Nur eine (und die war dann vielleicht falsch entschieden).
Das ist die Pointe einer Ausstellung des Stapferhauses Lenzburg.
Denn wir, wir haben pausenlos Entscheidungen zu treffen, können uns unter unendlich vielen Optionen entscheiden.
Da ist die Partnerwahl, die Berufswahl, der Kinderwunsch, die Entscheidung zur Scheidung. Wenn wir in einen Supermarkt gehen, können wir uns für eine Ware zwischen vielen Marken entscheiden, wenn wir ein Kind in die Welt setzen, haben wir die Qual der Namenswahl oder eine viel dramatischere, wenn eine Behinderung noch vor der Geburt vorausgesagt wird. Selbst bei unserem Körper können wir inzwischen Entscheidungen treffen, nicht bloß über Gesund oder Krank, sondern auch über Schön und Hässlich.
Überfordert uns dieses Wählen? Wie verantwortlich treffen wir Entscheidungen? Was oder wer hilft uns dabei? Und macht uns die Wahlfreiheit und -möglichkeit glücklich? Wie abhängig ist die Wahlfreiheit davon, wo wir leben und unter welchen Bedingungen wir leben?
Die Ausstellung "Entscheiden" ist als Parcours angelegt, beginnend mit Adam und Eva, von wo wir uns Station um Station durcharbeiten. Mit einer Tasche und einem Karton in der Hand, auf die wir die in Form von Strichcodes ausgegebenen Ergebnisse der Computerterminals aufkleben, wo uns Fragen zu unserer Entscheidungslust und -fähigkeit abverlangt wurden.
Wenn wir am Schluß den Eintritt zahlen bekommen wir am Kassenbon ausgedruckt das Ergebnis unserer Befragung.
Die Aussstellung ist stark textlastig, es gibt viel zu lesen, viel zu beantworten. Objekte im herkömmlichen Museumssinn gibt es wenige und eher als Alibi oder gestalterische Abwechslung. Im Grunde könnte das Ganze auch im Internet funktionieren, mit ambitionierter Grafik und denselben Texten.
Der Raum spielt eine ungleich weniger wichtige Rolle, als bei der Ausstellung "nonstop", die ich hier vor zwei, drei Jahren gesehen habe. Daß sich am dunklen Dachboden die schicksalshafte Unausweichlichkeit von Erkrankung oder Unfall findet, also am Schluß der Ausstellung, mag der Dramatisierung der Entscheidungslosigkeit geschuldet sein, aber zwingen ist das auch nicht, zumal der riesige Raum mit ganz wenigen (ausschließlich) Texten bestückt ist.
Die Ausstellungen des Stapferhauses haben sich ihren Ruf (weit über die Schweiz hinaus) durch die Kombination von Themenwahl und Gestaltung erworben. Es sind lebensweltlich bedeutsame Themen, wie der Umgang mit und das Ausgeliefertsein an Zeit, Sterben und Tod ("last minute") oder Glaube und Unglaube.
Während in den meisten Ausstellungen, vor allem bei denen, die von Museen ausgerichtet werden, die Sammlung bei der Wahl von Themen Pate steht, kommt hier offenbar zuerst das Thema. Die Gestaltung und die Wahl der Objekte folgt der Themenwahl und nicht umgekehrt. Das hat zur Folge, daß im Prinzip jedes Veranschaulichungsmedium in Frage kommt. Objekte, die Museumsqualität hätten, können auch auf Zeit geliehen werden, vieles wird von Fall zu Fall (architektonisch, grafisch) dem Thema entsprechend neu gestaltet.
Damit weichen die Ausstellungen des Stapferhauses signifikant von konventionellen Museumsausstellungen ab. Beides ist mir sympathisch: die selbstverständliche Wahl der Medien ohne Rücksicht auf museale und problematische Wertvorstellungen (das "authentische" Objekt...) und die konsequente Lebensweltlichkeit der Themen. Hier wird in der Gegenwart über die Gegenwart gesprochen, was nicht ausschließt bestimmte Fragen zu historisieren. Auch eine Statistik, wie die zu Scheidungsraten und Scheidungsmotiven kann verblüffende Aufschlüsse über Entwicklungen vermitteln.
Die Qualität der Ausstellung und der Spaß, den sie mir gemacht haben, hat damit zu tun, daß überraschende und erhellende Aspekte aufblitzen, die sich einem multiperspektivischen Zugang zum Thema verdanken.
Dagegen fand ich es schade, daß so manche "Interaktion", mit der man mich beschäftigte, in multiple choice - Manier einem problematische Fragen und noch problematischere Antworten aufdrängte. Witzig waren dagegen die vielen guten und praktischen Tipps, die man allerdings nur dann nach Hause nehmen konnte, wenn man das (wohlfeile) Magazin zur Ausstellung kaufte.
Wie schon bei der Ausstellung "nonstop" hatte ich den Eindruck, daß man eher phänomenologisch vorgeht und eine tiefer führende Reflexion nur an manchen Aspekten stattfindet. Daß wir uns so unter Zeitdruck setzen, wie uns in der Ausstellung "nonstop" gesagt wurde, hat wohl nicht nur mit unseren konsumistischen Bedürfnissen zu tun, den die Industrien willig folgen. Und auch der "Supermarkt der Möglichkeiten", von dem in "Entscheiden" die Rede ist, kennt - diskrete, verschwiegene oder verdrängte (Vor)Entscheidungen, um die man sich nicht immer herumdrücken sollte.
Am unzufriedensten sind die, die keine oder zu viel Wahl haben. Sagt der Pralinentest. |
So weit wagt sich die Ausstellung nicht. Aber sie hat mehr Fragen als sehr viele andere.
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