Montag, 27. September 2010

Werbung für ... (Texte im Museum 120)

Gesehen im Cafe des 'Hamburger Bahnhofs'

Museumskrise am Beispiel Hamburg und Bremen. Der Präsident des Museumsbundes äußert sich dazu

Typisches Aussehen einer Museumskrise
In einem Interview mit dem Deutschlandfunk äußert sich der Präsident des Deutschen Museumsbundes zur drohenden Schließung des Altonaer Museums und dem Verkauf der Sammlung des Museum Weserburg in Bremen. Interessant an dem Gespräch sind zwei Äußerungen, die ich von einem 'Museumsfunktionär' bisher noch nicht gehört habe.
Die eine bezieht sich auf die Zahl der Museen, auf das 'Museumswachstum' und die andere auf deren Qualität.
Die Äußerung Gerhard Richters, von dem ja ein Bild aus dem Museum Weserburg im Interesse seiner weiteren Finanzierbarkeit versteigert werden wird, es gebe zu viele Museen greift Rodekamp so auf: "Es sind sehr große und viele Museen neu gegründet worden. Wir hatten die Blockbuster-Ausstellungen und wir haben heute vielleicht ein zu viel an Museen. Aber wir haben nicht ein zu viel an guten Museen. Wir haben eher ein zu viel an kleineren, relativ unbedeutenden Häusern. Und wir vom Deutschen Museumsbund haben schon seit Jahren dafür plädiert, Wachstum im Sinne des qualitativen Wachstums in der Museumsarbeit zu organisieren. Uns fehlt es in Deutschland ein wenig an den großartigen Häusern, wie wir es in Frankreich oder auch in England oder in Amerika haben."
Rodekamp kritisiert selbstverständlich die Entscheidung des Hamburger Senats und er sieht auch im Vorgehen des Museum Weserburg einen Tabubruch in Richtung, wie er es nennt, "Kapitalisierung der Kunst". Es geht wohl um einen "Paradigmenwechsel. Die klassische alte Kultur scheint bei den jetzigen Entscheidungsträgern nicht mehr die Rolle und die Bedeutung zu genießen."
Allerdings wird die Präzision der Diagnose in dem Moment ziemlich lasch, wenn es um das Entwickeln von Gegenstrategien, von Haltungen geht. Die Museen arbeiten ja teilweise selbst aktiv an diesem Paradigmenwechsel mit und vertiefen damit die Krise und erschweren den Aufbau von Gegenstrategien. Immer dort wo es um die Rechtfertigung der Existenz des Museums gegen den 'Tabubruch', gegen den 'Paradigmenwechsel' geht, versagt sozusagen die Stimme: "Aber Kultur an sich ist nicht nur immer eine mit Geld zu bezeichnende Arbeit, sondern wir wollen uns natürlich auch im Sinne des Dienens für die Gesellschaft einsetzen und unsere Angebote sind ganz wichtig im Bereich der kulturellen Tagessituation, auch der kulturellen Integration. Wir wollen uns deutlich machen, dass wir eigentlich unverzichtbar sind, gerade jetzt in einer schwierigen Situation, in der wir in der Gesellschaft hineingeraten sind."
Diese "Unverzichtbarkeit" zu argumentieren fällt den Museen sehr schwer, und erst recht, wenn sie sich in Beziehung setzen sollen zur kulturellen Tagessituation (was immer damit genau gemeint sein soll). Den Museen fehlt eine politisch-museologische Diagnose dessen, was vorgeht, die Diagnose dessen, in das sie nicht nur "hineingeraten sind", sondern was sie selbst auch mit erzeugt haben.

Dr. Volker Rodekamp, 56-jähriger Direktor des Stadtgeschichtlichen Museums in Leipzig, wurde im Mai diesen Jahres zum Präsidenten des Deutschen Museumsbundes gewählt. Er hat Volkskunde, Ethnologie und Publizistik studiert.

Samstag, 25. September 2010

Das Altonaer Museum wird geschlossen

Tatsächlich. Der Hamburger Senat schließt das Altonaer Museum. Der 'Beitrag' des Kultursenators zum 'Sparen' besteht in der Kürzung der Gelder der sogenannten Bücherhallen, der existenzgefährdenden Kürzung des Budgets des Schauspielhauses und - einmalig in der Geschichte der Stadt -, der Schließung eines staatlichen Museums.
Museumsleiter und viele Journalisten und Kommentatoren bezweifeln einen Einsparungseffekt: Gehälter müssten ja weiter bezahlt werden, es existiert ein langfristiger Mietvertrag und die Erhaltung der Sammlung - an welchem Ort ist unklar -, verursacht ja weiter Kosten.
Sowohl das Museum als auch die Stiftung, in der die historischen Museen der Stadt zusammengefasst wurden, kündigen Proteste an. In Berufung auf die Stiftungssatzung wird die Rechtmäßigkeit der Museumsauflösung angezweifelt.
Lisa Kosok, die noch amtierende Leiterin der Stiftungen Hamburger Museen, nennt die Schließung einen "Akt von Banausen, die sich keinerlei Vorstellung davon machen, was ihre Entscheidung bedeutet". (Süddeutsche Zeitung vom 24.9.)
Die Museumsschließung wird weit über Hamburg hinaus wahrgenommen und kritisiert - als ein Dammbruch. Hier wird ein traditionsreiches, großes und öffentliches Museum geschlossen. NDR online: "Der Deutsche Kulturrat forderte den Senat zur Kehrtwende auf. Was in Hamburg passiert, ist nicht nur grob fahrlässig, es ist der systematische Ausverkauf von Teilen der Kultur, sagte Geschäftsführer Olaf Zimmermann. Kürzungen in dieser Höhe und die Schließung eines Traditionsmuseums in der Stadt kommen einem Kultur-Harakiri gleich (...) Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) betonte, dass die Schließung von Museen nie eine gute Lösung sei. Museen sollen Brücken zwischen Kulturen und Generationen bauen. Wir sind nur Treuhänder, sagte Neumann bei der Jahrestagung des Internationalen Museumsrats (ICOM) am Freitag in Leipzig. Auch in Krisenzeiten darf Kultur nicht unter die Räder kommen. (Und was sagt ICOM?)


Bauernhausmodelle aus der Gründungszeit des Museums
Das Altonaer Museum hat eine sehr interessante Geschichte. Otto Lehmann (1865-1951), Zoologe, Geograf und reformpädagogischer Lehrer entwickelte zusammen mit dem Senator Ernst Meyer ein Museumskonzept, das auf Veranschaulichung und Vermittlung sowie auf eine breite kulturgeschichtliche Methodik mit Verschränkung von Natur- und Kulturgeschichte aufbaute. Dieses Konzept wurde die Grundlage eines durch Wettbewerb ermittelten Museumsneubaues, der 1901 eröffnet wurde.
Das von Lehmann seit 1899 als Direktor geleitete (bis 1931), so sorgfältig geplante und vorbereitete, mit Dioramen, Nachbauten und Szenen - "Lebensbildern" -, ausgestattete Museum war so erfolgreich, daß es 1914 beträchtlich erweitert werden konnte.
Altona war zu diesem Zeitpunkt eine selbständige, industriell geprägte Stadt, und das Konzept der "Volksbildungsstätte Museum" sah schleswig-holsteinische Landes- und Volkskunde als Mittelpunkt der Präsentation vor, als Abgrenzung zu den Museen der Stadt Hamburg.

In den 70er-Jahren beschloss der Senat, daß das Museum seine naturkundliche Sammlung abgeben müsse. Die vor- und frühgeschichtlichen Bestände gingen nach Harburg, in eine Zweigstelle. Damit war die ursprüngliche Konzeption zerstört. Nach einem Brandschaden 1980 musste das Museum baulich und teilweise auch konzeptionell erneuert werden. 2008 wurde das Museum in die Stiftung Historische Museen Hamburg überführt. Zu diesem Zeitpunkt hatte das Museum ein beachtliches Konzept für eine Erneuerung des Museums ausgearbeitet, das mit der Eingliederung in die Stiftung obsolet war. Die Leiterin des Museums trat zurück.

Zuletzt hat das Museum mit Aktionen auf seine prekäre Situation aufmerksam gemacht, unter anderem mit einer kleinen Ausstellung, die die Rahmenbedingungen der Arbeit unterm Diktat der leeren Kassa transparent machten. Hier im Blog.

Das Museum ruft zu Demonstrationen und zur Unterschriftenaktion auf. Hier die Museumswebseite, auf der alle Reaktionen und Maßnahmen des Museums zusammengefasst sind.

Freitag, 24. September 2010

Wir machen es richtig (Texte im Museum 118)

Zu viele Museen, zu viel Müll? Das Museum Weserburg rettet sich durch Verkauf seiner Sammlung

Ein Museum trennt sich von seiner Sammlung. Wenn das kein Krisensymptom sein soll, was dann? Die Presse war aufgescheucht, berichtete aber nicht apokalyptisch sondern sehr differenziert: das Museum Weserburg in Bremen erhält öffentliche Gelder, die Ausstellungen wurden aber in Kooperation mit privaten Sammlern bestritten. Aus eigen Mitteln konnte das Museum nur wenig erwerben. Diese Sammlung wurde nun verkauft, zwei für den Markt besonders interessante Gemälde werden versteigert. Rechtlich ist das in diesem besonderen Fall möglich und die sorgfältig vorbereitete Deakzession soll dem Museum eine langfristig sichere Zukunft sichern. Zu recht fragte sich mancher Journalist, ob das nicht ein Tabubruch ist, der nicht nur ein Museum in Frage stellt, sondern die an den unveräußerlichen Gemeinbesitz gebundene Idee des Museums an sich.
Daß eines der Gemälde, das nun versteigert werden wird, von Gerhard Richter stammt, machte die Sache für die Medien noch interessanter. Der Betroffene siehts gelassener. Museen müssten sich nun mal auch wandeln. Und: "Es gibt ja so viele Museen inzwischen, das ist ja eine richtige Unterhaltungslandschaft geworden. Und grob geschätzt ist die Hälfte dort Müll. Gehen sie mal in die Lager oder schauen sie in die Bestandkataloge. Wer will das schon alles zusammenhalten? (…) Aber ich denke, dass dieses Ideal für viele Museen nicht mehr haltbar ist. Es gibt gerade in Deutschland zu viele Museen und zu wenig Geld." (Das ganze Interview in DIE WELT vom 24.9.2010 hier.)

Das Alter der Steiermark (Texte im Museum 117)

Museumskrise. Noch einmal Hamburg

Wenn ein Theater wie das Hamburger Schauspielhaus in Not gerät, dann muß man wirklich von einer Krise reden. Einem der namhaftesten Theater Deutschlands wird das Budget um über 1 Million Euro gekürzt, 50% des künstlerischen Etats. Nicht nur die Betroffenen meinen, das könnte das Endes Theaters sein. (Hier der Bericht in der Frankfurter Rundschau vom 24.9.)
So nebenbei fällt der Satz ' Das Altonaer Museum wird geschlossen werden'.
Was für eine merkwürdige Berichterstattung, was für eine rätselhafte Kulturpolitik! Eine nicht gerade arme Stadt beteiligt sich an zwei privaten Museen mit beträchtlichen Summen und gibt obszön viel Geld für ein ehrgeiziges Konzertsaalprojekt (Elbphilharmonie) aus, schließt aber eines ihrer Museen und bringt eines der wichtigsten deutschsprachigen Theater an den Rand seiner Existenzberechtigung?

Mittwoch, 22. September 2010

o.T. (Texte im Museum 116)

Ein Restitutionsfall der besonderen Art. Das Polnische Luftfahrtmuseum und seine Sammlung

In der Ausgabe der Frankfurter Rundschau vom 22.9. berichtet Nikolaus Bernau über die Wiedereröffnung des Luftfahrtmuseums in Krakau in einem von einem berliner Architekten geplanten Neubau.
Das wäre weiter nicht so bemerkenswert, wenn sich an diesem Museum und an seiner Sammlung nicht ein Stück deutsch-polnischer (Konflikt)geschichte zurückmelden würde. Denn Teile der Sammlung stammen aus dem 1936 eröffneten Deutschen Luftfahrtmuseum in Berlin. Bei Kriegsende befanden sich ausgelagerte Sammlungsbestände auf polnischem Territorium. Nun schwelt ein Rechtsstreit um einen 'Restitutionsfall' der besonderen Art. Beendete die Auslagerung den Besitztitel des Nachfolgemuseums an der Sammlung?
Ein besonderes Objekt macht deutlich, wie sehr eine Sammlung oder auch ein einzelnes Sammlungsobjekt Geschichte virulent werden läßt. Nikolaus Bernau: In der Hangarhalle steht also auch die einzige noch existierende PZL P. 11 C, die in den späten 1920er-Jahren von Zygmunt Pulawski entworfen wurde. Ein Monument der Industriegeschichte Polens, die durch den Einmarsch der Deutschen 1939 radikal unterbrochen wurde. Das 1934 in den Dienst der polnischen Luftwaffe gestellte Flugzeug wurde seit 1940 als Trophäe im Berliner Luftfahrtmuseum gezeigt, von dort als Symbol deutscher Überlegenheit ausgelagert. Wie sollte man heute begründen, warum dies Monument der europäischen Geschichte nach Berlin und nicht nach Krakau gehört?
Eine besondere Pointe ist die Argumentation der polnischen Seite, die darauf hinweist, daß man die ausgelagerten Sammlungsbestände nach 1945 mehr oder weniger aufgegeben und die Reste des Berliner Luftfahrtmuseums verschrottet hätte. Dieses Argument mit den mangelnden musealen Standards eines Landes kennt man sonst nur als - fadenscheinigen - Vorbehalt europäischer Staaten gegen solche der 'Dritten Welt'...

Samstag, 18. September 2010

Bildungsauftrag (Texte im Museum 115)

Dieser Text hängt an prominenter Stelle im Eingangsbereich des MART Rovereto. Warum? Umfassende Auslegung des Bildungsauftrages? Tägliche Mahnung an alle Angestelleten?

Vorsicht! Diese Museumsberatung könnte Ihrem Museum schaden!

Im August habe ich auf eine Studie hingewiesen, in der den Museen Ratschläge erteilt werden. Schlechte und auch nicht besonders sachkundige. Eine, die zusammen mit einem Krisenbefund auch gleich die 'Rettung' der Museen diagnostizieren will. Nur beschleicht einen der Verdacht, daß die Rettung die Museen eher in die falsche Richtung schickt.
Präziser, besser in den Kontext einbezogen hatt nun Martin Fritz diese Studie kommentiert.
Martin Fritz: Aus der Mottenkiste: A.T. Kearney berät Museen, in Causeries du lundi, 06.09.10. Unbedingt lesenswert!

Freitag, 17. September 2010

Mikroausstellung "Die Kunst der Un/Ordnung"

Oben: Ladinisches Museum St. Martin in Thurn. Unten: Kärntner Handwerksmuseum Baldramsdorf

Alberto Burri in Citta di Castello

Alberto Burri, 1915 bis 1995. Geboren in Citta die Castello. Ausgebildeter Arzt und als solcher im 2. Weltkrieg in Militärdienst. 1944 in Afrika gefangengenommen wird er in Texas interniert und beginnt dort Kunst zu machen. Nach Kriegsende und Rückkehr nach Italien - und zwar nach Rom - beschäftigt er sich nur noch mit Kunst, unter dem Eindruck des Krieges und seiner Tätigkeit als Arzt macht er Materialbilder. 1947 hat er seine erste Einzelausstellung. In den 50er-Jahren wird er unter anderem durch eine Teilnahme an einer Gruppen- Ausstellung im Guggenheim-Museum New York international bekannt. Er nimmt mehrfach an der Biennale di Venezia und der documenta in Kassel teil. In den 80er-Jahren verwandelt er die Erdbebenruinen der Stadt Gibellina als Protest und Erinnerung an das Im-Stichlassen der Bevölkerung durch die Politik in ein 'Monument' um: die Stadtruine wird mit Beton versigelt, in der das Netz der Strassen und Gassen aber begehbar eingegraben wird. 1981 wird von der Stiftung Burri im Palazzo Albizzi in Citta di Castello mit 32 Werken ein Museum eröffnet, 1990 erfolgt die Eröffnung des Museums in den ex seccatoi del tabacco. 1995 stirbt Burri in Nizza.

Alberto Burri wurde 1915 in Citta di Castello geboren. Seine Karriere machte er in anderen italienischen Städten. Dann stellte ihm eine Tabakfabrik seiner Heimatstadt eine der riesigen Hallen zur Verfügung, die zum Trocknen von Tabak verwendet wurden. In dieser Halle arbeitete Burri und entwarf Werke und Zyklen für genau diesen Ort.
Es wurde eine Stiftung gegründet die zunächst den in der Altstadt gelegenen Palazzo Albizzi zum Museum für Burris Arbeit machten. Der Palast wurde entsprechend der Philosophie des white cube vollkommen purifiziert. Bis auf die originalen Tür- und Fensterlaibungen aus grauem Stein und der weißgefärbelten Holzdecken gibt es nichts mehr, das an die Zeit der Entstehung des Palastes erinnert. So entsteht so etwas wie die Quintessenz eines Renaissance-Palazzo, Säule, Treppe, Eingang…Über einem annähernd quadratischen Grundriß erheben sich zwei für die Ausstellungen genutzten Geschosse. Kein Raum ist so groß und so geschnitten wie der andere, keiner ist exakt rechtwinkelig.
Die Beschriftung ist einzigartig reduziert und besteht immer nur aus Werktitel und Entstehungsjahr, weisse Schrift auf schwarzem Plastik-Prägeband, das passt genau auf die einheitliche Rahmung aus schmalen Holzleisten.
Die Möblierung besteht aus einem einzigen Typ von Sitz aus naturbelassenem Holz.

Die mächtigen Tabakhallen liegen etwas vor der Altstadt, aber im Wohngebiet. Sie sind außen schwarz gestrichen. Es gibt einen winzigen Empfangsbereich, mit Kassa, einigen Büchern und den beiden einzigen Sesseln des ganzen Museums.
Die Hallen, jede von ihnen in der Größe einer kleineren Bettelsordenskirchen, also hohe Räume ohne jede Wandgliederung (bis auf einen Raum) mit offenem hölzernen oder eisernen Dachstuhl. Außer der Beleuchtung gibt es keinerlei Installationen. Eingänge, möglicherweise die originalen, gibt es an den Längswänden, ganz an deren Ende, so daß hier ein Quergang durch die Hallen möglich ist, aber auch ein mäandernder Weg, wie ihn das einzige 'Leitsystem', auf den rohen Betonfußboden mit seinen Gebrauchsspuren, vorschlägt, gerade und rechtwinkelige schwarze Pfeile. Einige Türen, früher zur Manipalution notwendig, sind geöffnet, lassen Tageslicht ein und öffnen Ausblicke.
In jeder der Hallen gibt es einen oder in manchen zwei Werkzyklen. Alle Hallen sind ausschließlich in weiß oder schwarz ausgemalt.
Abgesehen von den Hallen für neue Kunst in Schaffhausen - einer aufgelassenen Textilfabrik -, habe ich noch keine so eindrucksvolle als Kunstraum genutzte Industrieanlagen gesehen. Das liegt freilich nicht nur an der Dimension und Ästhetik der Hallen, sondern an dem ganz und gar eigentümlichen Werk Alberto Burris.
Ich betrete solche Räume und lerne ein solches für mich ganz neues Werk als neugieriger Laie. Ich bin kein Eingeborener der Kunstmoderne, der sich in solchen Biotopen kennerisch bewegt. Hätte ich nicht in einem der Hotels, in denen ich genächtigt hatte, ein Kunstbuch über Burri gefunden, ich wäre wohl kaum nach Citta di Castello gekommen.
Die Notizen zu italienischen Museen, die ich in den letzten Tagen gemacht habe, waren nicht mehr als eben Notizen, Anmerkungen, vielleicht anschaulich genug, daß jeder selbst ein Gefühl entwickeln konnte, ob es ihn einmal interessieren könnte oder auch nicht.
Die beiden Alberto Burri gewidmeten Museen möchte ich entschieden in die Liste der Museen aufnehmen, deren Besuch ich empfehle. Es sind zwei ganz besondere Kunstorte - mit dem Extrabonus einer ansprechenden italienischen Kleinstadt.

Mittwoch, 15. September 2010

Das genügt! (Texte im Museum 114)

Alberto Burri scheint Zeit seines Lebens seine Bilder in ein- derselben Form gerahmt zu haben (mit gerinfügigen Abweichungen, die der Materialität der Bilder geschuldet waren) - und beschriftet. Schmale Prägeetiketten, die auf die Vorderseite oder manchmal auch auf die obere Innenseite des aus schmalen unbehandelten Leisten gefertigten Rahmens passten. Und mehr war nie drin: Titel und Datierung. Palazzo Albizzi, Citta di Castello

Museo Civico Diocesano Norcia

Immer wenn ich mir bei einem Museumsbesuch denke, wie sehr doch die immergleichen Muster, Strukturen, Settings das Museum eintönig, langweilig machen, stolpere ich im nächsten Museum in die heftigste Widerlegung dieser fixen Idee. Museen haben zwar eine Reihe von strukturellen Gemeinsamkeiten und es kann Steretotype geben, die es sehr langweilig machen können. Aber vielleicht ist es ja so wie in der Musik: über einem einfachen Thema kann die Zahl der Variationen unendlich sein, da gibt es nicht nur den musikalischen Spaß oder das musikalische Opfer, sondern auch die große Oper oder die - Katzenmusik.
Das dachte ich, als ich das Museo civico e diocesano in Norcia betrat. 
Ein wirklich scheußlicher Gipskopf, der Vespasian sein sollte, aber vielleicht aus einem Geschäft für Friseurbedarf entliehen war, ein Holzpferd, sehr abgeschabt, aber immerhin orginalgroß, ein auf einer Staffelei für einen lokalen Maler werbendes, ziemlich buntes Gemälde, ein verwitterter Stein, an dem es nichts zu erkennen gab, was durch einen langen erläuternden Text, der daneben auf einer Art Notenständer stand, kompensiert werden sollte, wo alles das erläutert wurde, was es nicht (mehr) zu sehen gab, eine Kutsche, mit einer großen Texttafel in ihrem Inneren "Kutsche", in einem Raum daneben ein Grab mit Skelett und Grabbeigaben, relativ unklaren Authentizitätsgrades, eine Nische mit einer unproportionalen kleinen Statue, der ästhetisches Mißgeschick sich später im Museum aufklärte: es war eine aus einem männlichen Torso und einem weiblichen Kopf zusammengesetzte Skulptur, die irgendeine hochgradige Verwandte des gipsernen Vespasian darstellte.
Also "Katzenmusik"?
Nicht ganz.
Zur Linken gab es eine Glastür, die zur Museumskassa führte, zum Empfangsraum, in dem mich drei Frauen freundlich mit einer Eintrittskarte und einer Geste "hier lang" ausstatteten. Hinter ihnen gabs eine Tür, die zu einer archäologischen Sammlung führte. Von einer umfangreichen Bild-Text-Tafel lächelte mir ein greiser, weißhaariger Herr im roten Hemd entgegen, der Sammler Evelino Massenzi, der in einem langen Text in einer eleganten, salbungsvollen Suada gewürdigt wurde (ach, so hätt ich gern mal einen Text über mich, so altmodisch und wunderlich…!).
Die etruskischen und römischen Reste, die Herr Massenzio zusammengelesen hatte, sagten mir nicht so wahnsinnig viel. Ein Satyr samt Mänade nagelte mein Interesse wegen des mild-erotischen Sujets kurz fest, aber es sah ein wenig so aus, als wolle der Satyr der Mänade grade in den Hintern treten, entweder eine sehr freie Interpretation des Mythos oder ein ästhetisches Mißgeschick eines in der umbrischen Provinz gescheiterten Vasenmalers…
Nach vier Räumen war es zu Ende, ich drehte um und fragte die drei Damen "das wars"? Aus einem Munde seufzten sie "No" und es folgte eine weitere dieser "hier gehts lang"-Gesten. Für den bedrohlichen Aufstieg über eine mehr oder weniger senkrecht nach oben führende Treppe, suchte ich mir Aufschub, um das Pferderätsel zu klären. Da es insgesamt drei Kutschen gab (aber nur ein Pferd) interpretierte ich alles gutwillig als ein im entstehen begriffenes Kutschen- oder gar Verkehrsmuseum. Außerdem stand hinter dem Pferd ein unübersehbar großes Schild, das versprach, jederzeit Tiere und Menschen, also auch mich, in Originalgröße nachbilden zu können. Angesichts des Zustandes des Pferdes verfehlte diese Werbeeinschaltung ihren Eindruck auf mich und ich stattete der Grabkammer einen Besuch ab.
Mit großer Akkuratesse und vielen Farbfotos und langen Texten wurde hier die Frage erörtert, "wie baue ich mir ein Ahnengrab?". Um es gleich zu verraten, es geht ungefähr so wie bei einem Zierteich für den Garten. Steine, Folien, Styropor, Gips, Farbe usw. Skelett rein, Grabbeigaben rein und fertig ist das Ahnegrab.
Das Museum gibt einen Blick frei, auf seine Techniken des Fakens, meint es aber leider nur ernst und nicht auch ein bisschen ironisch oder auch nur selbstreflexiv. Anderso beginnt man zu ahnen, daß das mit dem Ausgraben der Toten und Ausstellen in Museen nicht der Weisheit allerletzter Schluss sein kann. Hier - und beileibe nicht nur hier - herrscht noch ungebrochener Optimismus in punkto musealer Lazarisation.
Jetzt muß ich noch sagen, wo denn das Museum untergebracht war. Nun, Norcia hat im Zentrum einen 'Palazzo', den ich aber als solchen nicht unbedingt bezeichnen würde. Die mächtigen geböschten Sockel, die wehrhaften Ecktürme, die kleinen Fenster des Erdgeschosses, verraten einem, daß die Familien, die sich beim Stadtregieren (= Beherrschen) die Klinke in die Hand gaben, lange Grund gehabt mussten, die militante Antwort der Stadt auf ihre Herrschaft zu fürchten.
Welche Familie grade an der Reihe war, darauf hatten die Bewohner Norcias keinen Einfluss und ob diese Familie nun kluge Reformen betrieb oder sich bloß bereichern oder ihre Macht ausbauen wollte, das war Zufall im Spiel Mächtigerer. Die einzige Abwechslung, die den Norciern geboten wurde, war daß sie ab und an mal auch zum Kirchenstaat gehörten, relativ logisch, wenn man beansprucht, Geburtsort des Hl. Benedikt zu sein.
Schon beim ersten Besuch Norcias hatte mich beigeistert, daß das, was zum Repertoire einer italienischen Kleinstadt gehörte, Piazza, Palazzo Communale, Dom  und noch ein paar Adelspaläste, Loggien etc. zwar hier auch vorhanden war, aber in einer eigentümlich leicht geschrumpften, etwas liliputanerhaften Form. Der sogenannte Palast sah für mich immer schon eine wenig aus, wie eine aus einem Ausschneidebogen gebastelete Burg, die man irrtümlich in eine Stadtmitte versetzt hatte.
Wie auch immer. So ein Gebäude hat hohe Räume, also auch mächtige Treppen.
Jetzt blieb mir nur noch der Aufstieg in den ersten Stock. Dort wars zu Ende mit "Katzenmusik". Unvermittelt stand ich in einer archäologischen Ausstellung, viele Räume groß, Norcia gewidmet, aus dem Anlaß irgendeines Vespasian-Jubiläums (ja, der aus Gips, unten im Hof). Sehr detailliert und eher von Fachmann zu Fachmann konzipiert, wurden hier auf offenbar rezentem Forschungsstand durchaus spannende Fragen abgehandelt: die Entwicklung einer Region und einer Stadt, ihrer Verkehrswege, ihrer Wirtschaft, ihrer politischen Verfassung, ihrer sozialen Entwicklung. Meist eher karge Objekte wurden mit langen Raumtexten zusammenfassend gedeutet und die Detailgenauigkeit war dabei das Entscheidende.
Ich mag es, wenn einem genau erklärt wird, warum eine ganze Stadt entvölkert wird, die man eben in einem eigenen 'Entwicklungsplan' wieder wirtschaftlich beleben wollte, nur weil diese Stadt eine falsche politische Loyalität wählte. Dabei spielte die Schafzucht und die Wanderwege der Herden eine große Rolle, Wege, die man noch heute im Straßennetz um Norcia erkennen kann. Und ich habe begriffen, wie dicht zu römischer Zeit das Straßennetz in diesem grade nicht sehr wegsamen Gelände schon war, wie groß die Anstrengungen waren, ein sicheres und die zentralen Punkte optimal verknüpfendes Wegenetz zu errichten. Und so nebenbei: daß sich hohe Beamte 'schon damals' (in Fels gehauen, also 'auf ewig') Denkmäler für ihre straßenbauverwalterische Tätigkeit in Rom errichten ließen.
Nicht schlecht.
Dieser ganze Teil ist eine bis 2011 laufende Sonderausstellung.
Die Dauerausstellung des 1. Stockwerks wird mit christlicher Kunst bestritten. Und die war offenbar wieder Gegenstand des Sammeleifers von Herrn Massenzio. Wer so eifrig für sein Vaterland, seine Heimatstadt sammelt, der wird auch entsprechend gewürdigt. Den Text habe ich schon erwähnt. Aber nicht, daß an mindestens vier Stellen, mitten in der Sammlung und ausstellungstechnisch von ihr nicht unterschieden, die Werke über seine Sammlung (viele und neue) präsentiert wurden, vor christlicher Kunst, auf roter Seide, in einer langen, alten Pultvitrine zum Beispiel.
Ehe man zu den Verzückungen und Extasen des 16. und 17. Jahrhunderts vordringt, die es millionenfach gegeben haben muß und in den Museen immer noch gibt, und die einem den Katholizismus so richtig symphatisch macht, ist man mit einigen zwar schwer derangierten aber eindrucksvollen Plastiken und Gemälden des 12. und 13. Jahrhunderts konfrontiert. Hier habe ich verstanden, warum es Sinn machen konnte, wie in vielen anderen Orten und Ländern auch, den 'Kunstbesitz' im 19. Jahrhundert nach und nach zu säkularisieren und in urbanen Museen zu zentralisieren. Sehr lange waren diese Objekte schon in entlegensten winzigen Kapellen oder Kirchen verfallen. - Aber jetzt rede ich ja schon wie ein Museumskurator oder Denkmalschützer….