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Also nein. Man soll es nicht besuchen. Das Museum ist im jetzigen Zustand keinem Publikum zuzumuten.
Und dennoch bin ich vom Museum beeindruckt. Es sind gerade seine Mängel, die es interessant machen. Damit meine ich nicht das Unaufgeräumte, Durcheinandergewürfelte, achtlos Zusammengestellte. Sondern die Reste der ursprünglichen Ordnung in ihrer doppelten Unvollkommenheit. Die eine liegt in der inzwischen eingetretenen Lückenhaftigkeit. Teile der Sammlung sind so verstellt, daß man sie nicht mehr nutzen kann, Objekte wurden verräumt oder sind verloren gegangen, was man feststellen kann, wenn man den heutigen Zustand mit älteren Fotografien vergleicht.
Beschriftungen wurden von den zugeordneten Objekten entfernt, dagegen wurden Inventarnummern direkt auf Objekte geklemmt oder gelegt.
Was aber am meisten verblüfft, das steckt in der ursprünglichen Ordnung und Intention der Museumsgründer selbst drinnen. Ordnung der Dinge, ihre Beschriftung und damit ihre Erzählweise weichen von den gängigen Konventionen ab. Was das Museum auszeichnet ist, daß es eine aus der Alltagserfahrung der Kalser entwickelte Sicht auf die Dinge wirft und deren Bedeutung, die sie im Museum erhalten, aus dieser Alltagserfahrung heraus sichtbar macht.
Chronik, Archiv und Erlebnis (s.Foto unten) sind die Quellen, aus denen man geschöpft hat.
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Als Rückgrat des (ursprünglichen) Ordnungssystems gibt es sogar ein "Inhaltsverzeichnis". In Holz gebrannt und dauerhaft |
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Das Museum erzählt "aus den Berichten der Chronik, dem Landesarchiv von 1197 und aus Erlebnissen." Der zeitliche Horizont ist sichtlich verschiebbar, die Jahreszahl wurde "geflickt". |
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Man erkennt in der Ordnung, entlang der das Museums einmal eingerichtet worden war, herkömmliche Kategorien: bäuerliche Arbeit, Schule, Jagd, öffentliche Einrichtungen wie Post, Gemeindeamt, E-Werk, Bergsteigen und Bergführer, Religion, Brauchtum, Tourismus, Vereine, Gewerbe u.v.a.m. Einerseits ist diese Ordnung nur noch fragmentiert erhalten, andrerseits wurde innerhalb dieser Ordnung im Einzelnen stets aus der Alltagserfahrung geschöpft. Es gibt Erzählungen, Anekdoten, den Bezug zu bestimmten Personen, Familien, Höfen... Die, die das Museum errichtet haben, hatten sicher keine Erfahrungen im Machen von Ausstellungen, aber sie haben sich an ihrer Vorstellung ausgerichtet, von dem was ein Museum ist und zugleich haben sie viele Fäden zum Alltag der Bewohner gesponnen. War es deswegen je ein Museum für die Kalser?
Für das Museum musste erst gesammelt werden. Wie z.B. in der Museumsbroschüre berichtet wird, zogen die "Museumsgründer" von Haus zu Haus und baten um Objekte. Ob es dabei Kriterien gab, was man annahm und was nicht? Vieles wurde hergeschenkt - eigentlich erstaunlich für eine traditionelle Gesellschaft, die sich in nur langsamen Umbruch befand, und in der Dinge sehr lange in Gebrauch standen -, vieles wurde verliehen. Noch jetzt findet man Dinge im Museum mit dem Vermerk "Leihgabe". Wurden die nie zurückgefordert?
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Die lebensweltliche Ausrichtung der Betextung am Kalser Alltag führt dazu, daß für den "fremden" Besucher, oft nicht klar ist, was gemeint ist. Fachbegriffe, Hofnamen, die anstatt oder mit einem Familiennamen zusammen genannt werden, bilden unüberschreitbare Barrieren. Besonders verblüffend können Beschriftungen sein, die unerwartet das Register von der fachlichen Information zum Alltag wechseln. Die große, funktionsfähige Uhr, eines der auffälligsten Objekte im Museum, hat einen Text, der zunächst einer Konvention genügt: der Datierung. Dann springt der unversehens auf eine lebensweltliche Aufgabe der Uhr. "In diesen 200 Jahren hat sie ca. zweieinhalbtausend Kalsern die Sterbestunde geschlagen".
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Haben die Kalser einmal so etwas wie ein "Wir-Gefühl" aus der Zeit des Sammelns und der Museumseröffnung bezogen? Während der Tagung zu Heimatmuseen, die in Kals stattfand und während der das lokale Museum Gegenstand intensiver Diskussionen war, und an der ich teilgenommen habe, wurde Identität, Identitätsbildung plötzlich als Forderung an einen wie immer konzipiertes neues Kalser Museum gestellt. Hatte das Museum diese Funktion schon einmal?
Sicher ist, daß das Museum zuletzt (schon immer?) kaum von "Einheimischen" besucht wurde. Es war ein Museum für die "Sommerfrischler", die Touristen. Auf die Frage, warum gehen die Kalser nicht ins Museum, kommt eine zögerliche Beschreibung. So etwas wie die Beschäftigung mit dem Ort und seinem Leben vollzieht sich in der Familie, und das auch über Generationen. Es scheint keine Aufspaltung zwischen individueller und familialer Erinnerung einerseits und dem institutionellen musealen Gedächtnis andrerseits zu geben. Das bleibt alles von den Personen, Familien, Gruppen gelebt und bedarf keiner symbolischen Entäußerung, der man sich - im Museum gewissermaßen Besucher seiner selbst geworden -, entgegen- oder aussetzt. Das ist eine vorläufige Vermutung, nicht mehr.
Andrerseits gibt es Personen, die selbst so etwas wie Musealisierung betreiben. Da gibt es die Stockmühlen, die man als technische Denkmäler sehen könnte, (sie stammen aus dem 18.Jahrhundert und haben ein auffallendes waagrechtes turbinenähnliches Schaufelrad) die für touristische Zwecke in Betrieb gesetzt werden, zu bestimmten Zeiten und als "Sehenswürdigkeit". Bezeichnend aber ist, daß die Energie, die die Betreiberinnen für die Erhaltung der Mühlen aufwenden, nicht nur dem "Museum Stockmühlen" gilt, sondern daß die Mühlen einmal in der Woche wieder ihren Zweck erfüllen. Es wird (aus zugekauftem Korn, die nötige Felderwirtschaft ist aus Kals verschwunden) Mehl gemahlen und vor Ort Brot gebacken - und verkauft. Und das in nicht gerade kleinen Mengen. Der Erlös kommt der Erhaltung der Mühlen zugute.
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"Der Kalser ist der unabhängigste Mensch, der im Notfalle keiner fremden Hilfe bedarf. Er baut selbst seine Häuser, seine Mühlen und Sägewerke, errichtet mechanische Kraftübertragungen, womit er di oft hunderte Meter entfernte Wasserkraft seinem Hofe nutzbar macht, kennt auch elektrische Licht- und Kraftanlagen, schafft selbst seine Kleiderstoffe, im Notfalle auch das Leder, ersetzt Tischler, Zimmermann, Glaser, Schlosser durch eigene Geschicklichkeit. Besonders gewandt ist er in der Handhabung der Axt und erinnert dadurch an die Berichte, die uns von den ersten Ansiedlern im freien Amerika zukamen." (Aus einer "Studie von Max Grießmayer, 1930)
Diese Beschreibung, die ich der Museumsbroschüre entnehme, ist eine Zuschreibung, eine Projektion. So kann nur jemand beschreiben, der zwischen sich und dem Beschriebenen Distanz geschaffen hat. Aber sie ist dennoch nicht völlig verfremdend. Ich habe Kals als Kind, als "Sommerfrischler" kennengelernt, von einem Bergbauernhof aus, der auf über 1600m Höhe lag, mit so steilen Wiesen, daß man dort nur mit speziellen Steigeisen mähen könnte. Am Hof gab es Kühe, Schweine, ein Getreidefeld, eine Mühle, wo das Mehl gemahlen wurde, es wurde Brot gebacken, Speck wurde selbst geräuchert. Geräte wurden selbst hergestellt und repariert. Und als nach einem schweren Gewitterregen einmal ein Stück Hang direkt unter dem Haus wegrutschte, wurde keine Spezialfirma geholt, sondern die Bauern von den in der Nähe liegenden Höfen gingen in ihre Wälder, schlägerten Bäume und befestigten den Hang mit einer kunstvollen Fachwerk-Konstruktion.
Brauchen solche Menschen ein Museum? Waren unsere (unglaublich herzlichen) Gastgeber je in "ihrem" Museum"? Welches Museum bräuchte es denn jetzt?
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Zwei Fotos aus dem Kalser Museum: Feldarbeit, wie ich sie in den 50er-Jahren noch kennengelernt habe. Alles war Handarbeit mit selbst hergestellten Geräten. Ich kann mich an keine einzige von einem Motor getriebene Maschine erinnern. |
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Man hat Museen in "Typen" eingeteilt: Kunstmuseen, Naturmuseen, technische Museen, Historische Museen usw. Man könnte auch einmal eine andere Typologie entwickeln. Nämlich eine entlang der Haltung und Methode der Museen, die kaum bemerkt gewissermaßen unter den herkömmlichen und vertrauten Kategorisierungen liegt. Da gibt es Museen, die unumstößliche Wahrheiten verkünden (etwa einen Kunst- und Künstlerkanon), Museen, die sich bemühen, Geschichtserfahrung, historisches Lernen zu ermöglichen, Museen, die es auf Unterhaltung, Kurzweil, aufs Wohlfühlen anlegen oder Museen, die eine politische Botschaft, eine Ideologie vertreten.
Und dann gibt es die poetischen Museen. Das sind Museen, die meist in einen Zustand der Vernachlässigung, des Vergessens geraten sind, die sich überlebt haben und die als Museum des Museums von der museologischen Entwicklung so weit überholt worden sind, daß man beschloßen hat, sie nicht zu modernisieren, sondern zu erhalten. Man friert die Museen auf einen bestimmten, lange zurückliegenden Zeitpunkt seiner Entwicklung ein. Solche Museen lassen sich gut in England entdecken, etwa John Soanes Museum in London, das einem eine Zeitreise in die 1830er-Jahre erlaubt und ein Sich-Versetzen in den Spleen eines berühmten Architekten. Auch das Naturhistorische Museum in Wien bemüht sich um Erhaltung einiger Säle. Architektonisches Dekor, Vitrinen und Exponate bilden wie seit der Eröffnung des Museums ein Gesamtkunstwerk.
So ein Museum des Museums ist jetzt Kals. Und solche Museen sind nicht tot, sondern sie bringen Geschichte, Bilder und Träume hervor, als würden sie erst aus einem Schlaf halb erwacht, Geheimnisse preisgeben, die sie bis dahin gehütet haben. Ein "Traumhaus des Kollektivs", wie das Walter Benjamin genannt hat? Aber welchen Kollektivs? Der Kalser? Der Handvoll von Gründern? Der BesucherInnen?
Ich fürchte, das Museum spricht nur zu dem, der die entbergende Stimme des Museums hören will und kann, der über die Versprecher der Beschriftung, den stolpernden Sinnzusammenhang der Dinge, eine andere Bedeutung ahnt, als die, die offen dazuliegen scheint.
Alle Kriterien, die ein Museum ausmachen, die Regeln der Auswahl, der Deutung, des Zeigens und Erzählens, des Kommentierens und Anordnens scheinen in diesen Museen außer Kraft gesetzt.
Dadurch öffnen sie sich für eigene Assoziationen und Projektionen. Das geht weit über das hinaus, was immer passieren kann, ein assoziatives Erinnern - mit so einer Waschrumpel hat noch meine Mutter Wäsche gereinigt -, und ermöglicht einem, ins Entspinnen eigener Geschichten zu gleiten wie in einen Traum.
Die Vernunft, die sich in der Ordnung der Dinge zeigen sollte, in ihrer Zergliederung in Themen und ihrer Festlegung in Texten, ist der fiebrigen Traumerzählung gewichen, wie wir sie aus Grimms Märchen kennen, wo eine Nähnadel, ein Ei, ein Mühlstein, eine Ente, ein Hühnchen usw. einen Mann töten. Herrn Korbes. Die Ungeheuerlichkeit der vollkommen rätselhaften Geschichte, in der sich Dinge und Tiere zusammentun und einen Mann ohne jede Rechtfertigung ohne jede erläuternde Kommentierung zu töten, fanden die Herausgeber, die Brüder Grimm, unerträglich. Und sie fügten, wie zur Erklärung und Rechtfertigung und auch unautorisiert durch die ihnen erzählte Geschichte, einen Satz hinzu: "Herr Korbes muß ein böser Mann gewesen sein."
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Ich erinnerte mich bei meinem letzten Besuch des Museums, dem während der Tagung zu Heimatmuseen, noch lebhaft an frühere Besuche im Museum. Ich hatte ganze Raumabschnitte, Themen, Objekte noch lebhaft in Erinnerung (interessant, daß ich absolut keinerlei Erinnerung an die Ausstellung im Glocknerhaus hatte, die ich ja auch schon früher gesehen hatte). Ein Objekt, das mich sehr beeindruckte, war die Geige von Alois Rupprechter. Selbst gebaut? Tatsächlich? War er Geigenbauer? Konnte man nur mit etwas handwerklichem Geschick selbst eine Geige bauen. Warum Südamerika? Ist er ausgewandert? War er auf Reisen? Ein Attentat? Gezielt auf ihn? Und warum? Oder war er zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort?
Ich habe versucht, nachzuschlagen, wer Alois Rupprechter war. Ich wurde nicht fündig. Es gibt eine umfangreiche Kalser Chronik, in der man vielleicht etwas über ihn finden kann. Von den beim Museumsbesuch anwesenden Kalsern konnte niemand Auskunft geben.
Aber sollte man überhaupt genau wissen wollen, was da vor sich gegangen ist? Wäre das nicht eine Art von Entzauberung? Gerade der Mangel an notwendiger Erläuterung, bringt die Phantasie in Bewegung und läßt jeden seine eigene Geschichte suchen.
Nicht die schlechteste der Museumstheorien spricht davon, daß im Verstehen einer Ausstellung immer ein unaufgelöster Rest bleibt. Und man kann sich dazu fragen, ob nicht Museumsvermittlung oder -pädagogik, ob nicht kuratoriale Erklärungen und Texte in erster Linie dazu da sind, genau diesen Rest zu beseitigen - wenn es unmerklich geschieht, um so wirkungsvoller.
Mit Rupprechters Geige bricht die große, ferne Welt in die kleine, nahe Kalser Welt.
Kals liegt in einem abgeschiedenen Tal, das gilt heute noch, trotz Postbusverbindung und Autostraße. "Am Großglockner" heißt praktisch, daß es von hier aus nur noch zu Fuß weitergeht, über die Hohen Tauern, Hochgebirge. Die Durchzugsstraße im Tal, die Süd und Nord verbindet, Osttirol mit Salzburg und Nordtirol, ist 12 Kilometer entfernt. Wenn die einzige Straße unterbrochen war, wie in den Unwetterkatastrophen 1965 und 1966, war Kals wochenlang von der Umwelt abgeschnitten.
Die geographische Abgelegenheit schnitt das Dorf aber nie von der Welt ab. Wenn man durch Ködnitz spaziert fällt ein Marterl auf, bei dem ein Bild an den Tod dreier Kinder erinnert. US-Flugzeuge warfen hier Bomben ab, ich vermute, um Ballast vor dem Überfliegen des Gebirges loszuwerden. So ragte der große Weltkrieg in den Ort.
Nur fünf Minuten entfernt steht ein Denkmal mit der lebensgroßen Figur Stefan Groders. Nach der Niederlage der tiroler Gegenwehr gegen die bayrisch-französische Besatzung, wurden 1809 angeblich alle (ich konnte das nicht überprüfen, es war für mich vollkommen neu) tiroler Schützenhauptleute erschossen. Stefan Groder stellte sich für seinen Bruder. Es muß auch eine Gedenktafel im Ort gegeben haben, denn die befindet sich im Museum.
Der Volkskundler und Museologe Gottfried Korff hat gerne dieses Brecht-Zitat verwendet: "Über das Kotelett in der Pfanne wird auf den Schlachthöfen Chicagos entschieden".
So hat letztlich über das Kraftwerk im Dorfertal nicht nur die Kalser Bevölkerung entschieden, sondern auch die Banken in den Metropolen.
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Die Erinnerung ist in Bruchstücken überliefert. Das entscheidende Wort "erschossen" musste behelfsmäßig ergänzt werden. Sonst verstünde man nicht, worum es geht. Der Text allein, in Stein gemeisselt, konnte nicht genügen. Überdeterminiert wird mit einem Label aus Karton über der Inschrift erklärt, warum das kleine Denkmal hier ist: als Zeuge einer "Heldentat" |
Wer hat denn dafür gesorgt, daß die Geige, die Gedenktafel erhalten blieben? Hat man sich seinerzeit dazu Geschichten erzählen lassen? Wurden die nie festgehalten, aufgezeichnet? Es gibt so manches Objekt im Museum, wo der Name des Spenders oder Vorbesitzers erwähnt werden, oder bei Funden der Finder. Aber diese Namen helfen unserem Verstehen nicht weiter. Deren Geschichten können als versunken und vergessen gelten. Nicht immer bildet das Museum ein Gedächtnis. Es ist ein "technisches Aufzeichnungsmedium", das im Bewahren von Dingen besteht. Aber diese Dinge verwandeln sich im Museum, werden von Dingen des Gebrauchs, in dem immer wieder Wissen mitschwingt, zu einem Ding des Betrachtens, aber das Wissen ist in die Dinge nicht eingeschrieben, wie seine Farbe, sein Gewicht, seine Ausdehnung. Dieses Wissen muß mit überliefert, rekonstruiert, aufgezeichnet, vermittelt werden. Wo das nicht der Fall ist, verstummen die Dinge.
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Der kleine, entlegene Ort und der große, ferne Krieg |
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An den Dingen läßt sich weniger ablesen, als man glaubt. Nicht einmal und gerade ihr Alter nicht. Deswegen wird hier versichert, daß die Funde "alt" sind, was aber Funde, und Dinge im Museum natürlich immer sind. 15 Jahre, 30 oder 150? Kommt es darauf an?
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Ein wichtiges Motiv, Museen zu gründen und zu betreiben ist das der rettenden Bewahrung. Etwas scheint uns so wichtig, oder sogar unersetzlich, daß man es bewahrt, vor dem Verfall, der Zerstörung rettet. Die Gefahr dieser Form von Musealisierung ist, daß das Retten zum Selbstzweck wird. Alles kann zum "Letzten" werden, ohne daß wir noch daran denken, ob das Gerettete irgendeinen in sinnvollen Platz in unserer Gegenwart, im Museum findet. Das meiste landet ohnehin im Depot. Depots enthalten notorisch ein Vielfaches an Objekten im Verhältnis zu dem, was ausgestellt wird. Kals hat kein Depot. Hier ist alles im Museum gelandet.
Auch der Brautschlitten, der vor dem Verbrennen gerettet wurde. Was er einmal war, wird genau erzählt. Man kann sich vermeintlich an etwas "erinnern", was man vielleicht nie selbst erlebt hat oder an dem man nie beteiligt war. Und was ist der Schlitten jetzt, als Exponat, als Gegenstand der - möglicherweise - volkskundlichen Forschung?
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Das Museum war mit seiner Eröffnung fertig. Es scheint niemals der Wunsch aufgekommen zu sein, es zu ergänzen, die neueste Zeit mit einzubeziehen. So fehlt im Museum eines der wichtigsten Ortsereignisse, der Kampf gegen den Bau eines Wasserkraftwerkes im Dorfertal mit einer 200 Meter hohen Staumauer in der Dabaklamm.
Diese Geschichte lebt in Erzählungen, Berichten weiter, die sich im Detail voneinander unterscheiden, wenn Männer oder Frauen erzählen. Denn die entscheidende Initiative, eine Abstimmung im Ort abzuhalten, kam ausschließlich von Frauen und sie waren es auch, die sie praktisch verwirklichten. Erst als der als informell negierten Abstimmung eine zweite formgerechte folgte, war das Ausmaß des Widerstands klar. Mit überwältigender Mehrheit lehnte die Kalser Bevölkerung das Kraftwerk ab.
Ob solche Widerstandsgeschichten in ein Museum gehören? Sicher. Aber ist denn nicht die lebendige Erinnerung, auch wenn sie je nach ErzählerIn variiert, jedem "technischen Gedächtnis" (das das Museum ist) weit überlegen. Aber es ist ja derzeit völlig offen, was mit dem Museum geschieht, ob es "wiederbelebt" wird und wenn ja, in welcher Form. Auch für Kals stellt sich die einfach-schwierige frage. Welches Museum braucht es? Und: braucht es überhaupt eines?
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Ein, unbeabsichtigter, Einbruch von Gegenwart. Eine im Museum zurückgelassene Corona-Schutzmaske |
Danke Gottfried. Solche poetischen Museen werden oft als röchelde Wunderkammern erhalten, um den Betreibern noch lebenssinn zu geben. Das muss auch sein
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