Männer, die gegen Sozialabbau demonstrieren - vor dem Guggenheim-Museum Bilbao. Dezember 2012
Mittwoch, 13. Februar 2013
Dienstag, 12. Februar 2013
Strassenmanuskript (Objet trouvée)
Das Ende der Harmlosigkeit. Übers Vermitteln (Teil 2)
Das Ende der Harmlosigkeit. Übers Vermitteln (Teil 2)
Sinclair Rosss. Museum of Despair |
Das zivilisierende Ritual
Ich verstehe das Museum als
ein gesellschaftliches Projekt der Moderne, das der Staat treuhänderisch im
Interesse der Wohlfahrt aller seiner Bürger unterhält. Ich verstehe es als ein
zivilisierendes Ritual der kollektiven wie individuell wirksamen
Selbstvergewisserung und Selbstdeutung.
Von der
Verkehrsinfrastruktur bis zum Bildungswesen, vom Gesundheitswesen bis zu den
Gefängnissen, das alles sind öffentliche Einrichtungen, die dem Gemeinwohl
dienen und die deshalb durch die ‚öffentliche Hand’ finanziert und verwaltet
werden. Dem Anspruch nach wenden sich öffentliche Einrichtungen immer an die
Gesamtheit einer Gesellschaft, das Gemeinwohl ist, wie das Wort schon sagt,
unteilbar. Auch vom Gefängnis, wo man dieses Prinzip vielleicht nicht so gerne
universal verstanden wissen will, gilt, daß grundsätzlich jedermann mit ihm
einmal Bekanntschaft schließen könnte, aber ‚wohlfahrtstaatlich’ ist es erst
deshalb, weil es ein Ordnungsinstrument ist, das Ausschlüsse aus der Gesellschaft
auf Zeit ermöglicht oder mit dem sich auch die Idee der Verbesserung der
Individuen, mithin der Gesellschaft als Ganzes (Resozialisierung etc.)
verbindet.
Wenig anders verhält es sich
mit dem Museum, von dem wir ja wissen, daß viele Menschen es gar nicht besuchen
und nutzen, aber wohlfahrtsstaatlich ist es deshalb, weil sich sein
zivilisatorischer (bildender) Anspruch auf uneingeschränkt jedermann richten
muß.
Ich diskutiere jetzt noch
nicht, welche Probleme im Auseinanderklaffen von Anspruch und Wirklichkeit
liegen, sondern beziehe mich zunächst auf die Herkunft der Idee.
Am Tag, an dem, mitten in
der Französischen Revolution das Museum im ehemaligen Königsschloß, dem Louvre
eröffnet wurde, am 10. August 1793, wurde auch eine neue Verfassung deklariert.
Mit unüberbietbarem Pathos formuliert ihr erster Satz „Das Ziel der
Gesellschaft ist das Glück aller.“ Letztlich sind alle staatlichen Maßnahmen
und Einrichtungen diesem Ziel zu- und untergeordnet. Ästhetische und
historische Erfahrung sind von Anfang an als Aufgaben des Museums buchstäblich
zentral und das neue Gewicht des Museums im, man könnte sagen „neuen“ Staat
wird zum Beispiel deutlich in seiner städtebaulichen Situierung und
architektonischen Ausstattung.
Ein erhellendes Beispiel
dafür, was mit ‚wohlfahrtlich’ in Bezug auf das Museum gemeint ist, bietet das
1830 eröffnete Museum, das für die Sammlungen des preussischen Königs eröffnet
wurde. Sein Architekt, Karl Friedrich Schinkel und deine Kommission, die aus
Künstlern und Wissenschaftlern bestand und deren Leitung Wilhelm von Humboldt
innehatte, konzipierten dieses Museum nicht mehr als exklusiven privaten Raum
eines Herrschers und seiner Dynastie, in das man nur mit freiwillig gewährter
Großzügigkeit Zutritt hatte, sondern als öffentlichen Raum und Ort, dessen
Betreten ein Recht war. Und nur so kann ja eine öffentliche Einrichtung auch
öffentlich wirken, nur so konnte, wie es die Kommission vorsah, ästhetische
Erfahrung des Einzelnen sich im Museumsraum zur kollektiv wirksamen
Humanisierung der Nation (H. Lübbe) ‚ver/sammeln’.
Das ist Grundlage auch des
heutigen Museums, der Museumsarbeit aktuell, auch wenn wir weder alle
herkömmlichen Begriffe noch verwenden und uns manche Implikationen und
Strukturmerkmale gar nicht mehr bewußt sind. Als im Dienste aller seiner Bürger
institutionalisierten wohlfahrtlichen Leistung ist also auch das Museum
,öffentlich‘, man könnte hinzufügen „ab nun“, denn die Sammlungspraktiken der
frühen Neuzeit bis herauf in die Zeit der Aufklärung kennen das (in Frankreich
mit der Verfassung) verankerte Recht auf Zugang der Bildungseinrichtungen nicht.
Das Museum ist zweitens auch
,öffentlich‘ als diskursiver Sphäre, also im Sinne von bürgerlicher
Öffentlichkeit,‘ in der die alle betreffenden Angelegenheiten‘, die ,gemeinsame
Sachen‘ ausgehandelt werden und dadurch auch jegliche Macht einer Kontrolle
unterworfen wird.
Karen Knorr. Musée de la chasse, Paris |
Aber nicht allein durch das
Recht auf die Zugänglichkeit läßt sich das Museum als - mit gewissen
Vorbehalten -, „demokratisch“ verstehen, sondern nur insoweit es seine
diskursive und öffentlichkeitsbildende Aufgabe auch aktiv wahrnimmt. Denn an
und für sich ist das Museum (wie vieles andere auch) gegenüber jeglicher Form
der Instrumentalisierung neutral). Die demokratische Qualität eines Museums
mißt sich an seiner Vitalität und Dynamik, mit der es öffentliche Debatten und
Interessen aufzunehmen imstande ist, zu initiieren, weiterzutreiben.
Öffentlich ist das Museum noch
in einem weiteren Sinn, nämlich insofern als die Bedeutungen, die es generiert
öffentlich zirkulieren. Museen etablieren Kanons und Werte, verfestigen sie,
tradieren und selektieren Wissen, etablieren Hierarchien von Werten und
Blickregime, die uns dazu anleiten oder auch verführen, bestimmte Dinge (nur)
unter bestimmten Blickwinkeln zu sehen, sie tradieren Werte über Generatzionen
hinweg u.a.m. Sie versuchen zumindest – ob Museen das wirklich können,
bezweifle ich -, identitäre Diskurse zu regulieren und zu beeinflussen, etwa
wenn nationale Geschichtsmuseen oder historische Blockbuster-Ausstellungen das
Geschichtsbewußtsein ganzer Gesellschaften zu beeinflussen suchen.
Daraus leitet sich die
unabweisbare gesellschaftliche Verantwortung des Museums ab. Und deshalb muß
sich auch heute der öffentliche Museums-Diskurs daran messen lassen: inwieweit er
selbst Teil der politischen oder ökonomischen Machtverhältnisse bleibt oder
inwieweit er subversive Gegenöffentlichkeit herstellt.
Das Museum hat eine
Verantwortung - und es ist nicht neutral und nicht unschuldig: Im Museum finden
sich soziale Distinktionen, gesellschaftliche Konflikte, Machtverhältnisse
reproduziert und gespiegelt. Das Museum ist nicht nur ein ,Schauplatz‘ der
Distinktion, es wirkt selbst ,diskriminierend‘ und agiert hegemonial indem es
partikulare Sichtweisen und Interessen als allgemein verbindlich und gültig
erscheinen läßt. Zum Beispiel in einem Kanon würdigungspflichtiger kultureller
Werte. Es ist ein autoritativer Ort mit eigentümlicher Wahrheitspflichtigkeit
und fragwürdiger, scheinbar in den Dingen naturwüchsig begründbarer
Authentizität, die nahezu jedes „Sprechen“ im Museum als wahr erscheinen läßt.
Hinter der eigentümlichen Autorität
und Authentizität des Museums verbergen sich „institutionalisierte Diskurse“,
mit deren Hilfe „Identitäten oder Subjektformen (nationale, geschlechtliche,
koloniale etc.) konstruiert, reproduziert und in Umlauf gehalten“ werden.
(Oliver Marchart).
Das bleibt aber den
Beteiligten, nicht nur dem Publikum, sondern weithin den in der Institution
Tätigen selbst, verborgen. Darin unterscheidet sich das Museum wesentlich von
anderen kulturellen Institutionen und Praktiken, in die diese Selbstreflexion
gleichsam wie ein Bestandteil der Produktion und Reproduktion von Wissen,
Macht, Bildern, Bedeutungen selbst eingeschrieben scheint. Was das Kino
betrifft, so existiert ein permanenter Diskurs über die Freiheit und
Unabhängigkeit der Filmemacher, der Ökonomisierung der Filmproduktion, der
Geltung des Films, die er in nationalen Fragen haben kann oder auch nicht. Ein
Film wie aktuell Zero Dark Thirty, der die Verfolgung und Ermordung Osama Bin
Ladens zeigt, einschließlich von Folter, die zur Informationsbeschaffung
eingesetzt wird, hat in den USA (und nicht nur dort) zu einer weit über das
Kino hinaus sich entwickelnden Diskussion über Legalität und Legitimität des
staatlichen Handelns geführt.
Fürs Museum läßt sich derlei
nirgendwo beobachten (obwohl es von der Produktionslogik und Rezeption her
alles andre als undenkbar wäre) und die raren Ausnahmen, an denen eine Konflikt
sich entzündet (wie etwa bei einer Ausstellung des Smithsonian Institute über
den ersten Atombombenabwurf durch die USA und dessen Sinnhaftigkeit – die
Ausstellung kam nicht zustande), zeigt, in welchem Ausmaß das Museum machtaffin
ist.
Darin
liegt die Macht des Museums. „Die Öffentlichkeit der Institution Museum machte
potentiell alle Bürger zu Teilhabern eines gemeinsamen kulturellen Erbes und
stärkte ihre Loyalität einem Staat gegenüber, der durch die Institution des
Museums Freiheit und Gleichheit der Bürger ebenso wie seine Verantwortung für
das Gemeinwohl demonstrierte. Die Initiation der Bürger in diese Werte durch
civilizing rituals, über Gebäude, Präsentation, Zugangsregelungen und Verhaltensanweisungen,
Verbote und Gebote in Museen wirkte mit an der ‚gleichzeitigen Entfaltung und
Regulierung des Subjekts’“.
Und: „Die Rituale des
Museums dienten der Einführung ziviler Normen, die durch öffentliche rituelle
Performanz angeeignet, als allgemein verbindliche sichtbar gemacht und eingeübt
wurden. Sie dienten der Dramatisierung von „Selbstbeschreibung" und
„Selbstauslegung" der bürgerlichen Gesellschaft und ihrer Mitglieder, der
Darstellung einer Zivilisierung, die sie zugleich herstellen sollten.“ (S. Offe)
Aber wer stellt her, wer
spricht da und in wessen Interesse? Und mit welcher Legitimation?
Yoga im San Diego Museum of Art |
Die Dillemata der
Vermittlung
Wir befinden uns mitten in
einem dramatischen Rückbau des Wohlfahrtsstaates und demokratischer Strukturen.
Das Museum ist in dieser politischen Großwetterlage keine Insel der Seligen. Rentabilitätsdruck,
Deckelung und Kürzung der Finanzierung, vereinzelte Schließungen, Öffnung für angeblich
selbstlose, also ‚mäzenatische’ private Interessen, Orientierung an Event,
Vermarktung und Modellierung der Museumsarbeit (und Museumsarchitektur) nach
Freizeitbedürfnissen (u.a.) sind Etiketten, unter denen das, was im Gang ist,
beschrieben werden kann. Gegenwehr ist kaum zu erkennen. Die Museen passen sich
an, so gut es geht, manche widerwillig, manche berauscht von den vermutlich
sehr kurzfristigen Optionen, die ein sich Ausliefern an private Interessen
bietet. Soweit ich es überblicken kann, scheint es in den deutschsprachigen
Ländern weder auf der Ebene staatlicher Politik noch auf der der
Museumsinteressen vertretenden Verbände einen nennenswerten analytischen
Diskurs zu dieser Frage zu geben. Museumskrise? Nie gehört?
Soll das Museum wie andere
öffentliche Einrichtungen einfach preisgegeben werden? Ist es ohnehin dabei,
sich abzuschaffen?
Wie weit kann oder will man
in der eigenen Praxis gehen? Wie kann man auf seinem Platz reagieren? Bevor man
das im Detail überlegt, scheint mir eine Voraussetzung zwingend: Es gibt gar
keine andere Möglichkeit, als sich in einer solchen Situation sowohl gesellschaftspolitisch
als auch museumsgeschichtlich reflektiert gegenüber dem eigenen Tun zu verhalten.
Persönlich, aus meiner
museumsgeschichtlichen Forschung heraus, meine ich, daß es, wie auch immer man
seine aktuellen Ziele formuliert, eine Rückbezüglichkeit auf jenes „Projekt
Museum“ geben muß, das vor zweihundert Jahren entstanden ist, und zwar nicht
aus nostalgischen Gründen oder weil an diesem Modell festzuhalten wäre (ganz
und gar nicht), sondern deshalb, weil dieses Modell im Kern noch immer unsere
Vorstellung vom Museum trägt und reguliert und unser praktisches Arbeiten
leitet – bewußt oder unbewußt.
Noch einmal: Das heißt
nicht, daß ich auf dieses Modell zwingend verpflichten will, das wäre Unsinn.
Selbstverständlich unterliegt auch das Museum ständigen Änderungen und die
Option auf Transformation gilt auch für das Museum als Ganzes. Aber wenn man
etwas überwinden wollte, wenn man etwas hinter sich lassen wollte, wenn man
etwas verabschieden wollte, dann kann man das nur verantwortlich tun, das heißt
mit Gründen und mit einer klaren und deklarierten Alternative. Nur unter dieser
Bedingung kann man das Museum „erfolgreich aufgeben“.
Wie sehen die Optionen für
ein solches „erfolgreiches Aufgeben“ aus, wie sollte und könnte Vermittlung
unter gegeben Umständen aussehen?
Carmen Mörsch hat vier Funktionen
von Vermittlung ausgemacht[1]: eine affirmative, „wenn sie“, wie sie schreibt „Institutionen der
Hochkultur und das was sie produzieren, möglichst reibungslos an ein
entsprechend initiiertes und bereits interessiertes Publikum vermittelt.“ Eine reproduktive, wenn es ihr und dem Museum
in erster Linie um die Rekrutierung eines Publikums (der Zukunft) geht.
Liege ich falsch, wenn ich
vermute, daß die Mehrzahl der Vermittlungsprojekte diese beiden Funktionen
erfüllt?
Die dritte Funktion nennt
sie „kritisch – dekonstruktiv“, die Vermittlung
übernimmt es einerseits selbst, die strukturellen Voraussetzungen des Museums
und der Vermittlung zu reflektieren und ermöglicht andrerseits auch ihre
Klientel durch Offenlegung ihres Standpunktes, sich an dieser Reflexion
eigenständig zu beteiligen und sie selbständig weiterzuentwickeln.
Die vierte Möglichkeit liegt
darin, gesellschafts- und institutionenverändernd wirken zu wollen. Das geht
aber nur dann, wenn man auf die Inhalte und die Rahmenbedingungen unter denen
sie produziert und vermittelt werden selbst Einfluss nimmt. Dies nennt Carmen Mörsch
transformativ.
Man trifft also eine Wahl.
So oder so und ob man das will oder nicht, ob es einem bewußt ist oder nicht. Man
positioniert sich. Welche der vier
Strategien man verfolgt, in jedem Fall, so denke ich, man darf verlangen, daß
in der Standpunkt den man einnimmt deklariert, begründet und verantwortet
werden muß.
Und ich denke auch, daß man
in der Wahl zwischen den gennanten Optionen nicht völlig freie Hand hat. Zwar
ist jede dieser Wahlmöglichkeiten mit fachlichen und ideologischen
Implikationen ausgestattet und man könnte meinen, welche Wahl getroffen werde,
läge allein in der Verfügung der jeweiligen verantwortlichen Akteure. Die Wahl
in der individuellen Verfügung zu belassen unterschätzt einerseits die verantwortung
gegenüber dem Publikum, mit dem man etweas tut aber auch den
gesellschaftlich-politischen Rahmen, in dem man agiert.
Mark Dion, William Schefferine: Rain Forest Preserves |
Mein mir wichtigstes
Argument kommt aber wiederum aus der Geschichte, Struktur und Logik des Museums
selbst, die diese Wahl determinieren.
Vermittlung kann wohl nur
dann sich weiter entwickeln, wenn man sich selbstbewußt, fachlich und
museologisch fundiert und im gesellschaftlichen Kontext verantwortlich
positioniert, wenn sie ihre Position und die des Museum reflektiert.
Dabei habe ich immer die
historisch-institutionelle Verfasstheit des Museums (wie eingangs kurz
skizziert) als eines - möglicherweise unvollendeten - „Projekts der Moderne“ im
Auge. Entweder man nutzt das dort bereitstehende Potential und arbeitet am
wohlfahrtsstaatlichen Konzept weiter und verändert es oder man überschreitet
es, aber dann kann man auch das nur begründet und mit einer überzeugenden
Alternative tun. Alles andere hieße für mich bei der Erosion einer Idee bloß
zuzusehen, tatenlos auf der Titanic stehen und abzuwarten, wie das Wasser
steigt.
Aber selbst etwas zugrunde
gehen zu lassen, im Sinne eines Verwerfens oder Verabschiedens, einer
endgültigen Zurückweisung, braucht ein Wissen, was man zurückweist, sonst ist
es blinde Destruktivität. Erst im Wissen einer Differenz blitzt das Andere und
das Bessere auf.
Es gibt einen weiteren Weg.
Man kann entdecken – und ich kenne manche Kollegin, manchen Kollegin der ihn,
aus Resignation oder im Gegenteil, kreativ und optimistisch geht -, daß die
Ziele, die man verfolgt, mit den Mitteln des Museums gar nicht (mehr)
durchsetzbar, nicht zu verwirklichen sind.
Wäre es dann nicht gleich
besser, mit dem Ruf ,Raus aus dem Museum‘, sich auf (in jeder Hinsicht)
riskante, innovative, organisatorisch wie inhaltlich und strategisch neue
Projekte, Ziele, Kooperationen einzulassen und die alte staubige Tante Museum,
die selbst von ihren eigenen Vertretern so sehr vernachlässigt, mißverstanden
und unterschätzt wird, hinter sich zu lassen?
Wobei die Pointe die wäre,
daß man dann die im Museum angelegten Ziele und Potentiale, zwar jenseits
seiner Mauern, aber unbelastet von deren verhärteter Strukturen, wieder
entdecken, ernst nehmen, reflektieren und radikalisieren könnte.
Montag, 11. Februar 2013
Sonntag, 10. Februar 2013
Audience Development
Das Ende der Harmlosigkeit. Übers Vermitteln (Teil 1)
Das Ende der
Harmlosigkeit
Tagung mediamus, Lenzburg Vermittlung
im Museum. Stellenwert und Handlungsspielräume.
Diese Überlegungen sind im Zusammenhang
mit der Tagung Vermittlung im Museum.
Stellenwert und Handlungsspielräume entstanden, die mediamus im September 2012 auf der Lenzburg (CH) stattfand. Alle
Beobachtungen zur aktuellen „Vermittlungsszene“ sind sehr subjektiv und
bruchstückhaft. Während ich am Beginn meiner Beschäftigung mit dem Museum viele
Kontakte pflegte, ist heute die Aufmerksamkeit für Fragen der Vermittlung auf
Grund anderer Arbeitsschwerpunkte in den Hintergrund gerückt. Dennoch hat es
mich interessiert, aus Anlass der genannten Tagung, meine Beobachtungen einmal
zusammenzufassen und jene Fragen zu stellen, die den Veranstalterinnen wichtig
war: welchen Stellenwert und welche Handlungsspielräume hat „Vermittlung“?
(zum Teil 2 hier)
(zum Teil 2 hier)
Ausstellung "Leidenschaften". Hygiene-Museum Dresden 2013 |
Museum should transform themselves
from beeing about something to being for somebody.
Stephen Weil
Das Feld der Vermittlung
Seit ich in den 80er-Jahren
mit Museumspädagogik, so hieß das damals noch, wofür heute meist ‚Vermittlung’
verwendet wird, in Berührung gekommen bin, Akteure und Projekte kennengelernt
habe und schließlich mit Freunden Weiterbildungsprojekte entwickelt habe, hat
sich die Szene – ich kann nur von Österreich sprechen -, verändert. Es gibt
mehr Museen denn je, die ihr eigenes Vermittlungspersonal und einschlägige
Programme haben und seit einigen Jahren gibt es eine staatliche Kampagne in der
Kombination von freiem Eintritt in Bundesmuseen für Kinder und Jugendliche und
Projektgeldern für Vermittlung. Das Museum, an dem ich arbeite, beschäftigt,
z.T. geringfügig, über einhundert in der Vermittlung tätige Personen.
Im Gegenzug dazu ist die
ehedem bunte und innovative freie Szene geschrumpft. Entweder ist sie in Museen
untergekommen oder hat angesichts der institutionellen Konkurrenz aufgegeben.
Das Resultat ist weder in
Hinblick auf die Ziele und Inhalte der Arbeit noch in Hinblick auf die
Beschäftigungssituation eindeutig. Die Beschäftigungssituation hat sich
vielleicht weniger verändert als man denkt, weil auch im Museum Vermittlung
meist einen geringen Status hat und von prekär Beschäftigten geleistet wird - selbst
dort, wo das Museum von der Attraktivität der Programme zählbar – und darum
geht es Museumsleitungen oft – profitiert.
Der Organisationsgrad ist
höher denn je, es gibt Verbände, Zeitschriften, Webauftritte, Tagungen und
ungleich mehr an verschiedenartigsten Weiterbildungsangeboten als noch vor 20,
25 Jahren.
Was Inhalte und Methoden
betrifft, so ist mein – sehr subjektiver Eindruck, daß es in Österreich -, und
nur von Österreich, ich wiederhole mich, kann ich sprechen -, eine Stagnation
gibt. Innovative Projekte scheint es eher in unabhängigen Gruppen zu geben oder
solchen, die projektbezogen und daher zeitlich begrenzt mit Museen
zusammenarbeiten.
Es scheint sehr viel Routine
zu geben, viel Weiterverwenden des Bewährten und einen geringen Bedarf, Praxis
und Theorie untereinander abzugleichen und an den Wandel des Museums, seines
Umfeldes und seines Publikums anzupassen.
Trotz des vielfältigen
Weiterbildungsangebotes sehe ich weit und breit keine echte Ausbildung, was
aber nach wie vor für die Museumskernberufe generell auch weiter gilt, wo ja
die fachliche, akademisch-wissenschaftliche Ausbildung nach wie vor der
Königsweg zu den Schlüsselpositionen des Museums ist. Solange es kein
einigermaßen klar definiertes Berufsfeld ‚Vermittlung’ gibt, kann es auch kaum
so etwas wie eine Ausbildung geben: keine Professionalisierung ohne Profession.
Auch im Hinblick auf
Erfahrungen und Beobachtungen aus der Institution, an der ich arbeite, schließe
ich, daß sich im Kern an der Situation der Vermittlung in den letzten Jahren
und Jahrzehnten nicht sehr viel geändert hat. In Status, Bezahlung und
Machtpositionierung rangiert die Vermittlung meist noch immer im unteren Viertel
der Machthierarchie, mit der Konsequenz, daß sie selbst kaum aus einer -
freiwillig angenommenen oder aufgezwungenen -, innerinstitutionellen
,Dienstleister‘-Rolle herauskommt und diverse von ihr nicht hinterfragbare
Zielsetzungen bedient. Und das mit Vermittlungsformen, die unter
Harmlosigkeits- oder Verharmlosungsverdacht stehen, wie Kindergeburtstage,
VIP-Führung, Ferienspiele, Nacht-im-Museum, Schatzsuchen, Malen und Basteln im
Museum usw.
VermittlerInnen
(MuseumspädagogInnen usw.) sehen sich im Museum in einer Rolle, die zwischen
zwei Polen situiert ist: entweder als verantwortliche und aktive Akteure, die
sich mit neuen technisch-medialen und sozialen Fragen konfrontiert sehen oder
als passiv Ausführende von vorgegeben Aufgaben.
Marcel Broodthaers: Projet pour un musée sur un ile d´serte, Ile du Musée. 1971 |
Gerade die reflektierteren
Tendenzen der Vermittlungsarbeit geraten dabei m.M. nach in eine mehrfach
geschichtete Situation der Überforderung. Vereinfacht gesagt, weil sie
einerseits den aktuell wichtiger werdenden und problematischen
,dienstleisterischen‘ und ,marktorientierten‘ Museumsstrategien zuwiderlaufende
Ziele verfolgen, gleichzeitig aber selten gewahr werden, daß sie im Grunde
immer auch schon ein Stück weit einer dem Museum seit je inhärentes Ziel
verfolgen, nämlich eine letztlich analytische, selbstbewußte, kritische
Öffentlichkeit zu generieren. Paradoxerweise tendiert gerade die reflektiertere
Spielart der Vermittlung an ihrer Selbstabschaffung. An ihrer Auflösung in
einer komplexen Museumspraxis, in der ja Vermittlung immer ein essentieller
Bestandteil war. Avantgarde in der Vermittlerszene sein, heißt, so stellt es
sich für mich dar, eher eine von institutionellen Praktiken in jeder Hinsicht
abgekoppelte und sehr eigensinnige und selbstbewusste Arbeit zu betreiben, die
viele Schnittstellen mit anderen kulturellen Praktiken hat, mit der
Theaterarbeit, der Stadtteilarbeit, der künstlerischen Intervention und anderem
mehr.
Die museologische und
vermittlungstheoretische Tradition, in die sie sich einschreiben könnten,
nehmen sie dabei selten als Potential wahr. Wie das Museum in seiner
Alltagspraxis agiert auch die Vermittlung eigentümlich ‚geschichtslos’.
Wenn ich, was eher nur noch selten
passiert, ein einschlägiges Projekt kennenlerne oder auf einer Fachtagung Gast
bin, verhärtet sich das Gefühl, daß sowohl die Diskussionen - gerade in Bezug
auf die grundsätzlichen Fragen - auf der Stelle treten als auch, daß sich das
Methodenspektrum kaum erweitert hat.
Bei der Entwicklung einer
kohärente Theorie als Grundlage der Vermittlung hat man vom Museum keine
Unterstützung zu erwarten haben, weil es ja auch eher nur an kurzfristig-pragmatischen
Zielen orientiert ist, an medialer Aufmerksamkeit, Besucher‘umsatz‘, politischer
Akklamation usw. Und weil museologische Theoriebildung kaum an Museen
stattfindet und umgekehrt auch kaum Anwendung findet. Museologie und Museum
existieren in parallen Universen.
Die Herausforderung, die in
dieser Situation steckt, läßt sich so zusammenfassen: spricht die Institution Museum
gewissermaßen durch die Vermittlung hindurch und vollzieht Vermittlung die
autoritative, hegemonialae Rolle der Institution fraglos mit? Oder ist Vermittlung
in der Lage und Willens, so etwas wie eine Gegenöffentlichkeit innerhalb der
Institution zu bilden? Erhebt Vermittlung eine eigne Stimme und soll und kann
sie die haben, wenn man anerkennt, daß das Museum „Vermittlung ist“?
Der beschriebene prekäre
Status der Vermittlung hat verschiedene Ursachen, über die ich bestenfalls
Vermutungen anstellen kann. Eine Ursache ist wohl ein grundlegender
struktureller Widerspruch. Der, ich wiederhole mich, daß Vermittlung ein Teil
einer selbst vermittelnden Institution ist. Alles am Museum, von der Auswahl
der Objekte über die wissenschaftliche Bearbeitung bis zur Ausstellung und der
Erzeugung von Bedeutung durch Positionierung und Texte und anderes mehr, das ist Vermittlung. In ihr ist schon
alles einbezogen, der, der über die Bedeutungen verfügt, sie „erzeugt“, in der
privilegierten Position des „Sprechers“ (Autors) ist, all die Exponate, Dinge,
Medien, Szenografien, Texte, mit deren Hilfe Bedeutungen kommuniziert werden
und last but not least der Besucher, der wie der Leser oder Kinogänger den „Text“
mit produziert und immer schon „im Bild ist“ (W.Kemp). Wo hat hier die
„Vermittlung“ als besondere Funktion oder Rolle ihren Platz?
Die relative
Geringschätzung, der sich Vermittlung vielerorts noch ausgesetzt sieht, und die
sich in einer diskriminierenden Situierung in der Hierarchie und der
diskriminierenden Bezahlung niederschlägt, hat womöglich mit diesem
strukturellen Widerspruch zu tun. Für die, die im Museum traditionellerweise
die Machtpositionen besetzen, die fachlich-akademische ausgebildeten Kuratoren,
mag Vermittlung als überflüssige Fleißaufgabe erscheinen, wenn nicht sogar als
Konkurrenz um eine zentrale Aufgabe, die der (Re)präsentation, Visualisierung,
kurzum des Ausstellens. Da nützt es noch immer wenig, wenn man darauf hinweist,
daß diese sehr spezifische, zwischen Kunst und Wissenschaft oszillierende
Kompetenz, in der akademische-fachlichen Ausbildung nahezu nie vermittelt wird,
während andrerseits Vermittler oft sehr komplexe einschlägige Qualifikationen
haben.
Technisches Museum. Wien. Semipermanente Ausstellung "In Arbeit". 2011ff |
Das museologische Feld
Einige Stichworte, die in
den letzten Jahren immer wieder aufgetaucht sind: Inklusion, Neue Museologie,
Partizipation, Social Inclusion, Museum 2.0, Audience Development u.a.m. Allen
Stichworten gemeinsam sind zwei Aspekte: alle beziehen sich auf das Verhältnis
Museum - Öffentlichkeit – BesucherInnen und alle sind Chiffren für den Wunsch
nach Veränderung, Reform, Entwicklung des Museums.
Derartige Schlagworte
drücken den Wunsch nach Transformation des Museums aus, nach größerer
Publikumsnähe, Nutzung neuer Kommunikationsformen Wobei immer wieder die New Museology
als museologischer Bezugspunkt gewählt wird, (obwohl die inzwischen so ‚new’
nicht mehr ist) und alle verraten ein Missbehagen am herkömmlichen
pragmatischen Selbstverständnis des Museums. Dessen Wappenschild ist die ,ICOM-Definition‘, die so viele vor
sich hertragen, um sich und das Museum vor unangenehmen Fragen
und Einsichten zu schützen.
Ich kann aber nicht
erkennen, daß sich dieses Missbehagen, das sich in den Schlagworten ausdrückt,
sich nachhaltig formiert und als in die Praxis wirkend und eingreifend
etabliert hätte.
All den Beschwörungen, die
ihre wiederkehrenden Formeln haben wie etwa den Kampfrufen ,Neue Museologie!‘
oder ,Partizipation!‘, haftet wegen der Ineffektivität im Feld der Praxis etwas
Geisterhaftes an, so als ob diese Forderungsrituale eher nur den Zweck hätten,
gelegentlich durch Berufung auf das ganz
Andere die herrschende öde Realität unangetastet lassen zu können. Oder ist
ein bisschen so wie in Robert Musil es (in seinen nachgelassenen Fragmenten
nachzulesen) im Mann ohne Eigenschaften
analysiert hat, daß die Menschen nicht gut, schön und wahrhaftig
sind, sondern es lieber sein wollen?[1]
Die Dynamik des Museums wird
sicher nicht von den fachlichen Debatten um Museum 2.0 oder Partizipation
bestimmt, nicht von idealen Projektionen, die überdies fatal nach naiver
Technik- und Mediengläubigkeit schmecken, deren praktische Einlösung aber nirgendwo
stattfindet. Die Dynamik der Transformation des Museums kommt nicht aus dem
Kern der Institution, nicht einmal aus den auf sie bezogenen Metadiskursen. Sondern
überwiegend an das Museum von außen herangetragenen und von sehr
unterschiedlichen Interessen getragenen Entwicklungen.
Positiv z. B. von der
beispiellosen Entwicklung der Museumsarchitektur, der Museumsgestaltung
(Szenografie usw. - nebenbei gesagt der inzwischen wohl bestorganisierte und
offensivst aufgestellte museumsaffine Berufsstand), künstlerischen
Interventionen und Experimenten.
Negativ vom allseits um sich
greifenden Spardiktat, das heißt von der erzwungenen Erosion des
wohlfahrtsstaatlichen Konzepts auch des Museums im Kontext einer umfassenden
Verabschiedung der Politik von diesem Gesellschaftsmodell. Konkret von der von
den Museen eilfertig vorangetriebenen Dienstleistungsorientierung,
Ökonomisierung oder den Tendenzen der Reprivatisierung wenn nicht
Refeudalisierung.
Den großen
Herausforderungen, denen sich Museen heute gegenüber sehen, Kürzung der Mittel,
verstärktes Vordringen privater Interessen, Konkurrenz anderer Medien oder
Wandel des Publikumsinteresses und demografische Veränderung des Publikums
(etwa Schrumpfen des Bildungsbürgertums), begegnen Museen eher defensiv oder
gar willfährig. Der Kunsthistoriker und Museologe Walter Grasskamp hat unlängst
festgestellt, daß Museen immer weniger imstande sind, sich zu legitimieren,
ihre Existenz zu rechtfertigen, ihre Arbeit öffentlich zu deklarieren.
Die sozialtechnologischen
Strategien, die sich etwa hinter dem Stichwort Web 2.0 verbergen oder dem der
social inclusion, ignorieren den historisch-gesellschaftlichen Kontext, in dem
Museen entstanden sind, wirken und zu entwickeln wären. Sie bieten punktuelles
Basteln im Interesse eines reibungsloseren Funktionierens innerhalb der als
Sachzwang hingenommenen und weitgehend affirmierten Gegenwartspraxis der Museen
an.
Marco Lulic: Museum of Revolution. Wien 2010 |
Museum should transform themselves from beeing about something to being
for somebody.
Der Satz von Stephen Weil, den ich wie ein Motto über diesen Text gestellt
habe, scheint ebenso trivial zu sein, wie die Forderung nach mehr oder anderer
Öffentlichkeit. Denn waren Museen nicht immer öffentlich in einem essentiellen
und emphatischen Sinn, das heißt, nicht bloß Dienstleistungsinstrumente, die eben
auch ein Publikum hatten, sondern Gefäße der Herstellung (bürgerlicher)
Öffentlichkeit, ein zivilierendes Ritual (C. Duncan. Sabine Offe), der immer
auch schon ein subversives, Demokratie ermöglichendes und mit herstellendes
Moment eingeschrieben war.
Wenn man heute feststellt,
daß mit der Museumsöffentlichkeit etwas defizitär zu sein scheint, dann wäre es
doch an der Zeit, einmal einen museumssoziologisch und museumsgeschichtlich
unterfütterten Begriff vom Museum zu entwickeln, um präzise bestimmen zu
können, woran genau es mangelt und wohin denn die Entwicklungsreise gehen soll.
Wer will eigentlich was vom Museum?
Unglücklicherweise fehlt den
Museen etwas, was andere kulturelle Institutionen selbstverständlich kennen:
Kritik. So etwas wie Ausstellungskritik, die ihren Namen verdient, gibt es
kaum. Museumskritik, die der Komplexität der Institution gerecht würde, kenne
ich nehezu überhaupt nicht. Es gibt kaum eine Analyse der spezifischen
Medialität und Disposition, mit der Inhalte transportiert und Bildungsziele und
Erfahrungsmöglichkeiten anvisiert werden. Also entfällt auch eine Reflexion,
die über das Mantra der Erbsenzählerei von Besuchern hinaus eine qualitative
Bestimmung von Öffentlichkeit leisten könnte und damit – vor diesem Hintergrund
– eine von Vermittlung. Warum soll mit welchen Zielen wem etwas vermittelt werden?
[1] „Darum ist es das
Lebenerhaltende schlechthin, daß es der Menschheit gelungen ist, anstatt
dessen, ‚wofür es sich wirklich zu leben lohnt’, das ‚dafür’leben zu erfinden
oder, mit anderen Worten, an die Stelle ihres Idealzustands den ihres
Idealismus zu setzen.“ Mit dem „Dienst am Ideal“ wird „das Ideal selbst
ausgeschlossen“. Robert Musil: Der Mann ohne Eigenschaften. Reinbek 2010. S.1458ff., Zitat S. 1460 und
1460f.
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