Freitag, 30. Oktober 2015
Die Situation der Museen. Ein gordischer Knoten?
Ich schätze die Bücher und Essays des in München arbeitenden Kunsthistorikers Walter Grasskamp zu Museumsfragen sehr und manche seiner Texte haben mich buchstäblich ein Arbeitsleben lang begleitet und immer wieder beschäftigt. Unter dem Titel „Chamäleon im Kulturbetrieb“ in der gestrigen FAZ (29.12.2015; derzeit nicht online) fasst er in stilistisch eleganter Manier Krisensymptome des Museums zusammen. So kurz der Artikel ist, so anregend ist er für mich.
Grasskamp spricht zunächst von der Erfolgsgeschichte der Institution und vom Museum als weltweit erfolgreichem europäischen Exportartikel. „Die Karriere des Museums liegt in einer Eigenschaft begründet, die sein Erfolgsgeheimnis ist: Es kann als Begriffsrahmen und Bauhülle für praktisch alles dienen, nobilitiert aber zugleich jeden Gegenstand, dessen es sich annimmt. Dabei ist es polyglott und polymorph: Es kann das Fremde eingemeinden und das Alltägliche verfremden, und das in jeder Architektur - gibt es eine interessantere Kulturinstitution?“
Allerdings erweist sich die Erfolgs- und Expansionsgeschichte als immer weniger finanzierbar, was die Museen unter Druck setzt ihre Aufgaben neu zu gewichten aber damit seine institutionelle Identität in Frage zu stellen. Die Maßnahmen, die Museen wie Strohhalme ergreifen, fasst Grasskamp im schönen Bild des Stresswachstums zusammen: „Als seien diese seit Jahren heranwachsenden Probleme nicht schon gravierend genug, kamen zuletzt Depotverkäufe und sogar Museumsschließungen ins Spiel. Schon als es um die Scheinlösung der Depotverkäufe ging, ließ sich für viele der kleineren und mittleren Kunstmuseen diagnostizieren, dass sie im Zustand einer Konkursverschleppung gehalten werden, die in der Wirtschaft strafbar ist, in der Kulturpolitik aber leider nicht (…) Trotzdem ist es immer noch einfacher, ein Museum zu gründen, als eines zu schließen. Und es werden immer noch so viele gegründet, dass es an das Stresswachstum gemahnt, in das Pflanzen sich zu retten versuchen, wenn sie merken, dass die Ressourcen knapp werden.“
Die Diagnose der Krankheit? Es handelt sich um Amnesie. Die Museen hätten ihre „vier Gründungsaufgaben“ (es sind die vier der ICOM-Definition: Sammeln, Bewahren, Erforschen, Vermitteln) vergessen: „Von seinen vier Gründungsaufgaben hat nur noch eine richtig Konjunktur: das Ausstellen. Fragt man einen Reisenden, ob er auch das Kunstmuseum der Zielstadt besuchen wird, kommt prompt die Gegenfrage: Welche Ausstellung läuft denn da gerade? Nur in den ganz großen Häusern kann die Schausammlung noch als alleinige Attraktion bestehen, alle anderen müssen sich dem Wanderzirkus der Wechselausstellungen anschließen oder ständig eigene Glanznummern erfinden. Meinte die Gründungsaufgabe des Ausstellens ursprünglich nur die ständige Schausammlung, so geht es heute nicht mehr ohne Wechselausstellung.“
Die anderen Aufgaben würden nur noch eingeschränkt oder gar nicht mehr wahrgenommen. Den Schluß, den Grasskamp aus der Situation zieht, ist pessimistisch. Die Situation gleiche einem gordischen Knoten. Denn was hülfe denn angesichts dieser verzwickten Lage? „Bessere Lobbyarbeit, sagen die Politikberater - aber das machen wir doch bis über die Grenzen der Selbstachtung hinaus, antworten die promovierten Klinkenputzer. Bessere Nachfrageorientierung, sagen die Kulturanalysten - aber wo bleibt dann der Bildungsauftrag?
fragen die Veteranen der "Kultur für alle". Noch mehr Wechselausstellungen, sagen die Tourismusmanager - aber was wird dabei aus den Werken? knurren die Restauratoren. Dann bestückt doch mehr Ausstellungen aus dem Depot, sagen die Sparkommissare - aber wie soll man damit die geforderten Besucherquoten erreichen? seufzen die Direktoren. Macht noch mehr Events, sagen die Wirtschaftsprüfer - vielleicht einen Selfiewettbewerb? stichelt die Pressestelle. Saniert euch durch Verkäufe aus dem Depot, sagen die verkappten Insolvenzverwalter der Stadtverwaltung - lernt erst mal richtig rechnen, denkt sich da selbst der Volontär. Schließt die Kleinstadtmuseen, sagen die Metropolenbewohner - wollt ihr denn noch mehr Rollkoffer in Berlin? staunt der Provinzler. Legt Sammlungen zusammen, sagen die Bestandsretter - aber was soll daran letztlich billiger werden, als es jetzt schon gehandhabt wird? brummt der Kustos. Diese Argumentation kennt man nun schon seit langen Jahren und vielleicht gehört sie inzwischen längst selbst in ein Museum. In eines für gordische Knoten.“
Das klingt in der Tat gordisch! Aber vielleicht versperrt eine problematische Annahme den Blick auf Auswege, auf potentiell andere Entwicklungen, als die geschilderten. Ich meine die „vier Gründungsaufgaben“, die Grasskamp aus einer ursprünglich als Definition (ICOM) gemeinten Aufzählung von Aufgaben des Museums macht. Aber es sind eben nur Aufgaben, Methoden, Praktiken und nicht schon Ziele im gesellschaftlichen Sinn. Abgesehen davon, daß deren Aneinanderreihung nicht minder widersprüchlich hinsichtlich Reihenfolge, Zusammenhang und Gewichtung sind wie die berühmte revolutionäre Parole „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“, sie sagen nichts über den Zweck aller dieser praktischen musealen Tätigkeiten aus.
Der Gründungsauftrag des Museums liegt nicht in seiner Operationalisierung identisch. Er liegt in einer emphatisch formulierten Zwecksetzung, mit der der aus Aufklärung und Revolution heraustretende republikanische Nationalstaat (erstmals in Frankreich) Museen als Ort der Selbstdeutung und -auslegung definierte und damit auf die Krise der gesellschaftlichen Desintegration reagierte, die in der Revolution genau in den Jahren kulminierte, in denen die großen Pariser Museen (und in der Folge in den französischen Provinzen und dann im okkupierten Europa) entstanden.
Dieses „neue Museum“ (das Wort ist ja sehr alt und seine Verknüpfung mit dem Sammeln, Konservieren und der Gewinnung von Wissen entsteht in den Kabinetten und Galerien des 16.Jahrhunderts) hatten aber nicht nur eine kompensative Funktionen, sondern auch eine konstruktive: das Museum war einer jener Orte, an denen sich in der Dialektik von Verbürgerlichung zum Cityoen und Vergellschaftung zur Nation das ideal einer freien und demokratischen Gesellschaft entfaltete, in der die Nutzung oder der Genuss (ein Wort der Revolution) der kulturellen Überlieferung ein Element der gesellschaftlichen Wohlfahrt insgesamt war.
Entdeckte man den radikal politischen Kern des Museums wieder und seine umfassende gesellschaftliche Aufgabe, würde sich nicht nur die Analyse der Misere oder Krise des Museums anders gestalten, es würde sich der Blick für andere Wege, Optionen und Entwicklungen öffnen. Und: dabei müsste nicht bei Null begonnen werden, denn es gibt, gerade nicht immer an den Flaggschiffen und Triumphburgen der Hochkultur, längst vielfältige Praktiken, an die man anknüpfen könnte.
Schließlich würde das Museum nicht, wie es Grasskamp ja ganz richtig und anschaulich beschreibt, vor allem in seinen immanenten organisatorischen Zwängen (Finanzierung, Management, Vermarktung usw.) stecken bleiben, sondern könnte freier atmen und sich tiefer als je gedacht im Gesellschaftlichen verankern und damit auch materiell und symbolisch rückversichern.
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