Freitag, 10. September 2010

"Museum" (Texte im Museum 110)

Vor Jahren im Seminar. Ich: "Woran erkennt man eigentlich, daß man in einem Museum ist?". Student: "Weil es drauf steht". Museo Civico, Montefalco

Fundsache - "Scarpa femminile..."

Scarpa femminile. Italie, secona metà del XVIII secolo. Pelle stampata. Museo Civico, Montefalco. Und nun...?

Übersichtlich (Texte im Museum 109)

Museo Civico, Montefalco

Museo Civico Montefalco

Eine signifikante Eigentümlichkeit italienischer Museen ist ihre Beziehung zum Ort und zur Geschichte. Der Bruch, der Musealisierung strukturell immer auszeichnet, ist hier abgeschwächt weil Kunstwerke oder kulturelle Artefakte sehr häufig 'in situ' gezeigt werden können, nicht selten sogar in einer seit ihrem Entstehen unveränderten Zusammenhang.
Auch wenn jede Musealisierung eine Zäsur bedeutet (der Moment, wo das Wort 'Museum' über der Pforte angebracht, Eintrittsgeld erhoben, eine Beleuchtung und Beschriftung installiert wird und vieles andere mehr.
So können auch kleine italienische Museen, die bei uns Dorf-, Stadt- oder Heimatmuseen genannt werden (nicht, daß es nicht auch Vergleichbares gäbe), auf eine derartige typologische Bezeichnung verzichten, weil ihre geschichtliche Tiefendimension und der kulturelle Raum, den sie repräsentieren, einen so ungleich weiteren Horizont hat.
Wer eins dieser Museen betritt, sieht sich unversehens ins 13. Jahrhundert (mit einem Altarbild), ins spätrömische Zeit (mit einer Kleinplastik) oder in die etruskische Epoche versetzt (mit einem Urnengefäß). Solche Museen sind auch nicht immer frei von lokaler Begrenztheit, um nicht zu sagen Beschränktheit, vom typischen Lokalpatriotismus,  von unreflektiertem Sammeleifer.  Aber in der Regel verbietet sich angesichts des riesigen kulturellen Feldes, aus dem die meisten schöpfen, jede Borniertheit.
Ein besonders sympathisches Beispiel eines solchen Museums findet sich in Montefalco. Diese kleine umbrische Stadt, etwa 20 Kilometer von Foligno entfernt auf einem Hügel gelegen, von dem man weite Ausblicke hat, lockt mit einem besonderen Rotwein Touristen an. (Dessen Variante, ein moussierender süßer Sagrantino passito ist eine ziemlich wüste Droge).
Die werden dann gut organisiert ins Museum umgeleitet. Da ist zunächst die Kirche San Francesco, die offenbar nicht mehr als solche fungiert, denn es gibt keinen Hochaltar. Da die Ausstattung der Kirche San Francesco nirgends einheitlich wirkt, sondern wie ein Puzzle aus vielen Teilen, kann man sie wie Werke in einer Galerie betrachten und so sind sie auch beschriftet. Das verleiht dem Ensemble ein wenig den Charakter einer Kunstgalerie, auch deswegen, weil Kappellen und Fresken(reste) durch den Erhaltungszustand zufällig wie jeweils gegeneinander  abgrenzbare Einzelwerke wahrgenommen werden können. Mehrere Maler waren hier am Werk, Benozzo Gozzoli hat das "Das Leben des heiligen Franziskus" (1452) dargestellt, und es gibt Gemälde von Perugino so wie von Malern, die ein Reiseführer berühmt und umbrisch nennt, Tiberio d’Assisi und Niccolò Alunno.
Dann gibt es ein Lapidarium, mit der wir einige Jahrhunderte tiefer in die Vergangenheit und auch tiefer unter die Kirche steigen - eine Sammlung mit bescheidenen Werken und einer umso expressiveren Zeigemaschinerie. Ein kleine Pinakothek in einem oberen Geschoss zeigt Gemälde von eher lokalem Interesse.
Schließlich gibt es noch eine Abteilung, die man am ehesten als so etwas wie ein Stadtmuseum identifizieren könnte. Aber es sind offenbar zufällig überlieferte Objekte, die hier keinerlei erzählerische oder dokumentierende Funktion haben. Es geht hier nicht darum, einen Sinn für die Geschichte der Stadt zu entwickeln.
Es ist ein Sachensucher, wahrscheinlich eher ein Sachenfinder-Museum. Ein winziges Glas aus Murano, ein Frauenschuh aus dem 18. Jahrhundert, kein Paar, ein einzelner Schuh, ein Blasinstrument, ein Wams, eine Art Trompete, Spieße. Nichts durfte weggeworfen werden. Auch nicht das, was von den Wein erzeugenden Mönchen blieb, Pressen, Fässer, das kann man dann zuunterst im Museum besichtigen.
Das Museo Chiesa, wie es sich auch nennt, ist in sehr gutem Zustand, wohl gepflegt, nicht nur die Region, auch die EU haben hier investiert, gleich drei freundliche Damen nehmen einen in Empfang, helfen einem bei der Orientierung, erkennen sogar meinen vom Gebrauch abgeschabten ICOM-Ausweis.
Um die Kassa gibt es einen umfangreichen Shop mit vielen Führern und Kunstbüchern, Sitzgelegenheit. Ein Stockwerk tiefer gibt’s ein Cafe, geräumig, mit etwas Grün nach hinten raus, und Tischchen zur Gasse und einer Leseecke, für die Kunstzeitschriften versprochen werden. Die gabs dann nicht, sondern Bücher über Trüffel, Olivenöl, Restaurants, Wein, Bruschetta und dann noch den aktuellen IKEA-Katalog...

Donnerstag, 9. September 2010

Annonce (Texte im Museum 108)

MART Rovereto

Das Jüdische Museum der Stadt Wien. Eine neue Entwicklung oder eine Zeitungsente im Sommerloch?

Das Jüdische Museum der Stadt Wien geistert durch das Sommerloch. In der gestrigen Ausgabe der "Presse" gleich in zwei Varianten. Während die Printausgabe eher in nüchternem Berichtston den Wunsch von Ariel Muzikant (Präsident der Wiener Kultusgemeinde) referiert, das Museum zu verlegen und neu zu bauen, verknüpft die Onlineausgabe den Vorstoß mit derselben Idee des Direktors des Wienmuseum, Wolfgang Kos, auf dem sogenannten Morzinplatz ein Museum zu bauen.
Nur reden die beiden von zwei verschieden Museen, jeder von 'seinem'.
Während aber Wolfgang Kos als Direktor legitimiert und verpflichtet ist, über Perspektiven der Entwicklung des von ihm geleiteten Museums nachzudenken, ist die Wortmeldung eines Präsidenten der Kultusgemeinde eine Intervention.
Die Online-Ausgabe der Presse spitzt diese Tatsache gleich zum Konflikt zu: Die Schlagzeile "Muzicant sorgt sich um Speras Museum" setzt voraus, daß es etwas gibt, worum man sich sorgen machen muß und legt nahe, daß dies etwas mit der Direktorin zu tun hat, die in journalistisch nicht ungewöhnlicher Plakativität gleich als 'Besitzerin' (ihr Museum) apostrophiert wird.
Den beiden Presse-Artikeln ist nur ein Motiv zu entnehmen, warum Ariel Muzkant sich eine Absiedlung und einen Neubau wünscht: Wir haben die zweitgrößte jüdische Sammlung in ganz Europa und haben überhaupt keinen Platz, sie darzustellen." 
Die Art und Weise, wie er sein Anliegen - eine erstaunliche Präjudizierung -, mit einem Urteil über die Leiterin verknüpft, kann man vor dem Hintergrund einschlägiger Gebräuche im Umgang mit Personen und Taktiken, sie zu beschädigen, schwerlich anders als - gelinde gesagt - Warnung verstehen. "Man muss ihr eine Chance geben, neu zu beginnen." Er erwarte "jede Menge Neuheiten" und er habe auch betreffend des Neubaues "volles Vertrauen, dass die Frau Dr. Spera das gut machen wird".
Ariel Muzikants Kompetenz in Museumsfragen muß nicht groß sein, solange er sich nicht derart eingreifend äußert. Seine Maxime, 'die Sammlung muß gezeigt werden' ist an Schlichtheit aber nicht so weit entfernt von jenen Ideen, die Daniel Spera, z.B. in persönlich eingefärbten Interviews und Lifestyle-Magazinen wie nebenbei einflicht. Sie muss, so kurz nach Amtsantritt, noch kein konzises Konzept haben, aber die Äußerungen lassen vermuten, daß das Museum ohne Not seine wesentlichen Qualitäten einbüßen könnte. Beiden, Muzikant und Spera, scheint es nicht sehr viel zu kümmern, was das Museum war und ist, eines der bedeutenden Museen europaweit, und beiden scheint die Verantwortung nicht so ganz bewußt zu sein, nur dann etwas Neues zu machen, wenn es eine neue, über das bisherige hinausreichende Qualität hat.

Museo Civico Siena

Daß auch das Museo Civico mit seinen historischen Räumen des Palazzo Publico in demselben abgelebten, 'abgewohnten' Zustand ist, wie die Pinacoteca, ist schon erstaunliche. Der Palazzo Publico ist doch das historische Herz der Stadt und ist noch immer ihr Zentrum und auch noch der Sitz der Stadtverwaltung.
Ich denke, daß ich bei diesem Besuch zum ersten Mal den Ort als Museum, als 'Stadtmuseum', wahrgenommen habe. Der Palazzo Publico ist auch für mich als Tourist so sehr mit dem Leben der Stadt verbunden, z.B. in den Tagen des Palio, daß selbst die jahrhundertealten Räume so etwas wie Gegenwart sind.
Am stärksten gilt das für mich für jenen Saal, der dem Traum der befriedeten zivilien Stadt galt. In den 1330er Jahren entwarfen hier die Brüder Lorenzetti - buchstäblich - ein Panorama der politischen und gesellschaftlichen Ängste und Träume. Auf der einen Seite die bedrohliche, zivilisierend überwundene zwieträchtige, gewaltförmige Stadt, gegenüber die befriedete, von Handel und Wandel erfüllte Stadt, im balancierten Austausch mit dem umgebenden Land gezeigt. Und einer erstaunlichen Utopie: die Figurengruppe, die bedeutungsperspektivisch die wichtigste ist, sind Frauen die zu Musikinstrumenten am Platz vor der Häuserzeile tannzen und singen.
Zwischen den beiden Fresken die Allegorie all jener verwaltungstechnisch-politischen Errungenschaften, die aus Siena für einige Jahrzehnte zu einer der bedeutendsten und mächtigsten Stadtrepubliken des Mittelalters machten: Verwaltung, Rechtssprechung, ein von Außen angeworbener, also 'neutraler' 'Bürgermeister' (Podesta), Sicherheit für mittel- und langfristige Handelsgeschäfte, für Handwerk und später auch für Bankgeschäfte.

Im Saal davor das gewaltige Marienbild, das der Schutzpatronin der Stadt galt, die den Sienesen bei der Schlacht von Montaperti half, die rivalisierende Stadt Florenz zu besiegen, wovon ein weiteres berühmtes Marienbild zeugt, das aus Dankbarkeit bei Duccio in Auftrag gegeben, als Hochaltar im Dom diente ehe es, wohl aus konservatorischen Gründen, ins Dommuseum gebracht wurde.
Da hatte aber schon die Emanzipation der weltlichen Macht von der Kirche begonnen, die großen Versammlungen fanden nicht mehr im Dom statt, sondern vor dem Palazzo Publico, am Campo, also einem Feld, später dann ein gepflasterter Platz.
Seit dem 16. Jahrhundert findet hier alljährlich und zweimal der Palio statt, ein Wettstreit der Contraden (der Stadtviertel) in Form eines Pferderennens. An diesem so lebendigen wie komplexen Fest scheint mir das Bemerkenswerteste, daß es ganz und gar von der Dialektik von Differenz, Konflikt einerseits und Gemeinschaftlichkeit andrerseits bestimmt ist. Es gibt die jährlichen Sieger, aber nie den Sieger, der Wettstreit läßt sich nie befrieden, er ist notwendig, er wird im 'Kampf' - der im Rennen sehr erbittert sein kann -, ausgetragen, gleichzeitig aber sublimiert in seiner Funktion, die Stadt zu erneuern und zu repräsentieren.
Wo es andernorts, vor allem in totalitären oder autoritativen Gesellschaften, das Opfer ist, das die Vergesellschaftung symbolisch oder auch praktisch (im Faschismus, im Nationalsozialismus) bewerkstelligt, ist es hier das Spiel, auch eine Tradition der protodemokratischen Geschichte der Stadt, die hier lebendig gehalten wird.
Deswegen ist der Palazzo Publico (und nicht nur deswegen) und das Museum der zentrale Ort von Siena, den ich jedem Besucher zu allererst empfehle.
wieder meine Reverenz erwiesen und die Maesta gewürdigt, aber dann, als ich den Nebenräumen war, hab ich bald die Flucht ergriffen, in Richtung Café am Campo.

Die Ordnung der Dinge (Texte im Museum 108)

Pinacoteca Nazionale, Siena

Mittwoch, 8. September 2010

Fundsache - "Erzählautomat"

Es gibt sie noch, diese Vorläufer des Audioguide, den stationären "Erzählautomaten", meist im Verbund mit dem Beleuchtungsautomaten (100 Lira für einige Minuten) vornehmlich in Kirchen Italiens zu finden. Es wird zeit ein "Museum der Museums- und Ausstellungsmöbel zu gründen". Viele dieser Spezies sind vom akuten Aussterben bedroht.

Genio Creativo Umano (Texte im Museum 107 = Texte, die Museum machen...)

Pienza, Palazzo Comunale

Fundsache - "Ghismonda"

Bernardino Mei (Siena 1612 - Rom 1676): Ghismonda (Ausschnitt) Pinacoteca Nazionale Siena



Das ist schon ein etwas bizarres Gemälde. Nach all den moderaten Heiligen, an denen man in der Pinakothek vorbeiflaniert ist, dann diese Frau, die ein Herz in der Hand hält, als wolle sie es wie eine Orange auspressen. Ghismonda?
Hier ihre Geschichte (von Bocaccio verfasst): Eine Geschichte, die von Boccaccio stammte und von Christine de Pizan nacherzählt wurde, handelt von der Liebe zwischen einer Fürstentochter namens Ghismonda und einem Knappen namens Guiscardo. Ghismondas Vater, der Fürst von Salerno, liebte seine Tochter so abgöttisch, daß er sie mit niemandem verheiraten wollte. Als der Herzog von Capua höchstpersönlich um ihre Hand bat, gab der Fürst schließlich nach. Bevor aber die Ehe geschlossen werden konnte, starb der zukünftige Schwiegersohn, und der Fürst hatte seine Tochter wieder für sich ganz allein. Diese aber, sich ihrer Schönheit und ihres jungen Alters bewußt, sehnte sich nach Liebe und einer sexuellen Beziehung. Auf dem Hof ihres Vaters lebte ein Knappe namens Guiscardo, der ihr sehr gefiel. Nachdem sie über diesen Erkundigungen eingezogen hatte, die bestätigten, daß der Knappe "treu, gütig und rechtschaffen" war, bat sie ihn schließlich um seine Liebe. Die beiden trafen sich von nun an heimlich und verbrachten eine glückliche Zeit miteinander, bis - ja, bis Ghismondas Vater aus Versehen hinter diese Beziehung kam. Vor Wut ließ er jenen Guiscardo gefangennehmen und foltern und machte seiner Tochter den Vorwurf, daß sie "den Geringsten seines Hofes" zum Geliebten gewählt und ihren Ruf geschändet hätte. Ghismonda versuchte ihrem Vater zu erklären, daß sie auch nur ein Mensch aus Fleisch und Blut wäre und sich nach körperlicher Liebe sehnen würde. Da er ihr aber die Ehe bisher verwehrt hätte, hätte sie sich selbst nach einem Mann umschauen müssen. Ihren Geliebten Guiscardo träfe keine Schuld, denn sie hätte ihn zu dieser Beziehung überredet und müßte deswegen statt seiner bestraft werden. Der Vater blieb jedoch uneinsichtig, ließ Guiscardo töten und sein Herz in einem goldenen Gefäß zu Ghismonda bringen, um an dieser seinen Zorn und seine Wut auszulassen. Jene indessen küßte das Herz des Geliebten und beging anschließend durch Einnahme eines Giftgetränkes Selbstmord. So rächte sie sich am Vater, der durch die von ihm verordnete Ermordung Guiscardos auch gleichzeitig seine über alles geliebte Tochter verlor.

Sicherheitsgarantien (Texte im Museum 106)

Pinacoteca Nazionale, Siena

Durchsuchungserlaubnis (Texte im Museum 105)

Pinacoteca Nationale Siena

Pinacoteca Nazionale Siena

Der Pinacoteca Nazionale scheint die Commune di Siena nicht viel zuzutrauen. An der Ecke, an der ein Schild zum Dom, Dommuseum und dem Complesso museale St. Maria della Scala weist, fehlt der Hinweis auf das nur hundert Meter geradeaus in der Gasse liegende Museum.
Ich hatte eine vage Erinnerung an einen sehr lange zurückliegenden Besuch, die ich auffrischen, eigentlich revidieren wollte. Ich hatte nur die nicht enden wollende Ansammlung von Heiligenbildern, namentlich Madonnen, in Erinnerung.
Es ist mir nicht gelungen, diesen Eindruck zu revisieren. Im Gegenteil. Es braucht bis in den Saal 15 ehe da ein profanes Bild auftaucht, ein Triumph Davids, ein bescheidenes Werk, das ich dennoch dankbar annahm. Bis dahin: Madonnen. Mit nach links geneigtem Kopf. Mit nach rechts geneigtem Kopf. Mit dem Kind auf dem linken, mit dem Kind auf dem rechten Knie. Nun entwickelt die (senesische) Malerei der Gotik dabei kaum über bestimmte Konventionen hinausgehende Bilderfindungen. Es gibt gute und schlechtere Bilder, Bilder, die man nicht unbedingt in einer 'National'Galerie erwarten würde und einige wenige herausragende, z.B. von Duccio oder den Lorenzetti.
Der Eingangsbereich
Der 'Überwachungsraum'
Man muß sich schon weit im Museum vorwärts bewegt haben, um endlich stilistisch-ikonografische Auflockerung zu bemerken, das Heiligenpersonal wird abwechslungsreicher, ab und zu taucht mal etwas Erzählerisches, oder, im Hintergrund, eine Landschaft.
Kenner der senesischen Malerei werden hier begeistert werden können, als Durchschnittsbesucher (mit kunsthistorischer Bildung) blieb mir das alles ziemlich fern. Da es um eine einzige Mal'schule' geht, die sienesiche - als Überraschungsgast taucht mittendrin eine elisabethanische Königin auf -, begnügt sich das Museum mit einer Chronologie vom Raum 1 im ersten Geschoss bis zum Raum 36 oder 37 oder… im zweiten Geschoss. Die üblichen, knappen Beschriftungen geben, wie so oft in Kunstmuseen, keinerlei Hinweise auf Auftraggeber, Stifter, Künstlerbiografien, Anlässe für Bilder.
Gegen die übrigen musealen Orte der Stadt ist so das Museum chancenlos. Außer mir gab es nur noch zwei Besucher.
Was den Besuch vollends trostlos macht, ist der Zustand des ganzen Hauses. Es ist eines jener Museen, wo man schon beim Betreten das Gefühl hat, es geht um ein Museum, das sich selbst aufgegeben hat. Alles wirkt provisorisch, abgewohnt, verbraucht, schäbig. Es fehlen Bilder und Objekte ohne jeden Hinweis, als ob sich da Werke aus Verzweiflung über ihr tristes Dasein einfach aus dem Staub gemacht hätten, hie und da gibt es Spuren von Erneuerung, aber lange schon liegengelassen, die Beleuchtung ist schlecht, der Zustand vieler Bilder auch.
Die Dame an der Kassa reicht mir das Ticket und weist mich an eine weitere Mitarbeiterin, die neben ihr hinter dem Bord sitzt. Sie verlangt meinen Pass - nur so bekommt man einen Schlüssel für ein Schließfach für das kleine Gepäck. Dort hat man den Einblick in einen leeren Raum, in dem von niemanden beobachtet Monitore stehen. Das Aufsichts-Personal in den Räumen rettet sein Leben, indem es nicht der trostlosen Tätigkeit des Umherflanierens auf immer gleichen Wegen vor immergleichen Bildern nachgeht, sondern heftig Plaudernd in Gruppen zusammensteht oder (die Männer) -sitzt.
Zimmer mit Aussicht, auf Siena immerhin
Das hat den Vorteil, daß man als Besucher frei und unbeobachtet durch die beiden Galeriegeschosse wandeln kann und sich nicht um das Fotografierverbot kümmern muß, das buchstäblich in jedem Raum (!) auf abgenudelten Zetteln erinnert wird. Vor der Garderobe werden, mit mehrfacher Wiederholungen, die diversen Verbote und Regelungen, einschließlich der Paß gegen Schlüssel, angekündigt und man liest die erstaunliche Ankündigung, daß das Personal jederzeit das Gepäck der Besucher durchsuchen darf.
Gegen Ende des Museumspfades wird es dann noch mal interessant, hier finden sich einige interessante und merkwürdige Gemälde von mehr oder minder bekannten Malern des Manierismus, allen voran mehrere herausragende Werke von Demonico Beccafumi. In diesen Räumen vergisst man für einen Moment, daß das Museum um einen herum langsam zu Staub zerfällt - bis sich die Stadt Siena einmal entscheiden wird, ihrer Gemäldesammlung eine gründliche Überholung zu gönnen.

Sonntag, 5. September 2010

Entkommen möglich! (Texte im Museum 104)

Complesso Museale Santa Maria della Scala, Siena. Archäologisches Museum

Das Ospedale Santa Maria della Scala in Siena - ein Museumslabyrinth

Das Ospedale Santa Maria della Scala in Siena, ein riesiger Architekturkomplex, dem Dom unmittelbar gegenüber gelegen, war bis in die 70er-Jahre Spital.
Ein frühmittelalterlicher Raum, der wiederhergestellt wurde, mit Säulen und Fresken, diente bis zuletzt als Notaufnahme. Jetzt ist das ein riesiger Komplex aus Museum, Kindermuseum, Ausstellungsräumen, Veranstaltungsorten, Archiv, Restaurierwerkstatt.
Aber das ist noch nicht alles. Außer beim Besuch jener Kirchen in Rom, die aus mehreren Zeit-Schichten bestehen, in die man hinabsteigt bis man zu den frühchristlichen Katakomben kommt, habe ich noch nie einen Ort kennengelernt, wo ein derart merkwürdiger und überraschender Weg wie durch die Schichten einer archäologischen Grabung in die Tiefe führt.
Mitte der 80er-Jahre begann mit dem Planen, bald danach waren hier Ausstellungen zu sehen. Jetzt nennt sich das Ganze ein Museum under construction, es wächst mit dem Fortschreiten der Restaurierung und seiner Finanzierbarkeit. Immerhin, so habe ich wo gelesen, geht es hier um einen Raumkomplex im Volumen etwa das Vierfache des Domes.
Ganz oben zunächst das Erwartbare - Kassa und Shop, in einer riesigen Halle, wo die Intervention des modernen Möbel-Ensembles, Infodesk, Büchersockel etc. einen vorbereitet auf die Museografie, die man als bewußt kontrastierende Intervention in die Historischen Räume implementiert hat.
Dieses oberste Geschoss des Ospedale beeindruckt vor allem durch riesige Räume, die wohl ehedem als Kranken'zimmer' genutzt wurden und durch mehrere sakrale Räume, die mehr oder minder fragmentarischen in ihren Überlieferungszustand zurückversetzt wurden. An die Funktion eines Spitals erinnert hier nichts mehr.
Außer ein großer Freskenzyklus, den einer der geistlichen Leiter des Instituts nach dem Motto stiftzete "Tue Gutes und rede darüber!". Die Bildpropaganda illustriert die Arbeit des Ospedale, aber wie weit sich die Bildgeschichte mit der Wirklichkeit deckt, bleibt offen.
Erstaunlich ist, wie man in diesen ersten Räumen schon bemerken kann, wie unbekümmert das moderne Ausstellungsenvironment in den historischen Kontext interveniert. Die gesamte Sockelzone ist Text, genauer gesagt Textträger, denn der eigentliche Text würde ungleich weniger Raum verbrauchen oder nahezu keinen, wenn man auf die in anderen Räumen verwendten entnehmbaren Textblätter zurückgegriffen hätte.
Die Betextung legt einen Parcours durch die Geschichte des Gebäudes und Nutzung der Räume. Im Einzelnen ist das meist wenig interessant, als Ganzes eindrucksvoll.Überraschend ist ein Kindermuseum, das vor allem mit einer Sammlung von Kindheitsdarstellungen arbeitet, und eine unvermittelt sich öffnende Gipsotec, wo ich mir nicht ganz sicher war, ob das entschieden zu weit getriebene Hell-Dunkel einem technischen Gebrechen (partieller Lichtausfall) oder einem rabiaten Konzept zu verdanken war.
Das Abenteuer begann für mich, als ich einem abwärts führenden Pfeil folgte. Dort kommt man in ein labyrinthisch verzweigtes Geschoß offenbar noch genutzter (?) sakraler Raume. Sie dienten Bruderschaften, die, seit dem Mittelalter hier 'ansässig', sowohl kirchliche als auch politische Machtkerne bildeten. Das Subterrane und Klandestine der Räume, vollgepfropft mit jenem religiösen Mobiliar und Nippes, das ästhetisch grausam, funktionell kaum durchschaubar eine ebenso zählebige wie morbide Spielart des Katholizismus repräsentiert, der spirituelle Spuk und Kitsch, das alles gerät durch das Düstere der höhlenartigen Räume und die spärliche Beleuchtung an den Rand des Erträglichen. Unheimlich ist noch ein freundliches Wort für diese merkwürdig nekrophile Aura, die hier - ganz unberührt von der musealen und touristischen 'Welt da oben', herrscht.
Dann ein weiteres Geschoß, das noch mal diesen seltsamen Männerbünden mit bombastischen religiösen Namen vorbehalten war. Die Ausstattung dürfte weitgehend aus dem 19. Jahrhundert stammen und wirkt schon auf den ersten Blick kurios. Einerseits deutet das Mobiliar auf Versammlung und Zusammenkunft, andrerseits gibt es so viele Bilder an den Wänden, daß man an eine Galerie erinnert wird. Das sind Werke von Künstlern, die von den Bruderschaften finanziell unterstützt wurden. Zusammen mit den an antike Heroen erinnernde Marmorbüsten diverser uomini illustri macht das schon mal einen zwar profaneren, aber nicht minder unheimlichen Eindruck.
Dann gibt es einen winzigen Raum, sechs, sieben Stühle, ein Tisch mit einem Lehnsessel, der dem hier Sitzenden einen besonderen Rang verliehen haben muß, an den Wänden Bilder, die, mit einer Ausnahme mehr oder minder freizügig bekleidete Frauen zeigen. Eine Tapetentür. Sonst nichts. Auch einen der neuen Infotexte gibts hier nicht. Man soll sich bei diesem Sanktuarium denken, was man will.
Dann noch eine Treppe runter, das ist möglich wegen der steilen Hügel, die man verbaut hat. Man ist nie innen und unten, sondern  bewegst sich sozusagen den Steilhang runter.  Plötzlich steht man in einem (modern restaurierten) fast endlosen gewölbten Gang (mit einem Ausgang, schätzungsweise vier Stockwerke unter dem Eingangsniveau). Nächste Überraschung: völlig unerwartet steht man vor zwei der beim Palio benutzten Wagen, auf den der eigentliche Palio, die 'Siegerfahne' und immer ein Marienbild vor dem Pferderennen, das um den Campo führt, um den Platz geführt wird.
An einer Seite dann Glastüren, die zum Archäologischen Museum führt.
Obwohl diese nun zum complesso museale der Santa Maria della Scala führt, entpuppt es sich als eine Welt für sich. Und als was für eine! Einen ähnlichen Ausstellungsraum habe ich nur einmal gesehen, im "Berg der Erinnerungen" (2003), einer Ausstellung in den als Bombenschutzkeller genutzten Kavernen im Grazer Schloßberg.
Wozu auch immer diese Gänge in den Berg gegraben wurden, labyrinthischer kann kaum etwas sein. Besucher gibt es wenig, Aufsicht keine, und es könnte einem etwas bange werden, wenn nicht in gewissen Abständen an die zwei Notausgänge und ihre leichte Erreichbarkeit von jedem Punkt der Ausstellung aus, erinnert würde.
Man beginnt arglos, biegt um eine Ecke, wird in  die Gegenrichtung geschickt, einen langen abwärts führenden Gang, und immer wenn man denkt, jetzt ist es zu Ende, jetzt müsse man umdrehen und den Weg zurückfinden, ohne Ariadnefaden, dann entdeckt man einen weiteren Pfeil der einem einen Weg weist, nicht zu ein oder zwei weiteren Räumen, sondern zu einem weiteren Abschnitt des Höhlensystems.
Griechische, römische und vor allem etruskische Funde sind zu sehen, übrigens so karg beschriftet, wie man nur karg beschriften kann, etwas dramatisiert beleuchtet, also das Hell-Dunkel der Höhlenräume unterstreichend, als um Sichtbarkeit der Details bemüht. Einheitliche Holz und Faserteppiche, eisengerahmt, von der Wand etwas abgesetzt, lassen einen wie auf Bootsstegen die Sammlungen durchqueren.
Urnen, Münzen, Vasen, Reliefs, Spolien, Figürchen, Beilklingen - an was kann ich mich noch erinnern? Zu irgendeiner Kunst- und Kulturgeschichte setzte sich das für mich nie zusammen, wahrscheinlich müsste man all die entnehmbaren Blätter durchlesen oder sich einen Katalog beschaffen. Noch dazu stützt sich die Gliederung nicht immer auf Chronologie, sondern ehrt Sammlerpersönlichkeiten, indem sie deren Sammlung beisammen lässt und als Einheit ausstellt.
Ein Objekt hat es mir besonders angetan, ein Relief von einem Sarkophag aus dem 2. Jahrhundert nach Christus. Dargestellt sind die Musen und einige männliche Personen, deren Bedeutung ich nicht kenne. Das Relief ist gut erhalten und hat eine überdurchschnittliche Qualität. Leider war in der Ausstellung nichts über den Kontext dieses Fundes zu erfahren. Musendarstellungen haben mich zu interessieren begonnen, als ich mich mit der Etymologie von 'Museum' und dem Musen-Mythos beschäftigte. Eine der Musendaß ihre Linke die Leier nur wie beiläufig hält, die Finger durch die Saiten geflochten, so als ob sie - gestützt auf ihre Lektüre - gleich wieder zu singen beginnen würde...