Dienstag, 9. März 2010
Das Genie kann nicht erklärt werden. Deutungsängste im Zeitalter von CSI
Das Wiener Kunsthistorische Museum widmet einem seiner berühmtesten Gemälde eine eigene Ausstellung: Vermeer. Die Malkunst. Spurensicherung an einem Meisterwerk.
Die Ausstellung beginnt mit einer (Ent)Täuschung, mit einer Replik des Gemäldes (von Sophie Matisse), auf der allerdings die beiden Figuren, der Maler und die Muse, fehlen. Das ist ein kleiner Schock, der allererst mal unsere Wahrnehmungsfaulheit aufstört, ein Versuch, dem Bild, das man im Kopf schon fertig mitgebracht hat, in die Quere zu kommen.
Man hat aber vor diesem fragmentierten Bild beruhigenderweise schon das Original im Blick.
Restauriert und neuerlich mit naturwissenschaftlichen Methoden auf seinen Zustand untersucht. Und von Besuchern umlagert, viele mit einem Audioguide am Ohr, einige ins nicht immer nur kunstbeflissene Gespräch vertieft, manche mit dem Handy, von denen einer mich zum unfreiwilligen Zeugen eines Erbschaftsstreites um ein Haus werden ließ...
Die Zustandsanalyse, die man vorgenommen hat, nachdem das Bild seit Jahrzehnten immer und immer wieder auf Reisen geschickt wurde, scheint einer der Anlässe für die Ausstellung zu sein. Ein zweiter Anlass war möglicherweise eine aktuelle Restitutionsforderung der einstigen Besitzerfamilie, die das Bild zwar an Adolf Hitler verkauft hatte (der es für das Führermuseum in Linz wünschte), aber den Besitzanspruch des Kunsthistorischen Museums derzeit anficht.
Sowohl die Provenienzgeschichte des Werkes (die sich nicht lückenlos rekonstruieren läßt) und der Restitutionsanspruch sind (neutral aber nicht besonders differenziert) dokumentiert, als auch die ‚Reisetätigkeit’ des Gemäldes, die bald nach dessen Aufnahme ins Museum einsetzte. Auf einer riesigen schematischen Landkarte werden die Reisen markiert, auf die man das Bild geschickt hat, ergänzt von einer langen Liste von Entlehnungen. Hier wird ein eher unterschwelliger, normalerweise nicht an das Publikum adressierter Diskurs sichtbar gemacht, in dem sich Restauratoren und Kuratoren gegenüberstehen. Wo letztere – aus verschiedenen Motiven (finanziellen, institutions- oder bildungspolitischen) – das Zirkulieren der Bilder eher fördern, bremsen Restauratoren mit Hinweis auf die Fragilität des Materials.
Das kann bis zu einer Haltung gehen, Werke nur unter restriktiven Auflagen zu zeigen oder überhaupt der Öffentlichkeit im Namen einer unbestimmten Lebensdauer des Artefakts entziehen zu wollen, und nicht immer ist den Beteiligten die Paradoxie einer solchen Haltung bewußt, die den ‚Genuß’ des Werks auf einen nie kalkulierbaren, vielleicht auch nie
eintretenden fernen Tag verlegt.
Der technische Fortschritt, das zeigt die Ausstellung, erlaubt immer feinere Introspektionen, so daß sich auch der Begriff der Beschädigung verändert und bis in die Mikrostruktur der Materialien hinein verschiebt. Man fragt sich, unter welchen Umstanden denn ein Bild noch manipuliert, gezeigt, verliehen werden kann, wenn schon die winzigste Veränderung als für das Werk bedrohlich interpretiert wird. Steht dahinter nicht ein Phantsma einer ewigen Dauer, das uns (im Museum ohnehin) stellvertretend durch die Dauer der Dinge über unsere eigene Endlichkeit hinwegtrösten soll?
Konsequenzen kann ein restauratorischer Befund auch für die Werkdeutung haben. Das Kunsthistorische Museum hat bereits mehrere Ausstellungen ausgerichtet, in denen naturwissenschaftlich fundierte Untersuchungen nicht nur die Basis der restauratorischen
Beurteilung sondern auch neuer Einsichten in den’Sinn’ eines Werkes sein sollten.
Aufgefallen ist mir das zum Beispiel an der Giorgione-Ausstellung, wo viele Röntgenaufnahmen - ähnlich wie die Spurensicherung einer Krankheit beim Menschen – objektivierbare Indizien der Werkinterpretation liefern sollten. Man konnte den Eindruck gewinnen, daß damit die Deutungsoffenheit des Werkes als auch der lebendige und fließende‚ Text’ der Interpretationsgeschichte in den Hintergrund gedrängt werden sollten - zugunsten nur noch derjenigen Befunde, die wie naturwissenschaftlich untersuchte und geprüfte kriminologische Indizien zweifelsfrei ‚feststellbar’ und ‚belegbar’ sind. CSI statt art history?
So vielfältig der konservatorische, historische, zeitpolitische (Restitution) Kontext des Vermeer-Gemäldes auch dokumentiert wird, einschließlich der – charakteristischerweise nur technischen – Produktionsbedingungen, so erstaunlich wenig erfährt man über die Bedeutungen und Bedeutungsgeschichte. Zwar gibt es eine interaktive Station, wo man chronologisch aufgefädelte Äußerungen von Kunst- und Kulturwissenschaftern abrufen kann, aber alle diese Zitate bekräftigen nur den Status des Künstlergenies und des Meisterwerkes und erschließen nichts von den unterschiedlichen Interpretationen. Dort wo die Ausstellung auf die Bedeutungen zu sprechen kommt, verweist sie uns bezeichnenderweise auf ‚Realien’, auf die im Bild dargestellten Objekte, die – als Original oder Replik – gezeigt werden.
Das Wams des Malers, die Trompete der Muse, die Landkarte der Niederlande, das Modell einer Camera Obscura vor einer Puppe des Malers und anderes mehr. Ich habe nicht verstanden, welchen Mehrwert an Einsichten ich gewinne, wenn ich diese Dinge nun nicht auf der Leinwand, sondern dreidimensional, physisch präsent, vor allem aber vereinzelt zu sehen bekomme. Wenn doch deren Bedeutung sich erst im Bild und gemeinsam mit allen anderen Elementen herstellt? Das ‚Reale’ der Dinge ist gerade im Bild und durch ihre Transformation zum Bildgegenstand auf eine andere Weise real, als es diese selbst als haptische Exponate im Ausstellungsraum sind. Während das physische Ding uns durch seine Präsenz eine greifbare Konkretheit zu vermitteln scheinen, löst sich im Bild diese Eindeutigkeit auf, und es beginnt jene offenbar unabschließbare Semiose, die wir im ‚Lesen’ des Bildes immer weiter und weiter treiben und bei dem es nie einen Abschluß, nie Eindeutigkeit gibt.
In Hinblick auf Ausstellungen scheint diese Offenheit der Wirkung von Dingen und damit der ‚Botschaft’ ganzer Ausstellungen schon lange als beunruhigend empfunden zu werden. Produktionsanleitungen und -regeln (wie solche zum Verfassen von Texten), Evaluationen, Motivforschung, empirische Kontrolle des Lernprozesses, alle diese Versuche deuten auf eine Sehnsucht nach Vereindeutigung des vermittelten Sinns hin. In der Vermeer-Ausstellung scheint sich die Sehnsucht auf das Werk auszudehnen. Soll das Beunruhigende, das Verstörende, das Nicht-Fassbare, möglichst vermieden, eingeschränkt werden?
Immerhin öffnet die Ausstellung mit der Konfrontation des Originals mit von ihm inspirierten zeitgenössischen Arbeiten den Deutungsspielraum. Das erwähnte Gemälde, vor dem man als erstem Objekt beim Eintreten in die Schau steht und eine kleine Sammlung weiterer Bilder bzw. Filme – allerdings nicht im Hauptraum – bringen die Assoziationsmöglichkeiten in Bewegeung. Den witzigen Schlußpunkt darf Maria Lassnigs Trickfilm setzen. Mit ihm thematisiert sie das Verhältnis Maler Modell als einen geschlechtspezifischen Beziehungsmodus, an dessen Ende die Umkehrung und damit die der Macht- und Blickverhältnisse stehen: jetzt steht der Maler Modell – nackt – und die Muse sitzt an der Staffelei.
Ungerührt von der Drastik dieses kurzen Films fabuliert der kommentierende Text, den zentralen Witz des Werks ungerührt mißachtend, vom „ewigen Geschlechterkampf". Die Maler – Modell-Beziehung ist ein gut von der Kunstwissenschaft erforschtes Feld und ist auch ein zentrales Motiv (neben vielen anderen) in Vermeers Bild. Warum wird nicht damit gearbeitet? Warum arbeitet man nicht mit den Motiven des Bildes und den wichtigsten Deutungen? Eine Analysis of a Masterpiece, wie der Untertitel übersetzt heißt, das bietet die Ausstellung gerade nicht - beziehungsweise nur in Splittern. Spurensicherung an einem Meisterwerk, der originale Untertitel, passt auch besser zur Haltung der Ausstellung. Es geht nicht nur um die Sicherung des Werkes (die des Stofflichen, durch Restaurierung und Konservierung), es geht auch um das, was sicher gewußt werden kann. Aber Kommunikation mit Kunst entzieht sich dieser Versicherung und läuft immer auch quer zu den oder gegen die institutionell absicherbaren und offiziellen Hinsichten – und auch über das naturwissenschaftlich Feststellbare hinaus.
PS.: Zum Zustand der Ausstellungskritik greife man zur Frankfurter Rundschau. Nicht mal Maria Lassnig ist richtig geschrieben. Dafür gibts ziemlich viel Bewunderungsschwulst für Vermeer. Nüchterner und lesbarer die Kritik in der taz, wo man aber mit der Zugangsweise zum Bild schnell zufrieden ist: "Es scheint, als solle anhand von Vermeers "Ruhm der Malkunst" eine Einführung in kunsthistorische Methodik gegeben werden. Sie reicht von der Bestimmung der Pigmentschichten unterm Mikroskop bis zur Entzifferung des Nachlassinventars. Es werden die zahlreichen im Bild präsentierten Objekte entschlüsselt, die Wandkarte etwa wird minutiös ausbuchstabiert. Nachgeschneiderte Kostüme werden genauso gezeigt wie Peter Greenaways Hommage an Vermeer in seinem Film 'ZOO'."
Sonntag, 7. März 2010
Freitag, 5. März 2010
Mittwoch, 3. März 2010
Die Schweizermacher. Museum und Imagined Community
Die Summe der kollektiven Bedeutungen der Dinge
soll also die Nationalgeschichte ergeben.
Zweifellos ist diese Materie gefährlich;
aus dem Zusammenhang kann eine Logik entstehen,
die im besten Falle eine künstliche Logik, im schlimmsten eine Scheinlogik ist.
Die Geschichte erscheint als eine ”nicht zufällige” Abfolge,
soll also die Nationalgeschichte ergeben.
Zweifellos ist diese Materie gefährlich;
aus dem Zusammenhang kann eine Logik entstehen,
die im besten Falle eine künstliche Logik, im schlimmsten eine Scheinlogik ist.
Die Geschichte erscheint als eine ”nicht zufällige” Abfolge,
die Aufreihung der Gegenstande ergibt ex post eine Sinngebung.
Die Geschichte erhebt sich aus dem verworrenen Handeln der Menschen
und wird zur logischen Geschichte, zur Heilsgeschichte,
wobei dann angenommen wird, der gegenwärtige Zustand sei das Heil.
Lucius Burckhardt: Wie kommt der Müll ins Museum?
Im Winter von 1853 auf 1854 sank der Spiegel mancher Seen der Schweiz derart, daß es zu auffallenden Entdeckungen von “Überbleibseln menschlicher Thätigkeit” kam, z.B. durch Herrn Aeppli, Lehrer in Ober-Meilen beim Zürchersee. Diese Reste, andere wurden im Bielersee entdeckt, wurden als Zeugnisse von im See errichteten Pfahlbausiedlungen einer keltohelvetischen Bevölkerung gedeutet.
Träger dieser Deutung war die junge Wissenschaft Urgeschichte und gelehrte Gesellschaften wie die Antiquarische Gesellschaft Zürich und ihr Präsident Ferdinand Keller, Ehrendoktor der Universität Zürich. Von ihm stammt der erste Bericht über derartige Funde und eine erste Deutung. Man kümmerte sich um die Sicherung der Fundstücke, ihre Aufbewahrung, regte aber auch weitere Untersuchungen an, im Mai 1854 sogar eine Unterwassergrabung im Genfersee, wahrscheinlich die erste derartige Grabung weltweit.
Die nun breiter einsetzende Forschung und Dokumentation, die in die Vorstellung von keltischen Pfahlbausiedlungen mündete, führte zu umfangreicher und privat betriebener Suche nach Funden und einem schwungvollen, von skandalösen Fälschungsfällen begleitetem Handel. Einer dieser Sammler, Friedrich Schwab, beschäftigte Fischer, die in zahllosen Schweizer Seen für ihn ‚auf Jagd‘ gingen. Er baute rasch die größte ‚Pfahlbauern‘sammlung auf, die er 1865 der Stadt Biel schenkte, die für diese Sammlung ein eigenes Museum bauen ließ (1873). Durch die sogenannte Jurakorrektur sank der Seespiegel um zwei Meter und es kam zu weiteren Funden, die die Popularität der Pfahlbauernkultur nur noch steigerte.
Schattenspiele, Historienbilder, historische Umzüge, Festzüge, Festspiele, Historienmalerei, Presseartikel, Kalender und Ausstellungen transportierten den jungen Mythos und die Aufnahme der Pfahlbauten in die Lehrpläne verfestigten das Bild von den Pfahlbauern transgenerationell. Ein nationalstiftender Mythos war geboren. Die krisenhaft ‚multiple’ Identität, die die Schweizer schon lange beschäftigte, war mit einer Wunschabstammung scheinbar wiederhergestellt.
Wichtig war, daß dieser Pfahlbauernmythos sofort visualisiert wurde: Modelle, Stiche, Gemälde, Illustrationen - schon im 1855 gedruckten “Des Volksboten Schweizer Kalender” - regten die Phantasie an. Heute gilt als erwiesen, daß sich diese Rekonstruktionen urgeschichtlicher Siedlungen, Lebensformen und Architekturen nicht so sehr auf den Tatbestand der Funde bezogen, sondern auf ethnologisches Bildmaterial verschiedener Entdeckungen und Expeditionen, z. B. auf Bilder von Siedlungen in Celebes oder Neu-Guinea.
Niemand bezweifelte die Pfahlbautheorie (nur die dauernde Besiedlung der Siedlungen wurde in Frage gestellt) und mit der Verknüpfung der Pfahlbausiedlung mit der Vorstellung einer Urbevölkerung, von der alle Schweizer, ungeachtet ihrer ethnischen oder sprachlichen Besonderheit abstammten, erhielten diese Forschungen unglaubliche Popularität.
Mitte des Jahrhunderts boten die Pfahlbauern, deren Herkunft und Geschichte zwar selbst unklar war, dennoch die Chance eine 'gemeinsame Stammesgeschichte' zu fundieren. Wie wichtig diese Herkunftsgeschichte war, zeigt die Tatsache, daß die Schweiz sich auf der Pariser Weltausstellung 1867 mit einer Ausstellung von Pfahlbaufunden repräsentierte und zwar in einem Teil der Weltausstellung zum Thema “Geschichte der Arbeit”. Man plante sogar im Park der Ausstellung einen Pfahlbau aufzustellen. Die für die Ausstellung angefertigten Historienbilder kamen - als nationales Monument nach Ende der Weltausstellung in das Bundesratshaus. Die erste vom Bund, also durch den Staat erworbene (übrigens durch ein Gutachten von Rudolf Virchow empfohlene) Sammlung der Schweiz war - eine Pfahlbausammlung (1884). Diese Sammlung wurde ebenfalls im Bundesratshaus ausgestellt.
"Die prächtigen Schädel von Auvernier können mit Ehren unter den Schädeln der Kulturvölker gezeigt werden. Durch ihre Kapazität, ihre Form und die Einzelheiten der Bildung stellen sie sich mit den besten Schädeln arischer Rasse an die Seite."
Schon damals gab es Rekonstruktionen der Gesichtszüge von Pfahlbauern aus den Funden, um Ähnlichkeit mit den 'modernen' Schweizern zu bestätigen. 1899 erklärte die Gartenlaube die Auvernier zu Ahnen der Mitteleuropäer überhaupt:
"Dieses Gesicht ist also das älteste Menschenantlitz aus Mitteleuropa, welches wir heute kennen. Es ist breit, hat eine flache Stirn, vorspringende Wangen, kurze etwas aufstrebende Nase, vollen Mund und schwellende Lippen und deutlich markierte Kieferwinkel. Diese Darstellung beruht nicht auf Phantasie, sondern für all diese Merkmale liegen, wie die genannten Forscher sagen, die unverrückbaren Dimensionen in den Knochen, die das Fundament darstellen! Jahrtausende sind ins Meer der Ewigkeit gezogen, seit diese Frau an dem Ufer des Neuenburger Sees lebte, aber ihre Gesichtszüge sind uns nicht fremd, wir sind ähnlichen unter den heute Lebenden schon begegnet, und sie werden sich auch noch viele Jahrtausende hindurch erhalten."
Erst um 1920 wurde die erste wissenschaftliche Kritik am Pfahlbauernmythos entwickelt, und zwar von H. Reinerth, einem deutschen Forscher, der später Leiter des Amtes Vorgeschichte im Amt Rosenberg in der NS-Zeit war. Dieser politische Kontext bewirkte aber, daß die Kritik in der Schweiz nicht aufgegriffen wurde, sondern, im Gegenteil, zur Stärkung des nationalen Selbstbildes, das Pfahlbauerntum ein Revival erlebte. Erneut wurde die Herkunftsgeschichte vom Pfahlbauerntum in den nationalen Diskurs eingefügt, jetzt zur Abgrenzung zum nationalsozialistischen Deutschland. 1937/38 kam es durch neue Funde zur ‚glänzenden Rehabilitierung‘ der Pfahlbauforschung.
1953/54 begann nun auch in der Schweiz eine Debatte um die Pfahlbauforschung, also 100 Jahre nach den ersten Entdeckungen, und führte zu heftigen, nicht bloß wissenschaftsinternen Kontroversen. Selbst die Schweizerische Gesellschaft für Urgeschichte spaltete sich in pro und contra und lancierte konträre Publikationen.
Heute jedoch gilt die Existenz von in Seen errichteten Siedlungen definitiv als widerlegt.
"Gegenstände neigen nur allzu leicht dazu, eine solche (scheinbar zwingende GF) Logik zu erzeugen. Ein schönes Beispiel sind die Pfahlbauer. Sie waren einst der Stolz der Schweizerischen Nationalgeschichte, und es gab kein Schulhaus, in welchem nicht die Bilder vom Alltagsleben der Pfahlbauer hingen: Die Mutter sitzt auf den Brettern vor der Hütte und schaut über den See, ob der Mann schon vom Fischen heimkehrt; die Männer schleppen den erlegten Baren zum Schiff, voller Vorfreude auf die Begrüßung im Pfahlbauerdorf. Die Pfahlbauer waren so schon wie logisch, und als in den dreißiger Jahren deutsche Gelehrte erstmals publizierten, daß es die Pfahlbauer gar nicht gab, führte dies sogar zu diplomatischen Verwicklungen mit der Eidgenossenschaft. Deutlich spürten die Schweizer, daß sich hier die kulturelle Eroberung und Vernichtung ihres Landes vorbereitet: nicht zufällig kam damals auch Hitler zur Macht...” (Lucius Burckhardt: Wie kommt der Müll ins Museum?)
Banken, Staat, Museum. Ein Krisenbild aus Island und ein Beitrag zu kleinen Serie "Gibt es eine Museumskrise oder nicht?"
Vor etwa 10 Jahren wurden Islands Banken privatisiert. Samt deren Kunstbesitz, der also zu diesem Zeitpunkt Gemeinbesitz war. Man verabsäumte, für die tausende von Kunstwerken eine entsprechende Vereinbarung zu treffen. Anders bei der Privatisierung der isländischen Post geschah, wo der Sammlungsbesitz an ein Museum übergeben wurde und anders als es z. B. bei der Privatisierung der Deutschen Post geschah, wo man diese vertraglich sogar zur Weiterführung von drei Museen verpflichtete.
Nun bieten Islands Banken dem Staat dessen ehemaligen Besitz an. Zum Kauf. Jenen Besitz, den sie bei der Privatisierung gratis erhalten haben. Kein Wunder, daß die Öffentlichkeit aufgebracht und das staatliche Kunstmuseum irritiert ist.
Immerhin ist der Vorgang über Island hinaus beispielhaft: es ist ein 'Modell' wie en bloc scheinbar unantastbarer Gemeinbesitz mit einem Federstrich privatisiert werden kann. Die Banken haben Bilder sogar veräußert (allerdings auch welche gekauft).
Was weiter passiert ist offen. Ein Kompromissvorschlag sieht vor, daß die Kunstwerke im Besitz der Banken bleiben solle, aber öffentlich zugänglich gemacht werden muß – am besten in einer der zum Museum umgebauten Banken. Bank wird Museum?
Aldo Keel: Keine kleinen Summen. Der Kunstschatz der isländischen Banken, in NZZ Online, 3.3.2010
Nun bieten Islands Banken dem Staat dessen ehemaligen Besitz an. Zum Kauf. Jenen Besitz, den sie bei der Privatisierung gratis erhalten haben. Kein Wunder, daß die Öffentlichkeit aufgebracht und das staatliche Kunstmuseum irritiert ist.
Immerhin ist der Vorgang über Island hinaus beispielhaft: es ist ein 'Modell' wie en bloc scheinbar unantastbarer Gemeinbesitz mit einem Federstrich privatisiert werden kann. Die Banken haben Bilder sogar veräußert (allerdings auch welche gekauft).
Was weiter passiert ist offen. Ein Kompromissvorschlag sieht vor, daß die Kunstwerke im Besitz der Banken bleiben solle, aber öffentlich zugänglich gemacht werden muß – am besten in einer der zum Museum umgebauten Banken. Bank wird Museum?
Aldo Keel: Keine kleinen Summen. Der Kunstschatz der isländischen Banken, in NZZ Online, 3.3.2010
Montag, 1. März 2010
Dracheneier und Phönixfedern. Alberto Manguel (Das Museum lesen 03)
Zu meiner Jugendlektüre gehörten die Detektivgeschichten Gilbert Keith Chestertons, die wegen ihres ‚Helden‘, Pater Brown, einem katholischen Priester, berühmt wurden und die verschiedentlich verfilmt und immer wieder im Fernsehen gezeigt wurden. Diesen Pater Brown, der sehr knifflige Fälle in immer erfolgreicher Konkurrenz zur Polizei zu lösen imstande ist, nimmt sich der Schriftsteller Alberto Manguel in seinem wunderbaren Essay zu Sammeln als Modell.
Für die Aufklärung des Todes eines schottischen Lords stehen Pater Brown nur einige Sachen als Indizien zur Verfügung, deren Zusammenhang aber völlig unklar ist. Der ermittelnde Inspektor resigniert: »Keine Anstrengung der menschlichen Phantasie vermag es, Schnupftabak und Diamanten, Wachs und lose Zahnräder in einen Zusammenhang zu bringen«.
Pater Brown schlägt dem verblüfften Inspektor eine Lösung vor: „Der Lord war ein erbitterter Gegner der Französischen Revolution und hatte den Stil der letzten Bourbonen kopiert. Er besaß Schnupftabak, weil dies ein Luxus des 18. Jahrhunderts war, Wachskerzen, weil sie zur Beleuchtung dienten, die Metallteile, weil Ludwig XVI. ein Hobbymechaniker gewesen war, und die Edelsteine verwiesen auf das Brillanthalsband der Marie Antoinette.“
Aber Pater Brown treibt nur ein Spiel, er entwirft immer neue Spekulationen, unter welchen Bedingungen diese Dinge einen gemeinsamen Sinn ergeben könnten. Was uns Manguel zu bedenken gibt ist, daß wir bestrebt sind Ordnung zu stiften, daß diese Ordnung bis zu einem gewissen Grad willkürlich und „nie unschuldig“ ist. Und, daß es viele Möglichkeiten gibt, den Dingen eine sie Bedeutung zu geben.
Auch „Ostereier des Patriarchen von Jerusalem, zwei Federn vom Schweif des Vogels Phönix, ein Dodar von der Insel Mauritius, der ob seiner Korpulenz des Fluges nicht fähig ist und Messingkugeln zum Wärmen der Hände für Nonnen“ bilden offenbar keine sinnvolle Einheit, aber alle diese Dinge fanden sich einmal in einer Sammlung - der der Tradescants.
Man muß nicht ins 16. und 17. Jahrhundert zurückgehen, in die Zeit der Kunst- und Wunderkammern, um wunderliche Dingwelten zu finden, wie etwa 'Thomas Manns Taufkleid, die Totenmaske von Brecht, Röntgenbilder von Erich Kästner, ein Diktiergerät von Hans Blumenberg oder eine Gabel, die angeblich Franz Kafka gehörte'. Das alles findet sich im Literaturmuseum der Moderne in Marbach.
Manguel entwirft eine kurze Geschichte der Ordnungssysteme, um seine These zu stützen, daß diese immer auch fragwürdig gewesen seien – bis hin zu den nationalen und öffentlichen Museen der Französischen Revolution, die sich, wie das Musée des Monuments, gerade bezüglich ihrer Willkürlichkeit Kritik von Zeitgenossen gefallen lassen mussten. Das Musée sei, ärgert sich ein Zeitgenosse, »eine Ansammlung von Trümmern und Särgen aus allen Jahrhunderten, zusammengeworfen ohne Sinn und Verstand in den Klosterräumen der Petits Augustins«.
Gerade mit der Entstehung des öffentlichen Museums werde aber jede Zusammenstellung von Dingen zu einer kategorisierbaren Sammlung, deren einzelnen Elemente im Museum zu Repräsentanten eines übergeordneten Sinns werden. „In den Räumen der Winnipeg Art Gallery ist ein Gemälde von Joyce Wieland nicht mehr das Gemälde, das von der Hand der Künstlerin stammt oder das es im Wohnzimmer von Conrad Black geworden wäre, sondern ein ausgewähltes Beispiel für die kanadische Kunst des 20. Jahrhunderts.“
Manguel zieht aus dieser Entwicklung zunächst einen konservativ-elitären Schluß: um Kunstbetrachtung und –genuß zu ermöglichen, müsse man – gegen die ‚kollektive museale Wahrnehmung‘ – wieder den individuellen Zugang in seine Rechte setzen. „Der Museumsbesuch sollte daher eine einsame Angelegenheit sein.“
Die Kernaussage Manguels ist das aber noch nicht. Erst die zurückgewonnene Individualisierung des Museumsbesuchs, erlaube es, ‚in Freiheit‘ gegen die Regeln des Museums zu verstoßen:
Und die Indizien? Und der tote Lord? Pater Brown stellt „die Vermutung an, daß der Lord ein Doppelleben geführt hatte. Als Dieb benötigte er die Kerzen für seine nächtlichen Raubzüge, den Schnupftabak brauchte er, um ihn, wie alle Bösewichte es taten, seinen Verfolgern in die Augen zu streuen, die Diamanten und Zahnrädchen dienten zum Zerschneiden von Fensterscheiben.“
Aber auch damit foppt er nur den Inspektor, denn, so Pater Brown, nur „zehn falsche Theorien erklären das Universum.«
Alberto Manguel: Dracheneier und Phönixfedern oder ein Plädoyer für die Sehnsucht, in: ders.: Im Spiegelreich. Berlin 1999
Für die Aufklärung des Todes eines schottischen Lords stehen Pater Brown nur einige Sachen als Indizien zur Verfügung, deren Zusammenhang aber völlig unklar ist. Der ermittelnde Inspektor resigniert: »Keine Anstrengung der menschlichen Phantasie vermag es, Schnupftabak und Diamanten, Wachs und lose Zahnräder in einen Zusammenhang zu bringen«.
Pater Brown schlägt dem verblüfften Inspektor eine Lösung vor: „Der Lord war ein erbitterter Gegner der Französischen Revolution und hatte den Stil der letzten Bourbonen kopiert. Er besaß Schnupftabak, weil dies ein Luxus des 18. Jahrhunderts war, Wachskerzen, weil sie zur Beleuchtung dienten, die Metallteile, weil Ludwig XVI. ein Hobbymechaniker gewesen war, und die Edelsteine verwiesen auf das Brillanthalsband der Marie Antoinette.“
Aber Pater Brown treibt nur ein Spiel, er entwirft immer neue Spekulationen, unter welchen Bedingungen diese Dinge einen gemeinsamen Sinn ergeben könnten. Was uns Manguel zu bedenken gibt ist, daß wir bestrebt sind Ordnung zu stiften, daß diese Ordnung bis zu einem gewissen Grad willkürlich und „nie unschuldig“ ist. Und, daß es viele Möglichkeiten gibt, den Dingen eine sie Bedeutung zu geben.
Auch „Ostereier des Patriarchen von Jerusalem, zwei Federn vom Schweif des Vogels Phönix, ein Dodar von der Insel Mauritius, der ob seiner Korpulenz des Fluges nicht fähig ist und Messingkugeln zum Wärmen der Hände für Nonnen“ bilden offenbar keine sinnvolle Einheit, aber alle diese Dinge fanden sich einmal in einer Sammlung - der der Tradescants.
Man muß nicht ins 16. und 17. Jahrhundert zurückgehen, in die Zeit der Kunst- und Wunderkammern, um wunderliche Dingwelten zu finden, wie etwa 'Thomas Manns Taufkleid, die Totenmaske von Brecht, Röntgenbilder von Erich Kästner, ein Diktiergerät von Hans Blumenberg oder eine Gabel, die angeblich Franz Kafka gehörte'. Das alles findet sich im Literaturmuseum der Moderne in Marbach.
Manguel entwirft eine kurze Geschichte der Ordnungssysteme, um seine These zu stützen, daß diese immer auch fragwürdig gewesen seien – bis hin zu den nationalen und öffentlichen Museen der Französischen Revolution, die sich, wie das Musée des Monuments, gerade bezüglich ihrer Willkürlichkeit Kritik von Zeitgenossen gefallen lassen mussten. Das Musée sei, ärgert sich ein Zeitgenosse, »eine Ansammlung von Trümmern und Särgen aus allen Jahrhunderten, zusammengeworfen ohne Sinn und Verstand in den Klosterräumen der Petits Augustins«.
Gerade mit der Entstehung des öffentlichen Museums werde aber jede Zusammenstellung von Dingen zu einer kategorisierbaren Sammlung, deren einzelnen Elemente im Museum zu Repräsentanten eines übergeordneten Sinns werden. „In den Räumen der Winnipeg Art Gallery ist ein Gemälde von Joyce Wieland nicht mehr das Gemälde, das von der Hand der Künstlerin stammt oder das es im Wohnzimmer von Conrad Black geworden wäre, sondern ein ausgewähltes Beispiel für die kanadische Kunst des 20. Jahrhunderts.“
Manguel zieht aus dieser Entwicklung zunächst einen konservativ-elitären Schluß: um Kunstbetrachtung und –genuß zu ermöglichen, müsse man – gegen die ‚kollektive museale Wahrnehmung‘ – wieder den individuellen Zugang in seine Rechte setzen. „Der Museumsbesuch sollte daher eine einsame Angelegenheit sein.“
Die Kernaussage Manguels ist das aber noch nicht. Erst die zurückgewonnene Individualisierung des Museumsbesuchs, erlaube es, ‚in Freiheit‘ gegen die Regeln des Museums zu verstoßen:
„In ihrem Roman Menschenkind Schreibt Toni Morrison: ‚An einen Ort zu kommen, wo man alles lieben konnte, was man wollte - und das Verlangen keiner Erlaubnis bedurfte -, das war die Freiheit.‘ Museen können solche Orte sein, doch kommen sie nicht ohne eine geordnete Struktur aus, denn es liegt im Wesen einer jeden Ausstellung, daß ihr Aufbau, willentlich oder nicht, explizit oder implizit, uns, dem Publikum, einen vorgefertigten Rahmen darbietet, eine ‚geordnete‘ Version des Ausstellungsguts, damit unser Weg durch die Ausstellung einer gewissen Logik folgt. Aber um die Freiheit zu erlangen, die wir brauchen, um die Deutungsklischees zu durchbrechen und die ästhetische Erlebnisfähigkeit wiederherzustellen, die zwangsläufig an der Schwelle zwischen der Bewußtheit und dem Unbewußten liegt, müssen wir die vorgegebene Ordnung verletzen, in Frage stellen. Um Regeln zu brechen, brauchen wir Regeln, und diese liefert uns das Museum.“Das ist eine überraschende Schlussfolgerung. Die Regeln des Museums sind dazu da, um gebrochen zu werden, also auch die Ordnungssysteme, um unterlaufen zu werden. „Jeder Besucher muß sein Drachenei und seine Phönixfeder selbst einfordern. Und die Öffentlichkeit darf nicht als uniforme Masse, als abstrakter Begriff in Erscheinung treten, sondern als heterogene Ansammlung von Individuen, die alle ihre besonderen Sehnsüchte und ihren gesunden, anarchischen Eigensinn in die sorgsam beschilderte Museumswelt hineintragen“, so wie es der von Paul Valery formulierte Spruch tut, der, über dem Musée de l‘ Homme in Paris angebracht, die Besucher mit den Worten empfängt: „Ihr, die ihr eintretet, bestimmt, ob ich Grab oder Schatzkammer bin, ob ich spreche oder schweige. Ihr allein müßt es entscheiden. Tritt nur ein, Freund, wenn du das Verlangen spürst.“
Und die Indizien? Und der tote Lord? Pater Brown stellt „die Vermutung an, daß der Lord ein Doppelleben geführt hatte. Als Dieb benötigte er die Kerzen für seine nächtlichen Raubzüge, den Schnupftabak brauchte er, um ihn, wie alle Bösewichte es taten, seinen Verfolgern in die Augen zu streuen, die Diamanten und Zahnrädchen dienten zum Zerschneiden von Fensterscheiben.“
Aber auch damit foppt er nur den Inspektor, denn, so Pater Brown, nur „zehn falsche Theorien erklären das Universum.«
Alberto Manguel: Dracheneier und Phönixfedern oder ein Plädoyer für die Sehnsucht, in: ders.: Im Spiegelreich. Berlin 1999
Sonntag, 28. Februar 2010
Samstag, 27. Februar 2010
Das Büro zur Fernüberwachung von Wildtieren oder Warum gibt es kein Naturmuseum? Über Mark Dion
Ich erinnere mich noch lebhaft an eine Führung im Naturhistorischen Museum in Wien. Wir waren eine kleine Gruppe von Museumsinteressierten und wurden von einer Mitarbeiterin des Hauses geführt. In der zoologischen Abteilung wiederholte sie immer wieder den Satz „Das ist alles echt", während wir an Präparaten vorbeischlenderten, denen das Stopfmaterial aus den geplatzten Nähten quoll oder die mit viel Styropor, Pappendeckel, Holz, Farbe in einem möglichst natürlich sein wollenden Ambiente ihren Auftritt hatten.
Der Umstand, daß der Typ des Naturmuseums der künstlichste überhaupt ist, ist den Museen selbst zumeist entgangen. Gerade der enorme technische, handwerkliche, künstlerische und wissenschaftliche Aufwand, der getrieben wird, um Natur als - ‚unberührte', ‚ursprüngliche' Natur aussehen zu lassen, wird vom und im Museum verdrängt.
Selbst wo die Widersprüchlichkeit von performativem Raum und Exponat so offenkundig ist, wie im historistischen Bau des Naturhistorischen Museums in Wien, wird er in der Konzeption und Praxis der Ausstellungen fast immer völlig negiert. Das ergibt einen veritablen, aber völlig ungenutzten Mehrwert, wenn Krokodile Parkettböden bevölkern oder Fischkörper vor pompösen Stuckreliefs schwimmen.
Daß es in Naturmuseen nicht um Natur, sondern um eine Idee von Natur geht, um einen Wunsch, wie man Natur sehen will, um ein Bedürfnis der Domestizierung, um Ordnung und Klassifikation einer unendlichen Varietät, das ist offensichtlich in Naturmuseen nur als verdrängte Grundlage zu haben, nicht als reflektiertes Thema und Anliegen.
Der Satz, der die Arbeiten Mark Dions am knappsten charakterisiert, wäre auch ein Motto und ein Arbeitsauftrag an Naturmuseen. „My work is not really about nature, but rather it is a consideration of ideas about nature."
In einer eben zu Ende gegangenen Ausstellung „Concerning Hunting" in der Kunsthalle Krems wurden Werke und Ensembles von Dion versammelt, mit denen er das Jagen analysiert, Objekte, von denen man manche schon anderswo und in anderen Zusammenhängen sehen konnte, aber die um das eine Thema Jagd kreisend, ihren wunderbaren Witz und ihre Intelligenz entfalten.
Mit einer Sammlung von inzwischen über hundertsiebzig Fotos (Men of Game), die Jäger oder Jagdgesellschaften mit ihrer Beute zeigen, bietet Dion eine schreckliche wie abstruse Soziologie des männlichen Beutemachens. Ein geheimnisvoll verschlossenes „Departement of Kryptozoologie" gibt der von der Wissenschaft verpönten Beschäftigung mit vermeintlich nicht existierenden Tierarten, wie Yeti, Nessie und Bigfoot, einen Platz. Das Tar-Museum (Teer-Museum), zeigt eine der medial am ausgebeutetsten Weisen der Vernichtung von Natur, von Teer überzogene Tiere (auf Transportkisten hockend), wie wir sie von ölverseuchten Stränden kennen.
Gegenüber Jagd und Jägern weder anklagend noch herabsetzend, ermöglicht eine Sammlung von papierenen Zielscheiben (Target Wall) mit naturalistischen Tierschemata nachzuvollziehen, wie in der Jagd das Tier zum Objekt und zur Beute wird, wie verengt der Blick des Jägers im Moment des tödlichen Schusses ist. Auch ‚Fahnentrophäen' mit blutig tropfenden Tierkadavern, machen, medial gefällig und scheinbar harmlos, aufmerksam auf den Tabubruch der Jagd: hier ist gesellschaftlich nicht nur akzeptiert sondern auch unter Umständen auch anerkannt und honoriert, Töten erlaubt.
Auch eine Sammlung von Hochständen - Verstecken, die den Jäger unsichtbar machen und von denen aus er das Wild erlegt -, hat das Töten und seine Technik zum Gegenstand, zugleich entwirft Dion hier auch eine Kulturgeschichte und Soziologie der Jagd und eine Typologie der Jäger.
Damit wären wir beim zweiten strukturell Verdrängten im Naturmuseum. Dem Töten und dem Tod der Tiere als Voraussetzung ihrer Musealisierung. Was im Geschichtsmuseum oder in einer kunstgewerblichen Sammlung allenfalls metaphorisch behauptet werden kann, gilt hier unbedingt und buchstäblich. Und ist dennoch ein Thema, das in Naturmuseen nur im small talk mit Kuratoren und off limits, nie aber in den Ausstellungen zur Sprache kommt.
Dions Stärke ist aber, daß er statt (An)Klage Witz mobilisiert. „Mobile Wilderness Unit" (soviel wie ‚Mobile Wildniseinheit') kommt dem Bedürfnis entgegen, Wildnis und Wild möglichst zivilisiert aber dennoch ‚unberührt' erleben zu können. Man kann Menschen zu diesem Zweck mobilisieren, indem man sie in die Bergeinsamkeit technisch hineinversetzt oder zum organisierten Abenteuerurlaub verschickt; oder man mobilisiert die wilde Natur, bei Dion sind es Bison und Wolf, ersterer in einem zirkusartigen Wagen. Hier erhellt Dion nicht nur eine grundlegende Dialektik unserer Verfahren Natur anzueigenen, die infrastrukturell erschlossene gefahrlose Besichtigung (von der eine Spielart das Museum ist), sondern schließt zwei Modi der Schaustellung kurz, die normalerweise nie nebeneinander gestellt werden: (Wander)Zirkus und Museum.
Aus der Perspektive des hochkulturell codierten Museum ist der Vergleich unzulässig, verpönt. Aber er bezieht seine Stämmigkeit nicht bloß aus der Vergleichbarkeit zweier Zeigeformen von ‚Natur' auf ein und derselben Basis des Begehrens, dem Wilden als ganz anderem, das aber ohne Gefahr, begegnen zu dürfen. Der implizite Vergleich ist auch historisch stimmig, denn zu den ältesten Schaustellungs(Ausstellungs)-Praktiken gehört das Zeigen und Vorführen von Tieren. Selbst etymologisch ist das noch präsent: Im Wort „mostra" (für Messe und Ausstellung) steckt das ‚Monster', das wilde Wesen (das auch in Monstranz oder in der - wissenschaftlichen oder politischen Demonstration - versteckt ist) und in „fiera" (Messe, als eine spezifische Zeigepraxis, auch im Sinn von (Waren)Ausstellung) ist ursprünglich das wilde Tier.
Mark Dion öffnet mit seinen Arbeiten nicht nur einen Blick auf unser Naturverhältnis und seine Deutung und Verarbeitung im Museum, er bietet auch explizite Hinweise auf alternative Modi des Zeigens. So stellt Dion eine kleine museale Präsentation so genannter „r-Strategen" vor. Das sind, so habe ich in der Ausstellung gelernt, die sich weit überdurchschnittlich rasch vermehren und daher die Zukunft ‚unserer' Tierwelt repräsentieren Tierarten.
Alle seine Objekte und Installationen kann ich mir sofort im Naturmuseum vorstellen. Nicht nur als relativierende oder kritische Interventionen, sondern als regelrechte Transformation der Idee des Naturmuseums - wenn dies denn imstande wäre sich selbst zu reflektieren und auch zu - ironisieren.
„Viele meiner Projekte sind eigentlich der Versuch, eine bestimmte Art von Fragestellung, von Skepsis einzubauen. Bei einem Großteil meiner Arbeit geht es darum, die Autorität in den Wissenschaften, aber auch in der Kunst selbst zu untergraben."
Um seine Ziele zu erreichen, bedient sich Dion, wie er uns - ein bisschen flunkernd wohl -, mitteilt, weder musealer noch künstlerischer Verfahren - und schon gar nicht der Jagd. „Manche Künstler malen, manche machen Drucke, manche Skulpturen, aber ich gehe einkaufen."
Der Umstand, daß der Typ des Naturmuseums der künstlichste überhaupt ist, ist den Museen selbst zumeist entgangen. Gerade der enorme technische, handwerkliche, künstlerische und wissenschaftliche Aufwand, der getrieben wird, um Natur als - ‚unberührte', ‚ursprüngliche' Natur aussehen zu lassen, wird vom und im Museum verdrängt.
Selbst wo die Widersprüchlichkeit von performativem Raum und Exponat so offenkundig ist, wie im historistischen Bau des Naturhistorischen Museums in Wien, wird er in der Konzeption und Praxis der Ausstellungen fast immer völlig negiert. Das ergibt einen veritablen, aber völlig ungenutzten Mehrwert, wenn Krokodile Parkettböden bevölkern oder Fischkörper vor pompösen Stuckreliefs schwimmen.
Daß es in Naturmuseen nicht um Natur, sondern um eine Idee von Natur geht, um einen Wunsch, wie man Natur sehen will, um ein Bedürfnis der Domestizierung, um Ordnung und Klassifikation einer unendlichen Varietät, das ist offensichtlich in Naturmuseen nur als verdrängte Grundlage zu haben, nicht als reflektiertes Thema und Anliegen.
Der Satz, der die Arbeiten Mark Dions am knappsten charakterisiert, wäre auch ein Motto und ein Arbeitsauftrag an Naturmuseen. „My work is not really about nature, but rather it is a consideration of ideas about nature."
In einer eben zu Ende gegangenen Ausstellung „Concerning Hunting" in der Kunsthalle Krems wurden Werke und Ensembles von Dion versammelt, mit denen er das Jagen analysiert, Objekte, von denen man manche schon anderswo und in anderen Zusammenhängen sehen konnte, aber die um das eine Thema Jagd kreisend, ihren wunderbaren Witz und ihre Intelligenz entfalten.
Mit einer Sammlung von inzwischen über hundertsiebzig Fotos (Men of Game), die Jäger oder Jagdgesellschaften mit ihrer Beute zeigen, bietet Dion eine schreckliche wie abstruse Soziologie des männlichen Beutemachens. Ein geheimnisvoll verschlossenes „Departement of Kryptozoologie" gibt der von der Wissenschaft verpönten Beschäftigung mit vermeintlich nicht existierenden Tierarten, wie Yeti, Nessie und Bigfoot, einen Platz. Das Tar-Museum (Teer-Museum), zeigt eine der medial am ausgebeutetsten Weisen der Vernichtung von Natur, von Teer überzogene Tiere (auf Transportkisten hockend), wie wir sie von ölverseuchten Stränden kennen.
Gegenüber Jagd und Jägern weder anklagend noch herabsetzend, ermöglicht eine Sammlung von papierenen Zielscheiben (Target Wall) mit naturalistischen Tierschemata nachzuvollziehen, wie in der Jagd das Tier zum Objekt und zur Beute wird, wie verengt der Blick des Jägers im Moment des tödlichen Schusses ist. Auch ‚Fahnentrophäen' mit blutig tropfenden Tierkadavern, machen, medial gefällig und scheinbar harmlos, aufmerksam auf den Tabubruch der Jagd: hier ist gesellschaftlich nicht nur akzeptiert sondern auch unter Umständen auch anerkannt und honoriert, Töten erlaubt.
Auch eine Sammlung von Hochständen - Verstecken, die den Jäger unsichtbar machen und von denen aus er das Wild erlegt -, hat das Töten und seine Technik zum Gegenstand, zugleich entwirft Dion hier auch eine Kulturgeschichte und Soziologie der Jagd und eine Typologie der Jäger.
Damit wären wir beim zweiten strukturell Verdrängten im Naturmuseum. Dem Töten und dem Tod der Tiere als Voraussetzung ihrer Musealisierung. Was im Geschichtsmuseum oder in einer kunstgewerblichen Sammlung allenfalls metaphorisch behauptet werden kann, gilt hier unbedingt und buchstäblich. Und ist dennoch ein Thema, das in Naturmuseen nur im small talk mit Kuratoren und off limits, nie aber in den Ausstellungen zur Sprache kommt.
Dions Stärke ist aber, daß er statt (An)Klage Witz mobilisiert. „Mobile Wilderness Unit" (soviel wie ‚Mobile Wildniseinheit') kommt dem Bedürfnis entgegen, Wildnis und Wild möglichst zivilisiert aber dennoch ‚unberührt' erleben zu können. Man kann Menschen zu diesem Zweck mobilisieren, indem man sie in die Bergeinsamkeit technisch hineinversetzt oder zum organisierten Abenteuerurlaub verschickt; oder man mobilisiert die wilde Natur, bei Dion sind es Bison und Wolf, ersterer in einem zirkusartigen Wagen. Hier erhellt Dion nicht nur eine grundlegende Dialektik unserer Verfahren Natur anzueigenen, die infrastrukturell erschlossene gefahrlose Besichtigung (von der eine Spielart das Museum ist), sondern schließt zwei Modi der Schaustellung kurz, die normalerweise nie nebeneinander gestellt werden: (Wander)Zirkus und Museum.
Aus der Perspektive des hochkulturell codierten Museum ist der Vergleich unzulässig, verpönt. Aber er bezieht seine Stämmigkeit nicht bloß aus der Vergleichbarkeit zweier Zeigeformen von ‚Natur' auf ein und derselben Basis des Begehrens, dem Wilden als ganz anderem, das aber ohne Gefahr, begegnen zu dürfen. Der implizite Vergleich ist auch historisch stimmig, denn zu den ältesten Schaustellungs(Ausstellungs)-Praktiken gehört das Zeigen und Vorführen von Tieren. Selbst etymologisch ist das noch präsent: Im Wort „mostra" (für Messe und Ausstellung) steckt das ‚Monster', das wilde Wesen (das auch in Monstranz oder in der - wissenschaftlichen oder politischen Demonstration - versteckt ist) und in „fiera" (Messe, als eine spezifische Zeigepraxis, auch im Sinn von (Waren)Ausstellung) ist ursprünglich das wilde Tier.
Mark Dion öffnet mit seinen Arbeiten nicht nur einen Blick auf unser Naturverhältnis und seine Deutung und Verarbeitung im Museum, er bietet auch explizite Hinweise auf alternative Modi des Zeigens. So stellt Dion eine kleine museale Präsentation so genannter „r-Strategen" vor. Das sind, so habe ich in der Ausstellung gelernt, die sich weit überdurchschnittlich rasch vermehren und daher die Zukunft ‚unserer' Tierwelt repräsentieren Tierarten.
Alle seine Objekte und Installationen kann ich mir sofort im Naturmuseum vorstellen. Nicht nur als relativierende oder kritische Interventionen, sondern als regelrechte Transformation der Idee des Naturmuseums - wenn dies denn imstande wäre sich selbst zu reflektieren und auch zu - ironisieren.
„Viele meiner Projekte sind eigentlich der Versuch, eine bestimmte Art von Fragestellung, von Skepsis einzubauen. Bei einem Großteil meiner Arbeit geht es darum, die Autorität in den Wissenschaften, aber auch in der Kunst selbst zu untergraben."
Um seine Ziele zu erreichen, bedient sich Dion, wie er uns - ein bisschen flunkernd wohl -, mitteilt, weder musealer noch künstlerischer Verfahren - und schon gar nicht der Jagd. „Manche Künstler malen, manche machen Drucke, manche Skulpturen, aber ich gehe einkaufen."
Alles war sehr gut und lustig. Pensionärs-Avantgarde von Spoerri und Brock in der Provinz
Daniel Spoerris Musée sentimental war einst ein das Museum - mild - attackierendes Projekt, das mit der Willkür seiner Auswahl- und Ordnungskriterien - das war das Alphabet -, die Willkürlichkeit der wisenschaftlich-musealen Ordnungen in Frage stellte. Das Musée konnte etwas tun, was das Museum damals noch kaum tun konnte, dem Alltäglichen, Banalen, Übershenen, dem Fragment, dem Abfall, dem Deponierten die Funktion einer Zeugenschaft zu verleihen, ohne die Dinge zu monumentalsieren und in ein zwingendes und dominierendes Narrativ einzubetten.
Nicht die offizielle Erzählung mit versteckter aber autoritärer Autorschaft regierte die Bedeutung der Dinge, sondern die individuelle Erinnerungsfähigkeit, die liebevolle Empathie, in den Dingen Spuren des vergangenen Lebens suchen zu wollen - so verstehe ich das ‚sentimental'. Damit wurde ein Zugang zu den Dingen gestiftet, der sie nicht in das Korsett vorgepräggter Deutungen zwängte, sondern die individuelle Arbeit an der Dechiffrierung der Dinge vom Betrachter/Besucher forderte, denn ohne diese Arbeit erwachte nichts aus der Abstraktion des Alphabets.
Das erste Musée sentimental, das ich nicht aus den Katalogbüchern und Kritiken, sondern durch den Besuch kennenlernte, das Musée sentimental de Prusse (1981), machte auf mich schon einen zwiespältigen Eindruck der Ermüdung, weil hier das Zufällige und Spielerische einer willkürlichen Ordnung von einer auf Preussens Geschichte bezogenen zweiten, implizit doch dokumentierend-erzählerischen Intention überdeckt wurde. Daß die Mitglieder der preussischen Königsfamilie hier nur noch als eingeweckte, nach ihnen benannten Obstsorten - „Gute Louise" - präsent waren, war zwar schon hart am Rand der Schmunzelkunst aber in der Wahl der Gedächtnisform immerhin noch analytisch witzig: das Rex-Glas als genuin historistisch verfahrendes ‚technisches Gedächtnis' und insofern von symptomatischer Qualität für das, wie sich Museen erinnern.
Jetzt gibt es im Kunstraum Stein (bei Krems) ein weiteres Musée sentimental, und Autor ist wiederum Daniel Spoerri selbst, der sich in der Nähe, in Hadersdorf am Kamp, ein neues Refugium geschaffen hat. Unter dem bombastischen Titel „Eine Stadt biografiert sich selbst" wird das Musée zusammen mit einem komplementären von Bazon Brock gezeigt. Er bat Bewohner von Krems ihr ‚liebstes Gut' in einer Prozession ins Museum zu tragen. Der Kalauer, der programmatisch verstanden werden will, „Zeige dein Liebstes gut. Zeige dein liebstes Gut" wird uns in einem kurzen Video von Bazon Brock als subversive Geste angepriesen, als eine Repräsentation von unten, als ein individuelles Einschreiben in das Museum.
Das nun ist es gerade nicht geworden, denn der eine Raum, in dem das liebste Gut Heimstatt hat, ist eine ziemlich lieblose, beiläufige Regalisierung - und das auch nicht in einem Museum, sondern selbstreferentiell in einem ‚Kunstraum'. Ohne sich einen Deut um die Repräsentativität der Zufallsgaben und die Motive und Objektbeziehungen der Besitzer zu kümmern, wird das ganze in die bekanntlich große Überredungskunst Brocks eingehüllt und zum in ‚Österreich noch nie dagewesenen' Projekt stilisiert.
Das ist doppelt dreist: denn - um nur ein Beispiel zu nennen - der „Berg der Erinnerungen" in Graz im Kulturhauptstadtjahr 2003 nimmt sich im Vergleich mit der Installation in Krems wie ein Bentley gegenüber einem Dreirad aus. Vor allem aber: die Idee, mit Besitztümern und Sammlungen Privater im Museum etwas zu installieren oder zu prozessieren, was sowohl die Interessen und Motive der Beteiligten anerkennt als auch, entweder als Haupt- oder Nebeneffekt etwas zur Reflexion des musealen Sammelns und Zeigens beizutragen, ist sehr alt und wurde an anderer Stelle ungleich reflektierter und intelligenter verwirklicht. Zum Beispiel im Ruhrlandmuseum Essen 2005 (Die Gegenwart der Dinge. 100 Jahre Ruhrlandmuseum) oder - hier im Blog schon gewürdigt -, Böse Dinge. Eine Enzyklopädie des Ungeschmacks im Museum der Dinge, Berlin.
Hinter dem gewaltigen Aufwand Brockscher Rhetorik findet sich so gut wie nichts und eher das Gegenteil vom der behaupteten Anerkennung und Aufwertung individueller Repräsentationswünsche: ein Raum mit der Anmutung eines Abstellkellers und ein in Form und Sache äußerst bescheidenes ‚Inventar' mit kurzen Äußerungen der Leihgeber, das ist alles.
Brock würdigt sich nicht nur selbst, er darf (im erwähnten Video) auch Spoerri würdigen (der sich auch selbst und Brock würdigen darf...usw.) und das Musée sentimental das bedeutendste Museumskonzept des 20. Jahrhunderts nennen.
Warum es im 21. immer noch gezeigt werden soll, das zu rechtfertigen, bleibt uns das Musée schuldig. In einer kurzen Flucht kleiner Räume finden sich Objekte, die irgendeinen Bezug zu Krems haben und die nach Stichworten zusammengestellt wurden. Stichworte wie: Marillen, Salz, Donau, Goldhaube, Wein, Glocken, Justizanstalt, Mariandl uam. Es zeigt sich schnell, daß das Konzept mit so wenigen Objekten schlecht funktioniert, weil die Matrix, die sich aus so wenigen Dingen und Worten weben läßt, viel zu grobmaschig wird, um auch nur annähernd so etwas wie die versprochene Biografie der Stadt Krems ergeben zu können.
Die räumliche Ordnung nach Schlagworten konterkariert die ursprüngliche Idee: man liest nun die Objekte zwangsläufig als illustrative Dokumente eines ‚Themas' - und die folgen nun vielen der Klischees, die ohnehin schon seit eh und je mit der Wachau verknüpft waren oder die beliebig sind. Oskar Werner kommt wohl hier vor, weil seine Mutter in der Wachau wohnte. Welche Bedeutung haben dann aber Dokumente wie das Service, die Brieftasche, eine Visiten- und eine Eintrittskarte aus dem Besitz Oskar Werners? Was sollen sie bezeugen? Was evozieren?
Vollends problematisch wird aber die Art und Weise, wie mit der NS-Zeit und der Judenverfolgung umgegangen wird. Die Nivellierung der Themen auf ein einziges, ‚sentimentales' Niveau, läßt die Nachbarschaft von NSDAP und Marillenbrand, Judenverfolgung und Goldhaube unerträglich werden. Krems, und ausgerechnet übrigens auch der Ort, in dem sich Spoerri niedergelassen hat, Hadersdorf (und das nahe Langenlois, ein berühmter Weinort) sind allesamt Orte mit einer immer wieder umkämpften und verdrängten Geschichte. Ausgerechnet diese Fragen auf dem Niveau einer aleatorischen Collage zu verharmlosen, das geht nicht. Da gibt es etwa das Fotoalbum des NSADAP Pressefotografen Rudolf Haas in unmittelbarer Nachbarschaft des Straf(Kriegsgefangenen)Lagers 17 B in Gneixendorf und gegenüber dann „Jüdische Geschäfte in Krems" neben einer Collage, die Spoerri aus Kopien der Fotos des erwähnten NSDAP-Fotografen gemacht hat - mit der unkommentierten Betextung „Bildersammlung Ortsgruppe Stein". Die Verwischung der Grenzen von Original und Kopie könnte anderswo auch analytisch genutzt werden, hier ist sie fahrlässig. Aber es ist irgendwie egal: eine Gipsmaske Anton Bruckners ist eindeutig ein Gustav Mahler mit schmaler Nase, scharfem Profil und wallendem Haupthaar. Über Anton Bruckners rundlich-bäurischen Kopf spross immer nur eine Glatze... Nirgendwo erzeugt das Zusammenstellen und -würfeln der Sachen irgendeinen analytischen Effekt, alles ist gleichgültig gemacht in einem selbstreferentiellen Spiel der Dinge.
Beide Ausstellungen machen einen müden, uninspirierten Eindruck, bei beiden Ideen - dem des Musée sentimental und dem des ‚Laienmuseums' - wird nur lauwarm aufgewärmt. Die Avantgarde von einst kommt in die Jahre und in die Provinz um sich selbst zu demontieren.
„Alles war sehr gut und lustig" heißt es im Besucherbuch.
Nicht die offizielle Erzählung mit versteckter aber autoritärer Autorschaft regierte die Bedeutung der Dinge, sondern die individuelle Erinnerungsfähigkeit, die liebevolle Empathie, in den Dingen Spuren des vergangenen Lebens suchen zu wollen - so verstehe ich das ‚sentimental'. Damit wurde ein Zugang zu den Dingen gestiftet, der sie nicht in das Korsett vorgepräggter Deutungen zwängte, sondern die individuelle Arbeit an der Dechiffrierung der Dinge vom Betrachter/Besucher forderte, denn ohne diese Arbeit erwachte nichts aus der Abstraktion des Alphabets.
Das erste Musée sentimental, das ich nicht aus den Katalogbüchern und Kritiken, sondern durch den Besuch kennenlernte, das Musée sentimental de Prusse (1981), machte auf mich schon einen zwiespältigen Eindruck der Ermüdung, weil hier das Zufällige und Spielerische einer willkürlichen Ordnung von einer auf Preussens Geschichte bezogenen zweiten, implizit doch dokumentierend-erzählerischen Intention überdeckt wurde. Daß die Mitglieder der preussischen Königsfamilie hier nur noch als eingeweckte, nach ihnen benannten Obstsorten - „Gute Louise" - präsent waren, war zwar schon hart am Rand der Schmunzelkunst aber in der Wahl der Gedächtnisform immerhin noch analytisch witzig: das Rex-Glas als genuin historistisch verfahrendes ‚technisches Gedächtnis' und insofern von symptomatischer Qualität für das, wie sich Museen erinnern.
Jetzt gibt es im Kunstraum Stein (bei Krems) ein weiteres Musée sentimental, und Autor ist wiederum Daniel Spoerri selbst, der sich in der Nähe, in Hadersdorf am Kamp, ein neues Refugium geschaffen hat. Unter dem bombastischen Titel „Eine Stadt biografiert sich selbst" wird das Musée zusammen mit einem komplementären von Bazon Brock gezeigt. Er bat Bewohner von Krems ihr ‚liebstes Gut' in einer Prozession ins Museum zu tragen. Der Kalauer, der programmatisch verstanden werden will, „Zeige dein Liebstes gut. Zeige dein liebstes Gut" wird uns in einem kurzen Video von Bazon Brock als subversive Geste angepriesen, als eine Repräsentation von unten, als ein individuelles Einschreiben in das Museum.
Das nun ist es gerade nicht geworden, denn der eine Raum, in dem das liebste Gut Heimstatt hat, ist eine ziemlich lieblose, beiläufige Regalisierung - und das auch nicht in einem Museum, sondern selbstreferentiell in einem ‚Kunstraum'. Ohne sich einen Deut um die Repräsentativität der Zufallsgaben und die Motive und Objektbeziehungen der Besitzer zu kümmern, wird das ganze in die bekanntlich große Überredungskunst Brocks eingehüllt und zum in ‚Österreich noch nie dagewesenen' Projekt stilisiert.
Das ist doppelt dreist: denn - um nur ein Beispiel zu nennen - der „Berg der Erinnerungen" in Graz im Kulturhauptstadtjahr 2003 nimmt sich im Vergleich mit der Installation in Krems wie ein Bentley gegenüber einem Dreirad aus. Vor allem aber: die Idee, mit Besitztümern und Sammlungen Privater im Museum etwas zu installieren oder zu prozessieren, was sowohl die Interessen und Motive der Beteiligten anerkennt als auch, entweder als Haupt- oder Nebeneffekt etwas zur Reflexion des musealen Sammelns und Zeigens beizutragen, ist sehr alt und wurde an anderer Stelle ungleich reflektierter und intelligenter verwirklicht. Zum Beispiel im Ruhrlandmuseum Essen 2005 (Die Gegenwart der Dinge. 100 Jahre Ruhrlandmuseum) oder - hier im Blog schon gewürdigt -, Böse Dinge. Eine Enzyklopädie des Ungeschmacks im Museum der Dinge, Berlin.
Hinter dem gewaltigen Aufwand Brockscher Rhetorik findet sich so gut wie nichts und eher das Gegenteil vom der behaupteten Anerkennung und Aufwertung individueller Repräsentationswünsche: ein Raum mit der Anmutung eines Abstellkellers und ein in Form und Sache äußerst bescheidenes ‚Inventar' mit kurzen Äußerungen der Leihgeber, das ist alles.
Brock würdigt sich nicht nur selbst, er darf (im erwähnten Video) auch Spoerri würdigen (der sich auch selbst und Brock würdigen darf...usw.) und das Musée sentimental das bedeutendste Museumskonzept des 20. Jahrhunderts nennen.
Warum es im 21. immer noch gezeigt werden soll, das zu rechtfertigen, bleibt uns das Musée schuldig. In einer kurzen Flucht kleiner Räume finden sich Objekte, die irgendeinen Bezug zu Krems haben und die nach Stichworten zusammengestellt wurden. Stichworte wie: Marillen, Salz, Donau, Goldhaube, Wein, Glocken, Justizanstalt, Mariandl uam. Es zeigt sich schnell, daß das Konzept mit so wenigen Objekten schlecht funktioniert, weil die Matrix, die sich aus so wenigen Dingen und Worten weben läßt, viel zu grobmaschig wird, um auch nur annähernd so etwas wie die versprochene Biografie der Stadt Krems ergeben zu können.
Die räumliche Ordnung nach Schlagworten konterkariert die ursprüngliche Idee: man liest nun die Objekte zwangsläufig als illustrative Dokumente eines ‚Themas' - und die folgen nun vielen der Klischees, die ohnehin schon seit eh und je mit der Wachau verknüpft waren oder die beliebig sind. Oskar Werner kommt wohl hier vor, weil seine Mutter in der Wachau wohnte. Welche Bedeutung haben dann aber Dokumente wie das Service, die Brieftasche, eine Visiten- und eine Eintrittskarte aus dem Besitz Oskar Werners? Was sollen sie bezeugen? Was evozieren?
Vollends problematisch wird aber die Art und Weise, wie mit der NS-Zeit und der Judenverfolgung umgegangen wird. Die Nivellierung der Themen auf ein einziges, ‚sentimentales' Niveau, läßt die Nachbarschaft von NSDAP und Marillenbrand, Judenverfolgung und Goldhaube unerträglich werden. Krems, und ausgerechnet übrigens auch der Ort, in dem sich Spoerri niedergelassen hat, Hadersdorf (und das nahe Langenlois, ein berühmter Weinort) sind allesamt Orte mit einer immer wieder umkämpften und verdrängten Geschichte. Ausgerechnet diese Fragen auf dem Niveau einer aleatorischen Collage zu verharmlosen, das geht nicht. Da gibt es etwa das Fotoalbum des NSADAP Pressefotografen Rudolf Haas in unmittelbarer Nachbarschaft des Straf(Kriegsgefangenen)Lagers 17 B in Gneixendorf und gegenüber dann „Jüdische Geschäfte in Krems" neben einer Collage, die Spoerri aus Kopien der Fotos des erwähnten NSDAP-Fotografen gemacht hat - mit der unkommentierten Betextung „Bildersammlung Ortsgruppe Stein". Die Verwischung der Grenzen von Original und Kopie könnte anderswo auch analytisch genutzt werden, hier ist sie fahrlässig. Aber es ist irgendwie egal: eine Gipsmaske Anton Bruckners ist eindeutig ein Gustav Mahler mit schmaler Nase, scharfem Profil und wallendem Haupthaar. Über Anton Bruckners rundlich-bäurischen Kopf spross immer nur eine Glatze... Nirgendwo erzeugt das Zusammenstellen und -würfeln der Sachen irgendeinen analytischen Effekt, alles ist gleichgültig gemacht in einem selbstreferentiellen Spiel der Dinge.
Beide Ausstellungen machen einen müden, uninspirierten Eindruck, bei beiden Ideen - dem des Musée sentimental und dem des ‚Laienmuseums' - wird nur lauwarm aufgewärmt. Die Avantgarde von einst kommt in die Jahre und in die Provinz um sich selbst zu demontieren.
„Alles war sehr gut und lustig" heißt es im Besucherbuch.
Freitag, 26. Februar 2010
Abschied (Texte im Museum 25)
Museum Sensenwerk Deutschfeistritz. Arbeiter der Sensenschmiede haben Datum und Uhrzeit
der Beendigung der Arbeit auf Machinen geschrieben.
Das Schließen des Werks war die Voraussetzung für seine Musealisierung.
"Fabrik wird Museum"...
Donnerstag, 25. Februar 2010
"Opel oder Kultur". Also gibt es jetzt eine (Museums)Krise oder nicht?
In unserem Bemühen, herauszufinden, ob es denn nun eine Museumskrise gibt oder auch nicht, bietet uns eine heute in DIE WELT erschienene leider sehr kurze Glosse über eine kulturpolitische Diskussionsrunde, die in der Berliner Akademie der Künste stattfand, neuerdings Ratlosigkeit.
Zum Ausgleich dafür, daß offenbar niemand so recht weiß, was gewaltige Etatkürzungen für die kulturellen Institutionen bedeutet - "Den Kommunen fehlen als Folge des sogenannten Wachstumsbeschleunigungsgesetzes allein in diesem Jahr 1,6 Milliarden Euro" (Eckhard Fuhr) - begegnen wir wieder einem unserer Lieblings-Krisen-Debattierer, Martin Roth, diesmal kaugummikauend und augenrollend (Fuhr).
Die einzige Alternative, die in der Diskussion offenbar auftauchte, war die zwischen einem konservatorischen (bewahrte Kunst und Kultur als Ressource...) und einem avantgardistischen (Kunst als gesellschaftlich relevant und auf Zukunftsthemen bezogen...) Kulturbegriff.
"Wollt ihr Opel oder Kultur?" lautete Roth's rhetorische Frage, denn es gibt für ihn nur eine Antwort: "Wenn es eng wird, dann muss, so Roth, das Bewahren des kulturellen Erbes für die öffentliche Kulturförderung Vorrang haben vor dem Ermöglichen utopischer Diskurse. Das Erbe sei nun einmal das wichtigste Zukunftspotenzial Europas."
Zum Ausgleich dafür, daß offenbar niemand so recht weiß, was gewaltige Etatkürzungen für die kulturellen Institutionen bedeutet - "Den Kommunen fehlen als Folge des sogenannten Wachstumsbeschleunigungsgesetzes allein in diesem Jahr 1,6 Milliarden Euro" (Eckhard Fuhr) - begegnen wir wieder einem unserer Lieblings-Krisen-Debattierer, Martin Roth, diesmal kaugummikauend und augenrollend (Fuhr).
Die einzige Alternative, die in der Diskussion offenbar auftauchte, war die zwischen einem konservatorischen (bewahrte Kunst und Kultur als Ressource...) und einem avantgardistischen (Kunst als gesellschaftlich relevant und auf Zukunftsthemen bezogen...) Kulturbegriff.
"Wollt ihr Opel oder Kultur?" lautete Roth's rhetorische Frage, denn es gibt für ihn nur eine Antwort: "Wenn es eng wird, dann muss, so Roth, das Bewahren des kulturellen Erbes für die öffentliche Kulturförderung Vorrang haben vor dem Ermöglichen utopischer Diskurse. Das Erbe sei nun einmal das wichtigste Zukunftspotenzial Europas."
Samstag, 20. Februar 2010
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