterscheiden.
Charles Willson Peale: The Artist in His Museum, 1822. Oil on canvas 103 3/4 x 79 7/8. The Museum of American Art of the Pennsylvania Academy of the Fine Arts, Philadelphia.
Sonntag, 4. April 2010
Mikroausstellung - "Vorher / Nachher"
Brachiosaurus branca,
1909 liegt er in 'Deutsch Südostafrika' (heute Tansania)
frei und sichtbar herum.
Jetzt steht er im Naturmuseum in Berlin.
Freitag, 2. April 2010
Donnerstag, 1. April 2010
Besuchen Sie es, so lange es noch steht: Das Wiener Volkskundemuseum
Vergangenen Sonntag habe ich das Volkskundemuseum in Wien besucht, nach langer Pause wieder einmal. Und mit dem Wissen, daß es möglicherweise ein letzter Besuch sein könnte.
Das Volkskundemuseum ist ein von einem Verein getragenes Museum, das in den letzten Jahren deswegen besonders unter Druck geriet. Es war nicht im Genuss der relativen Sicherheit der staatlich finanzierten Bundesmuseen und hatte zusätzlich auch um die Unterstützung der Stadt Wien zu kämpfen.
Das einzige was in letzter Zeit klar war: der Verein konnte aus eigener Kraft das Museum nicht betreiben und die fällige Gebäudesanierung finanzieren.
Der Gang durchs Museum war auch eine Erinnerung, eine Erinnerung an die letzte große Erneuerung der ständigen Ausstellung 1994. Ich erinnere mich noch an das Entsetzten eines Teiles des Vereines. Konzept und Design brachen entschieden mit den alten Gemütlichkeiten. Auf einer Diskussionsveranstaltung anlässlich der Neueröffnung brachte ich meinen Respekt zum Ausdruck, daß der Museumsstab einen derartigen 'museologischen Mentalitätswechsel' geschafft hatte. Noch heute ist das Wiener Museum entschiedener und klarer in seiner Reflexion der eigenen Geschichte und des Faches, als die später entstandenen Dauerausstellungen des Grazer und des Innsbrucker Museums.
Vorgetragen wurde der 'Turn' gegeüber der altenDauerausstellung auf zwei Ebenen: auf der der Betextung, und auf der der Gestaltung. Die Texte nahmen knapp und entschieden eine konstruktivistische Position ein. Nicht nur die zentralen Themen eines Volkskundemuseum haben einen zeitlichen Index, das Museum selbst und seine Bezugswissenschaft unterliegen einem Wandel. Und schließlich würde auch der Besucher, sein Blick und sein Interesse, immer neue Fragen an das Museum richten. Die verschiedenen Schlüsselbegriffe wie Heimat oder Volk wurden hier nicht wie essentielle Botschaften und unhinterfragbare Wahrheiten behandelt, sondern als wandelbare Begriffe für sich wandelnde Vorstellungen.
Anspruchsvoller kann man kaum an seine Klientel herantreten: man mutet dem Museumsgast zu, sich in einem gleitenden System von Relationen zu orientieren und sich stets der Relativität seines Standpunktes und des des Museums gewiss zu sein.
Noch heute muß ich mich über die Texte wundern und amüsieren, die die Hauptlast dieser driftenden und relationalen Verortung des Wissens tragen. Selbst als abgebrühter Akademiker, gleitet mir der Fachjargon nicht reibungslos durch die grauen Zellen. Und die sind mit dem Text weit heftiger beschäftigt, als der Augensinn. Denn visuell wird die zentrale Ambition des Museums kaum unterstützt. Vereinzelte oder thematisch gruppierte Objekte folgen den nicht so überraschenden Konventionen der Volkskunde. Da gibt es zwar Überraschungen und Eye-Catcher, aber kaum ein Narrativ und für Vertiefung des ein oder anderen Themas fehlt es an Platz oder vielleicht auch an Sammlungsobjekten.
Die kleinteilige Raumstruktur erzwingt eine Kleinteiligkeit der Präsentation der Sammlung und so entwickelt sich manch interessante Frage nur auf kleinstem Raum und kurzatmig.
Und das war das zweite Besondere am Museum: Die Gestaltung durch die Architektin Elsa Prochazka. Während wir normalerweise im Museum alles aus unserer Wahrnehmung ausblenden, was nicht Exponat ist, wird uns das hier nicht erlaubt. Ostentativ zeigen ihre Möbel sich selbst und die Museumsobjekte. Das 'Gestell' ist aufwendig, geradezu aufdringlich, aber sorgfältig gestaltet. Die durch die Texte vermittelte reflexive Distanz zu 'Museum' und 'Exponat' wird durch die Zeigemöbel unterstrichen und unterstützt. Selten war ein Museum so sehr als "Schaubühne" erfahrbar. In einem Verständnis vom Museum als performativen Raum, spielt alles 'eine Rolle', das Licht, die hüllende Architektur, die Exponate, die Texte, die Zeigemöbel und natürlich der Besucher selbst. Hier wird das überdeutlich gemacht. Dinge im Museum sind nicht bloß da, sie werden gezeigt, sagen uns die nach Kräften gestikulierenden Eisenstützen und ausladenden Podeste.
Heute, so lange nach der Eröffnung, verstehe ich an diesem Sonntag, wie groß das Dilemma des Museums ein muß. Eine nachholende Verarbeitung neuer, vor allem urbaner Themen war nie möglich und wäre überhaupt nur mit einer neuerlichen kompletten Neukonzeption zu bekommen. Was sich in einschlägiger Forschung theoretisch wie praktisch gewandelt hat, das findet nicht hier statt.
Dezentral gelegen, in einem von Außen schon sehr desolat wirkenden Gebäude, kann sich das Museum nicht gegen die medial gehätschelten Großmuseen des Stadtzentrums behaupten.
Das musste in Sonderausstellungen ausgelagert werden. Die waren, trotz karger Budgets und spartanischer materieller Ausstattung, das Beste, was man - neben den Ausstellungen des Jüdischen Museums - in Wien in den letzten Jahren an (kultur)historischen Ausstellungen zu sehen bekam. Hier wurde immer wieder vorgemacht, daß es beim Ausstellen auf eine präzise Idee ankommt und dann auf eine angemessene, durchdachte Umsetzung, so banal wie offenbar schwierig kann Austtellungmachen sein.
Wolfgang Kos würdigte in einer wunderbaren Rezension 1995 in der Stadtzeitung Falter die Ausstellung "Schönes Österreich" an die ich mich lebhaft erinnere, weil hier mal mit der bis zum Abwinken zerredeten "Identität" fröhlich, ironisch, anschaulich hantiert wurde - eine Labsal im Vergleich mit den bleischweren und verschwitzten Staatsausstellungen zu 'Österreich'. Nation Building wurde in einer Sympomatologie der Alltagskultur witzig, pfiffig und visuell argumentierend dechiffriert.
Lebhaft erinner ich mich "an an/sammlung an/denken" von 2005, wo ein 'Sachenfund', den mehrere Generationen in einem Haus gehörtet hatten, zu einer wunderbar subtil präsentierten Etude über Dinge, ihre Ästhetik, ihren Gebrauch, ihre Erinnerung wurde.
Und noch etwas ist mir bei meinem Sonntagsbesuch aufgefallen: wo in anderen Museumsshops der Nippes regiert - wie die Teddybären mit Klimtdesign im Belvedere (nicht daß ich nicht auch eine Schwäche für so etwas hätte!) -, gibt es davon im Volkskundemuseum wenig. Dafür ein üppg mit Fachliteratur bestücktes Bücherbord, wo man beim Stöbern nicht nur manch altbackenes Bändchen von annodazumal entdecken kann, sondern avancierte Forschung, z.B. zur Ethnopsychoanalyse oder zu kulturwissenschaftlichen Fragen. Hier hält das Museum Schritt mit der Entwicklung des Fachs und weist sich auch als eine 'wissenschaftliche Anstalt' aus. ich betone das, weil die Bundesmuseen de jure als Wissenschaftsanstalten verwaltet werden und Wissenschaftlichkeit immer noch die zentrale Legitimation der Museen ist. Während die anderswo längst unter dem Druck der Ereignishaftigkeit der Museumsarbeit sich bis an den Rand des Verschwindens verdünnt hat - man sehe sich mal das Bookshop der Albertina an -, wird hier offensichtlich auf Grundlagenforschung Wert gelegt.
Es wird nichts nützen. Es gibt die Idee, das Museum durch Zusammenlegung mit dem Völkerkundemuseum zu 'retten'. Dem kann man was abgewinnen, wenn beide Museen einen Paradigmenwechsel zu modernen kulturwissenschaftlichen Fragestellungen hin vollzögen und sich avancierter museologischer Entwicklungen stellten. Ein Konzept soll ausgearbeitet sein, noch nicht wirklich entscheidungsreif, wie man hört. Doch das Budget, das für die Bundesmuseen bereitsteht, scheint nicht auch noch für ein neues Projekt zu reichen. Außerdem müsste die Sinnhaftigkeit der vor Jahren erfolgten Eingliederung des Völkerkundemuseums in das Kunsthistorische Museum überprüft und wohl revidiert werden. Die Sinnhaftigkeit dieser Eingliederung ist nie evaluiert worden und das Völkerkundemuseum wünscht offenbar, wieder selbständig zu werden.
Vor einigen Jahren habe ich für eine Museumszeitschrift ein Essay zur Entwicklung der Wiener Museumslandschaft geschrieben. Mit dem Hinweis auf drei sehr besondere Museen mündete das in einer positiven Bilanz: Museum für Angewandte Kunst, Jüdisches Museum der Stadt Wien und das Volkskundemuseum waren und sind für mich drei Museen, die - in sehr unterschiedlicher Hinsicht - auch im internationalen Vergleich ungewöhnliche und inspirierende 'Modelle' dessen sind, was Museen sein können. Möglicherweise wird es zwei dieser drei Museen bald nur noch dem Namen nach geben.
Das Volkskundemuseum ist ein von einem Verein getragenes Museum, das in den letzten Jahren deswegen besonders unter Druck geriet. Es war nicht im Genuss der relativen Sicherheit der staatlich finanzierten Bundesmuseen und hatte zusätzlich auch um die Unterstützung der Stadt Wien zu kämpfen.
Das einzige was in letzter Zeit klar war: der Verein konnte aus eigener Kraft das Museum nicht betreiben und die fällige Gebäudesanierung finanzieren.
Der Gang durchs Museum war auch eine Erinnerung, eine Erinnerung an die letzte große Erneuerung der ständigen Ausstellung 1994. Ich erinnere mich noch an das Entsetzten eines Teiles des Vereines. Konzept und Design brachen entschieden mit den alten Gemütlichkeiten. Auf einer Diskussionsveranstaltung anlässlich der Neueröffnung brachte ich meinen Respekt zum Ausdruck, daß der Museumsstab einen derartigen 'museologischen Mentalitätswechsel' geschafft hatte. Noch heute ist das Wiener Museum entschiedener und klarer in seiner Reflexion der eigenen Geschichte und des Faches, als die später entstandenen Dauerausstellungen des Grazer und des Innsbrucker Museums.
Vorgetragen wurde der 'Turn' gegeüber der altenDauerausstellung auf zwei Ebenen: auf der der Betextung, und auf der der Gestaltung. Die Texte nahmen knapp und entschieden eine konstruktivistische Position ein. Nicht nur die zentralen Themen eines Volkskundemuseum haben einen zeitlichen Index, das Museum selbst und seine Bezugswissenschaft unterliegen einem Wandel. Und schließlich würde auch der Besucher, sein Blick und sein Interesse, immer neue Fragen an das Museum richten. Die verschiedenen Schlüsselbegriffe wie Heimat oder Volk wurden hier nicht wie essentielle Botschaften und unhinterfragbare Wahrheiten behandelt, sondern als wandelbare Begriffe für sich wandelnde Vorstellungen.
Anspruchsvoller kann man kaum an seine Klientel herantreten: man mutet dem Museumsgast zu, sich in einem gleitenden System von Relationen zu orientieren und sich stets der Relativität seines Standpunktes und des des Museums gewiss zu sein.
Noch heute muß ich mich über die Texte wundern und amüsieren, die die Hauptlast dieser driftenden und relationalen Verortung des Wissens tragen. Selbst als abgebrühter Akademiker, gleitet mir der Fachjargon nicht reibungslos durch die grauen Zellen. Und die sind mit dem Text weit heftiger beschäftigt, als der Augensinn. Denn visuell wird die zentrale Ambition des Museums kaum unterstützt. Vereinzelte oder thematisch gruppierte Objekte folgen den nicht so überraschenden Konventionen der Volkskunde. Da gibt es zwar Überraschungen und Eye-Catcher, aber kaum ein Narrativ und für Vertiefung des ein oder anderen Themas fehlt es an Platz oder vielleicht auch an Sammlungsobjekten.
Die kleinteilige Raumstruktur erzwingt eine Kleinteiligkeit der Präsentation der Sammlung und so entwickelt sich manch interessante Frage nur auf kleinstem Raum und kurzatmig.
Und das war das zweite Besondere am Museum: Die Gestaltung durch die Architektin Elsa Prochazka. Während wir normalerweise im Museum alles aus unserer Wahrnehmung ausblenden, was nicht Exponat ist, wird uns das hier nicht erlaubt. Ostentativ zeigen ihre Möbel sich selbst und die Museumsobjekte. Das 'Gestell' ist aufwendig, geradezu aufdringlich, aber sorgfältig gestaltet. Die durch die Texte vermittelte reflexive Distanz zu 'Museum' und 'Exponat' wird durch die Zeigemöbel unterstrichen und unterstützt. Selten war ein Museum so sehr als "Schaubühne" erfahrbar. In einem Verständnis vom Museum als performativen Raum, spielt alles 'eine Rolle', das Licht, die hüllende Architektur, die Exponate, die Texte, die Zeigemöbel und natürlich der Besucher selbst. Hier wird das überdeutlich gemacht. Dinge im Museum sind nicht bloß da, sie werden gezeigt, sagen uns die nach Kräften gestikulierenden Eisenstützen und ausladenden Podeste.
Heute, so lange nach der Eröffnung, verstehe ich an diesem Sonntag, wie groß das Dilemma des Museums ein muß. Eine nachholende Verarbeitung neuer, vor allem urbaner Themen war nie möglich und wäre überhaupt nur mit einer neuerlichen kompletten Neukonzeption zu bekommen. Was sich in einschlägiger Forschung theoretisch wie praktisch gewandelt hat, das findet nicht hier statt.
Dezentral gelegen, in einem von Außen schon sehr desolat wirkenden Gebäude, kann sich das Museum nicht gegen die medial gehätschelten Großmuseen des Stadtzentrums behaupten.
Das musste in Sonderausstellungen ausgelagert werden. Die waren, trotz karger Budgets und spartanischer materieller Ausstattung, das Beste, was man - neben den Ausstellungen des Jüdischen Museums - in Wien in den letzten Jahren an (kultur)historischen Ausstellungen zu sehen bekam. Hier wurde immer wieder vorgemacht, daß es beim Ausstellen auf eine präzise Idee ankommt und dann auf eine angemessene, durchdachte Umsetzung, so banal wie offenbar schwierig kann Austtellungmachen sein.
Wolfgang Kos würdigte in einer wunderbaren Rezension 1995 in der Stadtzeitung Falter die Ausstellung "Schönes Österreich" an die ich mich lebhaft erinnere, weil hier mal mit der bis zum Abwinken zerredeten "Identität" fröhlich, ironisch, anschaulich hantiert wurde - eine Labsal im Vergleich mit den bleischweren und verschwitzten Staatsausstellungen zu 'Österreich'. Nation Building wurde in einer Sympomatologie der Alltagskultur witzig, pfiffig und visuell argumentierend dechiffriert.
Lebhaft erinner ich mich "an an/sammlung an/denken" von 2005, wo ein 'Sachenfund', den mehrere Generationen in einem Haus gehörtet hatten, zu einer wunderbar subtil präsentierten Etude über Dinge, ihre Ästhetik, ihren Gebrauch, ihre Erinnerung wurde.
Und noch etwas ist mir bei meinem Sonntagsbesuch aufgefallen: wo in anderen Museumsshops der Nippes regiert - wie die Teddybären mit Klimtdesign im Belvedere (nicht daß ich nicht auch eine Schwäche für so etwas hätte!) -, gibt es davon im Volkskundemuseum wenig. Dafür ein üppg mit Fachliteratur bestücktes Bücherbord, wo man beim Stöbern nicht nur manch altbackenes Bändchen von annodazumal entdecken kann, sondern avancierte Forschung, z.B. zur Ethnopsychoanalyse oder zu kulturwissenschaftlichen Fragen. Hier hält das Museum Schritt mit der Entwicklung des Fachs und weist sich auch als eine 'wissenschaftliche Anstalt' aus. ich betone das, weil die Bundesmuseen de jure als Wissenschaftsanstalten verwaltet werden und Wissenschaftlichkeit immer noch die zentrale Legitimation der Museen ist. Während die anderswo längst unter dem Druck der Ereignishaftigkeit der Museumsarbeit sich bis an den Rand des Verschwindens verdünnt hat - man sehe sich mal das Bookshop der Albertina an -, wird hier offensichtlich auf Grundlagenforschung Wert gelegt.
Es wird nichts nützen. Es gibt die Idee, das Museum durch Zusammenlegung mit dem Völkerkundemuseum zu 'retten'. Dem kann man was abgewinnen, wenn beide Museen einen Paradigmenwechsel zu modernen kulturwissenschaftlichen Fragestellungen hin vollzögen und sich avancierter museologischer Entwicklungen stellten. Ein Konzept soll ausgearbeitet sein, noch nicht wirklich entscheidungsreif, wie man hört. Doch das Budget, das für die Bundesmuseen bereitsteht, scheint nicht auch noch für ein neues Projekt zu reichen. Außerdem müsste die Sinnhaftigkeit der vor Jahren erfolgten Eingliederung des Völkerkundemuseums in das Kunsthistorische Museum überprüft und wohl revidiert werden. Die Sinnhaftigkeit dieser Eingliederung ist nie evaluiert worden und das Völkerkundemuseum wünscht offenbar, wieder selbständig zu werden.
Vor einigen Jahren habe ich für eine Museumszeitschrift ein Essay zur Entwicklung der Wiener Museumslandschaft geschrieben. Mit dem Hinweis auf drei sehr besondere Museen mündete das in einer positiven Bilanz: Museum für Angewandte Kunst, Jüdisches Museum der Stadt Wien und das Volkskundemuseum waren und sind für mich drei Museen, die - in sehr unterschiedlicher Hinsicht - auch im internationalen Vergleich ungewöhnliche und inspirierende 'Modelle' dessen sind, was Museen sein können. Möglicherweise wird es zwei dieser drei Museen bald nur noch dem Namen nach geben.
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