Samstag, 10. April 2010

Das andere Museum. Carlo Scarpa und das Museum im Castelvecchio von Verona

Der Museumsboom hat eine geradezu übrerdeterminierte und expressive Seite: die Museumsarchitektur. Seit auch bestimmte planungstechnische und statische Grenzen gefallen sind, scheint es kein Halten mehr zu geben. Architekten übertreffen sich in immer ungewöhnlicheren Formensprachen und fast scheint es so, als habe sich das Ideologem der 80er-Jahre, demzufolge das Museum die letzte Bauaufgabe mit Kunstanspruch sei, zum Museumsentwerfen ohne Grenzen und Hemmungen entwickelt.
Was in den 80er-Jahren begann, daß die Architektur des Museums ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückte und daß das Museum so vielen Architekten den Weg bahnte zum internationalen Ruhm (Holleins Museum in Mönchengladbach oder James sterlings Stuttgarter Staatsgalerie als Beispiele der 80er-Jahre), scheint sich in dem Sinn universalisiert haben, daß kaum noch ein Architekt, der etwas auf sich hält, nicht auch ein Museum (mindestens) im Portfolio haben muß.
Als Konsumenten der üblichen nationalen oder regionalenm Medien bekommen wir überhaupt nicht mit, was vor sich geht, man muß schon zu Fachpublikationen oder einschlägigen Web-Informationen greifen, um eine Ahnung von dem Effekt eines Programmes wie der Volksrepublkik China zu bekommen, die in 10 Jahren 1000 Museum (eintausend, jawohl, kein Tipfehler) realisieren möchte. Der Museumsboom folgt den Spuren der Globalisierung, und wo diese nicht oder noch nicht hingekommen ist ( es sei denn in ihrer ausschließlich destruktiven Konsequenz), gibt es weder einen Museumsboom, noch einen der Museumsarchitektur.
E i n europäisches Land bildet eine auffallende Ausnahmen: Italien. Hätte nicht eben das Museum des XXI. Jahrhunderts in Rom seine Tore geöffnet - Zaha Hadid, selbstverständlich (es hätte auch Herzog/de Meuron sein können, Jean Nouvel oder Frank O. Gehry...) , ich hätte Schwierigkeiten, ein einschlägiges Museum zu nennen. Selbstverständlich gibt es Neubauten, Kunstmuseen, Naturmuseen usw. Aber kaum eines davon ist in der Championsleague vertreten.
Das hat seinen Grund in einer zu z.B. Frankreich, England oder Deutschland so verschiedenen Museumsauffassung. Vor allem für den Reichtum der Kunst galt, daß sie möglichst nicht von ihrem gewachsenen Kontext getrennt werden dürfe, sondern möglichst in der genuinen architektonischen Umgebung verbleiben solle. Daß Sammlungen jahrhundertelang an ein- und demselben Ort verblieben gab auch unter pragmatischen Gesichtspunkten keinerlei Anlass mit Traditionen zu brechen. Die Zäsur, die das Museum hervorgebracht hat, konnte in Italien nie auf die Resonanz stoßen, die sie in anderen europäischen Ländern hatte.
Wenn man zum Beispiel die Kapitolinischen Museen besucht, wird man sich - obwohl die Aufstellung der Sammlung aus der Zeit um 1800 stammt -, der tiefen Verbindung von Sammlung, Bau und historischem Ort nicht entziehen können.

Es gibt vielleicht noch einen anderen Grund, für die offenbar andere italienische Museumstradition. Und dieser andere Grund hat einen Namen. Carlo Scarpa. Als Gestalter vieler der bedeutensten Kunstmuseen Italiens hatte er enormen Einfluß, auch als Ausstellungsgestalter. Und - in nur einem Fall - als Museumsarchitekt, wobei es sich auch in diesem Fall um einen Umbau, eine Adaption handelt, aber so tiefgreifend, daß man das Museum in Verona als sein zentrales Werk sieht und sehen muss.
Eine der subtilsten und durchdachtesten Museumsarchitekturen und –gestaltungen ist der Um- und Ausbau des mittelalterlichen Kastells Veronas zu einem städtischen Museum.
Carlo Scarpa (1906-1978), verantwortlich für die Adaptionen von Museen (u.a. Accademia Venedig, Uffizien Florenz, Nationalmuseum Palermo) arbeitete 1958 bis 64 und 1967 bis 73 eng mit dem damaligen Leiter der Sammlung zusammen und gestaltete das vorhandene Konglomerat von mittelalterlicher Burg, an der durch Jahrhunderte an- und umgebaut wurde, in ein Museum um.
Das an der etsch und am Rand der Altstadt gelegene Museo Castelvecchio - für sich schon ein eindrucksvoller bau -, ist so ein Raum geworden, in dem mithilfe einer geradezu unerschöpflichen und variationsreichen Gestaltung subtilste Beziehungen von Objekt, Raum, Stadt und Besucher hergestellt werden. Jede Geste des Zeigens und (Auss)stellens ist durchgearbeitet, sämtliche Zeigemöbel und -gestelle sind von Scarpa selbst entworfen worden und jeweils auf das individuelle Kunstwerk zugeschnitten.
Das gilt auch für die Inszenierung des Blicks auf die Werke - der Reichtum an Blickinszenierungen lässt einen immer wieder staunen, ebenso die Wechselbeziehung von Raum, Objekt, Weg und Betrachter, von Außen und Innen. Wenn man hier nicht nur die Werke im Blick hat, sondern die Inszenierung der Architektur, die subtile Gestaltung aller Details, den Umgang mit Licht, die Inszenierung des Betretens und Verlassens und last but not least den ebenfalls subtil gestalteten kleinen Garten, kann man hier Stunden um Stunden verbringen.
Alles ist hier einem Gestaltungsauftrag unterworfen, jede kleinste Detail, aber alles ist den Kunstwerken und ihrer Wahrnehmung zu- und untergeordnet. Der Gestaltungswille verselbständigt sich nie und viele Details wird man gar nicht bemerken, wenn man seine Aufmerksamkeit nicht gezielt auf Dinge lenkt, die man nun mal im Museum zwar sieht - aber nicht bewußt. Sockel, Leuchtkörper, Türklinken, Fensterlaibungen, Schwellen, Handläufe, Staffeleien...
Ein Höhepunkt des Rundganges, der durch Bau und Sammlung gelegt ist, ist ein mittelalterliches Reiterdenkmal. Hoch über den Köpfen der Besuche, die den Hof der Burg betreten, schweben Pferd und Reiter. Später werden wird dem Denkmal auf Augenhöhe begegnen, es umrunden können, von vielen Punkten des Runganges es in immer neuen Perspektiven in den Blick bekommen.
Scarpas Capolavoro ist das entschiedene Gegenteil zu einer Tendenz im zeitgenössichen Museumsbau, der sich gegenüber der Sammlung neutral, wenn nicht gleichgültig verhält und des Erlebnis und die Expression der Architektur verselbständigt. Wie vielleicht nur noch bei Friedrich Kiesler ist alles der Kunsterfahrung zugeordnet - aber ohne daß sich die Gestaltung verstecken und unsichtbar machen würde. Selbst Details wie Schrauben oder Scharniere sind hier individuell gestlatet, alles ist von höchster funktionaler, ästhetischer und materieller Qualität.
Das heißt aber wohl auch, daß ein solches Museum wie ein geschlossenes Werk selbst den Gesetzen eines Denkmals untwerworfen wird; man kann sich nicht vorstellen, wie sich ein solches Museum - mit der Sammlung - weiterentwickeln kann.

Bei meinem letzten Besuch habe ich zwei Halbtage im Museum verbracht, gut unterstützt von den wunderbaren Cafes Veronas. Also: Zeit nehmen! Viel Zeit!

Freitag, 9. April 2010

Der Museumsbesuch | Vladimir Nabokov (Das Museum lesen 05)

"Als vor ein paar Jahren einer meiner Pariser Bekannten - milde gesagt: ein etwas wunderlicher Mann - erfuhr, daß ich zwei oder drei Tage in Montisert verbringen würde, bat er mich, das dortige Museum aufzusuchen, wo, wie er gehört hatte, ein Portrait von Leroy hängen sollte, das seinen Großvater darstellte." So beginnt eine harmlose Geschichte, oder? Wenn das Bild tatsächlich dort ist, soll es gekauft werden - aus einem Museum? Der Erzähler hält das denn auch für "Unfug" und: "Sehenswürdigkeiten zu besichtigen, ob es sich nun um Museen oder alte Gebäude handelt, ist mir ein Gräuel." Aber unfreiwillig, von einem Regen gezwungen, betritt er doch das Museum.
Als erstes trifft er auf einen Wärter, bezahlt Eintritt und findet ein ganz gewöhnliches Museum:  "Alles war, wie es sein soll: graue Farbtöne, der Schlaf der Substanz, dematerialisierte Materie. Die übliche Vitrine mit alten, abgegriffenen Münzen, die im schrägen Samt ihrer Fächer ruhten. (…) Ehrwürdige Mineralien lagen in ihren offenen Gräbern aus staubigem Pappmache; die Photographie eines verwunderten spitzbärtigen Herrn wachte über einer Sammlung verschieden großer, seltsamer schwarzer Klumpen. Sie hatten Ähnlichkeit mit gefrorenem Larvenkot, und ich blieb unwillkürlich vor ihnen stehen, denn es wollte mir nicht gelingen, ihre Natur, Zusammensetzung und Bestimmung zu erraten."
Kot, Exkremente, Abfall, dem wollen wir im Museum nicht begegnen, aber eine ebenso alte wie hartnäckige Theorie des Sammelns bringt gerade diese so hochgeschürzte Kulturtechnik mit der Verdauung und ihren Produkten in Verbindung. Das ergibt rätselhafte Produkte im Museum. “'Was ist das?' fragte ich." - "Die Wissenschaft hat es bislang noch nicht geklärt” erwidert der Aufseher. “Schön und gut«, sagte ich, “aber wer hat entschieden, und warum, daß sie einen Platz im Museum verdienen?«
Das sind illegitime Fragen, das kann zu nicht s Gutem führen. Doch da entdeckt der Besucher das Bild, das zu finden und kaufen er beauftragt ist. Dazu muß das Museum verlassen und der Museumsdirektor aufgesucht werden, der aber leugnet, daß sich das bestimmte Bild imBesitz des Museums befinde. In einem ingrimmigen Wortwechsel - “Er hat einen Frack an”, rief ich. “Ich schwöre, er trägt einen Frack.” - „Und wie hat Ihnen unser Museum so im allgemeinen gefallen?” fragte M. Godard mißtrauisch. “Haben Sie den Sarkophag zu würdigen gewußt?” muß ein gemeinsamer Besuch des Museum beschlossen werden, um die Sache aufzuklären.
Ich verweigere hier eine vorschnelle Auskunft, wer recht behalten wird. Die Geschichte soll ja ihre Spannung behalten. Aber inzwischen ist im Museum einiges anders geworden, es ist stark besucht, von einer Meute junger Besucher, die alle Regeln des Museumsbesuchs verletzen. Aber das Museum selbst scheint sich aller seiner Regeln, Rituale und Ordnungen zu entledigen. "Hunde liefen hier über Azurteppiche, und auf einem Tigerfell lagen Bogen und Köcher." Mit der Implosion der gewohnten Museumsordnungen zerfällt auch die Konsistenz der räumlichen Erfahrung, selbst die Grenze von Bildern und Dingen und Räumen beginnt zu verschwimmen. Eben noch registriert unser Besucher "das vollständige Gerippe eines Wals, das aussah wie das Spantenwerk einer Fregatte" aber nur eine Treppe trennt ihn von einer "Schar grauhaariger Leute mit Regenschirmen, die eine gigantische Nachbildung des Universums betrachteten."
Das ist zu viel, er kündigt an, gehen zu wollen. Doch wie? Wo ist der Ausgang?
Zuletzt, in einem düsteren, aber großartigen Raum, welcher der Geschichte der Dampfmaschine gewidmet war, gelang es mir, meinen unbesorgten Führer einen Augenblick lang anzuhalten. "Ich bog um eine Ecke und fand mich inmitten von tausend Musikinstrumenten; die Wände, Spiegel alle, reflektierten eine Kolonne von Konzertflügeln, während sich in der Mitte ein Teich mit einem bronzenen Orpheus auf einem grünen Felsen befand. Das Thema Wasser war damit noch nicht zu Ende, denn als ich zurücklief, landete ich in der Abteilung Brunnen und Bäche, und es war gar nicht leicht, an den gewundenen, schlüpfrigen Rändern jener Gewässer entlangzugehen." Merkwürdige Geräusche, Dunkelheit und plötzliche Menschenleere steigern die Unheimlichkeit und traumhafte Ausweglosigkeit.
"Endlich rannte ich in irgendeinen Raum mit Kleiderhaken, die auf ungeheuerliche Weise mit schwarzen Mänteln und Astrachanpelzen überladen waren; hinter einer Tür brauste Beifall auf, aber als ich sie aufstieß, war da kein Theater, sondern nur ein weiches, milchiges Licht und ein hervorragend gefälschter Nebel mit völlig überzeugenden Flecken undeutlicher Straßenlaternen. Mehr als überzeugend! Ich trat näher, und sofort ersetzte ein freudiges und unmißverständliches Gefühl der Wirklichkeit endlich den Spuk, zwischen dem ich hin und her geeilt war. Der Stein unter meinen Füßen war richtiger Gehsteig, der mit wunderbar duftendem neuem Schnee bedeckt war, und seltene Fußgänger hatten darin bereits frische schwarze Spuren zurückgelassen."
Doch das ist nicht das Ende, was jetzt passiert, soll nicht verraten werden. Jetzt kollidieren auch noch die Zeiten, Erinnerung und Gegenwart, Geschichte und Lebensgeschichte…
Nabokovs traumhaftes Wandeln durch ein träumendes Museum führt uns zur Kehrseite dessen, was wir am Museum 'normalerweise' sehen, sehen wollen, der Text führt uns über die Grenze dessen was 'normal' am Museum ist, lockt uns durch seine Rationalisierungen und die subtilen, meist unsichtbaren Grenzen, die diese Rationalisierung schützen und aufrechterhalten. Nabokov macht etwas am Museum sichtbar, was in den offiziösen Hinsichten und den wissenschaftlichen, museologischen Interpretationen entweder nicht gesucht oder verfehlt wird.
Was sich in der Zeit der Säkularisierung und Aufklärung (grob gesprochen zwischen 1770 und 1830) entwickelt, ist ein Ort, der wie eine Leerstelle offen gehalten wird für einen nie endenden Diskurs, in dem das ‚andere der Vernunft’ einen Platz behält.
Auch hier gilt, dass der Schlaf der Vernunft Monstren wachhält, Monstren, die ihre Spuren bis in die Etymologie legen, als mostra in der Genealogie des Ausstellens, oder als Musen, die als ursprünglich ungebändigte weibliche Natur- und Rachemächte, in die Genealogie des Museums hineinspuken.
Diese macht Nabokovs Text sichtbar.


Vladimir Nabokov: Der Museumsbesuch. Band 14 der Gesamtausgabe, Gesammelte Erzählungen, Band I, Dieter E. Zimmer (Hg.). Reinbek bei Hamburg (Rohwohlt) 1966.

Gut vorbereitet ins Museum (Texte im - vorm - Museum 41)



Vor dem Hamburger Bahnhof, Berlin: John Knight - The right to be lazy

Donnerstag, 8. April 2010

Das Grazer Zeughaus

Das Grazer Zeughaus liegt im Stadtzentrum, an der prominentesten Straße der Stadt, der Herrengasse, und in unmittelbarer Nachbarschaft zum Landhaus. Es wurde 1639 von Antonio Solar geplant und 1647 fertiggestellt. Das fünfgeschossige Bauwerk nahm alle bis dahin wegen verschiedener Bedrohungen immer umfangreicher werdenden, aber an verschiedenen Orten gelagerten und zur Verteidigung der Steiermark bestimmten Waffenbestände auf.
1749 wurde unter Kaiserin Maria Theresia das Wehrwesen des Reichs zentralisiert und die Auflösung des Grazer Zeughauses angeordnet. Es konnte nach einem Einspruch aber weiter betrieben werden. In mehr und mehr baulich fragwürdigem Zustand wurde es mehr und mehr zu einem Objekt, dem historisches und denkmalpflegerisches Interesse galt und mit fortschreitendem Funktionsverlust begann sich auch die Aufstellung zur Ausstellung zu wandeln, auch von Dingen, die bis dahin nicht zum Zeughaus gehört hatten.
Ende des 19. Jahrhunderts wurde umfassend der Bau saniert und die Waffen restauriert.  Das Zeughaus wurde definitiv zum Museum. Drei der vier Geschosse verloren ihre Inneneinrichtung des 17. Jahrhunderts. Im Jahr  1882 wurde die Sammlung, als Teil des Landesmuseum Joanneum, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die jüngste Veränderung war die Einrichtung einer Ausstellung im Erdgeschoss „Zum Schutz des Landes“ (1997).
Das Zeughaus gilt als die „weltgrößte Waffensammlung in einem originalen Zeughaus“ (Alexander Toifl). Teile der Sammlung wurden 1992 bis 1999 unter dem Titel Imperial Austria auf Tournee geschickt, 2008 wurde eine Ausstellung in Cleveland/Ohio, 2009 im Museum Tinguely in Basel gezeigt - unter dem Titel Rüstung und Robe zusammen mit Roben des Modeschöpfers Roberto Capucci und Objekten von Tinguely.
Das Zeughaus ist eine der bestbesuchten Sammlungen des Universalmuseum Museum und wegen der genannten Einzigartigkeit als gut erhaltene Waffensammlung der frühen Neuzeit aber auch wegen vieler kostbarer Rüstungen und Waffen sehenswert. Die größte Sehenswürdigkeit sind aber nicht einzelne, herausragende Sammlungsstücke, sondern das Ensemble in seiner Ganzheit und seiner Situierung am originalen Ort.

Mittwoch, 7. April 2010

Nicht mal so weit...! (Texte im Museum 40)


Museo della Civilta Romana, Rom

Gipsoteca Possagno

Unweit der Stadt Treviso, nahe an Bassano del Grappa und in den Hügeln gelegen, die den Übergang von den Alpen in die Ebenen des Veneto bilden, liegt der unscheinbare Ort Possagno. Wenn man durch das langgestreckte Straßendorf fährt, kann man leicht ein völlig unscheinbares Haus übersehen, auf dem gleichwohl der Schriftzug "Museo" zu lesen ist.

Dieses Haus ist der Geburtsort des Bildhauers Antonio Canova (1757-1822). Hinter diesem schlichten Haus, in einem parkartigen Garten hat Canova selbst die Errichtung einer Gipsoteca zur Aufnahme seiner Werke veranlasst. Nach seinem Tod wurde sein Atelier geschlossen und sein künstlerischer Nachlass, Skizzen, Entwürfe, Modelle, unverkaufte Werke usw., nach Possagno gebracht und in dem nun realisierten Bau gezeigt.

Dieser klassizistische, einschiffige Bau, eine dreiteilige Basilika, wurde 1836 nach Plänen des Architekten Francesco Lazzari fertig gestellt. Bemerkenswert ist der Bau nicht nur als einer der frühesten selbständigen Sammlungsbauten, als frühe Museumsarchitektur, sondern als Teil eines großen Konzepts.  Haus und Gipsoteca sind in einer Achse mit einer erhöht gelegenen Kirche verbunden, zu der eine monumantale Treppe hinaufführt. Die in den Hügeln liegenden Rundkirche, ein 'Pantheon' mit griechischem Temperlportikus a la Parthenon, von deren Kuppel man einen weiten Blick in die Alpenrandlandschaft hat, wurde gemeinsam mit der Gipsoteca geplant und ist Canovas Grablege. Sie wurde nach Plänen Canovas vom Architekten Antonio Selva errichtet.

Das Bemerkenswerteste dieses Museums sind aber weder der Bau noch die einzelnen Werke, sondern die Atmosphäre der 'Basilika'. Dichtgedrängt stehen hier monumentale Studien neben kleinformatigen 'Skizzen' und Studien. Viele der Werke sind von einem Netz von Löchern überzogen, die das maßstabgerechtes Duplizieren erlaubte. Diese 'Punktierung', das unwirkliche Weiß der Gipse, die Fülle des mythologischen Personals, das alles gibt dem Raum eine nahezu surreale Qualität.

1957 wurde die Disposition diese merkwürdigen Museums von Carlo Scarpa überarbeitet und dieser exzeptionelleste der italienischen Ausstellungsarchitekten fügte der Basilika einen kleinen, lichtdurchfluteten Annex zur Aufnahme weiterer Werke hinzu. Auch das Geburts- und Wohnhaus Canovas ist als Museum eingerichtet. Weitere Skulpturen, Werke der Malerei, Stiche, Zeichnungen uam. und persönliche Gegenstände werden dort gezeigt.

Montag, 5. April 2010

! (Texte im Museum 39)


Museum Kals, Osttirol

Die Einladung (Museumsphysiognomien 02)




Eine einladende Geste. "Treten Sie ein!". Der Vorhang wird extra für uns zurückgeschlagen. Eine Geste, wie von einem Theater- , nicht Museumsdirektor, der uns auf eine Bühne bittet…
Da möchte man sich nicht lange bitten lassen. Wir sind auch nicht allein, nicht die ersten. In dem unscheinbar ausgestatteten Raum haben sich schon Menschen eingefunden. Sie bemerken uns nicht, sind schon in die Betrachtung der präparierten Tiere vertieft. Bürgerliches Publikum, sorgfältig gekleidet. Es ist doch ein besonderer Anlass. Ein Museumsbesuch.

Der freundliche Herr am Eingang, das ist der Direktor, Willson Peale. Das Gemälde hat er gemalt. Ein Selbstporträt, ein Museumsporträt. Eines der schönsten Museumsbilder überhaupt. Als er es gemalt hat, 1822, ist er über 80 Jahre alt und er hat ein bewegtes Leben hinter sich. Er gehört zu der Generation, die die Unabhängigkeit der Kolonien gegenüber Großbritannien betrieben hat und die für die Vereinigten Staaten als Soldaten gekämpft haben. Peale war schon damals Maler, ausgebildet auch in England, woher die Eltern kamen. Er ist schon auf dem amerikanischen Kontinent geboren. Als Maler-Soldat porträtierte er Heroen des Unabhängigkeitskrieges, schließlich die 'Väter der Nation', Thomas Jefferson, George Washington.

Nach dem Krieg, in einer Zeit der wirtschaftlichen Depression, kann er nicht bloß als Maler leben. Beim Anfertigen von Illustrationen von Fossilien einer privaten Sammlung entdeckt er seine Neugier für lange ausgestorbene Tiere und - das Museum. Er gräbt mit seiner Familie ein Mastodon aus und fügt die Knochen zu einem Skelett des Tieres zusammen. Das wird ein Glanzstück seines Museums. Heute gilt diese Rekonstruktion als die älteste bekannte überhaupt. Er bringt sich das Präparieren von Tieren bei, er hält naturkundliche Vorlesungen, er sammelt, er lässt sich Dinge schenken. Das alles wird Grundlage eines Museums, das pädagogisch ist, aber auch Schaustellung, die Geld zum Leben bringen soll. Vom Mastodon wird ein zweites Skelett gefertigt, das mit einem Sohn durch Europa tourt.

Die im Vordergrund des Gemäldes platzierten Attribute weisen ihn in seiner vielfältigen Begabtheit aus: die Malutensilien, der Knochen, das Werkzeug des Präparators. Der Maler, der Naturforscher, der Präparator. Er ist aber auch Botaniker, Erfinder von falschen Zähnen, eines Gerätes zum Kopieren von Dokumenten, eines tragbaren Dampfbades, einer Windmühle, verschiedener mechanischer Geräte für die Landarbeit, und einerArt von Fahr- oder Laufrad. Und er ist Mitglied der American Philosophical Society, deren Sammlung er betreut.

Peale gründet (1786) und betreibt sein Museumin Philadelphia privat. Nach und nach wächst es sich zu einem öffentlichen Museum aus. Durch seine Situierung - zweiteilig sind Teile des Museums in der Independence Hall - rückt es ins politische Zentrum, trägt zwar seinen Namen, aber ist zu dieser Zeit nahezu ein nationales Institut. Das Mastodon ist nicht nur ein überraschend entdecktes, bis dahin unbekanntes Tier. Es ist ein 'politisches Objekt'. Es erlaubt nicht nur der jungen Nation, sich in eine lange (Natur)Geschichte einzuschreiben, es ist auch ein Indiz in einem zwischen Europa und den neuen Staaten umkämpften historisch-kulturellen Feld. Buffon, der große Französische Naturforscher, hat eine Theorie zur degenerativen Fauna Amerikas, die auf eine generell biologische Unterlegenheit gegenüber Europa schließen lässt. Die steile These lässt sich jetzt bestreiten. Thomas Jefferson selbst beteiligt sich als Paläontologe (ein Teil der Sammlung kommt in Peales Museum) an der Debatte, legt eine einschlägige Sammlung an und liefert in Publikationen Argumente. Das von Peale und seinen Söhnen ausgegrabene 'montierte' Mastodon ist eine Sensation, ein must see in der damals größten Stadt der unabhängigen Staaten, Philadelphia.

Peales Museum ist aber nicht nur als 'erstes Museum der USA' interessant und attraktiv war es nicht nur als Ausstellung Peales eigener Gemälde, seiner wunderlichen Sammlung, seiner Naturpräparate, durch sein Mastodon - das wir hinter dem 'gelüfteten Vorhang' erkennen. Peale sorgte höchstpersönlich für etwas, was wir heute wohl als Szenografie bezeichnen würden. Augenzeugen berichten von auf wirklichem Wasser schwimmenden lebende Tieren. Peale baute und erfand Geräte - eine Art Orgel -, mit denen er Musik erzeugte und ein anderes Gerät, mit dem er bewegte Bilder projizieren konnte! Und, er fügt sich selbst in das Ganze als Wachsfigur ein, einer offenbar so überzeugend gelungenen Doppelgängerexistenz, daß sie Besucher, die davon erstaunt berichten, erschrecken, als sie Peale - reglos - in seinem Büro vorfinden.

Von dieser 'Multimedialität' des Museums gibt uns das Gemälde keine Vorstellung. Im Gegenteil. Der Raum wirkt sehr nüchtern, ungemein wohlgeordnet, aufgeräumt und übersichtlich. Es fehlt ihm auch jedes Dekorum, das europäische Museen - wenn auch noch so bescheiden - auszeichnet und das Museum zum profanen Heiligtum macht. Der Museumsraum (einer von mehreren, den das Museum besaß), strahlt eher jenes "rational amusement" aus, das ein Schlüsselwort von Peales Museumsverständnis war. Und dies steht im Dienste gesellschaftlicher Zwecke: „Natural History has to promote National and Individual happiness“ . Trotz des privaten Staus des Museums, begegnen wir hier - praktisch zeitgleich mit den Museen der Französischen Revolution -, der neuen Idee des öffentlichen und zivilisatorischen Museums.
Diesen zivilisierenden Effekt des Museums erläutert Peale in seiner Theorie des Sammelns, Peale’s discourse introductory to a course of lectures (1800),  an einem überraschenden Beispiel: Eines Tages hätten ihn die Häuptlinge untereinander bitter verfeindeter Indianerstämme besucht und unter dem Eindruck ihres Museumsbesuches die Beilegung ihrer Streitigkeiten beschlossen.

In einem wunderbaren Essay zu einigen Gemälden Peales wird gemutmaßt, daß das 'Museums-Selbstporträt' ihn nicht nur, wie man so sagt, 'nach dem Leben' wiedergibt, sondern wie eine 'Kippfigur' gelesen werden kann. So wie der Pfau im Bildvordergrund vom Betrachter nicht eindeutig als lebendes Tier oder Präparat identifiziert werden kann (es gab ja beides im Museum), könnte der freundliche Herr auch - als Wachsfigur verstanden werden.
Peale war für derlei Allegorik nicht nur nicht blind, er staffierte sie in vielen Bildern beredt aus: auf seinem Familienporträt sind die Verstorbenen Mitglieder wie in antiker Tradition als Büsten auf den Möbeln präsent und das große Gemälde, das, mit der Schilderung vieler technischer Einzelheiten, die Bergung des Mastodons wiedergibt, spielt unübersehbar auf die Arche Noah an. 'Arche' ist in einer bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgbaren Tradition eine Metapher für die bewahrende Funktion von Sammlungen.
Die Bergung des riesigen Tieres, das man damals für ein Mammut hielt, durch Peale und seine Familie ist aber mehr als nur ein der der Arche vergleichbarer Rettungsakt. Da es ein bis dahin unbekanntes Tier ist, kann sein Fund und seine Rekonstruktion - zu einer Zeit, in der man sich der Möglichkeit des Aussterbend von Tieren noch nicht so bewusst war -, als Wiederbelebung verstanden werden. Peales Sohn Rembrandt (sic!) schreibt: The bones exist, -  the animals do not, und bringt ein sehr ambivalentes strukturelles Element des Museums auf den Punkt. Es sind zwar 'Überlebsel' - das Wort 'survival' wird Jahrzehnte später in der frühen amerikanischen Ethnologie zum Schlüsselbegriff werden -, die das Museum bewahrt. Doch es sind und bleiben immer und unhintergehbar 'tote Dinge', die das Museum aufbewahrt - und die dennoch eine symbolisches Überdauern in dieser merkwürdigen neuen Institution 'Museum' ermöglichen.
Peales Idee, sich als Wachsfigur zu verdoppeln, hat in der antiken Tradition ihre Herkunft, den vergänglichen biologischen Leib durch einen nicht vergänglichen sozialen Leib zu ersetzen. (Der Philosoph Jeremy Bentham wird - zu etwa derselben Zeit - diese Idee radikalisieren: er bestimmte, seinen bekleideten Leib wie eine Puppe in einer Vitrine sitzend in der von ihm mitbegründeten London University auszustellen. dort sitz er noch immer. Ein bizarrer Akt der (Selbst)Musealisierung.

Peales Einschreibung in die Unsterblichkeit der Dingwelt gelang, im Porträt überlebte er. Die Institution indes, die überlebte nicht. Und das obwohl Peale eine große Familie hatte und seine Söhne seine Talente und Leidenschaften tradierten.
Vielleicht ist das Verschwinden des Museums auch seiner labilen privaten und damit finanziellen Trägerschaft geschuldet. Ohne staatliche Unterstützung war es der wachsenden Konkurrenz anderer großer Institutionen nicht gewachsen, die die Idee des Museums mit der der diversen populären Schaustellungstechniken vermischten. So wurde ein Teil der Sammlung an Barnum verkauft.

Die drei Momente, die Peales Museum ausmachten, privates Engagement im öffentlichen Interesse, pädagogisches Sendungsbewußtsein - das Museum als "School of Wisdom" (Peale) -, und Integration der der europäischen, akademischen Museologie so verdächtigen Schaustellungskünste, werden ab da das US-Amerikanische Museumswesen bis heute auszeichnen und vom europäischen - mit allen Vor- und Nachteilen - unterscheiden.

Charles Willson Peale: The Artist in His Museum, 1822. Oil on canvas 103 3/4 x 79 7/8. The Museum of American Art of the Pennsylvania Academy of the Fine Arts, Philadelphia.

Sonntag, 4. April 2010

Mikroausstellung - "Vorher / Nachher"

Brachiosaurus branca, 
1909 liegt er in 'Deutsch Südostafrika' (heute Tansania) 
frei und sichtbar herum. 
Jetzt steht er im Naturmuseum in Berlin.

Donnerstag, 1. April 2010

Besuchen Sie es, so lange es noch steht: Das Wiener Volkskundemuseum

Vergangenen Sonntag habe ich das Volkskundemuseum in Wien besucht, nach langer Pause wieder einmal. Und mit dem Wissen, daß es möglicherweise ein letzter Besuch sein könnte.
Das Volkskundemuseum ist ein von einem Verein getragenes Museum, das in den letzten Jahren deswegen besonders unter Druck geriet. Es war nicht im Genuss der relativen Sicherheit der staatlich finanzierten Bundesmuseen und hatte zusätzlich auch um die Unterstützung der Stadt Wien zu kämpfen.
Das einzige was in letzter Zeit klar war: der Verein konnte aus eigener Kraft das Museum nicht betreiben und die fällige Gebäudesanierung finanzieren.

Der Gang durchs Museum war auch eine Erinnerung, eine Erinnerung an die letzte große Erneuerung der ständigen Ausstellung 1994. Ich erinnere mich noch an das Entsetzten eines Teiles des Vereines. Konzept und Design brachen entschieden mit den alten Gemütlichkeiten. Auf einer Diskussionsveranstaltung anlässlich der Neueröffnung brachte ich meinen Respekt zum Ausdruck, daß der Museumsstab einen derartigen 'museologischen Mentalitätswechsel' geschafft hatte. Noch heute ist das Wiener Museum entschiedener und klarer in seiner Reflexion der eigenen Geschichte und des Faches, als die später entstandenen Dauerausstellungen des Grazer und des Innsbrucker Museums.

Vorgetragen wurde der 'Turn' gegeüber der altenDauerausstellung auf zwei Ebenen: auf der der Betextung, und auf der der Gestaltung. Die Texte nahmen knapp und entschieden eine konstruktivistische Position ein. Nicht nur die zentralen Themen eines Volkskundemuseum haben einen zeitlichen Index, das Museum selbst und seine Bezugswissenschaft unterliegen einem Wandel. Und schließlich würde auch der Besucher, sein Blick und sein Interesse, immer neue Fragen an das Museum richten. Die verschiedenen Schlüsselbegriffe wie Heimat oder Volk wurden hier nicht wie essentielle Botschaften und unhinterfragbare Wahrheiten behandelt, sondern als wandelbare Begriffe für sich wandelnde Vorstellungen.

Anspruchsvoller kann man kaum an seine Klientel herantreten: man mutet dem Museumsgast zu, sich in einem gleitenden System von Relationen zu orientieren und sich stets der Relativität seines Standpunktes und des des Museums gewiss zu sein.
Noch heute muß ich mich über die Texte wundern und amüsieren, die die Hauptlast dieser driftenden und relationalen Verortung des Wissens tragen. Selbst als abgebrühter Akademiker, gleitet mir der Fachjargon nicht reibungslos durch die grauen Zellen. Und die sind mit dem Text weit heftiger beschäftigt, als der Augensinn. Denn visuell wird die zentrale Ambition des Museums kaum unterstützt. Vereinzelte oder thematisch gruppierte Objekte folgen den nicht so überraschenden Konventionen der Volkskunde. Da gibt es zwar Überraschungen und Eye-Catcher, aber kaum ein Narrativ und für Vertiefung des ein oder anderen Themas fehlt es an Platz oder vielleicht auch an Sammlungsobjekten.
Die kleinteilige Raumstruktur erzwingt eine Kleinteiligkeit der Präsentation der Sammlung und so entwickelt sich manch interessante Frage nur auf kleinstem Raum und kurzatmig.

Und das war das zweite Besondere am Museum: Die Gestaltung durch die Architektin Elsa Prochazka. Während wir normalerweise im Museum alles aus unserer Wahrnehmung ausblenden, was nicht Exponat ist, wird uns das hier nicht erlaubt. Ostentativ zeigen ihre Möbel sich selbst und die Museumsobjekte. Das 'Gestell' ist aufwendig, geradezu aufdringlich, aber sorgfältig gestaltet. Die durch die Texte vermittelte reflexive Distanz zu 'Museum' und 'Exponat' wird durch die Zeigemöbel unterstrichen und unterstützt. Selten war ein Museum so sehr als "Schaubühne" erfahrbar. In einem Verständnis vom Museum als performativen Raum, spielt alles 'eine Rolle', das Licht, die hüllende Architektur, die Exponate, die Texte, die Zeigemöbel und natürlich der Besucher selbst. Hier wird das überdeutlich gemacht. Dinge im Museum sind nicht bloß da, sie werden gezeigt, sagen uns die nach Kräften gestikulierenden Eisenstützen und ausladenden Podeste.

Heute, so lange nach der Eröffnung, verstehe ich an diesem Sonntag, wie groß das Dilemma des Museums ein muß. Eine nachholende Verarbeitung neuer, vor allem urbaner Themen war nie möglich und wäre überhaupt nur mit einer neuerlichen kompletten Neukonzeption zu bekommen. Was sich in einschlägiger Forschung theoretisch wie praktisch gewandelt hat, das findet nicht hier statt.
Dezentral gelegen, in einem von Außen schon sehr desolat wirkenden Gebäude, kann sich das Museum nicht gegen die medial gehätschelten Großmuseen des Stadtzentrums behaupten.

Das musste in Sonderausstellungen ausgelagert werden. Die waren, trotz karger Budgets und spartanischer materieller Ausstattung, das Beste, was man - neben den Ausstellungen des Jüdischen Museums - in Wien in den letzten Jahren an (kultur)historischen Ausstellungen zu sehen bekam. Hier wurde immer wieder vorgemacht, daß es beim Ausstellen auf eine präzise Idee ankommt und dann auf eine angemessene, durchdachte Umsetzung, so banal wie offenbar schwierig kann Austtellungmachen sein.
Wolfgang Kos würdigte in einer wunderbaren Rezension 1995 in der Stadtzeitung Falter die Ausstellung "Schönes Österreich" an die ich mich lebhaft erinnere, weil hier mal mit der bis zum Abwinken zerredeten "Identität" fröhlich, ironisch, anschaulich hantiert wurde - eine Labsal im Vergleich mit den bleischweren und verschwitzten Staatsausstellungen zu 'Österreich'. Nation Building wurde in einer Sympomatologie der Alltagskultur witzig, pfiffig und visuell argumentierend dechiffriert.
Lebhaft erinner ich mich "an an/sammlung an/denken" von 2005, wo ein 'Sachenfund', den mehrere Generationen in einem Haus gehörtet hatten, zu einer wunderbar subtil präsentierten Etude über Dinge, ihre Ästhetik, ihren Gebrauch, ihre Erinnerung wurde.

Und noch etwas ist mir bei meinem Sonntagsbesuch aufgefallen: wo in anderen Museumsshops der Nippes regiert - wie die Teddybären mit Klimtdesign im Belvedere (nicht daß ich nicht auch eine Schwäche für so etwas hätte!) -, gibt es davon im Volkskundemuseum wenig. Dafür ein üppg mit Fachliteratur bestücktes Bücherbord, wo man beim Stöbern nicht nur manch altbackenes Bändchen von annodazumal entdecken kann, sondern avancierte Forschung, z.B. zur Ethnopsychoanalyse oder zu kulturwissenschaftlichen Fragen. Hier hält das Museum Schritt mit der Entwicklung des Fachs und weist sich auch als eine 'wissenschaftliche Anstalt' aus. ich betone das, weil die Bundesmuseen de jure als Wissenschaftsanstalten verwaltet werden und Wissenschaftlichkeit immer noch die zentrale Legitimation der Museen ist. Während die anderswo längst unter dem Druck der Ereignishaftigkeit der Museumsarbeit sich bis an den Rand des Verschwindens verdünnt hat - man sehe sich mal das Bookshop der Albertina an -, wird hier offensichtlich auf Grundlagenforschung Wert gelegt.

Es wird nichts nützen. Es gibt die Idee, das Museum durch Zusammenlegung mit dem Völkerkundemuseum zu 'retten'. Dem kann man was abgewinnen, wenn beide Museen einen Paradigmenwechsel zu modernen kulturwissenschaftlichen Fragestellungen hin vollzögen und sich avancierter museologischer Entwicklungen stellten. Ein Konzept soll ausgearbeitet sein, noch nicht wirklich entscheidungsreif, wie man hört. Doch das Budget, das für die Bundesmuseen bereitsteht, scheint nicht auch noch für ein neues Projekt zu reichen. Außerdem müsste die Sinnhaftigkeit der vor Jahren erfolgten Eingliederung des Völkerkundemuseums in das Kunsthistorische Museum überprüft und wohl revidiert werden. Die Sinnhaftigkeit dieser Eingliederung ist nie evaluiert worden und das Völkerkundemuseum wünscht offenbar, wieder selbständig zu werden.

Vor einigen Jahren habe ich für eine Museumszeitschrift ein Essay zur Entwicklung der Wiener Museumslandschaft geschrieben. Mit dem Hinweis auf drei sehr besondere Museen mündete das in einer positiven Bilanz: Museum für Angewandte Kunst, Jüdisches Museum der Stadt Wien und das Volkskundemuseum waren und sind für mich drei Museen, die - in sehr unterschiedlicher Hinsicht - auch im internationalen Vergleich ungewöhnliche und inspirierende 'Modelle' dessen sind, was Museen sein können. Möglicherweise wird es zwei dieser drei Museen bald nur noch dem Namen nach geben.

Mittwoch, 31. März 2010

This is not a work of art (Texte im Museum 37)








Marcel Broodthaers

Ausschreibung 12. Internationale Sommerakademie Museologie





Museumstexturen / Lesarten des Museums

12. Internationale Sommerakademie für Museologie

7. – 14. August 2010
Schloss Retzhof/Leibnitz










Die 12. Sommerakademie, die vom 15. bis 22. August stattfindet, gilt den Museumstexturen / Lesarten des Museums.
Ausgangspunkt und Fokus der 12. Sommerakademie, die von 7. bis 14. August 2010 in Schloss Retzhof bei Leibnitz stattfindet, ist das Museum als Textur.
Das Museum, das der Verständigung über Geschichte, Identität, Werte und Bedeutungen dient und Spurenlese betreibt, fordert selbst verschiedene Lesarten seiner Struktur und Funktion heraus. Es ruft bestimmte Interpretationen hervor, erzwingt sie geradezu oder versucht sie zu verhindern und zu blockieren.

Als Einstieg in die sommerliche Reflexion über das Museum werden wir uns damit beschäftigen, wie man ein Museum / eine Ausstellung ‚liest‘ – im Sinne der Analyse und Kritik. Wir fragen insbesondere nach der Funktion von Texten im Verhältnis zu Bildern und Objekten innerhalb des Narrativ Museum. Über die Auseinandersetzung mit Texten (z.B. Literatur) als Ausstellungsgegenstand werden wir uns der Frage nach dem Museum als Ort der Illustration zuwenden. Illustrieren die Objekte/Bilder die erzählte(n) Geschichte(n) oder geben die Texte vor, was und wie etwas zu sehen ist. In der diesjährigen Sommerakademie werden wir uns zudem mit der Frage beschäftigen, wie eine Geschichte/Erzählung erzeugt, gefunden wird, die dann in der Ausstellung ‚aufgeführt‘‚ inszeniert‘ wird bzw. ob und welche Erzählungen von den Objekt-Raum-Konstallationen ausgehen können.
Schließlich wenden wir uns Texten / Literatur im Museum zu und werden auch literarische Texte über das Museum einbeziehen.

Während über das Museum oft unter organisatorischen Gesichtspunkten gesprochen und nachgedacht wird – inventarisieren, sammeln, konservieren, restaurieren, verleihen, schützen, deponieren – werden wir in der Sommerakademie uns ganz auf die museologische Reflexion konzentrieren. Wie immer werden wir das mit unterschiedlichsten Arbeitsweisen tun, Arbeiten in Gruppen, Ausstellungsanalysen, der Erarbeitung einer Ausstellung, der Recherche auf Exkursionen, dem Vergleich von sachlichen und poetisch/künstlerischen Zugangsweisen zum Museum.

Die Internationale Sommerakademie Museologie ist seit 1999 ein anerkanntes Forum zum Erfahrungsaustausch über das Arbeitsfeld Museum und Ausstellung und will die Reflexion der musealen Praxis anregen, aktuelle museologische Inhalte vermitteln und in einem werkstattartigen Kontext zum Erproben der neu gewonnenen Einsichten ermutigen.
In einer konzentrierten einwöchigen Klausur in der wunderbaren Atmosphäre von Schloss Retzhof gelingt die Verknüpfung des Angenehmen mit dem Nützlichen. Die Diskussion der Museumspraxis auf der Grundlage aktueller museologischer Theorie mit den eingeladenen Referenten/innen und dem begleitenden Team sowie der Teilnehmer/-innen untereinander ermöglicht eine neue Stufe reflektierter Museumspraxis.

Beteiligte
MA Renate Flagmeier, Leitung der Sommerakademie. Leitende Kuratorin Werkbundarchiv - Museum der Dinge Berlin (D)
Dr. Monika Flacke, Sammlungsleiterin Deutsches Historisches Museum Berlin (angefragt)
Dr. Gottfried Fliedl, Leiter Museumsakademie Joanneum, Graz (A)
Dr. Heike Gfrereis, Leiterin Literaturmuseum der Moderne, Marbach (D)
Prof. Ursula Gillmann, Ausstellungsgestaltung Basel (CH), Hochschule Darmstadt
Beat Gugger, freier Ausstellungskurator, Basel (CH)
Dr. Roswitha Muttenthaler, Kuratorin am Technisches Museum Wien und Museologin (A)
Dr. Thomas Thiemeyer, BMBF-Projekt wissen&museum, Marbach/Tübingen (D)

Organisation: Mag. Theresa Zifko, Museumsakademie Joanneum, Graz

Zertifikat: Im Anschluss an die Teilnahme an der Sommerakademie 2010 wird ein Abschlusszertifikat verliehen.

Kosten
Teilnahmegebühr: € 1.170,-
Ermäßigt: € 850, - für Studierende
Inklusivleistungen: 7 Tage Seminar, Schriftliche Unterlagen und sonstige Materialien
Eintritte, Unterkunft und Vollpension in Schloss Retzhof an der Südsteirischen Weinstraße, Exkursion mit Busfahrt und Eintritt

Bewerbungsmodalitäten
Ihre Bewerbung richten Sie bitte mittels beiliegendem Anmeldeformular per E-Mail an sommerakademie@museum-joanneum.at oder per Post an die unten stehende Adresse (Auch Teilnehmer/-innen vorangegangener Sommerakademien sind herzlich willkommen.)

Ende der Bewerbungsfrist
Dienstag, 15.Juni 2010

Veranstaltungsort
Bildungshaus Schloß Retzhof/Leibnitz
Dorfstraße 17
8430 - Leitring / Leibnitz

Kontakt und Anmeldung
Mag. Theresa Zifko
Internationale Sommerakademie Museologie
Museumsakademie Joanneum. Kompetenzzentrum für Museologie und Kunst
Schloss Eggenberg
Eggenberger Allee 90, 8020 Graz
T +43 (0) 316/8017-9805, Fax -9808
sommerakademie@museum-joanneum.at
http://www.museumsakademie-joanneum.at/

Dienstag, 30. März 2010

Stadtmuseen im Umbau? Zu einer Tagung in Graz

Die folgenden Überlegungen sind nicht als Protokoll oder als Bericht gedacht; als Moderator der Veranstaltung war ich viel zu sehr involviert, als daß ich objektivierende Distanz im Nachhinein wahren könnte. ich möchte das auch gar nicht. Meine eigene Neugier wird von einer dichten Diskussion, wie sie diesmal zustandekam, abgelenkt und inspiriert, zerstreut und gesammelt. 
Ich spreche hier von dem, was mich interessiert hat, was mir aufgefallen ist und woran ich Lust hatte und habe, weiterzudenken. Ein Protokol müsste allen Wortmeldungen gerecht werden, eine Bericht eine gewisse Vollständigkeit haben. Beides versuche ich erst gar nicht. Ich wünsche mir, daß die Diskussion weitergeht.

Der Untertitel der Berliner Tagung „Die Stadt und ihr Gedächtnis“, "Zur Zukunft der Stadtmuseen“ (23./24.April 2009) signalisierte weniger Aufbruch, denn Sorge, wie diese Zukunft aussehen könnte und sollte. Von Krise und Scheideweg war in einem Tagungsbericht zu lesen, wobei die Krisensymptome nicht unbedingt nur für Stadtmuseen zutreffen: Wegbrechen eines bürgerlichen Bildungspublikums, Probleme der Finanzierung aus immer leerer werdenden kommunalen Kassen, Verschärfung der Konkurrenz zu medial gehätschelten Großmuseen.
Was an Krise genau nur der Stadtmuseen auszumachen ist, scheint ein schrumpfendes Selbstbewusstsein zu sein. ‚Klein‘, ‚provinziell‘, unbeachtet', und ‚Endlager schwach strahlende Dinge‘ (Peter Sloterdijk), das kränkt nicht als Außensicht, sondern verstört als Selbsteinschätzung.

Eine Folgeveranstaltung in Graz nahm den Krisendiskurs mit etwas verschärfter Rhetorik noch einmal an. „Im Umbau ratlos?“ war das Kernstück des Titels, unter dem vor allem Leiter und Mitarbeiter von Stadtmuseen vertreten sein sollten, die sich in Neugründung oder Umplanung befinden und Vertreter diverser Wissenschaftsdisziplinen, deren Forschungen die Diskussion verbreitern und unterstützen sollte.
Gastgeber war das Stadtmuseum in Graz in Kooperation mit der Museumsakademie des Universalmuseum Joanneum. Das Grazer Museum ist ein Anschauungsbeispiel für die genannten Symptome. In bescheidenen Räumen und mit bescheidener Sammlung soll hier eine neue Dauerausstellung auf Wunsch der Politik realisiert werden, die aber viel zu knappe Mittel bereitstellt. Und die Konkurrenzsituation ist ohnehin singulär. Das Landesmuseum – seit kurzem ein ‚Universalmuseum‘ -, ein Museumskonzern, neben dem in der Steiermark und erst recht in der Hauptstadt jedes andere Museum buchstäblich klein aussieht, konkurriert thematisch und um ein- und dieselben Besucher, und das mit ungleich mehr Ressourcen. Das Frankfurter Museum hat nicht ein Museum, sondern gleich deren 60 in der Stadt als 'Rivalen'.

Konkurrenz erwächst den Stadtmuseen aber nicht nur aus anderen Museen. Das kulturelle Angebot in den Städten wächst und differenziert sich noch immer und droht historische Museen zu marginalisieren. Das Historische Museum der Stadt Wien hat unter neuer Leitung zuerst mal Name und Image geändert, aber als WienMuseum läuft es, trotz großer Sammlung, attraktiver Bestände und einem beachtlichen Mitarbeiterstab vor allem hinter Kunstmuseen, Kunsthallen und Museen Moderner Kunst hinterher. In den Medien gilt ihm noch immer nicht eine vergleichbare Aufmerksamkeit. Mit dem Auftreten von Konzernen und Privaten, die eigene Ausstellungshäuser betreiben, wurde gerade in Wien die klassische Moderne und die kanonisierte Avantgarde zum Nabel der Aufmerksamkeit.

Daß das auf der Tagung geäußerte Aperçu, daß das Alleinstellungsmerkmal der Mittelstädte ihre Mittelmäßigkeit sei, auf die diese Städte repräsentierenden Museen übergreifen könnte, ängstigt also nicht nur in Graz und Wien.
Die Krise des Stadtmuseums geht aber tiefer und wäre, präzise diagnostiziert, wohl auch ein Hinweis auf eine Lösungsstrategie: was an Wandel bedrohlich erscheint, ist nicht so sehr das, was das Museum ist, sondern was es repräsentiert beziehungsweise zusehends nicht mehr zu repräsentieren imstande ist. Der Wandel der Stadt läuft den Museen gewissermaßen thematisch davon und die Modi der musealen Repräsentation von Stadt und Stadthistorie reichen hinten und vorne nicht mehr. Die Imagepflege der Städte, ihr Branding, ihre komplexe mediale Vermarktung lassen die Bürgerstuben, die Handwerksnostalgie oder die lokalen Alltagsgeschichten der Dauerausstellungen von anno dazumal ziemlich alt aussehen.
Wie aber Stadtmuseen zu neuen Themen kommen, das war eher nicht so klar. "Dass eigentlich alles interessant ist", diese symphatische Position einer Kuratorin, hat auch die bedrohliche Kehrseite, dass dieser Wunsch nach 'totaler Repräsentation' in Erfüllung gehen könnte. Barbara Krugers Motto "Bewahre mich vor dem, was ich wünsche", möchte man der Sehnsucht nach totalisierender Wunscherfüllung entgegenhalten. Museen sind so schon bedroht von einem Erstickungstod an ihren immer weiter wachsenden Sammlungen. Wer aber, auch pro futuro, daran denkt, Kriterien der Entscheidung zu entwickeln, was gesammelt und gezeigt werden soll, kommt in ein, so weit ich sehe, nicht wirklich auflösbares Dilemma. Was künftige Generationen für bedeutsam, sehenswert oder überlieferungswürdig halten werden, wissen wir nicht. Das festlegen zu wollen, hieße auch, die Zukunft so zu präformieren wie eine künftige Generation bindende und belastende Wirtschaftspolitik. Auch das wäre ein "Angriff der Gegenwart auf die übrige Zeit" (Alexander Kluge).
Und ob es denn eine spezifische Themenkompetenz der Stadtmuseen gäbe, das blieb offen. Die wie selbstverständliche Aneignung des Themas "(Im)Migration" zum Beispiel - mit welcher Kompetenz und Legitimität beanspruchen Museen dieses Thema? Sind Museen zu allem geeignet oder immer das geignetste Mittel, um ein Thema zu bearbeiten und zu kommunizieren? Urbanität wurde genannt, naheliegenderweise, aber es wurde bloß Stadtplanung darunter verstanden. Was aber ist "Stadt", was war das einmal, was ist es heute, was wird es künftig sein? Wäre das nicht die 'Urfrage' für Stadtmuseen? In der möglichsten präzisen Beschreibung des Stadtwandels und seiner veränderten (Selbst)Darstellung könnte das Museum Sach- und Darstellungskompetenz zurückgewinnen.

Museen sind visuelle Medien und sie müssen sich daher so oder so im Feld des (öffentlich) Visuellen positionieren. Die Stärken des Museums liegen darin, daß es ein analoges und performatives Medium ist, darin unterscheidet es sich von anderen visuellen Medien. (Roswitha Muttenthaler). Die Kunst des Museums läge darin, Medienkompetenz bereitzustellen und zu vermitteln, sich also aktiv und produktiv auf die Rolle und Funktion von Medien einzulassen, ohne seine spezifischen Möglichkeiten zu vergessen. Können Museen Orte der kritischen Verarbeitung des (immer vielfältiger) werdenden Medienangebotes sein, könnten sie dazu beitragen, die Lesbarkeit und Deutbarkeit der visuellen Umwelt wieder herzustellen?
Dem vielberedeten Wunsch des Publikums, vorgeblich Authentizität erleben zu wollen, müsste ohne den verführerischen Rückfall in den spezifisch musealen Objektfetischismus, Ausstellen als selbstreflexiv auf seine eigene Medialität bezogen und reflektierend entgegengehalten werden.

Dieses Ziel dürfte aber nicht ohne eine zweite Perspektive angestrebt werden. Nämlich neue Formen der Kommunikation und auch der Beteiligung des Publikums zu erproben. Diese Frage wurde auf der Tagung breit diskutiert.
Stadtmuseen haben möglicherweise bessere Chancen auf Kooperationen und Einbeziehungen von bestimmten Gruppen als andere Museen. Die Tagungsdiskussion spannte die Möglichkeiten zwischen punktueller und eher an der Oberfläche ansetzender Partizipation einerseits und autonomer Museumsarbeit durch ‚Externe‘ andrerseits. Es liegt auf der Hand, daß diese Frage polarisiert – zwischen den Befürwortern einer gesellschaftlichen Öffnung einerseits und den auf ihrer Kompetenz beharrenden Kuratoren andrerseits. Schon auf der Berliner Tagung hatte Udo Gößwald davor gewarnt, daß Laien Kuratoren werden könnten. Das führe bloß zu Amateurisierung und damit Entwertung der Museumsarbeit.
Freilich, das Bild, das Museen von ihren Besuchern entwerfen, ist nicht immer ermutigend. Die abstrakte und technizistische Sprachregelung signalisiert Distanz, wenn nicht, wie in der Runde mal bemerkt wurde, Geringschätzung. Wer von 'Nutzerbedürfnissen' spricht, oder von 'bildungsfernen Schichten', sollte umgehend mit der reziproken Frage behelligt werden, wie 'besucherfern' denn das Museum selbst agiert.
Besorgeniserregend ist auch, wie sehr gelegentlich auf dieses Dilemma, ohne groß darüber nachzudenken, mit der scheinbar Besuchern entgegenkommenden Ermäßung jeglicher Bildungsanstrengung reagiert wird. Man möchte verständlicher, unterhaltender, populärer, erlebnisorientierter werden. Dieser Strategie kommen auch jüngere Entwicklungen in der Gestaltung von Museen entgegen: inszenierte, immersive Räume, wo das Erleben wichtiger ist, als die Information und Reflexion. Hier schlägt die Stunde so mancher spezialisierter Büros und einer Spielart der Szenografie, die Museumsverantwortliche mit schickem Design fürs Wohlfühlmuseum bedient. Wie diese Gestaltungen wirklch etwas zur Vermittlung von Inhalten beitragen, das will man gar nicht so genau wissen und die Verantwortung dafür, die genau an der wichtigen Schnittstelle von Museum / Publikum / Öffentlichkeit liegt, wird aus dem Museum "ausgelagert".

In der ambitioniert geführten Diskussion wurde der kleinen Utopie einer gleichsam mundgerechten, kulinarischen Verpackung anspruchsvoller Inhalte entgegengeträumt. Konkret wurde niemand, ermutigende Beispiele blieben aus. Es war aber auch von einer Unterforderung und Unterschätzung des Publikums die Rede und Felicitas Heimann-Jelinek fügte einen - für mich überraschenden aber höchst bedenkenswerten Einwand hinzu: ihr Credo sei, mit einem Publikum zu arbeiten, das von sich aus bereit sei, sich eigenverantwortlich mit Geschichte beschäftigen zu wollen. Das scheint mir eine starke Gegenposition zur Tendenz zu sein, das Publikum nur noch als Konsument von Dienstleistungen zu sehen und bedutet, dem Publikum eine Mitverantwortung am Arbeiten an der Geschichte abzuverlangen.

Das Reagieren auf Interessen und Bedürfnisse von Besuchern ist schon praktisch schwierig genug. Das Frankfurter Stadtmuseum, kann nicht der Tatsache ausweichen, daß der Römerberg, das Quartier in dem das Museum liegt, eine der touristischesten Regionen Europas ist. Und die Gründung eines Stadtmuseum Stuttgart - ohne einschlägige Tradition und von der Politik lanciert, nicht von der Bürgerschaft -, trifft, so zitierte Anja Dauschek zum Amusement der Runde, auf eine geschichtsferne Mentalität von "...konvertierten Kannibalen, die ihre Abstammung verleugnen...". Museumskuratoren in der Rolle von Missionaren, Kolonisatoren oder Ethnologen?

Mein Eindruck ist, daß in der Museumspraxis überall dort Neues entsteht, wo neue Kommunikationsformen gesucht werden. Für das neue Historische Museum in Frankfurt sind Environments und Anreize neuer Beteiligungsformen von Besuchern vorgesehen und lanciert wird dafür das Wort ‚Labor‘ (Jan Gerchow und Susanne Gesser). Das Stapferhaus Lenzburg, auf der Grazer Tagung von Beat Hächler vertreten, macht zum Beispiel Ausstellungen ohne Sammlungen. Das ist möglich mit Leihgaben, aber nicht in erster Linie mit von Institutionen erborgten, sondern von Bewohnern auf Zeit erbetenen. Mit dem ‚Tausch‘ solcher ‚Gaben‘ entsteht ein von herkömmlicher Museumsarbeit grundsätzlich unterschiedener Beziehungsmodus zwischen Institution und Publikum, und Publikum und Exponat, über den weiter nachzudenken sich unbedingt lohnt. Im Publikum wurde auch ein Museum genannt, das auf Dauer nach diesem Prinzip funktioniert, das Stadtmuseum Melbourne.

Trotz vieler einschlägiger empirischer Erhebungen, scheint es noch immer für Museen schwierig zu sein, abzuschätzen, wer das Publikum eigentlich ist und vor allem, was es will. Oder anders gesagt: wie man ein Gespür dafür entwickelt, "was gerade verhandelt wird" - und wer an diesem Verhandeln beteiligt ist.
Möchte man über bloß manipulative Sozialtechnologien hinausgehen (Kundenbindung, Attraktivitätssteigerung, Marketing als Instrument der ‚Optimierung‘ der Besuchszahlen usw.), muß man neue, anerkennende, einladende Strategien entwickeln. Die lebhafte Diskussion zu diesem Punkt und die Beispiele dazu, z.B. von Anja Dauschek vom im Aufbau befindlichen Stadtmuseum Stuttgart, schienen mir noch zaghaft. Vor allem geht mir eine entschiedene Analyse und Anerkennung der Tatsache ab, daß Museen Orte der massiven, sehr diskreten aber darum auch wirkungsvollen sozialen Distinktion bereits sind. Bevor man selbstermutigend Phantasmen des universalen Zugangs pflegt und vollmundig ankündigt, und von Partizipation heilserwartend schwärmt, sollte man erst einmal anerkennen, daß der weitaus größere Teil einer Bevölkerung vom Museum kategorisch ausgeschlossen ist und darüber sprechen, wie man mit der hegemonialen Produktion von kulturellem ‚Wert‘ und ‚Sinn‘ aktuell umgeht. Wer an Strategien und Techniken der Populariserung bastelt, bastelt meist ohne jede Reflexion nur an einer Vertiefung hegemonialer kultureller Konzepte. Die Gedankenlosigkeit, die im Umgang mit diesem besonderen Thema an den Tag gelegt wird, ist erstaunlich.

Daß ein wohlhabendes, zukunftsoptimistisches und selbstbewußtes Bürgertum, das mit Stolz seine Vergangenheit erzählte und sich so in ihrem Status und Erfolg spiegeln konnte, als Träger der Museumsidee zunehmend abhandenkommt, trifft Stadtmuseen besonders, weil ihnen genau diese ihre genuine Trägerschaft - im ideologischen wie materiellen Sinn -, abhanden kommt. Daß sich diese Museen neuen Gruppen öffnen wollen und müssen, wurde auch auf dieser Tagung deutlich und es geht in die Richtung, in die schon in Berlin Wolfgang Kaschuba ermutigt hatte: man muß sich vom Stadtbürgermythos verabschieden und die Stadt als so thematisieren, wie sie nun mal geworden ist: „offen, migrantisch, szenisch, authentisch“. Museen sollen an der „imaginativen Stadtbildung und Identitätsbildung arbeiten“.

Wenige Problem schienen die Tagungsteilnehmer damit zu haben, daß zur Erreichung dieser Ziele neue Strategien der Vermittlung oder der Teilhabe, der Arbeit mit Minderheiten oder – als relativ jungem Thema – mit Migranten den Rahmen des konventionellen Museumsverständnisses sprengen.
Eine gewisse Entgrenzung des Museums ist ohnehin im Gang, in methodischer Hinsicht, institutionell, hinsichtlich des Objektbegriffs, der Arbeitsformen, oder was die Definition seines – architektonischen und sozialen – ‚Ortes‘ betrifft. Der Leiter des Grazer Stadtmuseums, Otto Hochreiter, hat das so formuliert: „An Stadtmuseen können Erfahrungen des Örtlichen als Ressource für zivilgesellschaftliche Prozesse organisiert werden.“
Mir scheint auch die zivilisatorische, vergesellschaftende Funktion des Museums (das es strukturell auszeichnet) denjenigen Aufgaben übergeordnet zu sein, die man normalerweise als ‚essentiell‘ ansieht (Objekte zu sammeln, zu bewahren und zu zeigen). Es geht im Museum nicht – auch wenn das das Museumsbild so vieler verstören mag -, nicht ‚ums Objekt‘, sondern um Beziehungen und Bedeutungen (Angela Janelli). Die Arbeit daran, das Spiel der identitären Beziehungen im individuellen wie im kollektiven Maßstab zuzulassen und zu organisieren, das öffnet der Museumsarbeit ungeahnte und reiche Möglichkeiten. Museen müssten etwas von ihrer institutionellen Körperpanzerung ablegen und anerkennen lernen, daß sich im Ausstellen „Deutungsabsichten von Ausstellenden, Bedeutungen des Ausgestellten und Bedeutungsvermutungen von Besuchern“ kreuzen (Sabine Offe). Hier erst entsteht Reflexionskompetenz und Orientierungswissen, das auch handlungsanleitend und –ermöglichend sein kann.

Ich hätte da wenig Angst vor einer Verschiebung der Bedeutung des Museums. Denn als definitorischer Kern bliebe dem Museum möglicherweise nicht so sehr die Vorstellung vom ‚festen Haus‘ und der Sammlung authentischer Objekte, sondern als einer eines einzigartigen zivilisierenden Rituals, als das das Museum seit etwa 1780 als Projekt der (europäischen) Moderne entstanden ist.
Möglich war dieses Modell des Museums der Moderne im Kontext von Aufklärung und Revolution nur im Medium diskursiver, bürgerlicher Öffentlichkeit. Besitz aller an den kulturellen Gütern und deren Genuss als verbrieftes Recht sind komplementäre Erbschaften dieser Idee des wohlfahrtsstaatlichen Museums.

Mit der Zersetzung bürgerlicher, diskursiver Öffentlichkeit ist nicht nur das Museum gefährdet, es ist auch das Medium gefährdet, in dem allein wir über solche und andere Entwürfe des Museums überhaupt weiter reden können. In dieser Hinsicht scheint es mir besorgniserregend, wie wenig Widerstand, gerade aus den Museen selbst, der Entwertung und Zerstörung diskursiver Öffentlichkeit entgegengesetzt wird. Ökonomisierung, Privatisierung, Gleichgültigkeit der Politik, das Fehlen eines formierten zivilgesellschaftlichen Interesses an Museen und die Unentschlossenheit so vieler Museumsmitarbeiter gegenüber den Herausforderungen, das alles lässt nicht nur um die Voraussetzungen so vieler neuer Ideen fürchten, die in der Tagung geäußert wurden. Um so erfreulicher, daß manches Statement, mancher Bericht aus der Praxis, Optionen auf ein Museum als analytischem und diskursiven gesellschaftlichen Ort erschloß.


Stadtmuseen: Im Umbau ratlos oder wie erzählt man eine Stadt? 25./26.3.2010, Stadtmuseum Graz in Zusammenarbeit mit der Museumsakdemie Joanneum

Exposé und Programm als pdf zum Herunterladen:

Kunstgefahr (Texte im Museum 36)

Montag, 29. März 2010

Die Dauerausstellung des Jüdischen Museums Wien wird verschwinden

Die designierte Direktorin des Jüdischen Museums der Stadt Wien, die Fernsehjournalistin und -sprecherin Danielle Spera, die überraschend von den Verantwortlichen einem halben Dutzen hervorragender Museumsexperten und -leiter vorgezogen wurde (s. Blog dazu), ließ im Interview in der von ihr mitbegründetn Zeitschrift NU (Nr. 38; 4/2009) keinen Zweifel an der Aufgabe der Dauerausstellung.
Das ist mir ein ganz großes Anliegen. Eine permanente Ausstellung gehört alle 12 bis 14 Jahren erneuert, das ist also im Jüdischen Museum Wien schon überfällig. Derzeit gibt es die Hologramme. Das war vor circa 20 Jahren State oft the Art, inzwischen ist es überholt. Da wir nicht viel Platz haben, denke ich an eine Multi-Media-Ausstellung. Die kann man auch schnell erneuern. Das ist für mich ein sehr dringendes Projekt. 
An Stelle der alten Dauerausstellung denkt sich Frau Spera eine Multimediaausstellung, die könne man schnell erneuern, an Übernahmen von Ausstellungen wie "Koscher & Co." mit Begleitveranstaltungen wie "Kochkurse, Abendessen, Snackboxen mit koscherem Essen an Schulen".
Dem "Wunsch der Entscheidungsträger" nach vermehrter touristischer Attraktivität, will die Direktorin gerecht werden: "Ich möchte jüdische Pfade einrichten. Das Museum soll im Ausland bekannt gemacht werden. Migranten und ihre Nachkommen sollen sich einen virtuellen Stadtplan erstellen können, auf Spurensuche gehen. Oder prominente, jüdische Persönlichkeiten sollen virtuell durch die Stadt führen ... Es ist mein Ziel, Menschen, die nach Wien kommen, bei der Spurensuche zu helfen, Dazu werden wir alle vorhandenen Quellen brauchen. Und ich möchte unbedingt Schulprojekte initiieren, damit Schüler Fragen stellen."
"Das Jüdische Museum in Wien ist eine Zumutung. Es stellt die Erwartungen, die Besucher an konventionelle Ausstellungen herantragen, infrage, es verunsichert sie, es fordert sie heraus", hatten Sabine Offe und ich als ersten Satz in unserer Analyse und Würdigung der Dauerausstellung geschrieben. Die Sprödigkeit, der Anspruch, die Herausforderung des Konzepts war schon oft Anlaß des Widerspruchs und der Verstörung. Die Kuratorin der Ausstellung, Felicias Heimann-Jelinek, ließ nie einen Zweifel daran, daß Popularität, Besucherfreundlichkeit, narrative oder mediale Attraktivität, nicht ihr wesentliches Ziel sind. Sie dreht bezüglich der "Besucherfreundlichkeit" die Verantwortlichkeit um: bei einem reflexiven Ausstellungskonzept muß auch der Besucher sich aktiv verhalten, sich einlassen wollen. Denn es wendet sich vor allem an Menschen, die bereit sind, sich verantwortlich der Geschichte zu stellen.
Bei allem Respekt für die Ziele und Vorstellungen von Frau Spera, ihre museologischen Ideen sind dünn und konventionell und fallen weit hinter das Konzept der noch existierenden Dauerausstellung zurück. Selbstverständlich ist es legitim, eine Dauerausstellung zu erneuern. Aber dann muß es ein überzeugendes neues Konzept geben. Nur wenn es besser ist als das alte, ist die Erneuerung vernünftig.

Die Ausstellung gibt die Gegenstände nicht als Geschichten aus, sondern zeigt sie als gegenwärtige Schatten vergangener Geschichte. Diese Geschichte wird nicht durch Anwesenheit, sondern durch ihr Fehlen und Fehl-am-Platz sein im Museum bezeugt und bedarf immer neuer und gegenwärtiger Erzählungen und Aneignung durch die Besucher. BesucherInnen des Jüdischen Museums in Wien haben nach dem Rundgang durch die Dauerausstellung keinen “Gesamtüberblick“ über Geschichte, Religion, Kultur “der Juden“, wie manche ihn von der Ausstellung eines Museums erwarten zu können meinen  – aber sie können erkennen und unterscheiden zwischen dem, was sie im Museum gesehen haben und dem, was wirklich geschehen ist und im Museum keinen Raum finden kann, zwischen dem, was vergangen und dem, was gegenwärtig ist, zwischen dem, was gewusst und dem, was nicht gewusst und vermittelt werden kann. Vermittelt wird ihnen, dass Geschichte und Gedächtnis weder institutionell noch individuell verfügbar sind, dass sie auf ihre Fragen und Nachfragen und die Bereitschaft, sich den Zumutungen des Museums auszusetzen, angewiesen bleiben. Und die Ausstellung verweist sie auf die Möglichkeit, auch solche Fragen zu stellen, die nicht durch Objekte und Informationen als schnelle Antworten zum Schweigen gebracht werden können.
Das war das Resumé, das Sabine Offe und ich zur Bedeutung der Ausstellung zogen. Diese Ausstellung war weit über die eines bestimmten Jüdsichen Museums hinaus ein Modell für die museale Repräsentation von Geschichte, eine - meiner Meinung - herausragende, auch im weiten internationalen Vergleich unikale Antwort auf avancierte theoretische Positionen und museologische Herausforderungen.
 Die Frage ist: wofür wird das zerstört werden? 

Die Zitate zur Dauerausstellung aus: Sabine Off, Gottfried Fliedl: Die Dauerausstellung des Jüdischen Museums der Stadt Wien, in: Wiener Jahrbuch für Jüdische Geschichte, Kultur & Museumswesen, Bd.6, Wien 2004. S. 19 – 26
Abbildung: Eine der 'Erinnerungsspuren' im Erdgeschoss der Dauerausstellung. Nancy Spero.