Montag, 7. Februar 2011

Entgleitende Bilder. Die Dauerausstellung des Jüdischen Museums der Stadt Wien


Die im Internet zirkulierenden Bilder von der Zerstörung der Hologramme der Dauerausstellung des Jüdischen Museums der Stadt Wien haben ein heftiges Echo ausgelöst. Seit mehreren Tagen werden die das Museum und die Hologramme betreffenden Posts dieses Blogs massenweise abgerufen. An den Reaktionen zeigt sich, daß es nicht bloß um den Abbruch geht, sondern um die Haltung gegenüber einer exzeptionellen Ausstellung und um die zukünftige Ausrichtung des Museums.
Um zu verdeutlichen, worum es geht, worin die Qualität der Ausstellung lag und was auf dem Spiel stehen könnte, veröffentliche ich hier einen Aufsatz der 2004 erschienen ist.
Gottfried Fliedl


Sabine Offe, Gottfried Fliedl

Entgleitende Bilder. Über die Dauerausstellung des Jüdischen Museums der Stadt Wien


Aus: Wiener Jahrbuch für Jüdische Geschichte, Kultur & Museumswesen, Bd.6, Wien 2004. S. 19 – 26
Ungekürzt. Anmerkungsnachweise entfernt.

Das Jüdische Museum in Wien ist eine Zumutung. Es stellt die Erwartungen, die Besucher an konventionelle Ausstellungen herantragen, infrage, es verunsichert sie, es fordert sie heraus. Manche führen das darauf zurück, dass es in der Ausstellung an Informationen, an begleitender Belehrung, an Vermittlung fehle. Tatsächlich aber ist das Jüdische Museum nicht nur das konzeptionell und ästhetisch eindrucksvollste unter Jüdischen und kulturhistorischen Museen überall, sondern auch ein Museum, das sich in besonderem Maße seines Vermittlungsauftrags angenommen hat. Dem sind nicht nur die umfangreichen Programme für Besuchergruppen gewidmet, über die in diesem Heft an anderer Stelle berichtet wird, sondern auf “Vermittlung“ ist auch jedes Detail der Gestaltung der Dauerausstellung angelegt.

Der Begriff “Vermittlung“ ist in den letzten Jahren an die Stelle des herkömmlichen der “Museumspädagogik“ getreten. Vermittlung könnte einen nicht-hierarchischen Prozess bezeichnen, an dem beide Seiten beteiligt sind, Museum und Besucher eine Beziehung aufnehmen mit dem Anspruch wechselseitiger Verständigung und sich der Anstrengung der Verständigung ebenso aussetzen wie der Möglichkeit von Missverständnissen und der Chance der Anerkennung und des Aushaltens von Missverständnissen. Vermittlung, so verstanden, entfaltet sich in der Wechselwirkung von Ausstellungsintentionen und deren Aneignungsweisen durch die BesucherInnen, daran beteiligt sind institutionelle Traditionen, personelle Entscheidungen, Besucherreaktionen, Dinge, Gebäude, Texte. Vermittlung bildet “Mitten“, involviert emotionale ebenso wie kognitive, bewusste ebenso wie unbewusste Erzählungen von Ausstellungsmachern und Ausstellungsbesuchern. Ein Modell solcher Vermittlung für das Lehren und Lernen von Geschichte hat Volkhard Knigge entwickelt. Vermittlung, so Knigge, ist gekennzeichnet von einer „Doppelbewegung“: „Einerseits evoziert der historische Gegenstand [oder das Objekt im Museum, S.O.] etwas am Subjekt, beispielsweise Assoziationen, Erinnerungen und Querverbindungen, Gefühle und Körperzustände. Auf diese Weise vermittelt er Subjekteigenschaften oder setzt er Effekte am Subjekt, die auf ihn selbst verweisen. Diese können sich [...] zu Spuren verdichten, in denen sich Eigenschaften des Vergangenheitsmaterials am Subjekt selbst zum Ausdruck bringen.“ Gemeint sind hier körperlich wie mental erlebte Angst, Schrecken, Mitleid, oder auch positiv identifikatorische Formen des Miterlebens, die als Reaktion auf den "Gegenstand" auftreten können. Andererseis tragen die Subjekte gleichzeitig und gegenläufig ihre „Vorerfahrungen, affektiven Prägungen und (unbewußten) Wünschen“ (Volkhard Knigge) an die Gegenstände der Vermittlung heran. Diese Wechselbewegung kennzeichnet Vermittlung, sie lässt sich als Gegenentwurf zum  kontrollierenden Gestus autoritativer Besucherbelehrung verstehen. Damit verbunden ist das Risiko, dass Besucher und Ausstellende sich in den Ergebnissen solcher Wechselwirkung nicht wiedererkennen, die Ausstellenden ihre Absichten in der Rezeption verfehlt sehen, die Besucher ihrerseits enttäuscht sind, dass ihnen nicht Informationen angeboten werden, die sie getrost und getröstet über die Gewissheiten vermeintlich besser Wissender nach Hause tragen können.

Vielerorts wird in der Diskussion über Museen die “Abwesenheit“ dessen beschworen, was im Museum ausgestellt und nur als “Spur“ in den Dingen, denen es Raum gibt, erhalten scheint. Diese Debatte greift ein festgefügtes Fundament der Museumsarbeit an: die vermeintlich durch originale Gegenstände verbürgte Authentizität von Erfahrungen, eine der durch visuelle Evidenz unbezweifelbar scheinende Gewissheit, die verborgene Macht des Museums bei der Zuweisung von Bedeutungen und Lesarten. Wiewohl alle Museen von dieser Reflexion betroffen sind, scheinen sie weithin in der Praxis resistent gegen derartige theoretische Einsichten. Nur dort, wo der “Gegenstand“ des Museums konfliktreich oder traumatisierend in die Gegenwart hereinragt, stellt sich die Museumsarbeit, etwa in postkolonialen Konstellationen, den neuen Anforderungen. Namentlich die Erschütterung durch den Holocaust, die nachhaltige Beschädigung des mit dem Projekt der Moderne entwickelten Modells der Zivilisierung des Menschen und der damit verknüpften Hoffnungen, stellt auch die traditionellen und konventionellen Formen von Darstellung und Vermittlung in Museen infrage. Es überrascht nicht, dass die seit den achtziger Jahren im deutschsprachigen Raum entstandenen Jüdischen Museen besonders sensibel, facettenreich und innovativ auf theoretische Debatten auch der Museologie reagieren. Sie reagieren darauf, dass Museen es kategorial mit Abwesendem und Fremdgewordenem zu tun haben, mit neuen architektonischen Konzepten und neuen Strategien des Ausstellens und Vermittelns. Diese spiegeln die Ambivalenzen der Aufgabe der Institution: die Geschichte der Juden und deren wechselvolle Entfaltung als Teil europäischer Geschichte seit deren Anfängen zu zeigen, und an die Vernichtung der europäischen Juden im Nationalsozialismus zu erinnern. Anders als etwa in den USA sind Jüdische Museen in Österreich und Deutschland nicht nur Museen, sondern immer auch Mahnmale. Als Museen sind sie Teil einer Institution, die Kontinuität und kulturelles Erbe der bürgerlichen Gesellschaft repräsentiert und in den Dienst der Konstruktion von “kulturellem Gedächtnis“ und Identitätsstiftung stellt. Als Mahnmale hingegen repräsentieren sie nicht die Kontinuität, sondern die fundamentale Erschütterung bürgerlicher Kultur, den Zivilisationsbruch in der europäischen Geschichte im 20. Jahrhundert.

Jüdische Museen sind oft nicht einmal Räume für Dinge, sondern selbst lediglich die Spur einer abwesenden materiellen Überlieferung jüdischer Kultur, die so systematisch vernichtet wurde wie die Menschen. Jede Rekonstruktion und Repräsentation von Geschichte und Kultur der Juden gerät daher in Gefahr, die Geschichte der Vernichtung museal ungeschehen zu machen, Lücken und Leerstellen zu verdecken und zu verstellen. Die Konzeption der Dauerausstellung des Jüdischen Museums in Wien thematisiert diese Ambivalenz von Anwesenheit und Abwesenheit in allen Bereichen der in drei Stockwerken eingerichteten drei Teilen der ständigen Sammlung und in drei unterschiedlichen Formen. Die Vergangenheit/Geschichte wird nicht im Rahmen konventioneller Darstellungsweisen erzählt, sondern Besucher sehen sich der Frage, wie sie zu erzählen und zu vermitteln sei, ausgesetzt. Die Ausstellung wendet sich an BesucherInnen, deren Familienbiographien in verschiedener Weise geprägt sind von NS-Geschichte, in der Mehrheit an Nachkommen der Tätergeneration. Die Besucher Jüdischer Museen sind daher immer schon in der einen oder anderen Weise beteiligt an Auseinandersetzungen über Deutungen und langfristige Folgen dieser Geschichte. Ein Museum wie das Wiener Jüdische Museum kann davon ausgehen, dass BesucherInnen wissen, was geschehen ist, aber es muss auch davon ausgehen, dass jedes Wissen über den Holocaust begleitet wird vom Schatten des Nichtwissens, des Nichtwissenwollens, des Nichtbegreifenkönnens – dem Schatten der Traumatisierung, die der Holocaust auch für die gegenwärtige Kultur Europas bedeutet.

Das Risiko wechselseitiger Missverständnisse geht das Jüdische Museum in Wien nicht nur ein, sondern es zeigt, dass sie unumgänglich, ja vielleicht  sogar wünschenswert sind. Der Imperativ Zachor!, Erinnere Dich!, des religiösen wie säkularen (nationalstaatlichen) Judentums, ist dem gesamten Museum eingeschrieben. Aber anders als im Jüdischen Museum Berlin, in dem die körperliche, kognitive und affektive Gängelung der BesucherInnen durch Architektur und Ausstellung keine Abwege, Umwege, eigenständige Assoziationen und Abweichungen von der großen Museums-Geschichtserzählung vorsieht, belässt es das Wiener Museum bei Angeboten an die Besucher, diesem Imperativ zu folgen.

Bereits im Eingangsbereich das Hauses, der ganz zuletzt gestaltet wurde, erinnert eine Inschrift (deutsch und englisch) an die ermordeten Juden. Die Schrift an der Wand erscheint farbig changierend auf  weißem Grund, sie ist schwer lesbar je nach Beleuchtungssituation und Standort des Lesers, ein Menetekel, das wahrzunehmen den Eintretenden überlassen bleibt. Ebenfalls im Erdgeschoss, im Museums-Café, erinnert eine Tafel an die erste und Eröffnungs-Ausstellung: “Hier hat Teitelbaum gewohnt“. (Felicitas Heimann-Jelinek) Da das “Café Teitelbaum“ dieser Ausstellung den Namen verdankt, verweist die Tafel auf den gegenwärtigen Ort des Lesers als einen Ort, der in der Vergangenheit der eines anderen gewesen ist oder gewesen sein könnte und damit auf Zusammenhänge ebenso wie auf deren Zerstörung. Auch ist die Tafel ein Kommentar zur Selbstmusealisierung des Museums, sie erinnert an die Ausstellung und zugleich an ‚Teitelbaum’, also stellvertretend unter dem einst verbreiteten Familiennamen an die Juden Wiens. Die Bedeutungen verschränken sich, sie zu entziffern bedarf es des Vorwissens, die Cafébesucher können sie im Raum belassen oder sie mitnehmen in den ersten Raum der Dauerausstellung. Dieser ist verbunden mit dem Veranstaltungsraum, der über alle Geschosse reicht und überwölbt wird von einem lichten Zeltsegel und darüber einer Kuppel aus Glas und Eisen.


Die nach oben sich öffnende Bewegung wird verstärkt durch die auf die hellen Wände verstreuten farbenfreudigen Stempelbilder von Nancy Spero, verfremdete Bildzitate: ein Detail des zerstörten Leopoldstädter Tempels (nach einem Foto), die Judenverbrennung in Erdberg (nach der Schedelschen Weltchronik), die Ansicht der (Wiener) Judenstadt (Vogelperspektive), Razzia in der Wiener Kultusgemeinde am 18. März 1938, Lesen der Haggada, Mazzesbacken (nach mittelalterlichen Illustrationen), Gustav Mahler, Tänzerinnen.


Diese Bilder haben keine Ordnung, bilden keine Erzählung, folgen keinem Zeitraster, sondern stellen Einzelheiten, Facetten der Überlieferung vor, können Auslöser für Assoziationen werden. Sie thematisieren Erinnerung in der Gestalt von Vergessenem, von den BesucherInnen nicht oder kaum Bekanntem. Sie drängen ihre Geschichten niemandem auf, aber sie geben sie auch nicht un-vermittelt preis. Wer Näheres erfahren will, muss sich auf die Suche machen.


Die im selben Raum ausgestellte Sammlung von Ritualobjekten aus der Sammlung Berger scheint zunächst noch am ehesten den habitualisierten Erwartungen von Museumsbesuchern zu entsprechen. Sie stehen gereiht und geordnet in Vitrinen, sie sind schön und kostbar. Aber Bibelzitate, die auf das Glas der Vitrinen geklebt wurden, erschweren und verdecken den Blick auf diese Objekte, sie verweisen auf den Vorrang der Schrift gegenüber der Materialität der Dinge im Judentum, sind keine Erläuterung des Gezeigten.


Wer die Sammlungsgegenstände frontal betrachtet, hat im Augenwinkel eine unscheinbare Inschrift, die über Motiv und Geschichte der Sammlung und des Sammlers Auskunft gibt, aber nur wie beiläufig, beiseite gesagt, neben der Vitrine in einer Raumecke angebracht. Es ist eine Widmung des Sammlers, gerichtet an seine ermordete Familie. Vielleicht führt diese Beiläufigkeit dazu, dass Besuchern  erst nach dem Verlassen des Museums, aber umso jäher, das Erschrecken widerfährt über die Ungeheuerlichkeit des Geschehenen mitten im Glanz der Schönheit der Dinge und Bilder dieses Raumes – erzwungen wird dieses Erschrecken nicht.

Wenn Museumsbesucher den großen Saal im zweiten Stock des Museums betreten, scheint dieser zunächst leer, falls nicht Sonderausstellungen diesen beabsichtigten Eindruck der Leere verstellen. In der Mitte des Raums wurde ein Karree von Stelltafeln errichtet, die zum Saal hin transparent wirken wie aus Glas. Begibt sich der Besucher in den von den Tafeln gebildeten Innenraum sieht er sich jedoch umgeben von Bildern, denn die gläsernen Tafeln sind Hologramme. Nach Maßgabe der Position, die der Besucher einnimmt, scheinen auf jeder Tafel Bilder auf, die - wie ephemere Dias - Fragmente ehemaligen Wiener jüdischen Lebens zeigen, eine Straßenansicht der Leopoldstadt, ein Porträt von Theodor Herzl, Ritualobjekte, Industrieerzeugnisse, alltägliche Gegenstände, - und sie verschwinden wieder, wenn der Besucher weiter geht, sich bückt oder reckt.


„Das Medium der Transmissionshologramme thematisiert (das) Verschwinden, thematisiert, dass sich Geschichte uns entzieht. Darüber hinaus stellt es den absoluten Ausgangspunkt des historischen Objekts ebenso in Frage in Frage wie das Konzept einer ‚wahren’ historischen Rekonstruktion. Keine Ausstellung kann deutlich machen, was österreichisch-jüdische Geschichte in ihrem ganzen Ausmaß tatsächlich war.“ (Felicitas Heimann-Jelinek) Das ‚Verschwinden’, das Ephemere der ‚Bilder’ des Hologramms verweigert auch eine phantasmatische an das Museum gerichtete Erwartung: dass es durch dauerhafte Sicherung, Fest-Stellung von Dingen dauerhaft Erinnerung sichern und aufbewahren könnte.


Jeglicher ‚Feststellung’ entzieht sich auch die Gestaltung des Raumes, die der Architekt  Martin Kohlbauer entwickelt hat. Sein Wohnliches und Inwendiges wird zum Kippen gebracht, wenn man den durch die Hologramme gebildeten Raum betritt, einen in den Parkettfußboden eingelassenen gepflasterten Platz. Dieser ist ein Innenraum, der einen Außenraum in einem Interieur bildet, ein Platz, dem die fließenden Bilder der Hologramme keine feste Begrenzung verleihen, der weniger durch die Sammlung von Bildern, sondern durch das Sich-Sammeln der Besucher definiert zu sein scheint. Selbst das memoriale Zeichen, das auf fast keinem Platz fehlen darf, bietet hier trotz seiner monumentalen Festigkeit nur neue Ambivalenzen. Der aus der  Mitte des Gevierts gerückte Block – der die Form- und Gedächtnisgelegenheit des Denkmals evoziert -  trägt eine Tafel mit einem der ältesten Aufzeichnungsmedien, eine chronologische Liste. Doch aus der lakonischen Aufzählung von zwischen 903 und 1994 ausgespannten Daten lässt sich keine zusammenhängende Erzählung rekonstruieren. Die räumliche und thematische Inszenierung der Hologramme stellt keinen Zusammenhang her, vielmehr sagen sie etwas aus über das Fehlen solchen Zusammenhangs, über die Abwesenheit der vernichteten Wiener jüdischen Kultur vor 1938, die sich dem Besucher nicht zu schönen Erinnerungsbildern verklärt. Die Hologrammbilder dieser Kultur reagieren auf seinen Blick, seine jeweilige und gegenwärtige Perspektive, tauchen mit diesem auf und verschwinden. Sie vermitteln zwischen dem, was das Museum zeigen und dem, was der Besucher sehen kann und bringen zur Anschauung, dass das Vergangene eine gegenwärtige Konstruktion des Museums und dass der Besucher an dieser Konstruktion beteiligt ist.

Im dritten Stock und im letzten Raum der Dauerausstellung schließlich wurde ein Schaudepot eingerichtet - eine fast den gesamten Raum einnehmende Vitrine, in der Dinge, vor allem Ritualobjekte, stehen. Sie wurden nach ehemaligen Funktionen zu Gruppen weniger geordnet als abgestellt. Es sind Reste von nach 1938 geborgenen aus individuellem und Gemeinde-Eigentum stammenden Gegenständen. Kein Text mit Erläuterungen zu ihrer Herkunft oder Festgebräuchen, zu ihrer Funktion oder ihrem Erhaltungszustand – manche Objekte zeigen Spuren gewaltsamer Deformation - entlastet den Besucher vor dieser so überwältigenden wie bedrückenden Menge von im Museum so offenkundig nutzlosen Gegenständen, die sich in der Menge gegen die Zumutung sperren, "jüdische Kultur" zu repräsentieren. Karg wie die Metallregale, die sie aufbewahren, ist auch das schriftliche Inventar, das bereitliegt und erlaubt, erste Spuren zu diesen Dingen aufzunehmen – mehr nicht. Der Raum und seine spröde Möblierung bilden keine Arche, in der die Gegenstände zur befriedeten musealen Ruhe gekommen wären, mehr einen Transitraum, in dem die Reise des Entzifferns und Lesens erst in Gang kommen muss.

Das Wiener Museum macht keinen Gebrauch von der "Geschichtslosigkeit von Gefühlen" (Werner Hanak), die Besucher werden nicht aufgefordert, sich in die Geschichte hineinzuversetzen, sondern sich bewusst zu werden, dass ihr Blick aus der Gegenwart und von außen auf die Geschichte im Museum gerichtet ist. Der Simulation solcher Gefühle, die andere Museen mit entsprechend aufgeladenen Inszenierungen zu fördern suchen, setzt die Dauerausstellung in Wien das Fremde und Befremdliche von Objekten und Inszenierungen entgegen. Sie verweist auf die Ferne der Vergangenheit und auf die Gegenwart des Museums, die sie zu einer gegenwärtigen Installation von Geschichte aufbereitet. Das Museum verzichtet damit sehr weitgehend auf die vorbehaltlose Ausübung seiner Autorität über Erzählweisen und Bedeutungskonstruktionen, indem es Objekte nicht als fraglose Garanten gesicherter Erkenntnisse präsentiert, sondern als Symbolisierungen, an denen Fragen und Antworten, vielleicht jede Sprechfähigkeit, immer wieder abgleiten und neu ansetzen müssen.

Mit diesem Verzicht auf verordnetes Gedenken und identifizierende Nachempfindung geht das Wiener Jüdische Museum einen Weg der Vermittlung, der Besucher auch irritieren und verunsichern kann. Dies geschieht gerade dort, wo dem Museum konventionell eine seiner vorrangigen Aufgaben, nämlich kollektive wie individuelle Identität zu verbürgen, zugemutet wird. Im Wiener Jüdischen Museum verweigert die Gestaltung und Inszenierung auch hier jede beruhigende oder abschliessende Gewissheit. So wurden zwei Hologrammstelen aus dem Geviert der übrigen Bildträger in einer Weise herausgerückt, dass sie eine Art Tor bilden. Sie zitieren und suggerieren die traditionelle Bedeutungsanmutung einer architektonischen Würdegeste, eine achsial-symmetrisch geordnete und hierarchisch gesteigerte Anlage. Doch diese Geste wird durch die Wahl der Bildsujets und deren Konfrontation unterminiert: Die Hologrammbilder von Israel- und Österreichfahne, mit Judensternen bedruckter Stoff und zwei Zitate von Jean Améry werden ineinandergespiegelt. Die Zitate sind Sätze über Identität und Heimat und über als Nummer tätowierte Identität, die ihre Träger zur Vernichtung bestimmte. Diese Spiegelung spiegelt und spielt mit der Ungewissheit und Gefährdung von individueller, nationaler, kollektiver “Identität“ und deren Fixierung in Bildern, Texten, Dingen. Sie spiegelt keine Ähnlichkeiten zwischen dem, was sie zeigt und den BesucherInnen, diese können sich darin nicht erkennen. Diese verweigerte Identifizierung wirkt zurück auf die Besucher als Infragestellung der eigenen individuellen und kollektiven Selbstgewissheit, als Kippen der Identität im Blick auf kippende Identitätsprojektionen in den Hologrammbildern.

Hologramme sind keine Mahnmale, sie sind Antimonumente in reiner Form: angewiesen auf den Blick der Museumsbesucher und ihre Bereitschaft zu erinnern – sonst findet Erinnerung nicht statt. Die entgleitenden Bilder führen vor, was Erinnerung an das Geschehene nicht einholbar und nicht nachvollziehbar machen kann, sie verknüpfen Wissen und Nichtwissen. Sie bewahren die Erinnerung an Tod und Vernichtung, aber lösen sie zugleich aus der Überwältigung durch den Entzug ihrer Materialität. Die Besucher sehen und erfahren sich als an dieser Vermittlung von Geschichte und Erinnerung Beteiligte, und diese Weise der Vermittlung lässt ihnen auch Raum für die den Rundgang immer begleitende Wahrnehmung der Gegenwart des Hauses, seiner stadtzugewandten Offenheit und Transparenz. Das Museum ist kein statischer Ort der Bewahrung von Vergangenheit, die Spuren und Lebenszeugnisse der ehemaligen jüdischen Bewohner Wiens in den Bildern der Hologramme, die Häuser, Straßen und Plätze Teitelsbaums und anderer ermöglichen die Wahrnehmung der historischen Veränderungen auch des gegenwärtigen Raumes. Vom Museum ausgehend, kann sich der Blick auch auf die kollektiven und individuellen Geschichten in dieser Stadt, auf die vergangene Geschichte der Interaktion von Juden und Nichtjuden und auf deren Bedeutung für die heutigen Bewohner oder Reisenden, also die Museumsbesucher selbst, verändern.

Die im doppelten Wortsinne reflektierende/reflexiveVermittlung von Geschichte im Jüdischen Museum Wien stellt die institutionelle und konventionelle Autorität des Museums infrage, nimmt sie zurück, vermindert sie, und fördert damit neue Wahrnehmungen, die Bereitschaft zum Nachdenken über eigene Positionen. Die Ausstellung gibt die Gegenstände nicht als Geschichten aus, sondern zeigt sie als gegenwärtige Schatten vergangener Geschichte. Diese Geschichte wird nicht durch Anwesenheit, sondern durch ihr Fehlen und Fehl-am-Platz sein im Museum bezeugt und bedarf immer neuer und gegenwärtiger Erzählungen und Aneignung durch die Besucher. BesucherInnen des Jüdischen Museums in Wien haben nach dem Rundgang durch die Dauerausstellung keinen “Gesamtüberblick“ über Geschichte, Religion, Kultur “der Juden“, wie manche ihn von der Ausstellung eines Museums erwarten zu können meinen  – aber sie können erkennen und unterscheiden zwischen dem, was sie im Museum gesehen haben und dem, was wirklich geschehen ist und im Museum keinen Raum finden kann, zwischen dem, was vergangen und dem, was gegenwärtig ist, zwischen dem, was gewusst und dem, was nicht gewusst und vermittelt werden kann. Vermittelt wird ihnen, dass Geschichte und Gedächtnis weder institutionell noch individuell verfügbar sind, dass sie auf ihre Fragen und Nachfragen und die Bereitschaft, sich den Zumutungen des Museums auszusetzen, angewiesen bleiben. Und die Ausstellung verweist sie auf die Möglichkeit, auch solche Fragen zu stellen, die nicht durch Objekte und Informationen als schnelle Antworten zum Schweigen gebracht werden können.

Alle Fotografien: Gottfried Fliedl. Sie können bei Nennung des Namens gerne alle Fotos herunterladen und weiterverwenden.


Siehe auch: Das wahre Bild der Vergangenheit, sowie zum Abbruch der Hologramme ein kurzes Statement und bilder und einen Kommentar von Sabine Offe dazu hier.

Sonntag, 6. Februar 2011

"...und weitere Opfer" (Texte im Museum 175)


Ausstellung "Österreich ist frei". 2005. Schallaburg/ Niederösterreich

Ungarn: Krise der Politik, Krise der Kultur, Krise der Museen

An der Situation Ungarns ist mehr interessant, als nur der Zustand der Kulturinstitutionen und der Museen. Das Land hat, so die weit verbreitete Einschätzung, spätestens mit seinem kürzlich erlassenen Mediengesetz, den demokratischen Weg verlassen und befindet sich auf dem zu einer „neuen Art der Diktatur (György Konrad).
Für Kultur und Wissenschaft bedeutet das, das massenhaft entlassen wird und die regierende Partei ihr genehme Personen platziert, daß man Intellektuelle denunziert und derart bedroht, daß erst kürzlich ein Aufruf von Jürgen Habermas und anderen zum Schutz mehrerer Philosophen publiziert wurde. Für ganze Bereiche wird jede staatliche Förderung gestrichen, z.B. für die freie Theaterszene. Begriffe wie „Gleichschaltung“ und „Säuberung“ fallen.
Michael Frank, der Österreich-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung schreibt: „Die Direktionen der Mehrzahl der Museen und Galerien wurden bereits im Sommer und Herbst ausgewechselt. Dann kam Lajos Vass dran, der Direktor der Staatsoper, dem man Misswirtschaft vorwarf. Generalmusikdirektor Adam Fischer zog sich daraufhin resigniert von selbst zurück...Die Akademie der Wissenschaften wird ausgeholzt. Die Mannschaft des Georg-Lukács-Archivs wird komplett ausgewechselt.“
Worüber Michael Frank auch berichtet, ist eine Variante, wie man Krisen erzeugt und nutzt. In dem Maß, in dem Mittel gekürzt werden, bestraft man Verluste mit Entlassung. Da aber alle Kulturinstitutionen ‚defizitär’ arbeiten, kann es jeden treffen, und jeder kann beschuldigt werden, Gelder leichtfertig oder zweckentfremdet verwendet zu haben.
Michael Frank: „Besonders hart trifft diese Säuberungswelle die Provinz...Nehmen wir wieder die Stadt Pécs als Beispiel, die mit ihren 170.000 Einwohnern 17 Museen unterhält. Hier ringt man schon ohne jede politische Einflussnahme ums Überleben. Beheizt wird längst keines der Häuser mehr.
Wer an Wunder glaubt, darf sich an ein singuläres Ereignis in der Geschichte der Museen erinnern. Von den Stufen des Ungarischen Nationalmuseums herab wurde 1848 die demokratische Revolution ausgerufen...
Seither findet im März an dieser Stelle, vor den Treppen des als nationales und demokratisches Symbol geltenden Museum, das 1848 auch Sitz des Oberhauses des Ungarischen Parlaments, eine Kundgebung zur Erinnerung an dieses Ereignis statt.

Die Märzfeier vor dem Nationalmuseum im Jahr 2004


Michael Frank: Sorge um Ungarns Kulturbetrieb Die große Säuberung, in: Süddeutsche Zeitung, 24.01.2011

Verpflichtet Adel? Ein Restitutionsfall besonderer Art

Ein Restitutionsfall der besonderen Art: Der Familie der Wettiner, eine Regenten-Familie mit über 800jähriger Geschichte, wurden und werden Ansprüche auf Kulturgüter zugesprochen, die zum Kernbestand der Dresdner Kunstsammlungen gehören. Unbezweifelbar, wie es lange schien.
Es geht aber dabei nicht um eine überschaubare Zahl von Objekten, sondern um tausende und mit den bisherigen Vereinbarungen ist kein Abschluß erreicht, sondern, so nennt das der Spiegel-Online vom 3.2.2011, jetzt beginnt erst der „Rückgabemarathon“.
Es geht um kostbare Porzellane, Skulpturen, Kostbarkeiten des Grünen Gewölbes, um Möbel, Bücher und um Gemälde der Alten Galerie. Etwa 6000 Objekte und Immobilien mit Millionenwert wurden bereits restituiert. Dabei geht es um im Krieg versteckten Besitz der Familie, der nach dem Krieg einfach verstaatlicht wurde. Die Familie ließ vor sechs Jahren begonnene Recherchen anstellen und seither gibt es den „Restitutionsmarathon“. Erst in einigen Jahren wird er abgeschlossen sein.
Immerhin setzt der Freistaat nun auf dauerhaften Frieden mit den königlichen Hoheiten. Der jetzige Vergleichsvertrag gilt erstmals als "abschließend und endgültig". Jetzt müssen aber erst mal viereinhalb Millionen gezahlt werden, an die Familie, damit das Porzellan in den Sammlungen bleiben kann. Früher hatte man die Objekte restituiert, die von der Familie versteigert wurde.
Viele Zeitungen können sich nicht verkneifen, zum Wortspiel "Adel verpflichtet nicht" zu greifen.

Samstag, 5. Februar 2011

Die ersten Weltbürger





Meine Auslandskorrespondentin D. in H. schickt mir diese Bilder, die sie kürzlich im Landesmuseum in Hannover gemacht hat, mit der Aufforderung etwas über Frisuren in anthropologischen Dioramen zu schreiben. Von anderen derartigen Aufforderungen, die mich erreichen - meist etwas, was zu grauslich, zu kontroversiell ist, als daß der / die Betreffende selber was drüber schreiben wollte -, unterscheidet sich diese Einladung dadurch, daß sie einen gewissen Charme hat und ich das ja tun würde. Vorausgesetzt ich hätte Zeit und Muße dazu. Ich schenke stattdessen das Thema einem künftigen Dissertanten oder Aspiranten eines einschlägigen Studiums.
Diese Spezialfrage soll uns aber keineswegs davon abhalten, die weit reichhaltigere semantische Anmutung der diversen hannoveranischen Dioramen in vollen Zügen zu genießen. Der Veranschulichungszwang der Wissenschaften, die sich mit schriftloser Kultur beschäftigen, verhält sich gewissermaßen umgekehrt proportonial zum gesicherten Wissen. Und muß daher interpoliert werden - und wenn es nicht anders geht, mit zeitgenössischem Wissen. Wobei wir wieder bei den Frisuren wären...

Erste Retrospektive Birgit Jürgenssen im Bank-Austria-Kunstforum

Die Ausstellung über Birgit Jürgenssen im Bank-Austria-Kunstforum möchte ich hier nachdrücklich empfehlen. Hier eine heute in der NZZ-Online erschiene Kritik - Andrea Winklbauer, "Der Ort der Wunde" -, die die Künstlerin, das Werk und die Ausstellung würdigt.
Noch bis 6. März.

Freitag, 4. Februar 2011

Der unsichtbare kleine Unterschied (Texte im Museum 174)

Naturhistorisches Museum Wien. Foto GF

Erneuerung durch Zerstörung? "Bedenkenlosigkeit gegenüber ästhetischer, gesellschaftspolitischer und ethischer Verantwortung..."

Die Bilder der Zerstörung der Hologramme aus dem Jüdischen Museum in Wien haben mich empört und entsetzt. Noch die Argumentation der Direktorin, ihr Vorgehen sei technischen Problemen geschuldet (man habe die Hologramme auch für ein Depot nicht erhalten können, denn sie ließen sich nicht auseinanderschrauben!) belegt, wie Gedankenlosigkeit umschlägt in Bedenkenlosigkeit gegenüber ästhetischer, gesellschaftspolitischer und ethischer Verantwortung den Dingen gegenüber, die das Museum bewahrt.
Ich kenne das Wiener Museum seit seiner Gründung, und ich kenne kein anderes, das die besondere Aufgabe Jüdischer Museen so sensibel in die Gestaltung von Dauer- und Sonderausstellungen übersetzt hat. Aufgabe Jüdischer Museen ist es,  Aspekte der Geschichte der Juden auszustellen in den Spuren einer materiellen Überlieferung, die vernichtet werden sollte wie die Menschen. Die Hologramme waren eines der Medien, mit dem das Museum an das, was übrig blieb und an das, was zerstört wurde, erinnern und die Nähe von Erinnern und Vergessen, von Anwesenheit und Abwesenheit im Museum erfahrbar machte und den Besuchern ermöglichte und zumutete, darüber nachzudenken.
Die Zerstörung der Ausstellung und die Verstörung über die uns aus Wien erreichenden Bilder sind auch Zeichen dafür, wie Erinnern und Vergessen dieser Geschichte konfliktreich in die Gegenwart hereinragen. „Neue Wege“ zu gehen hat die neue Direktorin angekündigt. Vielleicht sollte sie den Raum, so wie er jetzt aussieht, für Besucher öffnen und diese fragen, woran diese „Installation“  sie erinnert?
Dr. Sabine Offe, Bremen.
Autorin von "Jüdische Museen in Deutschland und Österreich", Berlin 2000

Institut für Religionswissenschaft
Universität Bremen

Erneuerung durch Zerstörung? Noch eine Stellungnahme.

Da Kommentare zu versteckt sind und mir der von Heidemarie Uhl gewichtig erscheint, veröffentliche ich ihn als eigenen Post.

Danke für diesen Beitrag, auch mich bestürzen diese Bilder - vor allem in Anbetracht der Sorgfalt, die mittlerweile beim Abbau von Ausstellungen üblich ist. So werden etwa die Schauwände der alten Dauerausstellung in der Gedenkstätte Mauthausen, die rein historischen Wert haben, archiviert.
Bei den Hologrammen des Jüdischen Museums handelte es sich allerdings um Objekte von internationalem Rang, sie galten als einer der wichtigsten und innovativsten museologischen Beiträge zur Frage der Darstellbarkeit von (jüdischer) Geschichte im Museum. Ihre Zerstörung könnte man auch als Symbol sehen - soll damit zum Ausdruck gebracht werden, dass sich das Wiener Jüdische Museum aus der Liga der international renommierten (Jüdischen) Museen verabschieden will?

Heidemarie Uhl, Österreichische Akademie der Wissenschaften
Februar 03, 2011

Erneuerung durch Zerstörung? Eine weitere Reaktion.

Die Bilder sind erschreckend. Und Gottfried Fliedl ist zu danken, die Vorgänge sichtbar gemacht und eine Diskussion darüber ausgelöst zu haben - selbst wenn sie nun zu spät zu sein scheint.
Es ist wirklich schwer begreifbar, dass es keinerlei (technische) Möglichkeit gegeben haben soll, die Hologramme zu bewahren. In eine neue Dauerausstellung wären Sie sicher leicht integrierbar gewesen. Eine Aufbewahrung im Depot sollte ohnehin kein Problem dargestellt haben.
Noch im vergangenen Jahr habe ich bei einem Museumsrundgang mit einer Gruppe Schüler/innen erleben können, wie wunderbar sich an die Hologramme Diskussionen über (jüdische) Geschichte und (museale) Repräsentation anknüpfen lassen. Es ist äußerst bedauerlich, dass kommenden Besucher/innen
diese Reflexionsfläche nicht mehr zur Verfügung steht und eine innovative und intellektuell herausfordernde museale Darstellungsform unwiederbringlich vernichtet wurde.   

Priv.-Doz. Mag. Dr. Dirk Rupnow
Institute für Zeitgeschichte
Universität Innsbruck

Erneuerung durch Zerstörung? In eigener Sache.

Die Veröffentlichung der Bilder vom Abbruch der Hologramme im Jüdischen Museum der Stadt Wien, die mir gleich von drei verschiedenen Seiten zugeschickt worden sind, haben eine ungewöhnlich starke Reaktion hervorgerufen.
Der Eintrag wird von weit überdurchschnittlich vielen Lesern aufgerufen.
Mein Vorschlag, Kommentare hinterlassen, wird kaum genutzt. Nach wie vor scheint es schwierig zu sein, zu Museen überhaupt inhaltlich gehaltvolle Diskussionen zu initiieren.
Aber erst bei einem qualifzierten und starken Echo derjenigen, die Museen nutzen, besuchen, oder auch einen professionellen Bezug haben, wird langsam auch für Museen jene kritische Öffentlichkeit entstehen, wie sie für andere kulturelle Bereiche längst üblich ist.
Die Bilder, isoliert publiziert, haben eine gewisse polemische Qualität. Aber zweifellos sind sie mehr als nur die Dokumentation des brachialen Werkens einer Abbruchfirma. Die Reaktionen, die es gibt, zeigen das und ein Mehr an Reaktion würde dazu beitragen, daß Diskussionen von Museen nicht abgewehrt werden, sondern als ein enormes Potential der Reflexion geschätzt würden.
Ich lade weiter ein, Kommentare zu verfassen oder mir zur Veröffentlichung zuzuschicken.
Anonyme Kommentare werde ich nicht mehr veröffentlichen. 

Donnerstag, 3. Februar 2011

Erneuerung durch Zerstörung? Das Jüdische Museum der Stadt Wien vernichtet sein wichtigstes Medium, die Dauerausstellung III. Eine Reaktion

Ein international renommiertes Objekt jüdischer und nicht zuletzt auch der Wiener Gedächtniskultur in tausend Scherben - das weckt unwillkürlich Assoziationen an böse Zeiten. Dass vor einer neuen Dauerausstellung die Entfernung der alten erfolgt, ist verständlich und üblich, allerdings unter Bewahrung der ausgedienten Objekte zumindest im Depot. An die Museumsleitung ist daher zu fragen: War dieser Vandalenakt tatsächlich die einzig mögliche Lösung? Hat man zum Abbau der Hologramme Fachgutachten eingeholt, insbesondere der Firma, die diese vor 17 Jahren errichtet hat? Hat man sich gründlich und ausreichend lange mit alternativen Lösungen auseinander gesetzt? Hat man die Stadt Wien informiert und erfolgte der Abbruch mit deren Zustimmung? Wenn ja, mit welcher Begründung, wenn nein, mit welchen Konsequenzen?
Ich hoffe, diese Fragen werden in den nächsten Tagen von kompetenter Seite beantwortet.

Beste Grüße
Martha Keil

Institut für jüdische Geschichte Österreichs
Dr. Karl Renner-Promenade 22
A-3100 St. Pölten

Erneuerung durch Zerstörung? Das Jüdische Museum der Stadt Wien vernichtet sein wichtigstes Medium, die Dauerausstellung II. Eine Reaktion der Direktorin

Nach einem Mail an Frau Dr. Danielle Spera hat Sie ungewöhnlich rasch reagiert. Hier ohne weiteren Kommentar und ungekürzt mein Mail und die Antwort von Frau Direktor Spera.

Sehr geehrte Frau Direktor!

In den letzten beiden Tagen haben mir mehrere Freunde Fotos vom Abbruch der Hologramme zugeschickt, die nicht nur mich schockiert haben. Ich frage mich, warum die Hologramme überhaupt zerstört werden mussten, wo ihre Deponierung doch keinen großen Aufwand bedeutet hätte und, noch besser, eine weitere Verwendung in anderen Zusammenhängen durchaus denkbar gewesen wäre.

Daß Sie das Museum erneuern wollen, sei Ihnen unbenommen und es wird zu begrüßen sein, wenn an die Stelle des Alten etwas Besseres tritt. Worin dies bestehen könnte, wird aus den mir zugänglichen (Medien)Informationen und der Webseite des Museums noch nicht klar.

Ich war mit vielen meiner Freunde seit der Gründung des Museums der Auffassung, daß die Dauerausstellung eine ungewöhnliche, innovative und weit überdurchschnittliche Lösung für die vielfach schwierige Repräsentation einer Geschichte gefunden hat, deren Spuren gewaltsam zerstört wurden.
Ich möchte nicht so weit gehen, die mir zugesandten Bilder mit dieser Gewaltsamkeit zu assoziieren, aber die rätselhaft überschüssige Aggressivität, die hier manifest ist, und die mir über einen normalen Abbruch hinauszugehen scheint, läßt mich rätseln. Auch ein Museum hat natürlich eine Geschichte, die nicht zuletzt in seinem Interieur, Display, in seiner Gestaltung usw. sedimentiert ist. Eine derart gründliche Zerstörung - richtet sie sich nicht auch gegen das Gedächtnis des Museums selbst?

Ich schätzte das Jüdische Museum immer als einen im europäischen und sogar globalen Maßstab exquisiten Platz einer hochintelligent inszenierten und erzählten Geschichtskultur, und ich frage mich, ob das, was nun vorgeht, als eine 'Abwicklung' anzusehen ist und als Aufgeben einer Haltung, die von höchsten museologischen, geschichtstheoretischen und ethischen Ansprüchen getragen war oder als Aufbruch zu neuen Strategien der Museumsarbeit und, in der neuen Ausstellung, der Repräsentation von Geschichte auf neuem, höherem Niveau. Dies allein könnte das 'Abbruchunternehmen' rechtfertigen.

Ihr

Dr. Gottfried Fliedl
Museologe, Kunsthistoriker, Historiker
Graz


Sehr geehrter Herr Fliedl,

einige Richtigstellungen zu Ihrem Mail.

Zur Sache:
Wir renovieren unser Haus nicht, um eine Dauerausstellung zu vernichten, sondern weil technische Geräte im Haus einer Erneuerung  bedürfen und wir darüber hinaus den Veranstaltungsraum aus dem dafür ungeeigneten Raum im Erdgeschoß in den zweiten Stock verlegen wollen. Klimaanlage und Lifte müssen ersetzt werden, weil sie nur mehr unzulänglich funktionieren und den gesetzlichen Bestimmungen nicht mehr entsprechen. Das Haus musste renoviert werden, sonst wären wir gezwungen gewesen, es zu sperren.

Was die Hologramme betrifft, so haben wir versucht, sie zu erhalten. Wir hatten auch schon eine Vereinbarung mit dem Technischen Museum zur Übernahme einer Glasplatte und darüber hinaus eine konservatorisch fachgerechte Lagerung fixiert. Allerdings stellte sich dann heraus, dass die Glasplatten so verschraubt und verklebt waren, dass die ausführenden Firmen keine Möglichkeit gefunden haben, sie zu demontieren. Dies haben uns mehrere Firmen und ein gerichtlicher Sachverständiger bestätigt. Ganz abgesehen davon, hatten die Hologramme bereits das Ende ihrer Lebensdauer erreicht, die Folien lösten sich ab und es wäre nur mehr eine Frage einer kurzen Zeit gewesen, bis sie nicht verwendbar gewesen wären.

Ich ersuche Sie abschließend, vor einer empörten Reaktion auf Hinweise einer Person aus unserem Haus lieber den fairen Kontakt mit mir zu suchen und zu hinterfragen, ob alle an Sie gelangten Informationen so auch stimmen.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Danielle Spera
Jüdisches Museum Wien|Direktorin   
Dorotheergasse 11
A-1010 Wien
Österreich
Tel:      +431 5350431
Mobil:   +43 699 15205555
e-mail:    danielle.spera@jmw.at
www.jmw.at

Mittwoch, 2. Februar 2011

Entreebewijs (Entrée 13)

Erneuerung durch Zerstörung? Das Jüdische Museum der Stadt Wien vernichtet sein wichtigstes Medium, die Dauerausstellung

ACHTUNG! Sie lesen einen der zwar meistabgerufenen, aber ältesten Posts zur Diskussion um das Jüdische Museum der Stadt Wien. Hier finden Sie einen Link zu einer Zusammenfassung der bisherigen Diskussion am neuesten Stand mit zahllosen weiterführenden Links zu diversen Informatione, Kommentaren, Dokumenten.

*

Daß das Jüdische Museum der Stadt Wien seine Dauerausstellung erneuern würde, war schon mit der Bestellung der neuen Leiterin absehbar. Daß es jetzt geschieht, ist nicht überraschend.
Aber wie es geschieht.
Die Fotos, die ich gestern erhalten habe, haben mich schockiert, nicht nur weil sie das definitive Ende der Ausstellung bezeugen. Sondern weil hier eine Destruktivität manifest wird, von der man sich schwer vorstellen kann, daß sie allein der Routine einer Abbruchfirma geschuldet ist.
Man hätte die Hologramme doch sicherlich erhalten, sehr wahrscheinlich auch noch sinnvoll in anderen Zusammenhängen verwenden können.
Auch konsevatorisch sehe ich da kein größeres Problem, die großen Glastafeln sind nicht mal besonders voluminös.
Doch sie einfach zu zertrümmern, in tausend Stücke hauen und auf den Müll kehren?
Das ist schwer verständlich. - Museen gehen heute aus vielerlei Gründen mit alten Ausstellungen pfleglicher um, schließlich bilden sie selbst eine Form des institutionellen Gedächtnisses, das man nicht ohne jedes Bedenken einfach beseitigt.
Und erst recht von einem Jüdischen Museum wäre doch eine besondere Sensibilität erwartbar. Es hütet ein Gedächtnis, das durch Zerstörung unwiderbringlich beschädigt war und von dem es selbst, einschließlich seiner Dauerausstellung und der Hologramme, selbst ein Teil ist.
Genau darin lag ja eine der Leistungen der Hologramme, dies als besonderes Veranschaulichungsmedien mit einzigartigen eigenschaften, zu thematisieren.


Eine Erinnerung an die alte Dauerausstellung hier, Kritik am politischen Umgang mit dem Museum hier und zum früh mit dem Diretionswechsel sich ankündigenden Verschwinden der Dauerausstellung hier.





Zur jüngsten Entwicklung siehe: Jüdisches Museum - CSI übernehmen sie!

Der einfachste Zugang zu allen auf diesem Blog veröffentlichten Informationen ist über den Link "Jüdisches Museum Wien" (links im 'Inhaltsverzeichnis zu finden) möglich.

Ich veröffentliche keine anonymen Kommentare, nur solche, die namentlich gekennzeichnet sind.

Objets Trouvés: Die Mokkamaschine

Bialetti Moka Express
Aluminium, Kunststoff, Gummi
undatiert

1933 hatte Alfonso Bialetti, möglicherweise inspiriert von seiner Arbeit in einer Aluminiumfabrik, eine einfach zu bedienende - in casa un espresso come al bar -, achteckige, aus Aluminium gefertigte Mokkamaschine herzustellen. Anders als die bis dahin üblichen, ebenfalls in Italien entwickelten Espressomaschinen, wird hier der durch kochendes Wasser erzeugte Überdruck genutzt, um heißes Wasser durch ein Steigrohr durch den Kaffee zu pressen. Der im Vergleich zu Espressomaschinen weitaus geringere Druck läßt nur die Erzeugung von Mokka, nicht von Espresso zu. Durch Patentierung und Vermarktung durch Bialettis Sohn wurde die Maschine zu einem weltweit vertriebenen und bekannten Produkt.

Unlängst gehe ich zum Arbeitsmarktservice, um ein paar Informationen zu bekommen. Ich erfrage das Büro, öffne die angegebene Tür, umrunde in einer kleinen Wanderung einen gewaltigen ficus benjamini, stoße auf einen Herrn im Drehsessel, der mich bittet an einem komplett vollgeräumten Bonsai-Tischchen Platz zu nehmen, und der mir, als ich sitze, mitteilt, daß er wahrscheinlich gar nicht für mich zuständig ist. Als ich vorsichtig (nicht reizen!) erwidere, daß ich telefonisch an ihn verwiesen wurde, stochert er in seinem Computer um sich dann mir wieder mit den Worten zuzuwenden "Erstaunlich. Sie gehören zu mir". Auf der nun glücklich hergestelleten Vertrauensbasis bekomme ich meine Informationen, bedanke mich, greife nach meinem Mantel und wende mich zum Gehen als die Tür aufgeht und ein Kollege durch die Tür sagt: "Deine Kaffeemaschine hast vergessen." Man riecht auch sofort daß da eine durchgebrannte Aluminiumkanne auf einem Herd stehen muß. Ich versuche zu trösten: "Mir ist das unlängst auch passiert, ich hab mir eine Maschine aus Edelstahl gekauft." Der sofort um mehrere Messeinheiten depressiver wirkende Sachbearbeiter: "Des is es ja net. Aber jetzt bin ich eine Woche das Gespräch des Büros." Ich verstehe und verabschiede mich rasch. Wie doch eine Bialetti Moka Express das Leben verändern kann.

Bialetti Moka Express in der Funktion eines (Zitat) Eigenporträts einer bekannten Mitarbeiterin eines bekannten großen Museums. Man beachte die vielfache Spiegelung der Bialetti Moka Express, was sich als Visualisierung multipler Identität deuten ließe (wir wissen es nicht). Das praktisch und symbolisch nützliche Gerät wurde durch Anschaffung eines Induktionsherdes unbrauchbar. 



















Die mir einzige bekannte Darstellung einer Bialetti Moka Express in der Bildenden Kunst. William Kentride hat in seinem Zeichentrickfilm "Die Reise zum Mond" die Rakete aus Melies' gleichnamigem Film (seiner ist auch eine Hommage an Melies) durch die Mokkamaschine ersetzt. Gleich wird sie sich raketengleich erheben und durch das Bild sausen um schließlich in dem einen Auge des Mondgesichts (wie bei Melies die Rakete) einzuschlagen...Auch in "Fragments for George Melies" (Hier bei Youtube) setzt Kenridge seine offensichtlich vielgeliebte und -gebrauchte Mokkamaschine ein, diesmal zum Zeichnen...
Prof. Jeffrey T. Schnapp - ein Kaffeetrinker? - hat in einem Aufsatz, der in Critical Inquiry, Vol. 28 No. 1, Autumn 2001 University of Chicago unter dem Titel “The Romance of Caffeine and Aluminum” erschienen ist, die These entwickelt, daß die Erfindung der Bialetti Moka Express symptomatisch mit dem aufkommenden Faschismus in Italien zusammenhängt. Wie dieser ästhetische und technische Modernisierung verheißen habe, so habe die Mokkamaschine mit ihrer Verbindung zweier Stoffe, die mit Modernisierung damals untrennbar assoziiert wurden, in einem Produkt vereint: Aluminium und Kaffee.
Wir danken dem Professor und greifen zu einem Tässchen Lavazza!