Donnerstag, 28. April 2011

Postideologische Museumspolitik. Die Ausstellung der Bundesrepublik Deutschland "Kunst der Aufklärung" im Chinesischen Nationalmuseum

Über zehn Jahre soll die Vorbereitung der Ausstellung "Kunst der Aufklärung" gedauert haben. Die drei großen Museumsverbünde hatten sich zur Ausrichtung dieser Ausstellung zusammengeschlossen, die Museen der Stiftung Preussischer Kulturbesitz Berlin, die Bayrische Staatsgemäldesammlungen und die Dresdner Kunstsammlungen. Die Ausstellung fiel mit der Neueröffnung des (von einem deutschen Architekten) umgebauten und erweiterten Nationalmuseums in Peking zusammen und wurde von der Mercator-Stiftung und dem Autoherdsteller BMW finanziert.
Die Ausstellung ist die bei weitem größte und teuerste, die je im Ausland von Deutschen Museen ausgerichtet wurde.  Sie steht unter dem Schutz der beiden Staatspräsidenten und wurde auf höchster politischer Ebene eröffnet.
Diese Eröffnung war bereits überschattet von der Ausladung eines der wichtigsten, an der Vorbereitung der Schau beteiligten Wissenschafter, der von den chinesischen Behörden bezichtigt wurde, er sei 'kein Freund des Chinesischen Volkes'.
Der eigentliche Eklat ereignete sich kurz nachdem die diversen diplomatischen Zeremonien beendet waren. Der in Europa bekannteste Künstler Ai Wewei wurde verhaftet und der Wirtschaftskriminalität beschuldigt. Sein Verbleib ist seit der Verhaftung unbekannt.
Schon vor Weiweis Verhaftung (der weder in der Ausstellung, noch im Begelitprogramm eine Rolle spielte), gab es herbe Kritik an der Ausstellung als einer Art Kollaboration mit einem Unrechtsregime, das die Aufklärungsschau nur für ihre politische Zwecke instrumentalisiere. Nach der Verhaftung des Kritikers der Chinesischen Politik attackierten und attackieren die Medien in Deutschland vor allem die drei verantwortlichen Direktoren und namentlich den Leiter der Dresdner Museen, Martin Roth.
Wie oft in solchen Fällen kommt eine Kritik der Ausstellung selbst kaum zustande, also eine Auseinandersetzung mit ihren Inhalten, Erzählweisen und Darstellungsformen. Man ahnt mehr als das man es den zahllosen inzwischen publizierten Artikeln entnehmen kann, daß die Ausstellung relativ konventionellen Präsentationsprinzipien folgt, von denen nicht klar wird, inwieweit sie den offenbaren Schwierigkeiten der Ausstellung gerecht wird. Nämlich ein Thema zu vermitteln, das im Gastland auf kaum eine kulturelle Vorerfahrung aufbauen kann. Die kulturelle Differenz, die Propagierung eines China zwar nicht fremden aber ganz anders bestimmten Begriffs "Aufklärung", die Reserviertheit des chinesischen Publikums gegenüber derartigen Ausstellungen hätte doch zu einer besonders sorgfältigen Reflexion der Gestaltung und Strukturierung der Schau führen müssen.
Verblüffend ist es, zu hören, wie die drei Generaldirektoren mit einem anderen Widerspruch umgehen, mit dem, daß eine Kunstausstellung einen kulturgeschichtlichen, politischen Begriff 'umsetzen' soll. In ihren Wortmeldungen gerät man in ein Dickicht von Abwehr und Zuschreibung, wo mal Aufklärung als kunstferner Begriff, im selben Atemzug aber das Politische der Schau betont wird.
Genau dies aber steht seit Wochen im Zentrum der Kritik, die politische Absicht und der politische Effekt der Ausstellung. 'Innenpolitisch' ist es eine repräsentative Kunstausstellung von überragender Bedeutung, weil sie als eine Art von Eröffnungsausstellung des Nationalmuseums des größten, mittlerweilen politisch und ökonomisch enorm bedeutenden China propagiert werden kann. 'Außenpolitisch' ist es ein diplomatischer Coup, mit der sich Deutschland als andere Staaten überflügelnder Kooperationspartner in Politik und Wirtschaft stilisieren kann. Und 'museumspolitisch' steht die Ausstellung in der Tradition jener kulturellen Globalisierung mit der Museen wie das Guggenheim-Museum oder der Louvre international zu agieren begonnen haben. Wenn man will, kann man das durchaus auch in der nationalpolitischen Konkurrenz sehen, in der Museen zu gewichtigen Spielsteinen im Monopoly der 'Standortkonkurrenz' geworden sind. Die 'Konzernbildung' im Museumswesen, wie sie vorab hat stattfinden müssen, um so staatspolitisch gewichtig auftreten zu können, also der Zusammenschluß dreier Großmuseen, die ihrerseits schon etwas von Konzernstrukturen haben, folgt zu offensichtlich der Logik ökonomischer Globalisierung, als daß man das nicht als mögliche Entwicklungstendenz von Museen wahrnehmen und ernst nehmen sollte.
Die deutsche Diskussion (in Österreich wird darüber fast nichts berichtet, über das VerschwindenAi Weiweis sehr wohl...) interessiert mich genau deshalb, weil hier mögliche Zukunftsszenarien sichtbar werden, in der organisatorischen Struktur, in der Instrumentalisierung nationaler Museen für wirtschaftspolitische Zwecke, in der Entideologisierung von Tradition, im Kassieren der Restbestände demokratischer Kulturpolitik, die durch politik- und wirtschaftsabhängige 'Auftragserteilung' abgelöst wird.

Was folgt ist eine, nicht strikt chronologisch geordnete Sammlung von 'Wortmeldungen' aus den diversen Medien. Die Verlinkung erlaubt, die jeweiligen Artikel vollständig nachzulesen.


SZ: Gleichzeitig findet eine große deutsche Ausstellung im größten Museum der Welt am Platz des Himmlischen Friedens statt. Sie trägt den Namen 'Kunst der Aufklärung'. Wie denken Sie darüber?
Ai: Der Platz des Himmlischen Friedens ist der ironischste Ort der Welt für eine Ausstellung über die Aufklärung, denn wir Chinesen erleben gerade ein Zeitalter der Dunkelheit. Es gibt einen wirtschaftlichen Boom, und die Lebensverhältnisse der Menschen verbessern sich allmählich. Gleichzeitig aber ist China an einem neuen Tiefpunkt angelangt, was die Redefreiheit betrifft, die Freiheit des künstlerischen Ausdrucks oder die Freiheit der Erziehung. Es ist ein neuer Tiefpunkt für unsere Zivilgesellschaft. (Ai Weiwei in einem fünf Tage vor seiner Verhaftung und vor der Eröffnung der Ausstellung "Kunst der Aufklärung" gegebenen Interview. "Wir leben im Zeitalter der Verrücktheit". Süddeutsche Zeitung 5.4.2011)

"In China ist die Literatur der Aufklärung Pflichtlektüre und es gibt einen großen Bildungshunger. Da lag es nahe, diese Epoche mit Gemälden und Objekten zu vermitteln, damit sich zur Literatur dieser Zeit auch eine bildliche Vorstellung gesellt: zum Beispiel zum höfischem Leben, zu den Errungenschaften der Technik, zum veränderten Geschichtsbewusstsein oder zur neuen Rolle der Frau in der Gesellschaft. In insgesamt neun Kapiteln wird die Kunst der Aufklärung - auch mit ihren Schattenseiten sowie einem Ausblick in die künstlerische Gegenwart - vorgestellt. Damit bietet die Ausstellung allen Besucherinnen und Besuchern in Peking vom Schulkind bis zum Intellektuellen zahlreiche Anknüpfungspunkte."
Michael Eissenhauer, Martin Roth und Klaus Schrenk: Was bedeutet Ali Weiweis Verhaftung für uns? Frankfurter Allgemeine Zeitung 09.04.2011

Bei dem, was jetzt in Peking zu sehen ist, stimmen weder das Ausstellungskonzept noch das Begleitprogramm, weder Politik noch Kultur. "Die Kunst der Aufklärung" ist ein Fiasko - und sie geht keineswegs mutig mit den Gastgebern und deren politischen Vorgaben um.
Bei den geplanten Debatten im Forum "Aufklärung im Dialog", von der Mercator-Stiftung finanziert, fehlt zum Beispiel die Stimme des bedeutendsten chinesischen Gegenwartskünstlers. Ai Weiwei, das weltweit bekannte Sprachrohr der Opposition, musste leider draußen bleiben. Die Auswahl der Gäste lag bei der chinesischen Regierung, offenbar mochten die deutschen Aufklärer die andere Seite nicht allzu sehr provozieren. (
Die Kunst des Gähnens, DIE WELT, 31.3.2011)

Vor Beginn der Ausstellung «Die Kunst der Aufklärung» in Peking haben die Macher in China ein großes Interesse an der Thematik ausgemacht. «Das Thema Aufklärung ist von unseren Partnern in China gewünscht und getragen», sagte der Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, Martin Roth, der «Dresdner Morgenpost» (Dienstag). Besondere Brisanz sehe er nicht. «Wir kommen als Brückenbauer, nicht als politische Missionare.» (
Generaldirektor: «Kunst der Aufklärung» soll Brücken bauen, Bild.de 14.3.2011)

Wenn alles gut geht, könnte in den nächsten Tagen ein Wunder geschehen. Dann wird sich im Pekinger Frühling schlagartig das Gedankengut der Aufklärung verbreiten: Freiheit, Menschenrechte, Demokratie. Und die Deutschen hätten dies alles nach China eingeschleust, mit einer bahnbrechenden Ausstellung: "Die Kunst der Aufklärung." (Die Kunst des Gähnens, DIE WELT, 31.3.2011)
 
Vor der Eröffnung war die politische Indienstnahme der „Kunst der Aufklärung“ intensiv diskutiert worden. Die Verpflichtung zum Gelingen ist beinahe zwangsläufig Teil eines politischen Spiels, aus dem die deutschen Museen und das Auswärtige Amt bei dem Projekt nicht herauskommen. Man war nur bedingt Herr der Regeln, auch wenn Roth beteuerte, dass den Museen bei der Konzeption nicht hereingeredet worden sei. Das verhaltene Auftreten der deutschen Vertreter markierte nicht zuletzt auch die politische Ambivalenz dieses von BMW und der
Mercator-Stiftung gesponserten Mammutprojektes, das durch eine Konferenz zum Thema abgerundet wurde. (Der Schlaf der Vernunft und ihr Erwachen, Frankfurter Rundschau, 3.4.2011)
Die Eröffnungsfeierlichkeiten zur "Kunst der Aufklärung" waren eine mehrtägige Performance. Ihr Titel hätte lauten müssen: Wie man beständig von Dialog redet, aber trotzdem keinen zustande bekommt. Die Museumsdirektoren, die die Schau verantworten, begannen gleich mit einer Selbstverteidigung. (Peking, wie es lächelt und schweigt, Die Welt 4.4.2011)
Als höchstrangige Vertreterin Chinas begrüßte die Staatsrätin Liu Yandong die Schau im neu renovierten Nationalmuseum am Pekinger Platz des himmlischen Friedens als Beweis für die guten Beziehungen beider Staaten. Liu ist Mitglied des 15-köpfigen Politbüros der Kommunistischen Partei Chinas und damit die mächtigste Frau des Landes. (Trophäen im Haus der Macht. taz, 2.4.2011)

Euphorisch feiert die
Staatspresse den 270 Millionen Euro teuren Umbau und rechnet vor, dass das Museum mit einer Baufläche von 200000 Quadratmetern größer sei als jedes andere Museum der Welt. Die Ausstellung „Kunst der Aufklärung“ belegt gerade einmal drei vergleichsweise kleine Räume. ... „Die Arbeiter von BUCG haben mit ihrem Herz, Blut und Schweiß einen heiligen Tempel für das chinesische Volk errichtet“, schrieb die Nachrichtenagentur Xinhua. (Pekinger Dachschaden, Frankfurter Rundschau 3.4.2011)

Bilder, Skulpturen, Möbel, Bücher und Kleider werden auf 2700 Quadratmetern gezeigt. Eine Schau der Superlative, die als deutscher Exportschlager im aufwendig von den deutschen
Architekten Gerkan, Marg und Partner (gmp) umgebauten Nationalmuseum eine kulturpolitische Kraftanstrengung zum Abschluss bringen. (Der Schlaf der Vernunft und ihr Erwachen, Frankfurter Rundschau, 3.4.2011)

„Aber im Juli kommt die Bundeskanzlerin nach China und wird sich bestimmt auch das Museum anschauen, und dann darf hoffentlich auch ich mal was sagen.“ (Der deutsche Architekt von Gerkan, zit. n.: Pekinger Dachschaden, Frankfurter Rundschau 3.4.2011)

Das Gebäude symbolisiert die Größe und Macht des neuen Chinas. Hinter der alten Fassade wurde kräftig angebaut, aus 35.000 Quadratmetern wurden 191.900 Quadratmeter. Für rund 250 Millionen Euro entstanden 49 Ausstellungshallen, ein Kino, ein Auditorium und eine gewaltige Lobby von 260 Metern Länge, 34 Metern Breite und 27 Metern Höhe.  (Trophäen im Haus der Macht. taz, 2.4.2011)

Zum Schluss spielte die Sächsische Staatskapelle Dresden Ludwig van Beethovens dritte Sinfonie, die "Eroica". - Gewöhnliches Publikum darf erst ab dem Wochenende durch die Hallen dieses größten Museums der Welt strömen. (Trophäen im Haus der Macht. taz, 2.4.2011)

"Die europäische Aufklärungsidee wurde zur wichtigen Referenz für das chinesische Volk während der Überwindung der feudalen Unterdrückung, im Kampf gegen ausländische Aggressionen und auf dem Weg zur Wiederbelebung des Volkes", schreibt Lü Zhangshen im Ausstellungskatalog, der Leiter des Nationalmuseums. (Trophäen im Haus der Macht. taz, 2.4.2011)

Nicht minder schwierig war die Zusammenarbeit mit einer chinesischen Kulturbürokratie, die den Ehrgeiz hatte, mit der Wiedereröffnung ihres Nationalmuseums am Platz des Himmlischen Friedens zugleich das größte Museum der Welt zu eröffnen. Die Kunst der Aufklärung als kulturpolitische Selbstvergewisserung in Zeiten der Globalisierung. (Der Schlaf der Vernunft und ihr Erwachen, Frankfurter Rundschau, 3.4.2011)

Freundlich ging es zu, als die größte jemals im Ausland gezeigte deutsche Kunstausstellung eröffnet wurde. Der eigens angereiste deutsche Außenminister Guido Westerwelle sagte, welch "große Ehre" das alles für die Deutschen sei. (Trophäen im Haus der Macht. taz, 2.4.2011)

Martin Roth, Chef der Dresdener Kunstsammlungen, annoncierte eher beiläufig die Abwesenheit des Schriftstellers und
Sinologen Tilman Spengler, der das Projekt seit seiner Entstehung als Berater des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder mit auf den Weg gebracht hatte. War der Mann verhindert? Womöglich krank? Weder, noch. Spengler hatte zur Eröffnung kein Einreisevisum erhalten. (Der Schlaf der Vernunft und ihr Erwachen, Frankfurter Rundschau, 3.4.2011)

Auf die Frage einer Reporterin, wie sich denn diese Versprechen mit dem Einreiseverbot von Tilman Spengler vertrügen, antwortete der chinesische Regierungsvertreter erst gar nicht. Die Pressekonferenz war damit beendet, im Saal brach verhaltenes Gelächter aus. (Peking, wie es lächelt und schweigt, Die Welt 4.4.2011)
Ich mochte es nicht glauben: Ganz ohne Not, aus voller Überzeugung, standen die Herren von den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden in der Reihe hinter mir auf und applaudierten Herrn Lü, dem Direktor des chinesischen Nationalmuseums. In Gegenwart des deutschen Außenministers Guido Westerwelle und des chinesischen Kulturminister Cai Wu erklärte Lü dem Kollegen von der Süddeutschen Zeitung, die Frage gehe ihn nichts an, schließlich sei er nicht von der Visaabteilung. Der Kollege hatte um eine Stellungnahme zum Fall Tilmann Spengler gebeten, der als Mitglied der deutsch-chinesischen Expertengruppe der Mercator-Stiftung nicht nach Peking kommen durfte, weil er nach seiner Laudatio auf den Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo nicht mehr als "Freund des chinesischen Volkes" gilt. (Die Feigheit der Aufklärer, taz 6.4.2011)

Petra Kipphofs Ausstellungsbesprechung gibt die bislang beste Vosrstellung von dem, was dort, im Nationalmuseum eigentlich zu sehen ist. "Eine ebenso heiter wie selbstbewusst den Besucher anblickende junge Frau gibt den Ton vor, lädt ein in die Ausstellung. Sie sitzt mit übergeschlagenen Beinen auf einem Steinblock, trägt ein locker den Körper umspielendes Kleid in den Farben der französischen Trikolore, hat einen Arm aufgestützt. Viele junge chinesische Frauen lassen sich fotografieren vor dieser Heinrike Danneker, die, gemalt von ihrem Jugendfreund Christian Gottlieb Schick, auf eine sehr natürliche Weise sowohl die Ideale der Französischen Revolution wie auch einer aufgeklärten Emanzipation in ihrer Person vereinigt. 
(Bei Licht besehen. «Die Kunst der Aufklärung» im neu eröffneten Nationalmuseum Peking, NZZ, 11.4.2011)

Polizisten treten ins Bild, stellen sich vor dem Eingang zum Atelier des weltbekannten Konzeptkünstlers Ai Weiwei auf. Mehr ist in den BBC-Nachrichten am Montagmorgen nicht zu sehen. Der Bildschirm wird plötzlich schwarz. (...) Ai Weiweis Verschwinden wirkt unmittelbar nach dem Abflug von Außenminister Guido Westerwelle von Peking so, als hätten die Behörden abgewartet, um ihre Abrechnung mit dem Systemkritiker nicht zum außenpolitischen Affront werden zu lassen. Westerwelle hatte die von deutschen Museen arrangierte Ausstellung "Die Kunst der Aufklärung" im neuen Nationalmuseum Pekings eröffnet.  (Wie man Menschen wegharmonisiert, Die Welt 5.4.2011)

SZ: Sehen Sie in China derzeit noch Möglichkeiten für Künstler, eine öffentliche Rolle zur Veränderung der Gesellschaft zu spielen, wie es ja die Aufklärung in Europa gefordert hatte?
Ai: Kaum. Für das öffentliche China existiere ich ja gar nicht mehr. Wenn Sie meinen Namen in eine Suchmaschine im Internet tippen, dann erscheint eine Fehlermeldung. Ich bin 'wegharmonisiert' worden. (Ai Weiwei in einem fünf Tage vor seiner Verhaftung und vor der Eröffnung der Ausstellung "Kunst der Aufklärung" gegebenen Interview. "Wir leben im Zeitalter der Verrücktheit". Süddeutsche Zeitung 5.4.2011)

Bereuen Sie nach der Festnahme des chinesischen Künstlers Ai Weiwei Ihre Kooperation mit China?
--- Nein. Wenn ich mich aus dieser Art von Projekten zurückziehe, könnte ich meinen Job gleich aufgeben. Außerdem bewundere ich die Leistungen Chinas, auch wenn es Rückschläge gibt. Ich verstehe meine Arbeit immer politisch. Wenn wir die Kunst aus dem gesellschaftlichen Zusammenhang lösen, haben wir verloren. Ich glaube an den Dialog, zu dem auch der Streit gehört – deshalb arbeite ich sogar mit Teheran zusammen. Wenn die Kultur schweigt, ist alles verloren. Und dennoch arbeite ich in einem Museum und nicht in der Politik. Und genau deswegen haben wir ganz andere Möglichkeiten, die auch subtiler sind als Parolen. (Martin Roth, Generaldirektor der Dresdner Museen) (Ich glaube an die Kraft des Dialogs, Frankfurter Allgemeine 5.4.2011)

Am 1. April 2011 eröffnet im Chinesischen Nationalmuseum Peking die umfassende Ausstellung „Die Kunst der Aufklärung“. BMW ist Erster Partner der Kooperation, die von den Staatlichen Museen zu Berlin, den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden und den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen präsentiert wird. Das Projekt steht unter der Schirmherrschaft des Deutschen Bundespräsidenten Christian Wulff und seines chinesischen Amtskollegen Hu Jintao. Die Kooperation ist glanzvoller Höhepunkt des 2005 von Chinas Premierminister Wen Jiabao und Bundeskanzlerin Angela Merkel vereinbarten Programms zum deutsch-chinesischen Kulturaustausch. Zusätzlich bereichert BMW die bis zum Frühling 2012 andauernde Ausstellung mit weiteren Formaten. So wird zusammen mit den Partnerinstitutionen ein Austauschprogramm für junge Kuratoren aus China und Deutschland initiiert, das die beiden Kulturen einander näherbringen soll. Desweiteren bietet ein Jugendkongress die Möglichkeit kulturellen Austauschs. Eine Konzertreihe unter dem Titel „Die Musik der Aufklärung“ rundet das Programm ab. (BMW Gropu Press Club - Webseite, abgefragt 5.4.2011)

Anderthalb Stunden stehen die Besucher an diesem Dienstagmorgen Schlange, um in Pekings Nationalmuseum zu gelangen. Beim Warten können sie über den Platz des Himmlischen Friedens schauen. Am Eingang herrschen Sicherheitsvorkehrungen wie am Flughafen. Der Eintritt ist kostenlos.
Die Ausstellung, deretwegen die Massen anstehen, ist keineswegs die „Kunst der Aufklärung“, jene 600 Werke umfassende Gemeinschaftsschau der Staatlichen Museen zu Berlin, Dresden und München, die am 1. April von Außenminister Guido Westerwelle eröffnet wurde und den deutschen Steuerzahler zehn Millionen Euro kostet. Die Besucher kommen für ein Aufklärungsprojekt der anderen Art: „Der Weg zur neuen Blüte“ heißt die vom Propagandaministerium entworfene patriotische Erziehungsmaßnahme, durch die täglich tausende Chinesen geschleust werden.
Ein Best-of volksrepublikanischer Selbstüberhöhung soll die Liebe zur Kommunistischen Partei festigen und das Misstrauen gegenüber dem Ausland schüren. „Mutterland, ich bin stolz auf dich!“, schreibt ein Besucher beseelt ins Gästebuch. Ein Sechstklässler strahlt: „China ist eine so großartige Nation.“ Von Aufklärung keine Spur, Frankfurter Rundschau 19.04.2011
Die von den deutschen Medien so kritisierten Herren der Staatlichen Museen in Berlin, Dresden und München sagen dazu beschwörend und autosuggestiv: Es geht wie einst bei der DDR oder Sowjetunion um den „Wandel durch Annäherung“, und China wandle sich trotz Rückschlägen atemberaubend schnell. Doch diese Annäherung fällt schwer, im Moment. Gerade wurde ausländischen Korrespondenten in Peking verboten, chinesischen Besuchern der „Kunst der Aufklärung“ ohne polizeiliche Genehmigung überhaupt Fragen zu stellen. (Kritik und Kotau, Der Tagesspiegel 5.4.2011)

Es ist das Paradox eines sich aufklärerisch gerierenden Kunstbetriebs, dass er zwar auf die Aura 'kritischer Hinterfragung' und allgemeiner Bewusstseinsbildung setzt, sich aber im gleichen Atemzug einem Regime andienen kann, das die legitimen Nachfolger einer aufklärerischen Kunst verschleppt und misshandelt. (Aufklärung in Marmor, Frankfurter Allgemeine Zeitung 5.4.2011)

Damit weitet sich die Repression aus, die nicht nur in Peking, sondern in vielen Teilen Chinas zu Verhaftungen geführt hat: In den vergangenen Wochen sind nach Informationen von Menschenrechtlern in China Dutzende Anwälte, Schriftsteller, Journalisten und Internetkommentatoren festgenommen oder unter Hausarrest gestellt worden. Außerdem verschwanden mehrere prominente Bürgerrechtler, darunter auch der Anwalt Teng Biao. Die Sorge ist groß, dass sie in Polizeihaft gefoltert werden. (Ausweitung der Repressionszone, taz 4.4.2011)

Als vergangene Woche bei einer Diskussionsveranstaltung zur Aufklärungs-Ausstellung in Peking kritisch nachgefragt wurde, warum Tilman Spengler die Einreise verweigert wurde, gab es, wie in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung berichtet, Buhrufe von deutschen Wirtschaftsführern gegen den Fragesteller. Das kann man ebenso erschreckend wie verständlich finden: Für deutsche Autohersteller, wie sie auch diese Ausstellung fördern, stellt sich die Frage, ob man sich mit dem Regime in Peking gutstellen sollte, nicht, schließlich ist China mit 13,6 Millionen Neuzulassungen pro Jahr gerade zum wichtigsten Absatzmarkt der Welt geworden. (Aufklärung in Marmor, Frankfurter Allgemeine Zeitung 5.4.2011)

Dabei hätten doch die chinesischen Behörden allen Grund zur Zufriedenheit, denn die von dem Generaldirektoren-Trio - bestehend aus dem Berliner Michael Eissenhauer, dem Dresdner Martin Roth und dem Münchner Klaus Schrenk - konzipierte Aufklärungsschau ist so solide, bieder-historisch geraten, dass man nur schwer auf den Gedanken kommt, bei der Aufklärung handele es sich um eine noch immer aktuelle Idee, gar um ein unabgeschlossenes Projekt. (Die Freiheit im Museum gestrandet, Berliner Zeitung 5.4.2011)

Der Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, Martin Roth (siehe Interview unten), versteht das Unbehagen nicht.
„Wir sind keine politische Institution“, erklärte er schon am vergangenen Donnerstag. Angesichts der Verhaftung Ais, mit der auch der zur Eröffnung angereiste, höflich aufs Thema Menschenrechte pochende deutsche Außenminister brüskiert wurde, ist aber sehr fraglich, ob die Idee einer diplomatischen, auf Untertöne und subtile (für viele Besucher gar nicht dekodierbare) Botschaften der Bilder setzenden Ausstellung aufgeht - in einem Moment, da das Regime in Peking deutsche Journalisten festsetzt, die über die Jasmin-Proteste berichten wollten, Liu Xiaobo wegen „Untergrabung der Staatsgewalt“ zu elf Jahren Haft verurteilt hat, den bekanntesten Gegenwartskünstler Chinas krankenhausreif schlagen und unbekanntere Künstler wie Wu Yuren ungehindert im Knast verschwinden lässt. (Aufklärung in Marmor, Frankfurter Allgemeine Zeitung 5.4.2011)

Durch das geschilderte Timing der Festnahme freilich führt man so zynisch wie selbstbewusst auch den Westen vor – und in diesem Fall besonders die Deutschen. Eben noch kriegen die ihren mit zehn Millionen Euro des Auswärtigen Amts selbst bezahlten Auftritt im wiedereröffneten Nationalmuseum; eben noch wurden die Ausstellung und ihre sie begleitende (begleiten sollende?) Diskussionsreihe „Aufklärung im Dialog“ als „Meilenstein“ der intensivierten gegenseitigen Beziehungen bezeichnet. In solchem Einklang präsentierten sich Westerwelle und die Museumsdirektoren aus Berlin, Dresden und München mit ihren chinesischen Kollegen, an erster Stelle mit der dem Kulturminister übergeordneten Politbüro-Staatsrätin Liu Yandong. (Kritik und Kotau, Der Tagesspiegel 5.4.2011)

In Dresden ist der Direktor der Staatlichen Kunstsammlungen, Martin Roth, ein schwäbischer Porschefahrer. Als einer der verantwortlichen Museumstiger - wie die Direktoren in Peking gern tituliert wurden, obwohl sie doch nur wie Museums-Tigerenten daherwatschelten - hat er sich nun in der Zeit zu Kulturaustausch und zur Festnahme des Künstlers Ai Weiwei geäußert: "Der ist ja bei den Medien vor allem nicht zuletzt deshalb so beliebt, weil er ständig draufhaut. Furchtbar natürlich, dass er verhaftet wurde. Aber warum sind alle so auf ihn fixiert? Es gibt hunderte Künstler wie ihn, über die spricht aber keiner, weil sie keine Popstars sind."
Nun ist es außerordentlich erfreulich, zu hören, dass Martin Roth jetzt auch für die hundert anderen Künstler die notwendige internationale Öffentlichkeit herstellen möchte, die ebenso wie Ai Weiwei von der chinesischen Obrigkeit kujoniert werden, wenn nicht ihre Ateliers gleich zerstört und ihre Mitarbeiter festgenommen werden! Etwa für die Pekinger Künstler Huang Xiang, Zhui Hun, Cheng Li und Guo Gai, die Mitte März festgenommen wurden und im Taihu-Gefängnis im Distrikt Tongzhou festgehalten werden.
(Dresdener Provinzler, neue Folge, taz, 9.4.2011)

"Wie eng Roth selbst Ökonomie, Politik und Kultur verflochten sieht, zeigt sich in seiner bizarrsten Bemerkung der letzten Tage: "Ohne China müsste die Phaeton-Produktion“ – eine Luxuslimousine, die in Dresden gebaut wird – "eingestellt werden. Diese Diktatur gibt uns in unserer Demokratie Lohn und Brot.“
Ausgestreckte Hand, blutig, FAZNet 11.04.2011

"Es verwundert und betrübt mich sehr hören zu müssen, dass ein deutscher Museumsdirektor und Kollege sich offenbar nicht mit der Bewegung solidarisiert, die sich für die Freilassung Ai Weiweis einsetzt. Gerade hat sich die Solomon R. Guggenheim Foundation an die Spitze einer internationalen Bewegung des Museen gesetzt, um den Protest der Kunstwelt zum Ausdruck zu bringen."  Hans Ulrich Obrist in DIE WELT, 11.4.2011 (nicht onlinie).

"Umso schlimmer, wenn der Leiter einer durch staatliche Subventionen gesicherten Institution, wie es die Dresdner Sammlungen sind, einem Unrechts- und Gewaltsystem beipflichtet. Martin Roth hat den deutschen Kulturbetrieb desavouiert. Er hat sich zu entschuldigen. Er muss sich für Ai Weiwei einsetzen. Sonst hat er in Peking nichts verloren, kann er seine Kunstschätze zurückholen.
Museum trifft Aufklärung: Beide tot." (
Chinesisches Roulette. Kultur und Moral, Der Tagesspiegel, 10.4.2011)

"Wie so üblich in erhitzten öffentlichen Debatten braucht es ein Gesicht, das die Angriffe der Empörten bündelt. Diesmal ist es Martin Roth, der Generaldirektor der Dresdner Kunstsammlungen. Schon lange nicht mehr ist das deutsche Feuilleton so einmütig über einen einzelnen Museumsmann hergefallen. Roth ist ein zupackender Macher, der Gewaltiges geleistet hat beim Ausbau der Dresdner Museumslandschaft, und auch für deren Wahrnehmung in aller Welt. Er war nie ein Leisetreter, nie einer, der sich wie die meisten seiner Kollegen hinter wohlabgewogenen Verlautbarungen verschanzt. Er sagt, was er meint. Und in diesem Fall heißt das: Er glaubt fest an die Möglichkeiten des Kulturaustauschs, auch mit diktatorischen Systemen."
Nie wieder China?, Berliner Zeitung 12.04.2011
"Zu China war zu hören: Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung, an dem auch deutsche Architekturbüros kräftig verdienten, würden der allgemeine Lebensstandard, die Bildungschancen und so auch automatisch die Chancen einer Demokratisierung steigen. Diese lineare Erzählung ist spätestens mit Ai Weiweis Verschleppung als Illusion enttarnt. Sichtbar wird jetzt eine andere, dunklere Wahrheit. Wie vor einer Woche in dieser Zeitung berichtet, wurde ein deutscher Journalist, der bei einer Veranstaltung zur Aufklärungsausstellung eine kritische Frage stellte, ausgebuht – von deutschen Wirtschaftsführern. Deutsche Autohersteller fördern die Schau, und es gehört zu den unangenehmen Wahrheiten, dass Autobauer wie BMW ohne den chinesischen Absatzmarkt langfristig in eine bedrohliche Situation kommen würden. Auch die internationale Politik ist gegenüber China fast machtlos. Chinesische Finanzexperten drohten offen damit, dass China seine 1,33 Billiarden Dollar an offiziellen Währungsreserven als politische Waffe einsetzen könne.Das einzige Feld, auf dem noch keine existentiellen Abhängigkeiten existieren, ist die Kultur. Und gerade deshalb hätte man sich gewünscht, dass wenigstens einer der Generaldirektoren irgendwann aufgestanden wäre und den sogenannten Wirtschaftsführern gesagt hätte, wie sehr er sich für sie schäme." Ausgestreckte Hand, blutig, FAZNet 11.04.2011

Literaturnobelpreisträgerin
Herta Müller "Es kommt mir vor, als würde die deutsche Kulturpolitik regelrecht winseln um Anerkennung durch China", sagte die 57-Jährige dem Nachrichtenmagazin "Focus". "Ich verstehe nicht, weshalb es die Deutschen sein müssen, die als Allererste Werke für eine Ausstellung in diesem Museumsklotz liefern, der doch nur ein Prestigeobjekt des Regimes ist." Die Bilder seien nun "Dekoration für eine Propagandashow eines autoritären Regimes". DIE WELT, 11.4.2011

"Raimund Stecker, Direktor des Wilhelm-Lehmbruck-Museums in Duisburg: 'Herr Roth steht jedenfalls offensichtlich auf der falschen Seite, nämlich der der Dekoration der Macht statt auf der der aufklärerischen, subversiven Kraft der Kunst. Wir brauchen die 'Popstars' der Kultur - Philosophen wie Kant und Künstler wie Ai Weiwei.'" (
Wandel durch Anbiederung, DIE WELT 11.4.2011).

"In dem Katalog-Beitrag zweier chinesischer Wissenschafter kommt man allerdings zu dem interessanten Schluss, dass der Kommunismus die Ausweitung, um nicht zu sagen die Krönung der Aufklärung sei. «Lassen wir es sein, Aufklärung ist Unsinn», sagt der alte Schauspieler in Thomas Bernhards Stück «Einfach kompliziert». Vielleicht aber sollte man einmal vor den schmalen, schwarzen Schuhen aus dem persönlichen Besitz des Philosophen (Immanuel Kant Anm.GF) ein Schild mit dem Satz «These boots are made for walking» aufstellen".
Bei Licht besehen. «Die Kunst der Aufklärung» im neu eröffneten Nationalmuseum Peking, NZZ, 11.4.2011

"'Aufklärung ist kein kunsthistorischer, sondern ein kulturgeschichtlicher Begriff', sagt Michael Eissenhauer, der Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin." (…) "Man hätte ja "die Kunst der Aufklärung" auch mit einem Augenzwinkern interpretieren können, als politisches Kunststück, über die Wirklichkeit durch Kunst aufzuklären. Genau das wird dementiert. "Es handelt sich um eine Kunstausstellung, nicht mehr und nicht weniger", heißt es, natürlich wider besseres Wissen. Fragt sich nur, warum das Auswärtige Amt so viel Geld in eine Schau steckt, deren Kunstwerke irgendwie nicht politisch aktuell sein wollen und es wohl auch gar nicht können." (
Die Kunst des Gähnens, DIE WELT, 31.3.2011) 

Nach der Verhaftung des regimekritischen Künstlers Ai Weiwei in China hat das Haus der Kunst in München die Zurückhaltung deutscher Museumsdirektoren scharf kritisiert. Der Hauptkurator des Hauses, Ulrich Wilmes, warf dem Direktor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden "Bagatellisierung" vor und nannte dessen Äußerungen "menschenverachtend". Martin Roth hatte sich zuletzt mit Kritik an China zurückgehalten und in einem Interview mit der "Zeit" unter anderem gesagt: "Es gibt Hunderte Künstler wie ihn, über die spricht aber keiner, weil sie keine Popstars sind." (…) "Von solchen relativierenden Äußerungen möchten wir uns als Haus der Kunst deutlich distanzieren", betonte Wilmes.
(Webseite 3sat, 8.4.2011)

"Ein Nobelpreisträger sitzt für elf Jahre im Knast, die wichtigste Figur der chinesischen Kunstszene wird verschleppt - und die Vertreter der deutschen Kultur sitzen mit eingezogenen Köpfen da und zeigen auf die Hausschuhe von Immanuel Kant, die sie in der Ausstellung geparkt haben."
FAZ, 10.4.2011 (nicht online)
"Der Chef der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, eines der Museen, die in Peking die Schau zur „Kunst der Aufklärung“ organisiert haben, übt in der „Zeit“ fleißig den Kotau. Ai Weiwei, so wird Roth dort zitiert, sei bei den westlichen Medien „deshalb so beliebt, weil er ständig draufhaut.“ Im Übrigen: „Es gibt Hunderte Künstler wie ihn, über die spricht aber keiner, weil sie keine Popstars sind.“ Da klingt blanke Verachtung durch für zeitgenössische Kunst, wird ein Mensch getreten, der am Boden liegt. Museumspolitik ist Roth wichtiger als Menschenrechte.
Da schließt sich der ökonomische Kreis. Der chinesische Milliardenmarkt lockt nicht nur Autobauer und Architekten. Auch die großen Museen, von New York bis Paris und von London, zieht es an die Geldquellen – nach Peking ebenso wie in die Emirate am Persischen Golf. Internationale Museen, allen voran das Guggenheim, werden heute geführt wie Unternehmen. Sie operieren international und zunehmend profitorientiert. Marketing geht vor Moral." (
Chinesisches Roulette. Kultur und Moral, Der Tagesspiegel, 10.4.2011)

"Warum? Was haben die Dresdner Kunstsammlungen von guten Beziehungen zu Peking?
Roth: Dasselbe wie von guten Beziehungen mit dem Metropolitan Museum, dem Prado, Getty und so weiter: einen wissenschaftlichen kuratorischen Austausch, den wir über viele Jahre pflegen und ausbauen wollen." (...)
"Sie haben geschrieben: 'Ohne China müsste morgen die Phaeton-Produktion eingestellt werden. Diese Diktatur gibt uns in unserer Demokratie Lohn und Brot.' Warum ist es so wichtig, dass deutsche Museen in China ausstellen? Damit sie die Produktion des VW-Luxusautos Phaeton ankurbeln?
Roth: Ganz einfach. Weil die maximal 40 Museen von gleichem Rang und ähnlicher Bedeutung weltweit natürliche Partner sind – zum Nutzen der Bildung und des besseren Verständnisses jenseits von politischen Barrieren. Was soll Volkswagen damit zu tun haben? Ich freue mich, dass Volkswagen die Tournee der Sächsischen Staatskapelle in China gesponsert hat, die auch bei der Eröffnung gespielt haben." "Diese Auftritte haben etwas sehr Absurde". Martin Roth im Interview mit
"Der Freitag", 14.04.2011
"Der Fall Ai wird in Deutschland immer mehr zu einer Diskussion über unsere kulturelle Außenpolitik und den Sinn der Kooperation mit totalitären Regimen. Klaus-Dieter Lehmann, Präsident des Goethe-Instituts, forderte die Freilassung Ais; Martin Roth, Generaldirektor der Staatlichen Museen Dresden, verhöhnt ihn dafür in der "Sächsischen Zeitung“: ",Lehmann fordert die Freilassung von Ai Weiwei . . .‘ Na, da wird die chinesische Staatssicherheit aber das Zähneklappern bekommen! Bleiben wir doch bei der Realität und dem Machbaren!“ So wüst war der Ton lange nicht mehr.
Was bedeutet Ais Verhaftung für uns? Michael Eissenhauer, Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin, der das Projekt von seinem Vorgänger erbte, nannte Ais Verschleppung einen Widerspruch zu allem, "worum es in der Ausstellung geht“, und kaum erträglich. Martin Roth, der vor zwei Jahren in der "Welt“ von "vielen Gesprächen, viel Humor, viel Vertrauen und viel Maotai-Schnaps“ bei seinen Chinatouren schwärmte, bekundet dagegen in der "Zeit“, Ais Verhaftung sei sicher "furchtbar“ – Ai sei jedoch unter anderem "bei den Medien“ auch deshalb "so beliebt, weil er ständig draufhaut“. Soll das heißen: Selber schuld? Man braucht einen robusten Humor, um einem Künstler, der bei seiner letzten Verhaftung 2009 fast totgeprügelt wurde, zu konzedieren, er haue halt gern drauf – denn draufgehauen hatte das letzte Mal der chinesische Staat." Ausgestreckte Hand, blutig, FAZNet 11.04.2011

"Der Westen mag sich über das Vorgehen gegen den Künstler und Regimekritiker empören, doch die chinesischen Behörden halten unbeirrt an ihrem Vorgehen fest. Wie am Dienstag bekannt wurde, sind jetzt Ai Weiweis Studiopartner und sein Buchhalter festgenommen worden. Seine Frau wurde von der Steuerbehörde vorgeladen. Die chinesischen Behörden werfen dem Künstler ein "Wirtschaftsverbrechen" vor, wobei nicht genau bekannt ist, worin das Verbrechen eigentlich besteht. Unterdessen hat Chris Dercon, der Direktor der Tate Modern, mehr Solidarität von den deutschen Museen gefordert. Im Rahmen der von Deutschland organisierten Ausstellung "Kunst der Aufklärung" in Peking müssten hiesige Kunst- und Kultureinrichtungen deutlicher auf die Situation von Ai Weiwei aufmerksam machen.
Menschenrechte. Neue Festnahmen im Fall Ai Weiwei, Die Welt 13.04.2011

"Der nun lauter werdende Ruf nach einem Abbruch der Ausstellung demonstriert politische Entschlossenheit und beansprucht die Überlegenheit eines moralischen Rigorismus. Wer für einen Verbleib der deutschen Kunst in Peking votiert, macht sich indes verdächtig, sich einem windelweichen Appeasement anzudienen, das vor der ökonomischen Attraktivität Chinas in die Knie geht. Hatten die Museumsdirektoren einen emphatischen Aufklärungsbegriff im Gepäck, so müssen sie sich nun die Frage gefallen lassen, ob sie als bloße Dekorateure einer willkürlich agierenden Macht zurückgekehrt sind." (...) "Die „Kunst der Aufklärung“ sollte nicht geschlossen, sondern zum Ausgangspunkt einer kulturpolitischen Debatte gemacht werden, wie künftig den Herausforderungen begegnet werden kann, die Globalisierung, Kolonialerbe, Kulturalismus und Menschenrechte immer wieder neu stellen. Nicht abhängen, sondern höher hängen, muss nun die Devise lauten." 
Höher Hängen, Frankfurter Rundschau 14.04.2011 
 "Die Ausstellung über die "Aufklärung" in Peking sollte abgebrochen werden, schreiben Roger M. Buergel und Ruth Noack, Leiter der Documenta 2007. Denn es ist eine "Ausstellung, die ohne Not die kostbarste Errungenschaft des Westens am Platz des himmlischen Friedens verschachert und, auch das eine Kunst, diesen Ausverkauf selbst finanziert. Das eigene deutsche - sprich: gebrochene - Verhältnis zur Aufklärung ist in dieser Ausstellung kein Thema. Und so ist auch der Dialog, den die drei Generaldirektoren bemühen, keiner. Es gibt kein Gegenüber, mit denen die drei reden (ausgenommen „die geschätzten Kolleginnen und Kollegen in Peking“) Dieses „Kulturprojekt“ gehorcht der Logik der Funktionäre und der Vitrine oder besser des Gefrierfachs – eine Logik, der sich Ai Weiwei in seiner vielgestaltigen, stets lebendigen Produktion, zumal mit seinen Blog-Aktivitäten, entzogen hat." (...) Wer China und die Strukturen des größten Museums der Welt samt seiner kuratorischen Expertise für Geschichtsklitterung kennt, kann dagegen über den kulturpolitischen Rettungsversuch nicht einmal müde lächeln. Hier ist nichts zu retten, hier tut Aufklärung not, und das heißt vor allem: Selbstaufklärung." Diese Ausstellung muß geschlossen werden, FAZ 12.14.2011

Die Forderung, die Ausstellung in Peking aufgrund der aktuellen Vorkommnisse zu schließen, macht keinen Sinn: Soll das Auswärtige Amt in allen Ländern mit totalitären Regimes seine Goethe-Institute schließen? Sollen Orchester ihre Konzertreisen einschränken? Sollen studentische, wissenschaftliche, technische Austauschprogramme eingestellt werden? Hätte die Rocklegende Bob Dylan nicht in Peking auftreten sollen? Von den Aktivitäten aus dem Bereich Wirtschaft und Technologie ganz zu schweigen. Wie wollen wir die Kultur, die Werte, das Verständnis eines Landes und seiner Bevölkerung kennen- und schätzen lernen, wenn wir uns weigern, mit ihm zu kooperieren? Nichtstun ist keine Alternative! Für Museen ist es eine Selbstverständlichkeit, Beziehungen zu den Herkunftsländern ihrer Sammlungen - auch mit totalitären politischen Systemen - zu unterhalten und zu pflegen. Kulturprojekte sind nicht nur grenz-, sondern auch systemüberschreitend.
Michael Eissenhauer, Martin Roth und Klaus Schrenk: Was bedeutet Ali Weiweis Verhaftung für uns? Frankfurter Allgemeine Zeitung 09.04.2011

"Die Ausstellung, die als epochales Kulturereignis "mit einer politisch-aufklärerischen Agenda" angekündigt wurde, verfehlt ihr elementarstes Ziel: Ihr fehlen die Besucher. Läuft man durch die leeren Hallen des Museums, sieht man eine Schau, die ihren Anspruch selbst demontiert. Am Mittwoch dieser Woche, vierzehn Tage nachdem Außenminister Guido Westerwelle auf der Ehrentribüne unter einem weithin sichtbaren "Die Kunst der Aufklärung"- Banner saß, wird weder außen noch innen für die Ausstellung geworben. (...) Auf alle, die dann doch noch zu "Die Kunst der Aufklärung" in einem Eckflügel im zweiten Stock finden, wartet eine weitere Überraschung. Sie müssen sich eine Eintrittskarte für 30 Yuan (3,50 Euro) kaufen. "Das ist auch ein Grund für den schwachen Besuch", sagt eine Museumsangestellte. 'An Werktagen kommen im Durchschnitt 200 Personen, am Wochenende sind es 400.'"
Aufklärung unter Ausschluß der Öffentlichkeit, DIE WELT, 14.04.2011

Eine der bemerkenswertesten Stellungnahmen: Tilman Spengler, der von China noch vor der Ausstellungseröffnung ausgeladene Wissenschafter. "Wir haben es hier mit einer Ausstellung zu tun, die das betreibt, was Adorno, Horkheimer, Marcuse, wohl auch Walter Benjamin einmal als "Flaschenpost" bezeichneten. Es werden Botschaften nach Peking gesandt, die enträtselt werden müssen wie das Paar Schuhe des Aufklärers Kant. Wir dürfen unseren Kollegen vor Ort zutrauen, dass sie diese Aufgabe wahrnehmen. Abbrechen ist so doof wie verbieten - sehr weit weg von Aufklärung."
Tilman Spengler: Flaschenpost nach China, Süddeutsche Zeitung, 14.04.2011 

Eine vorzeitige Schließung der Ausstellung wäre das, was man allgemein als Symbolpolitik bezeichnet. Der Stopp würde China nicht wirklich hart treffen. Das Ende der Schau wäre ebenso wenig wie der Protest eine Garantie dafür, dass Ai Weiwei freikommt. Aber es wäre ein Affront gegen die Machthaber in Peking. Sie wären vor der Weltöffentlichkeit blamiert. 
Wenn es still wird in Deutschland, in: taz 18.4.2011

"Die Annahme, die der Ausstellung zu Grunde liegt, ist falsch. Die Ausstellungsmacher dachten, dass sie mit Gemälden von Caspar David Friedrich, Goya, Gainsborough, aber auch mit den Hausschuhen des Philosophen Immanuel Kant den Chinesen Demokratie nahe bringen würden. Immerhin ist die Aufklärung eine der entscheidenden Epochen jener europäischen Geschichte, die das Individuum zunehmend ins Zentrum der Politik stellt, Wissenschaft und Technik in den Vordergrund rückt und Menschenrechte sowie politische Gleichheit betont. Diese Ideen bildeten die Grund­pfeiler der US-amerikanischen Unabhängigkeit und mündeten in die Französischen Revolution. Warum nicht den Freiheitsgedanken über Ausstellungsstücke aus dieser Epoche nach China bringen? Immerhin ist auch die Idee, dass Kunst die Menschen und die Gesellschaft verändern kann, ein Gedanke der Aufklärung.
Doch schon dieser Gedanke zeigt: Die Macher haben sich nicht ausreichend mit der Situation Chinas beschäftigt. Hätten sie das getan, wäre ihnen aufgefallen, dass für Chinas Regime Diktatur und Aufklärung keineswegs im Widerspruch stehen. Im Gegenteil: Die Kommunistische Partei sieht sich ganz in der Tradition der Aufklärung. Mao selbst, aber auch die jetzige Führungsriege, beziehen sich seit jeher positiv auf die Ideen der Französischen Revolution. Und hätten die Deutschen einen genauen Blick in den Katalog geworfen, dann hätte ihnen der Beitrag zweier chinesischer Wissenschaftler auffallen müssen. Darin kommen die zu dem Ergebnis, dass der chinesische Kommunismus nichts weiter sei als 'die Krönung der Aufklärung'".
Eine Frage der Aufklärung, Der Freitag, 14.04.2011

"Dass Freiheit und Aufklärung mit dem tausendfachen Massaker vom Tiananmen-Platz nicht vereinbar sind, wollen wir nicht bemerken: Anstatt diesen Widerspruch neben einigen anderen in das Ausstellungskonzept zu integrieren und damit eine – Achtung, das P-Wort – Provokation zu riskieren, stellen wir einfach aus: beflissen, kreuzbrav. Eigentlich hätten es auch die üblichen High-Tech-Exportartikel sein können, mit denen unsere Industrie in China ihr Geld verdient. Das wäre immerhin ehrlich gewesen.
An diesem inhaltlichen Desinteresse werden auch die von der Mercator-Stiftung veranstalteten „Salons“ nichts ändern – die nach eigenem Bekunden in ihrer Themenwahl freien, „offenen Diskursräume“. Dazu ist die Indifferenz der repräsentativen Ausstellungsform gegenüber dem historisch-aktuellen Ausstellungsinhalt viel zu mächtig. Und so hat der gleich nach der Ausstellungseröffnung verhaftete und seitdem verschwundene Künstler Ai Weiwei auf seine Weise die passenden Worte gefunden: Die Chinesen würden in der Ausstellung einige „bleichgesichtige Langnasen“ sehen und ansonsten nicht mehr über die deutsche Aufklärung lernen als in Disney World." Mutlos, dafür aber kreuzbrav, Frankfurter Rundschau 19.4.2011
"Der Minister (Kulturstaatsminister Bernd Neumann. GF) geht noch weiter: Er liest den für die Pekinger Schau verantwortlichen Museumsdirektoren aus Berlin, Dresden und München die Leviten, kommt auf die von Klaus-Dieter Lehmann beobachteten „weichgespülten Floskeln“ bei der Eröffnung zu sprechen, die sich für die Chinesen angehört hätten „wie die Sprache der eigenen Funktionäre“. Vor allem kritisiert er den federführenden Dresdner Museumschef Martin Roth für seine gegenüber China „anbiedernden“ Kommentare zum Fall Ai Weiwei: Das sei die „Verhöhnung eines mutigen und bedeutenden Künstlers“. Roths Namen nennt er nicht, aber der Adressat ist klar." Freiheit und Feigheit, Der Tagesspiegel 28.04.2011
"Hermann Parzinger (Direktor Staatliche Museen Berlin) stellte die Frage (nach dem, was schiefgegangen sei. GF) als erster, und er beantworte sie auch gleich. Man habe die Ausstellung zu hoch gehängt. Es sei die größte Ausstellung, die die Bundesrepublik Deutschland jemals außer Landes geschickt habe. Das Auswärtige Amt sei mit 6,6 Millionen Euro in die Aktion eingestiegen. Die Runde war sich bald einig: Die Ausstellung ist zu gigantisch. Ihre Staatsnähe ist das Problem. Zu viele Minister könnte man sagen: zu viele Minister auf beiden Seiten." Die Frankfurter Rundschau berichtet über eine Diskussionsveranstaltung der Akademie der Künste. Zu viel Minister, 28.04.2011.
"Für politische Zurückhaltung in einem etwas anderen Sinne plädierte auch Goethe-Präsident Lehmann. Die Ausstellungseröffnung sei ein Staatsakt gewesen, eine politische Aktion. Angesichts von 100 eingeflogenen deutschen Journalisten könne man geradezu von einer innenpolitischen Vermarktung der Pekinger Schau sprechen. Darin sah Lehmann den Ursprungsfehler, mit dem die spezifische Wirkungsweise von Kunst und Kultur ausgeschaltet worden sei. Auf sie müsse man sich aber besinnen, für sie müssten Räume jenseits der großen Staatsbühnen geschaffen werden. An der Ausstellung selbst kritisierte Lehmann, dass sie sich dem chinesischen Publikum nur schwer erschließe. Die verbleibende Zeit müsse genutzt werden, um die Vermittlung zu optimieren." Wer will den Chinesischen Tiger kitzeln? Die Welt online, 28.04.2011
"Am 2. April, einen Tag bevor Ai nach Hongkong reisen wollte, saßen wir im Hof in der Sonne, und Ai erklärte uns ruhig: „Ich befinde mich in Gefahr. Aber euch wird nichts Schlimmes passieren.“ Ich fragte ihn, ob er wirklich glaube, er könne festgenommen werden. „In diesem Land gibt es zu wenig verantwortungsbewusste Menschen“, antwortete er. An diesem Tag waren wieder ein paar dutzend Studenten zu Besuch gekommen. Ausnahmsweise lud Ai sie zum Mittagessen mit ihm und den anderen Mitarbeitern ein. Nach dem Essen drückte er jeden von ihnen fest an sich. Er wirkte anders als sonst, traurig, als wolle er nicht gehen. Am nächsten Morgen wurde Ai am Pekinger Flughafen verhaftet. Im Studio wurden Computer und Festplatten beschlagnahmt und der Strom abgeschaltet. Mehrere Mitarbeiter mussten zum Verhör. Seitdem warten wir auf Nachricht von ihm." Liu Yanping: Der heilige Ali, in: Frankfurter Rundschau online, 27.04.2011 

 












Freiheit und Feigheit, Der Tagesspiegel 28.04.2011

Wer will den Chinesischen Tiger kitzeln? Die Welt online, 28.04.2011 

Liu Yanping: Der heilige Ali, in: Frankfurter Rundschau online, 27.04.2011   

Dienstag, 26. April 2011

Martin Roth kommt mir abhanden

Martin Roth, Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, war hier im Blog oft zu Gast. Mit - direkt und indirekt aufschlussreichen - Wortspenden zur Museumskrise (die er, wenn ich mich recht erinnere, nie so nannte) und zuletzt als Mitverantwortlicher der laufenden Aufklärungs-Ausstellung im Pekinger Nationalmuseum. Da wurde er, nach der Verhaftung von Ai Weiwei, rasch zum Buhmann der Deutschen Medien. Mit wiederum - freundlich gesagt - sehr offenen, weniger freundlich gesagt mißverständlichen bis provokanten Äußerungen. Nun wird er Leiter des Victoria and Albert Museums. Und da werden wir möglicherweise nicht mehr so viel von ihm lesen und hören, denn die Britischen Museen sind nicht Dauergäste in den hiesigen Kulturnachrichten.

Zum Abschied ein (vorläufig) letztes Zitat (aus der Leipziger Volkszeitung): Peking. Am Ende zitierte der Dresdner Sammlungschef Martin Roth sogar den Großen Vorsitzenden Mao. Der habe sinngemäß einmal gesagt: In einer Höhle ist immer nur Platz für einen Tiger. Er und seine Direktoren-Kollegen hätten aber das Gegenteil bewiesen, sagte Roth am Freitag bei der Eröffnung der Ausstellung „Die Kunst der Aufklärung“ im chinesischen Nationalmuseum von Peking.

Montag, 25. April 2011

Mittwoch, 20. April 2011

Transitraum Museum...

Entdeckt, fotografiert und gespendet von Theresa Zifko. -- Hm. Man kommt ins Grübeln. Warum nicht auch mit Objekten? Warum nicht auch als Form der Deakzession oder des Sammelns? -- In Ilya Kabakovs "Palast der Projekte" gibt es eins, das den Umgang mit Objekten reguliert, die einem - nun sagen wir: unangenehm geworden sind. Man soll sie, rät uns der Palast-Konstrukteur und Projeketemcher Kabakov, eine Zeit lang hinter einem Vorhang verschwinden lassen, den man in einer Ecke eines Wohnraumes montiert hat. Wer weiß, nach einiger Zeit (vielleicht schon Stunden, oder Tagen...) haben sich die Dinge so verändert, daß wir sie wieder in unseren Alltag integrieren können. -- Ach ja, wo sind wir da überhaupt? - Im Musil-Museum in Klagenfurt.

Wann ist Museum?

Wann ist Museum? - Wenn ein Schild dran ist. (Für die - auch jahreszeitliche sehr passende - Bildspende danke ich Clara Schlichtenberger).

Dienstag, 19. April 2011

Eintrittskarte mit Aussicht (Entrée 24)

Eintrittskarte für das nagelneue Tirol Panorama auf dem Bergisel

Isländische Männerfantasien

Heute der FAZ unter "International" einen umfangreichen Bericht wert

Ruhr Museum (Entrée 23)

Überraschungen sind leise und unauffällig. "Wir sind Bettler" im Grazer Stadtmuseum


Als ich unlängst mit Freunden, die in Graz zu Gast waren, die Ausstellung "Grazgeflüster" im Stadtmuseum besuchte, gabs eine Überraschung. In den an der Sackstraße liegenden und wie ein Schaufenster zur Straße geöffneten Räumen waren grade Handwerker mit letzten Handgriffen an einer Ausstellung beschäftigt.
An der noch verschlossenen Glastür gabs einen Text mit der Überschrift "Wir sind Bettler" (ein Luther-Zitat). In großen handgeschriebenen Blockbuchstaben wurde hier gegen das Bettelverbot, das in der Steiermark und in Graz ab 1. Mai gelten soll, Stellung bezogen.
Das Verbot "überschreitet eine Grenze, die unberührt bleiben muss. Es muss erlaubt bleiben, um Gaben zu bitten, und Gaben zu empfangen".

Was ist daran überraschend?

Ich denke, daß Museen selten direkt zu politischen und gesellschaftlichen Fragen Stellung beziehen, wenn diese aktuell und konfliktreich sind. Hier ist das der Fall, auch wenn nicht nur das Museum spricht, sondern die Graz Akademie, die sich gegen das Bettelverbot sehr engagiert. Mit dem Text und der kleinen Ausstellung, die der Text gewissermaßen 'eröffnet', positioniert sich auch das Museum klar und unmissverständlich.

Warum geschieht so etwas so selten, daß es einen überrascht, wenn es einmal doch passiert? Die Antworten scheinen auf der Hand zu liegen: ein Museum ist seinem 'Auftraggeber' und 'Geldgeber' verpflichtet, in gewisser Weise auch von ihm abhängig und geht Risiken ein, wenn es sich mit der 'herrschenden Meinung' anlegt; Museen  können aus praktischen Gründen schlecht auf aktuelle Entwicklungen und Ereignisse reagieren, weil sie ausreichend Ressourcen und Zeit benötigen - Ausstellung zu produzieren ist aufwendig; Museen sind neutral und sollen neutral bleiben.

Das letzte Argument ist das, das verschleiert, daß Museen strukturell in dem Sinn politisch agieren, in dem sie 'zivilisatorische Rituale' sind, die es immer mit Herkunft und Zukunft, Identität, Distinktion und Hegemonie zu tun haben und wirkungsvoll ihre soziale Macht gerade dann ausspielen, wenn sie behaupten, sie hätten keine.
Das zweite Argument wird widerlegt von Beispielen und von der Vielfalt der Mittel, Medien und Methoden, die Museen zur Verfügung stehen. Das erste Argument hat auf den ersten Blick etwas für sich. Das Grazer Stadtmuseum wird von der Stadt nicht grade verwöhnt. Die finanziellen Mittel sind eine sehr kurze Decke, nach der man sich mühsam Strecken muß und Loyalität von Politikern ist ein labiles Gut. Und Museen sehen sich vielleicht mehr als andere kulturelle Einrichtungen einer direkteren Gängelung ausgesetzt.
Doch stellt sich die Frage, wer ist der 'Auftraggeber' und der 'Geldgeber'? Ein Stadtrat, ein Kulturamtsleiter, eine Abteilung der Verwaltung usw.? - Der Leiter des Museums, Otto Hochreiter, hat unlängst in einer Diskussion mit Gastkuratoren und MitarbeiterInnen des Hauses von einem "öffentlich-rechtlichen Erzählauftrag" des Stadtmuseums gesprochen. Klingt bürokratisch, gefällt mir aber sehr, weil diese Formel klar macht, daß das 'Projekt Museum' ein gesellschaftliches ist (alle zahlen mit, alle besitzen de jure das Sammlungsgut) und Politiker und Verwalter den öffentlichen Auftrag Museum nur treuhänderisch verwalten. Verpflichtet ist ein Museum im emphatischen Sinn allen, 'der Öffentlichkeit'.

Daß hier Probleme liegen, ja gewiss. Aber ein Museum, das sich über (s)einen 'Erzählauftrag' wieder an die Öffentlichkeit rückkoppeln, geht mit einem ganz anderen Selbstbewusstsein an seine Arbeit und öffnet ganz andere Optionen für Kooperation und - wie im Fall dieser Ausstellung - auf Positionierung, Intervention, Stellungnahme. Und es räumt der Zivilgesellschaft andere Möglichkeiten ein, 'ihr' Medium für kollektive Selbsterfahrung, für gemeinsame Lernprozesse selbst zu nutzen. Über das scheinbar beiläufige Faktum hinaus, setzt die (der Sache nach banale, im Prinzip oft geübte) Kooperation des Museums mit der Graz Akademie eine grundsätzliche Option frei. In dem Maß, in dem sich das Museum freispielt von politischer Rücksichtnahme, öffnet es sich Räume für zivilgesellschaftliches Engagement. (Und als Museumshistoriker füge ich hinzu: das ist nicht der Verrat an einer Idee, sondern die Reanimation des Museums als Projekt der Moderne).

Isoliert betrachtet ist die Ausstellung bescheiden, versammelt Arbeiten von Künstlerinnen die sich in den letzten Jahren und aktuell zum Betteln und zum Verbot 'geäußert' haben. Aber die Ausstellung und die spontane Artikulation des Museums ist in ein Netzwerk zivilgesellschaftlichen Widerstands und Widerspruchs eingebunden. Als solche ist sie gedacht und als solche wird sie hoffentlich auch etwas bewirken.

So bescheiden die Ausstellung ist, ich habe allen Respekt vor der Haltung, die damit zum Vorschein kommt. Sie ist so klar, wie der Text. "Eine Grenze darf nicht überschritten werden". Den Satz mochte man in den letzten Jahren und auch ganz aktuell öfters zücken, angesichts der politischen Entwicklung, angesichts der Implosion demokratischer Rechte und Strukturen, angesichts des Abbaues sozialstaatlicher Werte und Normen.

Museen sollten sich nicht hinter den logistischen, finanziellen oder institutionspolitischen Fragen verschanzen, also nicht hinter ihrer eigenen Fantasielosigkeit und Feigheit. Sie sind - um ein Wort Aby Warburgs zu gebrauchen - durchaus als 'nervöse Auffangorgane' gesellschaftlicher Prozesse zu gebrauchen.

***

Wir sind Bettler

Eine Kooperation von Akademie Graz und Stadtmuseum Graz - KuratorInnen: Martin Behr, Astrid Kury

„Wir sind Bettler. Das ist wahr!“ schrieb Martin Luther am 18. Februar 1546, kurz vor seinem Tod.
Es ist wahr, wir sind Wesen, die bedürftig sind und es ein Leben lang bleiben. Ein generelles Bettelverbot, wie es in der Steiermark und in Graz am 1. Mai 2011 in Kraft tritt, überschreitet eine humanitäre Grenze, die unberührt bleiben muss. Es muss erlaubt bleiben, um Gaben zu bitten und Gaben zu empfangen. Die Ausstellung versammelt bestehende und neue künstlerische Positionen zum Thema Betteln und Bettelverbote.

Mit Arbeiten von: ERIC AUPOL, DELAINE LE BAS, JOACHIM BAUR, ERNST M. BINDER, CHRISTIAN EISENBERGER, STEFANIE ERJAUTZ, OLIVIA FÜRNSCHUSS, KARL GRÜNLING, PETER GERWIN HOFFMANN, ZLATKO KOPLJAR, XXKUNSTKABEL, CLAUDIA NEBEL, NORBERT NESTLER, FRIEDERIKE NESTLER-REBEAU, RESANITA, CHRISTOPH SCHLINGENSIEF, JOSEF SCHÜTZENHÖFER, WOLFGANG TEMMEL, GUSTAV TROGER, THEATER IM BAHNHOF, FRANZ WEST, JOSEF WURM, ZWEINTOPF, U.A.

Ausstellungsdauer: bis 4.Mai 2011
Öffnungszeiten: Di – So, 10:00 – 18:00 Uhr
Stadtmuseum Graz
Sackstraße 18
8010 Graz

***

Akademie Graz
http://www.akademie-graz.at/

Gegen ein Bettelverbot in Graz / Facebook
http://www.facebook.com/group.php?gid=121805051185095

Sonntag, 17. April 2011

Eintritt in den Palast der Projekte (Entrée 22)

Eine Antwort auf die Stellungnahme des ICOM-Vorstandes das Jüdische Museum der Stadt Wien betreffend

An den Vorstand von ICOM Österreich

Wien am 13. April 2011

Sehr geehrte Damen und Herren!

Gestern wurde mir die Stellungnahme des Vorstandes von ICOM Österreich
bezüglich des Schreibens des Präsidenten von ICOM Österreich an die
Direktorin des Jüdischen Museums Wien übermittelt. Ich muss gestehen, dass
mich diese Stellungnahme einigermaßen irritiert.

Der Präsident und nunmehr auch ICOM Österreich unterstellen den
Unterzeichnern des Schreibens an die Direktion des Jüdischen Museums (Brief
der Direktoren und Wissenschafter) Unkenntnis über die Dauerausstellung im
Jüdischen Museum Wien, oder wie es im Brief des Präsidenten Dr. Wilfried
Seipel heißt: „Dabei kann man wohl davon ausgehen, dass keineswegs alle
schreibenden und unterschreibenden Kollegen die Corpora Delicti jemals zu
Gesicht bekommen haben.“ Dies obwohl die betreffenden Kollegen und
Kolleginnen immer wieder zu Gast im Jüdischen Museum Wien waren und unter
anderem auch von mir persönlich mit ihren Gästen durch das Haus geführt
wurden und selbstverständlich auch die Hologramme besichtigten.

Das Schreiben des Präsidenten von ICOM Österreich und nunmehr auch des
Vorstandes von ICOM Österreich unterstellt allen Unterzeichnern, ihre
Betroffenheit über die Zerstörung der Hologramme sei sachfremden und
persönlichen Motiven geschuldet und sie würden die ICOM Richtlinien dafür
instrumentalisieren. Mit keinem Wort wird darauf eingegangen, dass die
Hologramme tatsächlich „Originalobjekte“ mit einem hohen und international
anerkannten innovativen Potential waren. Eine Installation die immer wieder
für Irritationen, aber vor allem für hohe Anerkennung in der Fachwelt
sorgte. Völlig ignoriert werden die tatsächlichen Diskussionspunkte, nämlich
die Frage nach dem Umgang mit Geschichte in jüdischen Museen und ob wir als
Museumsleute den zivilisatorischen Bruch durch die Schoa als Herausforderung
ernst nehmen. Somit aber auch die Frage was ist bewahrenswert in unseren
Sammlungen, wie gehen wir mit den eigenen Ausstellungsmaterialien um.
(Fragen die in meinen Augen nicht nur für Jüdische Museen relevant sind.)
Die Hologramme sind gerade in diesen Zusammenhang im Laufe der Jahre, und
durch die Diskussion über sie, tatsächlich zu Ausstellungsobjekten geworden.
Also genau zu jenen Dingen, die wir zu bewahren und zu erhalten verpflichtet
sind.

Zu keinem Zeitpunkt der Diskussion ging es um die Frage ob die Hologramme
Teil einer neuen Dauerausstellung sein sollten oder nicht. Es war allen
Beteiligten klar, dass dies nicht der Fall sein würde. Allerdings war auch
allen Beteiligten klar, dass ein Konzept für eine neue Dauerausstellung
nicht hinter die Errungenschaften der alten zurückfallen dürfe, damit
stellte sich auch die Frage nach dem Umgang mit Elementen der alten
Dauerausstellung wie z. B. der Installation von Nancy Spero (die ebenfalls
viel Raum einnimmt) und eben den Hologrammen. Die Argumentation des
Präsidenten, die Hologramme wären einer Neugestaltung im Wege gestanden
läuft ins Leere. Umso mehr erschreckt die Ignoranz gegenüber der Zerstörung
einer bahnbrechenden musealen Innovation, die noch dazu, wie wir
mittlerweile wissen, nicht notwendig gewesen wäre.

Weiters wird behauptet, dass die Hologramme „zuletzt einen erbärmlichen,
weil ungepflegten und verstaubten Eindruck“ hinterlassen hätten. Ich war bis
Ende Dezember 2010 Mitarbeiter im Jüdischen Museum Wien und verwahre mich
entschieden gegen diese unwahre Behauptung und somit der unausgesprochenen
Unterstellung, die MitarbeiterInnen des Jüdischen Museum Wien hätten die
Dauerstellung dem „Verfall“ preisgegeben. Es ist auch unrichtig, dass es zu
einem Verfall der optischen Qualität gekommen wäre. Diese Behauptung ist
ganz einfach sachlich nicht gerechtfertigt.

Zuletzt noch ein Wort zur sich wohl selbst richtenden Behauptung die
Chefkuratorin des Jüdischen Museums hätte eine Kampagne gesteuert und die
nationale und internationale Kollegenschaft instrumentalisiert. Ich bin
wirklich verblüfft und entsetzt, dass der Vorstand von ICOM Österreich
glaubt, dass Direktoren, Wissenschafter und Kuratoren wie ferngesteuert auf
Zuruf reagieren und sich für eine persönliche Kampagne einspannen lassen.
Welche Vorstellung über die professionelle und ethische Einstellung ihrer
KollegInnen liegt dieser befremdlichen Behauptung zu Grunde?

Vom Vorstand von ICOM Österreich hätte ich mir einen differenzierteren
Zugang zur Diskussion erwartet. Vor allem aber auch, dass der Vorstand den
Unterstellungen und Diffamierungen gegenüber Kollegen und Kolleginnen
entgegentritt.

Mit kollegialen Grüßen

Mag. Gerhard Milchram

Zum Gedenken (Texte im Museum 196)

Jüdisches Museum Berlin (90er-Jahre)

Dauer / Nichtdauer. Museum / Ausstellung (Museumsphysiognomien 12)

Marcel Broodthaers gräbt mit einem Freund den Grundriss eines Museums Moderner Kunst in den Strand von le Coq. Wir schreiben das Jahr 1969. Die Flut wird das Museum in einigen Stunden wegspülen...




Das Thema Dauerausstellung…

…eine Wiederkehr? Eine Rückbesinnung?

Es geht um Entgegensetzung: Dauer / Wechsel, zwei Zeitformen des Ausstellens.
Wirklich?

Wie lange dauert eine Dauerausstellung?

Eben habe ich im Internet ein paar Fotos der verschiedenen Themenausstellungen der Dauerausstellung des Technischen Museums entdeckt, die nach 1918 entstanden sind. An die meisten der Ausstellungen kann ich mich erinnern, sie waren bis zur großen Umgestaltungen des Museums in Gebrauch, waren teilweise beschädigt oder ungepflegt, wirkten aber gestalterisch - und einige von ihnen auch didaktisch - noch immer modern.
Eine solche Dauer von 40, 50 Jahren fände heute kein Museumsverantwortlicher mehr wünschenswert; man spricht von etwa 10 bis 15 Jahren 'Lebenszeit' für eine 'permanente' Ausstellung.

Dagegen sind Wechselausstellungen meist nur auf einige Monate angelegt, gelegentlich nur Wochen, manchmal bis zu einem Jahr, selten länger, wie bei der Ausstellung 'Berge - eine unverständliche Leidenschaft', die fünf Jahre gezeigt wird.
Schon ein Unterschied, aber weniger gravierend, als man glauben möchte.

Vielleicht ist aber der Maßstab, den man anlegt, irreführend. Das Wort Dauerausstellung kooperiert mit einem strukturellen Merkmal des Museums (das es es erst in den letzten 200 Jahren zugemessen bekommen hat), mit der Vorstellung einer
unabschließbaren Dauer. Und diese Vorstellung hängt nicht an der Ausstellung, sondern an den Dingen (und der Institution). Die Dinge bilden ein 'technisches Gedächtnis', das wegen der vermeintlichen Unzerstörbarkeit seiner Materialität (all die Investitionen in die Aufbewahrung, Konservierung…) selbst als unzerstörbar gilt.

Es ist ein 'Gattungsgedächtnis', in das wir uns alle tröstlich einschreiben können, und damit ein Ort, wo nicht nur die Dinge, sondern auch wir unzerstörbar zu sein scheinen.
Dieses Phantasma ist zwar durch die globalen Kriege und vor allem durch den Holocaust zerstört worden und es ist auch durch die wirtschaftliche und ökologische Entwicklung immer weniger plausibel, angesichts der Kalkulierbarkeit der Endlichkeit von (Überlebens)Ressourcen. Und Museen haben insofern darauf reagiert, als sie sich nun auch den Kehrseiten der Zivilisation stellen, den Traumata und Katastrophen.

Doch das - mehrfach - unmögliche Versprechen bleibt verlockend…

Dagegen die zeitlich befristete Ausstellung mit ihrem anderen Anspruch auf Aufmerksamkeit und Gegenwärtigkeit… Sofern Museen sich selbst zueinander in Konkurrenz sehen und setzen (und zu anderen Ereignissen der Unterhaltungsindustrie und Mediengesellschaft), werden sie auch in eine Konkurrenz um Wahrnehmung und Positionierung geraten. Sie machen sich zu Marken, Slogans, Schlagworten, Zeichen, um nicht unterzugehen.

Was aber immer gleich bleibt, bleibt nicht lange interessant; deshalb der Wettbewerb über Ausstellungen, über Behauptungen von Werten (Gold, Schätze, Erbe…), das Schüren von Erwartungen, Versäumnisängsten, das atemlose Vokabular der Anpreisung, die immer kürzeren Takte, mit denen Museen immer mehr Ausstellungen ('Formate') generieren. (Und dadurch auch als Organisationen, durch Überbeanspruchung der Ressourcen, vor allem der Mitarbeiter, in Atemnot geraten).

Dauer / Wechsel, die beiden Ausstellungsformen sind unter anderem unterscheidbar durch unterschiedliche Potentiale,
Verheissungen generieren zu können. Und dadurch, zwei unterschiedliche Weisen, Erfahrungen machen zu lassen. Das eine kann mit dem anderen in Konflikt liegen. Es gibt immer mehr Verheißungen, aber immer weniger Zeit, sie genießen zu können.

Das Museum ist ein langsames Medium. Langsames
Durcharbeiten problemhaltiger Materialen hat ein Freund (ein Pädagoge) mal in gemeinsamen Projekten die Tugend des Museums beschrieben. Die wiederholbare Erfahrung, die durch keinen inneren Zeitrahmen (sieht man von Öffnungszeiten ab) eingeschränkt ist, die also langsam sein kann, so wie man es selbst langsam haben will (in Kabakovs 'Palast der Projekte' halte ich mich stundenlang auf, hier gibt es auch viele Sessel…Tische, an denen man Lesen, Nachdenken kann…es wird mich lange beschäftigen).

Ich lese: in den Wissenschaft wird jährlich etwa 10% des Wissens auf Nimmerwiedersehen abgestossen. Es ist gerade das ältere Wissen, das 'gefährdet' ist. Wäre das dann ein Plädoyer fürs Museum, für sein 'veraltetes' Wissen (ich war ja immer der Meinung, das Technische Museum hätte nicht alle seine alten Ausstellungen abbrechen sollen…). Und ich erinnere mich an ein Seminar, in dem sich ein Teilnehmer weigerte, einen etwa 10 Jahre alten Aufsatz zu diskutieren. Weil so etwas veraltet sein muß. In der Pause verließ er das Seminar und reiste ab.

Dauer lässt veralten zu, damit abkoppeln von etwas, wovon das Museum meist ohnehin abgekoppelt ist: von Gegenwart und Zukunft, damit von der Überprüfung dessen, was es bewahrt und tut in Hinblick auf Zukunft. Nicht zufällig ist
museal umgangssprachlich ein negatives Eigenschaftswort. In der Dauer steckt somit Hegemonie. Die Geltung ungeprüft übernommener Werte.

Also doch besser ein 'dauerloses' Museum? Eins, das vorm Tiefschlaf bewahrt wird, durch Menschen, die etwas vom Museum wollen, erwarten, verlangen.

Die will das Museum aber gar nicht. Das will zahlende und zählbare Kunden. Und je mehr Ausstellungen, desto mehr lässt sich zählen.

Und so weiter...

Freitag, 15. April 2011

What does society demand from museums? (Part Two)

What does society demand from museums? Vortrag, Micheletti Award Conference and Award Ceremony - Quality in Museums, DASA Dortmund, April 2011. Gottfried Fliedl




IV. The museum in modernity: the right to enjoy cultural heritage and the socialising force of cultural heritage

I have appealed several times to something that I call the notion of the modern-day museum and I just said that the activities of Hamburg's museum fans take place within the framework of this notion and can appeal to it. 
In the historiography of museums emphasis is normally placed on the continuity of a development of collecting and exhibiting from the early modern age to the present. But together with many other researchers I see a crucial break in the development between about 1770 and 1810. In this period there developed the notion of the museum as the location of a common, state-sponsored and state-protected stock of cultural assets. In other words the notion of a heritage which is preserved, studied and enjoyed and for which a special architectural and social location is created to do this: the museum.
Since the foundation of the British Museum in 1753, and quite definitely since the foundation of the Louvre, that legal notion of the common ownership of collections has therefore been a central structural feature of the museum. As a complement to the legal notion of common ownership there emerges at the same time the social notion of the museum as a place of collective identity. Of patrimoine, in France, beni culturali, in Italy or heritage in England.
In order to highlight the incomparable cultural dynamism of this dual notion of material and spiritual ownership, of ownership and identity, I would ask you to consider briefly the notorious, but for our purposes unbeatably illustrative brand name of an Italian criminal organisation: "Cosa Nostra".
The idea of common ownership of cultural goods, of an asset which in a certain way helps create community and which represents the community, emerges in a special historical situation. The religious and old politico-social means of endowing life with meaning imploded and had to be replaced by new ones, and one of these legitimising and meaning-endowing entities was (national) history. The ancient unifying bond of community, religious faith and belief in a king, the guardian of this religious idea, had to be replaced.
This changed the relationship to cultural heritage. One began to collect, to preserve and to cultivate. In the France of the revolution they began to nationalise the royal possessions, to annex aristocratic collections, to secularise churches and monasteries. There arose an enormous store which could then be used to feed the museums founded by the revolution.
With the founding of a number of great museums something like a common object is created, collections of culturally and historically significant items around which the community can form and collect – literally and symbolically.
Perhaps you consider this reference to the idea of cultural heritage in the age of bourgeois revolution and enlightenment to be empty theory. But follow me back to a certain date in the year 1793 and just see what happened on this day in Paris.

We write the 10th August 1793, the anniversary of the storming of the Tuileries, the event that is regarded as the definitive end of the monarchy in France, the day from which Louis XVI became a prisoner and accused.
On this day three events are being consciously planned and synchronised which make it in the eyes of today's historiography the day on which the people of France declared themselves to be a national and democratic society.
It is the day of a festival, a document and a place.


The festival is La fête de l'Unité, the Festival of Unity. We should imagine it as a kind of procession culminating in a ceremony which took place on the ruins of the Bastille. The deputies from all the départements in France drank from a cup water flowing from the breasts of an Egyptionesque statue of Wisdom.


The document is the Constitution, the first democratic-republican constitution of France. It is solemnly declared on this day.
The place is the Louvre, since the middle ages the palace of the King and the structural and symbolic insignia of an absolutist power. On this day the royal palace becomes a public museum.
All three events together constitute the French Nation on the basis of a democratic, judicial and symbolic act.


Like the other events the opening of the museum in the Louvre was also  – and I quote Andrew McClellan, the historian of the history of the museum in the age of revolution - “tied to the birth of a new nation. The investiture of the Louvre with the power of a revolutionary sign radically transformed the ideal museum public. To the extent that the Louvre embodied the Republican principles of Liberty, Equality, and Fraternity, all citizens were encouraged to participate in the experience of communal ownership, and clearly many did.”
What is being talked about here is not the experience of art, not collection and exhibition, but the socialising function of the museum.
The importance of Clellan's formulation and the level of aspirations established with the museum in the Louvre only becomes clear if one returns to the Constitution declared at the same time. The right to universal education is rooted in this, as is the state's obligation to enforce this right: "Education is the need of all. Society must exert all its powers to further the progress of general reason and to make education accessible to all citizens", are the words of article 22 of the Constitution.
This state guarantee forms the core of the welfare state perception of politics, in other words also of cultural policy and museum policy. But: The participation of all is not the goal, it is one of the essential conditions for attaining the goal. And this is, literally in clause 1 of the Constitution "…. general happiness".
From our understanding of a welfare and social state, the awareness of the perspective of our community as can be found in the first constitutions of the United States and France and the associated declarations of the human rights has largely been lost.
Education is not only the acquisition of knowledge or experience of art, but active participation in public affairs, a civilizing process through which the individual and the community, citizens and the state generate themselves so to speak. And participation is not mere access to cultural institutions and definitely not customer status with a service provider. Participation means a public actively producing itself and becoming actively involved in public affairs.


The notion of the museum in modernity  is thus inseparably linked with the notion of democracy. But for reasons of time I am unable to pursue this line of thought any further.
How aridly and pathetically the talk of a service provider, of the museum customer and of his needs seems, and even more so the stubborn self-misconception of the museums themselves and of the museum policy that goes no further than seeing the museums' public nature in making them accessible to the general public.
But going way beyond this, what lies embedded in the concept of the museum in modernity is the self-justification and self-reflection of society as being more democratic, although the museum is one of the many places where that sphere of the civil public can develop in which 'common affairs' can be negotiated freely and without constraint and ideally also without consideration of any social barriers. The public realm is that in which the welfare state concept can first be realised and it is an essential condition of democratic socialisation – including in the cultural sphere. Museums are, like other institutions, highly precious vessels in which this public produces itself, develops and emerges. This public is necessarily discursive, analytical and critical, since only in this way can the permanent negotiation take place with which the citizen can identify with the community and the latter can 'form' itself – in a process without closure.

V. The museum in modernity: a civilizing ritual

When Carol Duncan and Sabine Offe speak of the civilizing role of the museum, in essence what they mean is this social process. In order to move from these ideas to a criticism of the museum and back to the question of the "good museum" a few explanatory remarks are needed.


 "The myth of the Enlightenment" Sabine Offe writes " is based on the notion of the knowability, presentability and shapability of the world and its controllability through human reason. The museum as a place of education displayed the hopes and illusions involved in the narrowing of the western civilisation process and long-term changes in standards of human behaviour and sensitivity. Potentially all museums were thought of as places were the public could form a picture of the world by looking at objects from nature and art and from the ordering of history in terms of artefacts whose past significance seemed to be trend-setting for the tasks of the contemporary present and future."


 In this understanding he museum is not exclusively conceived of retrospectively and merely as an archive, not as a place for the guarded and protected slumber of things , as a wide-spread curatorial role model would suggest, nor is it exclusively an agency of knowledge that didactically imparts lessons.
The museum is a place of self-description and self-interpretation in an individual and social respect. The ritual of the museum served to introduce civil norms, which were appropriated by public ritual performance, rendered visible as being generally binding and practised. They served to dramatise the "self-description" and "self-interpretation" of civil society and its members, to present a civilisation which they were supposed to create at the same time.  


"But", and I quote Sabine Offe once more, "that's not all, that is not the end of the museum's function. What is ignored here is the ambivalent relationship intrinsic to these rituals towards the living everyday reality. They have a latent function which is not taken up by the "civilising" function. As such they represent a wish-fulfilment of civil society which is reflected not in how it is, but in how it should be and would like to be. But 'civilising' rituals in the museum create – like all rituals – counter-images which refer not only to social values and norms, but also to quite different real social experiences. They take up a theme which is concealed in a distorted form. They not only testify explicitly to the ideal picture but implicitly also to the nightmare images of civilisation. For museums, all museums, represent not only what there is to see, but also what has to be removed from the public discourse and perception or what remains concealed, a history of social violence." (End of quote)
My experience is that museums do not perceive their own reverse side, or not sufficiently. But to the extent that something is suppressed, remains masked, it acts all the more strongly on the practice of the institution as something not seen through. Museums seem to tend to celebrate culture and history in a triumphant and affirmative way, instead of penetrating them analytically.
From this I conclude the need for museum work to become self-reflective, critical towards its own actions, towards the methods of presentation, the mediation, the collecting, in short the entire repertoire of activities which constitute the institution of the museum.
Here a potential for self-reflective practice opens up for the museum, one through which it could enlighten itself and its public about itself and could render what is distorted, concealed and suppressed visible, legible and speakable.
Museums would have to take a big step, jump over their own shadow and question their manipulative and hegemonial function. After all museums are also, as Carol Duncan has described, "sites that publicly represent beliefs about the order of the world, its past and present, and the individual's place within it. [...] To control a museum means precisely to control the representation of a community and its highest values and truths."

VI. Museums need reflectivity

An example: the heart of the permanent exhibition in the Jewish Museum in Vienna was an installation of holograms showing fragments of earlier Jewish life. They were arranged around an urban space, and whoever entered this space experienced how the things, street views, portraits, ritual objects, buildings, industrial products emerged and disappeared in front of his eyes, an effect of holograms as the observer moved forward and back, bent down or turned around in front of the holograms.
The curator responsible for this part of the exhibition, Felicitas Heimann-Jelinek, explained the installation like this: "The medium of the transmission hologram deals with (the) disappearance, with the fact that history withdraws from us. Furthermore it questions the absolute starting point of the historical object just as it does the concept of a 'true' historical reconstruction. No exhibition can make clear what Austrian-Jewish history actually was to its full extent."


'Disappearance', the ephemeral nature of the 'images' of a hologram also does not admit a phantasmatic expectation directed at the museum: that it could through the permanent securing, fixing of things also secure and preserve memory and historical truth permanently.
The installation thus reflects the memory of the museum destroyed in the Nazi period, a memory violently broken off. The museum conveys to us – with purely visual means – that we cannot without further ado take possession of a history, not even in a museum.
The work of an exhibition, as I indicate here in outline, lies not only in its documentary function, not only in the imparting of knowledge, but primarily in expounding the problems of the historical experience in a museum context.
This involves a very high quality I believe; to do something like this is demanding, challenging, and it demands of the visitor not that he consume, but that he challenge himself, that he wish to know something, not that he remain a spectator, but that he behave actively towards himself and his history. Achieving this is certainly not only a function of museums concerned with Jewish culture and history.

VII. Summary

There is evidence that the debates on museum quality are concerned too narrowly with an almost exclusively business management approach, heading towards a narrowing of the museum concept to an organisation where economic profitability is demanded and the social objectives are extremely unclear. The rich and complex options which such a uniquely hybrid cultural institution as the museum possess are misunderstood and pared down to the ideal of satisfying consumerist needs.
Against this I propose a museum concept this can be derived both from the history of the institution and from current social demands.
In my view quality is not a feature that can be established and fixed once and for all, but rather the articulation of demands directed at the museum and the monitoring of their fulfilment.
The quality of museums must be a matter of discussion and dispute, in a process which may hardly come to a standstill and in a discourse which must be conducted actively and energetically, not solely by the museums themselves, but primarily by them.
High quality museums exist where museum criticism exists, in the museums themselves, within the museum community and the museum association and in the communities which carry the museums financially and socially and which need really the museums.
Good museums arise not through control, but through criticism.
High quality museums exist where social groups demand something of the museum and museums are smart enough to respond.