Samstag, 31. Oktober 2015

Das Kunstmuseum von Ein Harod


Eine der erstaunlichsten "Entdeckungen " meiner (bisher einzigen) Israel-Reise war das Kunstmuseum des Kibbuz Ein Harod. Inmitten eines landwirtschaftlichen Großbetriebes mit seinen schon recht verbrauchten Gebäuden, abgenutzten Maschinenpark, karger Landschaft einen eleganten ingeniös gegliederten und belichteten Bau zu finden,das hatte ich ganz und gar nicht erwartet.
Eine resolute Kuratorin führte uns durch die Dauerausstellung, zeigte uns witzige und sehr ansprechende feministische Kunst, die man unter die ehrwürdigen historischen Objekte "geschmuggelt" hatte, und in einem anderen Teil des Museums gab es Spielzeug zu sehen, das die Bewohner des Kibbuz einst mit eigenen Händen für ihre Kinder gebastelt hatten.
Die Architektur lud zum Flanieren und entdecken ein, kein Raum wiederholte sich, es gab überraschend gestaltete Übergänge, Rampen, Treppen, Symmetrien, ohne eine einzige Wiederholung, einen Blick nach Draußen, in einen Binnenhof und ein wunderbares kleines Cafe - mit Lesecke und schlichter, einladender Möblierung auf dem untersten Niveau, das sich in ganzer Breite auf eine durch das natürliche ansteigende Gelände begrenzte und geschützte Terrasse öffnete.

Foto GF 2012

Foto GF 2012
Foto GF 2012

Jeder Raum hatte angenehme Proportionen, also keinerlei monumentale Attitude sieht man von einem links und rechts mit Säulen ausgestatteten Raum ab, den man nach Passieren von Kassa und Garderobe unmittelbar vom Eingang her betrat. Das Angenehme der Architektur kam aber nicht allein von der Proportion der Räume, der vertikalen und horizontalen Verschachtelung, sondern auch von ihrer Belichtung. Das Museum nimmt für sich in Anspruch dabei eine Pionierrolle zu spielen. Wie auch immer, durch abgehängte Decken, hinter Wandteilen verborgene Öffnungen kommt natürliches Licht ausreichend, aber nie direkt in die Räume. Ideal für das Ausstellen von Kunst, sehr angenehm für das Wohlgefühl des Besuchers.

In die Dauerausstellung "eingeschmuggelt" - eine von zahllosen Küssen bedeckte Thorarolle (Foto GF 2012)





Ein (Braut)Kleid, das die Künstlerin Andi Arnovitz aus hunderten Fetzchen zerrissener (fotokopierter) Ehekontrakte genäht hat. Das Kleid ist den "chained women", "agunot", gewidmet, die sich den israelischen Ehegesetzen entsprechnend, ohne Einwilligung des Ehemannes nicht scheiden lassen können.Foto GF 2012
Das Erstaunen über das Museum wird nicht kleiner, wenn man sich seine Gründungsgeschichte vergegenwärtigt. Das Kunstmuseum Ein Harod, “Mishkan Le'omanut", wurde etwa 10 Jahre nach der Gründung des Kibbuz Ein Harod im Jahre 1921 in den 30er-Jahren gegründet, in einem aus Holz erbauten Haus. Ein Harod (hebräisch עין חרוד), auf deutsch „Quelle Harod“, war eine der ersten großen Kibbuz-Gründungen. Der Ort, dessen Name aus biblischer Zeit stammt, liegt am Fuß des Berges Gilboa, nahe der Harod-Quelle, im Norden Israels. Ein Harod wurde am 22. September 1921 von jungen, aus Russland stammenden Arbeiterinnen und Arbeitern. Kurz vor der Staatsgründung Israels hatte das Kibbuz über 1100 Bewohner. 1953 kam es wegen ideologischer Differenzen zur Aufspaltung in die benachbarten Siedlungen En Harod Ihud und En Harod Meuchad.



1948 wurde das heutige, aus Stein errichtete Museum nach Plänen von Samuel Bickels eröffnet. Damit ist es der erste Museumsbau im Staat Israel. Es besitzt heute 16.000 Kunstwerke, macht laufend Ausstellungen, publiziert eifrig und last but not least bewahrt es, wie ich grade entdeckt habe, den Nachlass aus einem überaus merkwürdigem Projekt, dem Meir Agassi Museum, das nach seinem Gründer benannt ist, der, in Israel geboren, dieses eigentümliche und interessante "Museum" in Bristol, wo er an die zwanzig Jahre wohnte, in seinem Wohnhaus installiert hatte.

Zwei Fotos aus den 40er-Jahren, die das erste, hölzerne Museumsgebäude zeigen

Kinderspielzeug aus dem Kibbuz, Ausstellung 2012 (Foto: GF)

Kinder des Kibbuz im Museum, um 1950





Freitag, 30. Oktober 2015

Die Situation der Museen. Ein gordischer Knoten?



Ich schätze die Bücher und Essays des in München arbeitenden Kunsthistorikers Walter Grasskamp zu Museumsfragen sehr und manche seiner Texte haben mich buchstäblich ein Arbeitsleben lang begleitet und immer wieder beschäftigt. Unter dem Titel „Chamäleon im Kulturbetrieb“ in der gestrigen FAZ (29.12.2015; derzeit nicht online) fasst er in stilistisch eleganter Manier Krisensymptome des Museums zusammen. So kurz der Artikel ist, so anregend ist er für mich.

Grasskamp spricht zunächst von der Erfolgsgeschichte der Institution und vom Museum als weltweit erfolgreichem europäischen Exportartikel. „Die Karriere des Museums liegt in einer Eigenschaft begründet, die sein Erfolgsgeheimnis ist: Es kann als Begriffsrahmen und Bauhülle für praktisch alles dienen, nobilitiert aber zugleich jeden Gegenstand, dessen es sich annimmt. Dabei ist es polyglott und polymorph: Es kann das Fremde eingemeinden und das Alltägliche verfremden, und das in jeder Architektur - gibt es eine interessantere Kulturinstitution?“

Allerdings erweist sich die Erfolgs- und Expansionsgeschichte als immer weniger finanzierbar, was die Museen unter Druck setzt ihre Aufgaben neu zu gewichten aber damit seine institutionelle Identität in Frage zu stellen. Die Maßnahmen, die Museen wie Strohhalme ergreifen, fasst Grasskamp im schönen Bild des Stresswachstums zusammen: „Als seien diese seit Jahren heranwachsenden Probleme nicht schon gravierend genug, kamen zuletzt Depotverkäufe und sogar Museumsschließungen ins Spiel. Schon als es um die Scheinlösung der Depotverkäufe ging, ließ sich für viele der kleineren und mittleren Kunstmuseen diagnostizieren, dass sie im Zustand einer Konkursverschleppung gehalten werden, die in der Wirtschaft strafbar ist, in der Kulturpolitik aber leider nicht (…) Trotzdem ist es immer noch einfacher, ein Museum zu gründen, als eines zu schließen. Und es werden immer noch so viele gegründet, dass es an das Stresswachstum gemahnt, in das Pflanzen sich zu retten versuchen, wenn sie merken, dass die Ressourcen knapp werden.“

Die Diagnose der Krankheit? Es handelt sich um Amnesie. Die Museen hätten ihre „vier Gründungsaufgaben“ (es sind die vier der ICOM-Definition: Sammeln, Bewahren, Erforschen, Vermitteln) vergessen: „Von seinen vier Gründungsaufgaben hat nur noch eine richtig Konjunktur: das Ausstellen. Fragt man einen Reisenden, ob er auch das Kunstmuseum der Zielstadt besuchen wird, kommt prompt die Gegenfrage: Welche Ausstellung läuft denn da gerade? Nur in den ganz großen Häusern kann die Schausammlung noch als alleinige Attraktion bestehen, alle anderen müssen sich dem Wanderzirkus der Wechselausstellungen anschließen oder ständig eigene Glanznummern erfinden. Meinte die Gründungsaufgabe des Ausstellens ursprünglich nur die ständige Schausammlung, so geht es heute nicht mehr ohne Wechselausstellung.“

Die anderen Aufgaben würden nur noch eingeschränkt oder gar nicht mehr wahrgenommen. Den Schluß, den Grasskamp aus der Situation zieht, ist pessimistisch. Die Situation gleiche einem gordischen Knoten. Denn was hülfe denn angesichts dieser verzwickten Lage? „Bessere Lobbyarbeit, sagen die Politikberater - aber das machen wir doch bis über die Grenzen der Selbstachtung hinaus, antworten die promovierten Klinkenputzer. Bessere Nachfrageorientierung, sagen die Kulturanalysten - aber wo bleibt dann der Bildungsauftrag?
fragen die Veteranen der "Kultur für alle". Noch mehr Wechselausstellungen, sagen die Tourismusmanager - aber was wird dabei aus den Werken? knurren die Restauratoren. Dann bestückt doch mehr Ausstellungen aus dem Depot, sagen die Sparkommissare - aber wie soll man damit die geforderten Besucherquoten erreichen? seufzen die Direktoren. Macht noch mehr Events, sagen die Wirtschaftsprüfer - vielleicht einen Selfiewettbewerb? stichelt die Pressestelle. Saniert euch durch Verkäufe aus dem Depot, sagen die verkappten Insolvenzverwalter der Stadtverwaltung - lernt erst mal richtig rechnen, denkt sich da selbst der Volontär. Schließt die Kleinstadtmuseen, sagen die Metropolenbewohner - wollt ihr denn noch mehr Rollkoffer in Berlin? staunt der Provinzler. Legt Sammlungen zusammen, sagen die Bestandsretter - aber was soll daran letztlich billiger werden, als es jetzt schon gehandhabt wird? brummt der Kustos. Diese Argumentation kennt man nun schon seit langen Jahren und vielleicht gehört sie inzwischen längst selbst in ein Museum. In eines für gordische Knoten.“

Das klingt in der Tat gordisch! Aber vielleicht versperrt eine problematische Annahme den Blick auf Auswege, auf potentiell andere Entwicklungen, als die geschilderten. Ich meine die „vier Gründungsaufgaben“, die Grasskamp aus einer ursprünglich als Definition (ICOM) gemeinten Aufzählung von Aufgaben des Museums macht. Aber es sind eben nur Aufgaben, Methoden, Praktiken und nicht schon Ziele im gesellschaftlichen Sinn. Abgesehen davon, daß deren Aneinanderreihung nicht minder widersprüchlich hinsichtlich Reihenfolge, Zusammenhang und Gewichtung sind wie die berühmte revolutionäre Parole „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“, sie sagen nichts über den Zweck aller dieser praktischen musealen Tätigkeiten aus.

Der Gründungsauftrag des Museums liegt nicht in seiner Operationalisierung identisch. Er liegt in einer emphatisch formulierten Zwecksetzung, mit der der aus Aufklärung und Revolution heraustretende republikanische Nationalstaat (erstmals in Frankreich) Museen als Ort der Selbstdeutung und -auslegung definierte und damit auf die Krise der gesellschaftlichen Desintegration reagierte, die in der Revolution genau in den Jahren kulminierte, in denen die großen Pariser Museen (und in der Folge in den französischen Provinzen und dann im okkupierten Europa) entstanden.

Dieses „neue Museum“ (das Wort ist ja sehr alt und seine Verknüpfung mit dem Sammeln, Konservieren und der Gewinnung von Wissen entsteht in den Kabinetten und Galerien des 16.Jahrhunderts) hatten aber nicht nur eine kompensative Funktionen, sondern auch eine konstruktive: das Museum war einer jener Orte, an denen sich in der Dialektik von Verbürgerlichung zum Cityoen und Vergellschaftung zur Nation das ideal einer freien und demokratischen Gesellschaft entfaltete, in der die Nutzung oder der Genuss (ein Wort der Revolution) der kulturellen Überlieferung ein Element der gesellschaftlichen Wohlfahrt insgesamt war.

Entdeckte man den radikal politischen Kern des Museums wieder und seine umfassende gesellschaftliche Aufgabe, würde sich nicht nur die Analyse der Misere oder Krise des Museums anders gestalten, es würde sich der Blick für andere Wege, Optionen und Entwicklungen öffnen. Und: dabei müsste nicht bei Null begonnen werden, denn es gibt, gerade nicht immer an den Flaggschiffen und Triumphburgen der Hochkultur, längst vielfältige Praktiken, an die man anknüpfen könnte.

Schließlich würde das Museum nicht, wie es Grasskamp ja ganz richtig und anschaulich beschreibt, vor allem in seinen immanenten organisatorischen Zwängen (Finanzierung, Management, Vermarktung usw.) stecken bleiben, sondern könnte freier atmen und sich tiefer als je gedacht im Gesellschaftlichen verankern und damit auch materiell und symbolisch rückversichern.

Frisch eingetroffen aus Wien: "41 Tage. Kriegende 1945"




41 Tage. Kriegsende 1945. Verdichtung der Gewalt. Joanneumsviertel Graz. Bis. 11.11.2015

Mittwoch, 28. Oktober 2015

Privatisierung, Politik und Ideologie an einem Beispiel aus der Schweiz

Die nationale Rechte lässt die Bären tanzen, wo und wann sie will. Was die Schweiz von Ländern wie Frankreich und Österreich unterscheidet, sind die 3,6 Milliarden Privatvermögen, über die der Extremismus hierzulande verfügt. Geld in den Händen eines chemischen Industriellen, Christoph Blocher, der seit Jahr und Tag das Land mit seinen obskuren Ideen inspiriert. Kunstsinnig wie immer, ist er auf seine alten Tage zudem großzügig geworden. Der Mann besitzt nicht nur Milliarden, er scheint mehr und mehr gewillt, sie auch auszugeben.
Zum Frühstück spendiert er sich die erste öffentliche Ausstellung seiner privaten Gemäldegalerie in einem respektablen Kunstmuseum, dem Oskar Reinhart Museum in Winterthur, das des Industriellen Sammlung hiesiger Genremaler ausstellen darf und ihn dafür mit dem Glanz des Gönners salbt. Und weil ein rechtsnationaler Sammler mit Sendungsbewusstsein ein paar Selbstporträts veröffentlicht sehen will, kauft sich der Mäzen gleich die passende Publikation dazu. Das „Du“-Magazin, über Jahrzehnte das Zentralorgan des honorablen, kunstbeflissenen Bürgertums, hat praktischerweise sein Konzept gewechselt. Nun kann jeder, der sechzigtausend Schweizer Franken zu zahlen bereit ist, das Blatt komplett buchen, und niemand stört sich daran, dass eine Zeitung, die einmal bekannt war für die Arbeiten von Werner Bischoff und Hugo Lötscher, eine Woche vor den nationalen Wahlen den politischen Extremismus mit den Weihen der Kunst bemäntelt und rechtfertigt.
Das bunte Blatt im Hochformat reiht sich damit ein in die neue mediale Front, die von der „Zürcher Weltwoche“ über die „Basler Zeitung“ alle jene verbindet, die bereit sind, ihre journalistischen Standesregeln zu verhökern...
Aus: Lukas Bärfuss, Die Schweiz ist des Wahnsinns, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.10.2015 (online)

Lassnig I + II (Texte im Museum 520)



Donnerstag, 22. Oktober 2015

Venus bleibt Venus

Die Neuaufstellung der Venus von Willendorf 2015 ging einher mit einer gegenüber früher ungleich sparsameren Beschriftung. Asketisch verhält man sich vor allem gegenüber jeder Deutung - die freilich in der Benennung als "Venus" teilweise erhalten bleibt. Von den Implikationen dieser Zuschreibung wollte man sich nicht trennen. Aber was es sein muß: ein Meisterwerk, und nicht nur das, sondern ein vollendetes. (Foto GF)

Just published / In eigener Sache

Eben ist erschienen: Robert Gander, Andreas Rudigier, Bruno Winkler (Hg.): Museum und Gegenwart. Verhandlungsorte und Aktionsfelder für soziale Verantwortung und gesellschaftlichen Wandel. Transcript, Bielefeld 2015, 176 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb.,
Print: 29,99 €, ISBN: 978-3-8376-3335-1 E-Book (PDF): 26,99 €, ISBN: 978-3-8394-3335-5

Darin habe ich Gelegenheit eine ungewöhnliche Form auszuprobieren - einen Briefwechsel, mit Mark Taylor, langjährigem Präsidenten der British Museum Association. Das Gespräch, das wir führten knüpft an seinen schon in der Zeitschrift Neues Museum erschienenen Essay "Museen in 25 Jahren an" und an ein großes Projekt der Museums Association "Museums Change Lives".

Mittwoch, 21. Oktober 2015

Die Mitte des Museums

Es gibt wenige Museumskomplexe mit einer derart auftrumpfenden Architektur wie die beiden ehemaligen Hofmuseen beiderseits des Maria-Theresien-Platzes in Wien. Und es gibt kaum wo nachdrücklicher inszenierte empfangende Bedeutungsräume, wie im Kunsthistorischen Museum und dem gegenüberliegenden Naturhistorischen.
Abgesehen von dem ungleich aufwändigeren Dekor des Kunstmuseums sind beide Empfangshallen symmetrisch gestaltet, als mehrfach überkuppelte, vertikal durch Öffnungen optisch verbundene Räume, die keinem Ausstellungszweck dienen, sondern allein dem Sich-Versammlen der Besucher.
Die Gestaltung des Bodens wiederholt die Kreisform und betont den Mittelpunkt.
Diese Mitte kann, schon aus ganz praktischen Gründen, leer bleiben, dann genügt der Raum und sein Dekor, um das Publikum so um eine symbolische Mitte zu zentrieren, wie (später, in den Sammlungsräumen, um die Dinge) oder die Mitte kann besetzt werden, um die Zentrierung, das Sich-Sammeln um "etwas" (eine gemeinsame "Sache", die Sammlung) nach- und eindrücklicher zu machen.
Interessanterweise ist das derzeit gleichzeitig bei beiden Museen der Fall. Am Boden des Kunsthistorischen Museums liegen große Linsenkörper, die die Architektur spiegeln und Besucher und Fotografen anziehen ("Perspectives" von John Pawson). Im Naturhistorischen gibt es aus Anlass der Neupräsentation der sogenannten Venus von Willendorf, eine Paraphrase auf diese weit über 20.000 Jahre alte Statuette, eine "Balloon Venus" von Jeff Koons, monumental, aus Stahl hergestellt, aber mit oranger spiegelnder Oberfläche versehen, in der sich vielfach gebrochen die der Zentralraum des Museums spiegelt wie in einem Kaleidoskop.

John Pawson, Perspectives (Foto GF, 2015)
 Die gewaltigen Hallen der beiden Museen sind Variationen jener Räume, auf die kaum ein Museum verzichtet und die über den praktischen Zweck hinaus dazu da sind, das Publikum zu formieren, zu verteilen und in die Sammlungsräume zu leiten. Es sind vor allem Räume der Vergesellschaftung, Räume des "zivilisierenden Rituals".
Im KHM zentrieren wir uns um einen (gespiegelten) Blick und um ein eifrig beworbenes Marketingtool der Firma Swarovski. Möglich, daß das Museum Geld dafür erhält, aber symptomtisch ist, daß das Publikum vom Museum eingeladen wird, sich um einen Marktfetisch zu sammeln.
Im NHM ist das nicht ganz so klar. Sicher ist Jeff Koons ein großartiger Selbstvermarkter, ob aber er oder das Museum die Initiative ergriffen hat, weiß ich nicht. Und seine Hochglanzkunst, die das Verdikt Kitsch zu sein und Konsumgut heftig an sich zieht, spielt ziemlich vertrackt, gerade durch die Überbietung und Übertreibung, die Betonung der Oberfläche uvam., mit dem Warencharakter der Kunst.
Da könnte sich das Naturmuseum als das gewitztere erwiesen haben...
Aber grübeln wir lieber über einige Sätze aus einem Interview, das Koons aus Anlaß der Aufstellung seiner "Ballon Venus" gegeben hat: "So versuche ich, auf die Leute zuzugehen. Ich möchte nicht, dass sie eingeschüchtert werden. Die Erfahrung der Transzendenz muss jedem offenstehen, da darf es keine Hürden geben, und das schaffe ich, indem ich Dinge aus dem Alltag verwende. Und ich muss die Menschen schnell packen. Laut einer Studie nehmen sich die Menschen nur durchschnittlich 2,7 Sekunden Zeit, um ein Kunstwerk zu betrachten. Ich habe also nicht mehr als 2,7 Sekunden, um sie zu entwaffnen, um mit ihnen in einen Dialog über Akzeptanz zu treten."

Jeff Koons: Balloon Venus (Foto GF, 2015)







Alles klar!

Thomas Schmit: Geschichte. 1979. (Foto GF)

Warten, aber auf wen?

Sitzen in der Garderobe, Kunsthaus Graz (Foto GF)

Hm... (Texte im Museum 519)

Kunsthaus Graz/Kunsthauscafe, 2015 (Foto GF)

Dienstag, 20. Oktober 2015

Armut (einst) Texte im Museum 518

Volkskundemuseum Wien, 2015 (Foto G.F.)

Fristlose Entlassung von Clementine Deliss. Ein Projekt zum scheiterngebracht

Vor kurzem wurde die Leiterin des Frankfurter Weltmuseums (Völkerkundemuseum) von der Stadt fristlos gekündigt. Gründe wurden keine genannt. Clementine Deliss hat die Stadt geklagt und dann wird man erfahren, was passiert ist.
Sie hat das Museum zum Ort des radikalen Nachdenkens über die Rolle ethnologischer Museen gemacht. Da ein Erweiterungsbau nicht genehmigt wurde, gescheitert vermutlich am Einspruch nicht ganz einflussloser Nachbarn, und daher auch keine neue Dauerausstellung möglich war, bestand die Arbeit des Museums in einer buchstäblich produktiven Auseiandersetzung von Künstlern, Designern, Wissenschaftern usw. mit Objekten und Objektgruppen.
Das bislang aufwändigste Projekt galt der Recherche der Gründungsumstände des Museums. Über ein Jahr lang arbeiteten KuratrInnen, Schriftsteller, Ethnologen, Künstler usw. An dem Projekt, das in eine Ausstellung mündete.

Ich habe die Ausstellung im Vorjahr gesehen, sie war im Umfang bescheiden, bestand aus sehr unterschiedlichen thematischen Schwerpunkten und Vermittlungsformen. Mich hat vieles beeindruckt, ganz besonders die literarischen und wissenschaftlichen Texte, poetisch wie rabiat, genau wie klar und stringent. Die Ausstellung drehte sich unter anderem um den Erwerb der Sammlung (die bereits durch Kauf, und nicht sammeln, auf einschlägig zugeschnittenen Märkten aufgebaut gemehrt wurde), um ethnologische Fotografie, um die Frage der Restitution (mit der Einsicht, dass die Restitution eher von Archivalien als von Objekten zunächst sinnvoll erscheint) oder um Formen des musealen Zeigens.
Ein begleitendes Buch dokumentiert nicht bloß die Ausstellung sondern auch den ganzen vorangehenden Reflexionsprozess. Ein wunderbares Buch, weil es zeigt, wie fruchtbar und an Einsichten reich ein vorurteilsloses Abarbeiten an der Vergangenheit einer Institution sein kann.
Dabei ging's ja keineswegs nur um das Frankfurter Musum. Was Frau Deliss, die ich vor einigen Jahren kennengelernt habe, als ich sie in die Sommerakademie der Museumsakademie des Joanneum eingeladen habe, angestoßen hat, betraf den Museumstyp des "Völker"Museums insgesamt, seine Herkunft aus Kolonialismus und hegemonialer Politik insgesamt und seine Gegenwartstauglichkeit.
Der Abbruch ihrer Arbeit beendet etwas, was weit über Frankfurt Aufmerksamkeit und lange geduldige Entwicklung ihrer Ideen verdient hätte.

Staat oder Privat? Auch eine Museumsfrage

Chris Dercon hat kürzlich in DIE ZEIT die Eröffnung eines der größten Privatmuseen der Welt, des Broad-Museum in Los Angeles, zum Anlass genommen über das Verhältnis von staatlichen und privaten Museen nachzudenken (Chris Dercon: Strukturwandel des Kunstbetriebs. Viele Sammler träumen vom eigenen Museum, manche bauen es sogar. Wie das die Kunstwelt verändert. In: DIE ZEIT, 24. September 2015, online).
Auch an der österreichischen Entwicklung kann man beobachten, daß private Sammler in immer stärkere Konkurrenz zu den staatlichen Museen treten, laut Dercon „Zeichen eines globalen Strukturwandels des Kunstbetriebs.“ Zwar hat der spektakuläre Konkurs des Baumarktkonzerns von Karlheinz Essl das bedeutendste Projekt eines Privatmuseums in Österreich in große Schwierigkeiten gebracht, aber die Ursache der Krise liegt im Missmanagement des Konzerns, nicht in der Entwicklung der Sammlung und des Museums. Die Umstände der Rettung durch den Bauunternehmer Hans Peter Haselsteiner und dessen Konsequenzen für einen weiteren prominenten Kunstplatz zeigen indes annähernd was sich in Zukunft entwickeln könnte: Haselsteinen tauschte die Übernahme der Sanierungskosten des Künstlerhauses in Wien mit dem Recht ein, dort seine eigene Sammlung, die Sammlung Essl zu zeigen und Ausstellungen in Kooperation mit staatlichen Einrichtungen wie der Albertina. Es sind genau diese Facetten, die Dercon in seinem Essay diskutiert.

Doch steht hinter der Frage Staat oder Privat eine ganz grundsätzliche Frage. Denn seit es ab dem späten 14.Jahrhundert Sammlungen kultureller Artefakte überhaupt gibt, sind sie strikt und mit raren Ausnahmen immer privat gewesen bis gegen Ende des 18.Jahrhunderts das Modell des (national)staatlichen, öffentlichen (das heißt staatlich unterhaltenen) Museum entstand. Und das als gesellschaftliches Instrument, bei dem das allgemeine Eigentum am Sammlungsgut, Sammeln im öffentlichen Auftrag und Interesse, unbegrenzter und rechtlich verbriefter Zugang Bedingungen einer gesellschaftlichen Zwecksetzung waren: dem Wohl der Gesellschaft zu dienen. Es blieben dabei immer parallel dazu private Sammlungen und Museen oder etwa Vereinswesen alternative Konzepte, aber erst unter den Bedingungen einer globalisierten und ökonomisierten Kultur erhalten private Sammlungen und Museumsgründungen einen neuen Status.

Die Newport Street Gallery in London. Das jüngst eröffnete Privatmuseum von Damian Hurst. Seine Sammlung junger britischer Kunst könnte, so meinen Kunstkritiker, kein britisches Museum je aufbringen. Hurst, "teuerster" zeitgenössischer Künstler, agiert sowohl auf dem Kunstmarkt - auf dem er selbst präsent ist -, als auch innerhalb der Museumsszene, als Künstler, Kunsthändler, Museumsleiter und Ausstellungskurator. Eine neue Entwicklung.

Private Museen beginnen in Konkurrenz zu staatlichen zu treten und gefährden deren Daseinsberechtigung z.B. durch Übermacht am Kunstmarkt. Wenn kürzlich das Rijksmuseum und die National Gallery gemeinsam eine Gemälde erworben haben, dann ist der bislang einzigartige Fall einer geteilten Erwerbung (die ein geteiltes Ausstellen an zwei Orten nach sich zieht) dieser Entwicklung geschuldet. Museen können - selbst diese beiden Flaggschiffe der Museumslandschaft nicht -, die Preise nicht mehr bezahlen, die zur Weiterentwicklung der Sammlung nötig wären. Das ist nur eine Facette der Entwicklung, die andere, bei Museen zeitgenössischer Kunst, daß Künstler eher mit finanziell potenten Privaten zusammenarbeiten, als mit staatlichen Museen.

Dercon unterstellt Privaten durchaus aggressive Strategien, nämlich Kontrolle über den Kunstmarkt und indirekt damit über staatliche Museen zu bekommen. Und: „Manche Privatmuseen müssen zudem als Manifestationen eines Projekts des Spektakels betrachtet werden. Ihre Betreiber haben begriffen, dass weder jahrelange Erfahrung noch die historische Rekonstruktion, noch das Gedächtnis in Zukunft als Bestandteile der kulturellen Praxis nötig sein werden. Außerdem haben sie die Tauglichkeit der Kunst als Mittel zur Konsumdifferenzierung und Produktivitätssteigerung erkannt.“ Was die Privatisierung mit sich bringt sind „…uferlose Akkumulation von Kunst und die Expansion einer orientierungslosen Vielfalt; die Verschwiegenheit im Hinblick auf Organisation, Vermögen, Kosten und Gehälter; eine geschäftsmäßige Auswahl und von Beratern gesteuerte Ankäufe; Insiderhandel und andere aggressive Geschäftsbeziehungen.“

Worin unterscheiden sich staatliche Institution von diesen Strategien und Ambitionen? „Die Daseinsberechtigung staatlicher Museen“ schreibt Dercon, „besteht darin, die Verfügbarkeit und Sichtbarkeit von Kunstwerken auf lange Zeit zu gewährleisten. Ihr zentraler Auftrag ist es, ein möglichst breites Publikum zu bilden. Das bedeutet heutzutage auch, Urteilsfähigkeit zu vermitteln: einerseits über das ungeheuer weite Feld der zeitgenössischen Kunstproduktion, die immer deutlichere Parallelen zur Produktion von Luxusgütern offenbart, und andererseits über jene Werke, die wirklich eine Kultur formen. (…) Anders als die privaten Sammlungen dürfen wir uns auch nicht erlauben, die Kunst als mögliches Renditeobjekt zu betrachten. Wir produzieren Gedächtnis, das ist unsere Aufgabe. Die staatlichen Museen sind in dieser Sicht das Heilmittel – und nicht eine Ergänzung zum Privatmuseum.“

Was läßt sich gegen die Entwicklung aufbieten? Dercons Rezept ist kurz und prägnant: „Wir (müssen) ganz neue Regeln für die Kooperation zwischen Privatsammlern und staatlichen Museen aufstellen. Diese Kooperation kann nicht nur auf Dankbarkeit und gutem Glauben beruhen. Der Privatsammler, der mit einem staatlichen Museum kooperiert, muss es als einen Hort für einen auf lange Zeit angelegten symbolischen, nicht ökonomischen Wert akzeptieren. Die Museen ihrerseits sollten nur solche Privatsammler ansprechen, die diese Überzeugung teilen. Das staatliche Museum soll den Privatsammler pflegen, der nicht nur die Künste und die Künstler unterstützt, sondern auch die Kultur des staatlichen Museums stärkt. Kultur nämlich entsteht erst durch vereinte Anstrengungen.“

Dercon appelliert somit an zwei strukturelle Elemente des staatlichen Museums, seiner Verpflichtung der Gesellschaft gegenüber (vereinte Anstrengung) und dem Freihalten eines Raumes vor der Durchdringung rein ökonomischer Rationalität (symbolischer Wert).


Dercon bezieht seine Erfahrungen aus der Tätigkeit an Kunstmuseen (zuletzt an der Tate Modern London). Man kann seine Beobachtungen erweitern, vor allem, wenn man einräumt, daß das Modell des staatlichen Museums nicht nur von außen, sondern auch von innen her bedroht ist. Der Einzug eines Managementdenkens, das die Institution von der Spitze her verstärkt einer wirtschaftlichen Rentabilität unterwirft, massiver Ausbau des Marketing, um sich in Konkurrenz zu anderen Institutionen auf dem „Markt der Aufmerksamkeit“ zu behaupten, die Sorglosigkeit wenn nicht Willfährigkeit bei Kooperationen mit Sponsoren und anderes mehr sind Indizien dieser Entwicklung. Das manische Berufen auf die Besucherzahlen kommt überwiegend aus den Museen selbst bzw. wird als ultimative Rechtfertigung ihrer Existenzberechtigung verheerenderweise allgemein akzeptiert.

Hinter der Maximierung der „Quote“ steht aber auch Rentabilität als Maß: denn damit soll nachgewiesen sein, daß die staatlichen Gelder (Steuergelder) insofern gerechtfertigt nur dann sinnvoll eingesetzt worden sind, wenn das „Produkt“ Museum sich über die Quote als angemessen wertvoll erweist. Gerade das aber ist bei steuerlicher Finanzierung kultureller Einrichtungen unmöglich. Es gibt keinen Geldwert, sondern nur einen symbolischen, und der erweist sich als resistent, in einen ökonomischen umgedeutet zu werden.

Daher: Ob es es „uns“ (einer Gesellschaft, einer Gemeinschaft, die ein Museum betreibt) Wert ist, dieses oder jenes Museum zu erhalten, hinge von einer gesellschaftlich vermittelten Entscheidung ab, welches Museum wir bräuchten und welches nicht, und von nichts anderem.
Insofern Museen genau diese Diskussion verweigern, aus Unvermögen oder Angst, daß diese Debatte sich gegen sie wenden könnte, aus Blindheit oder aus dem Fehlen jeglichen Verantwortungsgefühls gegenüber der Öffentlichkeit, und insofern kaum eine fachliche und kaum eine zivilgesellschaftliche Debatte dazu existieren, sieht es für eine widerständige, innovative Museumspolitik nicht gut aus.