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Dienstag, 13. September 2011

Staub

STAUB
 
In der Vorstellung der Märchenerzähler erwacht Dornröschen nicht mit einer dicken Staubschicht bedeckt; sie haben auch nicht an die finsteren Spinnweben gedacht, die ihr rotes Haar bei der ersten Bewegung zerrissen hatte. Dabei legen sich endlos traurige Staubdecken über die menschlichen Behausungen und beschmutzen sie gleichförmig:als ginge es darum, die Dachboden und die alten Stuben für den bevorstehenden Einzug der spukenden Gespenster und der Larven herzurichten, die sich am wurmstichigen Geruch alten Staubs nähren und berauschen. Wenn sich die dicken Dienstmädchen allmorgendlich mit einem großen Staubwedel oder gar einem elektrischen Staubsaugerbewaffnen, so sind sie sich vielleicht nicht gänzlich im unklaren darüber, daß sie genauso sehr wie die positivsten Gelehrten dazu beitragen, die bösartigen Geister fernzuhalten, denen vor Sauberkeit und Logik ekelt. Eines Tages allerdings wird der Staub, der ja hartnackig ist, wahrscheinlich über die Dienstmädchen siegen und gewaltige Trümmer verlassener Bauten und menschenleerer Lagerhauser überziehen: und in dieser fernen Zeit wird nichts mehr bestehen, was uns vor den Schrecken der Nacht schützt, in deren Abwesenheit wir zu so großen Buchhaltern geworden sind ...

Georges Bataille

Mittwoch, 7. September 2011

Entmusealisierung

Musealisierung ist ein prinzipiell zwiespältiger Vorgang, nämlich dann, wenn es um nicht mehr geht, als um Konservierung von Resten. Wo eine erschließende Vermittlung - aus welchen Gründen auch immer - nicht stattfindet, kann schwerlich ein lebendiges, arbeitendes Gedächtnis entstehen.
Dennoch kommt es selten vor, daß solche Prozesse der Erhaltung um der Erhaltung willen gestoppt werden oder rückgebaut.
Jetzt findet so etwas statt. Wie die Kleine Zeitung (hier) berichtet, wird das zum Universalmuseum Joanneum gehörige kleine, moderne Museum, das die Ausgrabung des römischen Flavia Solva zeigt, nicht nur geschlossen, das war schon länger bekannt, und zu einer Art 'Museumsvitrine' umfunktioniert. Der Sparzwang, den die Landespolitik dem Museum verordnet hat, trifft auch die Grabungen, über denen das Museum wie eine luftige Brücke schwebte. Da ihre Erhaltung und nötige Sanierung nicht finanzierbar sind und die Reste als ausreichend dokumentiert und erforscht gelten, wird das Gelände zugeschüttet und begrünt.
Selbst die Kürze des Zeitungsartikels vermittelt etwas vom Zwiespalt des Konzepts Musealisierung: während der wissenschaftliche Wert als abgearbeitet gelten kann, verweisen Formulierungen wie "bedeutendster römerzeitlicher Fundplatz des Landes" auf eine offenbar noch lebendige identitäre Bedeutung dieses 'Gedächtnisortes' - wenn auch vielleicht nur mehr im Kopf eines Journalisten...

Mittwoch, 31. August 2011

Das Goldene Zeitalter (Was ist ein Museum? 12)

Germain Bazin, Chefkurator der Gemäldesammlung des Louvre, hat 1967 eine Museumsgeschichte (The Museum Age) veröffentlicht, die seiner Profession entsprechend ihren Schwerpunkt auf der Geschichte des - europäischen und US-Amerikanischen - Kunstmuseums hat. Das Kapitel zum 19. Jahrhundert trägt den Titel "Goldenes Zeitalter".
Man glaubt ihn zu verstehen als passende Bezeichnung für die Durchsetzung und Ausbreitung einer Idee, ihre Universalisierung im globalen Maßstab und ihre (typologische) Differenzierung über das Jahrhundert hinweg. Das 19. wäre also das Jahrhundert, in dem sich das Museum als wichtige kulturelle Institution weltweit durchsetzt und das 'europäische Modell' vorbildlich wird.
Bazin meint es aber anders. Er bezieht sich auf das museale Sammeln. Er schwelgt in den Freiheiten, die das bürgerliche Zeitalter in einer Art von ursprünglicher Akkumulation der Kulturgüter noch gewährt habe. Sammlungen konnten nahezu beliebig aufgebaut, erweitert, ergänzt werden. Alles schien noch verfügbar, leistbar, erreichbar. Grabungskampagnen, militärische Operationen - das Modell gab Napoleons Feldzug in Ägypten ab -, die Entstehung eines Marktes für 'Museumsstücke', die Ausnutzung ungleicher Machtverhältnisse, die Kolonisierung - das alles ermöglichte eine nahezu grenzenlose Sammeltätigkeit. Museen mussten sich nicht einmal auf den 'Markt' begeben, sondern konnten, etwa in Ägypten, bei Agenten und Händlern gezielt, in der Sammlung 'fehlende' Objekte für eine bestellen - und es wurde geliefert.
Grabanlagen, Schatzfunde, ja ganze Tempel oder Altäre, monumentale Bauten und Ensembles von Kunstwerken, wanderten in die großen Museen europäischer Nationalstaaten. Diese konkurrierten untereinander auch mit ihren Museen und Sammlungen und das Sammlungsgut wurde, woher es auch kam, zum 'Nationalgut', das den Stolz und das Ansehen einer Nation mehrte. Das British Museum wird mit den Elgin Marbles zu dem Museum, als das wir es heute noch sehen und Berlin wird, erst Jahrzehnte später, mit dem Pergamonaltar ein Objekt besitzen, das einigermaßen der Londoner Metropole ebenbürtig macht.
„Von besonderer Bedeutung ist es", schreibt der Preußische Kultusminister an den König, "daß die Sammlungen der Museen, welche bisher sehr arm an griechischen Originalwerken waren […] nunmehr in den Besitz eines Werkes griechischer Kunst von der Ausdehnung gelangen, welche etwa nur in der Reihe der attischen und kleinasiatischen Skulpturen des Britischen Museums gleich oder nahe kommen.“
Die wirtschaftlich, politisch und militärisch überlegenen Staaten bedienten sich in jenen Regionen, in denen es weder eine nennenswerte Museumskultur, Denkmalpflege oder das - moderne - Bewußtsein für die Bedeutung des kulturellen Erbes gab. Unklare politische Verhältnisse, mangelnde rechtliche Regelungen, informelle Deals mit lokalen Behörden und Händlern, das Fehlen für ein Bewusstsein für den ästhetischen oder geschichtlichen Wert der eigenen kulturellen Überlieferung, das sind die Bedingungen, unter denen der Massentransfer in die Museen der großen europäischen Nationalstaaten vor sich gehen konnte.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war Europa von diesem Mechanismus selbst betroffen. Mit der Macht des privaten Kapitals wurden ungeheure Mengen und Qualitäten europäischer Kultur in die USA transferiert um dort weltweit 'konkurrenzfähige' Museen schaffen. Das Metropolitan Museum steigt in wenigen Jahrzehnten vom viertklassigen Stadtmuseum zu einem der bis heute weltweit bedeutendsten Museum auf. Noch in den 30er-Jahren wird der Gründungsdirektor des Museum of Modern Art, Alfred Barr, die ökonomische Überlegenheit der Vereinigten Staaten nutzen, um in Deutschland und der UdSSR, die sich in in einer depressiven wirtschaftlichen Situation befinden, die Grundlage für eine der bedeutendsten Sammlungen Moderner Kunst weltweit zu legen.
Mit einer Unbedarftheit, die heute (angesichts der Raubkunstdebatten) undenkbar wäre, feierte Bazin in seinem in den 60ern erschienenen Buch diesen Zustand als ein Eldorado der Sammler und der Museen. Er hält sich mit keinen moralischen und kulturgeschichtlichen Überlegungen auf. Als leitender Mitarbeiter des Louvre mußte er freilich wissen, daß dieses Museum, und gerade die ihm anvertraute Gemäldesammlung, umfassend auf gewaltförmiger und rechtsbrüchiger Grundlage entstanden war. Heute wäre eine solche Sichtweise nicht mehr zu vertreten. Die seit Jahren geführten Debatten um Arisierung, Raubkunst und Provenienzforschung haben die Politik und die Museen wie auch eine breitere Öffentlichkeit sensibilisiert.
Gewaltförmige Akkumulation ist aber nur eine Seite der gewaltigen 'Museumssammlung' des 'Goldenen Zeitalters'. Die zweite große Triebfeder ist die von Hermann Lübbe und anderen unter dem Stichwort Musealisierung beschriebene Dialektik. Der beschleunigte Wandel aller Lebensverhältnisse, das immer raschere Verschwinden von immer mehr materieller 'Umwelt' und Tradition, rief den Wunsch des Bewahrend hervor. Daß diese Bewegung nicht bloß konservierend verlief war dem gleichzeitigen Entstehen eines 'historischen Sinns' geschuldet, dem das Museum des Historismus aber auch die Geisteswissenschaften ihre soziale und geschichtliche Grundlage verdanken (J. Ritter). Musealisierung ist in erster Linie eine Art der Bewahrung, Erhaltung, Konservierung, aber ohne Formen der Aneignung würde das bloß zur Schaffung eines toten Gedächtnisses führen.
Ohne die Haussmanisierung von Paris hätte der Architekt und Denkmalpfleger Violett le Duc nicht sein (inzwischen aufgelassenes und transformiertes) Musée des Monuments gründen können, ohne die die Stadt tiefgreifende Veränderung Wiens durch den Bau der Ringstraße und die Erweiterung der Stadt, hätte es nicht jenen 'Reliktanfall' gegeben, der zu einer städtischen Sammlung und dann zu einem Stadtmuseum geführt hätte. Ohne den Verlust der wirtschaftlichen und politischen Machtposition hätte es in den Niederlanden keine Museen gegeben, mit deren Hilfe sie ihr 'Goldenes Zeitalter' museal pflegen und vorzeigen.
Ähnliches gilt für Naturmuseen. Sie spiegeln nicht nur die wachsende Naturbeherrschung durch Wissenschaft wieder, sondern auch deren spürbar werdende Zerstörung. Der durch Landflucht, Veränderung der Arbeitsweisen, soziale Umbrüche hervorgerufene Wandel dessen, was man 'das Land' nennen könnte, führte zu - vergeblichen - Versuchen, den spezifischen Hausfleiß, die handwerkliche Produktion ländlicher Bevölkerungen zu erhalten und zur Erweiterung der Musealisierung um volkskundliche und heimatkundliche Museen. Diese Liste ließe sich beliebig verlängern.
Daß in den Musealisierungsthesen ein solider Kern steckt, kann man an vielen zeitgenössischen Beispielen sehen, wo etwa die Erhaltung eines 'alten' Gebäudes oder einer mehr oder minder zufällig zusammengekommenen Sammlung zur Gründung von Museen führen. Ehe man sich von etwas trennt, sich selbst und dem Verfall überlässt oder durch etwas entschieden Neues ersetzt, beginnen jene offenbar tief verankerte Skrupel zu walten, die jede gegen 'das Alte' gerichtete Haltung wie mit einer Schuld kontaminieren.



Freitag, 1. Juli 2011

Die Dauer des Museums

Die vielen bekannte, derzeit bei ICOM als gültige publizierte Definition von Museum lautet: "A museum is a non-profit, permanent institution in the service of society and its development, open to the public, which acquires, conserves, researches, communicates and exhibits the tangible and intangible heritage of humanity and its environment for the purposes of education, study and enjoyment."
In den Debatten innerhalb von ICOM (1) über eine Erneuerung und Überarbeitung der Definition ist unter anderem der Vorschlag gemacht worden, "permanent" zu streichen.
Pragmatisch ist das verständlich, viele Museen bestehen zwar schon sehr lange und es ist keine Veranlassung an einer zukünftigen langen Lebensdauer zu zweifeln, aber Museen werden selbstverständlich gelegentlich auch geschlossen.
Im Sinn einer möglichst präzisen und knappen Definition ist außerdem Dauer kein Kriterium für das Museum.
Allerdings bezieht sich das Wort Dauer in der Museumsdefinition nicht bloß auf die Institution oder den Ort und das Gebäude sondern auch auf die Sammlung. Wenn man den Sammlungsgegenständen die Eigenschaft der Dauer nimmt, also die einer unabgeschlossen gedachten Zeit, in der sie den besonderen Status von Dingen haben, die weder gebraucht noch verkauft werden dürfen und während der sie erhalten werden müssen, was dann?
Wird es dann möglich, Museen gewissermaßen einer 'Rückabwicklung' auszusetzten, nicht nur das Mobiliar zu Verkaufen, die Immobilie, sondern auch die Sammlung? Könnte dann z.B. ein in Sparnöte geratene Kommune die Auflösung eines Museums oder einer Sammlung unter wirtschaftlichen Prämissen beschließen? Könnten MUseen ihre Sammlung gleichsam verflüssigen, hier etwas ver- dort etwas ankaufen? Könnten sie so ihre Sammlungspolitik ändern und neuen Gegebenheiten anpassen?
Bedenkenswerter scheint mir eine andere Konsequenz. Mit der Eliminierung der Qualität der unbestimmten Dauer, eliminiert man auch die Vorstellung eines dauerhaften - zunächst dinglichen - Gedächtnisses. Die Idee eines jede lebensweltliche Vorstellung von Dauer (Lebenszeit, Generationen etc.) überschreitenden 'technischen Gedächtnisses' des Museums erlaubt eine tröstliche Einschreibung, enthält eine tröstliche Botschaft, die die Kränkung unserer Endlichkeit mildert. Diese Vorstellung entsteht zu Ende des 18. Jahrhunderts auch aber nicht nur im Zusammenhang mit Museen und ist seither eines seiner Strukturmerkmale.
In vielen Museen zeugen Testate - vom einzelnen Objekt bis hin zu ganzen Museumssammlungen mit eigenen namentlich gewidmeten Bauten - vom Wunsch, sich im Museumsgedächtnis einen Platz zu sichern. Aber auch in Hinblick auf kollektive Erfahrungen ist es ja offenbar tröstlich, sie in einem unverletzlichen Speicher - so imaginär diese Idee auch ist, irgendwann erreicht alles eine physische Grenze -, aufgehoben zu wissen.
Die Aufgabe der definitorischen Permanenz (noch ist sie nicht beschlossen) hätte zweifellos Konsequenzen für die gesellschaftlich-kulturelle Rolle des Museums.

(1) Ann Davis u.a. (Hg.): What is a Museum? München 2010

Mir kommt vor, sie verschwinden zusehends aus den Museen und Schlössern, die Filzpantoffel, die man über die Straßenschuhe überstreift und mit denen man durch Säle und Flure schlurft, ohne Fußböden und Teppiche abzunutzen. Mag sein, daß neue Technologien des Oberflächenschutzes diesen wunderlichen Behelf überflüssig machen, der jede Besuchergruppe, egal wie sie gekleidet war, einer Verschlunmpfung aussetzte, derer man sich gerne und erleichtert wieder entledigte. - Diese vom Verschwinden bedrohte Spezies, deren Biotop musealisierte Räume waren, soll hier noch einmal auch hinsichtlich seiner symptomatischen Qualität (im Sinn der oben ausgeführten Überlegungen zur Dauer des Museums) gewürdigt werden. Das Hintanhalten der Abnutzung ist das restauratorische Credo im Museum und der Filzpantoffel ist die Waffe gegen den unberechenbarsten aller Feinde des Ewigkeits-Phantasmas: den Besucher

Mittwoch, 15. Juni 2011

Das verdoppelte Hallstadt

In einer Erzählung von Fritz von Herzmanowsky-Orlando wird die Störung der kosmischen Ordnung geschildert, den der Wunsch der Stadt Scheibbs hervorruft, einen zweiten Donnerstag zu bekommen. Alle Versuche, die Scheibbser umzustimmen und die vorhersehbare globale Zeitenverwirrung abzuwenden, scheitert, selbst das ersatzweise Angebot eines dritten "b" in Scheibbs, bis sich herausstellt, daß die Scheibbser ohnehin nur einen zweiten Markttag wollten.
Nicht ganz so gegen die kosmische Ordnung gerichtet ist das Vorhaben, die kleine in Oberösterreich gelegene Siedlung Hallstadt samt See in China 1:1 zu reproduzieren. Diese hübsche und ausbaufähige Idee stößt in Hallstadt nicht auf Gegenliebe. Namentlich dem katholischen und dem evangelischen Pfarrer ist die Vosrstellung ein Gräuel, 'ihre' Kirchen könnten zu touristischen Sehenswürdigkiten werden. Na ja, vielleicht mit Beschriftung oder Erläuterung... Und wir verstehen: in einem Land, das keine (sichtbaren) Gotteshäuser anderer Religionen dulden will, hat man eine gesteigerte Feinfühligkeit für den Symboltransfer in ein ganz und gar unchristliches (und kommunistisches) Land...

Samstag, 11. Juni 2011

Leben wir alle schon im künftigen Museum...?

"Die Leute von Lech", 1995. Originale Bildunterschrift: "Otto Huber, Küfer, wohnhaft im zukünftigen Heimatmuseum Huberhaus. Heute, 2011, ist das "Huber-Hus" tatsächlich Museum

Montag, 14. Februar 2011

Verzettelt (Texte im Museum 177)



Streithammer von Capt. Cooks Reisen von einem Volksstamm im hohen Norden der Westküste von Amerika mitgebracht.
Völkerkundemuseum Herrnhut

Freitag, 21. Januar 2011

Das Ende der Kunst? Das Ende des Museums? (Was ist ein Museum 11)

Quatremere de Quincy
Die rasche - buchstäblich globale - Durchsetzung des zwischen etwa 1770 und 1810 entstandenen neuen - öffentlichen, wohlfahrtsstaatlichen, zivilisierenden - Modells des Museums als sowohl kollektiv wie individuell zivilisierender Praxis der Selbstvergewisserung und Selbstreflexion, läßt sich unschwer als Erfolgsgeschichte erzählen. Germain Bazin hat das in seiner Museumsgeschichte von 1967 auch so gemacht und vom 19. Jahrhundert als dem 'Goldenen Zeitalter' des Museums gesprochen.
Man übersieht dabei leicht, daß buchstäblich 'von Anfang an', und zwar mit großer Hellsichtigkeit und Schärfe, strukturelle Merkmale des Museums kritisiert wurden. Es gibt eine Kritik am Museum, die nicht mehr oder minder nebensächliche Aspekte betrifft, sonder die das Modell als solches analysiert.
Vordergründig nimmt das seinen Ausgangspunkt mit der Dialektik von Bildersturm, Kunstraub und Musealisierung im Frankreich der Revolution und dann Napoleons. Die Kritik wendet sich gegen die Plünderung europäischer Galerien und gegen die Zentralisierung von Kulturgütern an einem einzigen Ort, nämlich Paris.
Die bemerkenswerteste Kritik kam von einem Archäologen, Architekturtheoretiker und Kunstschriftsteller, der sich beim Aufbau des Louvre-Museums beteiligt hatte, und der aktiv in den ersten Jahren der Revolution an der Kultur- und Museumspolitik beteiligt war, der sich aber dann so weit von ihr entfernte, daß er schließlich als ein Feind des Staates und der Revolution 1796 in Abwesenheit zum Tode verurteilt wurde.
Antoine-Chrysostome Quatremère de Quincy veröffentlichte genau in diesem Jahr, sozusagen aus dem Untergrund heraus, also mit großem persönlichen Risiko, eine Schrift gegen den Kunstraub in Italien. Sein zentrales Argument war die Herauslösung der Kunstwerke aus ihrem Umfeld, die einer Zerstörung gleichkäme. De Quincy hatte nicht nur das architektonische Ambiente im Auge, sondern sondern alle, auch lebensweltliche Bedingungen der Geltung eines Kunstwerkes, einschließlich des Gebrauchs, der Wahrnehmung, der Einbettung in Rituale usw.
Er spielte Rom (als Ort der Beraubung) gegen Paris (den Ort der musealen Akkumulation und Zentralisierung) aus. Rom verkörperte ihm das 'ideale' Museum, wo die Kunst noch ihren angestammten Platz einnahm, während die Museumsgründungen in Paris, namentlich die im Louvre, zu einer umfassenden Entfremdung der Kunst führen müssten. Und zwar auf doppelte Weise. Einmal wegen der Entkontextualisierung der Werke und ihrer Transformation zu Exponaten, dann aber auch wegen der Veränderung der Gebrauchsweisen von Kunst.
Das 'totale Museum', wie man es in Paris grade verwirklichte, so ahnte er, würde die Wahrnehmung der Kunst vollkommen verändern, es werde bloß ein „Magazin mit allen Schulen der Malerei“ werden, das mit seinem Nebeneinander zu einer Relativierung der Kunstwerke führen würde. Dagegen Rom: „Das wirkliche Museum von Rom, von dem ich hier spreche, besteht zwar aus Statuen, Colossen, Tempeln, Obelisken, Triumph-Säulen, Bädern, Circi, Amphitheatern, Gräbern, Stuccaturarbeiten, Fresco-Mahlereyen, Basreliefs, Inschriften, Fragmenten von Zierrathen, Baumaterialien, Meublen, Hausgeräthen u.s.w. Aber es gehören dazu auch die Orte, Gegenden, Berge, Steinbrüche, alte Wege, die Lagen der verschiedenen zerstörten Städte, die geographischen Vergleichungen, die nur im Lande selbstgemacht werden können.“
Quincy verschließt allerdings seine Augen vor jener Musealisierung der Kunst, die auch in Rom längst eingesetzt hat, mit den päpstlichen Regelungen zum Schutz und dem Ausfuhrverbot von Kunstwerken und der Schaffung des riesigen Museumskomplexes im Vatikan, dem Museo Pio Clementino. Noch zu seinen Lebzeiten wird im Vatikan die Pinakothek geschaffen und die Kapitolinischen Sammlungen in ein Museum verwandelt.
Das nimmt der Kritik am Museum aber nicht seine Brisanz: An dem, was im Louvre entsteht, kritisiert er den umfassenden Funktionswandel, die Verzeitlichung (in den Chronologien der Hängung), die einen „abergläubischen Respekt für das Alte“ fördere, aber auch die (Kunst)Kritik, die das 'Sentiment' ersetze, und schließlich das Entstehen eines neuen Publikums aus Künstlern, Amateuren und Laien. Diesen drei Publikumsgruppen mit ihren höchst unterschiedlichen Ansprüchen gefallen zu müssen, führe dazu, daß die ‚arts du génie’  aufhörten gesellschaftliche Leitbilder zu sein und stattdessen zu ‚arts de luxe’ würden, die der Unterhaltung des Publikums dienten.
Der „Missbrauch des Museums“ und der „Missbrauch der Kritik“ begünstige die Bewunderung von Eigenschaften, die der Kunst äußerlich seien. Die radikalste Schlussfolgerung betrifft aber die Konsequenzen der Musealisierung der Kunst für deren Produktionsbedingungen. Wenn Quincy argumentiert, daß das Museum der Kunst ihren 'Ort im Leben' nimmt, dann heißt das auch, daß das für die Herstellung von Kunst Konsequenzen hat. "Seit man Museen gegründet hat, um Meisterwerke zu schaffen (sic!), entstehen keine Meisterwerke mehr, um die Museen zu füllen.“
Wovon de Quincy spricht ist das Ende der Kunst - herbeigeführt von einer Institution, die doch gerade deren Geltung neu begründen soll. Wenn die alten Rahmenbedingungen sowohl für die Rezeption als auch für deren Produktion verschwinden, dann kann offenbar das Museum das nicht kompensieren. Es wird zum Ort der Kunst der Vergangenheit, ein "Ruheort der Kunst", wie man das anläßlich der Errichtung des Neuen Museums Berlin (1830 eröffnet) formulierte.
De Quincy deckt einen Grundwiderspruch des Museums auf, die Dialektik einer Transformation, die alles, keineswegs nur die Kunst, in etwas so radikal anderes verwandelt, daß das, was es vorher, vor dem Prozess der Musealisierung einmal war, vernichtet, zerstört.
Niemand hat das so präzise beschrieben und analysiert wie der Philosoph Joachim Ritter, der Musealisierung soziologisch als Reaktion auf umwälzende Prozesse der Moderne zurückführt: "Wo er (der Prozess der Modernisierung GF) einsetzt, ist immer die reale  Bewegung das Erste, in der das alte geschichtliche Gut: Trachten, Einrichtungen, Gerät aus den Häusern und Orten des Wohnens und Lebens, verdrängt wird. Aber dazu gehört, daß das so aus der gegenwärtigen Wirklichkeit Entfernte gleichsam sein Sein verändert; es wird ‚das Historische’ und zieht – als dieses sein reales Nichtsein hinter sich lassend – nunmehr der Bewahrung würdig in die Museen ein, die für es geschaffen werden."
Das liest sich wie ein spätes Echo auf de Quincys lakonischen Satz „Wenn man aus einer solchen Ansammlung (von Kunst im Museum GF
De Quincy ist der erste, der den immanenten Widerspruch des Museums benennt, der die europäischen Avantgarden immer wieder gegen das Museum aufbringen und mobilisieren wird. Ausgerechnet die Institution, die der Erhaltung und Pflege der Kunst dient, arbeitet an ihrer Abschaffung.
Alfred Barr: entwicklung der abstrakten Kunst
De Quincys Texte sind zwar ediert und zugänglich, aber abgesehen von spezialisierter Forschung spielen sie kaum noch eine Rolle - wiewohl sie so etwas wie die Gründungstexte einer analytischen und kritischen Museologie sind. Quincy ist, außer bei Architekturtheoretikern, fast in Vergessenheit geraten, aber die Symptomatik des Museums, die er als erster analysierte, begann in der Kunstpraxis und - theorie zu spuken: noch im 19. Jahrhundert beginnt jene Kritik des oder auch Abwendung vom Museum durch die Künstler selber, die sich in museumsstürmerischer Rhetorik ihre Abfuhr verschafft - man denke an das meist zitierte Beispiel des Futuristischen Manifests. Jemand wie Douglas Crimp hat die prekäre Dialektik des Museums auf seine modernsten Formen angewendet. In On the Museums Ruins zeigt er, wie das wegen seiner Ausweitung des Kunstbegriffs und der Schaffung völliger neuartiger Museumsdepartments berühmte Museum of Modern Art in New York gerade dadurch die Idee jener Avantgarde zerstörte, die die Sammlungen so besonders machten. Was man (unter Ausnutzung der krisenhaften ökonomischen und politischen Verhältnissen, aus dem Deutschland der Weimarer Republik und der revolutionären Sowjetunion nach New York brachte, wurde dort genau um das gebracht, was sie als Avantgarde ausmachte: lebenspraktisch alle künstlerischen Gattungsgrenzen und schließlich auch die Grenze von Kunst und Leben sprengend, wurde sie im Museum of Modern Art zur Versammlung der Meisterwerke.

Sonntag, 7. November 2010

Ötzi darf nicht sterben (Museumsphysiognomien 10)

Das Bild des mumifizierten Mannes, den man "Ötzi" nennt, ist - mit seinem einem Totenschädel ähnelnden Kopf, dem ledrig-ausgetrockneten und braunen Körper und der unnatürlich weggestreckten Hand - zu einer weit verbreiteten und sehr populären 'Ikone' geworden. Ich muß hier kein Bild einstellen, wir haben es im Kopf.
2011 feiert "Ötzi", der "Mann aus dem Eis" oder "…vom Hauslabjoch" seinen zwanzigsten Geburtstag und bekommt dafür im Archäologiemuseum in Bozen eine große Ausstellung, die seinem "zweiten Leben" (Museumstext) gewidmet sein wird. Also nicht nur der wissenschaftlichen Erforschung, sondern auch dem medialen Diskurse und populären Verarbeitung.
Von Anfang begleiteten und überdeckten diese Diskurse die wissenschaftliche Forschung und ihre Ergebnisse. Bezeichnend dafür ist, daß sich der von einem Journalisten wenige Tage nach der Entdeckung des Toten kreierte Name sofort durchsetzte und eine wissenschaftliche Bezeichnung nie durchsetzte. 'Ötzi', das war ein sehr gelungener Taufakt.
Was der über 5000 Jahre alte, auf Grund vieler Zufälle konservierte und schließlich entdeckte Körper bewirkte, war nicht so sehr Interesse an Fakten über ein fernes unbekanntes Leben sondern Mobilisierung von Phantasmen.
Sofort setzte die Beanspruchung unter nationalen Vorzeichen ein, womit die Feststellung des Fundortes - jenseits oder diesseits einer Staatsgrenze - zur diplomatisch-politischen Agenda wurde. und ernsthaft wurde Ötzi, gestützt auf genetische Spekulationen, zum Ahnen erklärt (was heute widerlegt ist), so als ob es so etwas wie eine rein männliche Genealogie geben könne. Ötzi ließ sich für erstaunlich viel reklamieren: nationale Identität, männliche Identität (legendär das ZIB 2 - Schreiduell zweier 'Ötzilogen' wegen der Frage, ob Ötzi einen Penis habe oder nicht), Suche nach der (kollektiven wie individuellen) Herkunft, dem Ursprung, Spekulationen über Todesumstände.
Wie jede Mumie bediente er aber vor allem ein zentrales museales Phantsama, das des "Überdauerns".
Die Paradoxie jeder Mumie liegt ja im ostentativen 'Überleben', das dem Körper durch geschickte Bearbeitung verliehen wird. Die Konservierung bewirkt die Verdinglichung des Körpers, der den Status eines unzerstörbaren Objekts erhält. Die Identität des Leibes dauerhaft zu behaupten stellt aber auch den Tod auf Dauer. Die religiöse Vorstellung des in seinem Leib 'weiterlebenden' Menschen und die unabweisliche Tatsache, daß er als Toter konserviert wird, kreuzen sich in der Mumie auf unauflösliche Weise.
Jede aus dem Grab geholte Mumie ist so etwas wie ein zwischen Leben und Tod wandernder Untoter und es ist kein Wunder, daß Populärliteratur und Film (nicht das Museum) die Rachemacht dieses unagegoltenen Lebens und Todes ausmalten.Was Archäologie und Museum der Mumie antun ist ja nicht weniger als die Zerstörung nicht der des dinglichen Kontextes (Grabbau, Grabbeigaben usw.), sondern einer spirituellen Vorstellung eines durch diesen Kontext mit garantierten 'Lebens nach dem Tod'.
An und für sich hat die Mumie den Zweck der visuellen Bekräftigung der 'Dauer' gar nicht (anders als etwa 'Effigies' aus Wachs oder Holz, die einen Ersatzleib bilden, die eine Person so repräsentieren können, daß selbst eine Hinrichtung als Bild möglich wird), denn als Teil des Totenrituals ist sie unsichtbar. Das gilt ja für fast alle Bestattungsrituale aller Kulturen und aller Zeiten.
Erst durch Ausstellung und Musealisierung wird eine Erfahrung virulent, die das Museum - bedrohlich und tröstend zugleich - vermittelt. Es gibt 'Dinge', sagt uns das Museum, die uns überdauern (und wir 'in ihnen'). Das gilt für Dinge als Lebensspuren selbstverständlich generell, aber es gilt in einer besonderen Weise für den menschlichen Körper 'als (Museums)Ding'.
Das unüberbietbar symptomatische Objekt des Museums ist die Mumie deswegen, weil strukturell das Museum Dauer garantiert oder zu garantieren glaubt - in Form eines 'unzerstörbaren' technischen Gedächtnisses (der Dinge) und in Form der abstrakten Vorstellung eines damit gestützten transgenerationellen Gattungsgedächtnisses. 
Wie Reliquien konfrontiert uns ein solcher Mumien-Leib wie der Ötzis nicht nur mit seinem Tod (der spekulativ nur in bezug auf die Umstände ist), sondern auch mit unserem Tod, tröstet uns aber mit der Botschaft, daß der Leib überdauern kann, physisch und mental, im 'Gedächtnis des Museums': wir werden nicht spurlos verschwinden.
Diesem 'wir' war und ist Ötzi natürlich ungleich näher als jede ägyptische Mumie, weil er 'bei uns' gefunden wurde, in 'unserer Gegend' und irgendwie (ja wie eigentlich?) zu 'unserer Geschichte', 'unserer' Kultur gehört. Das Phantasma, daß wir von ihm abstammen könnten, mag wissenschaftlich widerlegt sein, erledigt ist es damit aber nicht.
Daß Ötzi nicht bestattet werden kann, versteht sich. Nicht so sehr wegen der Option auf bislang noch ungeahnte, künftige wissenschaftliche Methoden, für die der Leib als 'Forschungsobjekt' 'aufgespart' werden muß, sondern weil seine Sichtbarkeit eine einzigartige Möglichkeit eines Identitäts-Spiels erlaubt, das ein Grabmal nie bieten könnte (mal ganz abgesehen von touristischer und materieller Umwegrentabilität). Wo würde man Ötzi bestatten können?
Der Aufwand, der für das Sichtbarmachen getrieben wird ist technisch groß. Gekühlt und bei hoher Luftfeuchtigkeit liegt der Tote auf einer Art von Seziertisch in einer mit Eisziegeln ausgekachelten Kammer, die vielfach kontrolliert und überwacht wird. Angeblich steht für den Fall eines Totalausfalls eine idente zweite Kammer zur Verfügung. Ötzi darf nicht sterben.
Diese Unheimlichkeit wird durch die klinische Umgebung herabgestuft, versachlicht. Das kleine rechteckige Fenster, durch das der Museumsbesucher einen Blick werfen darf, wird durch eine Wand abgeschirmt, um, wie es auf der Museumswebseite heißt, ein wenig jener Intimität zu ermöglichen, die der Begegnung mit einem Toten angemessen ist.
"Parallel dazu sollte die Forschungsarbeit am Körper fortgesetzt werden. Die Mumie selbst befindet sich heute fast versteckt in einem apsidenartigen, abgedunkelten Raum und kann durch ein Fenster betrachtet werden, an dem die BesucherInnen nacheinander vorbeiziehen. Das nur 40x40 cm große Schaufenster in die Kühlzelle von Ötzi folgt in erster Linie konservatorischen Vorgaben, da bei einer größeren Öffnung die Klimaschwankungen zu stark würden. Mit dieser abgeschirmten Ausstellungssituation wollten die Gestalter auch ethischen Anforderungen nach einer Art "Intimsphäre" für die Mumie gerecht werden."
Ich vermute, daß für den durchschnittlichen Museumsbesucher die Teile des Museums, die den Forschungsergebnissen gewidmet sind, zwar interessant, aber nicht das Entscheidende sind. Die wissenschaftliche Rationalisierung eines Begehrens nach einem unmöglichen Blick - den durch Jahrtausende zurück und in gewisser Weise auch in eine Zukunft, in die wir uns als Überdauernde projiziren können -, wird vor der Mumie unerheblich. Dort ist sie - als Exponat - auf eine Gegenständigkeit reduziert, an der wir unsere Subjektivität - als bedroht und als tröstend stabilisiert - erfahren können.
Wer sich darüber hinaus (und über das Museum hinaus) nach Verlebendigung sehnt und die Spannung von Todesangst und Lebenstrieb nicht aushält, wird reichlich mit animierten Puppen versorgt, bis hin zur filmischen Rekonstruktion oder dem archäologischen Reenactement.
Fotos: Archäologiemuseum Bozen Webseite

Samstag, 23. Oktober 2010

Die leere Mitte Berlins und die Sprachlosigkeit der Gesellschaft

Mit dem Beschluß, die 'Rekonstruktion' des Berliner Schlosses aufzuschieben, kommt offenbar nicht die Debatte über die Sinnhaftigkeit dieses Projekts zu Stillstand. Eine besonders scharfe Kritik übt der Schriftsteller Ingo Schulze in der Frankfurter Rundschau vom 22.10.2010 (hier).
Sein Kernsatz ist ein Argument, das sich auf die Unfähigkeit der Gestaltung als Unfähigkeit zur Formulierung einer gesellschaftlich vermittelten Idee bezieht: "Die Unsicherheit, welche Funktion die historische Mitte erhalten und wie sie dementsprechend gestaltet werden soll, hat ihren Grund auch darin, dass wir als Gesellschaft über Wachstumsbestrebungen hinaus kaum noch sagen können, was wir wollen."
Er wendet sich vor allem gegen die Behauptung, beim Schloß ginge es um eine Rekonstruktion. Was da geplant sei, se ein Surrogat, so fragwürdig, daß es durch kein auch noch so gutes Konzept zu retten sei. Das "Imitat" Schloß sei so ziemlich das Gegenteil dessen, was es seinen Befürwortern nach sein soll: "Wer die Schlossattrappe als Reaktion auf die Geschichtsvergessenheit der Moderne sieht, als Kompensation globaler Gleichförmigkeit, übersieht bewusst oder unbewusst, dass es gerade hier um Geschichtsvergessenheit und das Aufgeben des Eigenen geht.
Was hat das Selbstverständnis einer föderalen Republik mit dem Bau der Attrappe eines preußisch-deutschen Königs- bzw. Kaiserschlosses zu tun? Leben wir im Zeitalter der Restauration?"
Das Beste am langen Artikel ist ein langes Zitat von Franz Fühmann, das mehr als eine Breitseite gegen die Schlosspläne ist, sondern eine Kritik an Musealisierung generell als Surrogatkultur. "„Der Höllenbezirk der Surrogate: ... der Bürger, der zum Adel aufschaut und sich sehnt, dessengleichen zu werden (...) will, da Grund und Boden mobil wird, das Rittergut nicht nur als Produktionsmittel, sondern auch als seine Standeserhöhung durch den konkreten historischen Ort. Sein Geld, das alles zu können scheint, zielt auf das verbürgt wahre Alte samt Chronik und Ahnengalerie und Hausspuk, doch das verkaufte Schloß ist das Schloß schon nicht mehr, wiewohl es das alte Gemäuer ist. – Die Gespenster verschwinden als erste. –
Und dann war auch das alte Gemäuer nicht mehr, sein Stein wurde Staub, seine Balken wurden Rauch, doch das Schloß ist getreu wieder aufgebaut, Zierde des Naherholungsgebietes, und wir nennen es anheimelnd, was unheimlich ist (...) doch viel unheimlicher, ein anderes Unheimlich, ist die Bereitwilligkeit der das Bürgertum ablösenden Gesellschaft, die Attrappe als das Echte zu nehmen und, weiterhin Altes beharrlich tilgend, keine Mühen für einen Schein zu scheuen, dem das Sein so demonstrativ mangelt. – Was geht da vor? – Darf ich niederzuschreiben wagen, dass mich vor diesen Fassaden schaudert, die ohne einen alten Stein uns den Fortbestand des Alten heucheln? – Surrogate eines Surrogats. (...) Diese Attrappen sind ein grauenvoller Spiegel unseres Mangels an Eigensinn. – Sie sehen gut aus, wir belügen uns selbst. – Wir täuschen Tradition vor, die wir nicht haben, denn es ist ein Irrtum, zu glauben, dass man sie sich linienweise aussuchen kann. Was juridisch vom Erbe gilt, gilt auch historisch: Man hat es ganz, oder man hat es gar nicht, das jeweils Passende gibt es da nicht, und am wenigsten das so gierig Begehrte: ein Widerspruchloses von gestern als Ahnherr des Widerspruchlosen von heute und morgen.“

Donnerstag, 1. Juli 2010

Sieh! (Museumsphysiognomien 7)



Ein trüber Tag am Bodensee, eine rotige Eisenplatte mit rechteckigem Ausschnitt, ein Text. Schau! Sieh! Aber was? Die Platte ist ein Wahrnehmungspaasepartout, wohin sie den Blick lenkt, ob sie überhaupt einen bestimmten Punkt anvisiert, ist unklar. Es geht wohl eher um den Bodensee. Er ist das Gemeinsame der Identität. Wessen? Der Bodenseeländer. Hm.
Sehenswürdigkeit entsteht mit dem Massentourismus. Das bahnbrechende englische Reiseunternehmen Thomas Cook erfand die Standardisierung der Reise, ihrer Ziele, der aufgesuchten Orte, der Monumente, der Wege und der Zeit. Was würdig ist, angesehen zu werden, besichtigt zu werden, unterliegt nicht mehr individueller Neigung, Zufall, Ratschlägen, sondern einer vorgängigen Festlegung, die die Notwendigeit der Würdigung und den Wert der Sache schon stillschweigend voraussetzt.
Das kann auch in ebenso standardisierten Bildern, den Drei Zinnen, dem Niagarfall, dem schiefen Turm von Pisa, reproduziert, erwartbar und wiederholbar gemacht werden.
Auch der Blick auf den Bodensee ist vorgestanzt, in Eisen. Aber da es nicht wirklich etwas Erkennbares zu sehen gibt, die Wasserfläche, ein Stück Uferlinie, geht es hier um Performanz. Der Bodensee stiftet Identität. Das sollst Du 'sehen', eine Behauptung, anonym und autoritär, aber es ist Dein Blick.
Es geht hier zu wie im Museum: was Du siehst ist a) wahr b) beständig c) wert, gesehen zu werden. Soviel steht fest. Darüber musst Du nicht mehr nachdenken. So etwas nennt man auch: Musealisierung.
Der (die) Autor(en) des Textes sind sich der Überzeugungskraft seiner Performativität nicht sicher gewesen; wie wäre anders das unsinnige "gemeinsame" vor die "Identität" geraten. Also obacht, vor allen, die das Wort Identität als Beschwörungsformel in den Mund nehmen!

Freitag, 26. Februar 2010

Abschied (Texte im Museum 25)


Museum Sensenwerk Deutschfeistritz. Arbeiter der Sensenschmiede haben Datum und Uhrzeit
der Beendigung der Arbeit auf Machinen geschrieben.
Das Schließen des Werks war die Voraussetzung für seine Musealisierung.
"Fabrik wird Museum"...